- Es ging verirrt im Walde
- Ein Königstöchterlein
- Laut weint sie, daß es schallte
- Tief in den Wald hinein.
- An meiner Krone blinken,
- Schmaragd und auch Rubin,
- Um einmal nur zu trinken,
- Gäb‘ ich sie gerne hin.
- Da schwebt zu ihrem Haupte
- Ein edler Falke bald,
- Der ihr die Krone raubte
- Und tiefer flog zum Wald.
- Sie folgt ihm, hoch in Lüften
- Trägt er die Krone hell
- Bis wo in dunklen Klüften
- Erbraust ein kühler Quell.
- O Falke Luftgeselle
- Nimm hin die Krone mein,
- So kühl als diese Quelle
- Mag keine Krone sein.
- Es braust so wonnig unten
- Tief in der Felsen Schoß,
- Von Schatten still umwunden,
- Ruht sie auf weichem Moos,
- Die Locken aufgewunden
- Die zarten Glieder bloß,
- Erkühlt sie sich da unten
- Tief in der Felsen Schoß.
- Sie ließ sich an den Zweigen
- Hinab ins kühle Bad,
- Bald will sie rückwärts steigen,
- Doch zeiget sich kein Pfad,
- Sie streckt wohl nach den Zweigen,
- Mit Macht die Arme hin,
- Doch keiner will sich neigen,
- Zur Königstochter hin.
- Wer kann heraus mich heben,
- Weint da die holde Magd,
- Gern wollte ich ihm geben,
- Mein Ringlein von Schmaragd,
- Wie sie die Hände ringet
- Das schöne Ringelein
- Ihr von dem Finger springet,
- Tief in den Quell hinein.
- Sie sucht und findt in Klippen
- Ein Horn von Gold so rein,
- Und setzt es an die Lippen,
- Es schallt zum Wald hinein.
- Die Felsen laut erklingen,
- Und laut von Stein zu Stein
- Die muntern Töne springen,
- Ums Königstöchterlein.
- Die Zweige sich auch neigen
- Der edle Falke wiegt,
- Sich fröhlich auf den Zweigen
- Die er hinunter biegt.
- Dann hört sie Worte schallen,
- Wer bläst auf meinem Horn,
- Das gestern mir gefallen
- Hinab zum Felsenborn.
- Wer hütet mich vor Schande,
- Weint laut das Töchterlein,
- Wer giebt mir die Gewande,
- Wer schützt die Ehre mein,
- Mich liebte einst ein Knabe
- Der Züchten wohl verstand,
- O daß ich ihn nicht habe,
- Er gäb‘ mir mein Gewand.
- Die Augen zugebunden,
- Der Knabe vor ihr stand
- Der Knabe ist gefunden
- Er reicht ihr das Gewand.
- Verloren ist die Krone,
- Und auch das Fingerlein,
- Ohn‘ Ringlein und ohn‘ Krone,
- Muß sie das Kleinod sein.
- Da ruhte der Geselle
- Wohl bald in ihrem Schoß,
- Im Herzen ward’s ihm helle
- O mach die Binde los.
- In ihr Gewand geschwinde
- Hüllt sich das holde Kind,
- Dann löst sie ihm die Binde,
- Läßt nicht die Liebe blind.
- Da schallt es in den Buchen
- Da hallt es am Gestein,
- Der König kommt zu suchen,
- Das Königstöchterlein.
- Nun rege deine Hände,
- Spricht da das Töchterlein,
- Wenn uns der König fände
- Müßt‘ es gestorben sein.
- Der Falke nahm die Krone,
- Der Quell das Fingerlein,
- Der Jäger nimmt zum Lohne
- Das Königstöchterlein.
- Es nahm der Jagdgeselle
- Sein Horn und sein Geschoß
- Und trug die Jungfrau schnelle
- Zum hohen Felsenschloß.
- Auf Felsen hoch ich wohne,
- Der Falke und die Braut
- Am Turme hängt die Krone
- Sein Nest hineingebaut.
Es ging verirrt im Walde
… eine Ballade von Clemens BrentanoEs ging verirrt im Walde von Clemens Brentano wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/brentano/es-ging-verirrt-im-walde/
Quelle: https://balladen.net/brentano/es-ging-verirrt-im-walde/