Nachfolgend eine Übersicht deutscher Balladen. Die Liste ist standardmäßig nach dem Geburtsjahr der Dichter sortiert. Die Balladen lassen sich allerdings nach einzelnen Kriterien anordnen (Titel, Länge …).
Alle Balladen liegen im Volltext und als Druckversion vor. Einige Balladen haben wir außerdem vertont und wenige sogar analysiert .
geordnet nach dem Geburtsjahr der Autoren
(417 Balladen)
Titel | Jahr | BL | |
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Traurige und betrübte Folgen der schändlichen Eifersucht von Johann Wilhelm Ludwig Gleim, 1756 „Die Eh‘ ist für uns arme Sünder / Ein Marterstand; / Drum, Eltern, zwingt doch keine Kinder / Ins Eheband.“Johann Wilhelm Ludwig Gleim |
1756 | 6203 | traurige und betrübte folgen der schändlichen eifersucht von johann wilhelm ludwig gleim die eh ist für uns arme sünder ein marterstand drum eltern zwingt doch keine kinder ins eheband es hilfft zum höchsten glükk der liebe kein ritterguth es helffen zarte keusche triebe und frisches blut dis wuste fräulein marianne so gut als ich dem schönsten jüngsten treusten manne ergab sie sich mama sprach sie ich bin zum freyen nicht mehr zu jung und einem manne mich zu weyhen schon klug genung ich kan es länger nicht verheelen in meinem sinn mama daß ich von grund der seelen verliebet bin verliebt in wen ich will ihn nennen ich will allein sie müssen ihn nicht hassen können und gnädig seyn versprechen sie mir das mamachen seyn sie so gut dann weiß ich ja das mein papachen es auch gleich thut leander ach sie wollen schelten ich seh es schon leander kind o nein herr velten sey schwiegersohn ja ja herrn velten solst du nehmen denn der hat geld und du must dich zu dem bequemen was mir gefält wie können junge mädchen wissen was nüzlich ist die meisten sind verpicht aufs küssen wie du auch bist herrn velten soll ich ach ich arme was soll mir der ach daß der himmel sich erbarme was soll mir der es schwillt von millionen thränen ihr schön gesicht und tausendmahl sagt sie mit stöhnen ich will ihn nicht du wilst ihn nicht ich muß nur lachen sagt drauf mama wir wollen dir den willen machen ich und papa man zwinget sie in einen wagen hält sie vermummt man bittet sie noch ja zu sagen und sie verstummt sie sieht nach einer kurzen reise sich eingesperrt wo nach beliebter alten weise die nonne plärrt da soll sie beten und nicht lieben allein sie weint sie weint und will sich tod betrüben um ihren freund einst aber geht mit schwarzer lüge mama zu ihr mein kind sagt sie kennst du die züge des schreibens hier der ewge treue dir geschworen hat sie verfehlt leander ist für dich verlohren er ist vermählt schnell rollt in einem goldnen wagen herr velten her auch kommt ein mann mit weissem kragen von ohngefehr gequälet wird von jung und alten das arme kind und die verlöbniß wird gehalten ach wie geschwind nun freut ein haufen anverwanten sich auf den tanz nun binden mütter nichten tanten am jungferncranz nun schikt sich zu drey wilden tagen das ganze haus und priester gehn mit leerem magen zum hochzeitschmaus nur für die braut ist keine freude und keine lust sie quält sich mit geheimen leide tief in der brust mit zittern höret sie den seegen vorm altar an und seufzt bey lauten herzensschlägen ach welch ein mann am abend mehret sich ihr jammer und ihre pein denn ach sie soll nun in die cammer mit ihm hinein wie man ein lamm zur schlachtbank führet so führt man sie seht spricht mama wie sie sich zieret die närrin die jedoch sie war am frühen morgen nun eine frau sie theilte nun des mannes sorgen war nun genau ihm seine wirthschafft recht zu führen so tag als nacht und keinen heller zu verliehren war sie bedacht ach aber ach geheime schmerzen verzehren sie leander herscht in ihrem herzen so spät als früh ach wie mag er um mich sich kränken lebt er wohl noch sie will nicht mehr an ihn gedenken und thut es doch oft sizt sie neben einer linde und spricht mit sich ach an ihn denken das ist sünde und die thu ich könnt ich sie meiden nicht mehr wissen im fünfften jahr daß ach leander meinen küssen einst lieber war von so schwermüthigen gedanken wird sie geplagt sie schrenkt in heilger ehe schranken sich ein und klagt einst als sie sich dem gram ergiebet und einsam sizt und ihrem ehmann den sie liebet mit spinnen nüzt da tritt er in das stille zimmer vergnügt herein und bittet sie doch nur nicht immer betrübt zu seyn ihm folgt ein kaufmann der juwelen und perlen trägt und der im innersten der seelen betrübniß hegt kind spricht er kauf dir von den waaren was dir gefällt wir dürfen ja nicht immer sparen sieh hier ist geld er gibt zwölf thaler ungezählet und pfeift und lacht und geht weil ihm ein brate fehlet hin auf die jagd nun steht mit zitternden geberden der kauffmann da voll furcht von der gehaßt zu werden die ihn jezt sah weil von den rosen seiner wangen ein langer bart herab hieng und wie sie vergangen gesehen ward die augen niederwärts geschlagen sieht sie ihn an was habt ihr fängt sie an zu fragen mein lieber mann er zeigt ihr seine waaren schweiget und spricht kein wort doch geht so offt er ihr was zeiget ein seufzer fort ach denkt sie warum so betrübet er jammert mich sein gram ist groß gewiß er liebet und seufzt wie ich sie fragt ihn was für stille schmerzen erduldet ihr ist liebesgram in eurem herzen so sagt es mir der gram mit welchem ich mich quäle verzehret mich madam er bleibt in meiner seele wohl ewiglich ein einzig kleinod war auf erden das wünscht ich mir dadurch der glüklichste zu werden das wünscht ich mir ich bat zu gott es mir zu geben zum eigenthum mein haab und guth und selbst mein leben bot ich darum mein einzger wunsch und meine freude war es zu sehn wie war es meiner augen weide wie wars so schön ach aber ach in tausend stükken zerriß der schmerz der nicht mit worten auszudrükken mein armes herz verzweiflung treue glükk und ehre bestritt mein haupt als ich vernahm mein kleinod wäre mir weggeraubt was war es sagts ich möcht es wissen welch kleinod kan euch so betrüben darf ichs wissen mein lieber mann ich dächt euch wäre leben lieber als stein und gold mich wunderts daß ihr euch darüber todt grämen wolt madam was von entfernten mohren der geiz herholt ist kleinigkeit was ich verlohren ersezzt kein gold es war mir theurer als mein leben als alles geld ach was hätt ich darum gegeben die ganze welt einst malt ich mir aus dem gedächtniß das werthe bild des himmels einziges vermächtniß das kummer stillt ein bild ist es darum ihr klaget ach zeigt es mir er zieht es aus dem busen saget hier ist es hier sie nimmt es hin er siehts mit freuden in ihrer hand es war gehüllt in gold und seiden auswendig stand von meinen zärtlich treuen thränen entsteht ein bach und dieses ist das bild der schönen ach himmel ach sie macht es auf allein erblasset von schrekk erfüllt fällt sie in ohnmacht denn sie fasset ihr eigen bild ach marianne marianne ach stirb doch nicht ach sieh mich engel ach ermanne dein schön gesicht erwekkt vom schalle dieser worte kommt sie zu sich freund spricht sie flieh von diesem orte freund meide mich ein andrer saget die getreue hat meine hand entferne dich denn meine treue hält ihm bestand er eilt gehorsam dem befehle urplözzlich fort ach seuffzt er ach geliebte seele nur noch ein wort ich sterb um dich er faßt im gehen die hand ihr an zum letztenmahl will er sie sehen da kommt der mann stirb sagt er räuber meiner ehre mit tausend schmerz er tobt und stoßt mit mordgewehre durch beyder herz leander stirbt und marianne spricht gott lob ich verdient es nicht sie spricht zum manne du jammerst mich nun hat er keine frohe stunde des nachts erscheint die treue gattin zeigt die wunde dem mann und weint ein klägliches gewinsel irret um ihn herum ihn reut die that er wird verwirret er bringt sich um beym hören dieser mordgeschichte sieht jeder mann mit liebreich freundlichem gesichte sein weibchen an und denkt wenn ich es einst so fände so dächt ich dis sie geben sich ja nur die hände das ist gewiß |
Die Wut der Frauen von Johann Friedrich Löwen, vor 1771 † „Ach! hört mit Furcht und Grauen / ihr guten Männer an, / wozu die Wut der Frauen / euch alle reizen kann.“Johann Friedrich Löwen |
1771 | 2350 | die wut der frauen von johann friedrich löwen ach hört mit furcht und grauen ihr guten männer an wozu die wut der frauen euch alle reizen kann glaubt nicht daß ihr auf erden stets euren himmel habt wenn euch bei viel beschwerden der kuß der schönen labt quält in dem weltgetümmel den mann des ehstands pflicht so glaubt der gute himmel schloß seine ehe nicht so glaubt er kaufte teuer den kurzen zeitvertreib so glaubt ein fegefeuer ward ihm sein liebes weib dann kennt er ohne zweifel die hölle ganz genau denn mehr als sieben teufel quält eine böse frau in eheprüfungsstunden hat mancher hahnrei oft beim trost den er empfunden auf rache mit gehofft er dacht an seine brüder und an der ehe lauf und setzte manchem wieder zwölfendge hörner auf drum nehmt geplagte männer geduld und tröstung wahr zankt eure frau im jenner zankt ihr im februar hat sie im märz von ränken das starre köpfchen voll greift im april zu schwänken und macht im mai sie toll so standhaft wechselt immer merkt diesen treuen rat tut nie was einstens schlimmer ein armer ehmann tat er der bei grauen haaren ein rasches mädchen nahm und nunmehr schnell erfahren wie man zu hörnern kam er glaubte da zur rache sein alter ihn gelähmt es sei sein schöner drache durch schmeicheln leicht gezähmt allein wie grimmig flogen nicht oft dem armen tropf der schrecklich sich betrogen die schlüssel nach dem kopf sie droht er mußte fliegen und kommen wenn sie rief und unterm stuhle kriechen saß ihr das kopfzeug schief zehn scharfe nägel fuhren ihm öfters durch den bart und hinterließen spuren von ihrer gegenwart einst schrecklich ists zu sagen wollt er das erstemal zu widersprechen wagen da seh er seine qual mir rief sie mir zu wehren und ich ich schweige still dein wunder sollst du hören ein wort ist gnug ich will schon flammten ihre blicke ein wörtchen sprach er nur als schnell in die perücke glas und pantoffel fuhr er schwieg und lief verzaget fünf treppen unters dach da hat er viel geklaget du muse klag ihm nach ach ist ein mann auf erden wohl so geplagt als du erst muß ich hahnrei werden dann prügel noch dazu er dachte drauf mit schmerzen an alle seine not und fühlte wut im herzen und knirscht und rief den tod der tod der ungebeten oft kömmt mit ungestüm kroch doch in diesen nöten nicht unters dach zu ihm und weil er nicht gekommen so hat er wehmutsvoll gar den entschluß genommen den keiner nehmen soll der welcher sich erhenket schloß er fühlt kurze pein mein weib wenn mans bedenket wird stets mein henker sein was acht ich denn der qualen von einem augenblick da schon zu tausend malen komm her geliebter strick es war der letzte jenner als sich der geck erhing und für geplagte männer die märterkron empfing |
Zuverlässige Geschichte von Johann Friedrich Löwen, vor 1771 † „Ein Geist, den man schon viele Jahre / Gedruckt bei Käsekrämern fand, / Der bei dem Altar und der Bahre / Im Sold als Tagelöhner stand;“ |
1771 | 1012 | zuverlässige geschichte von johann friedrich löwen von einem in der hitze der begeisterung mit einem federmesser sich selbst geblendeten dichter nebst einem angehängten wohlmeinenden warnungsmittel ein geist den man schon viele jahre gedruckt bei käsekrämern fand der bei dem altar und der bahre im sold als tagelöhner stand verstieg sich weil er viel geschmieret zur epopee zum trauerspiel und sang wies dichtern itzt gebühret auch in hexametern sehr viel zwar trafen schreckliche gerichte des strengen tadels seinen witz es donnerte auf die gedichte in jede zeile schlug ein blitz vom tadel wund ging es dem sänger wie dem den die tarantel sticht der tanzet heftiger und länger der schrieb ein längeres gedicht durch wunder galgen schwert und räder hat er das mitleid oft erweckt denn in den fingern und der feder saß ihm begeistrung und affekt itzt da die heldin seiner bühne wie sichs gebührt affektenvoll mit einer eumenidenmiene die haare sich ausraufen soll itzt itzt wird sein affekt auch größer der kiel wird stumpf er nimmt voll wut sein ungeheures federmesser und die begeisterung will blut der stahl geschärft auf blankem leder fuhr aus der scheide wild heraus fuhr durch die nase von der feder von dort ins aug und stieß es aus laß dies exempel viele rühren mein dichterreiches vaterland o habt kein auge zu verlieren affekt im kopf nicht in der hand |
Die Aufklärung von Gottlieb Konrad Pfeffel, vor 1809 † „Auf seiner langen Wanderschaft / Durch halb Europa sah und hörte / Ein Löwe viel von Wissenschaft / Und Kunst. Als er nach Hause kehrte,“Gottlieb Konrad Pfeffel |
1809 | 1907 | die aufklärung von gottlieb konrad pfeffel auf seiner langen wanderschaft durch halb europa sah und hörte ein löwe viel von wissenschaft und kunst als er nach hause kehrte erhob das treue volk zum lohn für das was er in fremden landen als kriegsgefangener ausgestanden ihn auf den väterlichen thron er glaubte hier wird mancher lachen er müsse bei der nation sich nun durch wohltun ehre machen und faßte den entschluß sein reich dem großen kaiser peter gleich durch künste zu zivilisieren frohlockend lobte der senat den schönen plan auch bei den tieren will nur ein ochs deliberieren wenn der monarch gesprochen hat und damals saßen diese herren die gern dem licht das tor versperren noch nicht in dem geheimen rat der könig ließ durch sein mandat die kandidaten aller stufen gar huldreich zum konkurs berufen zuerst erschien ein großer bär der aufrecht vor den thron sich pflanzte und bald ins kreuz bald in die quer auf polnisch und kosakisch tanzte mit jauchzen ward der postulant zum doktor seiner kunst ernannt itzt nahte sich dem königsstuhle die nachtigall kaum spielte sie ihr lied voll geist und melodie so übergab man ihr die schule der tonkunst und der poesie das lehramt der philosophie ward einem affen aufgetragen sein allumfassendes genie glich einem bodenlosen magen er wußte das warum und wie von jedem dinge kurz zu sagen er diente vormals in paris bei einem enzyklopädisten der keine müh sich dauern ließ mit seiner kunst ihn auszurüsten nun war der unterricht im gang schon ward es aller orten helle schon wechselten konzert und bälle am hof das licht der wahrheit drang in jeden kopf bei allen tieren verschwanden vorurteil und wahn sogar die schöpse fingen an von zeit und raum zu disputieren indessen fand der großsultan das volk nicht um ein härchen besser der fuchs war stets ein hühnerfresser und von des wolfes mörderzahn ward nach wie vor das schaf zerrissen nur daß er oft in frechen schlüssen bewies er habe recht getan so ging es bald im ganzen lande und konnte nicht wohl anders gehn ha rief der schach zu meiner schande bekenn ich daß ich falsch gesehn den irrtum hab ich zwar vertrieben allein die laster sind geblieben anstatt in meiner monarchie gelehrte bürger ziehn zu wollen hätt ich vor allen dingen sie zu guten bürgern machen sollen |
Die Wahl von Gottlieb Konrad Pfeffel, 1778 „Graf Hunerich, ein deutscher Mann, / Hielt sich und seinem Weib, / Frau Hedwig, einen Schloßkaplan / Zum frommen Zeitvertreib.“ |
1778 | 514 | die wahl von gottlieb konrad pfeffel graf hunerich ein deutscher mann hielt sich und seinem weib frau hedwig einen schloßkaplan zum frommen zeitvertreib der mönch vergaß beym leckern tisch des grafen sein brevier aß auch am freytag selten fisch trank lieber wein als bier einst weckt ihn was um mitternacht da stand mit stillem grimm gehörnt in schwefelgelber tracht fürst lucifer vor ihm wähl sprach er unter dreyen eins ermorde hunerich entehr sein weib sauf dich voll weins sonst hol ich morgen dich er wählt die flasche treibt berauscht mit hedwig frevle lust und stößt dem mann der sie belauscht ein messer in die brust |
Pyreneus und die Musen von Daniel Schiebler, vor 1771 † „Die Musen waren ausspaziert, / Nachdem sie gnug gesessen; / Da kam ein Sturm mit Regenflut, /Sie hatten Schirm und Sonnenhut / Zum Ungelück vergessen.“Daniel Schiebler |
1771 | 1622 | pyreneus und die musen von daniel schiebler die musen waren ausspaziert nachdem sie gnug gesessen da kam ein sturm mit regenflut sie hatten schirm und sonnenhut zum ungelück vergessen fürst pyreneus wohnte hier recht in der fluren mitte er sah die not der heilgen neun und lud sie in sein schloß herein genehmigt ward die bitte er schützte hübsche mädchen gern vor sturm und ungewitter er war im lande weit und breit das schrecken und das herzeleid der männer und der mütter der hof war seinem könig gleich den lüsten ganz ergeben es galt für ihre schwelgerei frau witwe jungfer einerlei welch ein verruchtes leben neun artge mädchen auf einmal erwünscht war diese beute geordnet ward ein prächtger schmaus ein jeder griff ein mädchen aus und saß an ihrer seite nach aufgehobner tafel ließ das heitre licht sich sehen die schönen kinder neigten sich und nahmen abschied dankbarlich und wollten weiter gehen allein der wirt ersuchte sie die zeche zu bezahlen in welcher münze himmel ach für keusche mädchen welche schmach wer kann ihr schrecken malen man kam zu räubrisch kühner wut verriegelte die türen dort standen schön und weich und groß drei kanapees fürwahr nicht bloß das zimmer auszuzieren der könig wagts melpomenen in seinen arm zu fassen sie zog ein gräßliches gesicht doch dies bewog den wütrich nicht den schönen raub zu lassen und ach thalia ward das teil des trunknen hofpoeten er greift sie an voll rachbegier daß er so oft umsonst von ihr begeisterung gebeten die frevler waren schon bereit die bosheit zu vollenden doch plötzlich rief das musenchor der gottheit ganze macht hervor das unglück abzuwenden in bunte vögel seltner art verkehrten sich die schönen ein fenster das sie offen sahn gab ihrem fluge freie bahn fort gingen die kamönen die ihr dies märchen angehört es kann euch nutzen bringen wenn ihr den musen nicht gefallt versucht es ja nicht durch gewalt sie lassen sich nicht zwingen |
Edward von Johann Gottfried Herder, 1779 „Dein Schwert, wie ist’s von Blut so rot? / Edward, Edward! / Dein Schwert, wie ist’s von Blut so rot, / Und gehst so traurig her? – O!“Johann Gottfried Herder |
1779 | 1435 | edward von johann gottfried herder schottisch dein schwert wie ists von blut so rot edward edward dein schwert wie ists von blut so rot und gehst so traurig her o o ich hab geschlagen meinen geier tot mutter mutter o ich hab geschlagen meinen geier tot und keinen hab ich wie er o deins geiers blut ist nicht so rot edward edward deins geiers blut ist nicht so rot mein sohn bekenn mir frei o o ich hab geschlagen mein rotroß tot mutter mutter o ich hab geschlagen mein rotroß tot und s war so stolz und treu o dein roß war alt und hasts nicht not edward edward dein roß war alt und hasts nicht not dich drückt ein ander schmerz o o ich hab geschlagen meinen vater tot mutter mutter o ich hab geschlagen meinen vater tot und weh weh ist mein herz o und was für buße willt du nun tun edward edward und was für buße willt du nun tun mein sohn bekenn mir mehr o auf erden soll mein fuß nicht ruhn mutter mutter auf erden soll mein fuß nicht ruhn will gehn fern übers meer o und was soll werden dein hof und hall edward edward und was soll werden dein hof und hall so herrlich sonst und schön o ich laß es stehn bis es sink und fall mutter mutter ich laß es stehn bis es sink und fall mag nie es wieder sehn o und was soll werden dein weib und kind edward edward und was soll werden dein weib und kind wann du gehst über meer o die welt ist groß laß sie bettlen drin mutter mutter die welt ist groß laß sie bettlen drin ich seh sie nimmermehr o und was willt du lassen deiner mutter teur edward edward und was willt du lassen deiner mutter teur mein sohn das sage mir o fluch will ich euch lassen und höllisch feur mutter mutter fluch will ich euch lassen und höllisch feur denn ihr ihr rietets mir o |
Elvershöh von Johann Gottfried Herder, vor 1803 † „Ich legte mein Haupt auf Elvershöh, / Mein‘ Augen begannen zu sinken, / Da kamen gegangen zwo Jungfraun schön, / Die thäten mir lieblich winken.“ |
1803 | 1334 | elvershöh von johann gottfried herder ich legte mein haupt auf elvershöh mein augen begannen zu sinken da kamen gegangen zwo jungfraun schön die thäten mir lieblich winken die eine sie strich mein weisses kinn die zweite lispelt ins ohr mir steh auf du muntrer jüngling auf erheb erhebe den tanz hier steh auf du muntrer jüngling auf erheb erhebe den tanz hier meine jungfraun solln dir lieder singen die schönsten lieder zu hören die eine begann zu singen ein lied die schönste aller schönen der brausende strom er floß nicht mehr und horcht den süssen tönen der brausende strom er floß nicht mehr stand still und horchte fühlend die fischlein schwammen in heller fluth mit ihren feinden spielend die fischlein all in heller fluth sie scherzten auf und nieder die vöglein all im grünen wald sie hüpften zirpten lieder hör an du muntrer jüngling hör an willt du hier bei uns bleiben wir wollen dich lehren das runenbuch und zaubereien schreiben ich will dich lehren den wilden bär zu binden mit wort und zeichen der drache der ruht auf rothem gold soll schnell dir fliehn und weichen sie tanzten hin sie tanzten her zu buhlen ihr herz begehrt der muntre jüngling er saß da gestüzet auf sein schwert hör an du muntrer jüngling hör an willt du nicht mit uns sprechen so reissen wir dir mit messer und schwert das herz aus uns zu rächen und da mein gutes gutes glück der hahn fing an zu krähn ich wär sonst bliebn auf elvershöh bei elvers jungfraun schön drum rath ich jedem jüngling der zieht nach hofe fein er seze sich nicht auf elvers höh allda zu schlummern ein |
Erlkönigs Tochter von Johann Gottfried Herder, 1779 „Herr Oluf reitet spät und weit, / Zu bieten auf seine Hochzeitleut; / Da tanzen die Elfen auf grünem Land, / Erlkönigs Tochter reicht ihm die Hand.“ |
1779 | 1329 | erlkönigs tochter von johann gottfried herder dänisch herr oluf reitet spät und weit zu bieten auf seine hochzeitleut da tanzen die elfen auf grünem land erlkönigs tochter reicht ihm die hand willkommen herr oluf was eilst von hier tritt her in den reihen und tanz mit mir ich darf nicht tanzen nicht tanzen ich mag frühmorgen ist mein hochzeittag hör an herr oluf tritt tanzen mit mir zwei güldne sporne schenk ich dir ein hemd von seide so weiß und fein meine mutter bleichts mit mondenschein ich darf nicht tanzen nicht tanzen ich mag frühmorgen ist mein hochzeittag hör an herr oluf tritt tanzen mit mir einen haufen goldes schenk ich dir einen haufen goldes nähm ich wohl doch tanzen ich nicht darf noch soll und willt herr oluf nicht tanzen mit mir soll seuch und krankheit folgen dir sie tät einen schlag ihm auf sein herz noch nimmer fühlt er solchen schmerz sie hob ihn bleichend auf sein pferd reit heim nun zu deinm fräulein wert und als er kam vor hauses tür seine mutter zitternd stand dafür hör an mein sohn sag an mir gleich wie ist dein farbe blaß und bleich und sollt sie nicht sein blaß und bleich ich traf in erlenkönigs reich hör an mein sohn so lieb und traut was soll ich nun sagen deiner braut sagt ihr ich sei im wald zur stund zu proben da mein pferd und hund frühmorgen und als es tag kaum war da kam die braut mit der hochzeitschar sie schenkten met sie schenkten wein wo ist herr oluf der bräutigam mein herr oluf er ritt in wald zur stund er probt allda sein pferd und hund die braut hob auf den scharlach rot da lag herr oluf und er war tot |
Wilhelms Geist von Johann Gottfried Herder, vor 1803 † „Da kam ein Geist zu Gretchens Thür, / Mit manchem Weh und Ach! / Und drückt‘ am Schloß und kehrt‘ am Schloß, / Und ächzte traurig nach,“ |
1803 | 1613 | wilhelms geist von johann gottfried herder da kam ein geist zu gretchens thür mit manchem weh und ach und drückt am schloß und kehrt am schloß und ächzte traurig nach ist dies mein vater philipp oder ists mein bruder johann oder ists mein treulieb wilhelm aus schottland kommen an ist nicht dein vater philipp ist nicht dein bruder johann es ist dein treulieb wilhelm aus schottland kommen an o gretchen süß o gretchen lieb ich bitt dich sprich zu mir gib gretchen mir mein wort und treu das ich gegeben dir dein wort und treu geh ich dir nicht gebs nimmer wieder dir bis du in meine kammer kömmst mit liebeskuß zu mir wenn ich soll kommen in deine kammer ich bin kein erdenmann und küssen deinen rosenmund so küß ich tod dir an o gretchen süß o gretchen lieb ich bitt dich sprich zu mir gib gretchen mir mein wort und treu das ich gegeben dir dein wort und treu geb ich dir nicht gebs nimmer wieder dir bis du mich führst zum kirchhof hin mit bräutgamsring dafür und auf dem kirchhof lieg ich schon fernweg hinüber dem meer es ist mein geist nur gretchen der hier kommt zu dir her ausstreckt sie ihre lilienhand streckt eilig sie ihm zu da nimm dein treuwort wilhelm und geh und geh zur ruh nun hat sie geworfen die kleider an ein stück hinunter das knie und all die lange winternacht ging nach dem geiste sie ist raum noch wilhelm dir zu haupt oder raum zu füßen dir oder raum noch wilhelm dir zur seit daß ein ich schlüpf zu dir kein raum ist gretchen mir zu haupt zu füßen und überall kein raum zur seit mir gretchen mein sarg ist eng und schmal da kräht der hahn da schlug die uhr da brach der morgen für ist zeit ist zeit nun gretchen zu scheiden weg von dir nicht mehr der geist zu gretchen sprach und ächzend tief darein schwand er in nacht und nebel hin und ließ sie stehn allein o bleib mein ein treulieber bleib dein gretchen ruft dir nach die wange blaß ersank ihr leib und sanft ihr auge brach |
Das Lied vom braven Manne von Gottfried August Bürger, 1776 „Hoch klingt das Lied vom braven Mann, / Wie Orgelton und Glockenklang. / Wer hohes Muts sich rühmen kann, / Den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang.“Gottfried August Bürger |
1776 | 3699 | das lied vom braven manne von gottfried august bürger hoch klingt das lied vom braven mann wie orgelton und glockenklang wer hohes muts sich rühmen kann den lohnt nicht gold den lohnt gesang gottlob daß ich singen und preisen kann zu singen und preisen den braven mann der tauwind kam vom mittagsmeer und schnob durch welschland trüb und feucht die wolken flogen vor ihm her wie wann der wolf die herde scheucht er fegte die felder zerbrach den forst auf seen und strömen das grundeis borst am hochgebirge schmolz der schnee der sturz von tausend wassern scholl das wiesenthal begrub ein see des landes heerstrom wuchs und schwoll hoch rollten die wogen entlang ihr gleis und rollten gewaltige felsen eis auf pfeilern und auf bogen schwer aus quaderstein von unten auf lag eine brücke drüber her und mitten stand ein häuschen drauf hier wohnte der zöllner mit weib und kind »o zöllner o zöllner entfleuch geschwind« es dröhnt und dröhnte dumpf heran laut heulten sturm und wog ums haus der zöllner sprang zum dach hinan und blickt in den tumult hinaus »barmherziger himmel erbarme dich verloren verloren wer rettet mich« die schollen rollten schuß auf schuß von beiden ufern hier und dort von beiden ufern riß der fluß die pfeiler sammt den bogen fort der bebende zöllner mit weib und kind er heulte noch lauter als strom und wind die schollen rollen stoß auf stoß an beiden enden hier und dort zerborsten und zertrümmert schoß ein pfeiler nach dem andern fort bald nahte der mitte der umsturz sich »barmherziger himmel erbarme dich« hoch auf dem fernen ufer stand ein schwarm von gaffern groß und klein und jeder schrie und rang die hand doch mochte niemand retter sein der bebende zöllner mit weib und kind durchheulte nach rettung den strom und wind wann klingst du lied vom braven mann wie orgelton und glockenklang wohlan so nenn ihn nenn ihn dann wann nennst du ihn mein schönster sang bald nahet der mitte der umsturz sich o braver mann braver mann zeige dich rasch galoppiert ein graf hervor auf hohem roß ein edler graf was hielt des grafen hand empor ein beutel war es voll und straff »zweihundert pistolen sind zugesagt dem welcher die rettung der armen wagt« wer ist der brave ists der graf sag an mein braver sang sag an der graf beim höchsten gott war brav doch weiß ich einen bravern mann o braver mann braver mann zeige dich schon naht das verderben sich fürchterlich und immer höher schwoll die flut und immer lauter schnob der wind und immer tiefer sank der mut o retter retter komm geschwind stets pfeiler bei pfeiler zerborst und brach laut krachten und stürzten die bogen nach »hallo hallo frisch aufgewagt« hoch hielt der graf den preis empor ein jeder hörts doch jeder zagt aus tausenden tritt keiner vor vergebens durchheulte mit weib und kind der zöllner nach rettung den strom und wind sieh schlecht und recht ein bauersmann am wanderstabe schritt daher mit grobem kittel angethan an wuchs und antlitz hoch und hehr er hörte den grafen vernahm sein wort und schaute das nahe verderben dort und kühn in gottes namen sprang er in den nächsten fischerkahn trotz wirbel sturm und wogendrang kam der erretter glücklich an doch wehe der nachen war allzuklein der retter von allen zugleich zu sein und dreimal zwang er seinen kahn trotz wirbel sturm und wogendrang und dreimal kam er glücklich an bis ihm die rettung ganz gelang kaum kamen die letzten in sichern port so rollte das letzte getrümmer fort wer ist wer ist der brave mann sag an sag an mein braver sang der bauer wagt ein leben dran doch that ers wohl um goldesklang denn spendete nimmer der graf sein gut so wagte der bauer vielleicht kein blut »hier rief der graf mein wackrer freund hier ist dein preis komm her nimm hin« sag an war das nicht brav gemeint bei gott der graf trug hohen sinn doch höher und himmlischer wahrlich schlug das herz das der bauer im kittel trug »mein leben ist für gold nicht feil arm bin ich zwar doch ess ich satt dem zöllner werd eur gold zu teil der hab und gut verloren hat« so rief er mit herzlichem biederton und wandte den rücken und ging davon hoch klingst du lied vom braven mann wie orgelton und glockenklang wer solches muts sich rühmen kann den lohnt kein gold den lohnt gesang gottlob daß ich singen und preisen kann unsterblich zu preisen den braven mann |
Der Hund aus der Pfennigschenke von Gottfried August Bürger, vor 1794 † „Es ging, was ernstes zu bestellen, / Ein Wandrer seinen stillen Gang, / Als auf ihn los ein Hund, mit Bellen, / Und Rasseln vieler Halsbandschellen,“ |
1794 | 1138 | der hund aus der pfennigschenke von gottfried august bürger es ging was ernstes zu bestellen ein wandrer seinen stillen gang als auf ihn los ein hund mit bellen und rasseln vieler halsbandschellen aus einer pfennigschenke sprang er ohne stok und stein zu heben noch sonst sich mit ihm abzugeben hub ruhig weiter fus und stab und klifklaf lies vom lärmen ab des wegs kam auch mit rohr und degen flink wolgemut kek und verwegen ein herrchen krauskopf herspaziert klifklaf sezt an und hochtuschirt hält von dem hunde sich das herrchen und herrchen krauskopf ist ein närrchen fängt mit dem klaffer händel an greift fix nach steinen in die runde und schleudert was es schleudern kan und flucht und prügelt nach dem hunde der köter knirscht in jeden stein zerrt bald an meines herrchens stocke bald an dem degen bald am rocke beist endlich gar ihm in das bein und belt so wütig daß mit haufen die nachbarn alle gros und klein zu fenstern und zu thüren laufen die buben klatschen und juchhein und hezen gar noch oben drein nun fing sichs herrchen an zu schämen umsonst so sehr sich abzumühn es muste sachtchen sich bequemen um dem halloh sich zu entziehn wol fürbas seinen weg zu nehmen und einzustecken hohn und schmach denn alle strassenbuben gaften und alle klafkonsorten klaften noch weit zum dorf hinaus ihm nach dies fabelchen führt gold im munde weicht aus dem rezensentenhunde |
Der Kaiser und der Abt von Gottfried August Bürger, vor 1794 † „Ich will euch erzählen ein Märchen, gar schnurrig: / Es war mal ein Kaiser; der Kaiser war kurrig; / Auch war mal ein Abt, ein gar stattlicher Herr; / Nur schade! sein Schäfer war klüger, als er.“ |
1794 | 6061 | der kaiser und der abt von gottfried august bürger ich will euch erzählen ein märchen gar schnurrig es war mal ein kaiser der kaiser war kurrig auch war mal ein abt ein gar stattlicher herr nur schade sein schäfer war klüger als er dem kaiser wards sauer in hitz und in kälte oft schlief er bepanzert im kriegesgezelte oft hatt er kaum wasser zu schwarzbrot und wurst und öfter noch litt er gar hunger und durst das pfäfflein das wußte sich besser zu hegen und weidlich am tisch und im bette zu pflegen wie vollmond glänzte sein feistes gesicht drei männer umspannten den schmerbauch ihm nicht drob suchte der kaiser am pfäfflein oft hader einst ritt er mit reisigem kriegesgeschwader in brennender hitze des sommers vorbei das pfäfflein spazierte vor seiner abtei ha dachte der kaiser zur glücklichen stunde und grüßte das pfäfflein mit höhnischem munde knecht gottes wie gehts dir mir deucht wohl ganz recht das beten und fasten bekomme nicht schlecht doch deucht mir daneben euch plage viel weile ihr dankt mirs wohl wenn ich euch arbeit erteile man rühmet ihr wäret der pfiffigste mann ihr hörtet das gräschen fast wachsen sagt man so geb ich denn euren zwei tüchtigen backen zur kurzweil drei artige nüsse zu knacken drei monden von nun an bestimm ich zur zeit dann will ich auf diese drei fragen bescheid zum ersten wann hoch ich im fürstlichen rate zu throne mich zeige im kaiserornate dann sollt ihr mir sagen ein treuer wardein wie viel ich wohl wert bis zum heller mag sein zum zweiten sollt ihr mir berechnen und sagen wie bald ich zu rosse die welt mag umjagen um keine minute zu wenig und viel ich weiß der bescheid darauf ist euch nur spiel zum dritten noch sollst du o preis der prälaten aufs härchen mir meine gedanken erraten die will ich dann treulich bekennen allein es soll auch kein titelchen wahres dran sein und könnt ihr mir diese drei fragen nicht lösen so seid ihr die längste zeit abt hier gewesen so laß ich euch führen zu esel durchs land verkehrt statt des zaumes den schwanz in der hand drauf trabte der kaiser mit lachen von hinnen das pfäfflein zerriß und zerspliß sich mit sinnen kein armer verbrecher fühlt mehr schwulität der vor hochnotpeinlichem halsgericht steht er schickte nach ein zwei drei vier unverstäten er fragte bei ein zwei drei vier fakultäten er zahlte gebühren und sportuln vollauf doch löste kein doktor die fragen ihm auf schnell wuchsen bei herzlichem zagen und pochen die stunden zu tagen die tage zu wochen die wochen zu monden schon kam der termin ihm wards vor den augen bald gelb und bald grün nun sucht er ein bleicher hohlwangiger werther in wäldern und feldern die einsamsten örter da traf ihn auf selten betretener bahn hans bendix sein schäfer am felsenhang an herr abt sprach hans bendix was mögt ihr euch grämen ihr schwindet ja wahrlich dahin wie ein schemen maria und joseph wie hotzelt ihr ein mein sixchen es muß euch was angetan sein ach guter hans bendix so muß sichs wohl schicken der kaiser will gern mir am zeuge was flicken und hat mir drei nüß auf die zähne gepackt die schwerlich beelzebub selber wohl knackt zum ersten wann hoch er im fürstlichen rate zu throne sich zeiget im kaiserornate dann soll ich ihm sagen ein treuer wardein wie viel er wohl wert bis zum heller mag sein zum zweiten soll ich ihm berechnen und sagen wie bald er zu rosse die welt mag umjagen um keine minute zu wenig und viel er meint der bescheid darauf wäre nur spiel zum dritten ich ärmster von allen prälaten soll ich ihm gar seine gedanken erraten die will er mir treulich bekennen allein es soll auch kein titelchen wahres dran sein und kann ich ihm diese drei fragen nicht lösen so bin ich die längste zeit abt hier gewesen so läßt er mich führen zu esel durchs land verkehrt statt des zaumes den schwanz in der hand nichts weiter erwidert hans bendix mit lachen herr gebt euch zufrieden das will ich schon machen nur borgt mir eur käppchen eur kreuzchen und kleid so will ich schon geben den rechten bescheid versteh ich gleich nichts von lateinischen brocken so weiß ich den hund doch vom ofen zu locken was ihr euch gelehrte für geld nicht erwerbt das hab ich von meiner frau mutter geerbt da sprang wie ein böcklein der abt vor behagen mit käppchen und kreuzchen mit mantel und kragen ward stattlich hans bendix zum abte geschmückt und hurtig zum kaiser nach hofe geschickt hier thronte der kaiser im fürstlichen rate hoch prangt er mit zepter und kron im ornate nun sagt mir herr abt als ein treuer wardein wie viel ich itzt wert bis zum heller mag sein für dreißig reichsgulden ward christus verschachert drum gäb ich so sehr ihr auch pochet und prachert für euch keinen deut mehr als zwanzig und neun denn einen müßt ihr doch wohl minder wert sein hum sagte der kaiser der grund läßt sich hören und mag den durchlauchtigen stolz wohl bekehren nie hätt ich bei meiner hochfürstlichen ehr geglaubet daß so spottwohlfeil ich wär nun aber sollst du mir berechnen und sagen wie bald ich zu rosse die welt mag umjagen um keine minute zu wenig und viel ist dir der bescheid darauf auch nur ein spiel herr wenn mit der sonn ihr früh sattelt und reitet und stets sie in einerlei tempo begleitet so setz ich mein kreuz und mein käppchen daran in zweimal zwölf stunden ist alles getan ha lachte der kaiser vortrefflicher haber ihr futtert die pferde mit wenn und mit aber der mann der das wenn und das aber erdacht hat sicher aus häckerling gold schon gemacht nun aber zum dritten nun nimm dich zusammen sonst muß ich dich dennoch zum esel verdammen was denk ich das falsch ist das bringe heraus nur bleib mir mit wenn und mit aber zu haus ihr denket ich sei der herr abt von st gallen ganz recht und das kann von der wahrheit nicht fallen sein diener herr kaiser euch trüget eur sinn denn wißt daß ich bendix sein schäfer nur bin was henker du bist nicht der abt von st gallen rief hurtig als wär er vom himmel gefallen der kaiser mit frohem erstaunen darein wohlan denn so sollst du von nun an es sein ich will dich belehnen mit ring und mit stabe dein vorfahr besteige den esel und trabe und lerne fortan erst quid iuris verstehn denn wenn man will ernten so muß man auch sän mit gunsten herr kaiser das laßt nur hübsch bleiben ich kann ja nicht lesen noch rechnen und schreiben auch weiß ich kein sterbendes wörtchen latein was hänschen versäumt holt hans nicht mehr ein ach guter hans bendix das ist ja recht schade erbitte demnach dir ein andere gnade sehr hat mich ergötzet dein lustiger schwank drum soll dich auch wieder ergötzen mein dank herr kaiser groß hab ich so eben nichts nötig doch seid ihr im ernst mir zu gnaden erbötig so will ich mir bitten zum ehrlichen lohn für meinen hochwürdigen herren pardon ha bravo du trägst wie ich merke geselle das herz wie den kopf auf der richtigsten stelle drum sei der pardon ihm in gnaden gewährt und obenein dir ein panisbrief beschert wir lassen dem abt von st gallen entbieten hans bendix soll ihm nicht die schafe mehr hüten der abt soll sein pflegen nach unserm gebot umsonst bis an seinen sanftseligen tod |
Der wilde Jäger von Gottfried August Bürger, 1786 (?) „Der Wild- und Rheingraf stieß ins Horn: / „Hallo, Hallo zu Fuß und Roß!“ / Sein Hengst erhob sich wiehernd vorn; / Laut rasselnd stürzt‘ ihm nach der Troß; / Laut klifft‘ und klafft‘ es, frei vom Koppel, / Durch Korn und Dorn, durch Heid‘ und Stoppel.“ |
1786 | 6337 | der wilde jäger von gottfried august bürger der wild und rheingraf stieß ins horn hallo hallo zu fuß und roß sein hengst erhob sich wiehernd vorn laut rasselnd stürzt ihm nach der troß laut klifft und klafft es frei vom koppel durch korn und dorn durch heid und stoppel vom strahl der sonntagsfrühe war des hohen domes kuppel blank zum hochamt rufte dumpf und klar der glocken ernster feierklang fern tönten lieblich die gesänge der andachtsvollen christenmenge rischrasch quer übern kreuzweg gings mit horrido und hussasa sieh da sieh da kam rechts und links ein reiter hier ein reiter da des rechten roß war silbersblinken ein feuerfarbner trug den linken wer waren reiter links und rechts ich ahnd es wohl doch weiß ichs nicht lichthehr erschien der reiter rechts mit mildem frühlingsangesicht graß dunkelgelb der linke ritter schoß blitz vom aug wie ungewitter willkommen hier zu rechter frist willkommen zu der edlen jagd auf erden und im himmel ist kein spiel das lieblicher behagt er riefs schlug laut sich an die hüfte und schwang den hut hoch in die lüfte schlecht stimmet deines hornes klang sprach der zur rechten sanftes muts zu feierglock und chorgesang kehr um erjagst dir heut nichts guts laß dich den guten engel warnen und nicht vom bösen dich umgarnen jagt zu jagt zu mein edler herr fiel rasch der linke ritter drein was glockenklang was chorgeplärr die jagdlust mag euch baß erfreun laßt mich was fürstlich ist euch lehren und euch von jenem nicht betören ha wohlgesprochen linker mann du bist ein held nach meinem sinn wer nicht des waidwerks pflegen kann der scher ans paternoster hin mags frommer narr dich baß verdrießen so will ich meine lust doch büßen und hurre hurre vorwärts gings feld ein und aus berg ab und an stets ritten reiter rechts und links zu beiden seiten neben an auf sprang ein weißer hirsch von ferne mit sechzehnzackigem gehörne und lauter stieß der graf ins horn und rascher flogs zu fuß und roß und sieh bald hinten und bald vorn stürzt einer tot dahin vom troß laß stürzen laß zur hölle stürzen das darf nicht fürstenlust verwürzen das wild duckt sich ins ährenfeld und hofft da sichern aufenthalt sieh da ein armer landmann stellt sich dar in kläglicher gestalt erbarmen lieber herr erbarmen verschont den sauern schweiß des armen der rechte ritter sprengt heran und warnt den grafen sanft und gut doch baß hetzt ihn der linke mann zu schadenfrohem frevelmut der graf verschmäht des rechten warnen und läßt vom linken sich umgarnen hinweg du hund schnaubt fürchterlich der graf den armen pflüger an sonst hetz ich selbst beim teufel dich hallo gesellen drauf und dran zum zeichen daß ich wahr geschworen knallt ihm die peitschen um die ohren gesagt getan der wildgraf schwang sich übern hagen rasch voran und hinterher bei knall und klang der troß mit hund und roß und mann und hund und mann und roß zerstampfte die halmen daß der acker dampfte vom nahen lärm emporgescheucht feld ein und aus berg ab und an gesprengt verfolgt doch unerreicht ereilt das wild des angers plan und mischt sich da verschont zu werden schlau mitten zwischen zahme herden doch hin und her durch flur und wald und her und hin durch wald und flur verfolgen und erwittern bald die raschen hunde seine spur der hirt voll angst für seine herde wirft vor dem grafen sich zur erde erbarmen herr erbarmen laßt mein armes stilles vieh in ruh bedenket lieber herr hier grast so mancher armen witwe kuh ihr eins und alles spart der armen erbarmen lieber herr erbarmen der rechte ritter sprengt heran und warnt den grafen sanft und gut doch baß hetzt ihn der linke mann zu schadenfrohem frevelmut der graf verschmäht des rechten warnen und läßt vom linken sich umgarnen verwegner hund der du mir wehrst ha daß du deiner besten kuh selbst um und angewachsen wärst und jede vettel noch dazu so sollt es baß mein herz ergötzen euch stracks ins himmelreich zu hetzen hallo gesellen drauf und dran jo doho hussasa und jeder hund fiel wütend an was er zunächst vor sich ersah bluttriefend sank der hirt zur erde bluttriefend stück für stück die herde dem mordgewühl entrafft sich kaum das wild mit immer schwächerm lauf mit blut besprengt bedeckt mit schaum nimmt jetzt des waldes nacht es auf tief birgt sichs in des waldes mitte in eines kläusners gotteshütte risch ohne rast mit peitschenknall mit horrido und hussasa und kliff und klaff und hörnerschall verfolgts der wilde schwarm auch da entgegen tritt mit sanfter bitte der fromme kläusner vor die hütte laß ab laß ab von dieser spur entweihe gottes freistatt nicht zum himmel ächzt die kreatur und heischt von gott dein strafgericht zum letzten male laß dich warnen sonst wird verderben dich umgarnen der rechte sprengt besorgt heran und warnt den grafen sanft und gut doch baß hetzt ihn der linke mann zu schadenfrohem frevelmut und wehe trotz des rechten warnen läßt er vom linken sich umgarnen verderben hin verderben her das ruft er macht mir wenig graus und wenns im dritten himmel wär so acht ichs keine fledermaus mags gott und dich du narr verdrießen so will ich meine lust doch büßen er schwingt die peitsche stößt ins horn hallo gesellen drauf und dran hui schwinden mann und hütte vorn und hinten schwinden roß und mann und knall und schall und jagdgebrülle verschlingt auf einmal totenstille erschrocken blickt der graf umher er stößt ins horn es tönet nicht er ruft und hört sich selbst nicht mehr der schwung der peitsche sauset nicht er spornt sein roß in beide seiten und kann nicht vor nicht rückwärts reiten drauf wird es düster um ihn her und immer düstrer wie ein grab dumpf rauscht es wie ein fernes meer hoch über seinem haupt herab ruft furchtbar mit gewittergrimme dies urtel eine donnerstimme du wütrich teuflischer natur frech gegen gott und mensch und tier das ach und weh der kreatur und deine missetat an ihr hat laut dich vor gericht gefodert wo hoch der rache fackel lodert fleuch unhold fleuch und werde jetzt von nun an bis in ewigkeit von höll und teufel selbst gehetzt zum schreck der fürsten jeder zeit die um verruchter lust zu fronen nicht schöpfer noch geschöpf verschonen ein schwefelgelber wetterschein umzieht hierauf des waldes laub angst rieselt ihm durch mark und bein ihm wird so schwül so dumpf und taub entgegen weht ihm kaltes grausen dem nacken folgt gewittersausen das grausen weht das wetter saust und aus der erd empor huhu fährt eine schwarze riesenfaust sie spannt sich auf sie krallt sich zu hui will sie ihn beim wirbel packen hui steht sein angesicht im nacken es flimmt und flammt rund um ihn her mit grüner blauer roter glut es wallt um ihn ein feuermeer darinnen wimmelt höllenbrut jach fahren tausend höllenhunde laut angehetzt empor vom schlunde er rafft sich auf durch wald und feld und flieht lautheulend weh und ach doch durch die ganze weite welt rauscht bellend ihm die hölle nach bei tag tief durch der erde klüfte um mitternacht hoch durch die lüfte im nacken bleibt sein antlitz stehn so rasch die flucht ihn vorwärts reißt er muß die ungeheuer sehn laut angehetzt vom bösen geist muß sehn das knirschen und das jappen der rachen welche nach ihm schnappen das ist des wilden heeres jagd die bis zum jüngsten tage währt und oft dem wüstling noch bei nacht zu schreck und graus vorüberfährt das könnte müßt er sonst nicht schweigen wohl manches jägers mund bezeugen |
Des Pfarrers Tochter von Taubenhain von Gottfried August Bürger, 1781 „Im Garten des Pfarrers von Taubenhain / Geht’s irre bei Nacht in der Laube. / Da flüstert und stöhnt’s so ängstiglich; / Da rasselt, da flattert und sträubst es sich, / Wie gegen den Falken die Taube.“ |
1781 | 6314 | des pfarrers tochter von taubenhain von gottfried august bürger im garten des pfarrers von taubenhain gehts irre bei nacht in der laube da flüstert und stöhnts so ängstiglich da rasselt da flattert und sträubst es sich wie gegen den falken die taube es schleicht ein flämmchen am unkenteich das flimmert und flammert so traurig da ist ein plätzchen da wächst kein gras das wird vom tau und vom regen nicht naß da wehen die lüftchen so schaurig des pfarrers tochter von taubenhain war schuldlos wie ein täubchen das mädel war jung war lieblich und fein viel ritten der freier nach taubenhain und wünschten rosetten zum weibchen von drüben herüber von drüben herab dort jenseits des baches vom hügel blinkt stattlich ein schloß auf das dörfchen im tal die mauern wie silber die dächer wie stahl die fenster wie brennende spiegel da trieb es der junker von falkenstein in hüll und in füll und in freude dem jüngferchen lacht in die augen das schloß ihm lacht in das herzchen der junker zu roß im funkelnden jägergeschmeide er schrieb ihr ein briefchen auf seidenpapier umrändelt mit goldenen kanten er schickt ihr sein bildnis so lachend und hold versteckt in ein herzchen von perlen und gold dabei war ein ring mit demanten laß du sie nur reiten und fahren und gehn laß du sie sich werben zu schanden rosettchen dir ist wohl was bessers beschert ich achte des stattlichsten ritters dich wert beliehen mit leuten und landen ich hab ein gut wörtchen zu kosen mit dir das muß ich dir heimlich vertrauen drauf hätt ich gern heimlich erwünschten bescheid lieb mädel um mitternacht bin ich nicht weit sei wacker und laß dir nicht grauen heut mitternacht horch auf den wachtelgesang im weizenfeld hinter dem garten ein nachtigallmännchen wird locken die braut mit lieblichem tief aufflötenden laut sei wacker und laß mich nicht warten er kam in mantel und kappe vermummt er kam um die mitternachtstunde er schlich umgürtet mit waffen und wehr so leise so lose wie nebel einher und stillte mit brocken die hunde er schlug der wachtel hellgellenden schlag im weizenfeld hinter dem garten dann lockte das nachtigallmännchen die braut mit lieblichem tief aufflötenden laut und röschen ach ließ ihn nicht warten er wußte sein wörtchen so traulich und süß in ohr und herz ihr zu girren ach liebender glauben ist willig und zahm er sparte kein locken die schüchterne scham zu seinem gelüste zu kirren er schwur sich bei allem was heilig und hehr auf ewig zu ihrem getreuen und als sie sich sträubte und als er sie zog vermaß er sich teuer vermaß er sich hoch lieb mädel es soll dich nicht reuen er zog sie zur laube so düster und still von blühenden bohnen umdüftet da pocht ihr das herzchen da schwoll ihr die brust da wurde vom glühenden hauche der lust die unschuld zu tode vergiftet bald als auf duftendem bohnenbeet die rötlichen blumen verblühten da wurde dem mädel so übel und weh da bleichten die rosichten wangen zu schnee die funkelnden augen verglühten und als die schote nun allgemach sich dehnt in die breit und länge als erdbeer und kirsche sich rötet und schwoll da wurde dem mädel das brüstchen zu voll das seidene röckchen zu enge und als die sichel zu felde ging hubs an sich zu regen und strecken und als der herbstwind über die flur und über die stoppel des habers fuhr da konnte sies nicht mehr verstecken der vater ein harter und zorniger mann schalt laut die arme rosette hast du dir erbuhlt für die wiege das kind so hebe dich mir aus den augen geschwind und schaff auch den mann dir ins bette er schlang ihr fliegendes haar um die faust er hieb sie mit knotigen riemen er hieb das schallte so schrecklich und laut er hieb ihr die samtene lilienhaut voll schwellender blutiger striemen er stieß sie hinaus in der finstersten nacht bei eisigem regen und winden sie klimmt am dornigen felsen empor und tappte sich fort bis an falkensteins tor dem liebsten ihr leid zu verkünden o weh mir daß du mich zur mutter gemacht bevor du mich machtest zum weibe sieh her sieh her mit jammer und hohn trag ich dafür nun den schmerzlichen lohn an meinem zerschlagenen leibe sie warf sich ihm bitterlich schluchzend ans herz sie bat sie beschwur ihn mit zähren o mach es nun gut was du übel gemacht bist du es der so mich in schande gebracht so bring auch mich wieder zu ehren arm närrchen versetzt er das tut mir ja leid wir wollens am alten schon rächen erst gib dich zufrieden und harre bei mir ich will dich schon hegen und pflegen allhier dann wollen wirs ferner besprechen ach hier ist kein säumen kein pflegen noch ruhn das bringt mich nicht wieder zu ehren hast du einst treulich geschworen der braut so laß auch an gottes altare nun laut vor priester und zeugen es hören ho närrchen so hab ich es nimmer gemeint wie kann ich zum weibe dich nehmen ich bin ja entsprossen aus adligem blut nur gleiches zu gleichem gesellet sich gut sonst müßte mein stamm sich ja schämen lieb närrchen ich halte dirs wie ichs gemeint mein liebchen sollst immerdar bleiben und wenn dir mein wackerer jäger gefällt so laß ichs mir kosten ein gutes stück geld dann können wirs ferner noch treiben daß gott dich du schändlicher bübischer mann daß gott dich zur hölle verdamme entehr ich als gattin dein adliges blut warum denn o bösewicht war ich einst gut für deine unehrliche flamme so geh dann und nimm dir ein adliges weib das blättchen soll schrecklich sich wenden gott siehet und höret und richtet uns recht so müsse dereinst dein niedrigster knecht das adlige bette dir schänden dann fühle verräter dann fühle wies tut an ehr und an glück zu verzweifeln dann stoß an die mauer die schändliche stirn und jag eine kugel dir fluchend durchs hirn dann teufel dann fahre zu teufeln sie riß sich zusammen sie raffte sich auf sie rannte verzweifelnd von hinnen mit blutigen füßen durch distel und dorn durch moor und geröhricht vor jammer und zorn zerrüttet an allen fünf sinnen wohin nun wohin o barmherziger gott wohin nun auf erden mich wenden sie rannte verzweifelnd an ehr und an glück und kam in den garten der heimat zurück ihr klägliches leben zu enden sie taumelt an händen und füßen verklomt sie kroch zur unseligen laube und jach durchzuckte sie weh auf weh auf ärmlichem lager bestreuet mit schnee von reisicht und rasselndem laube es wand ihr ein knäbchen sich weinend vom schoß bei wildem unsäglichen schmerze und als das knäbchen geboren war da riß sie die silberne nadel vom haar und stieß sie dem knaben ins herze erst als sie vollendet die blutige tat mußt ach ihr wahnsinn sich enden kalt wehten entsetzen und grausen sie an o jesu mein heiland was hab ich getan sie wand sich das bast von den händen sie kratzte mit blutigen nägeln ein grab am schilfigen unkengestade da ruh du mein armes da ruh nun in gott geborgen auf immer vor elend und spott mich hacken die raben vom rade das ist das flämmchen am unkenteich das flimmert und flammert so traurig das ist das plätzchen da wächst kein gras das wird vom tau und vom regen nicht naß da wehen die lüftchen so schaurig hoch hinter dem garten vom rabenstein hoch über dem steine vom rade blickt hohl und düster ein schädel herab das ist ihr schädel der blicket aufs grab drei spannen lang an dem gestade allnächtlich herunter vom rabenstein allnächtlich herunter vom rade huscht bleich und molkicht ein schattengesicht will löschen das flämmchen und kann es doch nicht und wimmert am unkengestade |
Die Entführung von Gottfried August Bürger, 1778 „»Knapp‘, sattle mir mein Dänenroß, / Daß ich mir Ruh‘ erreite! / Es wird mir hier zu eng‘ im Schloß; / Ich will und muß ins Weite!« –“ |
1778 | 7955 | die entführung von gottfried august bürger ritter karl von eichenhorst und fräulein gertrude von hochburg knapp sattle mir mein dänenroß daß ich mir ruh erreite es wird mir hier zu eng im schloß ich will und muß ins weite so rief der ritter karl in hast voll angst und ahnung sonder rast es schien ihn fast zu plagen als hätt er wen erschlagen er sprengte daß es funken stob hinunter von dem hofe und als er kaum den blick erhob sieh da gertrudens zofe zusammenschrak der rittersmann es packt ihn wie mit krallen an und schüttelt ihn wie fieber hinüber und herüber gott grüß euch edler junger herr gott geb euch heil und frieden mein armes fräulein hat mich her zum letzten mal beschieden verloren ist euch trudchens hand dem junker plump von pommerland hat sie vor aller ohren ihr vater zugeschworen mord flucht er laut bei schwert und spieß wo karl dir noch gelüstet so sollst du tief ins burgverlies wo molch und unke nistet nicht rasten will ich tag und nacht bis daß ich nieder ihn gemacht das herz ihm ausgerissen und das dir nachgeschmissen jetzt in der kammer zagt die braut und zuckt vor herzenswehen und ächzet tief und weinet laut und wünschet zu vergehen ach gott der herr muß ihrer pein bald muß und wird er gnädig sein hört ihr zur trauer läuten so wißt ihrs auszudeuten geh meld ihm daß ich sterben muß rief sie mit tausend zähren geh bring ihm ach den letzten gruß den er von mir wird hören geh unter gottes schutz und bring von mir ihm diesen goldnen ring und dieses wehrgehenke wobei er mein gedenke zu ohren braust ihm wie ein meer die schreckenspost der dirne die berge wankten um ihn her es flirrt ihm vor der stirne doch jach wie windeswirbel fährt und rührig laub und staub empört ward seiner lebensgeister verzweiflungsmuth nun meister gottslohn gottslohn du treue magd kann ichs dir nicht bezahlen gottslohn daß du mirs angesagt zu hunderttausend malen bis wohlgemuth und tummle dich flugs tummle dich zurück und sprich wärs auch aus tausend ketten so wollt ich sie erretten bis wohlgemuth und tummle dich flugs tummle dich von hinnen ha riesen gegen hieb und stich wollt ich sie abgewinnen sprich mitternachts bei sternenschein wollt ich vor ihrem fenster sein mir geh es wie es gehe wohl oder ewig wehe risch auf und fort wie sporen trieb des ritters wort die dirne tief holt er wieder luft und rieb sichs klar vor aug und stirne dann schwenkt er hin und her sein roß daß ihm der schweiß vom buge floß bis er sich rath ersonnen und den entschluß gewonnen drauf ließ er heim sein silberhorn von dach und zinnen schallen herangesprengt durch korn und dorn kam stracks ein heer vasallen draus zog er mann bei mann hervor und raunt ihm heimlich ding ins ohr wolauf wolan seid fertig und meines horns gewärtig als nun die nacht gebirg und thal vermummt in rabenschatten und hochburgs lampen überall schon ausgeflimmert hatten und alles tief entschlafen war doch nur das fräulein immerdar voll fieberangst noch wachte und seinen ritter dachte da horch ein süßer liebeston kam leis emporgeflogen ho trudchen ho da bin ich schon risch auf dich angezogen ich ich dein ritter rufe dir geschwind geschwind herab zu mir schon wartet dein die leiter mein klepper bringt dich weiter ach nein du herzenskarl ach nein still daß ich nichts mehr höre entränn ich ach mit dir allein dann wehe meiner ehre nur noch ein letzter liebeskuß sei liebster dein und mein genuß eh ich im todtenkleide auf ewig von dir scheide ha kind auf meine rittertreu kannst du die erde bauen du kannst beim himmel froh und frei mir ehr und leib vertrauen risch gehts nach meiner mutter fort das sacrament vereint uns dort komm komm du bist geborgen laß gott und mich nur sorgen mein vater ach ein reichsbaron so stolz von ehrenstamme laß ab laß ab wie beb ich schon vor seines zornes flamme nicht rasten wird er tag und nacht bis daß er nieder dich gemacht das herz dir ausgerissen und das mir vorgeschmissen ha kind sei nur erst sattelfest so ist mir nicht mehr bange dann steht uns offen ost und west o zaudre nicht zu lange horch liebchen horch was rührte sich um gottes willen tummle dich komm komm die nacht hat ohren sonst sind wir ganz verloren das fräulein zagte stand ich stand es graust ihr durch die glieder da griff er nach der schwanenhand und zog sie flink hernieder ach was ein herzen mund und brust mit rang und drang voll angst und lust belauschten jetzt die sterne aus hoher himmelsferne er nahm sein lieb mit einem schwung und schwangs auf den polacken hui saß er selber auf und schlung sein heerhorn um den nacken der ritter hinten trudchen vorn den dänen trieb des ritters sporn die peitsche den polacken und hochburg blieb im nacken ach leise hört die mitternacht kein wörtchen ging verloren im nächsten bett war aufgewacht ein paar verrätherohren des fräuleins sittenmeisterin voll gier nach schnödem geldgewinn sprang hurtig auf die thaten dem alten zu verrathen hallo hallo herr reichsbaron hervor aus bett und kammer eur fräulein trudchen ist entflohn entflohn zu schand und jammer schon reitet karl von eichenhorst und jagt mit ihr durch feld und forst geschwind ihr dürft nicht weilen wollt ihr sie noch ereilen hui auf der freiherr hui heraus bewehrte sich zum streite und donnerte durch hof und haus und weckte seine leute heraus mein sohn von pommerland sitz auf nimm lanz und schwert zur hand die braut ist dir gestohlen fort fort sie einzuholen rasch ritt das paar im zwielicht schon da horch ein dumpfes rufen und horch erscholl ein donnerton von hochburgs pferdehufen und wild kam plump den zaum verhängt weit weit voran dahergesprengt und ließ zu trudchens grausen vorbei die lanze sausen halt an halt an du ehrendieb mit deiner losen beute herbei vor meinen klingenhieb dann raube wieder bräute halt an verlaufne buhlerin daß neben deinen schurken hin dich meine rache strecke und schimpf und schand euch decke das leugst du plump von pommerland bei gott und ritterehre herab herab daß schwert und hand dich andre sitte lehre halt trudchen halt den dänen an herunter junker grobian herunter von der mähre daß ich dich sitte lehre ach trudchen wie voll angst und noth sah hoch die säbel schwingen hell funkelten im morgenroth die damascenerklingen von kling und klang von ach und krach ward rundumher das echo wach von ihrer fersen stampfen begann der grund zu dampfen wie wetter schlug des liebsten schwert den ungeschliffnen nieder gerdtrudens held blieb unversehrt und plump erstand nicht wieder nun weh o weh erbarm es gott kam fürchterlich galop und trott als karl kaum ausgestritten der nachtrab angeritten trarah trarah durch feld und wald ließ karl sein horn nun schallen sieh da hervor vom hinterhalt hop hop sein heer vasallen nun halt baron und hör ein wort schau auf erblickst du jene dort die sind zum schlagen fertig und meines winks gewärtig halt an halt an und hör ein wort damit dich nichts gereue dein kind gab längst mir treu und wort und ich ihm wort und treue willst du zerreißen herz und herz soll dich ihr blut soll dich ihr schmerz vor gott und welt verklagen wolan so laß uns schlagen noch halt bei gott beschwör ich dich bevors dein herz gereuet in ehr und züchten hab ich mich dem fräulein stets geweihet gib vater gib mir trudchens hand der himmel gab mir gold und land mein ritterruhm und adel gottlob trotzt jedem tadel ach trudchen wie voll angst und noth verblüht in todesblässe vor zorn der freiherr heiß und roth glich einer feueresse und trudchen warf sich auf den grund sie rang die schönen hände wund und suchte baß mit thränen den eifrer zu versöhnen o vater habt barmherzigkeit mit euerm armen kinde verzeih euch wie ihr uns verzeiht der himmel auch die sünde glaubt bester vater diese flucht ich hätte nimmer sie versucht wenn vor des junkers bette mich nicht geekelt hätte wie oft habt ihr auf knie und hand gewiegt mich und getragen wie oft du herzenskind genannt du trost in alten tagen o vater vater denkt zurück ermordet nicht mein ganzes glück ihr tödtet sonst daneben auch eures kindes leben der freiherr warf sein haupt herum und wies den krausen nacken der freiherr rieb wie taub und stumm die dunkelrauhen backen vor wehmuth brach ihm herz und blick doch schlang er stolz den strom zurück um nicht durch vaterthränen den rittersinn zu höhnen bald sanken zorn und ungestüm das vaterherz wuchs über von hellen zähren strömten ihm die stolzen augen über er hob sein kind vom boden auf er ließ der herzensflut den lauf und wollte schier vergehen vor wundersüßen wehen nun wol verzeih mir gott die schuld so wie ich dir verzeihe empfange meine vaterhuld empfange sie aufs neue in gottes namen sei es drum hier wandt er sich zum ritter um da nimm sie meinetwegen und meinen ganzen segen komm nimm sie hin und sei mein sohn wie ich dein vater werde vergeben und vergessen schon ist jegliche beschwerde dein vater einst mein ehrenfeind ders nimmer hold mit mir gemeint that vieles mir zum hohne ihn haßt ich noch im sohne machs wieder gut machs gut mein sohn an mir und meinem kinde auf daß ich meiner güte lohn in deiner güte finde so segne dann der auf uns sieht euch segne gott von glied zu glied auf wechselt ring und hände und hiermit lied am ende |
Die Kuh von Gottfried August Bürger, 1784 „Frau Magdalis weint‘ auf ihr letztes Stück Brod; / Sie konnt‘ es vor Kummer nicht essen. / Ach, Wittwen bekümmert oft größere Noth, / Als glückliche Menschen ermessen.“ |
1784 | 2729 | die kuh von gottfried august bürger frau magdalis weint auf ihr letztes stück brod sie konnt es vor kummer nicht essen ach wittwen bekümmert oft größere noth als glückliche menschen ermessen wie tief ich auf immer geschlagen nun bin was hab ich bist du erst verzehret denn jammer ihr eins und ihr alles war hin die kuh die bisher sie ernähret heim kamen mit lieblichem schellengetön die andern gesättigt in fülle vor magdalis pforte blieb keine mehr stehn und rief ihr mit sanftem gebrülle wie kindlein welche der nährenden brust der mutter sich sollen entwöhnen so klagte sie abend und nacht den verlust und löschte ihr lämpchen mit thränen sie sank auf ihr ärmliches lager dahin in hoffnungslosem verzagen verwirrt und zerrüttet an jeglichem sinn an jeglichem gliede zerschlagen doch stärkte kein schlaf sie von abend bis früh schwer abgemüdet im schwalle von ängstlichen träumen erschütterten sie die schläge der glockenuhr alle früh that ihr des hirtenhornes getön ihr elend von neuem zu wissen o wehe nun hab ich nichts aufzustehn so schluchzte sie nieder ins kissen sonst weckte des hornes geschmetter ihr herz den vater der güte zu preisen jetzt zürnet und hadert entgegen ihr schmerz dem pfleger der wittwen und waisen und horch auf ohr und auf herz wie ein stein fiels ihr mit dröhnendem schalle ihr rieselt ein schauer durch mark und gebein es dünkt ihr wie brüllen im stalle o himmel verzeihe mir jegliche schuld und ahnde nicht meine verbrechen sie wähnt es erhübe sich geistertumult ihr sträfliches zagen zu rächen kaum aber hatte vom schrecklichen ton sich mählich der nachhall verloren so drang ihr noch lauter und deutlicher schon das brüllen vom stalle zu ohren barmherziger himmel erbarme dich mein und halte den bösen in banden tief barg sie das haupt in die kissen hinein daß hören und sehen ihr schwanden hier schlug ihr indem sie im schweiße zerquoll das bebende herz wie ein hammer und drittes noch lauteres brüllen erscholl als wärs vor dem bett in der kammer nun sprang sie mit wildem entsetzen heraus stieß auf die laden der zelle schon strahlte der morgen der dämmerung graus wich seiner erfreulichen helle und als sie mit heiligem kreuz sich versehn gott helfe mir gnädiglich amen da wagte sies zitternd zum stalle zu gehn in gottes allmächtigem namen o wunder hier kehrte die herrlichste kuh so glatt und so blank wie ein spiegel die stirne mit silbernem sternchen ihr zu vor staunen entsank ihr der riegel dort füllte die krippe frisch duftender klee und heu den stall sie zu nähren hier leuchtet ein eimerchen weiß wie der schnee die strotzenden euter zu leeren sie trug ein zierlich beschriebenes blatt um stirn und hörner gewunden zum troste der guten frau magdalis hat n n hierher mich gebunden gott hatt es ihm gnädig verliehen die noth des armen so wohl zu ermessen gott hatt ihm verliehen ein stücklein brod das konnt er allein nicht essen mir däucht ich wäre von gott ersehn was gut und was schön ist zu preisen daher besing ich was gut ist und schön in schlicht einfältigen weisen so schwur mir ein maurer so ist es geschehn allein er verbot mir den namen gott laß es dem edeln doch wohl ergehn das bet ich herzinniglich amen |
Die Menagerie der Götter von Gottfried August Bürger, 1774 „Wie hier an Affen, Papagein, / An Kakadu und Raben / Hofherrn und Damen insgemein / Ihr träges Müthchen laben:“ |
1774 | 1700 | die menagerie der götter von gottfried august bürger wie hier an affen papagein an kakadu und raben hofherrn und damen insgemein ihr träges müthchen laben so hegt auch mancher gott sein thier selbst in der himmelsstube zeus dahlt mit seinem adler schier wie ein quintanerbube der darf in cabinet und saal auf stuhl und tafel springen und keck ein ganzes göttermahl ambrosia verschlingen allein wer soviel frißt der muß mit gunst auch viel hofieren drum möchte juno voll verdruß ihm oft den steiß verschnüren dagegen kann ihr pfauenpaar sie desto baß erfreuen doch schmälet zeus und dies ist wahr daß sie abscheulich schreien mit täubchen kürzt an ihrem platz sich cypria die stunden ihr por läßt flattern einen spatz an langen zwirn gebunden minerva kömmt durch ihre gunst noch dem olymp zu statten denn ihre eule fängt mit kunst die himmelsmäus und ratten apoll hält solchen tand für schwach nährt sich vier stolze schimmel und galopiret tag für tag eins durch den weiten himmel auch sagt man hält er einen schwan deß wunderbarer schnabel trotz roms castraten singen kann doch halt ich dies für fabel lyäus läßt den wagen gar von zahmen tigern führen und ohne sorge vor gefahr sich durch die welt kutschiren vor plutons schwarzer pforte bellt der größte bullenbeißer und macht die qual der unterwelt durch sein geheul noch heißer vor allen thieren groß und klein die sich bei göttern mästen behagt silenus eselein noch meinem sinn am besten das ist fürwahr ein feines vieh von sondrer zucht und ehren und läßt von vorn und hinten nie was unverschämtes hören mit sich und seinem herrn vergnügt geduldig allerwegen nimmt es vorlieb sowie sichs fügt mit marzipan und schlägen zum keller weiß es hin und her den weg von selbst zu finden auch braucht man gar nicht drüberher den reiter fest zu binden piano klimmts den berg hinan piano tritts bergunter und wirft den trunknen ehrenmann kein einzig mal herunter so einen esel wünscht ich mir silen wirst du einst sterben so laß mich dies bequeme thier laß vater laß michs erben |
Die Nachtfeier der Venus von Gottfried August Bürger, 1767/71 „Morgen liebe, wer die Liebe / Schon gekant! / Morgen liebe, wer die Liebe / Nie empfand!“ |
1767 | 5833 | die nachtfeier der venus von gottfried august bürger vorgesang morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand unter hellen melodieen ist der junge mai erwacht seht wie seine schläfe glühen wie ihm wang und auge lacht ueber kräutervollen rasen ueber hainen schwebet er kleine laue weste blasen wolgerüche vor ihm her segenvolle wolken streuen warme tropfen auf die flur geben nahrung und gedeihen jedem kinde der natur morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand lieb und gegenliebe paaret dieses gottes freundlichkeit und sein süssestes versparet jedes thier auf diese zeit wann das laub ihr nest umschattet paaren alle vögel sich was da lebet das begattet um die zeit der blüthe sich morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand schauet freudiger und röter bricht des tages morgen an als im anbegin da aether mutter tellus liebgewan und ihr schoos von ihrem gatten floren und den lenz empfing und des ersten haines schatten um die neugebornen hing morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand als der erste frühling blühte wand erzeugt aus kronus blut göttin venus afrodite bei gelinder wogenflut sich almählig aus des grauen ozeans verborgnem schoos angestaunet von den blauen wasserungeheuern los morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand weihgesang morgen ist dionens feier stimmet an den weihgesang töne drein gewölbte leier hall am felsen wiederklang morgen bringen ihre tauben sie herab in unsern hain morgen unter myrtenlauben ladet sie zu tänzen ein morgen vom erhabnen throne winket uns ihr richterstab und sie spricht zu straf und lohne gütevolles recht herab morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand eilt den thron ihr zu erheben thut der königin gebot flora sol ihn überweben golden blau und purpurrot spend o flora jede blume die im bunten enna lacht flora zu dionens ruhme spende deine ganze pracht morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand unser prangendes geleite wird am thron ihr huldigen sizen werden ihr zur seite amor und die grazien alle nymfen sind geladen nymfen aus gefild und hain wassermädchen oreaden werden hier versamlet seyn alle sind herbei gerufen vor dionens angesicht mitzusizen um die stufen ihres thrones zu gericht morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand schon durchwallt die frohen haine cythereens nymfenschaar amor flattert mit doch keine naht sich ihm und der gefar nymfen die sein köcher schrekte wist ihr nicht was ihm geschehn daß er heut die waffen strekte daß er heut mus wehrlos gehn unverbrüchliche geseze wollen daß sein bogen heut keiner nymfe brust verleze aber nymfen scheut o scheut ihn auch nakt er überlistet er verlezt euch mädchen doch denn den waffenlosen rüstet seine ganze schönheit noch morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand nymfen rein wie du an sitte sendet keusche delia sendet dir mit sanfter bitte venus amathusia morgen triefe dies gesträuche von des wildes blute nicht deines hornes klang verscheuche dieses hains gefieder nicht selber wäre sie erschienen selber hätte sie gefleht doch sie scheute deiner mienen deines ernstes majestät weich aus unserm feierhaine venus amathusia walte morgen hier alleine weich o keusche delia morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand zu des schönsten festes freude lüde sie auch dich mit ein ziemt es deinem keuschen eide zeugin unsrer lust zu seyn ha du soltest jubel hören hören sang und zymbelklang soltest uns in taumelchören schwärmen sehn drei nächte lang soltest bald in wirbelreigen uns um flinke nymfen drehn bald zu paaren unter zweigen süsser ruhe pflegen sehn auch der held der fern am indus vom bezähmten pardel strit ceres und der gott vom pindus und pomona feiern mit morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand lobgesang heller glänzt aurorens schleier auf begint den lobgesang töne drein geweihte leier hall am felsen wiederklang eryzinens hauch durchdringet bis zur gränze der natur wo die lezte sfäre klinget alle pulse der natur sie befruchtet land und meere sie das weite luftrevier wie sie zeuge wie gebäre weis die kreatur von ihr morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand wie mit blinkendem gesteine schmükt sie bräutlich unsre welt streuet blüthen auf die haine blumen über wies und feld sie enthült die anemonen schliest den goldnen krokus auf sezet die azurnen kronen prangenden cyanen auf den päonien entfaltet sie das purpurne gewand wie der mädchen busen spaltet junge rosen ihre hand in den ichor ihrer wunde ward ihr silberblat getaucht und aus ihrem süssen munde wolgeruch hinein gehaucht morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand liebe segnet die gefilde und beseliget den hain liebe flöst dem rauhen wilde wonnigliche regung ein gatten um die gatten hüpfen rüstig durch den wiesengrund afroditens hände knüpfen ihren süssen liebesbund alte sage bringt zu ohren daß sie auf der hirtenflur selber einst den sohn geboren den beherscher der natur morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand sie entris anchisens laren dem entflamten ilion und aus tausend meergefaren den verfolgten frommen sohn sie wars die die hand aeneens und laviniens verband und die keusche zone rheens löste sie durch mavors hand sie vermälte romuls diener halb durch list und halb durch macht mit den töchtern der sabiner aus den küssen erster nacht keimten glänzende geschlechter mit der zeiten wechsellauf patrioten und verächter ihres todes keimten auf morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand schall o maigesang erschalle töne cypris hochgesang hört ihr singen ihr nicht alle fluren alle wälder dank von dem anger tönt das laute lustgebrüll der heerden ihr aus dem hohen haidekraute zirpen tausend grillen ihr ihr nun schnattert das gefieder von den teichen dank empor und der edlern vögel lieder sind ein opfer ihrem ohr horcht es wirbelt philomele tief aus pappelweiden drein liebe seufzet ihre kehle keine klage kan es seyn nicht um tereus grausamkeiten wimmert prognens schwester mehr sol ich nicht ihr lied begleiten stimmet mich kein frühling mehr phöbus säng ich nicht dem maien säng ich nicht o liebe dir würde nimmer mir verzeihen stimm und laute nähm er mir drum so werde wann die schwalbe singend ihre wonung baut werd o sang gleichwie die schwalbe nach der winterstille laut morgen liebe wer die liebe schon gekant morgen liebe wer die liebe nie empfand |
Die Schatzgräber von Gottfried August Bürger, 1786 „Ein Winzer, der am Tode lag, / Rief seine Kinder an und sprach: / »In unserem Weinberg liegt ein Schatz. / Grabt nur danach!« – »An welchem Platz?«“ |
1786 | 615 | die schatzgräber von gottfried august bürger ein winzer der am tode lag rief seine kinder an und sprach in unserem weinberg liegt ein schatz grabt nur danach an welchem platz schrie alles laut den vater an grabt nur oh weh da starb der mann kaum war der vater dann im grab so grub man daß den schatz man hab mit hacke schüpp und spaten ward der weinberg um und um gescharrt kein klumpen der ruhig blieb man warf die erde gar durchs sieb und zog mit harken kreuz und quer nach jedem steinchen hin und her allein man keinen schatz aufgespürt und jeder hielt sich angeführt doch kaum erschien das nächste jahr so nahm man mit erstaunen wahr daß jede rebe dreifach trug da wurden erst die söhne klug und gruben nun jahrein jahraus vom schatze immer mehr heraus |
Die Weiber von Weinsberg von Gottfried August Bürger, 1774 „Wer sagt mir an, wo Weinsberg liegt? / Sol seyn ein wakres Städtchen, / Sol haben, from und klug gewiegt, / Viel Weiberchen und Mädchen.“ |
1774 | 1998 | die weiber von weinsberg von gottfried august bürger wer sagt mir an wo weinsberg liegt sol seyn ein wakres städtchen sol haben from und klug gewiegt viel weiberchen und mädchen kömt mir einmal das freien ein so werd ich eins aus weinsberg frein einsmals der kaiser konrad war dem guten städtlein böse und rükt heran mit kriegesschaar und reisigengetöse umlagert es mit ros und man und schos und rante drauf und dran und als das städtlein widerstand troz allen seinen nöten da lies er hoch von grim entbrant den herold nein trompeten ihr schurken komm ich nein so wist sol hängen was die wand bepist drob als er den avis also hinein trompeten lassen gabs lautes zetermordio zu haus und auf den gassen das brod war theuer in der stadt doch theurer noch war guter rath o weh mir armen korydon o weh mir die pastores schrien kyrie eleyson wir gehn wir gehn kapores o weh mir armen korydon es jukt mir an der kehle schon doch wanns matthä am lezten ist troz rathen thun und beten so rettet oft noch weiberlist aus aengsten und aus nöten denn pfaffentrug und weiberlist gehn über alles wie ihr wist ein junges weibchen lobesan seit gestern erst getrauet giebt einen klugen einfal an der alles volk erbauet den ihr sofern ihr anders wolt belachen und beklatschen solt zur zeit der stillen mitternacht die schönste ambassade von weibern sich ins lager macht und bettelt dort um gnade sie bettelt sanft sie bettelt süs erhält doch aber nichts als dies die weiber solten abzug han mit ihren besten schäzen was übrig bliebe wolte man zerhauen und zerfezen mit der kapitulation schleicht die gesandschaft trüb davon drauf als der morgen bricht hervor gebt achtung was geschiehet es öfnet sich das nächste thor und jedes weibchen ziehet mit ihrem mänchen schwer im sak so wahr ich lebe huckepak manch hofschranz suchte zwar sofort das knifchen zu vereiteln doch konrad sprach ein kaiserwort sol man nicht drehn noch deuteln ha bravo rief er bravo so meint unsre frau es auch nur so er gab pardon und ein banket den schönen zu gefallen da ward gegeigt da ward trompett und durchgetanzt mit allen wie mit der burgemeisterin so mit der besenbinderin ei sagt mir doch wo weinsberg liegt ist gar ein wakres städtchen hat treu und from und klug gewiegt viel weiberchen und mädchen ich mus kömt mir das freien ein fürwahr mus eins aus weinsberg frein |
Lenore von Gottfried August Bürger, 1773 „Lenore fuhr ums Morgenrot / Empor aus schweren Träumen: / „Bist untreu, Wilhelm, oder tot? / Wie lange willst du säumen?“ –“ |
1773 | 6735 | lenore von gottfried august bürger lenore fuhr ums morgenrot empor aus schweren träumen bist untreu wilhelm oder tot wie lange willst du säumen er war mit könig friedrichs macht gezogen in die prager schlacht und hatte nicht geschrieben ob er gesund geblieben der könig und die kaiserin des langen haders müde erweichten ihren harten sinn und machten endlich friede und jedes heer mit sing und sang mit paukenschlag und kling und klang geschmückt mit grünen reisern zog heim zu seinen häusern und überall all überall auf wegen und auf stegen zog alt und jung dem jubelschall der kommenden entgegen gottlob rief kind und gattin laut willkommen manche frohe braut ach aber für lenoren war gruß und kuß verloren sie frug den zug wohl auf und ab und frug nach allen namen doch keiner war der kundschaft gab von allen so da kamen als nun das heer vorüber war zerraufte sie ihr rabenhaar und warf sich hin zur erde mit wütiger gebärde die mutter lief wohl hin zu ihr ach daß sich gott erbarme du trautes kind was ist mit dir und schloß sie in die arme o mutter mutter hin ist hin nun fahre welt und alles hin bei gott ist kein erbarmen o weh o weh mir armen hilf gott hilf sieh uns gnädig an kind bet ein vaterunser was gott tut das ist wohlgetan gott gott erbarmt sich unser o mutter mutter eitler wahn gott hat an mir nicht wohlgetan was half was half mein beten nun ists nicht mehr vonnöten hilf gott hilf wer den vater kennt der weiß er hilft den kindern das hochgelobte sakrament wird deinen jammer lindern o mutter mutter was mich brennt das lindert mir kein sakrament kein sakrament mag leben den toten wiedergeben hör kind wie wenn der falsche mann im fernen ungerlande sich seines glaubens abgetan zum neuen ehebande laß fahren kind sein herz dahin er hat es nimmermehr gewinn wann seel und leib sich trennen wird ihn sein meineid brennen o mutter mutter hin ist hin verloren ist verloren der tod der tod ist mein gewinn o wär ich nie geboren lisch aus mein licht auf ewig aus stirb hin stirb hin in nacht und graus bei gott ist kein erbarmen o weh o weh mir armen hilf gott hilf geh nicht ins gericht mit deinem armen kinde sie weiß nicht was die zunge spricht behalt ihr nicht die sünde ach kind vergiß dein irdisch leid und denk an gott und seligkeit so wird doch deiner seelen der bräutigam nicht fehlen o mutter was ist seligkeit o mutter was ist hölle bei ihm bei ihm ist seligkeit und ohne wilhelm hölle lisch aus mein licht auf ewig aus stirb hin stirb hin in nacht und graus ohn ihn mag ich auf erden mag dort nicht selig werden so wütete verzweifelung ihr in gehirn und adern sie fuhr mit gottes vorsehung vermessen fort zu hadern zerschlug den busen und zerrang die hand bis sonnenuntergang bis auf am himmelsbogen die goldnen sterne zogen und außen horch gings trapp trapp trapp als wie von rosseshufen und klirrend stieg ein reiter ab an des geländers stufen und horch und horch den pfortenring ganz lose leise klinglingling dann kamen durch die pforte vernehmlich diese worte holla holla tu auf mein kind schläfst liebchen oder wachst du wie bist noch gegen mich gesinnt und weinest oder lachst du ach wilhelm du so spät bei nacht geweinet hab ich und gewacht ach großes leid erlitten wo kommst du hergeritten wir satteln nur um mitternacht weit ritt ich her von böhmen ich habe spät mich aufgemacht und will dich mit mir nehmen ach wilhelm erst herein geschwind den hagedorn durchsaust der wind herein in meinen armen herzliebster zu erwarmen laß sausen durch den hagedorn laß sausen kind laß sausen der rappe scharrt es klirrt der sporn ich darf allhier nicht hausen komm schürze spring und schwinge dich auf meinen rappen hinter mich muß heut noch hundert meilen mit dir ins brautbett eilen ach wolltest hundert meilen noch mich heut ins brautbett tragen und horch es brummt die glocke noch die elf schon angeschlagen sieh hin sieh her der mond scheint hell wir und die toten reiten schnell ich bringe dich zur wette noch heut ins hochzeitbette sag an wo ist dein kämmerlein wo wie dein hochzeitbettchen weit weit von hier still kühl und klein sechs bretter und zwei brettchen hats raum für mich für dich und mich komm schürze spring und schwinge dich die hochzeitgäste hoffen die kammer steht uns offen schön liebchen schürzte sprang und schwang sich auf das roß behende wohl um den trauten reiter schlang sie ihre liljenhände und hurre hurre hopp hopp hopp gings fort in sausendem galopp daß roß und reiter schnoben und kies und funken stoben zur rechten und zur linken hand vorbei vor ihren blicken wie flogen anger heid und land wie donnerten die brücken graut liebchen auch der mond scheint hell hurra die toten reiten schnell graut liebchen auch vor toten ach nein doch laß die toten was klang dort für gesang und klang was flatterten die raben horch glockenklang horch totensang laßt uns den leib begraben und näher zog ein leichenzug der sarg und totenbahre trug das lied war zu vergleichen dem unkenruf in teichen nach mitternacht begrabt den leib mit klang und sang und klage jetzt führ ich heim mein junges weib mit mit zum brautgelage komm küster hier komm mit dem chor und gurgle mir das brautlied vor komm pfaff und sprich den segen eh wir zu bett uns legen still klang und sang die bahre schwand gehorsam seinem rufen kams hurre hurre nachgerannt hart hinters rappen hufen und immer weiter hopp hopp hopp gings fort in sausendem galopp daß roß und reiter schnoben und kies und funken stoben wie flogen rechts wie flogen links gebirge bäum und hecken wie flogen links und rechts und links die dörfer städt und flecken graut liebchen auch der mond scheint hell hurra die toten reiten schnell graut liebchen auch vor toten ach laß sie ruhn die toten sieh da sieh da am hochgericht tanzt um des rades spindel halb sichtbarlich bei mondenlicht ein luftiges gesindel sasa gesindel hier komm hier gesindel komm und folge mir tanz uns den hochzeitreigen wann wir zu bette steigen und das gesindel husch husch husch kam hinten nachgeprasselt wie wirbelwind am haselbusch durch dürre blätter rasselt und weiter weiter hopp hopp hopp gings fort in sausendem galopp daß roß und reiter schnoben und kies und funken stoben wie flog was rund der mond beschien wie flog es in die ferne wie flogen oben über hin der himmel und die sterne graut liebchen auch der mond scheint hell hurra die toten reiten schnell graut liebchen auch vor toten o weh laß ruhn die toten rapp rapp mich dünkt der hahn schon ruft bald wird der sand verrinnen rapp rapp ich wittre morgenluft rapp tummle dich von hinnen vollbracht vollbracht ist unser lauf das hochzeitbette tut sich auf die toten reiten schnelle wir sind wir sind zur stelle rasch auf ein eisern gittertor gings mit verhängtem zügel mit schwanker gert ein schlag davor zersprengte schloß und riegel die flügel flogen klirrend auf und über gräber ging der lauf es blinkten leichensteine rundum im mondenscheine ha sieh ha sieh im augenblick huhu ein gräßlich wunder des reiters koller stück für stück fiel ab wie mürber zunder zum schädel ohne zopf und schopf zum nackten schädel ward sein kopf sein körper zum gerippe mit stundenglas und hippe hoch bäumte sich wild schnob der rapp und sprühte feuerfunken und hui wars unter ihr hinab verschwunden und versunken geheul geheul aus hoher luft gewinsel kam aus tiefer gruft lenorens herz mit beben rang zwischen tod und leben nun tanzten wohl bei mondenglanz rundum herum im kreise die geister einen kettentanz und heulten diese weise geduld geduld wenns herz auch bricht mit gott im himmel hadre nicht des leibes bist du ledig gott sei der seele gnädig |
Leonardo und Blandine von Gottfried August Bürger, 1776 „Blandine sah her, Lenardo sah hin, / Mit Augen, erleuchtet vom zärtlichsten Sinn: / Blandine, die schönste Prinzessin der Welt, / Lenardo, der Schönsten zum Diener bestellt.“ |
1776 | 12236 | leonardo und blandine von gottfried august bürger blandine sah her lenardo sah hin mit augen erleuchtet vom zärtlichsten sinn blandine die schönste prinzessin der welt lenardo der schönsten zum diener bestellt zu land und zu wasser von nah und von fern erscheinen viel fürsten und grafen und herrn mit perlen gold ringen und edelgestein die schönste der schönen prinzessen zu frein allein die prinzessin war perlen und gold war ringen mit blanken gestein nicht so hold als oft sie ein würziges blümlein entzückt vom finger des schönsten der diener gepflückt der schönste der diener trug hohes gemüt obschon nicht entsprossen aus hohem geblüt gott schuf ja aus erden den ritter und knecht ein hoher sinn adelt auch niedres geschlecht und als sie mal draußen in fröhlicher schar von schranzen umlagert am apfelbaum war und alle genossen der lieblichen frucht die ämsig der flinke lenardo gesucht da bot die prinzessin ein äpfelchen rar aus ihrem hellsilbernen körbchen ihm dar ein äpfelchen rosicht und gülden und rund dazu sprach ihr holdseliger mund nimm hin für die mühe der apfel sei dein das leckere wuchs nicht für prinzen allein er ist ja so lieblich von außen zu sehn will wünschen was drin ist sei zehnmal so schön und als sich der liebling gestohlen nach haus da zog er o wunder ein blättchen heraus das blättchen im apfel saß heimlich und tief drauf stand gar traulich geschrieben ein brief du schönster der schönsten von nah und von fern du schönster vor fürsten und grafen und herrn der du trägst süchtiger höher gemüt als fürsten und grafen aus hohem geblüt dich hab ich vor allen zum liebsten erwählt dich trag ich im herzen das sehnend sich quält mich labet nicht ruhe mich labet nicht rast bevor du gestillet dies sehnen mir hast zur mitternachtstunde laß schlummer und traum laß bette laß kummer und suche den baum den baum der den apfel der liebe dir trug dein harret was liebes nun weißt du genug das däuchte dem diener so wohl und so bang so bang und so wohl er zweifelte lang viel zweifelt er her viel zweifelt er hin von hoffen und ahnden war trunken sein sinn doch als es nun tief um mitternacht war und still herab blinkte der sternlein schar da sprang er vom lager ließ schlummer und traum und eilt in den garten und suchte den baum und als er stillharrend am liebesbaum saß da säuselt im laube da schlich es durchs gras und eh er sich wandte umschlang ihn ein arm da weht ihn ein odem an lieblich und warm und als er die lippen eröffnet zum gruß beschlang ihm die rebe manch durstiger kuß und eh es ihm zugeflüstert ein wort da zog es mit sammtenem händchen ihn fort es führt ihn allmählich mit heimlichem tritt komm süßer komm lieblicher junge komm mit kalt wehen die lüftchen kein dach und kein fach beschirmet uns komm in mein stilles gemach und führt ihn durch dornen und kessel und stein in einen zertrümmerten keller hinein hier flimmert ein lämpchen es zog ihn entlang beim schimmer des lämpchens den heimlichen gang in schlummer gehüllet war jedes gesicht doch ach das verräteraug schlummerte nicht lenardo lenardo wie wird dirs ergehn doch ehe die hähne das morgenlied krähn weit her von hispaniens reichster provinz war kommen ein hochstolzierender prinz mit perlen gold ringen und edelgestein die schönste der schönen prinsessen zu frein ihm brannte der busen ihm lechte der mund doch hofft er doch harrt er umsonst in burgund er warb wohl und warb doch vergebens manch jahr und wollte nicht weichen noch wanken von dar drob hatte der hochstolzierende gast bei nacht und bei tage nicht ruhe noch rast und hatte zur selbigen stunde der nacht sich auf und hinaus in den garten gemacht und hatt es vernommen und hat es gesehn was jetzt kaum drei schritte weit von ihm geschehn er knirrschte die zähne biß blutig den mund zur stunde solls wissen der fürst von burgund und eilte zur selbigen stunde der nacht ihm wehrte vergebens die fürstliche macht jetzt will ich jetzt muß ich zum könig hinein weil hochverrat ihn und aufruhr bedräun hallo wach auf du fürst von burgund dein königsgeschneide besudelt ein hund blandinen dein gleißendes töchterlein schwächt zur stunde jetzt schwächt sie ein schändlicher knecht das krachte dem alten ins dumpfe gehör er liebte die einzige tochter so sehr er schätzte sie höher als zepter und kron und höher als seinen hellstrahlenden thron wild raffte der fürst von burgund sich empor das leugst du verräter das leugst du mir vor dein blut mirs entgelte das trinke burgund mosern mich belogen dein giftiger mund hier stell ich o alter zum pfande mich dar auf eile so findets dein auge noch wahr mein blut dirs entgelte das trinke burgund mosern dich belogen mein redlicher mund da rannte der alte mit blinkendem dolch ihm nach kroch der verrätliche molch und wies ihn durch dornen und kessel und stein stracks in den zertrümmerten keller hinein hier prangte vor zeiten ein lustiges schloß daß längst schon in schutt und in trümmer zerschoß noch wölbten sich keller und halle von vorn berbargen die nessel und distel und dorn die halle war wenigen augen bekannt doch wer der halle war kundig der fand den weg durch eine verborgene thür wohl in der prinzessin ihr sommerlosier noch sendete durch den heimlichen gang das lämpchen der liebe den schimmer entlang sie atmeten leise sie schlichen gemach dem schimmer des lämpchens der liebe sich nach und kamen bald vor die verborgene thür und standen und harrten und lauschten allhier horch könig da flüsterts horch könig da sprichts da glaubest du noch nicht so glaubest du nichts und als sich der alte zum horchen geneigt erkannt er der liebenden stimme gar leicht sie trieben bei küssen und tändelndem spiel des süßen geschwätzes der liebe gar viel o lieber mein lieber was zaget dein sinn vor mir die ich ewig dein eigen nun bin prinzessin am tage nur aber bei nacht magst du mir gebieten als eigener magd o schönste prinzessin o wärest du nur das dürftigste mädchen auf dürftiger flur wie wollt ich dann schmecken der freuden so viel nun setzet dein lieben mir kummer ans ziel o lieber mein lieber laß fahren den wahn bin keine prinzessin drauf sieh mich nur an statt vaters gewalt reich zepter und kron erkies ich den schoß mir der liebe zum thron o schönste der schönsten dies zärtliche wort das kannst du das wirst du nicht halten hinfort durch werben und werben von nah und von fern erwirbt dich noch einer der stattlichen herrn wohl schwellen die wasser wohl hebet sich wind doch winde verwehen doch wasser verrinnt wie wind und wie wasser ist weiblicher sinn so wehet so rinnet dein lieben dahin laß werben und werben von nah und von fern erwirbt mich doch keiner der stattlichen herrn o süßer o lieber mein zärtliches wort das kann ich das werd ich dir halten hinfort wie wasser und wind ist mein liebender sinn wohl wehen die winde wohl wasser rinnt hin doch alle verwehn und verrinnen ja nicht so ewig mein quellendes lieben auch nicht o süße prinzessin noch zag ich so sehr mir ahndets im herzen mir ahndets wie schwer die bande zerreißen der treuring zerbricht worüber der himmel den segen nicht spricht und wenn es der könig oh wenn ers erfährt so triefet mein leben am blutigen schwert so mußt du dein leben verriegelt allein tief unter dem turm im gewölbe verschrein ach lieber der himmel zerreißet ja nicht die knoten so treue so liebe sich flicht der seligen wonne bei nächtlicher ruh der höret der sieht kein verräter ja zu komm her o komm her nun mein trauter gemahl und küss mir den kuß der verlobung einmal da kam er und küßt ihr den rosichten mund drob alle sein zagen im herzen verschwund sie trieben bei küssen und tändelndem spiel des süßen geschwätzes der liebe noch viel da knirrschte der könig da wollt er hinein doch ließen ihn schlösser und riegel nicht ein nun harrt er und harrte mit schäumendem mund wie vor der höhle des wilden ein hund den liebenden drin nach gepflogener luft ward enger und bänger von ahndung die brust wach auf prinzessin der hahn hat gekräht nun laß mich bevor sich der morgen erhöht ach lieber ach bleib noch es kündet der hahn die erste der nächtlichen wachen nur an schau auf prinzessin der morgen schon graut nun laß mich bevor uns der morgen erschaut ach trauter ach bleib noch der sternlein licht verrät ja die gänge der liebenden nicht horch auf prinzessin da wirbelt ein ton da wirbelt die schwalbe das morgenlied schon ach süßer ach bleib noch es ist ja der schall der liebeflötenden nachtigall nein laß mich der hahn hat zum morgen gekräht schon leuchtet der morgen die morgenluft weht schon wirbelt die schwalbe den morgengesang oh laß mich wie wird mir ums herze so bang ach süßer leb wohl dann nein bleib noch ade o weh mir wie thuts mir im busen so weh weis her mir dein herzchen ach pocht ja so sehr hab lieb mich du herzchen auf morgen nacht mehr schlaf süß schlaf wohl da schlüpft er hinaus ihm fuhren durchs leben entsetzen und graus es roch ihm wie leichen er stolpert entlang beim schimmer des traurigen lämpchens den gang hui sprangen die beiden vom winkel herbei und bohrten ihn nieder mit dumpfem geschrei da hast du gefreit um den thron von burgund da hast du die mitgift da hast du sie hund o jesu maria erbarme dich mein drauf hüllte sein brechendes auge sich ein ohne beicht ohne nachtmahl ohn absolution flog seine verzagende seele davon der prinz von hispania schäumend vor wut zerhieb ihm den busen mit knirrschendem mut weis her mir dein herzchen ach pocht ja so sehr hast lieb gehabt herzchen habs morgen nacht mehr und riß ihm vom busen das zuckende herz und fühlte sein mütchen mit gräßlichem scherz da bab ich dich herzchen ach pochst ja so sehr hab lieb nun du herzchen habs morgen nacht mehr indes die prinzessin ach zagte so sehr zerwarf sich im schlummer und träumte wie schwer von blutigen perlen in blutigem kranz von blutigem gastmahl und höllischem tanz sie warf sich im bette so müde so krank den kommenden morgen und tag entlang o wenns doch erst wieder tief mitternacht wär komm mitternacht führe mein labsal mir her und als es nun wieder tief mitternacht war und still herab blinkte der sternlein schar o weh mir mein busen was ahndet wohl dir horch horch da knarrte die heimliche thür ein junker in flor und in trauergewand trug fackel und leichengedeck in der hand trug einen zerbrochenen blutigen ring und legt es danieder stillschweigend und ging ihm folgt ein junker in purpurgewand der trug ein goldnes geschirr in der hand versehen mit henkel und deckel und knauf und oben ein königlich siegel darauf ihm folgt ein junker in silbergewand mit einem versiegelten brief in der hand er gab der erstarrten prinzessin den brief und ging und neigte sich schweigend und tief und als die erstarrte prinzessin den brief erbrach und mit rollenden augen durchlief umflirrt es ihr antlitz wie nebel und duft sie stürzte zusammen und schnappte noch luft und als sie mit zuckender strebender kraft sich wieder ermannt und dem boden entrafft juchheisa da sprang sie juchheisa tralla auf lustig ihr fiedler mein brauttag ist da juchheisa ihr fiedler zum lustigen tanz mir schweben die füße mir flattert der kranz nun tanzet ihr prinzen von nah und von fern auf lustig ihr damen auf lustig ihr herrn ha seht ihr nicht meinen herzliebsten sich drehn im silbergewande wie herrlich wie schön ihn zieret am busen ein purpurner stern juchheisa ihr damen juchheisa ihr herrn auf lustig zum tanze was steht ihr so fern was rümpft ihr die nasen ihr damen und herrn mein bräutigam ist er ich heiße die braut uns haben die engel im himmel getraut zu tanze zu tanze was grinzet ihr fern das rümpft ihr die nasen ihr damen und herrn weg edelgesindel pfui stinkest mir an du stinkest nach stinkender hoffart mir an wer schuf wohl aus erden den ritter und knecht ein hoher sinn adelt auch niedres geschlecht mein schönster trägt hohen und züchtigen mut und speiet in euer hochadliges blut juchheisa ihr fiedler zum lustigen tanz mir schweben die füße mir flattert der kranz juchheisa trallala juchheisa tralla auf lustig ihr fiedler mein brauttag ist da so sang sie zum sprunge so sprang sie zum sang biß aus der stirn ihr der todestau drang der todestau troff ihr die wangen herab sie taumelt und keuchte zu boden hinab und als sich ihr leben zum letzten ermannt da streckte sie nach dem gefäße die hand und schlangs in die arme und hielt es im schoß und deckte was drinnen verborgen war bloß da rauchte da pocht ihr entgegen sein herz als fühlt es noch leben als fühlt es noch schmerz jetzt that sich ihr blutiger thränenquell auf und strömte wie regen vom dache darauf o jammer nun gleichest du wasser und wind wohl winde verwehen wohl wasser verrinnt doch alle verwehn und verrinnen ja nie so du o blutiger jammer auch nie drauf sank sie mit hohlem gebrochenen blick in dumpfen todestaumel zurück und drückte noch fest mit zermalmendem schmerz das blutgefäß an ihr liebendes herz dir lebt ich o herzchen dir sterb ich mit lust o weh mir o weh du zerdrückst mir die brust herab herab den zerquetschenden stein oh jesu maria erbarme dich mein drauf schloß sie die augen drauf schloß sie den mund nun rannten die boten dem könig wards kund laut scholl durch die säle das zetergeschrei prinzessin ist hin auf könig herbei das krachte dem alten ins dumpfe gehör er liebte die einzige tochter so sehr er schätzte sie höher als zepter und kron und höher als seinen hellstrahlenden thron und als auch herbei der verräter mit sprang ergrimmte der alte das hab ich dir dank dein blut mirs entgelte das trinke burgund weil das mir geraten dein giftiger mund ihr herzblut verklagt dich vor gottes gericht das dir dein blutiges urtel schon spricht rasch zuckte der alte den blinkenden dolch und bohrte danieder den spanischen molch lenardo du armer blandine mein kind o heiliger himmel verzeih mir die sünd verklaget nicht mich auch vor gottes gericht ich bin ja bin vater verklaget mich nicht so weinte der könig so reut ihn zu spat schwer reut ihn die himmelanschreiende that drauf wurde bereitet ein silberner sarg worein er die leichen der liebenden barg |
Sanct Stephan von Gottfried August Bürger, 1777 „Sanct Stephan war ein Gottesmann, / Von Gottes Geist berathen, / Der durch den Glauben Kraft gewann / Zu hohen Wunderthaten;“ |
1777 | 2176 | sanct stephan von gottfried august bürger sanct stephan war ein gottesmann von gottes geist berathen der durch den glauben kraft gewann zu hohen wunderthaten doch seines glaubens wunderkraft und seine himmelswissenschaft verdroß die schulgelehrten die erdenweisheit ehrten und die gelehrten stritten scharf und waren ihm zuwider allein die himmelsweisheit warf die irdische darnieder und ihr beschämter hochmuth sann auf rache an dem gottesmann ihn zu verleumden dungen sie falscher zeugen zungen und gegen ihn in aufruhr trat die jüdische gemeinde bald riß ihn vor den hohen rath die rachgier seiner feinde die falschen zeugen stiegen auf und logen dieser hört nicht auf zu sträflichem exempel zu lästern gott und tempel sein jesus schmäht er würde nun des tempels dienst zerstören hinweg die satzung mosis thun und andre sitten lehren starr sah der ganze rath ihn an doch er mit unschuld angethan trotzdem was sie bezeugten schien engeln gleich zu leuchten nun sprich ist dem also begann der hohepriester endlich da hub er frei zu reden an und deutete verständlich der heiligen propheten sinn und was der herr von anbeginn zu judas heil und frommen geredt und unternommen doch unbeschnittne fuhr er fort an herzen und an ohren an euch war gottes that und wort von je und je verloren eur stolz der sich der zucht entreißt stets widerstrebt er gottes geist ihr sowie eure väter seid mörder und verräther nennt mir propheten die sie nicht verfolgt und hingerichtet wenn sie aus göttlichem gesicht des heilands kunft berichtet des heilands welchen eur verrath zu tode jetzt gekreuzigt hat ihr wißt zwar gottes willen doch wollt ihn nie erfüllen und horch ein dumpfer lärm erscholl es knirschte das getümmel er aber ward des geistes voll und blickt empor gen himmel und sah eröffnet weit und breit des ganzen himmels herrlichkeit und jesum in den höhen zur rechten gottes stehen nun rief er hoch im jubelton ich seh im offnen himmel zu gottes rechten gottes sohn da stürmte das getümmel und brauste wie ein wildes meer und übertäubte das gehör und wie von sturm und wogen ward er hinweggezogen hinaus zum nächsten thore brach der strom der tollen menge und schleifte den mann gottes nach zerstoßen im gedränge und tausend mörderstimmen schrien und steine hagelten auf ihn aus tausend mörderhänden die rache zu vollenden als er den letzten odem zog zerschellt von ihrem grimme da faltet er die hände hoch und bat mit lauter stimme behalt o herr für dein gericht dem volke diese sünde nicht nimm meinen geist von hinnen hier schwanden ihm die sinnen |
Apoll und Daphne von Ludwig Heinrich Christoph Hölty, 1769 „Apoll, der gern nach Mädchen schielte, / Wie Dichter thun, / Sah einst im Thal, wo Zephyr spielte, / Die Daphne ruhn.“Ludwig Heinrich Christoph Hölty |
1769 | 1072 | apoll und daphne von ludwig heinrich christoph hölty apoll der gern nach mädchen schielte wie dichter thun sah einst im thal wo zephyr spielte die daphne ruhn er nahte sich mit stutzertritten kein reh flieht so als daphne die mit zephyrschritten dem gott entfloh sie flog voran apollo keuchte ihr hitzig nach bis er das arme ding erreichte am silberbach da rief sie rettet mich ihr götter die thörin die zeus winkte starre lorbeerblätter umflogen sie ihr füßgen sonst so niedlich pflanzte sich plötzlich fest tief in der erde gaukelnd tanzte um sie der west apollo klagte ganze stunden am lorbeerbaum hielt ihn mit festen arm umwunden stand als im traum er lehnte seine feuchten wangen ans grüne holz jüngst eine nymphe sein verlangen der nymphen stolz er girrte noch ein weilchen pflückte nun jenen kranz der seine blonde scheitel schmückte bey spiel und tanz du arme daphne tausend pflücken nun kränze sich von deinen haaren sich zu schmücken du dauerst mich die krieger und die dichter hausen in deinem haar wie stürme die den wald durchbrausen die köche gar ja ja die braunen köche ziehen dir locken aus zum lieblichen gewürz der brühen beym fetten schmaus laßt euch dies beyspiel mädchen rühren das warnung spricht und flieht so lang euch reize zieren den jüngling nicht |
Die Nonne von Ludwig Heinrich Christoph Hölty, 1773 „Es liebt‘ in Welschland irgendwo / Ein schöner junger Ritter / Ein Mädchen, das der Welt entfloh, / Troz Klosterthor und Gitter;“ |
1773 | 2211 | die nonne von ludwig heinrich christoph hölty es liebt in welschland irgendwo ein schöner junger ritter ein mädchen das der welt entfloh troz klosterthor und gitter sprach viel von seiner liebespein und schwur auf seinen knien sie aus dem kerker zu befreyn und stets für sie zu glühen »bey diesem muttergottesbild bey diesem jesuskinde das ihre mutterarme füllt schwör ichs dir o belinde dir ist mein ganzes herz geweiht so lang ich odem habe bey meiner seelen seligkeit dich lieb ich bis zum grabe was glaubt ein armes mädchen nicht zumal in einer celle ach sie vergaß der nonnenpflicht des himmels und der hölle die von den engeln angeschaut sich ihrem jesu weihte die reine schöne gottesbraut ward eines frevlers beute drauf wurde wie die männer sind sein herz von stund an lauer er überließ das arme kind auf ewig ihrer trauer vergaß der alten zärtligkeit und aller seiner eide und flog im bunten gallakleid nach neuer augenweide begann mit andern weibern reihn im kerzenhellen sale gab andern weibern schmeicheleyn beym lauten traubenmahle und rühmte sich des minneglücks bey seiner schönen nonne und jedes kußes jedes blicks und jeder andern wonne die nonne voll von welscher wuth entglüht in ihrem muthe und sann auf nichts als dolch und blut und schwamm in lauter blute sie dingte plötzlich eine schaar von wilden meuchelmördern den mann der treulos worden war ins todtenreich zu fördern die bohren manches mörderschwert in seine schwarze seele sein schwarzer falscher geist entfährt wie schwefeldampf der höhle er wimmert durch die luft wo sein ein krallenteufel harret drauf ward sein blutendes gebein in eine gruft verscharret die nonne flog wie nacht begann zur kleinen dorfcapelle und riß den wunden rittersmann aus seiner ruhestelle riß ihm das bubenherz heraus recht ihren zorn zu büßen und trat es daß das gotteshaus erschallte mit den füßen ihr geist soll wie die sagen gehn in dieser kirche weilen und bis im dorf die hahnen krähn bald wimmern und bald heulen sobald der seiger zwölfe schlägt rauscht sie an grabsteinwänden aus einer gruft empor und trägt ein blutend herz in händen die tiefen hohlen augen sprühn ein düsterrothes feuer und glühn wie schwefelflammen glühn durch ihren weißen schleyer sie gafft auf das zerrißne herz mit wilder rachgeberde und hebt es dreymal himmelwärts und wirft es auf die erde und rollt die augen voller wuth die eine hölle blicken und schüttelt aus dem schleyer blut und stampft das herz in stücken ein dunkler todtenflimmer macht indeß die fenster helle der wächter der das dorf bewacht sahs in der landcapelle |
Ebenteuer von Ludwig Heinrich Christoph Hölty, 1771 „Ein Mann mit einem Ordensband, / Der Ritter Hardiknut, / Verließ die Stadt, und kam aufs Land, / Wie oft der Städter tut.“ |
1771 | 3006 | ebenteuer von ludwig heinrich christoph hölty von einem ritter der sich in ein mädchen verliebt und wie sich der ritter umbrachte ein mann mit einem ordensband der ritter hardiknut verließ die stadt und kam aufs land wie oft der städter tut von geigern und kastraten fern und vom redoutentanz vertauscht er seinen ordensstern mit einem schäferkranz der schoß der au der wiesenklee verlieh ihm süßre rast als himmelbett und kanapee im fürstlichen palast er irrte täglich durch den hain mit einer brust voll ruh und sah im blumenmond dem reihn der schäferinnen zu stracks war sein herz als er im mai hier röschen sah dahin er liebte bis zur raserei die holde schäferin sie wurden drauf gar bald vertraut was wunder doch er war ein mann von welt und wohlgebaut und röschen achtzehn jahr sie gab durch manchen tränenguß erweichet ihm gehör zuerst bekam er einen kuß zuletzt noch etwas mehr itzt wurde nach des höflings brauch sein busen plötzlich lau er saß nicht mehr am schlehenstrauch mit röschen auf der au des dorfes und des mädchens satt warf er sich auf sein roß flog aus dem dorf kam in die stadt und wieder in sein schloß hier taumelt er von ball zu ball vergaß der rasenbank wo beim getön der nachtigall sein mädchen ihn umschlang sein röschen das auf wiesengrün mit ihren schafen saß sah mann und roß vorüberfliehn indes sie blumen las mein hardiknut mein hardiknut er sah und hörte nicht und drückte sich den reisehut noch tiefer ins gesicht ach jesus ruft sie jesus ach vom schrecken übermannt starrt sie dem falschen buben nach bis mann und roß verschwand und schluchzt und wirft sich in das gras verflucht ihr falschen euch weint ihren schönen busen naß weint ihre wangen bleich kein tanz kein spiel behagt ihr mehr kein abendrot kein west das dörfchen dünkt ihr freudenleer die flur ein vipernnest ein melancholisch heimchen zirpt vor ihrer kammertür und weissagt ihren tod sie stirbt beklaget sie mit mir die dumpfe totenglocke schallt drauf in das dorf man bringt den sarg daher der küster wallt der bahre vor und singt der pfarrer hält ihr den sermon und wünscht dem schatten ruh der diesem jammertal entflohn und klagt und weint dazu man pflanzt ein kreuz mit flittergold bekränzet auf ihr grab und manche herzensträne rollt von jeder wang herab es wurde nacht ein düstrer flor bedeckte tal und höhn auch kam der liebe mond hervor und leuchtete so schön vernehmt nun wies dem ritter ging er lag auf eiderpflaum um welchen roter atlas hing und hatte manchen traum er zittert auf mit blauen licht wird sein gemach erfüllt ein mädchen tritt ihm vors gesicht ins leichentuch verhüllt ach röschen ists das arme kind das hardiknut berückt die rosen ihrer wangen sind vom tode weggepflückt sie legt die eine kalte hand dem ritter auf das kinn und hält ihr weißes grabgewand ihm mit der andern hin blickt drauf den ehrvergeßnen mann den schauer überschleicht dreimal mit hohlen augen an und wimmert und entweicht sie kam drauf jede mitternacht sobald es zwölfe schlug vermummt in die gespenstertracht ins weiße leichentuch der ritter fiel in kurzer zeit drob in melancholei und ward verzehrt von traurigkeit des todes konterfei mit einem dolch bewaffnet floh er aus der stadt und lief zum gottesacker hin allwo das arme röschen schlief sein grab ragt an der kirchhofmaur der landmann der es sieht wenns abend wird fühlt kalten schaur und schlägt ein kreuz und flieht auch pflegt er bis die hahnen krähn den mordstahl in der brust mit glühenden augen umzugehn wie männiglich bewußt |
Hexenlied von Ludwig Heinrich Christoph Hölty, 1776 „Die Schwalbe fliegt, / Der Frühling siegt, / Und spendet uns Blumen zum Kranze! / Bald huschen wir“ |
1776 | 582 | hexenlied von ludwig heinrich christoph hölty die schwalbe fliegt der frühling siegt und spendet uns blumen zum kranze bald huschen wir leis aus der thür und fliegen zum prächtigen tanze ein schwarzer bock ein besenstock die ofengabel der wocken reißt uns geschwind wie bliz und wind durch sausende lüfte zum brocken um belzebub tanzt unser trupp und küßt ihm die dampfenden hände ein geisterschwarm faßt uns beym arm und schwinget im tanzen die brände und belzebub verheißt dem trupp der tanzenden gaben auf gaben sie sollen schön in seide gehn und töpfe voll goldes sich graben die schwalbe fliegt der frühling siegt und blumen entblühn um die wette bald huschen wir leis aus der thür und laßen die männer im bette |
Das Tagebuch von Johann Wolfgang von Goethe, 1810 „Wir hören’s oft und glauben’s wohl am Ende: / Das Menschenherz sei ewig unergründlich, / Und wie man auch sich hin und wider wende, / So sei der Christe wie der Heide sündlich.“Johann Wolfgang von Goethe |
1810 | 7063 | das tagebuch von johann wolfgang von goethe aliam tenui sed iam quum gaudia adirem admonuit dominae deseruitque venus wir hörens oft und glaubens wohl am ende das menschenherz sei ewig unergründlich und wie man auch sich hin und wider wende so sei der christe wie der heide sündlich das beste bleibt wir geben uns die hände und nehmens mit der lehre nicht empfindlich denn zeigt sich auch ein dämon uns versuchend so waltet was gerettet ist die tugend von meiner trauten lange zeit entfernet wies öfters geht nach irdischem gewinne und was ich auch gewonnen und gelernet so hatt ich doch nur immer sie im sinne und wie zu nacht der himmel erst sich sternet erinnrung uns umleuchtet ferner minne so ward im federzug des tags ereignis mit süßen worten ihr ein freundlich gleichnis ich eilte nun zurück zerbrochen sollte mein wagen mich noch eine nacht verspäten schon dacht ich mich wie ich zu hause rollte allein da war geduld und werk vonnöten und wie ich auch mit schmied und wagner tollte sie hämmerten verschmähten viel zu reden ein jedes handwerk hat nun seine schnurren was blieb mir nun zu weilen und zu murren so stand ich nun der stern des nächsten schildes berief mich hin die wohnung schien erträglich ein mädchen kam des seltensten gebildes das licht erleuchtend mir ward gleich behäglich hausflur und treppe sah ich als ein mildes die zimmerchen erfreuten mich unsäglich den sündigen menschen der im freien schwebet die schönheit spinnt sie ists die ihn umwebet nun setzt ich mich zu meiner tasch und briefen und meines tagebuchs genauigkeiten um so wie sonst wenn alle menschen schliefen mir und der trauten freude zu bereiten doch weiß ich nicht die tintenworte liefen nicht so wie sonst in alle kleinigkeiten das mädchen kam des abendessens bürde verteilte sie gewandt mit gruß und würde sie geht und kommt ich spreche sie erwidert mit jedem wort erscheint sie mir geschmückter und wie sie leicht mir nun das huhn zergliedert bewegend hand und arm geschickt geschickter was auch das tolle zeug in uns befiedert genug ich bin verworrner bin verrückter den stuhl umwerfend spring ich auf und fasse das schöne kind sie lispelt lasse lasse die muhme drunten lauscht ein alter drache sie zählt bedächtig des geschäfts minute sie denkt sich unten was ich oben mache bei jedem zögern schwenkt sie frisch die rute doch schließe deine türe nicht und wache so kommt die mitternacht uns wohl zu gute rasch meinem arm entwindet sie die glieder und eilet fort und kommt nur dienend wieder doch blickend auch so daß aus jedem blicke sich himmlisches versprechen mir entfaltet den stillen seufzer drängt sie nicht zurücke der ihren busen herrlicher gestaltet ich sehe daß am ohr um hals und gnicke der flüchtigen röte liebesblüte waltet und da sie nichts zu leisten weiter findet geht sie und zögert sieht sich um verschwindet der mitternacht gehören haus und straßen mir ist ein weites lager aufgebreitet wovon den kleinsten teil mir anzumaßen die liebe rät die alles wohl bereitet ich zaudre noch die kerzen auszublasen nun hör ich sie wie leise sie auch gleitet mit gierigem blick die hochgestalt umschweif ich sie senkt sich her die wohlgestalt ergreif ich sie macht sich los vergönne daß ich rede damit ich dir nicht völlig fremd gehöre der schein ist wider mich sonst war ich blöde stets gegen männer setzt ich mich zur wehre mich nennt die stadt mich nennt die gegend spröde nun aber weiß ich wie das herz sich kehre du bist mein sieger laß dichs nicht verdrießen ich sah ich liebte schwur dich zu genießen du hast mich rein und wenn ichs besser wüßte so gäb ichs dir ich tue was ich sage so schließt sie mich an ihre süßen brüste als ob ihr nur an meiner brust behage und wie ich mund und aug und stirne küßte so war ich doch in wunderbarer lage denn der so hitzig sonst den meister spielet weicht schülerhaft zurück und abgekühlet ihr scheint ein süßes wort ein kuß zu gnügen als wär es alles was ihr herz begehrte wie keusch sie mir mit liebevollem fügen des süßen körpers fülleform gewährte entzückt und froh in allen ihren zügen und ruhig dann als wenn sie nichts entbehrte so ruht ich auch gefällig sie beschauend noch auf den meister hoffend und vertrauend doch als ich länger mein geschick bedachte von tausend flüchen mir die seele kochte mich selbst verwünschend grinsend mich belachte nichts besser ward wie ich auch zaudern mochte da lag sie schlafend schöner als sie wachte die lichter dämmerten mit langem dochte der tagesarbeit jugendlicher mühe gesellt sich gern der schlaf und nie zu frühe so lag sie himmlisch an bequemer stelle als wenn das lager ihr allein gehörte und an die wand gedrückt gequetscht zur hölle ohnmächtig jener dem sie nichts verwehrte vom schlangenbisse fällt zunächst der quelle ein wandrer so den schon der durst verzehrte sie atmet lieblich holdem traum entgegen er hält den atem sie nicht aufzuregen gefaßt bei dem was ihm noch nie begegnet spricht er zu sich so mußt du doch erfahren warum der bräutigam sich kreuzt und segnet vor nestelknüpfen scheu sich zu bewahren weit lieber da wos hellebarden regnet als hier im schimpf so war es nicht vor jahren als deine herrin dir zum ersten male vors auge trat im prachterhellten saale da quoll dein herz da quollen deine sinnen so daß der ganze mensch entzückt sich regte zum raschen tanze trugst du sie von hinnen die kaum der arm und schon der busen hegte als wolltest du dir selbst sie abgewinnen vervielfacht war was sich für sie bewegte verstand und witz und alle lebensgeister und rascher als die andern jener meister so immerfort wuchs neigung und begierde brautleute wurden wir im frühen jahre sie selbst des maien schönste blum und zierde wie wuchs die kraft zur lust im jungen paare und als ich endlich sie zur kirche führte gesteh ichs nur vor priester und altare vor deinem jammerkreuz blutrünstger christe verzeih mirs gott es regte sich der iste und ihr der brautnacht reiche bettgehänge ihr pfühle die ihr euch so breit erstrecktet ihr teppiche die lieb und lustgedränge mit euren seidnen fittichen bedecktet ihr käfigvögel die durch zwitschersänge zu neuer lust und nie zu früh erwecktet ihr kanntet uns von eurem schutz umfriedet teilnehmend sie mich immer unermüdet und wie wir oft sodann im raub genossen nach buhlenart des ehstands heilge rechte von reifer saat umwogt vom rohr umschlossen an manchem unort wo ichs mich erfrechte wir waren augenblicklich unverdrossen und wiederholt bedient vom braven knechte verfluchter knecht wie unerwecklich liegst du und deinen herrn ums schönste glück betriegst du doch meister iste hat nun seine grillen und läßt sich nicht befehlen noch verachten auf einmal ist er da und ganz im stillen erhebt er sich zu allen seinen prachten so steht es nun dem wandrer ganz zu willen nicht lechzend mehr am quell zu übernachten er neigt sich hin er will die schläferin küssen allein er stockt er fühlt sich weggerissen wer hat zur kraft ihn wieder aufgestählet als jenes bild das ihm auf ewig teuer mit dem er sich in jugendlust vermählet dort leuchtet her ein frisch erquicklich feuer und wie er erst in ohnmacht sich gequälet so wird nun hier dem starken nicht geheuer er schaudert weg vorsichtig leise leise entzieht er sich dem holden zauberkreise sitzt schreibt ich nahte mich der heimischen pforte entfernen wollten mich die letzten stunden da hab ich nun am sonderbarsten orte mein treues herz aufs neue dir verbunden zum schlusse findest du geheime worte die krankheit erst bewähret den gesunden dies büchlein soll dir manches gute zeigen das beste nur muß ich zuletzt verschweigen da kräht der hahn das mädchen schnell entwindet der decke sich und wirft sich rasch ins mieder und da sie sich so seltsam wiederfindet so stutzt sie blickt und schlägt die augen nieder und da sie ihm zum letzten mal verschwindet im auge bleiben ihm die schönen glieder das posthorn tönt er wirft sich in den wagen und läßt getrost sich zu der liebsten tragen und weil zuletzt bei jeder dichtungsweise moralien uns ernstlich fördern sollen so will auch ich in so beliebtem gleise euch gern bekennen was die verse wollen wir stolpern wohl auf unsrer lebensreise und doch vermögen in der welt der tollen zwei hebel viel aufs irdische getriebe sehr viel die pflicht unendlich mehr die liebe |
Das Veilchen von Johann Wolfgang von Goethe, 1774 „Ein Veilchen auf der Wiese stand / Gebückt in sich und unbekannt; / Es war ein herzigs Veilchen. / Da kam eine junge Schäferin, / Mit leichtem Schritt und munterm Sinn,“ |
1774 | 513 | das veilchen von johann wolfgang von goethe ein veilchen auf der wiese stand gebückt in sich und unbekannt es war ein herzigs veilchen da kam eine junge schäferin mit leichtem schritt und munterm sinn daher daher die wiese her und sang ach denkt das veilchen wär ich nur die schönste blume der natur ach nur ein kleines weilchen bis mich das liebchen abgepflückt und an dem busen matt gedrückt ach nur ach nur ein viertelstündchen lang ach aber ach das mädchen kam und nicht in acht das veilchen nahm ertrat das arme veilchen es sank und starb und freut sich noch und sterb ich denn so sterb ich doch durch sie durch sie zu ihren füßen doch |
Der Edelknabe und die Müllerin von Johann Wolfgang von Goethe, 1827 „Wohin? Wohin? / Schöne Müllerin! / Wie heißt du? / Liese.“ |
1827 | 660 | der edelknabe und die müllerin von johann wolfgang von goethe edelknabe wohin wohin schöne müllerin wie heißt du müllerin liese edelknabe wohin denn wohin mit dem rechen in der hand müllerin auf des vaters land auf des vaters wiese edelknabe und gehst so allein müllerin das heu soll herein das bedeutet der rechen und im garten daran fangen die birnen zu reifen an die will ich brechen edelknabe ist nicht eine stille laube dabei müllerin sogar ihrer zwei an beiden ecken edelknabe ich komme dir nach und am heißen mittag wollen wir uns drein verstecken nicht wahr im grünen vertraulichen haus müllerin das gäbe geschichten edelknabe ruhst du in meinen armen aus müllerin mitnichten denn wer die artige müllerin küßt auf der schwelle verraten ist euer schönes dunkles kleid tät mir leid so weiß zu färben gleich und gleich so allein ists recht darauf will ich leben und sterben ich liebe mir den müllerknecht an dem ist nichts zu verderben |
Der Fischer von Johann Wolfgang von Goethe, 1778 „Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll, / Ein Fischer saß daran, / Sah nach dem Angel ruhevoll, / Kühl bis an’s Herz hinan:“ |
1778 | 810 | der fischer von johann wolfgang von goethe das wasser rauscht das wasser schwoll ein fischer saß daran sah nach dem angel ruhevoll kühl bis ans herz hinan und wie er sitzt und wie er lauscht theilt sich die fluth empor aus dem bewegten wasser rauscht ein feuchtes weib hervor sie sang zu ihm sie sprach zu ihm was lockst du meine brut mit menschenwitz und menschenlist hinauf in todesgluth ach wüßtest du wies fischlein ist so wohlig auf dem grund du stiegst herunter wie du bist und würdest erst gesund labt sich die liebe sonne nicht der mond sich nicht im meer kehrt wellenathmend ihr gesicht nicht doppelt schöner her lockt dich der tiefe himmel nicht das feucht verklärte blau lockt dich dein eigen angesicht nicht her in ewgen tau das wasser rauscht das wasser schwoll netzt ihm den nackten fuß sein herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll wie bey der liebsten gruß sie sprach zu ihm sie sang zu ihm da wars um ihn geschehn halb zog sie ihn halb sank er hin und ward nicht mehr gesehn |
Der getreue Eckart von Johann Wolfgang von Goethe, 1813 „»O wären wir weiter, o wär ich zu Haus! / Sie kommen, da kommt schon der nächtliche Graus; / Sie sind’s, die unholdigen Schwestern. / Sie streifen heran, und sie finden uns hier, / Sie trinken das mühsam geholte, das Bier,“ |
1813 | 1709 | der getreue eckart von johann wolfgang von goethe o wären wir weiter o wär ich zu haus sie kommen da kommt schon der nächtliche graus sie sinds die unholdigen schwestern sie streifen heran und sie finden uns hier sie trinken das mühsam geholte das bier und lassen nur leer uns die krüge so sprechen die kinder und drücken sich schnell da zeigt sich vor ihnen ein alter gesell nur stille kind kinderlein stille die hulden sie kommen von durstiger jagd und laßt ihr sie trinken wies jeder behagt dann sind sie euch hold die unholden gesagt so geschehn und da naht sich der graus und siehet so grau und so schattenhaft aus doch schlürft es und schlampft es aufs beste das bier ist verschwunden die krüge sind leer nun saust es und braust es das wütige heer ins weite getal und gebirge die kinderlein ängstlich gen hause so schnell gesellt sich zu ihnen der fromme gesell ihr püppchen nur seid mir nicht traurig wir kriegen nun schelten und streich bis aufs blut nein keineswegs alles geht herrlich und gut nur schweiget und horchet wie mäuslein und der es euch anrät und der es befiehlt er ist es der gern mit den kindelein spielt der alte getreue der eckart vom wundermann hat man euch immer erzählt nur hat die bestätigung jedem gefehlt die habt ihr nun köstlich in händen sie kommen nach hause sie setzen den krug ein jedes den eltern bescheiden genug und harren der schläg und der schelten doch siehe man kostet ein herrliches bier man trinkt in die runde schon dreimal und vier und noch nimmt der krug nicht ein ende das wunder es dauert zum morgenden tag doch fraget wer immer zu fragen vermag wie ists mit den krügen ergangen die mäuslein sie lächeln im stillen ergetzt sie stammeln und stottern und schwatzen zuletzt und gleich sind vertrocknet die krüge und wenn euch ihr kinder mit treuem gesicht ein vater ein lehrer ein aldermann spricht so horchet und folget ihm pünktlich und liegt auch das zünglein in peinlicher hut verplaudern ist schädlich verschweigen ist gut dann füllt sich das bier in den krügen |
Der Gott und die Bajadere von Johann Wolfgang von Goethe, 1797 „Mahadöh, der Herr der Erde, / Kommt herab zum sechstenmal, / Dass er uns’res gleichen werde, / Mit zu fühlen Freud’ und Qual.“ |
1797 | 2848 | der gott und die bajadere von johann wolfgang von goethe mahadöh der herr der erde kommt herab zum sechstenmal dass er unsres gleichen werde mit zu fühlen freud und qual er bequemt sich hier zu wohnen lässt sich alles selbst geschehn soll er strafen oder schonen muss er menschen menschlich sehn und hat er die stadt sich als wandrer betrachtet die grossen belauert auf kleine geachtet verlässt er sie abends um weiter zu gehn als er nun hinaus gegangen wo die letzten häuser sind sieht er mit gemalten wangen ein verlornes schönes kind grüss dich jungfrau dank der ehre wart ich komme gleich hinaus und wer bist du bajadere und dies ist der liebe haus sie rührt sich die cimbeln zum tanze du schlagen sie weiss sich so lieblich im kreise zu tragen sie neigt sich und biegt sich und reicht ihm den strauss schmeichelnd zieht sie ihn zur schwelle lebhaft ihn ins haus hinein schöner fremdling lampenhelle soll sogleich die hütte sein bist du müd ich will dich laben lindern deiner füsse schmerz was du willst das sollst du haben ruhe freuden oder scherz sie lindert geschäftig geheuchelte leiden der göttliche lächelt er siehet mit freuden durch tiefes verderben ein menschliches herz und er fordert sklavendienste immer heitrer wird sie nur und des mädchens frühe künste werden nach und nach natur und so stellet auf die blüte bald und bald die frucht sich ein ist gehorsam im gemüte wird nicht fern die liebe sein aber sie schärfer und schärfer zu prüfen wählet der kenner der höhen und tiefen lust und entsetzen und grimmige pein und er küsst die bunten wangen und sie fühlt der liebe qual und das mädchen steht gefangen und sie weint zum erstenmal sinkt zu seinen füssen nieder nicht um wollust noch gewinnst ach die gelenken glieder sie versagen allen dienst und so zu des lagers vergnüglicher feier bereiten den dunklen behaglichen schleier die nächtlichen stunden das schöne gespinst spät entschlummert unter scherzen früh erwacht nach kurzer rast findet sie an ihrem herzen tod den vielgeliebten gast schreiend stürzt sie auf ihn nieder aber nicht erweckt sie ihn und man trägt die starren glieder bald zur flammengrube hin sie höret die priester die totengesänge sie raset und rennet und teilet die menge wer bist du was drängt zu der grube dich hin bei der bahre stürzt sie nieder ihr geschrei durchdringt die luft meinen gatten will ich wieder und ich such ihn in der gruft soll zur asche mir zerfallen dieser glieder götterpracht mein er war es mein vor allen ach nur eine süsse nacht es singen die priester wir tragen die alten nach langem ermatten und spätem erkalten wir tragen die jugend noch eh sies gedacht höre deiner priester lehre dieser war dein gatte nicht lebst du doch als bajadere und so hast du keine pflicht nur dem körper folgt der schatten in das stille totenreich nur die gattin folgt dem gatten das ist pflicht und ruhm zugleich ertöne drommete zu heiliger klage o nehmet ihr götter die zierde der tage o nehmet den jüngling in flammen zu euch so das chor das ohn erbarmen mehret ihres herzens not und mit ausgestreckten armen springt sie in den heissen tod doch der götterjüngling hebet aus der flamme sich empor und in seinen armen schwebet die geliebte mit hervor es freut sich die gottheit der reuigen sünder unsterbliche heben verlorene kinder mit feurigen armen zum himmel empor |
Der König in Thule von Johann Wolfgang von Goethe, 1774 „Es war ein König in Thule, / Gar treu bis an das Grab, / Dem sterbend seine Buhle / Einen goldnen Becher gab.“ |
1774 | 525 | der könig in thule von johann wolfgang von goethe es war ein könig in thule gar treu bis an das grab dem sterbend seine buhle einen goldnen becher gab es ging ihm nichts darüber er leert ihn jeden schmaus die augen gingen ihm über so oft er trank daraus und als er kam zu sterben zählt er seine städt im reich gönnt alles seinen erben den becher nicht zugleich er saß beim königsmahle die ritter um ihn her auf hohem vätersaale dort auf dem schloß am meer dort stand der alte zecher trank letzte lebensglut und warf den heilgen becher hinunter in die flut er sah ihn stürzen trinken und sinken tief ins meer die augen täten ihm sinken trank nie einen tropfen mehr |
Der Müllerin Verrat von Johann Wolfgang von Goethe, 1797/98 „Woher der Freund so früh und schnelle, / Da kaum der Tag im Osten graut? / Hat er sich in der Waldkapelle, / So kalt und frisch es ist, erbaut?“ |
1797 | 2231 | der müllerin verrat von johann wolfgang von goethe woher der freund so früh und schnelle da kaum der tag im osten graut hat er sich in der waldkapelle so kalt und frisch es ist erbaut es starret ihm der bach entgegen mag er mit willen barfuß gehn was flucht er seinen morgensegen durch die beschneiten wilden höhn ach wohl er kommt vom warmen bette wo er sich andern spaß versprach und wenn er nicht den mantel hätte wie schrecklich wäre seine schmach es hat ihn jener schalk betrogen und ihm den bündel abgepackt der arme freund ist ausgezogen und fast wie adam bloß und nackt warum auch schlich er diese wege nach einem solchen äpfelpaar das freilich schön im mühlgehege so wie im paradiese war er wird den scherz nicht leicht erneuen er drückte schnell sich aus dem haus und bricht auf einmal nun im freien in bittre laute klagen aus ich las in ihren feuerblicken nicht eine silbe von verrat sie schien mit mir sich zu entzücken und sann auf solche schwarze tat konnt ich in ihren armen träumen wie meuchlerisch der busen schlug sie hieß den holden amor säumen und günstig war er uns genug sich meiner liebe zu erfreuen der nacht die nie ein ende nahm und erst die mutter anzuschreien nun eben als der morgen kam da drang ein dutzend anverwandten herein ein wahrer menschenstrom da kamen vettern guckten tanten es kam ein bruder und ein ohm das war ein toben war ein wüten ein jeder schien ein andres tier sie forderten des mädchens blüten mit schrecklichem geschrei von mir was dringt ihr alle wie von sinnen auf den unschuldgen jüngling ein denn solche schätze zu gewinnen da muß man viel behender sein weiß amor seinem schönen spiele doch immer zeitig nachzugehn er läßt fürwahr nicht in der mühle die blumen sechzehn jahre stehn sie raubten nun das kleiderbündel und wollten auch den mantel noch wie nur so viel verflucht gesindel im engen hause sich verkroch nun sprang ich auf und tobt und fluchte gewiß durch alle durchzugehn ich sah noch einmal die verruchte und ach sie war noch immer schön sie alle wichen meinem grimme es flog noch manches wilde wort da macht ich mich mit donnerstimme noch endlich aus der höhle fort man soll euch mädchen auf dem lande wie mädchen aus den städten fliehn so lasset doch den fraun von stande die lust die diener auszuziehn doch seid ihr auch von den geübten und kennt ihr keine zarte pflicht so ändert immer die geliebten doch sie verraten müßt ihr nicht so singt er in der winterstunde wo nicht ein armes hälmchen grünt ich lache seiner tiefen wunde denn wirklich ist sie wohlverdient so geh es jedem der am tage sein edles liebchen frech betriegt und nachts mit allzu kühner wage zu amors falscher mühle kriecht |
Der Rattenfänger von Johann Wolfgang von Goethe, 1802 „Ich bin der wohlbekannte Sänger, / Der vielgereiste Rattenfänger, / Den diese altberühmte Stadt / Gewiß besonders nötig hat.“ |
1802 | 642 | der rattenfänger von johann wolfgang von goethe ich bin der wohlbekannte sänger der vielgereiste rattenfänger den diese altberühmte stadt gewiß besonders nötig hat und wärens ratten noch so viele und wären wiesel mit im spiele von allen säubr ich diesen ort sie müssen miteinander fort dann ist der gutgelaunte sänger mitunter auch ein kinderfänger der selbst die wildesten bezwingt wenn er die goldnen märchen singt und wären knaben noch so trutzig und wären mädchen noch so stutzig in meine saiten greif ich ein sie müssen alle hinterdrein dann ist der vielgewandte sänger gelegentlich ein mädchenfänger in keinem städtchen langt er an wo ers nicht mancher angetan und wären mädchen noch so blöde und wären weiber noch so spröde doch allen wird so liebebang bei zaubersaiten und gesang |
Der Sänger von Johann Wolfgang von Goethe, 1783 „Was hör ich draußen vor dem Tor, / Was auf der Brücke schallen? / Laß den Gesang vor unserm Ohr / Im Saale widerhallen!“ |
1783 | 1061 | der sänger von johann wolfgang von goethe was hör ich draußen vor dem tor was auf der brücke schallen laß den gesang vor unserm ohr im saale widerhallen der könig sprachs der page lief der knabe kam der könig rief laßt mir herein den alten gegrüßet seid mir edle herrn gegrüßt ihr schöne damen welch reicher himmel stern bei stern wer kennet ihre namen im saal voll pracht und herrlichkeit schließt augen euch hier ist nicht zeit sich staunend zu ergetzen der sänger drückt die augen ein und schlug in vollen tönen die ritter schauten mutig drein und in den schoß die schönen der könig dem das lied gefiel ließ ihn zu ehren für sein spiel eine goldne kette holen die goldne kette gib mir nicht die kette gib den rittern vor deren kühnem angesicht der feinde lanzen splittern gib sie dem kanzler den du hast und laß ihn noch die goldne last zu andern lasten tragen ich singe wie der vogel singt der in den zweigen wohnet das lied das aus der kehle dringt ist lohn der reichlich lohnet doch darf ich bitten bitt ich eins laß mir den besten becher weins in purem golde reichen er setzt ihn an er trank ihn aus o trank voll süßer labe o wohl dem hochbeglückten haus wo das ist kleine gabe ergehts euch wohl so denkt an mich und danket gott so warm als ich für diesen trunk euch danke |
Der Schatzgräber von Johann Wolfgang von Goethe, 1797 „Arm am Beutel, krank am Herzen, / Schleppt ich meine langen Tage. / Armuth ist die größte Plage, / Reichthum ist das höchste Gut!“ |
1797 | 1028 | der schatzgräber von johann wolfgang von goethe arm am beutel krank am herzen schleppt ich meine langen tage armuth ist die größte plage reichthum ist das höchste gut und zu enden meine schmerzen ging ich einen schatz zu graben meine seele sollst du haben schrieb ich hin mit eignem blut und so zog ich kreis um kreise stellte wunderbare flammen kraut und knochenwerk zusammen die beschwörung war vollbracht und auf die gelernte weise grub ich nach dem alten schatze auf dem angezeigten platze schwarz und stürmisch war die nacht und ich sah ein licht von weiten und es kam gleich einem sterne hinten aus der fernsten ferne eben als es zwölfe schlug und da galt kein vorbereiten heller wards mit einemmale von dem glanz der vollen schale die ein schöner knabe trug holde augen sah ich blinken unter dichtem blumenkranze in des trankes himmelsglanze trat er in den kreis herein und er hieß mich freundlich trinken und ich dacht es kann der knabe mit der schönen lichten gabe wahrlich nicht der böse sein trinke muth des reinen lebens dann verstehst du die belehrung kommst mit ängstlicher beschwörung nicht zurück an diesen ort grabe hier nicht mehr vergebens tages arbeit abends gäste saure wochen frohe feste sei dein künftig zauberwort |
Der Totentanz von Johann Wolfgang von Goethe, 1813 „Der Türmer, der schaut zu Mitten der Nacht / Hinab auf die Gräber in Lage; / Der Mond, der hat alles ins Helle gebracht; / Der Kirchhof, er liegt wie am Tage.“ |
1813 | 1659 | der totentanz von johann wolfgang von goethe der türmer der schaut zu mitten der nacht hinab auf die gräber in lage der mond der hat alles ins helle gebracht der kirchhof er liegt wie am tage da regt sich ein grab und ein anderes dann sie kommen hervor ein weib da ein mann in weißen und schleppenden hemden das reckt nun es will sich ergetzen sogleich die knöchel zur runde zum kranze so arm und so jung und so alt und so reich doch hindern die schleppen am tanze und weil hier die scham nun nicht weiter gebeut sie schütteln sich alle da liegen zerstreut die hemdlein über den hügeln nun hebt sich der schenkel nun wackelt das bein gebärden da gibt es vertrackte dann klipperts und klapperts mitunter hinein als schlüg man die hölzlein zum takte das kommt nun dem türmer so lächerlich vor da raunt ihm der schalk der versucher ins ohr geh hole dir einen der laken getan wie gedacht und er flüchtet sich schnell nun hinter geheiligte türen der mond und noch immer er scheinet so hell zum tanz den sie schauderlich führen doch endlich verlieret sich dieser und der schleicht eins nach dem andern gekleidet einher und husch ist es unter dem rasen nur einer der trippelt und stolpert zuletzt und tappet und grapst an den grüften doch hat kein geselle so schwer ihn verletzt er wittert das tuch in den lüften er rüttelt die turmtür sie schlägt ihn zurück geziert und gesegnet dem türmer zum glück sie blinkt von metallenen kreuzen das hemd muß er haben da rastet er nicht da gilt auch kein langes besinnen den gotischen zierat ergreift nun der wicht und klettert von zinne zu zinnen nun ists um den armen den türmer getan es ruckt sich von schnörkel zu schnörkel hinan langbeinigen spinnen vergleichbar der türmer erbleichet der türmer erbebt gern gäb er ihn wieder den laken da häkelt jetzt hat er am längsten gelebt den zipfel ein eiserner zacken schon trübet der mond sich verschwindenden scheins die glocke sie donnert ein mächtiges eins und unten zerschellt das gerippe |
Der untreue Knabe von Johann Wolfgang von Goethe, 1774/75 „Es war ein Knabe frech genung, / War erst aus Frankreich kommen; / Der hatt’ ein armes Mädel jung / Gar oft in Arm genommen,“ |
1774 | 1103 | der untreue knabe von johann wolfgang von goethe es war ein knabe frech genung war erst aus frankreich kommen der hatt ein armes mädel jung gar oft in arm genommen und liebgekost und liebgeherzt als bräutigam herumgescherzt und endlich sie verlassen das braune mädel das erfuhr vergingen ihr die sinnen sie lacht und weint und bett und schwur so fuhr die seel von hinnen die stund da sie verschieden war wird bang dem buben graust sein haar es treibt ihn fort zu pferde er gab die sporen kreuz und quer und ritt auf alle seiten herüber hinüber hin und her kann keine ruh erreiten reitt sieben tag und sieben nacht es blitzt und donnert stürmt und kracht die fluten reißen über und reitt in blitz und wetterschein gemäuerwerk entgegen bindt s pferd hauß an und kriecht hinein und duckt sich vor dem regen und wie er tappt und wie er fühlt sich unter ihm die erd erwühlt er stürzt wohl hundert klafter und als er sich ermannt vom schlag sieht er drei lichtlein schleichen er rafft sich auf und krabbelt nach die lichtlein ferne weichen irrführen ihn die quer und läng trepp auf trepp ab durch enge gäng verfallne wüste keller auf einmal steht er hoch im saal sieht sitzen hundert gäste hohläugig grinsen allzumal und winken ihm zum feste er sieht sein schätzel untenan mit weißen tüchern angetan die wendt sich |
Der Zauberlehrling von Johann Wolfgang von Goethe, 1797 „Hat der alte Hexenmeister / Sich doch einmal wegbegeben! / Und nun sollen seine Geister / Auch nach meinem Willen leben.“ |
1797 | 1968 | der zauberlehrling von johann wolfgang von goethe hat der alte hexenmeister sich doch einmal wegbegeben und nun sollen seine geister auch nach meinem willen leben seine wort´ und werke merkt ich und den brauch und mit geistesstärke tu ich wunder auch walle walle manche strecke daß zum zwecke wasser fließe und mit reichem vollem schwalle zu dem bade sich ergieße und nun komm du alter besen nimm die schlechten lumpenhüllen bist schon lange knecht gewesen nun erfülle meinen willen auf zwei beinen stehe oben sei ein kopf eile nun und gehe mit dem wassertopf walle walle manche strecke daß zum zwecke wasser fließe und mit reichem vollem schwalle zu dem bade sich ergieße seht er läuft zum ufer nieder wahrlich ist schon an dem flusse und mit blitzesschnelle wieder ist er hier mit raschem gusse schon zum zweiten male wie das becken schwillt wie sich jede schale voll mit wasser füllt stehe stehe denn wir haben deiner gaben vollgemessen ach ich merk es wehe wehe hab ich doch das wort vergessen ach das wort worauf am ende er das wird was er gewesen ach er läuft und bringt behende wärst du doch der alte besen immer neue güsse bringt er schnell herein ach und hundert flüsse stürzen auf mich ein nein nicht länger kann ichs lassen will ihn fassen das ist tücke ach nun wird mir immer bänger welche miene welche blicke o du ausgeburt der hölle soll das ganze haus ersaufen seh ich über jede schwelle doch schon wasserströme laufen ein verruchter besen der nicht hören will stock der du gewesen steh doch wieder still willsts am ende gar nicht lassen will dich fassen will dich halten und das alte holz behende mit dem scharfen beile spalten seht da kommt er schleppend wieder wie ich mich nur auf dich werfe gleich o kobold liegst du nieder krachend trifft die glatte schärfe wahrlich brav getroffen seht er ist entzwei und nun kann ich hoffen und ich atme frei wehe wehe beide teile stehn in eile schon als knechte völlig fertig in die höhe helft mir ach ihr hohen mächte und sie laufen naß und nässer wirds im saal und auf den stufen welch entsetzliches gewässer herr und meister hör mich rufen ach da kommt der meister herr die not ist groß die ich rief die geister werd ich nun nicht los in die ecke besen besen seids gewesen denn als geister ruft euch nur zu diesem zwecke erst hervor der alte meister |
Die Braut von Korinth von Johann Wolfgang von Goethe, 1797 „Nach Korinthus von Athen gezogen / Kam ein Jüngling, dort noch unbekannt. / Einen Bürger hofft’ er sich gewogen; / Beide Väter waren gastverwandt,“ |
1797 | 5420 | die braut von korinth von johann wolfgang von goethe nach korinthus von athen gezogen kam ein jüngling dort noch unbekannt einen bürger hofft er sich gewogen beide väter waren gastverwandt hatten frühe schon töchterchen und sohn braut und bräutigam voraus genannt aber wird er auch willkommen scheinen wenn er teuer nicht die gunst erkauft er ist noch ein heide mit den seinen und sie sind schon christen und getauft keimt ein glaube neu wird oft lieb und treu wie ein böses unkraut ausgerauft und schon lag das ganze haus im stillen vater töchter nur die mutter wacht sie empfängt den gast mit bestem willen gleich ins prunkgemach wird er gebracht wein und essen prangt eh er es verlangt so versorgend wünscht sie gute nacht aber bei dem wohlbestellten essen wird die lust der speise nicht erregt müdigkeit läßt speis und trank vergessen daß er angekleidet sich aufs bette legt und er schlummert fast als ein seltner gast sich zur offnen tür herein bewegt denn er sieht bei seiner lampe schimmer tritt mit weißem schleier und gewand sittsam still ein mädchen in das zimmer um die stirn ein schwarz und goldnes band wie sie ihn erblickt hebt sie die erschrickt mit erstaunen eine weiße hand bin ich rief sie aus so fremd im hause daß ich von dem gaste nichts vernahm ach so hält man mich in meiner klause und nun überfällt mich hier die scham ruhe nur so fort auf dem lager dort und ich gehe schnell so wie ich kam bleibe schönes mädchen ruft der knabe rafft von seinem lager sich geschwind hier ist ceres hier ist bacchus gabe und du bringst den amor liebes kind bist vor schrecken blaß liebe komm und laß laß uns sehn wie froh die götter sind ferne bleib o jüngling bleibe stehen ich gehöre nicht den freuden an schon der letzte schritt ist ach geschehen durch der guten mutter kranken wahn die genesend schwur jugend und natur sei dem himmel künftig untertan und der alten götter bunt gewimmel hat sogleich das stille haus geleert unsichtbar wird einer nur im himmel und ein heiland wird am kreuz verehrt opfer fallen hier weder lamm noch stier aber menschenopfer unerhört und er fragt und wäget alle worte deren keines seinem geist entgeht ist es möglich daß am stillen orte die geliebte braut hier vor mir steht sei die meine nur unsrer väter schwur hat vom himmel segen uns erfleht mich erhältst du nicht du gute seele meiner zweiten schwester gönnt man dich wenn ich mich in stiller klause quäle ach in ihren armen denk an mich die an dich nur denkt die sich liebend kränkt in die erde bald verbirgt sie sich nein bei dieser flamme seis geschworen gütig zeigt sie hymen uns voraus bist der freude nicht und mir verloren kommst mit mir in meines vaters haus liebchen bleibe hier feire gleich mit mir unerwartet unsern hochzeitschmaus und schon wechseln sie der treue zeichen golden reicht sie ihm die kette dar und er will ihr eine schale reichen silbern künstlich wie nicht eine war die ist nicht für mich doch ich bitte dich eine locke gib von deinem haar eben schlug die dumpfe geisterstunde und nun schien es ihr erst wohl zu sein gierig schlürfte sie mit blassem munde nun den dunkel blutgefärbten wein doch vom weizenbrot das er freundlich bot nahm sie nicht den kleinsten bissen ein und dem jüngling reichte sie die schale der wie sie nun hastig lüstern trank liebe fordert er beim stillen mahle ach sein armes herz war liebekrank doch sie widersteht wie er immer fleht bis er weinend auf das bette sank und sie kommt und wirft sich zu ihm nieder ach wie ungern seh ich dich gequält aber ach berührst du meine glieder fühlst du schaudernd was ich dir verhehlt wie der schnee so weiß aber kalt wie eis ist das liebchen das du dir erwählt heftig faßt er sie mit starken armen von der liebe jugendkraft durchmannt hoffe doch bei mir noch zu erwarmen wärst du selbst mir aus dem grab gesandt wechselhauch und kuß liebesüberfluß brennst du nicht und fühlest mich entbrannt liebe schließet fester sie zusammen tränen mischen sich in ihre lust gierig saugt sie seines mundes flammen eins ist nur im andern sich bewußt seine liebeswut wärmt ihr starres blut doch es schlagt kein herz in ihrer brust unterdessen schleichet auf dem gange häuslich spät die mutter noch vorbei horchet an der tür und horchet lange welch ein sonderbarer ton es sei klag und wonnelaut bräutigams und braut und des liebestammelns raserei unbeweglich bleibt sie an der türe weil sie erst sich überzeugen muß und sie hört die höchsten liebesschwüre lieb und schmeichelworte mit verdruß still der hahn erwacht aber morgen nacht bist du wieder da und kuß auf kuß länger hält die mutter nicht das zürnen öffnet das bekannte schloß geschwind gibt es hier im hause solche dirnen die dem fremden gleich zu willen sind so zur tür hinein bei der lampe schein sieht sie gott sie sieht ihr eigen kind und der jüngling will im ersten schrecken mit des mädchens eignem schleierflor mit dem teppich die geliebte decken doch sie windet gleich sich selbst hervor wie mit geists gewalt hebet die gestalt lang und langsam sich im bett empor mutter mutter spricht sie hohle worte so mißgönnt ihr mir die schöne nacht ihr vertreibt mich von dem warmen orte bin ich zur verzweiflung nur erwacht ists euch nicht genug daß ins leichentuch daß ihr früh mich in das grab gebracht aber aus der schwerbedeckten enge treibet mich ein eigenes gericht eurer priester summende gesänge und ihr segen haben kein gewicht salz und wasser kühlt nicht wo jugend fühlt ach die erde kühlt die liebe nicht dieser jüngling war mir erst versprochen als noch venus heitrer tempel stand mutter habt ihr doch das wort gebrochen weil ein fremd ein falsch gelübd euch band doch kein gott erhört wenn die mutter schwört zu versagen ihrer tochter hand aus dem grabe werd ich ausgetrieben noch zu suchen das vermißte gut noch den schon verlornen mann zu lieben und zu saugen seines herzens blut ists um den geschehn muß nach andern gehn und das junge volk erliegt der wut schöner jüngling kannst nicht länger leben du versiechest nun an diesem ort meine kette hab ich dir gegeben deine locke nehm ich mit mir fort sieh sie an genau morgen bist du grau und nur braun erscheinst du wieder dort höre mutter nun die letzte bitte einen scheiterhaufen schichte du öffne meine bange kleine hütte bring in flammen liebende zur ruh wenn der funke sprüht wenn die asche glüht eilen wir den alten göttern zu |
Die erste Walpurgisnacht von Johann Wolfgang von Goethe, 1799 „Es lacht der Mai! / Der Wald ist frei / Von Eis und Reifgehänge. / Der Schnee ist fort; / Am grünen Ort / Erschallen Lustgesänge.“ |
1799 | 2124 | die erste walpurgisnacht von johann wolfgang von goethe ein druide es lacht der mai der wald ist frei von eis und reifgehänge der schnee ist fort am grünen ort erschallen lustgesänge ein reiner schnee liegt auf der höh doch eilen wir nach oben begehn den alten heilgen brauch allvater dort zu loben die flamme lodre durch den rauch so wird das herz erhoben die druiden die flamme lodre durch den rauch begeht den alten heilgen brauch allvater dort zu loben hinauf hinauf nach oben einer aus dem volke könnt ihr so verwegen handeln wollt ihr denn zum tode wandeln kennet ihr nicht die gesetze unsrer harten überwinder rings gestellt sind ihre netze auf die heiden auf die sünder ach sie schlachten auf dem walle unsre weiber unsre kinder und wir alle nahen uns gewissem falle chor der weiber auf des lagers hohem walle schlachten sie schon unsre kinder ach die strengen überwinder und wir alle nahen uns gewissem falle ein druide wer opfer heut zu bringen scheut verdient erst seine bande der wald ist frei das holz herbei und schichtet es zum brande doch bleiben wir im buschrevier am tage noch im stillen und männer stellen wir zur hut um eurer sorge willen dann aber lasst mit frischem mut uns unsre pflicht erfüllen chor der wächter verteilt euch wackre männer hier durch dieses ganze waldrevier und wachet hier im stillen wenn sie die pflicht erfüllen ein wächter diese dumpfen pfaffenchristen lasst uns keck sie überlisten mit dem teufel den sie fabeln wollen wir sie selbst erschrecken kommt mit zacken und mit gabeln und mit glut und klapperstöcken lärmen wir bei nächtger weile durch die engen felsenstrecken kauz und eule heul in unser rundgeheule ein druide so weit gebracht dass wir bei nacht allvater heimlich singen doch ist es tag sobald man mag ein reines herz dir bringen du kannst zwar heut und manche zeit dem feinde viel erlauben die flamme reinigt sich vom rauch so reinig unsern glauben und raubt man uns den alten brauch dein licht wer will es rauben ein christlicher wächter hilf ach hilf mir kriegsgeselle ach es kommt die ganze hölle sieh wie die verhexten leiber durch und durch von flamme glühen menschenwölf und drachenweiber die im flug vorüberziehen welch entsetzliches getöse lasst uns lasst uns alle fliehen oben flammt und saust der böse aus dem boden dampfet rings ein höllenbroden chor der christlichen wächter schreckliche verhexte leiber menschenwölf und drachenweiber welch entsetzliches getöse sieh da flammt da zieht der böse aus dem boden dampfet rings ein höllenbroden chor der druiden die flamme reinigt sich vom rauch so reinig unsern glauben und raubt man uns den alten brauch dein licht wer kann es rauben |
Die Spinnerin von Johann Wolfgang von Goethe, 1795 (?) „Als ich still und ruhig spann, / Ohne nur zu stocken, / Trat ein schöner junger Mann / Nahe mir zum Rocken.“ |
1795 | 612 | die spinnerin von johann wolfgang von goethe als ich still und ruhig spann ohne nur zu stocken trat ein schöner junger mann nahe mir zum rocken lobte was zu loben war sollte das was schaden mein dem flachse gleiches haar und den gleichen faden ruhig war er nicht dabei ließ es nicht beim alten und der faden riß entzwei den ich lang erhalten und des flachses steingewicht gab noch viele zahlen aber ach ich konnte nicht mehr mit ihnen prahlen als ich sie zum weber trug fühlt ich was sich regen und mein armes herze schlug mit geschwindern schlagen nun beim heißen sonnenstich bring ichs auf die bleiche und mit mühe bück ich mich nach dem nächsten teiche was ich in dem kämmerlein still und fein gesponnen kommt wie kann es anders sein endlich an die sonnen |
Die wandelnde Glocke von Johann Wolfgang von Goethe, 1813 „Es war ein Kind, das wollte nie / Zur Kirche sich bequemen, / Und sonntags fand es stets ein Wie, / Den Weg ins Feld zu nehmen.“ |
1813 | 730 | die wandelnde glocke von johann wolfgang von goethe es war ein kind das wollte nie zur kirche sich bequemen und sonntags fand es stets ein wie den weg ins feld zu nehmen die mutter sprach »die glocke tönt und so ist dirs befohlen und hast du dich nicht hingewöhnt sie kommt und wird dich holen« das kind es denkt die glocke hängt da droben auf dem stuhle schon hats den weg ins feld gelenkt als lief es aus der schule die glocke glocke tönt nicht mehr die mutter hat gefackelt doch welch ein schrecken hinterher die glocke kommt gewackelt sie wackelt schnell man glaubt es kaum das arme kind im schrecken es lauft es kommt als wie im traum die glocke wird es decken doch nimmt es richtig seinen husch und mit gewandter schnelle eilt es durch anger feld und busch zur kirche zur kapelle und jeden sonn und feiertag gedenkt es an den schaden läßt durch den ersten glockenschlag nicht in person sich laden |
Erlkönig von Johann Wolfgang von Goethe, 1780/1782 „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? / Es ist der Vater mit seinem Kind; / Er hat den Knaben wohl in dem Arm, / Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.“ |
1780 | 1057 | erlkönig von johann wolfgang von goethe wer reitet so spät durch nacht und wind es ist der vater mit seinem kind er hat den knaben wohl in dem arm er faßt ihn sicher er hält ihn warm mein sohn was birgst du so bang dein gesicht siehst vater du den erlkönig nicht den erlenkönig mit kron und schweif mein sohn es ist ein nebelstreif du liebes kind komm geh mit mir gar schöne spiele spiel ich mit dir manch bunte blumen sind an dem strand meine mutter hat manch gülden gewand mein vater mein vater und hörest du nicht was erlenkönig mir leise verspricht sei ruhig bleibe ruhig mein kind in dürren blättern säuselt der wind willst feiner knabe du mit mir gehn meine töchter sollen dich warten schön meine töchter führen den nächtlichen reihn und wiegen und tanzen und singen dich ein mein vater mein vater und siehst du nicht dort erlkönigs töchter am düstern ort mein sohn mein sohn ich seh es genau es scheinen die alten weiden so grau ich liebe dich mich reizt deine schöne gestalt und bist du nicht willig so brauch ich gewalt mein vater mein vater jetzt faßt er mich an erlkönig hat mir ein leids getan dem vater grausets er reitet geschwind er hält in armen das ächzende kind erreicht den hof mit mühe und not in seinen armen das kind war tot |
Gefunden von Johann Wolfgang von Goethe, 1813 „Ich ging im Walde / So für mich hin, / Und nichts zu suchen / Das war mein Sinn.“ |
1813 | 391 | gefunden von johann wolfgang von goethe ich ging im walde so für mich hin und nichts zu suchen das war mein sinn im schatten sah ich ein blümchen stehn wie sterne leuchtend wie äuglein schön ich wollt es brechen da sagt es fein soll ich zum welken gebrochen sein ich grubs mit allen den würzlein aus zum garten trug ichs am hübschen haus und pflanzt es wieder am stillen ort nun zweigt es immer und blüht so fort |
Harzreise im Winter von Johann Wolfgang von Goethe, 1777 „Dem Geier gleich, / Der auf schweren Morgenwolken / Mit sanftem Fittich ruhend / Nach Beute schaut, / Schwebe mein Lied!“ |
1777 | 1823 | harzreise im winter von johann wolfgang von goethe dem geier gleich der auf schweren morgenwolken mit sanftem fittich ruhend nach beute schaut schwebe mein lied denn ein gott hat jedem seine bahn vorgezeichnet die der glückliche rasch zum freudigen ziele rennt wem aber unglück das herz zusammenzog er sträubt vergebens sich gegen die schranken des ehernen fadens den die doch bittre schere nur einmal löst in dickichtsschauer drängt sich das rauhe wild und mit den sperlingen haben längst die reichen in ihre sümpfe sich gesenkt leicht ists folgen dem wagen den fortuna führt wie der gemächliche troß auf gebesserten wegen hinter des fürsten einzug aber abseits wer ists ins gebüsch verliert sich sein pfad hinter ihm schlagen die sträuche zusammen das gras steht wieder auf die öde verschlingt ihn ach wer heilet die schmerzen deß dem balsam zu gift ward der sich menschenhaß aus der fülle der liebe trank erst verachtet nun ein verächter zehrt er heimlich auf seinen eignen wert in ungnügender selbstsucht ist auf deinem psalter vater der liebe ein ton seinem ohre vernehmlich so erquicke sein herz offne den umwölkten blick über die tausend quellen neben dem durstenden in der wüste der du der freuden viel schaffst jedem ein überfließend maß segne die brüder der jagd auf der fährte des wilds mit jugendlichem übermut fröhlicher mordsucht späte rächer des unbills dem schon jahre vergeblich wehrt mit knütteln der bauer aber den einsamen hüll in deine goldwolken umgib mit wintergrün bis die rose wieder heranreift die feuchten haare o liebe deines dichters mit der dämmernden fackel leuchtest du ihm durch die furten bei nacht über grundlose wege auf öden gefilden mit dem tausendfarbigen morgen lachst du ins herz ihm mit dem beizenden sturm trägst du ihn hoch empor winterströme stürzen vom felsen in seine psalmen und altar des lieblichsten danks wird ihm des gefürchteten gipfels schneebehangener scheitel den mit geisterreihen kränzten ahnende völker du stehst mit unerforschtem busen geheimnisvoll offenbar über der erstaunten welt und schaust aus wolken auf ihre reiche und herrlichkeit die du aus den adern deiner brüder neben dir wässerst |
Heidenröslein von Johann Wolfgang von Goethe, 1771 „Sah ein Knab’ ein Röslein stehn, / Röslein auf der Heiden, / War so jung und morgenschön, / Lief er schnell es nah zu sehn,“ |
1771 | 494 | heidenröslein von johann wolfgang von goethe sah ein knab ein röslein stehn röslein auf der heiden war so jung und morgenschön lief er schnell es nah zu sehn sahs mit vielen freuden röslein röslein röslein roth röslein auf der heiden knabe sprach ich breche dich röslein auf der heiden röslein sprach ich steche dich daß du ewig denkst an mich und ich wills nicht leiden röslein röslein röslein roth röslein auf der heiden und der wilde knabe brach s röslein auf der heiden röslein wehrte sich und stach half ihr doch kein weh und ach mußte es eben leiden röslein röslein röslein roth röslein auf der heiden |
Hochzeitlied von Johann Wolfgang von Goethe, 1802 „Wir singen und sagen vom Grafen so gern, / Der hier in dem Schlosse gehauset, / Da, wo ihr den Enkel des seligen Herrn, / Den heute vermählten, beschmauset.“ |
1802 | 2348 | hochzeitlied von johann wolfgang von goethe wir singen und sagen vom grafen so gern der hier in dem schlosse gehauset da wo ihr den enkel des seligen herrn den heute vermählten beschmauset nun hatte sich jener im heiligen krieg zu ehren gestritten durch mannigen sieg und als er zu hause vom rösselein stieg da fand er sein schlösselein oben doch diener und habe zerstoben da bist du nun gräflein da bist du zu haus das heimische findest du schlimmer zum fenster da ziehen die winde hinaus sie kommen durch alle die zimmer was wäre zu tun in der herbstlichen nacht so hab ich doch manche noch schlimmer vollbracht der morgen hat alles wohl besser gemacht drum rasch bei der mondlichen helle ins bett in das stroh ins gestelle und als er im willigen schlummer so lag bewegt es sich unter dem bette die ratte die raschle solange sie mag ja wenn sie ein bröselein hätte doch siehe da stehet ein winziger wicht ein zwerglein so zierlich mit ampelenlicht mit rednergebärden und sprechergewicht zum fuß des ermüdeten grafen der schläft er nicht möcht er doch schlafen wir haben uns feste hier oben erlaubt seitdem du die zimmer verlassen und weil wir dich weit in der ferne geglaubt so dachten wir eben zu prassen und wenn du vergönnest und wenn dir nicht graut so schmausen die zwerge behaglich und laut zu ehren der reichen der niedlichen braut der graf im behagen des traumes bedienet euch immer des raumes da kommen drei reiter sie reiten hervor die unter dem bette gehalten dann folget ein singendes klingendes chor possierlicher kleiner gestalten und wagen auf wagen mit allem gerät daß einem so hören als sehen vergeht wies nur in den schlössern der könige steht zuletzt auf vergoldetem wagen die braut und die gäste getragen so rennet nun alles in vollem galopp und kürt sich im saale sein plätzchen zum drehen und walzen und lustigen hopp erkieset sich jeder ein schätzchen da pfeift es und geigt es und klinget und klirrt da ringelts und schleift es und rauschet und wirrt da pisperts und knisterts und flisterts und schwirrt das gräflein es blicket hinüber es dünkt ihn als läg er im fieber nun dappelts und rappelts und klapperts im saal von bänken und stühlen und tischen da will nun ein jeder am festlichen mahl sich neben dem liebchen erfrischen sie tragen die würste die schinken so klein und braten und fisch und geflügel herein es kreiset beständig der köstliche wein das toset und koset so lange verschwindet zuletzt mit gesange und sollen wir singen was weiter geschehn so schweige das toben und tosen denn was er so artig im kleinen gesehn erfuhr er genoß er im großen trompeten und klingender singender schall und wagen und reiter und bräutlicher schwall sie kommen und zeigen und neigen sich all unzählige selige leute so ging es und geht es noch heute |
Johanna Sebus von Johann Wolfgang von Goethe, 1809 „Der Damm zerreißt, das Feld erbraust, / Die Fluten spülen, die Fläche saust. / »Ich trage dich, Mutter, durch die Flut, / Noch reicht sie nicht hoch, ich wate gut.« –“ |
1809 | 1761 | johanna sebus von johann wolfgang von goethe zum andenken der siebzehnjährigen schönen guten aus dem dorfe brienen die am 13 januar 1809 bei dem eisgange des rheins und dem großen bruche des dammes von cleverham hilfe reichend unterging der damm zerreißt das feld erbraust die fluten spülen die fläche saust ich trage dich mutter durch die flut noch reicht sie nicht hoch ich wate gut auch uns bedenke bedrängt wir sind die hausgenossin drei arme kind die schwache frau du gehst davon sie trägt die mutter durchs wasser schon zum bühle da rettet euch harret derweil gleich kehr ich zurück uns allen ist heil zum bühl ists noch trocken und wenige schritt doch nehmt auch mir meine ziege mit der damm zerschmilzt das feld erbraust die fluten wühlen die fläche saust sie setzt die mutter auf sicheres land schön suschen gleich wieder zur flut gewandt wohin wohin die breite schwoll des wassers ist hüben und drüben voll verwegen ins tiefe willst du hinein sie sollen und müssen gerettet sein der damm verschwindet die welle braust eine meereswoge sie schwankt und saust schön suschen schreitet gewohnten steg umströmt auch gleitet sie nicht vom weg erreicht den bühl und die nachbarin doch der und den kindern kein gewinn der damm verschwand ein meer erbrausts den kleinen hügel im kreis umsausts da gähnet und wirbelt der schäumende schlund und ziehet die frau mit den kindern zu grund das horn der ziege erfaßt das ein so sollten sie alle verloren sein schön suschen steht noch strack und gut wer rettet das junge das edelste blut schön suschen steht noch wie ein stern doch alle werber sind alle fern rings um sie her ist wasserbahn kein schifflein schwimmet zu ihr heran noch einmal blickt sie zum himmel hinauf da nehmen die schmeichelnden fluten sie auf kein damm kein feld nur hier und dort bezeichnet ein baum ein turm den ort bedeckt ist alles mit wasserschwall doch suschens bild schwebt überall das wasser sinkt das land erscheint und überall wird schön suschen beweint und dem sei wers nicht singt und sagt im leben und tod nicht nachgefragt |
Legende vom Hufeisen von Johann Wolfgang von Goethe, 1797 „Als noch, verkannt und sehr gering, / unser Herr auf der Erde ging, / und viele Jünger sich zu ihm fanden, / die sehr selten sein Wort verstanden,“ |
1797 | 1858 | legende vom hufeisen von johann wolfgang von goethe als noch verkannt und sehr gering unser herr auf der erde ging und viele jünger sich zu ihm fanden die sehr selten sein wort verstanden liebt er sich gar über die maßen seinen hof zu halten auf der straßen weil unter des himmels angesicht man immer besser und freier spricht er ließ sie da die höchsten lehren aus seinem heiligen munde hören besonders durch gleichnis und exempel macht er einen jeden markt zum tempel so schlendert er in geistes ruh mit ihnen einst einem städtchen zu sah etwas blinken auf der straß das ein zerbrochen hufeisen was er sagte zu sankt peter drauf heb doch einmal das eisen auf sankt peter war nicht aufgeräumt er hatte soeben im gehen geträumt so was vom regiment der welt was einem jeden wohlgefällt denn im kopf hat das keine schranken das waren so seine liebsten gedanken nun war der fund ihm viel zu klein hätte müssen kron und zepter sein aber wie sollt er seinen rücken nach einem halben hufeisen bücken er also sich zur seite kehrt und tut als hätt ers nicht gehört der herr nach seiner langmut drauf hebt selber das hufeisen auf und tut auch weiter nicht dergleichen als sie nun bald die stadt erreichen geht er vor eines schmiedes tür nimmt von dem mann drei pfennig dafür und als sie über den markt nun gehen sieht er daselbst schöne kirschen stehen kauft ihrer so wenig oder so viel als man für einen dreier geben will die er sodann nach seiner art ruhig im ärmel aufbewahrt nun gings zum andern tor hinaus durch wies und felder ohne haus auch war der weg von bäumen bloß die sonne schien die hitz war groß so daß man viel an solcher stätt für einen trunk wasser gegeben hätt der herr geht immer voraus vor allen läßt unversehens eine kirsche fallen sankt peter war gleich dahinter her als wenn es ein goldner apfel wär das beerlein schmeckte seinem gaum der herr nach einem kleinen raum ein ander kirschlein zur erde schickt wonach sankt peter schnell sich bückt so läßt der herr ihn seinen rücken gar vielmal nach den kirschen bücken das dauert eine ganze zeit dann sprach der herr mit heiterkeit tätst du zur rechten zeit dich regen hättst dus bequemer haben mögen wer geringe ding wenig achtt sich um geringere mühe macht |
Mignon von Johann Wolfgang von Goethe, 1782 „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, / Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn, / Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, / Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,“ |
1782 | 595 | mignon von johann wolfgang von goethe kennst du das land wo die zitronen blühn im dunkeln laub die goldorangen glühn ein sanfter wind vom blauen himmel weht die myrte still und hoch der lorbeer steht kennst du es wohl dahin dahin möcht ich mit dir o mein geliebter ziehn kennst du das haus auf säulen ruht sein dach es glänzt der saal es schimmert das gemach und marmorbilder stehn und sehn mich an was hat man dir du armes kind getan kennst du es wohl dahin dahin möcht ich mit dir o mein beschützer ziehn kennst du den berg und seinen wolkensteg das maultier sucht im nebel seinen weg in höhlen wohnt der drachen alte brut es stürzt der fels und über ihn die flut kennst du ihn wohl dahin dahin geht unser weg o vater laß uns ziehn |
Ritter Kurt’s Brautfahrt von Johann Wolfgang von Goethe, 1802 „Mit des Bräutigams Behagen / Schwingt sich Ritter Kurt auf’s Roß, / Zu der Trauung soll’s ihn tragen / Auf der edlen Liebsten Schloß:“ |
1802 | 1003 | ritter kurts brautfahrt von johann wolfgang von goethe mit des bräutigams behagen schwingt sich ritter kurt aufs roß zu der trauung solls ihn tragen auf der edlen liebsten schloß als am öden felsenorte drohend sich ein gegner naht ohne zögern ohne worte schreiten sie zu rascher tat lange schwankt des kampfes welle bis sich kurt im siege freut er entfernt sich von der stelle überwinder und gebleut aber was er bald gewahret in des busches zitterschein mit dem säugling still gepaaret schleicht ein liebchen durch den hain und sie winkt ihm auf das plätzchen lieber herr nicht so geschwind habt ihr nichts an euer schätzchen habt ihr nichts für euer kind ihn durchglühet süße flamme daß er nicht vorbei begehrt und er findet nun die amme wie die jungfrau liebenswert doch er hört die diener blasen denket nun der hohen braut und nun wird auf seinen straßen jahresfest und markt so laut und er wählet in den buden manches pfand zu lieb und huld aber ach da kommen juden mit dem schein vertagter schuld und nun halten die gerichte den behenden ritter auf o verteufelte geschichte heldenhafter lebenslauf soll ich heute mich gedulden die verlegenheit ist groß widersacher weiber schulden ach kein ritter wird sie los |
Vor Gericht von Johann Wolfgang von Goethe, 1776 „Von wem ich es habe, das sag ich euch nicht, / Das Kind! in meinem Leib. / »Pfui!« speit ihr aus: »die Hure da!« / Bin doch ein ehrlich Weib.“ |
1776 | 435 | vor gericht von johann wolfgang von goethe von wem ich es habe das sag ich euch nicht das kind in meinem leib pfui speit ihr aus die hure da bin doch ein ehrlich weib mit wem ich mich traute das sag ich euch nicht mein schatz ist lieb und gut trägt er eine goldene kett am hals trägt er einen strohernen hut soll spott und hohn getragen sein trag ich allein den hohn ich kenn ihn wohl er kennt mich wohl und gott weiß auch davon herr pfarrer und herr amtmann ihr ich bitte laßt mich in ruh es ist mein kind es bleibt mein kind ihr gebt mir ja nichts dazu |
Wandrer und Pächterin von Johann Wolfgang von Goethe, 1802 (?) „Kannst du, schöne Pächt’rin ohne Gleichen, / Unter dieser breiten Schattenlinde, / Wo ich Wandrer kurze Ruhe finde, / Labung mir für Durst und Hunger reichen?“ |
1802 | 1786 | er kannst du schöne pächtrin ohne gleichen unter dieser breiten schattenlinde wo ich wandrer kurze ruhe finde labung mir für durst und hunger reichen sie willst du vielgereister hier dich laben sauren rahm und brod und reife früchte nur die ganz natürlichsten gerichte kannst du reichlich an der quelle haben er ist mir doch ich müßte schon dich kennen unvergeßne zierde holder stunden aehnlichkeiten hab ich oft gefunden diese muß ich doch ein wunder nennen sie ohne wunder findet sich bei wandrern oft ein sehr erklärliches erstaunen ja die blonde gleichet oft der braunen eine reizet eben wie die andern er heute nicht fürwahr zum erstenmale hat mirs diese bildung abgewonnen damals war sie sonne aller sonnen in dem festlich aufgeschmückten saale sie freut es dich so kann es wohl geschehen daß man deinen mährchenscherz vollende purpurseide floß von ihrer lende da du sie zum erstenmal gesehen er nein fürwahr das hast du nicht gedichtet konnten geister dir es offenbaren von juwelen hast du auch erfahren und von perlen die ihr blick vernichtet sie dieses eine ward mir wohl vertrauet daß die schöne schamhaft zu gestehen und in hoffnung wieder dich zu sehen manche schlösser in die luft erbauet er trieben mich umher doch alle winde sucht ich ehr und geld auf jede weise doch gesegnet wenn am schluß der reise ich das edle bildniß wieder finde sie nicht ein bildniß wirklich siehst du jene hohe tochter des verdrängten blutes nun im pachte des verlaßnen gutes mit dem bruder freuet sich helene er aber diese herrlichen gefilde kann sie der besitzer selbst vermeiden reiche felder breite wies und weiden mächtge quellen süße himmelsmilde sie ist er doch in alle welt entlaufen wir geschwister haben viel erworben wenn der gute wie man sagt gestorben wollen wir das hinterlaßne kaufen er wohl zu kaufen ist es meine schöne vom besitzer hört ich die bedinge doch der preis ist keineswegs geringe denn das letzte wort es ist helene sie konnt uns glück und höhe nicht vereinen hat die liebe diesen weg genommen doch ich seh den wackren bruder kommen wenn ers hören wird was kann er meinen |
Wirkung in die Ferne von Johann Wolfgang von Goethe, 1808 „Die Königin steht im hohen Saal, / Da brennen der Kerzen so viele; / Sie spricht zum Pagen: »Du läufst einmal / Und holst mir den Beutel zum Spiele.“ |
1808 | 1263 | wirkung in die ferne von johann wolfgang von goethe die königin steht im hohen saal da brennen der kerzen so viele sie spricht zum pagen du läufst einmal und holst mir den beutel zum spiele er liegt zur hand auf meines tisches rand der knabe der eilt so behende war bald an schlosses ende und neben der königin schlürft zur stund sorbet die schönste der frauen da brach ihr die tasse so hart an dem mund es war ein greuel zu schauen verlegenheit scham ums prachtkleid ists getan sie eilt und fliegt so behende entgegen des schlosses ende der knabe zurück zu laufen kam entgegen der schönen in schmerzen es wußt es niemand doch beide zusamm sie hegten einander im herzen und o des glücks des günstgen geschicks sie warfen mit brust sich zu brüsten und herzten und küßten nach lüsten doch endlich beide sich reißen los sie eilt in ihre gemächer der page drängt sich zur königin groß durch alle die degen und fächer die fürstin entdeckt das westchen befleckt für sie war nichts unerreichbar der königin von saba vergleichbar und sie die hofmeisterin rufen läßt wir kamen doch neulich zu streite und ihr behauptetet steif und fest nicht reiche der geist in die weite die gegenwart nur die lasse wohl spur doch niemand wirk in die ferne sogar nicht die himmlischen sterne nun seht soeben ward mir zur seit der geistige süßtrank verschüttet und gleich darauf hat er dort hinten so weit dem knaben die weste zerrüttet besorg dir sie neu und weil ich mich freu daß sie mir zum beweise gegolten ich zahl sie sonst wirst du gescholten |
Seltha, die Kindermörderin von Gotthold Friedrich Stäudlin, 1776 „Ha! wie getroffen steh‘ ich hier! / Wie ist das Mark, die Seele mir / Von bangem Schaur durchflossen! / Ach weh! es ist dein Blut, mein Kind!“Gotthold Friedrich Stäudlin |
1776 | 1709 | seltha die kindermörderin von gotthold friedrich stäudlin ha wie getroffen steh ich hier wie ist das mark die seele mir von bangem schaur durchflossen ach weh es ist dein blut mein kind das hier an diesem felsen rinnt ach weh ich habs vergossen vergossen mutter kindesblut fühls ganz wie lastend auf dir ruht der fluch vom sündenrächer nimm armes weib nimm aus der hand der rache die von gott gesandt den giftgefüllten becher dich trifft die rache nicht allein auch warthfils harret höllenpein der treulos dich verlassen ha siehst du nicht die furien mit geißeln die den schändlichen an nacken wütend fassen der falsche ach wie liebt ich ihn gab ihm der unschuld blüte hin mit zärtlichen bedauern zertreten ist die blume nun der sie zertrat er floh davon auf neuen raub zu lauern magst buhlen auch in fernem land verräter wirst du doch der hand des richters nicht entfliehen in stunden süßer taumellust wirst fühlen in der bangen brust die ganze hölle glühen in jedem traum mit angst erfüllt wird mein und meines kindes bild dir vor den blicken schweben wirst hören meinen fluch wirst sehn bluttropfen den getöteten an stirn und wange kleben will stehn am lager nächte lang und dir in stürmendem gesang des meineids strafe singen wie donner soll ein jeder schwur von gott gehört und der natur in deine ohren dringen ach wehe da ich fluche dir grausamer vater seh ich hier dein kind zu meinen füßen ich sehe noch um seinen mund entstellt von todesbläss und wund ein süßes lächeln fließen weg leichnam dein gebrochner blick dein totes lächeln heischt zurück von mir von mir dein leben wollt schmachten jahre lang in pein ein scheusal unter menschen sein könnt ich dirs wieder geben so mordet dann mich mörderin nimmt all mein blut mein leben hin was weil ich auf der erde wo meinen blicken überall mein kind erscheint in todesqual mit blutiger gebärde straf richter du und rächer mich erbarme mein erbarmer dich o schon der hoffnungslosen verlaßnen mutter ewig nicht verwirf von deinem angesicht die kindesblut vergossen |
Das Lied von der Glocke von Friedrich Schiller, 1799 „Fest gemauert in der Erden / Steht die Form, aus Lehm gebrannt. / Heute muß die Glocke werden, / Frisch, Gesellen! seyd zur Hand.“Friedrich Schiller |
1799 | 10652 | das lied von der glocke von friedrich schiller vivos voco mortuos plango fulgura frango fest gemauert in der erden steht die form aus lehm gebrannt heute muß die glocke werden frisch gesellen seyd zur hand von der stirne heiß rinnen muß der schweiß soll das werk den meister loben doch der segen kommt von oben zum werke das wir ernst bereiten geziemt sich wohl ein ernstes wort wenn gute reden sie begleiten dann fließt die arbeit munter fort so laßt uns jetzt mit fleiß betrachten was durch die schwache kraft entspringt den schlechten mann muß man verachten der nie bedacht was er vollbringt das ists ja was den menschen zieret und dazu ward ihm der verstand daß er im innern herzen spüret was er erschafft mit seiner hand nehmet holz vom fichtenstamme doch recht trocken laßt es seyn daß die eingepreßte flamme schlage zu dem schwalch hinein kocht des kupfers brey schnell das zinn herbey daß die zähe glockenspeise fließe nach der rechten weise was in des dammes tiefer grube die hand mit feuers hilfe baut hoch auf des thurmes glockenstube da wird es von uns zeugen laut noch dauern wirds in späten tagen und rühren vieler menschen ohr und wird mit dem betrübten klagen und stimmen zu der andacht chor was unten tief dem erdensohne das wechselnde verhängniß bringt das schlägt an die metallne krone die es erbaulich weiter klingt weiße blasen seh ich springen wohl die massen sind im fluß laßts mit aschensalz durchdringen das befördert schnell den guß auch von schaume rein muß die mischung seyn daß vom reinlichen metalle rein und voll die stimme schalle denn mit der freude feyerklange begrüßt sie das geliebte kind auf seines lebens erstem gange den es in schlafes arm beginnt ihm ruhen noch im zeitenschooße die schwarzen und die heitern loose der mutterliebe zarte sorgen bewachen seinen goldnen morgen die jahre fliehen pfeilgeschwind vom mädchen reißt sich stolz der knabe er stürmt ins leben wild hinaus durchmißt die welt am wanderstabe fremd kehrt er heim ins vaterhaus und herrlich in der jugend prangen wie ein gebild aus himmels höhn mit züchtigen verschämten wangen sieht er die jungfrau vor sich stehn da faßt ein namenloses sehnen des jünglings herz er irrt allein aus seinen augen brechen thränen er flieht der brüder wilden reihn erröthend folgt er ihren spuren und ist von ihrem gruß beglückt das schönste sucht er auf den fluren womit er seine liebe schmückt o zarte sehnsucht süßes hoffen der ersten liebe goldne zeit das auge sieht den himmel offen es schwelgt das herz in seligkeit o daß sie ewig grünen bliebe die schöne zeit der jungen liebe wie sich schon die pfeifen bräunen dieses stäbchen tauch ich ein sehn wirs überglast erscheinen wirds zum gusse zeitig seyn jetzt gesellen frisch prüft mir das gemisch ob das spröde mit dem weichen sich vereint zum guten zeichen denn wo das strenge mit dem zarten wo starkes sich und mildes paarten da giebt es einen guten klang drum prüfe wer sich ewig bindet ob sich das herz zum herzen findet der wahn ist kurz die reu ist lang lieblich in der bräute locken spielt der jungfräuliche kranz wenn die hellen kirchenglocken laden zu des festes glanz ach des lebens schönste feyer endigt auch den lebensmay mit dem gürtel mit dem schleyer reißt der schöne wahn entzwey die leidenschaft flieht die liebe muß bleiben die blume verblüht die frucht muß treiben der mann muß hinaus ins feindliche leben muß wirken und streben und pflanzen und schaffen erlisten erraffen muß wetten und wagen das glück zu erjagen da strömet herbey die unendliche gabe es füllt sich der speicher mit köstlicher haabe die räume wachsen es dehnt sich das haus und drinnen waltet die züchtige hausfrau die mutter der kinder und herrschet weise im häuslichen kreise und lehret die mädchen und wehret den knaben und reget ohn ende die fleißigen hände und mehrt den gewinn mit ordnendem sinn und füllet mit schätzen die duftenden laden und dreht um die schnurrende spindel den faden und sammelt im reinlich geglätteten schrein die schimmernde wolle den schneeigten lein und füget zum guten den glanz und den schimmer und ruhet nimmer und der vater mit frohem blick von des hauses weitschauendem giebel ueberzählet sein blühend glück siehet der pfosten ragende bäume und der scheunen gefüllte räume und die speicher vom segen gebogen und des kornes bewegte wogen rühmt sich mit stolzem mund fest wie der erde grund gegen des unglücks macht steht mir des hauses pracht doch mit des geschickes mächten ist kein ewger bund zu flechten und das unglück schreitet schnell wohl nun kann der guß beginnen schön gezacket ist der bruch doch bevor wirs lassen rinnen betet einen frommen spruch stoßt den zapfen aus gott bewahr das haus rauchend in des henkels bogen schießts mit feuerbraunen wogen wohlthätig ist des feuers macht wenn sie der mensch bezähmt bewacht und was er bildet was er schafft das dankt er dieser himmelskraft doch furchtbar wird die himmelskraft wenn sie der fessel sich entrafft einhertritt auf der eignen spur die freye tochter der natur wehe wenn sie losgelassen wachsend ohne widerstand durch die volkbelebten gassen wälzt den ungeheuren brand denn die elemente hassen das gebild der menschenhand aus der wolke quillt der segen strömt der regen aus der wolke ohne wahl zuckt der strahl hört ihrs wimmern hoch vom thurm das ist sturm roth wie blut ist der himmel das ist nicht des tages glut welch getümmel straßen auf dampf wallt auf flackernd steigt die feuersäule durch der straße lange zeile wächst es fort mit windeseile kochend wie aus ofens rachen glühn die lüfte balken krachen pfosten stürzen fenster klirren kinder jammern mütter irren thiere wimmern unter trümmern alles rennet rettet flüchtet taghell ist die nacht gelichtet durch der hände lange kette um die wette fliegt der eimer hoch im bogen sprützen quellen wasserwogen heulend kommt der sturm geflogen der die flamme brausend sucht prasselnd in die dürre frucht fällt sie in des speichers räume in der sparren dürre bäume und als wollte sie im wehen mit sich fort der erde wucht reissen in gewaltger flucht wächst sie in des himmels höhen riesengroß hoffnungslos weicht der mensch der götterstärke müßig sieht er seine werke und bewundernd untergehen leergebrannt ist die stätte wilder stürme rauhes bette in den öden fensterhöhlen wohnt das grauen und des himmels wolken schauen hoch hinein einen blick nach dem grabe seiner haabe sendet noch der mensch zurück greift fröhlich dann zum wanderstabe was feuers wuth ihm auch geraubt ein süßer trost ist ihm geblieben er zählt die häupter seiner lieben und sieh ihm fehlt kein theures haupt in die erd ists aufgenommen glücklich ist die form gefüllt wirds auch schön zu tage kommen daß es fleiß und kunst vergilt wenn der guß mißlang wenn die form zersprang ach vielleicht indem wir hoffen hat uns unheil schon getroffen dem dunkeln schooß der heilgen erde vertrauen wir der hände that vertraut der sämann seine saat und hofft daß sie entkeimen werde zum segen nach des himmels rath noch köstlicheren saamen bergen wir traurend in der erde schooß und hoffen daß er aus den särgen erblühen soll zu schönerm loos von dem dome schwer und bang tönt die glocke grabgesang ernst begleiten ihre trauerschläge einen wandrer auf dem letzten wege ach die gattin ists die theure ach es ist die treue mutter die der schwarze fürst der schatten wegführt aus dem arm des gatten aus der zarten kinder schaar die sie blühend ihm gebahr die sie an der treuen brust wachsen sah mit mutterlust ach des hauses zarte bande sind gelöst auf immerdar denn sie wohnt im schattenlande die des hauses mutter war denn es fehlt ihr treues walten ihre sorge wacht nicht mehr an verwaister stätte schalten wird die fremde liebeleer bis die glocke sich verkühlet laßt die strenge arbeit ruhn wie im laub der vogel spielet mag sich jeder gütlich thun winkt der sterne licht ledig aller pflicht hört der pursch die vesper schlagen meister muß sich immer plagen munter fördert seine schritte fern im wilden forst der wandrer nach der lieben heimathhütte blöckend ziehen heim die schaafe und der rinder breitgestirnte glatte schaaren kommen brüllend die gewohnten ställe füllend schwer herein schwankt der wagen kornbeladen bunt von farben auf den garben liegt der kranz und das junge volk der schnitter fliegt zum tanz markt und straße werden stiller um des lichts gesellge flamme sammeln sich die hausbewohner und das stadtthor schließt sich knarrend schwarz bedecket sich die erde doch den sichern bürger schrecket nicht die nacht die den bösen gräßlich wecket denn das auge des gesetzes wacht heilge ordnung segenreiche himmelstochter die das gleiche frey und leicht und freudig bindet die der städte bau gegründet die herein von den gefilden rief den ungesellgen wilden eintrat in der menschen hütten sie gewöhnt zu sanften sitten und das theuerste der bande wob den trieb zum vaterlande tausend fleißge hände regen helfen sich in munterm bund und in feurigem bewegen werden alle kräfte kund meister rührt sich und geselle in der freyheit heilgem schutz jeder freut sich seiner stelle bietet dem verächter trutz arbeit ist des bürgers zierde segen ist der mühe preis ehrt den könig seine würde ehret uns der hände fleiß holder friede süße eintracht weilet weilet freundlich über dieser stadt möge nie der tag erscheinen wo des rauhen krieges horden dieses stille thal durchtoben wo der himmel den des abends sanfte röthe lieblich malt von der dörfer von der städte wildem brande schrecklich strahlt nun zerbrecht mir das gebäude seine absicht hats erfüllt daß sich herz und auge weide an dem wohlgelungnen bild schwingt den hammer schwingt bis der mantel springt wenn die glock soll auferstehen muß die form in stücken gehen der meister kann die form zerbrechen mit weiser hand zur rechten zeit doch wehe wenn in flammenbächen das glühnde erz sich selbst befreyt blind wüthend mit des donners krachen zersprengt es das geborstne haus und wie aus offnem höllenrachen speyt es verderben zündend aus wo rohe kräfte sinnlos walten da kann sich kein gebild gestalten wenn sich die völker selbst befreyn da kann die wohlfahrt nicht gedeihn weh wenn sich in dem schooß der städte der feuerzunder still gehäuft das volk zerreissend seine kette zur eigenhilfe schrecklich greift da zerret an der glocke strängen der aufruhr daß sie heulend schallt und nur geweiht zu friedensklängen die losung anstimmt zur gewalt freyheit und gleichheit hört man schallen der ruhge bürger greift zur wehr die straßen füllen sich die hallen und würgerbanden ziehn umher da werden weiber zu hyänen und treiben mit entsetzen scherz noch zuckend mit des panthers zähnen zerreissen sie des feindes herz nichts heiliges ist mehr es lösen sich alle bande frommer scheu der gute räumt den platz dem bösen und alle laster walten frey gefährlich ists den leu zu wecken und grimmig ist des tigers zahn jedoch der schrecklichste der schrecken das ist der mensch in seinem wahn weh denen die dem ewigblinden des lichtes himmelsfackel leihn sie leuchtet nicht sie kann nur zünden und äschert stadt und länder ein freude hat mir gott gegeben sehet wie ein goldner stern aus der hülse blank und eben schält sich der metallne kern von dem helm zum kranz spielts wie sonnenglanz auch des wappens nette schilder loben den erfahrnen bilder herein herein gesellen alle schließt den reihen daß wir die glocke taufend weihen concordia soll ihr name seyn zur eintracht zu herzinnigem vereine versammle sie die liebende gemeine und dies sey fortan ihr beruf wozu der meister sie erschuf hoch überm niedern erdenleben soll sie in blauem himmelszelt die nachbarin des donners schweben und gränzen an die sternenwelt soll eine stimme seyn von oben wie der gestirne helle schaar die ihren schöpfer wandelnd loben und führen das bekränzte jahr nur ewigen und ernsten dingen sey ihr metallner mund geweiht und stündlich mit den schnellen schwingen berühr im fluge sie die zeit dem schicksal leihe sie die zunge selbst herzlos ohne mitgefühl begleite sie mit ihrem schwunge des lebens wechselvolles spiel und wie der klang im ohr vergehet der mächtig tönend ihr entschallt so lehre sie daß nichts bestehet daß alles irdische verhallt jetzo mit der kraft des stranges wiegt die glock mir aus der gruft daß sie in das reich des klanges steige in die himmelsluft ziehet ziehet hebt sie bewegt sich schwebt freude dieser stadt bedeute friede sey ihr erst geläute |
Das Siegesfest von Friedrich Schiller, 1803 „Priams Feste war gesunken, / Troja lag in Schutt und Staub, / Und die Griechen, siegestrunken, / Reich beladen mit dem Raub,“ |
1803 | 3942 | das siegesfest von friedrich schiller priams feste war gesunken troja lag in schutt und staub und die griechen siegestrunken reich beladen mit dem raub saßen auf den hohen schiffen längs des hellespontos strand auf der frohen fahrt begriffen nach dem schönen griechenland stimmet an die frohen lieder denn dem väterlichen herd sind die schiffe zugekehrt und zur heimath geht es wieder und in langen reihen klagend saß der trojerinnen schaar schmerzvoll an die brüste schlagend bleich mit aufgelöstem haar in das wilde fest der freuden mischten sie den wehgesang weinend um das eigne leiden in des reiches untergang lebe wohl geliebter boden von der süßen heimath fern folgen wir dem fremden herrn ach wie glücklich sind die todten und den hohen göttern zündet kalchas jetzt das opfer an pallas die die städte gründet und zertrümmert ruft er an und neptun der um die länder seinen wogengürtel schlingt und den zeus den schreckensender der die ägis grausend schwingt ausgestritten ausgerungen ist der lange schwere streit ausgefüllt der kreis der zeit und die große stadt bezwungen atreus sohn der fürst der schaaren übersah der völker zahl die mit ihm gezogen waren einst in des skamanders thal und des kummers finstre wolke zog sich um des königs blick von dem hergeführten volke bracht er wenge nur zurück drum erhebe frohe lieder wer die heimath wieder sieht wem noch frisch das leben blüht denn nicht alle kehren wieder alle nicht die wieder kehren mögen sich des heimzugs freun an den häuslichen altären kann der mord bereitet sein mancher fiel durch freundestücke den die blutge schlacht verfehlt sprachs ulyß mit warnungsblicke von athenens geist beseelt glücklich wem der gattin treue rein und keusch das haus bewahrt denn das weib ist falscher art und die arge liebt das neue und des frisch erkämpften weibes freut sich der atrid und strickt um den reiz des schönen leibes seine arme hochbeglückt böses werk muß untergehen rache folgt der frevelthat denn gerecht in himmelshöhen waltet des kroniden rath böses muß mit bösem enden an dem frevelnden geschlecht rächet zeus das gastesrecht wägend mit gerechten händen wohl dem glücklichen mags ziemen ruft oileus tapfrer sohn die regierenden zu rühmen auf dem hohen himmelsthron ohne wahl vertheilt die gaben ohne billigkeit das glück denn patroklus liegt begraben und thersites kommt zurück weil das glück aus seinen tonnen die geschicke blind verstreut freue sich und jauchze heut wer das lebensloos gewonnen ja der krieg verschlingt die besten ewig werde dein gedacht bruder bei der griechen festen der ein thurm war in der schlacht da der griechen schiffe brannten war in deinem arm das heil doch dem schlauen vielgewandten war der schöne preis zu theil friede deinen heilgen resten nicht der feind hat dich entrafft ajax fiel durch ajax kraft ach der zorn verderbt die besten dem erzeuger jetzt dem großen gießt neoptolem des weins unter allen irdschen loosen hoher vater preis ich deins von des lebens gütern allen ist der ruhm das höchste doch wenn der leib in staub zerfallen lebt der große name noch tapfrer deines ruhmes schimmer wird unsterblich sein im lied denn das irdsche leben flieht und die todten dauern immer weil des liedes stimmen schweigen von dem überwundnen mann so will ich für hektor zeugen hub der sohn des tydeus an der für seine hausaltäre kämpfend ein beschirmer fiel krönt den sieger größre ehre ehret ihn das schönre ziel der für seine hausaltäre kämpfend sank ein schirm und hort auch in feindes munde fort lebt ihm seines namens ehre nestor jetzt der alte zecher der drei menschenalter sah reicht den laubumkränzten becher der bethränten hekuba trink ihn aus den trank der labe und vergiß den großen schmerz wundervoll ist bacchus gabe balsam fürs zerrißne herz trink ihn aus den trank der labe und vergiß den großen schmerz balsam fürs zerrißne herz wundervoll ist bacchus gabe denn auch niobe dem schweren zorn der himmlischen ein ziel kostete die frucht der ähren und bezwang das schmerzgefühl denn so lang die lebensquelle schäumet an der lippen rand ist der schmerz in lethes welle tief versenkt und festgebannt denn so lang die lebensquelle an der lippen rande schäumt ist der jammer weggeträumt fortgespült in lethes welle und von ihrem gott ergriffen hub sich jetzt die seherin blickte von den hohen schiffen nach dem rauch der heimath hin rauch ist alles irdsche wesen wie des dampfes säule weht schwinden alle erdengrößen nur die götter bleiben stät um das roß des reiters schweben um das schiff die sorgen her morgen können wirs nicht mehr darum laßt uns heute leben |
Das verschleierte Bild zu Sais von Friedrich Schiller, 1795 „Ein Jüngling, den des Wissens heißer Durst / Nach Sais in Ägypten trieb, der Priester / Geheime Weisheit zu erlernen, hatte / Schon manchen Grad mit schnellem Geist durcheilt,“ |
1795 | 3021 | das verschleierte bild zu sais von friedrich schiller ein jüngling den des wissens heißer durst nach sais in ägypten trieb der priester geheime weisheit zu erlernen hatte schon manchen grad mit schnellem geist durcheilt stets riß ihn seine forschbegierde weiter und kaum besänftigte der hierophant den ungeduldig strebenden was hab ich wenn ich nicht alles habe sprach der jüngling gibts etwa hier ein weniger und mehr ist deine wahrheit wie der sinne glück nur eine summe die man größer kleiner besitzen kann und immer doch besitzt ist sie nicht eine einzge ungeteilte nimm einen ton aus einer harmonie nimm eine farbe aus dem regenbogen und alles was dir bleibt ist nichts solang das schöne all der töne fehlt und farben indem sie einst so sprachen standen sie in einer einsamen rotonde still wo ein verschleiert bild von riesengröße dem jüngling in die augen fiel verwundert blickt er den führer an und spricht was ists das hinter diesem schleier sich verbirgt die wahrheit ist die antwort wie ruft jener nach wahrheit streb ich ja allein und diese gerade ist es die man mir verhüllt das mache mit der gottheit aus versetzt der hierophant kein sterblicher sagt sie rückt diesen schleier bis ich selbst ihn hebe und wer mit ungeweihter schuldger hand den heiligen verbotnen früher hebt der spricht die gottheit nun der sieht die wahrheit ein seltsamer orakelspruch du selbst du hättest also niemals ihn gehoben ich wahrlich nicht und war auch nie dazu versuchtdas fass ich nicht wenn von der wahrheit nur diese dünne scheidewand mich trennte und ein gesetz fällt ihm sein führer ein gewichtiger mein sohn als du es meinst ist dieser dünne flor für deine hand zwar leicht doch zentnerschwer für dein gewissen der jüngling ging gedankenvoll nach hause ihm raubt des wissens brennende begier den schlaf er wälzt sich glühend auf dem lager und rafft sich auf um mitternacht zum tempel führt unfreiwillig ihn der scheue tritt leicht ward es ihm die mauer zu ersteigen und mitten in das innre der rotonde trägt ein beherzter sprung den wagenden hier steht er nun und grauenvoll umfängt den einsamen die lebenlose stille die nur der tritte hohler widerhall in den geheimen grüften unterbricht von oben durch der kuppel öffnung wirft der mond den bleichen silberblauen schein und furchtbar wie ein gegenwärtger gott erglänzt durch des gewölbes finsternisse in ihrem langen schleier die gestalt er tritt hinan mit ungewissem schritt schon will die freche hand das heilige berühren da zuckt es heiß und kühl durch sein gebein und stößt ihn weg mit unsichtbarem arme unglücklicher was willst du tun so ruft in seinem innern eine treue stimme versuchen den allheiligen willst du kein sterblicher sprach des orakels mund rückt diesen schleier bis ich selbst ihn hebe doch setzte nicht derselbe mund hinzu wer diesen schleier hebt soll wahrheit schauen sei hinter ihm was will ich heb ihn auf er rufts mit lauter stimm ich will sie schauen schauen gellt ihm ein langes echo spottend nach er sprichts und hat den schleier aufgedeckt nun fragt ihr und was zeigte sich ihm hier ich weiß es nicht besinnungslos und bleich so fanden ihn am andern tag die priester am fußgestell der isis ausgestreckt was er allda gesehen und erfahren hat seine zunge nie bekannt auf ewig war seines lebens heiterkeit dahin ihn riß ein tiefer gram zum frühen grabe weh dem dies war sein warnungsvolles wort wenn ungestüme frager in ihn drangen weh dem der zu der wahrheit geht durch schuld sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein |
Der Alpenjäger von Friedrich Schiller, 1804 „Willst du nicht das Lämmlein hüten? / Lämmlein ist so fromm und sanft, / Nährt sich von des Grases Blüten, / Spielend an des Baches Ranft.“ |
1804 | 1249 | der alpenjäger von friedrich schiller willst du nicht das lämmlein hüten lämmlein ist so fromm und sanft nährt sich von des grases blüten spielend an des baches ranft mutter mutter laß mich gehen jagen nach des berges höhen willst du nicht die herde locken mit des hornes munterm klang lieblich tönt der schall der glocken in des waldes lustgesang mutter mutter laß mich gehen schweifen auf den wilden höhen willst du nicht der blümlein warten die im beete freundlich stehn draußen ladet dich kein garten wild ists auf den wilden höhn laß die blümlein laß sie blühen mutter mutter laß mich ziehen und der knabe ging zu jagen und es treibt und reißt ihn fort rastlos fort mit blindem wagen an des berges finstern ort vor ihm her mit windesschnelle flieht die zitternde gazelle auf der felsen nackte rippen klettert sie mit leichtem schwung durch den riß geborstner klippen trägt sie der gewagte sprung aber hinter ihr verwogen folgt er mit dem todesbogen jetzo auf den schroffen zinken hängt sie auf dem höchsten grat wo die felsen jäh versinken und verschwunden ist der pfad unter sich die steile höhe hinter sich des feindes nähe mit des jammers stummen blicken fleht sie zu dem harten mann fleht umsonst denn loszudrücken legt er schon den bogen an plötzlich aus der felsenspalte tritt der geist der bergesalte und mit seinen götterhänden schützt er das gequälte tier mußt du tod und jammer senden ruft er bis herauf zu mir raum für alle hat die erde was verfolgst du meine herde |
Der Gang nach dem Eisenhammer von Friedrich Schiller, 1797 „Ein frommer Knecht war Fridolin, / Und in der Furcht des Herrn / Ergeben der Gebieterin / Der Gräfin von Saverne.“ |
1797 | 6375 | der gang nach dem eisenhammer von friedrich schiller ein frommer knecht war fridolin und in der furcht des herrn ergeben der gebieterin der gräfin von saverne sie war so sanft sie war so gut doch auch der launen uebermuth hätt er geeifert zu erfüllen mit freudigkeit um gotteswillen früh von des tages erstem schein bis spät die vesper schlug lebt er nur ihrem dienst allein that nimmer sich genug und sprach die dame mach dirs leicht da wurd ihm gleich das auge feucht und meinte seiner pflicht zu fehlen durft er sich nicht im dienste quälen drum vor dem ganzen dienertroß die gräfin ihn erhob aus ihrem schönen munde floß sein unerschöpftes lob sie hielt ihn nicht als ihren knecht es gab sein herz ihm kindesrecht ihr klares auge mit vergnügen hing an den anmuthsvollen zügen darob entbrennt in roberts brust des jägers giftger groll ihm längst von böser schadenlust die schwarze seele schwoll und trat zum grafen rasch zur that und offen des verführers rath als einst vom jagen heim sie kamen streut ihm ins herz des argwohns saamen wie seid ihr glücklich edler graf hub er voll arglist an euch raubet nicht den goldnen schlaf des zweifels giftger zahn denn ihr besitzt ein edles weib es gürtet schaam den keuschen leib die fromme treue zu berücken wird nimmer dem versucher glücken da rollt der graf die finstern braun was redst du mir gesell werd ich auf weibestugend baun beweglich wie die well leicht locket sie des schmeichlers mund mein glaube steht auf festerm grund vom weib des grafen von saverne bleibt hoff ich der versucher ferne der andre spricht so denkt ihr recht nur euren spott verdient der thor der ein gebohrner knecht ein solches sich erkühnt und zu der frau die ihm gebeut erhebt der wünsche lüsternheit was fällt ihm jener ein und bebet redst du von einem der da lebet ja doch was aller mund erfüllt das bärg sich meinem herrn doch weil ihrs denn mit fleiß verhüllt so unterdrück ichs gern du bist des todes bube sprich ruft jener streng und fürchterlich wer hebt das aug zu kunigonden nun ja ich spreche von dem blonden er ist nicht häßlich von gestalt fährt er mit arglist fort indems den grafen heiß und kalt durchrieselt bey dem wort ists möglich herr ihr saht es nie wie er nur augen hat für sie bey tafel eurer selbst nicht achtet an ihren stuhl gefesselt schmachtet seht da die verse die er schrieb und seine glut gesteht gesteht und sie um gegenlieb der freche bube fleht die gnädge gräfin sanft und weich aus mitleid wohl verbarg sies euch mich reuet jetzt daß mirs entfahren denn herr was habt ihr zu befahren da ritt in seines zornes wut der graf ins nahe holz wo ihm in hoher oefen glut die eisenstufe schmolz hier nährten früh und spat den brand die knechte mit geschäftger hand der funke sprüht die bälge blasen als gält es felsen zu verglasen des wassers und des feuers kraft verbündet sieht man hier das mühlrad von der flut geraft umwälzt sich für und für die werke klappern nacht und tag im takte pocht der hämmer schlag und bildsam von den mächtgen streichen muß selbst das eisen sich erweichen und zwoen knechten winket er bedeutet sie und sagt den ersten den ich sende her und der euch also fragt habt ihr befolgt des herren wort den werft mir in die hölle dort daß er zu asche gleich vergehe und ihn mein aug nicht weiter sehe des freut sich das entmenschte paar mit roher henkerslust denn fühllos wie das eisen war das herz in ihrer brust und frischer mit der bälge hauch erhitzen sie des ofens bauch und schicken sich mit mordverlangen das todesopfer zu empfangen drauf robert zum gesellen spricht mit falschem heuchelschein frisch auf gesell und säume nicht der herr begehret dein der herr der spricht zu fridolin must gleich zum eisenhammer hin und frage mir die knechte dorten ob sie gethan nach meinen worten und jener spricht es soll geschehn und macht sich flugs bereit doch sinnend bleibt er plötzlich stehn ob sie mir nichts gebeut und vor die gräfin stellt er sich hinaus zum hammer schickt man mich so sag was kann ich dir verrichten denn dir gehören meine pflichten darauf die dame von saverne versetzt mit sanftem ton die heilge messe hört ich gern doch liegt mir krank der sohn so gehe denn mein kind und sprich in andacht ein gebet für mich und denkst du reuig deiner sünden so laß auch mich die gnade finden und froh der vielwillkommnen pflicht macht er im flug sich auf hat noch des dorfes ende nicht erreicht in schnellem lauf da tönt ihm von dem glockenstrang hellschlagend des geläutes klang das alle sünder hochbegnadet zum sakramente festlich ladet dem lieben gotte weich nicht aus findst du ihn auf dem weg er sprichts und tritt ins gotteshaus kein laut ist hier noch reg denn um die aerndte wars und heiß im felde glüht der schnitter fleiß kein chorgehilfe war erschienen die messe kundig zu bedienen entschlossen ist er alsobald und macht den sacristan das spricht er ist kein aufenthalt was fördert himmelan die stola und das cingulum hängt er dem priester dienend um bereitet hurtig die gefäße geheiliget zum dienst der messe und als er dieß mit fleiß gethan tritt er als ministrant dem priester zum altar voran das meßbuch in der hand und knieet rechts und knieet links und ist gewärtig jedes winks und als des sanctus worte kamen da schellt er dreimal bei dem nahmen drauf als der priester fromm sich neigt und zum altar gewandt den gott den gegenwärtgen zeigt in hocherhabner hand da kündet es der sacristan mit hellem glöcklein klingend an und alles kniet und schlägt die brüste sich fromm bekreuzend vor dem christe so übt er jedes pünktlich aus mit schnell gewandtem sinn was brauch ist in dem gotteshaus er hat es alles inn und wird nicht müde bis zum schluß bis beim vobiscum dominus der priester zur gemein sich wendet die heilge handlung segnend endet da stellt er jedes wiederum in ordnung säuberlich erst reinigt er das heiligthum und dann entfernt er sich und eilt in des gewissens ruh den eisenhütten heiter zu spricht unterwegs die zahl zu füllen zwölf paternoster noch im stillen und als er rauchen sieht den schlot und sieht die knechte stehn da ruft er was der graf gebot ihr knechte ists geschehn und grinzend zerren sie den mund und deuten in des ofens schlund der ist besorgt und aufgehoben der graf wird seine diener loben die antwort bringt er seinem herrn in schnellem lauf zurück als der ihn kommen sieht von fern kaum traut er seinem blick unglücklicher wo kommst du her vom eisenhammer nimmermehr so hast du dich im lauf verspätet herr nur so lang bis ich gebetet denn als von eurem angesicht ich heute ging verzeiht da fragt ich erst nach meiner pflicht bei der die mir gebeut die messe herr befahl sie mir zu hören gern gehorcht ich ihr und sprach der rosenkränze viere für euer heil und für das ihre in tiefes staunen sinket hier der graf entsetzet sich und welche antwort wurde dir am eisenhammer sprich herr dunkel war der rede sinn zum ofen wies man lachend hin der ist besorgt und aufgehoben der graf wird seine diener loben und robert fällt der graf ihm ein wird glühend und wird blaß sollt er dir nicht begegnet seyn ich sandt ihn doch die straß herr nicht im wald nicht in der flur fand ich von robert eine spur nun ruft der graf und steht vernichtet gott selbst im himmel hat gerichtet und gütig wie er nie gepflegt nimmt er des dieners hand bringt ihn der gattin tiefbewegt die nichts davon verstand dieß kind kein engel ist so rein laßts eurer huld empfohlen seyn wie schlimm wir auch berathen waren mit dem ist gott und seine schaaren |
Der Graf von Habsburg von Friedrich Schiller, 1803 „Zu Aachen in seiner Kaiserpracht, / Im altertümlichen Saale, / Saß König Rudolfs heilige Macht / Beim festlichen Krönungsmahle.“ |
1803 | 3821 | der graf von habsburg von friedrich schiller zu aachen in seiner kaiserpracht im altertümlichen saale saß könig rudolfs heilige macht beim festlichen krönungsmahle die speisen trug der pfalzgraf des rheins es schenkte der böhme des perlenden weins und alle die wähler die sieben wie der sterne chor um die sonne sich stellt umstanden geschäftig den herrscher der welt die würde des amtes zu üben und rings erfüllte den hohen balkon das volk in freudgem gedränge laut mischte sich in der posaunen ton das jauchzende rufen der menge denn geendigt nach langem verderblichen streit war die kaiserlose die schreckliche zeit und ein richter war wieder auf erden nicht blind mehr waltet der eiserne speer nicht fürchtet der schwache der friedliche mehr des mächtigen beute zu werden und der kaiser ergreift den goldnen pokal und spricht mit zufriedenen blicken wohl glänzet das fest wohl pranget das mahl mein königlich herz zu entzücken doch den sänger vermiß ich den bringer der lust der mit süßem klang mir bewege die brust und mit göttlich erhabenen lehren so hab ichs gehalten von jugend an und was ich als ritter gepflegt und getan nicht will ichs als kaiser entbehren und sieh in der fürsten umgebenden kreis trat der sänger im langen talare ihm glänzte die locke silberweiß gebleicht von der fülle der jahre süßer wohllaut schläft in der saiten gold der sänger singt von der minne sold er preiset das höchste das beste was das herz sich wünscht was der sinn begehrt doch sage was ist des kaisers wert an seinem herrlichsten feste nicht gebieten werd ich dem sänger spricht der herrscher mit lächelndem munde er steht in des größeren herren pflicht er gehorcht der gebietenden stunde wie in den lüften der sturmwind saust man weiß nicht von wannen er kommt und braust wie der quell aus verborgenen tiefen so des sängers lied aus dem innern schallt und wecket der dunkeln gefühle gewalt die im herzen wunderbar schliefen und der sänger rasch in die saiten fällt und beginnt sie mächtig zu schlagen aufs weidwerk hinaus ritt ein edler held den flüchtigen gemsbock zu jagen ihm folgte der knapp mit dem jägergeschoß und als er auf seinem stattlichen roß in eine au kommt geritten ein glöcklein hört er erklingen fern ein priester wars mit dem leib des herrn voran kam der meßner geschritten und der graf zur erde sich neiget hin das haupt mit demut entblößet zu verehren mit glaubigem christensinn was alle menschen erlöset ein bächlein aber rauschte durchs feld von des gießbachs reißenden fluten geschwellt das hemmte der wanderer tritte und beiseit legt jener das sakrament von den füßen zieht er die schuhe behend damit er das bächlein durchschritte was schaffst du redet der graf ihn an der ihn verwundert betrachtet herr ich walle zu einem sterbenden mann der nach der himmelskost schmachtet und da ich mich nahe des baches steg da hat ihn der strömende gießbach hinweg im strudel der wellen gerissen drum daß dem lechzenden werde sein heil so will ich das wässerlein jetzt in eil durchwaten mit nackenden füßen da setzt ihn der graf auf sein ritterlich pferd und reicht ihm die prächtigen zäume daß er labe den kranken der sein begehrt und die heilige pflicht nicht versäume und er selber auf seines knappen tier vergnüget noch weiter des jagens begier der andre die reise vollführet und am nächsten morgen mit dankendem blick da bringt er dem grafen sein roß zurück bescheiden am zügel geführet nicht wolle das gott rief mit demutsinn der graf daß zum streiten und jagen das roß ich beschritte fürderhin das meinen schöpfer getragen und magst dus nicht haben zu eignem gewinst so bleib es gewidmet dem göttlichen dienst denn ich hab es dem ja gegeben von dem ich ehre und irdisches gut zu lehen trage und leib und blut und seele und atem und leben so mög euch gott der allmächtige hort der das flehen der schwachen erhöret zu ehren euch bringen hier und dort so wie ihr jetzt ihn geehret ihr seid ein mächtiger graf bekannt durch ritterlich walten im schweizerland euch blühn sechs liebliche töchter so mögen sie rief er begeistert aus sechs kronen euch bringen in euer haus und glänzen die spätsten geschlechter und mit sinnendem haupt saß der kaiser da als dächt er vergangener zeiten jetzt da er dem sänger ins auge sah da ergreift ihn der worte bedeuten die züge des priesters erkennt er schnell und verbirgt der tränen stürzenden quell in des mantels purpurnen falten und alles blickte den kaiser an und erkannte den grafen der das getan und verehrte das göttliche walten |
Der Handschuh von Friedrich Schiller, 1797 „Vor seinem Löwengarten, / Das Kampfspiel zu erwarten, / Saß König Franz, / Und um ihn die Großen der Krone, / Und rings auf hohem Balkone / Die Damen in schönem Kranz.“ |
1797 | 1561 | der handschuh von friedrich schiller vor seinem löwengarten das kampfspiel zu erwarten saß könig franz und um ihn die großen der krone und rings auf hohem balkone die damen in schönem kranz und wie er winkt mit dem finger aufthut sich der weite zwinger und hinein mit bedächtigem schritt ein löwe tritt und sieht sich stumm rings um mit langem gähnen und schüttelt die mähnen und streckt die glieder und legt sich nieder und der könig winkt wieder da öfnet sich behend ein zweites thor daraus rennt mit wildem sprunge ein tiger hervor wie der den löwen erschaut brüllt er laut schlägt mit dem schweif einen furchtbaren reif und recket die zunge und im kreise scheu umgeht er den leu grimmig schnurrend drauf streckt er sich murrend zur seite nieder und der könig winkt wieder da speit das doppelt geöfnete haus zwey leoparden auf einmal aus die stürzen mit muthiger kampfbegier auf das tigerthier das pakt sie mit seinen grimmigen tatzen und der leu mit gebrüll richtet sich auf da wirds still und herum im kreis von mordsucht heiß lagern sich die greulichen katzen da fällt von des altans rand ein handschuh von schöner hand zwischen den tiger und den leun mitten hinein und zu ritter delorges spottender weis wendet sich fräulein kunigund herr ritter ist eure lieb so heiß wie ihr mirs schwört zu jeder stund ey so hebt mir den handschuh auf und der ritter in schnellem lauf steigt hinab in den furchtbarn zwinger mit festem schritte und aus der ungeheuer mitte nimmt er den handschuh mit keckem finger und mit erstaunen und mit grauen sehens die ritter und edelfrauen und gelassen bringt er den handschuh zurück da schallt ihm sein lob aus jedem munde aber mit zärtlichem liebesblick er verheißt ihm sein nahes glück empfängt ihn fräulein kunigunde und der ritter sich tief verbeugend spricht den dank dame begehr ich nicht und verläßt sie zur selben stunde |
Der Kampf mit dem Drachen von Friedrich Schiller, 1798 „Was rennt das Volk, was wälzt sich dort / Die langen Gassen brausend fort? / Stürzt Rhodus unter Feuers Flammen? / Es rottet sich im Sturm zusammen,“ |
1798 | 8638 | der kampf mit dem drachen von friedrich schiller was rennt das volk was wälzt sich dort die langen gassen brausend fort stürzt rhodus unter feuers flammen es rottet sich im sturm zusammen und einen ritter hoch zu roß gewahr ich aus dem menschentroß und hinter ihm welch abentheuer bringt man geschleppt ein ungeheuer ein drache scheint es von gestalt mit weitem krokodilesrachen und alles blickt verwundert bald den ritter an und bald den drachen und tausend stimmen werden laut das ist der lindwurm kommt und schaut der hirt und heerden uns verschlungen das ist der held der ihn bezwungen viel andre zogen vor ihm aus zu wagen den gewaltgen strauß doch keinen sah man wiederkehren den kühnen ritter soll man ehren und zum pallaste geht der zug wo sankt johanns des täufers orden die ritter des spitals im flug zu rathe sind versammelt worden und vor den edeln meister tritt der großkreuz mit bescheidnem schritt nachdrängt das volk mit wildem rufen erfüllend des geländes stuffen und jener nimmt das wort und spricht ich hab erfüllt die ritterpflicht der drache der das land verödet er liegt von meiner hand getödtet frei ist dem wanderer der weg der hirte treibe ins gefilde froh walle auf dem felsensteg der pilgrim zu dem gnadenbilde doch strenge blickt der fürst ihn an und spricht du hast als held gethan der muth ists der den ritter ehret du hast den kühnen geist bewähret doch sprich was ist die erste pflicht des ritters der für christum ficht sich schmücket mit des kreutzes zeichen und alle rings herum erbleichen doch er mit edelm anstand spricht indem er sich erröthend neiget gehorsam ist die erste pflicht die ihn des schmuckes würdig zeiget und diese pflicht mein sohn versetzt der meister hast du frech verletzt den kampf den das gesetz versaget hast du mit frevlem mut gewaget herr richte wenn du alles weißt spricht jener mit gesetztem geist denn des gesetzes sinn und willen vermeint ich treulich zu erfüllen nicht unbedachtsam zog ich hin das ungeheuer zu bekriegen durch list und kluggewandten sinn versucht ichs in dem kampf zu siegen fünf unsers ordens waren schon die zierden der religion des kühnen muthes opfer worden da wehrtest du den kampf dem orden doch an dem herzen nagte mir der unmuth und die streitbegier ja selbst im traum der stillen nächte fand ich mich keuchend im gefechte und wenn der morgen dämmernd kam und kunde gab von neuen plagen da faßte mich ein wilder gram und ich beschloß es frisch zu wagen und zu mir selber sprach ich dann was schmückt den jüngling ehrt den mann was leisteten die tapfern helden von denen uns die lieder melden die zu der götter glanz und ruhm erhub das blinde heidenthum sie reinigten von ungeheuern die welt in kühnen abentheuern begegneten im kampf dem leun und rangen mit dem minotauren die armen opfer zu befrein und ließen sich das blut nicht dauren ist nur der saracen es werth daß ihn bekämpft des christen schwerdt bekriegt er nur die falschen götter gesandt ist er der welt zum retter von jeder noth und jedem harm befreien muß sein starker arm doch seinen muth muß weißheit leiten und list muß mit der stärke streiten so sprach ich oft und zog allein des raubthiers fährte zu erkunden da flößte mir der geist es ein froh rief ich aus ich habs gefunden und trat zu dir und sprach dieß wort mich zieht es nach der heimat fort du herr willfahrtest meinen bitten und glücklich war das meer durchschnitten kaum stieg ich aus am heimschen strand gleich ließ ich durch des künstlers hand getreu den wohlbemerkten zügen ein drachenbild zusammenfügen auf kurzen füßen wird die last des langen leibes aufgethürmet ein schuppicht panzerhemd umfaßt den rücken den es furchtbar schirmet lang strecket sich der hals hervor und gräßlich wie ein höllenthor als schnappt es gierig nach der beute eröfnet sich des rachens weite und aus dem schwarzen schlunde dräun der zähne stachelichte reihn die zunge gleicht des schwerdtes spitze die kleinen augen sprühen blitze in einer schlange endigt sich des rückens ungeheure länge rollt um sich selber fürchterlich daß es um mann und roß sich schlänge und alles bild ich nach genau und kleid es in ein scheußlich grau halb wurm erschiens halb molch und drache gezeuget in der giftgen lache und als das bild vollendet war erwähl ich mir ein dockenpaar gewaltig schnell von flinken läufen gewohnt den wilden uhr zu greifen die hetz ich auf den lindwurm an erhitze sie zu wildem grimme zu fassen ihn mit scharfem zahn und lenke sie mit meiner stimme und wo des bauches weiches vließ den scharfen bissen blöße ließ da reiz ich sie den wurm zu packen die spitzen zähne einzuhacken ich selbst bewaffnet mit geschoß besteige mein arabisch roß von adelicher zucht entstammet und als ich seinen zorn entflammet rasch auf den drachen spreng ichs los und stachl es mit den scharfen sporen und werfe zielend mein geschoß als wollt ich die gestalt durchbohren ob auch das roß sich grauend bäumt und knirrscht und in den zügel schäumt und meine docken ängstlich stöhnen nicht rast ich bis sie sich gewöhnen so üb ichs aus mit emsigkeit bis dreimal sich der mond erneut und als sie jedes recht begriffen führ ich sie her auf schnellen schiffen der dritte morgen ist es nun daß mirs gelungen hier zu landen den gliedern gönnt ich kaum zu ruhn bis ich das große werk bestanden denn heiß erregte mir das herz des landes frisch erneuter schmerz zerrissen fand man jüngst die hirten die nach dem sumpfe sich verirrten und ich beschließe rasch die that nur von dem herzen nehm ich rath flugs unterricht ich meine knappen besteige den versuchten rappen und von dem edeln dockenpaar begleitet auf geheimen wegen wo meiner that kein zeuge war reit ich dem feinde frisch entgegen das kirchlein kennst du herr das hoch auf eines felsenberges joch der weit die insel überschauet des meisters kühner geist erbauet verächtlich scheint es arm und klein doch ein mirakel schließt es ein die mutter mit dem jesusknaben den die drey könige begaben auf dreimal dreißig stufen steigt der pilgrim nach der steilen höhe doch hat er schwindelnd sie erreicht erquickt ihn seines heilands nähe tief in den fels auf dem es hängt ist eine grotte eingesprengt vom thau des nahen moors befeuchtet wohin des himmels strahl nicht leuchtet hier hausete der wurm und lag den raub erspähend nacht und tag so hielt er wie der höllendrache am fuß des gotteshauses wache und kam der pilgrim hergewallt und lenkte in die unglücksstraße hervorbrach aus dem hinterhalt der feind und trug ihn fort zum fraße den felsen stieg ich jezt hinan eh ich den schweren strauß begann hin kniet ich vor dem christuskinde und reinigte mein herz von sünde drauf gürt ich mir im heiligthum den blanken schmuck der waffen um bewehre mit dem spieß die rechte und nieder steig ich zum gefechte zurücke bleibt der knappen troß ich gebe scheidend die befehle und schwinge mich behend aufs roß und gott empfehl ich meine seele kaum seh ich mich im ebnen plan flugs schlagen meine docken an und bang beginnt das roß zu keuchen und bäumet sich und will nicht weichen denn nahe liegt zum knäul geballt des feindes scheußliche gestalt und sonnet sich auf warmem grunde auf jagen ihn die flinken hunde doch wenden sie sich pfeilgeschwind als es den rachen gähnend theilet und von sich haucht den giftgen wind und winselnd wie der schakal heulet doch schnell erfrisch ich ihren muth sie fassen ihren feind mit wuth indem ich nach des thieres lende aus starker faust den speer versende doch machtlos wie ein dünner stab prallt er vom schuppenpanzer ab und eh ich meinen wurf erneuet da bäumet sich mein roß und scheuet an seinem basiliskenblick und seines athems giftgem wehen und mit entsetzen springts zurück und jetzo wars um mich geschehen da schwing ich mich behend vom roß schnell ist des schwerdtes schneide bloß doch alle streiche sind verloren den felsenharnisch zu durchbohren und wüthend mit des schweifes kraft hat es zur erde mich gerafft schon seh ich seinen rachen gähnen es haut nach mir mit grimmen zähnen als meine hunde wuthentbrannt an seinen bauch mit grimmgen bissen sich warfen daß es heulend stand von ungeheurem schmerz zerrissen und eh es ihren bissen sich entwindet rasch erheb ich mich erspähe mir des feindes blöße und stoße tief ihm ins gekröse nachbohrend bis ans heft den stahl schwarzquellend springt des blutes strahl hin sinkt es und begräbt im falle mich mit des leibes riesenballe daß schnell die sinne mir vergehn und als ich neugestärkt erwache seh ich die knappen um mich stehn und todt im blute liegt der drache des beifalls lang gehemmte lust befreit jetzt aller hörer brust so wie der ritter dieß gesprochen und zehnfach am gewölb gebrochen wälzt der vermischten stimmen schall sich brausend fort im wiederhall laut fodern selbst des ordens söhne daß man die heldenstirne kröne und dankbar im triumphgepräng will ihn das volk dem volke zeigen da faltet seine stirne streng der meister und gebietet schweigen und spricht den drachen der dieß land verheert schlugst du mit tapfrer hand ein gott bist du dem volke worden ein feind kommst du zurück dem orden und einen schlimmern wurm gebahr dein herz als dieser drache war die schlange die das herz vergiftet die zwietracht und verderben stiftet das ist der widerspenstge geist der gegen zucht sich frech empöret der ordnung heilig band zerreißt denn der ists der die welt zerstöret muth zeiget auch der mameluk gehorsam ist des christen schmuck denn wo der herr in seiner größe gewandelt hat in knechtes blöße da stifteten auf heilgem grund die väter dieses ordens bund der pflichten schwerste zu erfüllen zu bändigen den eignen willen dich hat der eitle ruhm bewegt drum wende dich aus meinen blicken denn wer des herren joch nicht trägt darf sich mit seinem kreuz nicht schmücken da bricht die menge tobend aus gewaltger sturm bewegt das haus um gnade flehen alle brüder doch schweigend blickt der jüngling nieder still legt er von sich das gewand und küßt des meisters strenge hand und geht der folgt ihm mit dem blicke dann ruft er liebend ihn zurücke und spricht umarme mich mein sohn dir ist der härtre kampf gelungen nimm dieses kreuz es ist der lohn der demuth die sich selbst bezwungen |
Der Ring des Polykrates von Friedrich Schiller, 1797 „Er stand auf seines Daches Zinnen, / Er schaute mit vergnügten Sinnen, / Auf das beherrschte Samos hin. / Dieß alles ist mir unterthänig, / Begann er zu Egyptens König, / Gestehe daß ich glücklich bin.“ |
1797 | 2835 | der ring des polykrates von friedrich schiller er stand auf seines daches zinnen er schaute mit vergnügten sinnen auf das beherrschte samos hin dieß alles ist mir unterthänig begann er zu egyptens könig gestehe daß ich glücklich bin du hast der götter gunst erfahren die vormals deines gleichen waren sie zwingt jetzt deines scepters macht doch einer lebt noch sie zu rächen dich kann mein mund nicht glücklich sprechen so lang des feindes auge wacht und eh der könig noch geendet da stellt sich von milet gesendet ein bote dem tirannen dar laß herr des opfers düfte steigen und mit des lorbeers muntern zweigen bekränze dir dein festlich haar getroffen sank dein feind vom speere mich sendet mit der frohen mähre dein treuer feldherr polydor und nimmt aus einem schwarzen becken noch blutig zu der beiden schrecken ein wohlbekanntes haupt hervor der könig tritt zurück mit grauen doch warn ich dich dem glück zu trauen versetzt er mit besorgtem blick bedenk auf ungetreuen wellen wie leicht kann sie der sturm zerschellen schwimmt deiner flotte zweifelnd glück und eh er noch das wort gesprochen hat ihn der jubel unterbrochen der von der rhede jauchzend schallt mit fremden schätzen reich beladen kehrt zu den heimischen gestaden der schiffe mastenreicher wald der königliche gast erstaunet dein glück ist heute gut gelaunet doch fürchte seinen unbestand der sparter nie besiegte schaaren bedräuen dich mit kriegsgefahren schon nahe sind sie diesem strand und eh ihm noch das wort entfallen da sieht mans von den schiffen wallen und tausend stimmen rufen sieg von feindesnoth sind wir befreyet die sparter hat der sturm zerstreuet vorbey geendet ist der krieg das hört der gastfreund mit entsetzen fürwahr ich muß dich glücklich schätzen doch spricht er zittr ich für dein heil mir grauet vor der götter neide des lebens ungemischte freude ward keinem irdischen zu theil auch mir ist alles wohl gerathen bey allen meinen herrscherthaten begleitet mich des himmels huld doch hatt ich einen theuren erben den nahm mir gott ich sah ihn sterben dem glück bezahlt ich meine schuld drum willst du dich vor leid bewahren so flehe zu den unsichtbaren daß sie zum glück den schmerz verleyhn noch keinen sah ich frölich enden auf den mit immer vollen händen die götter ihre gaben streun und wenns die götter nicht gewähren so acht auf eines freundes lehren und rufe selbst das unglück her und was von allen deinen schätzen dein herz am höchsten mag ergetzen das nimm und wirfs in dieses meer und jener spricht von furcht beweget von allem was die insel heget ist dieser ring mein höchstes gut ihn will ich den erinnen weihen ob sie mein glück mir dann verzeihen und wirft das kleinod in die flut und bey des nächsten morgens lichte da tritt mit fröhlichem gesichte ein fischer vor den fürsten hin herr diesen fisch hab ich gefangen wie keiner noch ins netz gegangen dir zum geschenke bring ich ihn und als der koch den fisch zertheilet herbey der koch erschrocken eilet und ruft mit hoch erstauntem blick sieh herr den ring den du getragen ihn fand ich in des fisches magen o ohne grenzen ist dein glück hier wendet sich der gast mit grausen so kann ich hier nicht ferner hausen mein freund kannst du nicht weiter seyn die götter wollen dein verderben fort eil ich nicht mit dir zu sterben und sprachs und schiffte schnell sich ein |
Der Taucher von Friedrich Schiller, 1797 „Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp, / Zu tauchen in diesen Schlund? / Einen goldnen Becher werf ich hinab, / Verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.“ |
1797 | 5552 | der taucher von friedrich schiller wer wagt es rittersmann oder knapp zu tauchen in diesen schlund einen goldnen becher werf ich hinab verschlungen schon hat ihn der schwarze mund wer mir den becher kann wieder zeigen er mag ihn behalten er ist sein eigen der könig sprach es und wirft von der höh der klippe die schroff und steil hinaus hängt in die unendliche see den becher in der charybde geheul wer ist der beherzte ich frage wieder zu tauchen in diese tiefe nieder und die ritter die knappen um ihn her vernehmens und schweigen still sehen hinab in das wilde meer und keiner den becher gewinnen will und der könig zum drittenmal wieder fraget ist keiner der sich hinunter waget doch alles noch stumm bleibt wie zuvor und ein edelknecht sanft und keck tritt aus der knappen zagendem chor und den gürtel wirft er den mantel weg und alle die männer umher und frauen auf den herrlichen jüngling verwundert schauen und wie er tritt an des felsen hang und blickt in den schlund hinab die wasser die sie hinunter schlang die charybde jetzt brüllend wiedergab und wie mit des fernen donners getose entstürzen sie schäumend dem finstern schoose und es wallet und siedet und brauset und zischt wie wenn wasser mit feuer sich mengt bis zum himmel sprützet der dampfende gischt und flut auf flut sich ohn ende drängt und will sich nimmer erschöpfen und leeren als wollte das meer noch ein meer gebähren doch endlich da legt sich die wilde gewalt und schwarz aus dem weißen schaum klafft hinunter ein gähnender spalt grundlos als giengs in den höllenraum und reissend sieht man die brandenden wogen hinab in den strudelnden trichter gezogen jetzt schnell eh die brandung zurückekehrt der jüngling sich gott befiehlt und ein schrey des entsetzens wird rings gehört und schon hat ihn der wirbel hinweggespült und geheimnißvoll über dem kühnen schwimmer schließt sich der rachen er zeigt sich nimmer und stille wirds über dem wasserschlund in der tiefe nur brauset es hohl und bebend hört man von mund zu mund hochherziger jüngling fahre wohl und hohler und hohler hört mans heulen und es harrt noch mit bangem mit schrecklichem weilen und wärfst du die krone selber hinein und sprächst wer mir bringet die kron er soll sie tragen und könig seyn mich gelüstete nicht nach dem theuren lohn was die heulende tiefe da unten verhehle das erzählt keine lebende glückliche seele wohl manches fahrzeug vom strudel gefaßt schoß gäh in die tiefe hinab doch zerschmettert nur rangen sich kiel und mast hervor aus dem alles verschlingenden grab und heller und heller wie sturmes sausen hört mans näher und immer näher brausen und es wallet und siedet und brauset und zischt wie wenn wasser mit feuer sich mengt bis zum himmel sprützet der dampfende gischt und well auf well sich ohn ende drängt und wie mit des fernen donners getose entstürzt es brüllend dem finstern schoose und sieh aus dem finster flutenden schooß da hebet sichs schwanenweiß und ein arm und ein glänzender nacken wird bloß und es rudert mit kraft und mit emsigem fleiß und er ists und hoch in seiner linken schwingt er den becher mit freudigem winken und athmete lang und athmete tief und begrüßte das himmlische licht mit frohlocken es einer dem andern rief er lebt er ist da es behielt ihn nicht aus dem grab aus der strudelnden wasserhöhle hat der brave gerettet die lebende seele und er kommt es umringt ihn die jubelnde schaar zu des königs füßen er sinkt den becher reicht er ihm knieend dar und der könig der lieblichen tochter winkt die füllt ihn mit funkelndem wein bis zum rande und der jüngling sich also zum könig wandte lang lebe der könig es freue sich wer da athmet im rosigten licht da unten aber ists fürchterlich und der mensch versuche die götter nicht und begehre nimmer und nimmer zu schauen was sie gnädig bedecken mit nacht und grauen es riß mich hinunter blitzesschnell da stürzt mir aus felsigtem schacht wildflutend entgegen ein reissender quell mich pakte des doppelstroms wüthende macht und wie einen kreisel mit schwindelndem drehen trieb michs um ich konnte nicht widerstehen da zeigte mir gott zu dem ich rief in der höchsten schrecklichen noth aus der tiefe ragend ein felsenrif das erfaßt ich behend und entrann dem tod und da hieng auch der becher an spitzen korallen sonst wär er ins bodenlose gefallen denn unter mir lags noch bergetief in purpurner finsterniß da und obs hier dem ohre gleich ewig schlief das auge mit schaudern hinunter sah wies von salamandern und molchen und drachen sich regte in dem furchtbaren höllenrachen schwarz wimmelten da in grausem gemisch zu scheußlichen klumpen geballt der stachlichte roche der klippenfisch des hammers gräuliche ungestalt und dräuend wies mir die grimmigen zähne der entsetzliche hay des meeres hyäne und da hieng ich und war mirs mit grausen bewußt von der menschlichen hülfe so weit unter larven die einzige fühlende brust allein in der gräßlichen einsamkeit tief unter dem schall der menschlichen rede bey den ungeheuern der traurigen oede und schaudernd dacht ichs da krochs heran regte hundert gelenke zugleich will schnappen nach mir in des schreckens wahn laß ich los der koralle umklammerten zweig gleich faßt mich der strudel mit rasendem toben doch es war mir zum heil er riß mich nach oben der könig darob sich verwundert schier und spricht der becher ist dein und diesen ring noch bestimm ich dir geschmückt mit dem köstlichsten edelgestein versuchst dus noch einmal und bringst mir kunde was du sahst auf des meers tiefunterstem grunde das hörte die tochter mit weichem gefühl und mit schmeichelndem munde sie fleht laßt vater genug seyn das grausame spiel er hat euch bestanden was keiner besteht und könnt ihr des herzens gelüsten nicht zähmen so mögen die ritter den knappen beschämen drauf der könig greift nach dem becher schnell in den strudel ihn schleudert hinein und schaffst du den becher mir wieder zur stell so sollst du der treflichste ritter mir seyn und sollst sie als ehgemahl heut noch umarmen die jetzt für dich bittet mit zartem erbarmen da ergreifts ihm die seele mit himmelsgewalt und es blitzt aus den augen ihm kühn und er siehet erröthen die schöne gestalt und sieht sie erbleichen und sinken hin da treibts ihn den köstlichen preiß zu erwerben und stürzt hinunter auf leben und sterben wohl hört man die brandung wohl kehrt sie zurück sie verkündigt der donnernde schall da bückt sichs hinunter mit liebendem blick es kommen es kommen die wasser all sie rauschen herauf sie rauschen nieder den jüngling bringt keines wieder |
Die Bürgschaft von Friedrich Schiller, 1798 „Zu Dionys dem Tirannen schlich / Möros, den Dolch im Gewande, / Ihn schlugen die Häscher in Bande. / Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!“ |
1798 | 4249 | die bürgschaft von friedrich schiller zu dionys dem tirannen schlich möros den dolch im gewande ihn schlugen die häscher in bande was wolltest du mit dem dolche sprich entgegnet ihm finster der wütherich die stadt vom tyrannen befreien das sollst du am kreutze bereuen ich bin spricht jener zu sterben bereit und bitte nicht um mein leben doch willst du gnade mir geben ich flehe dich um drey tage zeit bis ich die schwester dem gatten gefreit ich lasse den freund dir als bürgen ihn magst du entrinn ich erwürgen da lächelt der könig mit arger list und spricht nach kurzem bedenken drey tage will ich dir schenken doch wisse wenn sie verstrichen die frist eh du zurück mir gegeben bist so muß er statt deiner erblassen doch dir ist die strafe erlassen und er kommt zum freunde der könig gebeut daß ich am kreutz mit dem leben bezahle das frevelnde streben doch will er mir gönnen drey tage zeit bis ich die schwester dem gatten gefreit so bleib du dem könig zum pfande bis ich komme zu lösen die bande und schweigend umarmt ihn der treue freund und liefert sich aus dem tyrannen der andere ziehet von dannen und ehe das dritte morgenroth scheint hat er schnell mit dem gatten die schwester vereint eilt heim mit sorgender seele damit er die frist nicht verfehle da gießt unendlicher regen herab von den bergen stürzen die quellen und die bäche die ströme schwellen und er kommt ans ufer mit wanderndem stab da reisset die brücke der strudel hinab und donnernd sprengen die wogen des gewölbes krachenden bogen und trostlos irrt er an ufers rand wie weit er auch spähet und blicket und die stimme die rufende schicket da stößet kein nachen vom sichern strand der ihn setze an das gewünschte land kein schiffer lenket die fähre und der wilde strom wird zum meere da sinkt er ans ufer und weint und fleht die hände zum zeus erhoben o hemme des stromes toben es eilen die stunden im mittag steht die sonne und wenn sie niedergeht und ich kann die stadt nicht erreichen so muß der freund mir erbleichen doch wachsend erneut sich des stromes wuth und welle auf welle zerrinnet und stunde an stunde entrinnet da treibet die angst ihn da faßt er sich muth und wirft sich hinein in die brausende flut und theilt mit gewaltigen armen den strom und ein gott hat erbarmen und gewinnt das ufer und eilet fort und danket dem rettenden gotte da stürzet die raubende rotte hervor aus des waldes nächtlichem ort den pfad ihm sperrend und schnaubet mord und hemmet des wanderers eile mit drohend geschwungener keule was wollt ihr ruft er für schrecken bleich ich habe nichts als mein leben das muß ich dem könige geben und entreißt die keule dem nächsten gleich um des freundes willen erbarmet euch und drey mit gewaltigen streichen erlegt er die andern entweichen und die sonne versendet glühenden brand und von der unendlichen mühe ermattet sinken die knie o hast du mich gnädig aus räubershand aus dem strom mich gerettet ans heilige land und soll hier verschmachtend verderben und der freund mir der liebende sterben und horch da sprudelt es silberhell ganz nahe wie rieselndes rauschen und stille hält er zu lauschen und sieh aus dem felsen geschwätzig schnell springt murmelnd hervor ein lebendiger quell und freudig bückt er sich nieder und erfrischet die brennenden glieder und die sonne blickt durch der zweige grün und mahlt auf den glänzenden matten der bäume gigantische schatten und zwey wanderer sieht er die straße ziehn will eilenden laufes vorüber fliehn da hört er die worte sie sagen jetzt wird er ans kreutz geschlagen und die angst beflügelt den eilenden fuß ihn jagen der sorge qualen da schimmern in abendroths strahlen von ferne die zinnen von syrakus und entgegen kommt ihm philostratus des hauses redlicher hüter der erkennet entsetzt den gebieter zurück du rettest den freund nicht mehr so rette das eigene leben den tod erleidet er eben von stunde zu stunde gewartet er mit hoffender seele der wiederkehr ihm konnte den muthigen glauben der hohn des tirannen nicht rauben und ist es zu spät und kann ich ihm nicht ein retter willkommen erscheinen so soll mich der tod ihm vereinen deß rühme der blutge tirann sich nicht daß der freund dem freunde gebrochen die pflicht er schlachte der opfer zweye und glaube an liebe und treue und die sonne geht unter da steht er am thor und sieht das kreutz schon erhöhet das die menge gaffend umstehet an dem seile schon zieht man den freund empor da zertrennt er gewaltig den dichten chor mich henker ruft er erwürget da bin ich für den er gebürget und erstaunen ergreifet das volk umher in den armen liegen sich beide und weinen für schmerzen und freude da sieht man kein auge thränenleer und zum könige bringt man die wundermähr der fühlt ein menschliches rühren läßt schnell vor den thron sie führen und blicket sie lange verwundert an drauf spricht er es ist euch gelungen ihr habt das herz mir bezwungen und die treue sie ist doch kein leerer wahn so nehmet auch mich zum genossen an ich sey gewährt mir die bitte in eurem bunde der dritte |
Die Götter Griechenlands von Friedrich Schiller, 1788 „Da ihr noch die schöne Welt regiertet, / an der Freude leichtem Gängelband / glücklichere Menschenalter führtet, / schöne Wesen aus dem Fabelland!“ |
1788 | 5907 | die götter griechenlands von friedrich schiller da ihr noch die schöne welt regiertet an der freude leichtem gängelband glücklichere menschenalter führtet schöne wesen aus dem fabelland ach da euer wonnedienst noch glänzte wie ganz anders anders war es da da man deine tempel noch bekränzte venus amathusia da der dichtkunst mahlerische hülle sich noch lieblich um die wahrheit wand durch die schöpfung floß da lebensfülle und was nie empfinden wird empfand an der liebe busen sie zu drücken gab man höhern adel der natur alles wies den eingeweyhten blicken alles eines gottes spur wo jezt nur wie unsre weisen sagen seelenlos ein feuerball sich dreht lenkte damals seinen goldnen wagen helios in stiller majestät diese höhen füllten oreaden eine dryas starb mit jenem baum aus den urnen lieblicher najaden sprang der ströme silberschaum jener lorbeer wand sich einst um hilfe tantals tochter schweigt in diesem stein syrinx klage tönt aus jenem schilfe philomelens schmerz in diesem hayn jener bach empfieng demeters zähre die sie um persephonen geweint und von diesem hügel rief cythere ach vergebens ihrem schönen freund zu deukalions geschlechte stiegen damals noch die himmlischen herab pyrrhas schöne töchter zu besiegen nahm hyperion den hirtenstab zwischen menschen göttern und heroen knüpfte amor einen schönen bund sterbliche mit göttern und heroen huldigten in amathunt betend an der grazien altären kniete da die holde priesterinn sandte stille wünsche an cytheren und gelübde an die charitinn hoher stolz auch droben zu gebieten lehrte sie den göttergleichen rang und des reizes heilgen gürtel hüten der den donnrer selbst bezwang himmlisch und unsterblich war das feuer das in pindars stolzen hymnen floß niederströmte in arions leier in den stein des phidias sich goß beßre wesen edlere gestalten kündigten die hohe abkunft an götter die vom himmel niederwallten sahen hier ihn wieder aufgethan werther war von eines gottes güte theurer jede gabe der natur unter iris schönem bogen blühte reizender die perlenvolle flur prangender erschien die morgenröthe in himerens rosigtem gewand schmelzender erklang die flöte in des hirtengottes hand liebenswerther mahlte sich die jugend blühender in ganymedas bild heldenkühner göttlicher die tugend mit tritoniens medusenschild sanfter war da hymen es noch knüpfte heiliger der herzen ewges band selbst des lebens zarter faden schlüpfte weicher durch der parzen hand das evoe muntrer thyrsusschwinger und der panther prächtiges gespann meldeten den großen freudebringer faun und satyr taumeln ihm voran um ihn springen rasende mänaden ihre tänze loben seinen wein und die wangen des bewirthers laden lustig zu dem becher ein höher war der gabe werth gestiegen die der geber freundlich mit genoß näher war der schöpfer dem vergnügen das im busen des geschöpfes floß nennt der meinige sich dem verstande birgt ihn etwa der gewölke zelt mühsam späh ich im ideenlande fruchtlos in der sinnenwelt eure tempel lachten gleich pallästen euch verherrlichte das heldenspiel an des isthmus kronenreichen festen und die wagen donnerten zum ziel schön geschlungne seelenvolle tänze kreisten um den prangenden altar eure schläfe schmückten siegeskränze kronen euer duftend haar seiner güter schenkte man das beste seiner lämmer liebstes gab der hirt und der freudetaumel seiner gäste lohnte dem erhabnen wirth wohin tret ich diese traurge stille kündigt sie mir meinen schöpfer an finster wie er selbst ist seine hülle mein entsagen was ihn feiern kann damals trat kein gräßliches gerippe vor das bett des sterbenden ein kuß nahm das lezte leben von der lippe still und traurig senkt ein genius seine fackel schöne lichte bilder scherzten auch um die nothwendigkeit und das ernste schicksal blickte milder durch den schleyer sanfter menschlichkeit nach der geister schrecklichen gesetzen richtete kein heiliger barbar dessen augen thränen nie benetzen zarte wesen die ein weib gebahr selbst des orkus strenge richterwaage hielt der enkel einer sterblichen und des thrakers seelenvolle klage rührte die erinnyen seine freuden traf der frohe schatten in elysiens haynen wieder an treue liebe fand den treuen gatten und der wagenlenker seine bahn orpheus spiel tönt die gewohnten lieder in alcestens arme sinkt admet seinen freund erkennt orestes wieder seine waffen philoktet aber ohne wiederkehr verloren bleibt was ich auf dieser welt verließ jede wonne hab ich abgeschworen alle bande die ich selig prieß fremde nie verstandene entzücken schaudern mich aus jenen welten an und für freuden die mich jetzt beglücken tausch ich neue die ich missen kann höhre preise stärkten da den ringer auf der tugend arbeitvoller bahn großer thaten herrliche vollbringer klimmten zu den seligen hinan vor dem wiederforderer der todten neigte sich der götter stille schaar durch die fluthen leuchtet dem piloten vom olymp das zwillingspaar schöne welt wo bist du kehre wieder holdes blüthenalter der natur ach nur in dem feenland der lieder lebt noch deine goldne spur ausgestorben trauert das gefilde keine gottheit zeigt sich meinem blik ach von jenem lebenwarmen bilde blieb nur das gerippe mir zurück alle jene blüthen sind gefallen von des nordes winterlichem wehn einen zu bereichern unter allen mußte diese götterwelt vergehn traurig such ich an dem sternenbogen dich selene find ich dort nicht mehr durch die wälder ruf ich durch die wogen ach sie wiederhallen leer unbewußt der freuden die sie schenket nie entzückt von ihrer treflichkeit nie gewahr des armes der sie lenket reicher nie durch meine dankbarkeit fühllos selbst für ihres künstlers ehre gleich dem todten schlag der pendeluhr dient sie knechtisch dem gesetz der schwere die entgötterte natur morgen wieder neu sich zu entbinden wühlt sie heute sich ihr eignes grab und an ewig gleicher spindel winden sich von selbst die monde auf und ab müßig kehrten zu dem dichterlande heim die götter unnütz einer welt die entwachsen ihrem gängelbande sich durch eignes schweben hält freundlos ohne bruder ohne gleichen keiner göttinn keiner irrdschen sohn herrscht ein andrer in des aethers reichen auf saturnus umgestürztem thron selig eh sich wesen um ihn freuten selig im entvölkerten gefild sieht er in dem langen strom der zeiten ewig nur sein eignes bild bürger des olymps konnt ich erreichen jenem gotte den sein marmor preißt konnte einst der hohe bildner gleichen was ist neben dir der höchste geist derer welche sterbliche gebohren nur der würmer erster edelster da die götter menschlicher noch waren waren menschen göttlicher dessen stralen mich darnieder schlagen werk und schöpfer des verstandes dir nach zu ringen gib mir flügel waagen dich zu wägen oder nimm von mir nimm die ernste strenge göttin wieder die den spiegel blendend vor mir hält ihre sanftre schwester sende nieder spare jene für die andre welt |
Die Kindsmörderin von Friedrich Schiller, 1782 „Horch – die Gloken weinen dumpf zusammen, / Und der Zeiger hat vollbracht den Lauf, / Nun, so sey’s denn! – Nun, in Gottes Namen! / Grabgefährten brecht zum Richtplaz auf.“ |
1782 | 3684 | die kindsmörderin von friedrich schiller horch die gloken weinen dumpf zusammen und der zeiger hat vollbracht den lauf nun so seys denn nun in gottes namen grabgefährten brecht zum richtplaz auf nimm o welt die lezten abschiedsküße diese thränen nimm o welt noch hin deine gifte o sie schmekten süße wir sind quitt du herzvergifterin fahret wohl ihr freuden dieser sonne gegen schwarzen moder umgetauscht fahre wohl du rosenzeit voll wonne die so oft das mädchen lustberauscht fahret wohl ihr goldgewebten träume paradiseskinder fantasien weh sie starben schon im morgenkeime ewig nimmer an das licht zu blühn schön geschmükt mit rosenrothen schlaifen dekte mich der unschuld schwanenkleid in der blonden loken loses schweifen waren junge rosen eingestreut wehe die geopferte der hölle schmükt noch izt das weißlichte gewand aber ach der rosenschlaifen stelle nahm ein schwarzes todenband weinet um mich die ihr nie gefallen denen noch der unschuld liljen blühn denen zu dem weichen busenwallen heldenstärke die natur verliehn wehe menschlich hat diß herz empfunden und empfindung soll mein richtschwerd seyn weh vom arm des falschen manns umwunden schlief louisens tugend ein ach vielleicht umflattert eine andre mein vergessen dieses schlangenherz ueberfließt wenn ich zum grabe wandre an dem puztisch in verliebten scherz spielt vielleicht mit seines mädchens loke schlingt den kuß den sie entgegenbringt wenn versprizt auf diesem todesbloke hoch mein blut vom rumpfe springt joseph joseph auf entfernte meilen folge dir louisens todenchor und des glokenthurmes dumpfes heulen schlage schröklichmahnend an dein ohr wenn von eines mädchens weichem munde dir der liebe sanft gelispel quillt bohr es plözlich eine höllenwunde in der wollust rosenbild ha verräther nicht louisens schmerzen nicht des weibes schande harter mann nicht das knäblein unter meinem herzen nicht was löw und tiger milden kann seine seegel fliegen stolz vom lande meine augen zittern dunkel nach um die mädchen an der seine strande winselt er sein falsches ach und das kindlein in der mutter schoose lag es da in süßer goldner ruh in dem reiz der jungen morgenrose lachte mir der holde kleine zu tödlichlieblich sprang aus allen zügen des geliebten schelmen konterfey den beklommnen mutterbusen wiegen liebe und verrätherey weib wo ist mein vater lallte seiner unschuld stumme donnersprach weib wo ist dein gatte hallte jeder winkel meines herzens nach weh umsonst wirst waise du ihn suchen der vielleicht schon andre kinder herzt wirst der stunde unsrer wollust fluchen wenn dich einst der name bastard schwärzt deine mutter o im busen hölle einsam sizt sie in dem all der welt durstet ewig an der freudenquelle die dein anblik fürchterlich vergällt ach in jedem laut von dir erwachet todter wonne qualerinnerung jeder deiner holden blike fachet die unsterbliche verzweifelung hölle hölle wo ich dich vermiße hölle wo mein auge dich erblikt eumenidenruthen deine küße die von seinen lippen mich entzükt seine eide donnern aus dem grabe wieder ewig ewig würgt sein meineid fort ewig hier umstrikte mich die hyder und vollendet war der mord joseph joseph auf entfernte meilen jage dir der grimme schatten nach mög mit kalten armen dich ereilen donnre dich aus wonneträumen wach im geflimmer sanfter sterne zuke dir des kindes grasser sterbeblik es begegne dir im blutgen schmuke geißle dich vom paradiß zurük seht da lag es lag im warmen blute das noch kurz im mutterherzen sprang hingemezelt mit erinnysmuthe wie ein veilchen unter sensenklang schröklich pocht schon des gerichtes bote schröklicher mein herz freudig eilt ich in dem kalten tode auszulöschen meinen flammenschmerz joseph gott im himmel kann verzeihen dir verzeiht die sünderin meinen groll will ich der erde weihen schlage flamme durch den holzstoß hin glüklich glüklich seine briefe lodern seine eide frißt ein siegend feur seine küße wie sie hochan flodern was auf erden war mir einst so theur trauet nicht den rosen eurer jugend trauet schwestern männerschwüren nie schönheit war die falle meiner tugend auf der richtstatt hier verfluch ich sie zähren zähren in des würgers bliken schnell die binde um mein angesicht henker kannst du keine lilje kniken bleicher henker zittre nicht y |
Die Kraniche des Ibykus von Friedrich Schiller, 1797 „Zum Kampf der Wagen und Gesänge, / Der auf Corinthus Landesenge / Der Griechen Stämme froh vereint, / Zog Ibykus, der Götterfreund.“ |
1797 | 5299 | die kraniche des ibykus von friedrich schiller zum kampf der wagen und gesänge der auf corinthus landesenge der griechen stämme froh vereint zog ibykus der götterfreund ihm schenkte des gesanges gabe der lieder süßen mund apoll so wandert er an leichtem stabe aus rhegium des gottes voll schon winkt auf hohem bergesrücken acrocorinth des wandrers blicken und in poseidons fichtenhayn tritt er mit frommem schauder ein nichts regt sich um ihn her nur schwärme von kranichen begleiten ihn die fernhin nach des südens wärme in graulichtem geschwader ziehn seid mir gegrüßt befreundte schaaren die mir zur see begleiter waren zum guten zeichen nehm ich euch mein loos es ist dem euren gleich von fernher kommen wir gezogen und flehen um ein wirthlich dach sei uns der gastliche gewogen der von dem fremdling wehrt die schmach und munter fördert er die schritte und sieht sich in des waldes mitte da sperren auf gedrangem steg zwey mörder plötzlich seinen weg zum kampfe muß er sich bereiten doch bald ermattet sinkt die hand sie hat der leyer zarte saiten doch nie des bogens kraft gespannt er ruft die menschen an die götter sein flehen dringt zu keinem retter wie weit er auch die stimme schickt nichts lebendes wird hier erblickt so muß ich hier verlassen sterben auf fremdem boden unbeweint durch böser buben hand verderben wo auch kein rächer mir erscheint und schwer getroffen sinkt er nieder da rauscht der kraniche gefieder er hört schon kann er nicht mehr sehn die nahen stimmen furchtbar krähn von euch ihr kraniche dort oben wenn keine andre stimme spricht sey meines mordes klag erhoben er ruft es und sein auge bricht der nakte leichnam wird gefunden und bald obgleich entstellt von wunden erkennt der gastfreund in corinth die züge die ihm theuer sind und muß ich so dich wiederfinden und hoffte mit der fichte kranz des sängers schläfe zu umwinden bestrahlt von seines ruhmes glanz und jammernd hörens alle gäste versammelt bey neptunus feste ganz griechenland ergreift der schmerz verloren hat ihn jedes herz und stürmend drängt sich zum prytanen das volk es fodert seine wut zu rächen des erschlagnen manen zu sühnen mit des mörders blut doch wo die spur die aus der menge der völker flutendem gedränge gelocket von der spiele pracht den schwarzen thäter kenntlich macht sinds räuber die ihn feig erschlagen thats neidisch ein verborgner feind nur helios vermags zu sagen der alles irrdische bescheint er geht vielleicht mit frechem schritte jetzt eben durch der griechen mitte und während ihn die rache sucht genießt er seines frevels frucht auf ihres eignen tempels schwelle trotzt er vielleicht den göttern mengt sich dreist in jene menschenwelle die dort sich zum theater drängt denn bank an bank gedränget sitzen es brechen fast der bühne stützen herbeygeströmt von fern und nah der griechen völker wartend da dumpfbrausend wie des meeres wogen von menschen wimmelnd wächst der bau in weiter stets geschweiftem bogen hinauf bis in des himmels blau wer zählt die völker nennt die nahmen die gastlich hier zusammen kamen von theseus stadt von aulis strand von phocis vom spartanerland von asiens entlegner küste von allen inseln kamen sie und horchen von dem schaugerüste des chores grauser melodie der streng und ernst nach alter sitte mit langsam abgemeßnem schritte hervortritt aus dem hintergrund umwandelnd des theaters rund so schreiten keine irrdschen weiber die zeugete kein sterblich haus es steigt das riesenmaß der leiber hoch über menschliches hinaus ein schwarzer mantel schlägt die lenden sie schwingen in entfleischten händen der fackel düsterrothe glut in ihren wangen fließt kein blut und wo die haare lieblich flattern um menschenstirnen freundlich wehn da sieht man schlangen hier und nattern die giftgeschwollnen bäuche blähn und schauerlich gedreht im kreise beginnen sie des hymnus weise der durch das herz zerreissend dringt die bande um den sünder schlingt besinnungraubend herzbethörend schallt der erinnyen gesang er schallt des hörers mark verzehrend und duldet nicht der leier klang wohl dem der frei von schuld und fehle bewahrt die kindlich reine seele ihm dürfen wir nicht rächend nahn er wandelt frei des lebens bahn doch wehe wehe wer verstohlen des mordes schwere that vollbracht wir heften uns an seine sohlen das furchtbare geschlecht der nacht und glaubt er fliehend zu entspringen geflügelt sind wir da die schlingen ihm werfend um den flüchtgen fuß daß er zu boden fallen muß so jagen wir ihn ohn ermatten versöhnen kann uns keine reu ihn fort und fort bis zu den schatten und geben ihn auch dort nicht frei so singend tanzen sie den reigen und stille wie des todes schweigen liegt überm ganzen hause schwer als ob die gottheit nahe wär und feierlich nach alter sitte umwandelnd des theaters rund mit langsam abgemeßnem schritte verschwinden sie im hintergrund und zwischen trug und wahrheit schwebet noch zweifelnd jede brust und bebet und huldiget der furchtbarn macht die richtend im verborgnen wacht die unerforschlich unergründet des schicksals dunkeln knäuel flicht dem tiefen herzen sich verkündet doch fliehet vor dem sonnenlicht da hört man auf den höchsten stufen auf einmal eine stimme rufen sieh da sieh da timotheus die kraniche des ibykus und finster plötzlich wird der himmel und über dem theater hin sieht man in schwärzlichtem gewimmel ein kranichheer vorüberziehn des ibykus der theure nahme rührt jede brust mit neuem grame und wie im meere well auf well so läufts von mund zu munde schnell des ibykus den wir beweinen den eine mörderhand erschlug was ists mit dem was kann er meinen was ists mit diesem kranichzug und lauter immer wird die frage und ahnend fliegts mit blitzesschlage durch alle herzen gebet acht das ist der eumeniden macht der fromme dichter wird gerochen der mörder bietet selbst sich dar ergreift ihn der das wort gesprochen und ihn an dens gerichtet war doch dem war kaum das wort entfahren möcht ers im busen gern bewahren umsonst der schreckenbleiche mund macht schnell die schuldbewußten kund man reißt und schleppt sie vor den richter die scene wird zum tribunal und es gestehn die bösewichter getroffen von der rache strahl |
Die Rache der Musen von Friedrich Schiller, 1782 „Weinend kamen einst die Neune / Zu dem Liedergott. / »Hör, Papachen«, rief die Kleine, / »Wie man uns bedroht!“ |
1782 | 1282 | die rache der musen von friedrich schiller eine anekdote von helikon weinend kamen einst die neune zu dem liedergott hör papachen rief die kleine wie man uns bedroht junge dintenlecker schwärmen um den helikon raufen sich hantieren lärmen bis zu deinem thron galoppieren auf dem springer reiten ihn zur tränk nennen sich gar hohe sänger barden einge denk wollen uns wie garstig nöten ei die grobian was ich ohne schamerröten nicht erzählen kann einer brüllt heraus vor allen schreit ich führ das heer schlägt mit beiden fäust und ballen um sich wie ein bär pfeift wohl gar wie ungeschliffen andre schläfer wach zweimal hat er schon gepfiffen doch kommt keiner nach droht er komm noch öfter wieder da sei zeus dafür vater liebst du sang und lieder weis ihm doch die tür vater phöbus hört mit lachen ihren klagbericht wollens kurz mit ihnen machen kinder zittert nicht eine muß ins höllsche feuer geh melpomene leihe kleider noten leier einer furie sie begegn in dem gewande als wär sie verirrt einem dieser jaunerbande wenn es dunkel wird mögen dann in finstern küssen an dem artgen kind ihre wilden lüste büßen wie sie würdig sind red und tat die höllengöttin war schon aufgeschmückt man erzählt die herren hätten kaum den raub erblickt wären wie die geir auf tauben losgestürzt auf sie etwas will ich daran glauben alles glaub ich nie waren hübsche jungens drunter wie gerieten sie dieses brüder nimmt mich wunder in die kompanie die göttin abortiert hernach kam raus ein neuer almanach |
Die Teilung der Erde von Friedrich Schiller, 1795 „»Nehmt hin die Welt!« rief Zeus von seinen Höhen / Den Menschen zu. »Nehmt, sie soll euer sein! / Euch schenk ich sie zum Erb und ewgen Lehen – / Doch teilt euch brüderlich darein!«“ |
1795 | 1111 | die teilung der erde von friedrich schiller nehmt hin die welt rief zeus von seinen höhen den menschen zu nehmt sie soll euer sein euch schenk ich sie zum erb und ewgen lehen doch teilt euch brüderlich darein da eilt was hände hat sich einzurichten es regte sich geschäftig jung und alt der ackermann griff nach des feldes früchten der junker birschte durch den wald der kaufmann nimmt was seine speicher fassen der abt wählt sich den edeln firnewein der könig sperrt die brücken und die straßen und sprach der zehente ist mein ganz spät nachdem die teilung längst geschehen naht der poet er kam aus weiter fern ach da war überall nichts mehr zu sehen und alles hatte seinen herrn weh mir so soll denn ich allein von allen vergessen sein ich dein getreuster sohn so ließ er laut der klage ruf erschallen und warf sich hin vor jovis thron wenn du im land der träume dich verweilet versetzt der gott so hadre nicht mit mir wo warst du denn als man die welt geteilet ich war sprach der poet bei dir mein auge hing an deinem angesichte an deines himmels harmonie mein ohr verzeih dem geiste der von deinem lichte berauscht das irdische verlor was tun spricht zeus die welt ist weggegeben der herbst die jagd der markt ist nicht mehr mein willst du in meinem himmel mit mir leben so oft du kommst er soll dir offen sein |
Hero und Leander von Friedrich Schiller, 1801 „Seht ihr dort die altergrauen / Schlösser sich entgegen schauen, / Leuchtend in der Sonne Gold, / Wo der Hellespont die Wellen / Brausend durch der Dardanellen / Hohe Felsenpforte rollt?“ |
1801 | 6545 | hero und leander von friedrich schiller seht ihr dort die altergrauen schlösser sich entgegen schauen leuchtend in der sonne gold wo der hellespont die wellen brausend durch der dardanellen hohe felsenpforte rollt hört ihr jene brandung stürmen die sich an den felsen bricht asien riß sie von europen doch die liebe schreckt sie nicht heros und leanders herzen rührte mit dem pfeil der schmerzen amors heilge göttermacht hero schön wie hebe blühend er durch die gebirge ziehend rüstig im geräusch der jagd doch der väter feindlich zürnen trennte das verbundne paar und die süße frucht der liebe hing am abgrund der gefahr dort auf sestos felsenturme den mit ewgem wogensturme schäumend schlägt der hellespont saß die jungfrau einsam grauend nach abydos küste schauend wo der heißgeliebte wohnt ach zu dem entfernten strande baut sich keiner brücke steg und kein fahrzeug stößt vom ufer doch die liebe fand den weg aus des labyrinthes pfaden leitet sie mit sicherm faden auch den blöden macht sie klug beugt ins joch die wilden tiere spannt die feuersprühnden stiere an den diamantnen pflug selbst der styx der neunfach fließet schließt die wagende nicht aus mächtig raubt sie das geliebte aus des pluto finsterm haus auch durch des gewässers fluten mit der sehnsucht feurgen gluten stachelt sie leanders mut wenn des tages heller schimmer bleichet stürzt der kühne schwimmer in des pontus finstre flut teilt mit starkem arm die woge strebend nach dem teuren strand wo auf hohem söller leuchtend winkt der fackel heller brand und in weichen liebesarmen darf der glückliche erwarmen von der schwer bestandnen fahrt und den götterlohn empfangen den in seligem umfangen ihm die liebe aufgespart bis den säumenden aurora aus der wonne träumen weckt und ins kalte bett des meeres aus dem schoß der liebe schreckt und so flohen dreißig sonnen schnell im raub verstohlner wonnen dem beglückten paar dahin wie der brautnacht süße freuden die die götter selbst beneiden ewig jung und ewig grün der hat nie das glück gekostet der die frucht des himmels nicht raubend an des höllenflusses schauervollem rande bricht hesper und aurora zogen wechselnd auf am himmelsbogen doch die glücklichen sie sahn nicht den schmuck der blätter fallen nicht aus nords beeisten hallen den ergrimmten winter nahn freudig sahen sie des tages immer kürzern kürzern kreis für das längre glück der nächte dankten sie betört dem zeus und es gleichte schon die waage an dem himmel nächt und tage und die holde jungfrau stand harrend auf dem felsenschlosse sah hinab die sonnenrosse fliehen an des himmels rand und das meer lag still und eben einem reinen spiegel gleich keines windes leises weben regte das kristallne reich lustige delphinenscharen scherzten in dem silberklaren reinen element umher und in schwärzlicht grauen zügen aus dem meergrund aufgestiegen kam der tethys buntes heer sie die einzigen bezeugten den verstohlnen liebesbund aber ihnen schloß auf ewig hekate den stummen mund und sie freute sich des schönen meeres und mit schmeicheltönen sprach sie zu dem element schöner gott du solltest trügen nein den frevler straf ich lügen der dich falsch und treulos nennt falsch ist das geschlecht der menschen grausam ist des vaters herz aber du bist mild und gütig und dich rührt der liebe schmerz in den öden felsenmauern müßt ich freudlos einsam trauern und verblühn in ewgem harm doch du trägst auf deinem rücken ohne nachen ohne brücken mir den freund in meinen arm grauenvoll ist deine tiefe furchtbar deiner wogen flut aber dich erfleht die liebe dich bezwingt der heldenmut denn auch dich den gott der wogen rührte eros mächtger bogen als des goldnen widders flug helle mit dem bruder fliehend schön in jugendfülle blühend über deine tiefe trug schnell von ihrem reiz besieget griffst du aus dem finstern schlund zogst sie von des widders rücken nieder in den meeresgrund eine göttin mit dem gotte in der tiefen wassergrotte lebt sie jetzt unsterblich fort hilfreich der verfolgten liebe zähmt sie deine wilden triebe führt den schiffer in den port schöne helle holde göttin selige dich fleh ich an bring auch heute den geliebten mir auf der gewohnten bahn und schon dunkelten die fluten und sie ließ der fackel gluten von dem hohen söller wehn leitend in den öden reichen sollte das vertraute zeichen der geliebte wandrer sehn und es saust und dröhnt von ferne finster kräuselt sich das meer und es löscht das licht der sterne und es naht gewitterschwer auf des pontus weite fläche legt sich nacht und wetterbäche stürzen aus der wolken schoß blitze zucken in den lüften und aus ihren felsengrüften werden alle stürme los wühlen ungeheure schlünde in den weiten wasserschlund gähnend wie ein höllenrachen öffnet sich des meeres grund wehe weh mir ruft die arme jammernd großer zeus erbarme ach was wagt ich zu erflehn wenn die götter mich erhören wenn er sich den falschen meeren preisgab in des sturmes wehn alle meergewohnten vögel ziehen heim in eilger flucht alle sturmerprobten schiffe bergen sich in sichrer bucht ach gewiß der unverzagte unternahm das oft gewagte denn ihn trieb ein mächtger gott er gelobte mirs beim scheiden mit der liebe heilgen eiden ihn entbindet nur der tod ach in diesem augenblicke ringt er mit des sturmes wut und hinab in ihre schlünde reißt ihn die empörte flut falscher pontus deine stille war nur des verrates hülle einem spiegel warst du gleich tückisch ruhten deine wogen bis du ihn heraus betrogen in dein falsches lügenreich jetzt in deines stromes mitte da die rückkehr sich verschloß lässest du auf den verratnen alle deine schrecken los und es wächst des sturmes toben hoch zu bergen aufgehoben schwillt das meer die brandung bricht schäumend sich am fuß der klippen selbst das schiff mit eichenrippen nahte unzerschmettert nicht und im wind erlischt die fackel die des pfades leuchte war schrecken bietet das gewässer schrecken auch die landung dar und sie fleht zur aphrodite daß sie dem orkan gebiete sänftige der wellen zorn und gelobt den strengen winden reiche opfer anzuzünden einen stier mit goldnem horn alle göttinnen der tiefe alle götter in der höh fleht sie lindernd öl zu gießen in die sturmbewegte see höre meinen ruf erschallen steig aus deinen grünen hallen selige leukothea die der schiffer in dem öden wellenreich in sturmesnöten rettend oft erscheinen sah reich ihm deinen heilgen schleier der geheimnisvoll gewebt die ihn tragen unverletzlich aus dem grab der fluten hebt und die wilden winde schweigen hell an himmels rande steigen eos pferde in die höh friedlich in dem alten bette fließt das meer in spiegelsglätte heiter lächeln luft und see sanfter brechen sich die wellen an des ufers felsenwand und sie schwemmen ruhig spielend einen leichnam an den strand ja er ists der auch entseelet seinem heilgen schwur nicht fehlet schnellen blicks erkennt sie ihn keine klage läßt sie schallen keine träne sieht man fallen kalt verzweifelnd starrt sie hin trostlos in die öde tiefe blickt sie in des äthers licht und ein edles feuer rötet das erbleichte angesicht ich erkenn euch ernste mächte strenge treibt ihr eure rechte furchtbar unerbittlich ein früh schon ist mein lauf beschlossen doch das glück hab ich genossen und das schönste los war mein lebend hab ich deinem tempel mich geweiht als priesterin dir ein freudig opfer sterb ich venus große königin und mit fliegendem gewande schwingt sie von des turmes rande in die meerflut sich hinab hoch in seinen flutenreichen wälzt der gott die heilgen leichen und er selber ist ihr grab und mit seinem raub zufrieden zieht er freudig fort und gießt aus der unerschöpften urne seinen strom der ewig fließt |
Kassandra von Friedrich Schiller, 1802 „Freude war in Trojas Hallen, / Eh die hohe Feste fiel, / Jubelhymnen hört man schallen / In der Saiten goldnes Spiel.“ |
1802 | 3182 | kassandra von friedrich schiller freude war in trojas hallen eh die hohe feste fiel jubelhymnen hört man schallen in der saiten goldnes spiel alle hände ruhen müde von dem tränenvollen streit weil der herrliche pelide priams schöne tochter freit und geschmückt mit lorbeerreisern festlich wallet schar auf schar nach der götter heilgen häusern zu des thymbriers altar dumpferbrausend durch die gassen wälzt sich die bacchantsche lust und in ihrem schmerz verlassen war nur eine traurge brust freudlos in der freude fülle ungesellig und allein wandelte kassandra stille in apollos lorbeerhain in des waldes tiefste gründe flüchtete die seherin und sie warf die priesterbinde zu der erde zürnend hin alles ist der freude offen alle herzen sind beglückt und die alten eltern hoffen und die schwester steht geschmückt ich allein muß einsam trauern denn mich flieht der süße wahn und geflügelt diesen mauern seh ich das verderben nahn eine fackel seh ich glühen aber nicht in hymens hand nach den wolken seh ichs ziehen aber nicht wie opferbrand feste seh ich froh bereiten doch im ahnungsvollen geist hör ich schon des gottes schreiten der sie jammervoll zerreißt und sie schelten meine klagen und sie höhnen meinen schmerz einsam in die wüste tragen muß ich mein gequältes herz von den glücklichen gemieden und den fröhlichen ein spott schweres hast du mir beschieden pythischer du arger gott dein orakel zu verkünden warum warfest du mich hin in die stadt der ewig blinden mit dem aufgeschloßnen sinn warum gabst du mir zu sehen was ich doch nicht wenden kann das verhängte muß geschehen das gefürchtete muß nahn frommts den schleier aufzuheben wo das nahe schrecknis droht nur der irrtum ist das leben und das wissen ist der tod nimm o nimm die traurge klarheit mir vom aug den blutgen schein schrecklich ist es deiner wahrheit sterbliches gefäß zu sein meine blindheit gib mir wieder und den fröhlich dunkeln sinn nimmer sang ich freudge lieder seit ich deine stimme bin zukunft hast du mir gegeben doch du nahmst den augenblick nahmst der stunde fröhlich leben nimm dein falsch geschenk zurück nimmer mit dem schmuck der bräute kränzt ich mir das duftge haar seit ich deinem dienst mich weihte an dem traurigen altar meine jugend war nur weinen und ich kannte nur den schmerz jede herbe not der meinen schlug an mein empfindend herz fröhlich seh ich die gespielen alles um mich lebt und liebt in der jugend lustgefühlen mir nur ist das herz getrübt mir erscheint der lenz vergebens der die erde festlich schmückt wer erfreute sich des lebens der in seine tiefen blickt selig preis ich polyxenen in des herzens trunkenem wahn denn den besten der hellenen hofft sie bräutlich zu umfahn stolz ist ihre brust gehoben ihre wonne faßt sie kaum nicht euch himmlische dort oben neidet sie in ihrem traum und auch ich hab ihn gesehen den das herz verlangend wählt seine schönen blicke flehen von der liebe glut beseelt gerne möcht ich mit dem gatten in die heimsche wohnung ziehn doch es tritt ein stygscher schatten nächtlich zwischen mich und ihn ihre bleichen larven alle sendet mir proserpina wo ich wandre wo ich walle stehen mir die geister da in der jugend frohe spiele drängen sie sich grausend ein ein entsetzliches gewühle nimmer kann ich fröhlich sein und den mordstahl seh ich blinken und das mörderauge glühn nicht zur rechten nicht zur linken kann ich vor dem schrecknis fliehn nicht die blicke darf ich wenden wissend schauend unverwandt muß ich mein geschick vollenden fallend in dem fremden land und noch hallen ihre worte horch da dringt verworrner ton fernher aus des tempels pforte tot lag thetis großer sohn eris schüttelt ihre schlangen alle götter fliehn davon und des donners wolken hangen schwer herab auf ilion |
Pegasus im Joche von Friedrich Schiller, 1795 „Auf einen Pferdemarkt – vielleicht zu Haymarket, / Wo andre Dinge noch in Waare sich verwandeln, / Bracht’ einst ein hungriger Poet / Der Musen Roß, es zu verhandeln.“ |
1795 | 3267 | pegasus im joche von friedrich schiller auf einen pferdemarkt vielleicht zu haymarket wo andre dinge noch in waare sich verwandeln bracht einst ein hungriger poet der musen roß es zu verhandeln hell wieherte der hippogryph und bäumte sich in prächtiger parade erstaunt blieb jeder stehn und rief das edle königliche thier nur schade daß seinen schlanken wuchs ein häßlich flügelpaar entstellt den schönsten postzug würd es zieren die race sagen sie sey rar doch wer wird durch die luft kutschieren und keiner will sein geld verlieren ein pachter faßte endlich muth die flügel zwar spricht er die schaffen keinen nutzen doch die kann man ja binden oder stutzen dann ist das pferd zum ziehen immer gut ein zwanzig pfund die will ich wohl dran wagen der täuscher hoch vergnügt die waare loszuschlagen schlägt hurtig ein ein mann ein wort und hans trabt frisch mit seiner beute fort das edle thier wird eingespannt doch fühlt es kaum die ungewohnte bürde so rennt es fort mit wilder flugbegierde und wirft von edelm grimm entbrannt den karren um an eines abgrunds rand schon gut denkt hans allein darf ich dem tollen thiere kein fuhrwerk mehr vertraun erfahrung macht schon klug doch morgen fahr ich passagiere da stell ich es als vorspann in den zug die muntre krabbe soll zwei pferde mir ersparen der koller gibt sich mit den jahren der anfang ging ganz gut das leichtbeschwingte pferd belebt der klepper schritt und pfeilschnell fliegt der wagen doch was geschieht den blick den wolken zugekehrt und ungewohnt den grund mit festem huf zu schlagen verläßt es bald der räder sichre spur und treu der stärkeren natur durchrennt es sumpf und moor geackert feld und hecken der gleiche taumel faßt das ganze postgespann kein rufen hilft kein zügel hält es an bis endlich zu der wandrer schrecken der wagen wohlgerüttelt und zerschellt auf eines berges steilem gipfel hält das geht nicht zu mit rechten dingen spricht hans mit sehr bedenklichem gesicht so wird es nimmermehr gelingen laß sehn ob wir den tollwurm nicht durch magre kost und arbeit zwingen die probe wird gemacht bald ist das schöne thier eh noch drei tage hingeschwunden zum schatten abgezehrt ich habs ich habs gefunden ruft hans jetzt frisch und spannt es mir gleich vor den pflug mit meinem stärksten stier gesagt gethan in lächerlichem zuge erblickt man ochs und flügelpferd am pfluge unwillig steigt der greif und strengt die letzte macht der sehnen an den alten flug zu nehmen umsonst der nachbar schreitet mit bedacht und phöbus stolzes roß muß sich dem stier bequemen bis nun vom langen widerstand verzehrt die kraft aus allen gliedern schwindet von gram gebeugt das edle götterpferd zu boden stürzt und sich im staube windet verwünschtes thier bricht endlich hansens grimm laut scheltend aus indem die hiebe flogen so bist du denn zum ackern selbst zu schlimm mich hat ein schelm mit dir betrogen indem er noch in seines zornes wuth die peitsche schwingt kommt flink und wohlgemuth ein lustiger gesell die straße hergezogen die cither klingt in seiner leichten hand und durch den blonden schmuck der haare schlingt zierlich sich ein goldnes band wohin freund mit dem wunderlichen paare ruft er den baur von weitem an der vogel und der ochs an einem seile ich bitte dich welch ein gespann willst du auf eine kleine weile dein pferd zur probe mir vertraun gib acht du sollst dein wunder schaun der hippogryph wird ausgespannt und lächelnd schwingt sich ihm der jüngling auf den rücken kaum fühlt das thier des meisters sichre hand so knirscht es in des zügels band und steigt und blitze sprühn aus den beseelten blicken nicht mehr das vorge wesen königlich ein geist ein gott erhebt es sich entrollt mit einem mal in sturmes wehen der schwingen pracht schießt brausend himmelan und eh der blick ihm folgen kann entschwebt es zu den blauen höhen |
Ritter Toggenburg von Friedrich Schiller, 1797 „„Ritter, treue Schwesterliebe / Widmet euch dieß Herz, / Fodert keine andre Liebe, / Denn es macht mir Schmerz.“ |
1797 | 1726 | ritter toggenburg von friedrich schiller ritter treue schwesterliebe widmet euch dieß herz fodert keine andre liebe denn es macht mir schmerz ruhig mag ich euch erscheinen ruhig gehen sehn eurer augen stilles weinen kann ich nicht verstehn und er hörts mit stummem harme reißt sich blutend los preßt sie heftig in die arme schwingt sich auf sein roß schickt zu seinen mannen allen in dem lande schweitz nach dem heilgen grab sie wallen auf der brust das kreutz große thaten dort geschehen durch der helden arm ihres helmes büsche wehen in der feinde schwarm und des toggenburgers nahme schreckt den muselmann doch das herz von seinem grame nicht genesen kann und ein jahr hat ers getragen trägts nicht länger mehr ruhe kann er nicht erjagen und verläßt das heer sieht ein schiff an joppes strande das die segel bläht schiffet heim zum theuren lande wo ihr athem weht und an ihres schlosses pforte klopft der pilger an ach und mit dem donnerworte wird sie aufgethan die ihr suchet trägt den schleier ist des himmels braut gestern war des tages feyer der sie gott getraut da verlässet er auf immer seiner väter schloß seine waffen sieht er nimmer noch sein treues roß von der toggenburg hernieder steigt er unbekannt denn es deckt die edeln glieder härenes gewand und erbaut sich eine hütte jener gegend nah wo das kloster aus der mitte düstrer linden sah harrend von des morgens lichte bis zu abends schein stille hofnung im gesichte saß er da allein blickte nach dem kloster drüben blickte stundenlang nach dem fenster seiner lieben bis das fenster klang bis die liebliche sich zeigte bis das theure bild sich ins thal herunterneigte ruhig engelmild und dann legt er froh sich nieder schlief getröstet ein still sich freuend wenn es wieder morgen würde seyn und so saß er viele tage saß viel jahre lang harrend ohne schmerz und klage bis das fenster klang bis die liebliche sich zeigte bis das theure bild sich ins thal herunter neigte ruhig engelmild und so saß er eine leiche eines morgens da nach dem fenster noch das bleiche stille antlitz sah |
Arion schifft auf Meereswogen von Ludwig Tieck, vor 1853 † „Arion schifft auf Meereswogen / Nach seiner teuren Heimat zu, / Er wird vom Winde fortgezogen / Die See in stiller, sanfter Ruh.“Ludwig Tieck |
1853 | 1580 | arion schifft auf meereswogen von ludwig tieck arion schifft auf meereswogen nach seiner teuren heimat zu er wird vom winde fortgezogen die see in stiller sanfter ruh die schiffer stehn von fern und flüstern der dichter sieht ins morgenrot nach seinen goldnen schätzen lüstern beschließen sie des sängers tod arion merkt die stille tücke er bietet ihnen all sein gold er klagt und seufzt daß seinem glücke das schicksal nicht wie vordem hold sie aber haben es beschlossen nur tod gibt ihnen sicherheit hinab ins meer wird er gestoßen schon sind sie mit dem schiffe weit er hat die leier nur gerettet sie schwebt in seiner schönen hand in meeresfluten hingebettet ist freude von ihm abgewandt doch greift er in die goldnen saiten daß laut die wölbung widerklingt statt mit den wogen wild zu streiten er sanft die zarten töne singt klinge saitenspiel in der flut wächst mein mut sterb ich gleich verfehl ich nicht mein ziel unverdrossen komm ich tod dein gebot schreckt mich nicht mein leben ward genossen welle hebt mich im schimmer bald den schwimmer sie in tiefer nasser flut begräbt es klang das lied durch alle tiefen die wogen wurden sanft bewegt in abgrunds schlüften wo sie schliefen die seegetiere aufgeregt aus allen tiefen blaue wunder die hüpfend um den sänger ziehn die meeresfläche weit hinunter beschwimmen die tritonen grün die wellen tanzen fische springen seit venus aus den fluten kam man dieses jauchzen wonneklingen in meeresfesten nicht vernahm arion sieht mit trunknen blicken lautsingend in das seegewühl er fährt auf eines delphins rücken schlägt lächelnd noch sein saitenspiel des fisches sinn zum dienst gezwungen er naht sich schon der felsenbank er landet hat den fels errungen und singt dem fährmann seinen dank am ufer kniet er dankt den göttern daß er entrann dem nassen tod der sänger triumphiert in wettern bezwingt ihn nicht gefahr nicht not |
Aus Köllen war ein Edelknecht von Clemens Brentano, 1802 „Aus Köllen war ein Edelknecht / Um Botschaft ausgegangen, / Den Vater hielt ihm Engelbrecht / Der Bischof hart gefangen.“Clemens Brentano |
1802 | 2307 | aus köllen war ein edelknecht von clemens brentano aus köllen war ein edelknecht um botschaft ausgegangen den vater hielt ihm engelbrecht der bischof hart gefangen er ging gen arle manchen tag er ging in schweren sorgen sein liebchen ihm im sinne lag der hätt er es verborgen ganz traurig er am brunnen lag in busch und grünen hecken da hört er schallen hufesschlag und ging sich zu verstecken er sah da einen frohen mann sein roß zur quelle lenken ein andrer ritt betrübt heran sein pferd am born zu tränken betrübter mann der frohe sprach gott woll dir trost verleihen o froher mann der andre sprach was mag dich so erfreuen herr gottschalk sprach der frohe mann geht frei aus seinen banden durch ein mirakel er entrann mit allen den verbannten er hatte eine kleine maus im kerker zahm erzogen die ging da freundlich ein und aus und war ihm gar gewogen doch einst sein kleiner freund entlief und wollte nicht mehr kehren herr gottschalk ihr gar traurig rief das mäuslein wollt nicht hören das schmerzte den getreuen mann sein mäuslein wollt er haben mit seinen freunden er begann nach ihrem freund zu graben und in der erde eingescharrt fand meißel er und feilen womit er ihre bande hart gar leichtlich konnt zerteilen der andre sprach mein schwesterlein es liegt gar schwer gefangen und selbst das treue mäuslein dein könnt nicht zu ihr gelangen des schlosses dach ist himmelblau die mauren grüne wellen die graben rings sind flur und au die fenster fluß und quellen der süße knecht die liebe brach in ihres herzens kammer ihm stürzten die gesellen nach der schmerz und böser jammer die liebe blies das lämpchen aus die schmerzen sie bezwungen und legten sie ins kühle haus wohl auf den tod gefangen am fels wo wild der rhein zerschellt wo bös die schiffe stranden dort ewig sie gefangen hält der schlund in kühlen banden ein freund des bischofs sie belog herr hermann sei erschlagen der insgeheim aus köllen zog den vater zu erfragen dann zäumten sie die rosse auf und rüstten sich zu scheiden und gaben sich den handschlag drauf den bischof zu bestreiten und da sie aus dem walde schon trat wieder zu der quelle hermann des treuen gottschalks sohn der traurige geselle er schrie hinab zum wasserschloß wo bös die schiffe stranden wer macht mein lieb von feßlen los wer löset ihr die banden lebwohl lebwohl herr vater mein leb frei in großen ehren ich hab verlorn das mäuslein klein das tut mich gar beschweren lebwohl lebwohl o kerker mein das mäuslein ist verloren mein schwert muß meine feile sein da tät er sich durchbohren und stürzt hinab ins kühle haus wo liebchen liegt gefangen o liebchen breit die arme aus ihn treulich zu umfangen und läg gefangen im kühlen haus die mich so hart betrogen sie hätte eh dies liedchen aus mich auch hinab gezogen |
Draus bei Schleswig vor der Pforte von Clemens Brentano, 1816 „Draus bei Schleswig vor der Pforte / Wohnen armer Leute viel, / Ach des Feindes wilder Horde / Werden sie das erste Ziel.“ |
1816 | 2233 | draus bei schleswig vor der pforte von clemens brentano draus bei schleswig vor der pforte wohnen armer leute viel ach des feindes wilder horde werden sie das erste ziel waffenstillstand ist gekündet dänen ziehen ab zur nacht russen schweden stark verbündet brechen her mit wilder macht draus bei schleswig steht vor allen weit ein häuslein ausgesetzt draus bei schleswig in der hütte singt ein frommes mütterlein herr in deinen schoß ich schütte alle meine angst und pein doch ihr enkel ohn vertrauen zwanzigjährig neuster zeit hat den bräutigam zu schauen seine lampe nicht bereit draus bei schleswig in der hütte singt ein frommes mütterlein eine mauer um uns baue singt das fromme mütterlein daß dem feinde vor uns graue hüll in deine burg uns ein mutter spricht der weltgesinnte eine mauer uns ums haus kriegt unmöglich so geschwinde euer lieber gott heraus eine mauer um uns baue singt das fromme mütterlein enkel fest ist mein vertrauen wenns dem lieben gott gefällt kann er uns die mauer bauen was er will ist wohl bestellt trommeln rommdidomm rings prasseln die trompeten schmettern drein rosse wiehern wagen rasseln ach nun bricht der feind herein eine mauer um uns baue singt das fromme mütterlein rings in alle hütten brechen schwed und russe mit geschrei lärmen fluchen drängen zechen doch dies haus ziehn sie vorbei und der enkel spricht in sorgen mutter uns verrät das lied aber sieh das heer vom morgen bis zur nacht vorüberzieht eine mauer um uns baue singt das fromme mütterlein und am abend tobt der winter an das fenster schlägt der nord schließt den laden liebe kinder spricht die alte und singt fort aber mit den flocken fliegen vier kosakenpulke an rings in allen hütten liegen sechzig auch wohl achtzig mann eine mauer um uns baue singt das fromme mütterlein bange nacht voll kriegsgetöse wie es wiehert brüllet schwirrt kantschuhhiebe kolbenstöße weh des nachbars fenster klirrt hurrah stupai boschkai kurba vinu gleba biba rack schreit und flucht und plackt die turba erst am morgen zieht der pack eine mauer um uns baue singt das fromme mütterlein eine mauer um uns baue singt sie fort die ganze nacht morgens ward es still o schaue enkel was der nachbar macht auf nach innen geht die türe nimmer käm er sonst hinaus daß er gottes allmacht spüre lag der schnee wohl mannshoch draus eine mauer um uns baue sang das fromme mütterlein ja der herr kann mauern bauen liebe fromme mutter komm gottes mauer anzuschauen sprach der enkel und ward fromm achtzehnhundertvierzehn war es als der herr die mauer baut in der fünften nacht des jahres hats dem feind vor ihr gegraut eine mauer um uns baue sing ich mit dem mütterlein |
Ein Fischer saß im Kahne von Clemens Brentano, 1800/01 „Ein Fischer saß im Kahne, / Ihm war das Herz so schwer, / Sein Liebchen war gestorben, / Das glaubt‘ er nimmermehr.“ |
1800 | 1899 | ein fischer saß im kahne von clemens brentano ein fischer saß im kahne ihm war das herz so schwer sein liebchen war gestorben das glaubt er nimmermehr und bis die sternlein blinken und bis zum mondenschein harrt er sein lieb zu fahren wohl auf dem tiefen rhein da kömmt sie hergegangen und steiget in den kahn sie schwanket in den knien hat nur ein hemdlein an sie schwimmen auf den wellen hinab in tiefer ruh da zittert sie und wanket o liebchen frierest du dein hemdlein spielt im winde das schifflein treibt so schnell hüll dich in meinen mantel die nacht ist kühl und hell sie strecket nach den bergen die weißen arme aus und freut sich wie der vollmond aus wolken sieht heraus und grüßt die alten türme und will den hellen schein mit ihren zarten armen erfassen in dem rhein o setze dich doch nieder herzallerliebste mein das wasser treibt so schnelle o fall nicht in den rhein und große städte fliegen an ihrem kahn vorbei und in den städten klingen der glocken mancherlei da kniet das mädchen nieder und faltet seine händ und seine hellen augen es zu dem himmel wendt lieb mädchen bete stille schwank nicht so hin und her der kahn er möchte sinken das wasser treibt so sehr in einem nonnenkloster da singen stimmen fein und in dem kirchenfenster sieht man den kerzenschein da singt das mädchen helle die metten in dem kahn und sieht dabei mit tränen den fischerknaben an der knabe singt mit tränen die metten in dem kahn und sieht dabei sein mädchen mit stummen blicken an so rot und immer röter wird nun die tiefe flut und weiß und immer weißer das mädchen werden tut der mond ist schon zerronnen kein sternlein mehr zu sehn und auch dem lieben mädchen die augen schon vergehn lieb mädchen guten morgen lieb mädchen gute nacht warum willst du nun schlafen da schon die sonn erwacht die türme blinken helle und froh der grüne wald von tausend bunten stimmen in lautem sang erschallt da will er sie erwecken daß sie die freude hör er sieht zu ihr hinüber und findet sie nicht mehr und legt sich in den nachen und schlummert weinend ein und treibet weiter weiter bis in die see hinein die meereswellen brausen und schleudern ab und auf den kleinen fischernachen der knabe wacht nicht auf doch fahren große schiffe in stiller nacht einher so sehen sie die beiden im kahne auf dem meer |
Es ging verirrt im Walde von Clemens Brentano, 1802 „Es ging verirrt im Walde / Ein Königstöchterlein / Laut weint sie, daß es schallte / Tief in den Wald hinein.“ |
1802 | 2224 | es ging verirrt im walde von clemens brentano es ging verirrt im walde ein königstöchterlein laut weint sie daß es schallte tief in den wald hinein an meiner krone blinken schmaragd und auch rubin um einmal nur zu trinken gäb ich sie gerne hin da schwebt zu ihrem haupte ein edler falke bald der ihr die krone raubte und tiefer flog zum wald sie folgt ihm hoch in lüften trägt er die krone hell bis wo in dunklen klüften erbraust ein kühler quell o falke luftgeselle nimm hin die krone mein so kühl als diese quelle mag keine krone sein es braust so wonnig unten tief in der felsen schoß von schatten still umwunden ruht sie auf weichem moos die locken aufgewunden die zarten glieder bloß erkühlt sie sich da unten tief in der felsen schoß sie ließ sich an den zweigen hinab ins kühle bad bald will sie rückwärts steigen doch zeiget sich kein pfad sie streckt wohl nach den zweigen mit macht die arme hin doch keiner will sich neigen zur königstochter hin wer kann heraus mich heben weint da die holde magd gern wollte ich ihm geben mein ringlein von schmaragd wie sie die hände ringet das schöne ringelein ihr von dem finger springet tief in den quell hinein sie sucht und findt in klippen ein horn von gold so rein und setzt es an die lippen es schallt zum wald hinein die felsen laut erklingen und laut von stein zu stein die muntern töne springen ums königstöchterlein die zweige sich auch neigen der edle falke wiegt sich fröhlich auf den zweigen die er hinunter biegt dann hört sie worte schallen wer bläst auf meinem horn das gestern mir gefallen hinab zum felsenborn wer hütet mich vor schande weint laut das töchterlein wer giebt mir die gewande wer schützt die ehre mein mich liebte einst ein knabe der züchten wohl verstand o daß ich ihn nicht habe er gäb mir mein gewand die augen zugebunden der knabe vor ihr stand der knabe ist gefunden er reicht ihr das gewand verloren ist die krone und auch das fingerlein ohn ringlein und ohn krone muß sie das kleinod sein da ruhte der geselle wohl bald in ihrem schoß im herzen wards ihm helle o mach die binde los in ihr gewand geschwinde hüllt sich das holde kind dann löst sie ihm die binde läßt nicht die liebe blind da schallt es in den buchen da hallt es am gestein der könig kommt zu suchen das königstöchterlein nun rege deine hände spricht da das töchterlein wenn uns der könig fände müßt es gestorben sein der falke nahm die krone der quell das fingerlein der jäger nimmt zum lohne das königstöchterlein es nahm der jagdgeselle sein horn und sein geschoß und trug die jungfrau schnelle zum hohen felsenschloß auf felsen hoch ich wohne der falke und die braut am turme hängt die krone sein nest hineingebaut |
Ich kenn ein Haus, ein Freudenhaus von Clemens Brentano, 1816 „Ich kenn ein Haus, ein Freudenhaus, / Es hat geschminkte Wangen, / Es hängt ein bunter Kranz heraus, / Drin liegt der Tod gefangen.“ |
1816 | 2563 | ich kenn ein haus ein freudenhaus von clemens brentano ich kenn ein haus ein freudenhaus es hat geschminkte wangen es hängt ein bunter kranz heraus drin liegt der tod gefangen in meinem mantel trag ich hin biskuit und süße weine der himmel weiß wohl wer ich bin die welt schimpft was ich scheine die eine liest mir in der hand sie will mein unglück lesen die andre malt mich an die wand und nennt mich holdes wesen die dritte weiß sich flink zu drehn es schwindeln mir die sinne und jede dieser bösen feen sucht wie sie mich umspinne doch dorten auf den arm gelehnt sitzt eine stumm und weinet sie hat sich längst mit gott versöhnt und sitzet doch und weinet was will sie noch in diesem haus sie muß den spott erleiden es zischt der freche chor sie aus du kannst uns doch nicht meiden sie schweigt und weint und trägt den hohn den schweren büßerorden man zuckt die achseln kennt sie schon sie ist zur närrin worden doch ich berühr um sie allein die himmelschreinde schwelle bei ihr tret ich zum saal herein ist meine feste stelle sie achtets nicht sie blickt nicht auf wenn alle tanzend fliegen seh ich mit stetem tränenlauf das bleiche haupt sie wiegen so hundert tage ohne ruh sah ich sie wanken weinen und sprach o weib welch kind wiegst du will denn kein schlaf erscheinen du hast dem leid genug getan gib mirs ich will dirs tragen da schrie ihr blick mich schneidend an doch konnt ihr mund nichts sagen und neulich nachts um mitternacht kam ich mit meiner laute die pforte hat sie aufgemacht die noch am fenster schaute sie zieht mich in den garten fort sitzt auf ein hüglein nieder gibt keinen blick und gibt kein wort und weinet stille wieder zu ihren füßen saß ich hin und ehrte ihren kummer da hat mir gott ein lied verliehn ich sang sie in den schlummer ich sang so kindlich sang so fromm ach säng ich je so wieder o ruhe komm ach friede komm küß ihre augenlider und da sie schlief da stieg so hold ein kindlein aus dem hügel trug einen kranz von flittergold und einen taschenspiegel und brach ein zweiglein rosmarin das ihm am herzen grünet und legt es auf die mutter hin und sprach gott ist versühnet und wo den rosmarin es brach da bluteten zwei wunden und als es kaum die worte sprach ist es vor mir verschwunden die mutter ist nicht mehr erwacht noch schläft sie in dem garten ich steh und sing die ganze nacht kann wohl den tag erwarten da ruft mich zucht und ehr und pflicht aus diesem haus der sünde doch von der mutter laß ich nicht ob ihrem armen kinde es winkt zurück wenn ich will gehn sitzt an des hügels schwelle und kann nicht aus dem spiegel sehn sein flitterkranz glänzt helle es brach das haus der kranz fiel ab fiel auf den sarg der frauen ich blieb getreu tät bei dem grab mir eine hütte bauen und daß die schuld nicht mehr erwacht will ich da ewig singen bis jesus richtend bricht die nacht bis die posaunen klingen oft mit dem kind in sturm und wind sing ich auf meinen knieen o jesus du gemordet kind du hast ja auch verziehen ein tröpflein deines blutes nur laß auf die mutter fallen das macht uns rein und klar und pur daß wir zum lichte wallen |
Zu Bacharach am Rheine von Clemens Brentano, 1800/01 „Zu Bacharach am Rheine / Wohnt eine Zauberin, / Sie war so schön und feine / Und riß viel Herzen hin.“ |
1800 | 2231 | zu bacharach am rheine von clemens brentano zu bacharach am rheine wohnt eine zauberin sie war so schön und feine und riß viel herzen hin und brachte viel zu schanden der männer rings umher aus ihren liebesbanden war keine rettung mehr der bischof ließ sie laden vor geistliche gewalt und mußte sie begnaden so schön war ihr gestalt er sprach zu ihr gerühret du arme lore lay wer hat dich denn verführet zu böser zauberei herr bischof laßt mich sterben ich bin des lebens müd weil jeder muß verderben der meine augen sieht die augen sind zwei flammen mein arm ein zauberstab o legt mich in die flammen o brechet mir den stab ich kann dich nicht verdammen bis du mir erst bekennt warum in diesen flammen mein eigen herz schon brennt den stab kann ich nicht brechen du schöne lore lay ich müßte dann zerbrechen mein eigen herz entzwei herr bischof mit mir armen treibt nicht so bösen spott und bittet um erbarmen für mich den lieben gott ich darf nicht länger leben ich liebe keinen mehr den tod sollt ihr mir geben drum kam ich zu euch her mein schatz hat mich betrogen hat sich von mir gewandt ist fort von hier gezogen fort in ein fremdes land die augen sanft und wilde die wangen rot und weiß die worte still und milde das ist mein zauberkreis ich selbst muß drin verderben das herz tut mir so weh vor schmerzen möcht ich sterben wenn ich mein bildnis seh drum laßt mein recht mich finden mich sterben wie ein christ denn alles muß verschwinden weil er nicht bei mir ist drei ritter läßt er holen bringt sie ins kloster hin geh lore gott befohlen sei dein berückter sinn du sollst ein nönnchen werden ein nönnchen schwarz und weiß bereite dich auf erden zu deines todes reis zum kloster sie nun ritten die ritter alle drei und traurig in der mitten die schöne lore lay o ritter laßt mich gehen auf diesen felsen groß ich will noch einmal sehen nach meines lieben schloß ich will noch einmal sehen wohl in den tiefen rhein und dann ins kloster gehen und gottes jungfrau sein der felsen ist so jähe so steil ist seine wand doch klimmt sie in die höhe bis daß sie oben stand es binden die drei ritter die rosse unten an und klettern immer weiter zum felsen auch hinan die jungfrau sprach da gehet ein schifflein auf dem rhein der in dem schifflein stehet der soll mein liebster sein mein herz wird mir so munter er muß mein liebster sein da lehnt sie sich hinunter und stürzet in den rhein die ritter mußten sterben sie konnten nicht hinab sie mußten all verderben ohn priester und ohn grab wer hat dies lied gesungen ein schiffer auf dem rhein und immer hats geklungen von dem drei ritterstein lore lay lore lay lore lay als wären es meiner drei |
Der Spielmann von Friedrich Gottlob Wetzel, vor 1819 † „Es steht ein Spielmann vor der Tür: / Ruft ihn herein zum Feste! / Er tritt wohl in den Saal herfür, / Und grüßt die muntern Gäste: / Kennt ihr das Lied vom Rotbart nicht?“Friedrich Gottlob Wetzel |
1819 | 1450 | der spielmann von friedrich gottlob wetzel es steht ein spielmann vor der tür ruft ihn herein zum feste er tritt wohl in den saal herfür und grüßt die muntern gäste kennt ihr das lied vom rotbart nicht spricht er mit ernstem angesicht das lied will ich euch singen der kaiser kam an einen fluß im heilgen krieg gezogen sein heer wagt nicht hinein den fuß er stürzt sich in die wogen da sank er in der rüstung schwer es führt ein schiff den leichnam her zum land der väter über und wie der sarg darin er ruht berührt den teuren boden da regt sich drinnen neue glut und frischer lebensodem der träger schar erschrocken flieht und als man nach dem sarge sieht der leichnam ist verschwunden auf einem berg wie sage geht in thürings güldner auen da ist des kaisers majestät in einer kluft zu schauen sein bart durchwuchs den steinern tisch sein angesicht ist rot und frisch das aug im traum geschlossen und nun vernehmt ein teures wort bewahrts in herzens grunde ein grauer spielmann hört es dort aus kaisers eignem munde wenn siebenhundert jahr vorbei dann lassen mich die geister frei mein volk aufs neu zu grüßen als spielmann zieh ich dann umher mich soll kein aug entdecken ich singe manche gute mär den alten geist zu wecken durch liedes kraft und gottes hand erbau ich neu das vaterland eine burg auf ewge zeiten und wenn das edle werk vollbracht nimm dann den lebensmüden o erd in deine kühle nacht und gib ihm endlich frieden doch meinem volk dem gib mein schwert im heilgen kriege wohl bewährt zu neuen heilgen kriegen der spielmann hebt den römer auf und reicht ihn allen gästen nehmt hin das ist mein geist wohlauf und denket mein im besten und alle sehn indem er spricht verwandelt leuchten sein gesicht und flugs war er von hinnen |
Das Burgfräulein von Windeck von Adelbert von Chamisso, 1831 „Halt an den schnaubenden Rappen, / Verblendeter Rittersmann! / Gen Windeck fleucht, dich verlockend, / Der luftige Hirsch hinan.“Adelbert von Chamisso |
1831 | 1206 | das burgfräulein von windeck von adelbert von chamisso halt an den schnaubenden rappen verblendeter rittersmann gen windeck fleucht dich verlockend der luftige hirsch hinan und vor den mächtigen thürmen vom äußern verfallenen thor durchschweifte sein auge die trümmer worunter das wild sich verlor da war es so einsam und stille es brannte die sonne so heiß er trocknete tiefaufathmend von seiner stirne den schweiß ach würde des köstlichen weines mir nur ein trinkhorn voll den hier der verschüttete keller verborgen noch hegen soll kaum waren die worte beflügelt von seinen lippen geflohn so bog um die epheumauer die sorgende schaffnerin schon die zarte die herrliche jungfrau in blendend weißem gewand den schlüsselbund im gürtel das trinkhorn hoch in der hand er schlürfte mit gierigem munde den würzig köstlichen wein er schlürfte verzehrende flammen in seinen busen hinein des auges klare tiefe der locken flüssiges gold es falteten seine hände sich flehend um minnesold sie sah ihn an mitleidig und ernst und wunderbar und war so schnell verschwunden wie schnell sie erschienen war er hat seit dieser stunde an windecks trümmern gebannt nicht ruh noch rast gefunden und keine hoffnung gekannt er schlich im wachen traume gespenstig siech und bleich zu sterben nicht vermögend und keinem lebendigen gleich sie sagen sie sey ihm noch einmal erschienen nach langer zeit und hab ihn geküßt auf die lippen und so ihn vom leben befreit |
Das Riesenspielzeug von Adelbert von Chamisso, 1831 „Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohl bekannt, / Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand; / Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer, / Du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.“ |
1831 | 1909 | das riesenspielzeug von adelbert von chamisso burg niedeck ist im elsaß der sage wohl bekannt die höhe wo vor zeiten die burg der riesen stand sie selbst ist nun verfallen die stätte wüst und leer du fragest nach den riesen du findest sie nicht mehr einst kam das riesenfräulein aus jener burg hervor erging sich sonder wartung und spielend vor dem thor und stieg hinab den abhang bis in das thal hinein neugierig zu erkunden wies unten möchte sein mit wengen raschen schritten durchkreuzte sie den wald erreichte gegen haslach das land der menschen bald und städte dort und dörfer und das bestellte feld erschienen ihren augen gar eine fremde welt wie jetzt zu ihren füßen sie spähend niederschaut bemerkt sie einen bauer der seinen acker baut es kriecht das kleine wesen einher so sonderbar es glitzert in der sonne der pflug so blank und klar ei artig spielding ruft sie das nehm ich mit nach haus sie knieet nieder spreitet behend ihr tüchlein aus und feget mit den händen was da sich alles regt zu haufen in das tüchlein das sie zusammen schlägt und eilt mit freudgen sprüngen man weiß wie kinder sind zur burg hinan und suchet den vater auf geschwind ei vater lieber vater ein spielding wunderschön so allerliebstes sah ich noch nie auf unsern höhn der alte saß am tische und trank den kühlen wein er schaut sie an behaglich er fragt das töchterlein was zappeliges bringst du in deinem tuch herbei du hüpfest ja vor freuden laß sehen was es sei sie spreitet aus das tüchlein und fängt behutsam an den bauer aufzustellen den pflug und das gespann wie alles auf dem tische sie zierlich aufgebaut so klatscht sie in die hände und springt und jubelt laut der alte wird gar ernsthaft und wiegt sein haupt und spricht was hast du angerichtet das ist kein spielzeug nicht wo du es hergenommen da trag es wieder hin der bauer ist kein spielzeug was kommt dir in den sinn sollst gleich und ohne murren erfüllen mein gebot denn wäre nicht der bauer so hättest du kein brod es sprießt der stamm der riesen aus bauernmark hervor der bauer ist kein spielzeug da sei uns gott davor burg niedeck ist im elsaß der sage wohlbekannt die höhe wo vor zeiten die burg der riesen stand sie selbst ist nun verfallen die stätte wüst und leer und fragst du nach den riesen du findest sie nicht mehr |
Der alte Sänger von Adelbert von Chamisso, 1834 „Sang der sonderbare Greise / Auf den Märkten, Straßen, Gassen / Gellend, zürnend seine Weise: / »Bin, der in die Wüste schreit.“ |
1834 | 1450 | der alte sänger von adelbert von chamisso sang der sonderbare greise auf den märkten straßen gassen gellend zürnend seine weise bin der in die wüste schreit langsam langsam und gelassen nichts unzeitig nichts gewaltsam unablässig unaufhaltsam allgewaltig naht die zeit torenwerk ihr wilden knaben an dem baum der zeit zu rütteln seine last ihm abzustreifen wann er erst mit blüten prangt laßt ihn seine früchte reifen und den wind die äste schütteln selber bringt er euch die gaben die ihr ungestüm verlangt und die aufgeregte menge zischt und schmäht den alten sänger lohnt ihm seine schmachgesänge tragt ihm seine lieder nach dulden wir den knecht noch länger werfet werfet ihn mit steinen ausgestoßen von den reinen treff ihn allerorten schmach sang der sonderbare greise in den königlichen hallen gellend zürnend seine weise bin der in die wüste schreit vorwärts vorwärts nimmer lässig nimmer zaghaft kühn vor allen unaufhaltsam unablässig allgewaltig drängt die zeit mit dem strom und vor dem winde mache dir dich stark zu zeigen strom und windeskraft zu eigen wider beide gähnt dein grab steure kühn in grader richtung klippen dort die furt nur finde umzulenken heischt vernichtung treibst als wrack du doch hinab einen sah man da erschrocken bald erröten bald erblassen wer hat ihn hereingelassen dessen stimme zu uns drang wahnsinn spricht aus diesem alten soll er uns das volk verlocken sorgt den toren festzuhalten laßt verstummen den gesang sang der sonderbare greise immer noch im finstern turme ruhig heiter seine weise bin der in die wüste schreit schreien mußt ich es dem sturme der propheten lohn erhalt ich unablässig allgewaltig unaufhaltsam naht die zeit |
Der Bettler und sein Hund von Adelbert von Chamisso, 1829 „»Drei Taler erlegen für meinen Hund! / So schlage das Wetter mich gleich in den Grund! / Was denken die Herrn von der Polizei? / Was soll nun wieder die Schinderei?“ |
1829 | 1420 | der bettler und sein hund von adelbert von chamisso drei taler erlegen für meinen hund so schlage das wetter mich gleich in den grund was denken die herrn von der polizei was soll nun wieder die schinderei ich bin ein alter ein kranker mann der keinen groschen verdienen kann ich habe nicht geld ich habe nicht brot ich lebe ja nur von hunger und not und wann ich erkrankt und wann ich verarmt wer hat sich da noch meiner erbarmt wer hat wann ich auf gottes welt allein mich fand zu mir sich gesellt wer hat mich geliebt wann ich mich gehärmt wer wann ich fror hat mich gewärmt wer hat mit mir wann ich hungrig gemurrt getrost gehungert und nicht geknurrt es geht zur neige mit uns zwein es muß mein tier geschieden sein du bist wie ich nun alt und krank ich soll dich ersäufen das ist der dank das ist der dank das ist der lohn dir gehts wie manchem erdensohn zum teufel ich war bei mancher schlacht den henker hab ich noch nicht gemacht das ist der strick das ist der stein das ist das wasser es muß ja sein komm her du köter und sieh mich nicht an noch nur ein fußstoß so ist es getan wie er in die schlinge den hals ihm gesteckt hat wedelnd der hund die hand ihm geleckt da zog er die schlinge sogleich zurück und warf sie schnell um sein eigen genick und tat einen fluch gar schauderhaft und raffte zusammen die letzte kraft und stürzt in die flut sich die tönend stieg im kreise sich zog und über ihm schwieg wohl sprang der hund zur rettung hinzu wohl heult er die schiffer aus ihrer ruh wohl zog er sie winselnd und zerrend her wie sie ihn fanden da war er nicht mehr er ward verscharret in stiller stund es folgt ihm winselnd nur der hund der hat wo den leib die erde deckt sich hingestreckt und ist da verreckt |
Der rechte Barbier von Adelbert von Chamisso, 1834 „„Und soll ich nach Philisterart / Mir Kinn und Wange putzen, / So will ich meinen langen Bart / Den letzten Tag noch nutzen;“ |
1834 | 2092 | der rechte barbier von adelbert von chamisso und soll ich nach philisterart mir kinn und wange putzen so will ich meinen langen bart den letzten tag noch nutzen ja ärgerlich wie ich nun bin vor meinem groll vor meinem kinn soll mancher noch erzittern holla herr wirt mein pferd macht fort ihm wird der hafer frommen habt ihr barbierer hier im ort laßt gleich den rechten kommen waldaus waldein verfluchtes land ich ritt die kreuz und quer und fand doch nirgends noch den rechten tritt her bartputzer aufgeschaut du sollst den bart mir kratzen doch kitzlig sehr ist meine haut ich biete hundert batzen nur machst du nicht die sache gut und fließt ein einzges tröpfchen blut fährt dir mein dolch ins herze das spitze kalte eisen sah man auf dem tische blitzen und dem verwünschten ding gar nah auf seinem stuhle sitzen den grimmgen schwarzbehaarten mann im schwarzen kurzen wams woran noch schwärzre troddeln hingen dem meister wirds zu grausig fast er will die messer wetzen er sieht den dolch er sieht den gast es packt ihn das entsetzen er zittert wie das espenlaub er macht sich plötzlich aus dem staub und sendet den gesellen ein hundert batzen mein gebot falls du die kunst besitzest doch merk es dir dich stech ich tot so du die haut mir ritzest und der gesell den teufel auch das ist des landes nicht der brauch er läuft und schickt den jungen bist du der rechte kleiner molch frisch auf fang an zu schaben hier ist das geld hier ist der dolch das beides ist zu haben und schneidest ritzest du mich bloß so geb ich dir den gnadenstoß du wärest nicht der erste der junge denkt der batzen druckst nicht lang und ruft verwegen nur still gesessen nicht gemuckst gott geb euch seinen segen er seift ihn ein ganz unverdutzt er wetzt er stutzt er kratzt er putzt gottlob nun seid ihr fertig nimm kleiner knirps dein geld nur hin du bist ein wahrer teufel kein andrer mochte den gewinn du hegtest keinen zweifel es kam das zittern dich nicht an und wenn ein tröpflein blutes rann so stach ich dich doch nieder ei guter herr so stand es nicht ich hielt euch an der kehle verzucktet ihr nur das gesicht und ging der schnitt mir fehle so ließ ich euch dazu nicht zeit entschlossen war ich und bereit die kehl euch abzuschneiden so so ein ganz verwünschter spaß dem herrn wards unbehaglich er wurd auf einmal leichenblaß und zitterte nachträglich so so das hatt ich nicht bedacht doch hat es gott noch gut gemacht ich wills mir aber merken |
Der Soldat von Adelbert von Chamisso, 1833 „Es geht bei gedämpfter Trommel Klang; / Wie weit noch die Stätte! der Weg wie lang! / O wär er zur Ruh und alles vorbei! / Ich glaub’, es bricht mir das Herz entzwei!“ |
1833 | 483 | der soldat von adelbert von chamisso es geht bei gedämpfter trommel klang wie weit noch die stätte der weg wie lang o wär er zur ruh und alles vorbei ich glaub es bricht mir das herz entzwei ich hab in der welt nur ihn geliebt nur ihn dem jetzt man den tod doch gibt bei klingendem spiele wird paradiert dazu bin auch ich kommandiert nun schaut er auf zum letzten mal in gottes sonne freudigen strahl nun binden sie ihm die augen zu dir schenke gott die ewige ruh es haben die neun wohl angelegt acht kugeln haben vorbeigefegt sie zittern alle vor jammer und schmerz ich aber ich traf ihn mitten in das herz |
Die alte Waschfrau von Adelbert von Chamisso, 1833 „Du siehst geschäftig bei dem Linnen / die Alte dort in weißem Haar, / die rüstigste der Wäscherinnen / im sechsundsiebenzigsten Jahr.“ |
1833 | 1338 | die alte waschfrau von adelbert von chamisso du siehst geschäftig bei dem linnen die alte dort in weißem haar die rüstigste der wäscherinnen im sechsundsiebenzigsten jahr so hat sie stets mit sauerm schweiß ihr brot in ehr und zucht gegessen und ausgefüllt mit treuem fleiß den kreis den gott ihr zugemessen sie hat in ihren jungen tagen geliebt gehofft und sich vermählt sie hat des weibes los getragen die sorgen haben nicht gefehlt sie hat den kranken mann gepflegt sie hat drei kinder ihm geboren sie hat ihn in das grab gelegt und glaub und hoffnung nicht verloren da galts die kinder zu ernähren sie griff es an mit heiterm mut sie zog sie auf in zucht und ehren der fleiß die ordnung sind ihr gut zu suchen ihren unterhalt entließ sie segnend ihre lieben so stand sie nun allein und alt ihr war ihr heitrer mut geblieben sie hat gespart und hat gesonnen und flachs gekauft und nachts gewacht den flachs zu feinem garn gesponnen das garn dem weber hingebracht der hats gewebt zu leinewand die schere brauchte sie die nadel und nähte sich mit eigner hand ihr sterbehemde sonder tadel ihr hemd ihr sterbehemd sie schätzt es verwahrts im schrein am ehrenplatz es ist ihr erstes und ihr letztes ihr kleinod ihr ersparter schatz sie legt es an des herren wort am sonntag früh sich einzuprägen dann legt sies wohlgefällig fort bis sie darin zur ruh sie legen und ich an meinem abend wollte ich hätte diesem weibe gleich erfüllt was ich erfüllen sollte in meinen grenzen und bereich ich wollt ich hätte so gewußt am kelch des lebens mich zu laben und könnt am ende gleiche lust an meinem sterbehemde haben |
Die Kreuzschau von Adelbert von Chamisso, 1835 „Der Pilger, der die Höhen überstiegen, / Sah jenseits schon das ausgespannte Thal / In Abendglut vor seinen Füßen liegen. / Auf duft’ges Gras, im milden Sonnenstrahl“ |
1835 | 1919 | die kreuzschau von adelbert von chamisso der pilger der die höhen überstiegen sah jenseits schon das ausgespannte thal in abendglut vor seinen füßen liegen auf duftges gras im milden sonnenstrahl streckt er ermattet sich zur ruhe nieder indem er seinem schöpfer sich befahl ihm fielen zu die matten augenlider doch seinen wachen geist enthob ein traum der irdschen hülle seiner trägen glieder der schild der sonne ward im himmelsraum zu gottes angesicht das firmament zu seinem kleid das land zu dessen saum du wirst dem dessen herz dich vater nennt nicht herr im zorn entziehen deinen frieden wenn seine schwächen er vor dir bekennt daß wen ein weib gebar sein kreuz hienieden auch duldend tragen muß ich weiß es lange doch sind der menschen last und leid verschieden mein kreuz ist allzu schwer sieh ich verlange die last nur angemessen meiner kraft ich unterliege herr zu hartem zwange wie so er sprach zum höchsten kinderhaft kam brausend her der sturm und es geschah daß aufwärts er sich fühlte hingerafft und wie er boden faßte fand er da sich einsam in der mitte räumger hallen wo ringsum sonder zahl er kreuze sah und eine stimme hört er dröhnend hallen hier aufgespeichert ist das leid du hast zu wählen unter diesen kreuzen allen versuchend ging er da unschlüssig fast von einem kreuz zum anderen umher sich auszuprüfen die bequemre last dies kreuz war ihm zu groß und das zu schwer so schwer und groß war jenes andre nicht doch scharf von kanten drückt es desto mehr das dort das warf wie gold ein gleißend licht das lockt ihn unversucht es nicht zu lassen dem goldnen glanz entsprach auch das gewicht er mochte dieses heben jenes fassen zu keinem neigte noch sich seine wahl es wollte keines keines für ihn passen durchmustert hatt er schon die ganze zahl verlorne müh vergebens wars geschehen durchmustern mußt er sie zum andernmal und nun gewahrt er früher übersehen ein kreuz das leidlicher ihm schien zu sein und bei dem einen blieb er endlich stehen ein schlichtes marterholz nicht leicht allein ihm paßlich und gerecht nach kraft und maß herr rief er so du willst dies kreuz sei mein und wie ers prüfend mit den augen maß es war dasselbe das er sonst getragen wogegen er zu murren sich vermaß er lud es auf und trugs nun sonder klagen |
Die Löwenbraut von Adelbert von Chamisso, 1827 „Mit der Myrte geschmückt und dem Brautgeschmeid, / Des Wärters Tochter, die rosige Maid, / Tritt ein in den Zwinger des Löwen; er liegt / Der Herrin zu Füßen, vor der er sich schmiegt.“ |
1827 | 1706 | die löwenbraut von adelbert von chamisso mit der myrte geschmückt und dem brautgeschmeid des wärters tochter die rosige maid tritt ein in den zwinger des löwen er liegt der herrin zu füßen vor der er sich schmiegt der gewaltige wild und unbändig zuvor schaut fromm und verständig zur herrin empor die jungfrau zart und wonnereich liebstreichelt ihn sanft und weinet zugleich wir waren in tagen die nicht mehr sind gar treue gespielen wie kind und kind und hatten uns lieb und hatten uns gern die tage der kindheit sie liegen uns fern du schütteltest machtvoll eh wirs geglaubt dein mähnenumwogtes königlich haupt ich wuchs heran du siehst es ich bin das kind nicht mehr mit kindischem sinn o wär ich das kind noch und bliebe bei dir mein starkes getreues mein redliches thier ich aber muß folgen sie thatens mir an hinaus in die fremde dem fremden mann es fiel ihm ein daß schön ich sei ich wurde gefreiet es ist nun vorbei der kranz im haare mein guter gesell und nicht vor thränen die blicke mehr hell verstehst du mich ganz schaust grimmig dazu ich bin ja gefaßt sei ruhig auch du dort seh ich ihn kommen dem folgen ich muß so geb ich denn freund dir den letzten kuß und wie ihn die lippe des mädchens berührt da hat man den zwinger erzittern gespürt und wie er am gitter den jüngling erschaut erfaßt entsetzen die bangende braut er stellt an die thür sich des zwingers zu wacht er schwinget den schweif er brüllet mit macht sie flehend gebietend und drohend begehrt hinaus er im zorn den ausgang wehrt und draußen erhebt sich verworren geschrei der jüngling ruft bringt waffen herbei ich schieß ihn nieder ich treff ihn gut auf brüllt der gereizte schäumend vor wuth die unselige wagts sich der thüre zu nahn da fällt er verwandelt die herrin an die schöne gestalt ein gräßlicher raub liegt blutig zerissen entstellt in dem staub und wie er vergossen das theure blut er legt sich zur leiche mit finsterem muth er liegt so versunken in trauer und schmerz bis tödtlich die kugel ihn trifft in das herz |
Die Männer im Zobtenberge von Adelbert von Chamisso, vor 1838 † „Es wird vom Zobtenberge gar Seltsames erzählt; / Als tausend und fünfhundert und siebzig man gezählt, / Am Sonntag Quasimodo lustwandelte hinan / Johannes Beer aus Schweidnitz, ein schlichter frommer Mann.“ |
1838 | 2215 | die männer im zobtenberge von adelbert von chamisso es wird vom zobtenberge gar seltsames erzählt als tausend und fünfhundert und siebzig man gezählt am sonntag quasimodo lustwandelte hinan johannes beer aus schweidnitz ein schlichter frommer mann er war des berges kundig und schlucht und felsenwand und jeder stein am stege vollkommen ihm bekannt wo in gedrängtem kreise die nackten felsen stehn war diesmal eine höhle wo keine sonst zu sehn er nahte sich verwundert dem unbekannten schlund es hauchte kalt und schaurig ihn an aus seinem grund er wollte zaghaft fliehen doch bannt ihn fort und fort ein lüsternes entsetzen an nicht geheuren ort er faßte sich ein herze er stieg hinein und drang durch enge felsenspalten in einen langen gang ihn lockte tief da unten ein schwacher dämmerschein den warf in ehrner pforte ein kleines fensterlein die pforte war verschlossen zu welcher er nun kam er klopfte von der wölbung erdröhnt es wundersam er klopfte noch zum andern zum dritten mal noch an da ward von geisterhänden unsichtbar aufgetan an rundem tische saßen im schwarzbehangnem saal erhellt von einer ampel unsicher bleichem strahl drei lange hagre männer betrübt und zitternd sahn ein pergament vor ihnen sie stieren blickes an er zögernd auf der schwelle beschaute sie genau die tracht so altertümlich das haar so lang und grau er rief mit frommem gruße »vobiscum christi pax« sie seufzten leise wimmernd »hic nulla nulla pax« er trat nun von der schwelle nur wenge schritte vor vom pergamente blickten die männer nicht empor er grüßte sie zum andern »vobiscum christi pax« sie lallten zähneklappernd »hic nulla nulla pax« er trat nun vor den tisch hin und grüßte wiederum »pax christi sit vobiscum« sie aber blieben stumm erzitterten und legten das pergament ihm dar »hic liber obedientiae« darauf zu lesen war da fragt er wer sie wären sie wüßtens selber nicht er fragte was sie machten das endliche gericht erharrten sie mit schrecken und jenen jüngsten tag wo jedem seiner werke vergeltung werden mag er fragte wie sie hätten verbracht die zeitlichkeit was ihre werke waren ein vorhang wallte breit den männern gegenüber und bildete die wand sie bebten schwiegen zeigten darauf mit blick und hand dahin gewendet hob er den vorhang schaudernd auf geripp und schädel lagen gespeichert da zu hauf vergebens wars mit purpur und hermelin verdeckt drei schwerter lagen drüber die klingen blutbefleckt drauf er ob zu den werken sie sich bekennten ja ob solche gute waren ob böse böse ja ob leid sie ihnen wären sie senkten das gesicht erschraken und verstummten sie wüßtens selber nicht |
Die Sonne bringt es an den Tag von Adelbert von Chamisso, 1827 „Gemächlich in der Werkstatt saß / Zum Frühtrunk Meister Nikolas, / Die junge Hausfrau schenkt′ ihm ein, / Es war im heitern Sonnenschein. – / Die Sonne bringt es an den Tag.“ |
1827 | 2140 | die sonne bringt es an den tag von adelbert von chamisso gemächlich in der werkstatt saß zum frühtrunk meister nikolas die junge hausfrau schenkt ihm ein es war im heitern sonnenschein die sonne bringt es an den tag die sonne blinkt von der schale rand malt zitternde kringeln an die wand und wie den schein er ins auge faßt so spricht er für sich indem er erblaßt du bringst es doch nicht an den tag wer nicht was nicht die frau fragt gleich was stierst du so an was wirst du so bleich und er darauf sei still nur still ichs doch nicht sagen kann noch will die sonne bringts nicht an den tag die frau nur dringender forscht und fragt mit schmeicheln ihn und hadern plagt mit süßem und mit bitterm wort sie fragt und plagt ihn ort und ort was bringt die sonne nicht an den tag nein nimmermehr du sagst es mir noch ich sag es nicht du sagst es mir doch da ward zuletzt er müd und schwach und gab der ungestümen nach die sonne bringt es an den tag auf der wanderschaft s sind zwanzig jahr da traf es mich einst gar sonderbar ich hatt nicht geld nicht ranzen noch schuh war hungrig und durstig und zornig dazu die sonne bringts nicht an den tag da kam mir just ein jud in die quer ringsher wars still und menschenleer du hilfst mir hund aus meiner not den beutel her sonst schlag ich dich tot die sonne bringts nicht an den tag und er vergieße nicht mein blut acht pfennige sind mein ganzes gut ich glaubt ihm nicht und fiel ihn an er war ein alter schwacher mann die sonne bringts nicht an den tag so rücklings lag er blutend da sein brechendes aug in die sonne sah noch hob er zuckend die hand empor noch schrie er röchelnd mir ins ohr die sonne bringt es an den tag ich macht ihn schnell noch vollends stumm und kehrt ihm die taschen um und um acht pfennge das war das ganze geld ich scharrt ihn ein auf selbigem feld die sonne bringts nicht an den tag dann zog ich weit und weiter hinaus kam hier ins land bin jetzt zu haus du weißt nun meine heimlichkeit so halte den mund und sei gescheit die sonne bringts nicht an den tag wann aber sie so flimmernd scheint ich merk es wohl was sie da meint wie sie sich müht und sich erbost du schau nicht hin und sei getrost sie bringt es doch nicht an den tag so hatte die sonn eine zunge nun der frauen zungen ja nimmer ruhn gevatterin um jesus christ laßt euch nicht merken was ihr nun wißt nun bringts die sonne an den tag die raben ziehen krächzend zumal nach dem hochgericht zu halten ihr mahl wen flechten sie aufs rad zur stund was hat er getan wie ward es kund die sonne bracht es an den tag |
Die versunkene Burg von Adelbert von Chamisso, 1836 „Es ragt umkrönt von Türmen empor aus dunklem Forst / Ein steiler luft’ger Felsen, das ist der Raubherrn Horst, / Und wie aus blauen Lüften der Aar auf seinen Fang, / So schießen sie auf Beute von dort das Tal entlang.“ |
1836 | 2625 | die versunkene burg von adelbert von chamisso es ragt umkrönt von türmen empor aus dunklem forst ein steiler luftger felsen das ist der raubherrn horst und wie aus blauen lüften der aar auf seinen fang so schießen sie auf beute von dort das tal entlang drei brüder sinds auf straßen zu roß in blankem stahl in hermelin und purpur daheim im rittersaal in blut und lust und sünden in stolz und üppigkeit so schwelgen sie und prassen gefürchtet weit und breit und ihre freche buhle weiß nicht wie hunger tut sie prunkt in gold und seide und tritt aus frevelmut die heilge gottesgabe verächtlich in den kot sie geht einher auf schuhen von feinem weizenbrot der wächter hat gerufen auf ritter auf zu roß von reisigen erscheinet ein staubumwölkter troß das sind die fremden kaufherrn das ist der reiche zug die führen wenig eisen doch rotes gold genug vergeßt nicht eure buhle ruft ihnen nach die maid schafft gold und edelsteine schafft funkelndes geschmeid versorgt mit singevögeln aufs neu den rosenhag daß sich an ihrem zwitschern mein ohr erfreuen mag und bald mit jubel ziehen sie wieder burg hinan vor ihnen die gefangnen gebunden mann für mann wir bringen dir die vögel die du begehret hast im rosenhag zu zwitschern und goldes manche last der rosenhag tief öffnet und eng sich eine gruft das burgverlies es steiget empor der leichen duft tief unten gähnt der abgrund ein jäher felsenspalt kein andrer ausgang führet aus diesem aufenthalt da galt es zu verhungern der angstruf welcher drang aus diesem schreckensschlunde das war der vogelsang und wenn hinab sich stürzte am felsen sich zerschlug verzweiflungsvoll ein opfer das war der vogelflug sie stießen nun die armen hinab in diesen graus da rief ein greis ein priester noch händeringend aus weh über euch ihr toren die ihr verblendet seid einst werden solche werke mehr euch denn uns noch leid da rief ein ritter grimmig nun blutschuld sinnenlust ich bin der eignen werke vollkommen mir bewußt ich will darüber brüten bei meinem teuren eid bis zu dem weltgerichte sie werden mir nicht leid da rief der andre höhnend du willst der rabe sein die sorg um meine werke so wie die lust ist mein ich selber will sie tragen bei meinem teuren eid bis zu dem jüngsten tage sie werden mir nicht leid da rief der dritte lachend hinunter in den schlund als nachtigall zu singen der hier gebellt als hund ich trage meine werke bei meinem teuren eid bis an den tag der tage sie werden mir nicht leid wie frevelnd ihren lippen das schnelle wort entflohn entgegnet aus der tiefe ein wehgeschrei dem hohn und amen ruft die buhle die höllisch gellend lacht da schallt und rollt der donner der felsen wankt und kracht und jene kreischt verwandelt es rauscht der flügelschlag sie schwingt sich in die lüfte verfinstert wird der tag die erde flammensprühend eröffnet ihren mund und wie die burg versunken so ebnet sich der grund du forschest nach der stätte wo einst die stolze stand du fragest nach den namen wie jene sonst benannt vergebliches beginnen es waltet das gericht vergessen und verschollen die sage weiß es nicht |
Die Weiber von Weinsberg von Adelbert von Chamisso, 1831 „Der erste Hohenstaufe, der König Konrad, lag / Mit Heeresmacht vor Weinsberg seit manchem langen Tag. / Der Welfe war geschlagen, noch wehrte sich das Nest, / Die unverzagten Städter, die hielten es noch fest.“ |
1831 | 1223 | die weiber von weinsberg von adelbert von chamisso der erste hohenstaufe der könig konrad lag mit heeresmacht vor weinsberg seit manchem langen tag der welfe war geschlagen noch wehrte sich das nest die unverzagten städter die hielten es noch fest der hunger kam der hunger das ist ein scharfer dorn nun suchten sie die gnade nun fanden sie den zorn ihr habt mir hier erschlagen gar manchen degen wert und öffnet ihr die tore so trifft euch doch das schwert da sind die weiber kommen und muss es also sein gewährt uns freien abzug wir sind vom blute rein da hat sich vor den armen des helden zorn gekühlt da hat ein sanft erbarmen im herzen er gefühlt die weiber mögen abziehn und jede habe frei was sie vermag zu tragen und ihr das liebste sei lasst ziehn mit ihrer bürde sie ungehindert fort das ist des königs meinung das ist des königs wort und als der frühe morgen im osten kaum gegraut da hat ein seltnes schauspiel vom lager man geschaut es öffnet leise leise sich das bedrängte tor es schwankt ein zug von weibern mit schwerem schritt hervor tief beugt die last sie nieder die auf dem nacken ruht sie tragen ihre ehherrn das ist ihr liebstes gut halt an die argen weiber ruft drohend mancher wicht der kanzler spricht bedeutsam das war die meinung nicht da hat wie ers vernommen der fromme herr gelacht und war es nicht die meinung sie habens gut gemacht gesprochen ist gesprochen das königswort besteht und zwar von keinem kanzler zerdeutelt und zerdreht |
Ein Lied von der Weibertreue von Adelbert von Chamisso, 1831 „Sie haben zwei Todte zur Ruhe gebracht; / Der Hauptmann fiel in rühmlicher Schlacht, / Mit Ehren ward er beigesetzt, / Und der, den jüngst er wacker gehetzt, / Der Räuber hängt am Galgen.“ |
1831 | 4527 | ein lied von der weibertreue von adelbert von chamisso sie haben zwei todte zur ruhe gebracht der hauptmann fiel in rühmlicher schlacht mit ehren ward er beigesetzt und der den jüngst er wacker gehetzt der räuber hängt am galgen da hält die wacht als schildergast ein junger landsknecht verdrießlich fast die nacht ist kalt er flucht und friert und wird ihm geraubt der den galgen ziert so muß für ihn er hangen im grabgewölb bei des hauptmanns leib verweilt verzweiflungsvoll sein weib sie hat geschworen in bittrer noth für ihn zu sterben den hungertod die amme zur gesellschaft die amme spricht gebieterin ich habe geschworen nach eurem sinn beklagt und lobt den selgen herrn da stimm ich mit ein von herzen gern doch plagt mich sehr der hunger er war so alt er war gar gut nicht eifersüchtig von sanftem muth ach edle frau ihr findet zwar den zweiten nicht wie der erste war doch plagt mich sehr der hunger euch wars es ist mir wohl bewußt ein harter schlag ein großer verlust doch seid ihr noch schön doch seid ihr noch jung und könntet noch haben der freude genung es plagt mich sehr der hunger die amme so und stumm beharrt die edle frau im schmerz erstarrt erloschen scheint der augen licht sie klaget nicht sie weinet nicht es plagt sie sehr der hunger und draußen bläst der wind gar scharf der landsknecht läuft so weit er darf indem er sich zu erwärmen sucht und wie er läuft und wie er flucht so sieht ein licht er schimmern von wannen mag der schimmer sein er schleicht hinzu er tritt hinein gegrüßet mir ihr edle fraun wie muß ich hier im grabe schaun so hoher schönheit schimmer so staunend er und stumm beharrt die edle frau im schmerz erstarrt erloschen scheint der augen licht sie klaget nicht sie weinet nicht es plagt sie sehr der hunger die amme drauf das seht ihr ja wir trauern um den todten da wir haben geschworen in bittrer noth für ihn zu sterben den hungertod es plagt mich sehr der hunger drauf er das ist nicht wohlgethan und hilft zu nichts dem todten mann so schön so jung ihr seid nicht klug es hat die welt der freude genug entsetzlich nagt der hunger ich sage nur ihr frauen sollt mich essen sehn dann thun was ihr wollt hier hab ich brot hier hab ich wurst hier eine flasche für den durst es plagt auch mich der hunger und wie er thut was er gesagt und ihm so wohl das essen behagt da sinkt der alten ganz der muth ach edle frau das schmeckt so gut und ach mich plagt der hunger drauf er so eßt ich habe für zwei genug und habe genug für drei ich esse sonst allein für vier so eßt und trinkt getrost mit mir das hilft schon für den hunger die amme versucht auf gutes glück ein stückchen erst und dann ein stück sie sieht der herrin ins angesicht sie klaget nicht sie weinet nicht es plagt sie sehr der hunger ach edle frau das schmeckt so gut ihr wißt schon wie der hunger thut was hat davon euer herr gemahl es sei genug für dieses mal entsetzlich nagt der hunger er tritt zu ihr versucht es nur sie aber spricht mein schwur mein schwur und stößt ihn dennoch nicht zurück sie nimmt ein stückchen und dann ein stück das hilft denn für den hunger er fällt vor ihr auf seine knie ich sah ein schöneres weib noch nie nur sollt ihr hinfort mir klüger sein nun muß ich gehen gedenket mein ich komme morgen wieder nichts da von lebensüberdruß er sprichts und raubt ihr einen kuß und stürzt hinaus er ist schon fort die alte ruft so halt auch wort du lieber lieber landsknecht und ferner spricht sie zu der frau bedenk ich herrin die sache genau er hat es gar nicht schlecht gemacht und uns auf guten weg gebracht der liebe liebe landsknecht sie sagt nicht nein sie sagt nicht ja sie steht betroffen erröthend da giebt ihren thränen freien lauf und seufzet leiserathmend auf du lieber lieber landsknecht der landsknecht aber verwundert sich sehr er steht vor dem galgen und der steht leer blitz hagel das war mein henkersschmaus den platz da füll ich morgen noch aus ich armer armer landsknecht er läuft zurück nun schafft auch rath sonst muß ich hangen ich kam zu spat sie fragen ihn aus wie er alles gesagt da weint die edle frau und klagt du armer lieber landsknecht die alte spricht geduld geduld ich wasch ihn rein von aller schuld er hat uns errettet das wißt ihr doch versteht mich frau was zaudern wir noch du lieber lieber landsknecht man hat ihm seinen todten geraubt wir haben auch einen wenn ihr es erlaubt gebt ihm den unsern gebt euren schatz der füllt wie einer seinen platz du lieber lieber landsknecht und wer betrachtets scharf genug daß er entdecke den betrug frisch angefaßt und schnell ans werk daß keiner dort den mangel merk du lieber lieber landsknecht wie er die hand an den todten legt da ruft der landsknecht tief bewegt mein hauptmann was du bist es fürwahr nun bring ich dich an den galgen gar du lieber guter hauptmann die frau versetzt was zauderst du geschwind sonst kommen noch leute dazu geschwind ich helfe was ich kann geschwind geschwind du lieber mann du lieber lieber landsknecht und er darauf es geht nicht an dem räuber fehlt ein vorderzahn da nimmt sie selber einen stein und schlägt den zahn dem todten ein du lieber lieber landsknecht so schleifen hinaus ihn alle drei und hängen ihn an den galgen frei und streift nun der wind die heide entlang so geben die knochen gar guten klang zum lied von der weibertreue |
Der Geiger zu Gmünd von Justinus Kerner, 1816 „Einst ein Kirchlein sonder gleichen, / Noch ein Stein von ihm steht da, / Baute Gmünd der sangesreichen / Heiligen Cäcilia,“Justinus Kerner |
1816 | 2671 | der geiger zu gmünd von justinus kerner eine legende einst ein kirchlein sonder gleichen noch ein stein von ihm steht da baute gmünd der sangesreichen heiligen cäcilia lilien von silber glänzten ob der heilgen mondenklar hell wie morgenroth bekränzten goldne rosen den altar schuh aus reinem gold geschlagen und von silber hell ein kleid hat die heilige getragen denn da wars noch gute zeit zeit wo überm fernen meere nicht nur in der heimat land man der gmündschen künstler ehre hell in gold und silber fand und der fremden pilger wallten zu cäcilias kirchlein viel ungesehn woher erschallten drin gesang und orgelspiel einst ein geiger kam gegangen ach den drückte große noth matte beine bleiche wangen und im sack kein geld kein brot vor dem bild hat er gesungen und gespielet all sein leid hat der heilgen herz durchdrungen horch melodisch rauscht ihr kleid lächelnd bückt das bild sich nieder aus der lebenlosen ruh wirft dem armen sohn der lieder hin den rechten goldnen schuh nach des nächsten goldschmids hause eilt er ganz vom glück berauscht singt und träumt vom besten schmause wenn der schuh um geld vertauscht aber kaum den schuh ersehen führt der goldschmid rauhen ton und zum richter wird mit schmähen wild geschleppt des liedes sohn bald ist der proceß geschlichtet allen ist es offenbar daß das wunder nur erdichtet er der frechste räuber war weh du armer sohn der lieder sangest wohl den letzten sang an dem galgen auf und nieder sollst ein vogel fliegen bang hell ein glöcklein hört man schallen und man sieht den schwarzen zug mit dir zu der stätte wallen wo beginnen soll dein flug bußgesänge hört man singen nonnen und der mönche chor aber hell auch hört man dringen geigentöne draus hervor seine geige mitzuführen war des geigers letzte bitt wo so viele musiciren musicir ich geiger mit an cäcilias kapelle jetzt der zug vorüberkam nach des offnen kirchleins schwelle geigt er recht in tiefem gram und wer kurz ihn noch gehasset seufzt das arme geigerlein eins noch bitt ich singt er lasset mich zur heilgen noch hinein man gewährt ihm vor dem bilde geigt er abermals sein leid und er rührt die himmlischmilde horch melodisch rauscht ihr kleid lächelnd bückt das bild sich nieder aus der lebenlosen ruh wirft dem armen sohn der lieder hin den zweyten goldnen schuh voll erstaunen steht die menge und es sieht nun jeder christ wie der mann der volksgesänge selbst den heilgen theuer ist schön geschmückt mit bändern kränzen wohl gestärkt mit geld und wein führen sie zu sang und tänzen in das rathhaus ihn hinein alle unbill wird vergessen schön zum fest erhellt das haus und der geiger ist gesessen obenan beym lustgen schmaus aber als sie voll vom weine nimmt er seine schuh zur hand wandert so im mondenscheine lustig in ein andres land seitdem wird zu gmünd empfangen liebreich jedes geigerlein kommt es noch so arm gegangen und es muß getanzet seyn drum auch hört man geigen singen tanzen dort ohn unterlaß und wem alle saiten springen klingt noch mit dem leeren glas und wenn bald ringsum verhallen becherklingeln tanz und sang wird zu gmünd noch immer schallen selbst aus trümmern lustger klang |
Der reichste Fürst von Justinus Kerner, 1818 „Preisend mit viel schönen Reden / Ihrer Länder Wert und Zahl, / Saßen viele deutsche Fürsten / Einst zu Worms im Kaisersaal.“ |
1818 | 753 | der reichste fürst von justinus kerner preisend mit viel schönen reden ihrer länder wert und zahl saßen viele deutsche fürsten einst zu worms im kaisersaal herrlich sprach der fürst von sachsen ist mein land und seine macht silber hegen seine berge wohl in manchem tiefen schacht seht mein land in üppger fülle sprach der kurfürst von dem rhein goldne saaten in den tälern auf den bergen edlen wein große städte reiche klöster ludwig herr zu bayern sprach schaffen daß mein land dem euren wohl nicht steht an schätzen nach eberhard der mit dem barte württembergs geliebter herr sprach mein land hat kleine städte trägt nicht berge silberschwer doch ein kleinod hälts verborgen daß in wäldern noch so groß ich mein haupt kann kühnlich legen jedem untertan in schoß und es rief der herr von sachsen der von bayern der vom rhein graf im bart ihr seid der reichste euer land trägt edelstein |
Die Mühle steht stille von Justinus Kerner, vor 1862 † „Herr Irrwing reitet nachts durchs Tal der Mühle, / Ein Lichtstrahl folgt ihm und ein Windhauch kühle. / Herr Irrwing denkt: das ist des Mondes Licht; / Da haucht es hohl: »Der Mondstrahl redet nicht!«“ |
1862 | 2236 | die mühle steht stille von justinus kerner herr irrwing reitet nachts durchs tal der mühle ein lichtstrahl folgt ihm und ein windhauch kühle herr irrwing denkt das ist des mondes licht da haucht es hohl der mondstrahl redet nicht die mühle steht stille herr irrwing denkt das ist des baches tönen da haucht es hohl vom bach aus blut und tränen herr irrwing spornt sein roß zu schnellem lauf doch plötzlich geht ihm innres schauen auf die mühle steht stille das ist nicht mondenstrahl nicht baches wogen gespenstig kömmt ein weib mir nachgeflogen vom leichentuch getragen bleich und wund ein kalter hauch entströmet ihrem mund die mühle steht stille herr irrwing läßt dem scheuen roß die zügel der geist doch auf des leichentuches flügel ereilt ihn bald und hauchet in die luft schnell wie kein vogel fliegt ein geist der gruft die mühle steht stille und wie herr irrwing schaut sieht er gespalten des geistes haupt er siehet in den kalten gespenstgen schädel tief bis auf den grund da haucht also des geistes kalter mund die mühle steht stille schau diese spalte draus entfloh mein leben sie hat mein mann john mulling mir gegeben der müller dort den sarg schlug selbst er zu und sprach ein schlag gab ihr die ewge ruh die mühle steht stille nun irr ich ungerochnes weib als schatte johannens jüngern leib umfängt mein gatte die trägt den goldkranz mein im haare dicht der trinkt er zu mein römsches glas so licht die mühle steht stille die schläft im bette mein hat all mein habe hungrig mein knäblein weint auf meinem grabe herr irrwing daß ihr meinen worten glaubt werft euren goldring mir ins offne haupt die mühle steht stille herr irrwing spricht in jesu christi namen werf ich den goldring mein ins haupt dir amen er wirft den goldring in der spalte blut zu klappt der schädel laut der wurf war gut die mühle steht stille der geist verschwindet aus löscht alle helle ein kalter graus herrn irrwing packt zur stelle er braucht zu spornen nicht sein weißes roß von selber rennt es vor des richters schloß die mühle steht stille herr richter spricht er eine bitt ich habe kommt auf den kirchhof mit zu elsbeths grabe sie graben lange da sie graben tief bis zu dem sarge drin frau elsbeth schlief die mühle steht stille sie brechen auf den deckel daß es schallte da liegt die leiche mit des schädels spalte herr irrwing spricht so wars und plötzlich rollt hell aus der spalte irrwings ring von gold die mühle steht stille was sammeln sich die raben dort in banden john mulling hat die blutge tat gestanden hoch auf dem berge bleichet sein gebein frau elsbeth ging in gottes himmel ein die mühle steht stille |
Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe von Justinus Kerner, vor 1862 † „Auf der Burg zu Germersheim, / Stark am Geist, am Leibe schwach, / Sitzt der greise Kaiser Rudolf, / Spielend das gewohnte Schach.“ |
1862 | 1716 | kaiser rudolfs ritt zum grabe von justinus kerner auf der burg zu germersheim stark am geist am leibe schwach sitzt der greise kaiser rudolf spielend das gewohnte schach und er spricht ihr guten meister ärzte sagt mir ohne zagen wann aus dem zerbrochnen leib wird der geist zu gott getragen und die meister sprechen herr wohl noch heut erscheint die stunde freundlich lächelnd spricht der greis meister dank für diese kunde auf nach speyer auf nach speyer ruft er als das spiel geendet wo so mancher deutsche held liegt begraben seis vollendet blast die hörner bringt das roß das mich oft zur schlacht getragen zaudernd stehn die diener all doch er ruft folgt ohne zagen und das schlachtroß wird gebracht nicht zum kampf zum ewgen frieden spricht er trage treuer freund jetzt den herrn den lebensmüden weinend steht der diener schar als der greis auf hohem rosse rechts und links ein kapellan zieht halb leich aus seinem schlosse trauernd neigt des schlosses lind vor ihm ihre äste nieder vögel die in ihrer hut singen wehmutsvolle lieder mancher eilt des wegs daher der gehört die bange sage sieht des helden sterbend bild und bricht aus in laute klage aber nur von himmelslust spricht der greis mit jenen zweien lächelnd blickt sein angesicht als ritt er zur lust in maien von dem hohen dom zu speyer hört man dumpf die glocken schallen ritter bürger zarte fraun weinend ihm entgegenwallen in den hohen kaisersaal ist er rasch noch eingetreten sitzend dort auf goldnem stuhl hört man für das volk ihn beten reichet mir den heilgen leib spricht er dann mit bleichem munde drauf verjüngt sich sein gesicht um die mitternächtge stunde da auf einmal wird der saal hell von überirdschem lichte und entschlummert sitzt der held himmelsruh im angesichte glocken dürfens nicht verkünden boten nicht zur leiche bieten alle herzen längs des rheins fühlen daß der held verschieden nach dem dome strömt das volk schwarz unzähligen gewimmels der empfing des helden leib seinen geist der dom des himmels |
Weinsberger Weiberlist von Justinus Kerner, 1849 „»Des Zuzugs Trommeln schallen, / Weib! meinen Heckerhut! / Und sollt ich heut noch fallen, / Blut muß ich trinken, Blut!«“ |
1849 | 1281 | weinsberger weiberlist von justinus kerner im jahre 1849 eine wahre begebenheit des zuzugs trommeln schallen weib meinen heckerhut und sollt ich heut noch fallen blut muß ich trinken blut blut spricht das weib hast fieber so darfst du nicht von haus trink eh du blut trinkst lieber dies volle schnapsglas aus er trank was sie ihm reichte sprach dann mir wird so dumm er gähnte und erbleichte und fiel sich brechend um das weib schrie gott erbarme dem heldentode nah stirbst du in meinem arme nun an der cholera sie schleppt ihn in die kammer legt ihn ins bett hinein dort seufzt er welch ein jammer und schläft laut schnarchend ein und als er spät erwachte wars ihm als wenn voll hohn es auf der gasse lachte und schrie sie kehren schon auf reißt er schnell das fenster und sieht o welch geschick sie schleichen wie gespenster vom zuzug bleich zurück sie zogen aus mit wehren sie kehren o der schmach als krebse ohne scheren zwölf reiter hinten nach das ist ein anblick tödlich sprach er gott welch ein graus weib sage mir doch redlich zog ich denn nicht mit aus nein sei getrost mein lieber sprach sie das konnt nicht sein ich gab dir für dein fieber im schnapse brechweinstein und was darauf geschehen dem denke jetzt nicht nach du hattest kleine wehen die haben große schmach sie sprachs und ging zum herde er sprach kein wörtlein doch daß er den bart abscherte sah sie durchs schlüsselloch das weib dem dies gelungen vom alten weinsberg ist dort lebt noch in den jungen die alte weiberlist |
Bertran de Born von Ludwig Uhland, 1829 „Droben auf dem schroffen Steine / Raucht in Trümmern Autafort, / Und der Burgherr steht gefesselt / Vor des Königs Zelte dort:“Ludwig Uhland |
1829 | 1618 | bertran de born von ludwig uhland droben auf dem schroffen steine raucht in trümmern autafort und der burgherr steht gefesselt vor des königs zelte dort kamst du der mit schwert und liedern aufruhr trug von ort zu ort der die kinder aufgewiegelt gegen ihres vaters wort steht vor mir der sich gerühmet in vermeßner prahlerei daß ihm nie mehr als die hälfte seines geistes nötig sei nun der halbe dich nicht rettet ruf den ganzen doch herbei daß er neu dein schloß dir baue deine ketten brech entzwei wie du sagst mein herr und könig steht vor dir bertran de born der mit einem lied entflammte perigord und ventadorn der dem mächtigen gebieter stets im auge war ein dorn dem zuliebe königskinder trugen ihres vaters zorn deine tochter saß im saale festlich eines herzogs braut und da sang vor ihr mein bote dem ein lied ich anvertraut sang was einst ihr stolz gewesen ihres dichters sehnsuchtlaut bis ihr leuchtend brautgeschmeide ganz von tränen war betaut aus des ölbaums schlummerschatten fuhr dein bester sohn empor als mit zorngen schlachtgesängen ich bestürmen ließ sein ohr schnell war ihm das roß gegürtet und ich trug das banner vor jenem todespfeil entgegen der ihn traf vor montforts tor blutend lag er mir im arme nicht der scharfe kalte stahl daß er sterb in deinem fluche das war seines sterbens qual strecken wollt er dir die rechte über meer gebirg und tal als er deine nicht erreichet drückt er meine noch einmal da wie autafort dort oben ward gebrochen meine kraft nicht die ganze nicht die halbe blieb mir saite nicht noch schaft leicht hast du den arm gebunden seit der geist mir liegt in haft nur zu einem trauerliede hat er sich noch aufgerafft und der könig senkt die stirne meinen sohn hast du verführt hast der tochter herz verzaubert hast auch meines nun gerührt nimm die hand du freund des toten die verzeihend ihm gebührt weg die fesseln deines geistes hab ich einen hauch verspürt |
Das Glück von Edenhall von Ludwig Uhland, 1834 „Von Edenhall der junge Lord / Läßt schmettern Festtrommetenschall, / Er hebt sich an des Tisches Bord / Und ruft in trunkner Gäste Schwall: / „Nun her mit dem Glücke von Edenhall!““ |
1834 | 1643 | das glück von edenhall von ludwig uhland von edenhall der junge lord läßt schmettern festtrommetenschall er hebt sich an des tisches bord und ruft in trunkner gäste schwall nun her mit dem glücke von edenhall der schenk vernimmt ungern den spruch des hauses ältester vasall nimmt zögernd aus dem seidnen tuch das hohe trinkglas von krystall sie nennens das glück von edenhall darauf der lord dem glas zum preis schenk rothen ein aus portugall mit händezittern gießt der greis und purpurn licht wird überall es strahlt aus dem glücke von edenhall da spricht der lord und schwingts dabei dies glas von leuchtendem krystall gab meinem ahn am quell die fei drein schrieb sie kommt dies glas zu fall fahr wohl dann o glück von edenhall ein kelchglas ward zum loos mit fug dem freudgen stamm von edenhall wir schlürfen gern in vollem zug wir läuten gern mit lautem schall stoßt an mit dem glücke von edenhall erst klingt es milde tief und voll gleich dem gesang der nachtigall dann wie des waldstroms laut geroll zuletzt erdröhnt wie donnerhall das herrliche glück von edenhall zum horte nimmt ein kühn geschlecht sich den zerbrechlichen krystall er dauert länger schon als recht stoßt an mit diesem kräftgen prall versuch ich das glück von edenhall und als das trinkglas gellend springt springt das gewölb mit jähem knall und aus dem riß die flamme dringt die gäste sind zerstoben all mit dem brechenden glücke von edenhall ein stürmt der feind mit brand und mord der in der nacht erstieg den wall vom schwerte fällt der junge lord hält in der hand noch den krystall das zersprungene glück von edenhall am morgen irrt der schenk allein der greis in der zerstörten hall er sucht des herrn verbrannt gebein er sucht im grausen trümmerfall die scherben des glücks von edenhall die steinwand spricht er springt zu stück die hohe säule muß zu fall glas ist der erde stolz und glück in splitter fällt der erdenball einst gleich dem glücke von edenhall |
Das Schifflein von Ludwig Uhland, 1810 „Ein Schifflein ziehet leise / Den Strom hin seine Gleise. / Es schweigen, die drin wandern, / Denn Keiner kennt den Andern.“ |
1810 | 558 | das schifflein von ludwig uhland ein schifflein ziehet leise den strom hin seine gleise es schweigen die drin wandern denn keiner kennt den andern was zieht hier aus dem felle der braune waidgeselle ein horn das sanft erschallet das ufer wiederhallet von seinem wanderstabe schraubt jener stift und habe und mischt mit flötentönen sich in des hornes dröhnen das mädchen saß so blöde als fehlt ihr gar die rede jetzt stimmt sie mit gesange zu horn und flötenklange die rudrer auch sich regen mit taktgemäßen schlägen das schiff hinunter flieget von melodie gewieget hart stößt es auf am strande man trennt sich in die lande wann treffen wir uns brüder auf einem schifflein wieder |
Das Schloß am Meere von Ludwig Uhland, 1805 „Hast du das Schloß gesehen, / Das hohe Schloß am Meer? / Golden und rosig wehen / Die Wolken drüber her.“ |
1805 | 699 | das schloß am meere von ludwig uhland hast du das schloß gesehen das hohe schloß am meer golden und rosig wehen die wolken drüber her es möchte sich niederneigen in die spiegelklare flut es möchte streben und steigen in der abendwolken glut wohl hab ich es gesehen das hohe schloß am meer und den mond darüber stehen und nebel weit umher der wind und des meeres wallen gaben sie frischen klang vernahmst du aus hohen hallen saiten und festgesang die winde die wogen alle lagen in tiefer ruh einem klagelied aus der halle hört ich mit tränen zu sahest du oben gehen den könig und sein gemahl der roten mäntel wehen der goldnen kronen strahl führten sie nicht mit wonne eine schöne jungfrau dar herrlich wie eine sonne strahlend im goldnen haar wohl sah ich die eltern beide ohne der kronen licht im schwarzen trauerkleide die jungfrau sah ich nicht |
Der gute Kamerad von Ludwig Uhland, 1809 „Ich hatt’ einen Kameraden, / Einen bessern findst du nit. / Die Trommel schlug zum Streite, / Er ging an meiner Seite, / In gleichem Schritt und Tritt.“ |
1809 | 336 | der gute kamerad von ludwig uhland ich hatt einen kameraden einen bessern findst du nit die trommel schlug zum streite er ging an meiner seite in gleichem schritt und tritt eine kugel kam geflogen gilts mir oder gilt es dir ihn hat es weggerissen er liegt mir vor den füßen als wärs ein stück von mir will mir die hand noch reichen derweil ich eben lad kann dir die hand nicht geben bleib du im ewgen leben mein guter kamerad |
Der Königssohn von Ludwig Uhland, 1806 „Der alte, graue König sitzt / Auf seiner Väter Throne; / Sein Mantel glänzt wie Abendrot, / Wie sinkende Sonn‘ die Krone.“ |
1806 | 3433 | der königssohn von ludwig uhland der alte graue könig sitzt auf seiner väter throne sein mantel glänzt wie abendrot wie sinkende sonn die krone mein erster und mein zweiter sohn euch teil ich meine lande mein dritter sohn mein liebstes kind was laß ich dir zum pfande gib mir von allen schätzen nur die alte rostige krone gib mir drei schiffe so fahr ich hin und suche nach einem throne der jüngling steht auf dem verdeck sieht seine schiffe fahren die sonne strahlt es spielt die luft mit seinen goldnen haaren das ruder schallt das segel schwillt die bunten wimpel fliegen meerfrauen mit gesang und spiel sich um die kiele wiegen er spricht das ist mein königreich das frei und lustig streifet das um die träge erde her auf blauen fluten schweifet da ziehen finstre wolken auf mit sturm und mit gewitter die blitze zucken aus der nacht die maste springen in splitter und wogen stürzen auf das schiff so wilde bergen gleiche verschlungen ist der königssohn samt seinem lustgen reiche fischer versunken wehe mast und kiel der schiffer ruf verschollen doch sieh wer schwimmet dort herbei um den die wogen rollen er schlägt mit starkem arm die flut und fürchtet die wellen wenig trägt hoch das haupt mit goldner kron er dünkt mir wohl ein könig jüngling ein königssohn mir aber ist die heimat längst verloren erst hat die schwache mutter mich die irdische geboren doch nun gebar die zweite mutter das starke meer mich wieder in riesenarmen wiegte sie mich selbst und meine brüder die andern all ertrugens nicht mich brachte sie hier zum strande zum reiche wohl erkor sie mir all diese weiten lande fischer was spähest du nach der angel von morgen bis zur nacht und hast mit aller mühe doch kein fischlein aufgebracht jüngling ich angle nicht nach fischen ich sah in meeresschacht wohl jeder angel allzutief viel königliche pracht wie schreitet königlich der leu schüttelt die mähn in die lüfte er ruft sein machtgebot durch wälder und klüfte doch werd ich ihn stürzen mit dem speer in starker hand um die schultern mir schürzen sein goldgewand der aar ein könig schwebet auf er rauschet in wonne will langen sich zur kron herab die goldne sonne doch in den wolken hoch soll ihn fahen und spießen mein geflügelter pfeil daß er mir sinke zu füßen im walde läuft ein wildes pferd hat nie den zaum gelitten goldfalb mit langer dichter mähn schlägt funken bei allen tritten der königssohn er fängt es ein hat sich darauf geschwungen es bläht die brust und schwingt den schweif kommt wiehernd hergesprungen und alle horchen staunend auf die in den tälern hausen sie hörens vom gebirge her wie sturm und donner brausen da sprengt herab der königssohn umwallt vom fell des leuen des wilden rosses mähne fleugt die hufe feuer streuen da drängt sich alles volk herzu mit jubel und gesange heil uns er ists der könig ists den wir erharrt so lange es steht ein hoher schroffer fels darum die adler fliegen doch wagt sich keiner drauf herab den drachen sehen sie liegen in alten mauern liegt er dort mit seinem goldnen kamme er rasselt mit der schuppenhaut er hauchet dampf und flamme der jüngling ohne schwert und schild ist keck hinaufgedrungen die arme wirft er um die schlang und hält sie fest umrungen er küßt sie dreimal in den schlund da muß der zauber weichen er hält im arm ein holdes weib das schönst in allen reichen die herrliche gekrönte braut hat er am herzen liegen und aus den alten trümmern ist ein königsschloß gestiegen der könig und die königin sie stehen auf dem throne da glüht der thron wie morgenrot wie steigende sonn die krone viel stolze ritter stehn umher die schwerter in den händen sie können ihre augen nicht vom lichten throne wenden ein alter blinder sänger steht an seiner harf gelehnet er fühlet daß die zeit erschien die er so lang ersehnet und plötzlich springt vom hohen glanz der augen finstre hülle er schaut hinauf und wird nicht satt der herrlichkeit und fülle er greifet in sein saitenspiel das ist gar hell erklungen er hat in licht und seligkeit sein schwanenlied gesungen |
Der Sänger mit dem Schwert von Ludwig Uhland, vor 1862 † „In der hohen Hall saß König Sifrid: / „Ihr Harfner, wer weiß mir das schönste Lied?“ / Und ein Jüngling trat aus der Schar behende, / die Harf‘ in der Hand, das Schwert an der Lende:“ |
1862 | 679 | der sänger mit dem schwert von ludwig uhland in der hohen hall saß könig sifrid ihr harfner wer weiß mir das schönste lied und ein jüngling trat aus der schar behende die harf in der hand das schwert an der lende drei lieder weiß ich den ersten sang den hast du ja wohl vergessen schon lang meinen bruder hast du meuchlings erstochen und aber hast ihn meuchlings erstochen das andre lied das hab ich erdacht in einer finstern stürmischen nacht mußt mit mir fechten auf leben und sterben und aber mußt fechten auf leben und sterben da lehnt er die harfe wohl an den tisch und sie zogen beide die schwerter frisch und fochten lange mit wildem schalle bis der könig sank in der hohen halle nun sing ich das dritte das schönste lied das werd ich nimmer zu singen müd könig sifrid liegt in seim roten blute und aber liegt in seim roten blute |
Der schwarze Ritter von Ludwig Uhland, 1807 „Pfingsten war, das Fest der Freude, / Das da feiern Wald und Haide. / Hub der König an zu sprechen: / „Auch aus den Hallen / Der alten Hofburg allen / Soll ein reicher Frühling brechen!““ |
1807 | 1452 | der schwarze ritter von ludwig uhland pfingsten war das fest der freude das da feiern wald und haide hub der könig an zu sprechen auch aus den hallen der alten hofburg allen soll ein reicher frühling brechen trommeln und trommeten schallen rothe fahnen festlich wallen sah der könig vom balkone in lanzenspielen die ritter alle fielen vor des königs starkem sohne aber vor des kampfes gitter ritt zuletzt ein schwarzer ritter herr wie ist eur nam und zeichen würd ich es sagen ihr möchtet zittern und zagen bin ein fürst von großen reichen als er in die bahn gezogen dunkel ward des himmels bogen und das schloß begann zu beben beim ersten stoße der jüngling sank vom rosse konnte kaum sich wieder heben pfeif und geige ruft zu tänzen fackeln durch die säle glänzen wankt ein großer schatten drinnen er thät mit sitten des königs tochter bitten thät den tanz mit ihr beginnen tanzt im schwarzen kleid von eisen tanzet schauerliche weisen schlingt sich kalt um ihre glieder von brust und haaren entfallen ihr die klaren blümlein welk zur erde nieder und zur reichen tafel kamen alle ritter alle damen zwischen sohn und tochter innen mit bangem muthe der alte könig ruhte sah sie an mit stillem sinnen bleich die kinder beide schienen bot der gast den becher ihnen goldner wein macht euch genesen die kinder tranken sie thäten höflich danken kühl ist dieser trunk gewesen an des vaters brust sich schlangen sohn und tochter ihre wangen thäten völlig sich entfärben wohin der graue erschrockne vater schaue sieht er eins der kinder sterben weh die holden kinder beide nahmst du hin in ingendfreude nimm auch mich den freudelosen da sprach der grimme mit hohler dumpfer stimme greis im frühling brech ich rosen |
Der Student von Ludwig Uhland, 1814 (?) „Als ich einst bei Salamanka / Früh in einem Garten saß / Und bei’m Schlag der Nachtigallen / Emsig im Homerus las:“ |
1814 | 1853 | der student von ludwig uhland als ich einst bei salamanka früh in einem garten saß und beim schlag der nachtigallen emsig im homerus las wie in glänzenden gewanden helena zur zinne trat und so herrlich sich erzeigte dem trojanischen senat daß vernehmlich der und jener brummt in seinen grauen bart solch ein weib ward nie gesehen traun sie ist von götterart als ich so mich ganz vertiefet wußt ich nicht wie mir geschah in die blätter fuhr ein wehen daß ich staunend um mich sah auf benachbartem balkone welch ein wunder schaut ich da dort in glänzenden gewanden stand ein weib wie helena und ein graubart ihr zur seite der so seltsam freundlich that daß ich schwören mocht er wäre von der troer hohem rath doch ich selbst ward ein achäer der ich nun seit jenem tag vor dem festen gartenhause einer neuen troja lag um es unverblümt zu sagen manche sommerwoch entlang kam ich dorthin jeden abend mit der laut und mit gesang klagt in manigfachen weisen meiner liebe qual und drang bis zuletzt vom hohen gitter süße antwort niederklang solches spiel mit wort und tönen trieben wir ein halbes jahr und auch dies war nur vergönnet weil halbtaub der vormund war hub er gleich sich oft vom lager schlaflos eifersüchtig bang blieben doch ihm unsre stimmen ungehört wie sphärenklang aber einst die nacht war schaurig sternlos finster wie das grab klang auf das gewohnte zeichen keine antwort mir herab nur ein alt zahnloses fräulein ward von meiner stimme wach nur das alte fräulein echo stöhnte meine klagen nach meine schöne war verschwunden leer die zimmer leer der saal leer der blumenreiche garten rings verödet berg und thal ach und nie hatt ich erfahren ihre heimath ihren stand weil sie beides zu verschweigen angelobt mit mund und hand da beschloß ich sie zu suchen nah und fern auf irrer fahrt den homerus ließ ich liegen nun ich selbst ulysses ward nahm die laute zur gefährtin und vor jeglichem altan unter jedem gitterfenster frag ich leis mit tönen an sing in stadt und feld das liedchen das im salamanker thal jeden abend ich gesungen meiner liebsten zum signal doch die antwort die ersehnte tönet nimmermehr und ach nur das alte fräulein echo reist zur qual mir ewig nach |
Des Sängers Fluch von Ludwig Uhland, 1815 „Es stand in alten Zeiten ein Schloß, so hoch und hehr, / Weit glänzt’ es über die Lande bis an das blaue Meer, / Und rings von duft’gen Gärten ein blüthenreicher Kranz, / Drin sprangen frische Brunnen im Regenbogenglanz.“ |
1815 | 2920 | des sängers fluch von ludwig uhland es stand in alten zeiten ein schloß so hoch und hehr weit glänzt es über die lande bis an das blaue meer und rings von duftgen gärten ein blüthenreicher kranz drin sprangen frische brunnen im regenbogenglanz dort saß ein stolzer könig an land und siegen reich er saß auf seinem throne so finster und so bleich denn was er sinnt ist schrecken und was er blickt ist wuth und was er spricht ist geißel und was er schreibt ist blut einst zog nach diesem schlosse ein edles sängerpaar der ein in goldnen locken der andre grau von haar der alte mit der harfe er saß auf schmuckem roß es schritt ihm frisch zur seite der blühende genoß der alte sprach zum jungen nun sei bereit mein sohn denk unsrer tiefsten lieder stimm an den vollsten ton nimm alle kraft zusammen die lust und auch den schmerz es gilt uns heut zu rühren des königs steinern herz schon stehn die beiden sänger im hohen säulensaal und auf dem throne sitzen der könig und sein gemahl der könig furchtbar prächtig wie blutger nordlichtschein die königin süß und milde als blickte vollmond drein da schlug der greis die saiten er schlug sie wundervoll daß reicher immer reicher der klang zum ohre schwoll dann strömte himmlisch helle des jünglings stimme vor des alten sang dazwischen wie dumpfer geisterchor sie singen von lenz und liebe von selger goldner zeit von freiheit männerwürde von treu und heiligkeit sie singen von allem süßen was menschenbrust durchbebt sie singen von allem hohen was menschenherz erhebt die höflingsschaar im kreise verlernet jeden spott des königs trotzge krieger sie beugen sich vor gott die königin zerflossen in wehmuth und in lust sie wirft den sängern nieder die rose von ihrer brust ihr habt mein volk verführet verlockt ihr nun mein weib der könig schreit es wüthend er bebt am ganzen leib er wirft sein schwert das blitzend des jünglings brust durchdringt draus statt der goldnen lieder ein blutstrahl hochauf springt und wie vom sturm zerstoben ist all der hörer schwarm der jüngling hat verröchelt in seines meisters arm der schlägt um ihn den mantel und setzt ihn auf das roß er bindt ihn aufrecht feste verläßt mit ihm das schloß doch vor dem hohen thore da hält der sängergreis da faßt er seine harfe sie aller harfen preis an einer marmorsäule da hat er sie zerschellt dann ruft er daß es schaurig durch schloß und gärten gellt weh euch ihr stolzen hallen nie töne süßer klang durch eure räume wieder nie saite noch gesang nein seufzer nur und stöhnen und scheuer sklavenschritt bis euch zu schutt und moder der rachegeist zertritt weh euch ihr duftgen gärten im holden maienlicht euch zeig ich dieses todten entstelltes angesicht daß ihr darob verdorret daß jeder quell versiegt daß ihr in künftgen tagen versteint verödet liegt weh dir verruchter mörder du fluch des sängerthums umsonst sei all dein ringen nach kränzen blutgen ruhms dein name sei vergessen in ewge nacht getaucht sei wie ein letztes röcheln in leere luft verhaucht der alte hats gerufen der himmel hats gehört die mauern liegen nieder die hallen sind zerstört noch eine hohe säule zeugt von verschwundner pracht auch diese schon geborsten kann stürzen über nacht und rings statt duftger gärten ein ödes heideland kein baum verstreuet schatten kein quell durchdringt den sand des königs namen meldet kein lied kein heldenbuch versunken und vergessen das ist des sängers fluch |
Der Überfall im Wildbad von Ludwig Uhland, 1815 „In schönen Sommertagen, wann lau die Lüfte wehn, / Die Wälder lustig grünen, die Gärten blühend stehn, / Da ritt aus Stuttgarts Thoren ein Held von stolzer Art, / Graf Eberhard der Greiner, der alte Rauschebart.“ |
1815 | 3071 | der überfall im wildbad von ludwig uhland in schönen sommertagen wann lau die lüfte wehn die wälder lustig grünen die gärten blühend stehn da ritt aus stuttgarts thoren ein held von stolzer art graf eberhard der greiner der alte rauschebart mit wenig edelknechten zieht er ins land hinaus er trägt nicht helm noch panzer nicht gehts auf blutgen strauß ins wildbad will er reiten wo heiß ein quell entspringt der sieche heilt und kräftigt der greise wieder jüngt zu hirschau bei dem abte da kehrt der ritter ein und trinkt bei orgelschalle den kühlen klosterwein dann gehts durch tannenwälder ins grüne thal gesprengt wo durch ihr felsenbette die enz sich rauschend drängt zu wildbad an dem markte da steht ein stattlich haus es hängt daran zum zeichen ein blanker spieß heraus dort steigt der graf vom rosse dort hält er gute rast den quell besucht er täglich der ritterliche gast wann er sich dann entkleidet und wenig ausgeruht und sein gebet gesprochen so steigt er in die flut er setzt sich stets zur stelle wo aus dem felsenspalt am heißesten und vollsten der edle sprudel wallt ein angeschoßner eber der sich die wunde wusch verrieth voreinst den jägern den quell in kluft und busch nun ists dem alten recken ein lieber zeitvertreib zu waschen und zu strecken den narbenvollen leib da kömmt einsmals gesprungen sein jüngster edelknab herr graf es zieht ein haufe das obre thal herab sie tragen schwere kolben der hauptmann führt im schild ein röslein roth von golde und einen eber wild mein sohn das sind die schlegler die schlagen kräftig drein gib mir den leibrock junge das ist der eberstein ich kenne wohl den eber er hat so grimmen zorn ich kenne wohl die rose sie führt so scharfen dorn da kömmt ein armer hirte in athemlosem lauf herr graf es zieht ne rotte das untre thal herauf der hauptmann führt drei beile sein rüstzeug glänzt und gleißt daß mirs wie wetterleuchten noch in den augen beißt das ist der wunnensteiner der gleißend wolf genannt gib mir den mantel knabe der glanz ist mir bekannt er bringt mir wenig wonne die beile hauen gut bind mir das schwerdt zur seite der wolf der lechzt nach blut ein mägdlein mag man schrecken das sich im bade schmiegt das ist ein lustig necken das niemand schaden fügt wird aber überfallen ein alter kriegesheld dann gilts wenn nicht sein leben doch schweres lösegeld da spricht der arme hirte deß mag noch werden rath ich weiß geheime wege die noch kein mensch betrat kein roß mag sie ersteigen nur geissen klettern dort wollt ihr sogleich mir folgen ich bring euch sicher fort sie klimmen durch das dickicht den steilsten berg hinan mit seinem guten schwerdte haut oft der graf sich bahn wie herb das fliehen schmecke noch hatt ers nie vermerkt viel lieber möcht er fechten das bad hat ihn gestärkt in heißer mittagsstunde bergunter und bergauf schon muß der graf sich lehnen auf seines schwerdtes knauf darob erbarmts den hirten des alten hohen herrn er nimmt ihn auf den rücken ich thus von herzen gern da denkt der alte greiner es thut doch wahrlich gut so sänftlich seyn getragen von einem treuen blut in fährden und in nöthen zeigt erst das volk sich ächt drum soll man nie zertreten sein altes gutes recht als drauf der graf gerettet zu stuttgart sitzt im saal heißt er ne münze prägen als ein gedächtnißmal er gibt dem treuen hirten manch blankes stück davon auch manchem herrn vom schlegel verehrt er eins zum hohn dann schickt er tüchtge maurer ins wildbad alsofort die sollen mauern führen rings um den offnen ort damit in künftgen sommern sich jeder greise mann von feinden ungefährdet im bade jüngen kann |
Die Rache von Ludwig Uhland, 1810 „Der Knecht hat erstochen den edlen Herrn, / Der Knecht wär selber ein Ritter gern. / Er hat ihn erstochen im dunklen Hain / Und den Leib versenket im tiefen Rhein.“ |
1810 | 393 | die rache von ludwig uhland der knecht hat erstochen den edlen herrn der knecht wär selber ein ritter gern er hat ihn erstochen im dunklen hain und den leib versenket im tiefen rhein hat angeleget die rüstung blank auf des herren roß sich geschwungen frank und als er sprengen will über die brück da stutzet das roß und bäumt sich zurück und als er die güldnen sporen ihm gab da schleuderts ihn wild in den strom hinab mit arm mit fuß er rudert und ringt der schwere panzer ihn niederzwingt |
Die Vätergruft von Ludwig Uhland, 1805 „Es ging wohl über die Haide / Zur alten Kapell’ empor / Ein Greis im Waffengeschmeide, / Und trat in den dunkeln Chor.“ |
1805 | 467 | die vätergruft von ludwig uhland es ging wohl über die haide zur alten kapell empor ein greis im waffengeschmeide und trat in den dunkeln chor die särge seiner ahnen standen die hall entlang aus der tiefe thät ihn mahnen ein wunderbarer gesang wohl hab ich euer grüßen ihr heldengeister gehört eure reihe soll ich schließen heil mir ich bin es werth es stand an kühler stätte ein sarg noch ungefüllt den nahm er zum ruhebette zum pfühle nahm er den schild die hände thät er falten aufs schwerdt und schlummert ein die geisterlaute verhallten da mocht es gar stille seyn |
Freie Kunst von Ludwig Uhland, 1813 „Singe, wem Gesang gegeben, / In dem deutschen Dichterwald! / Das ist Freude, das ist Leben, / Wenn‘s von allen Zweigen schallt.“ |
1813 | 799 | freie kunst von ludwig uhland singe wem gesang gegeben in dem deutschen dichterwald das ist freude das ist leben wenns von allen zweigen schallt nicht an wenig stolze namen ist die liederkunst gebannt ausgestreuet ist der samen über alles deutsche land deines vollen herzens triebe gieb sie keck im klange frei säuselnd wandle deine liebe donnernd uns dein zorn vorbei singst du nicht dein ganzes leben sing doch in der jugend drang nur im blütenmond erheben nachtigallen ihren sang kann mans nicht in bücher binden was die stunden dir verleihn gieb ein fliegend blatt den winden muntre jugend hascht es ein fahret wohl geheime kunden nekromantik alchymie formel hält uns nicht gebunden unsre kunst heißt poesie heilig achten wir die geister aber namen sind uns dunst würdig ehren wir die meister aber frei ist uns die kunst nicht in kalten marmorsteinen nicht in tempeln dumpf und tot in den frischen eichenhainen webt und rauscht der deutsche gott |
Graf Eberstein von Ludwig Uhland, 1815 „Zu Speier im Saale, da hebt sich ein Klingen, / Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen. / Graf Eberstein / Führet den Reihn / Mit des Kaisers holdseligem Töchterlein.“ |
1815 | 1161 | graf eberstein von ludwig uhland zu speier im saale da hebt sich ein klingen mit fackeln und kerzen ein tanzen und springen graf eberstein führet den reihn mit des kaisers holdseligem töchterlein und als er sie schwingt nun im luftigen reigen da flüstert sie leise sie kanns nicht verschweigen graf eberstein hüte dich fein heut nacht wird dein schlößlein gefährdet seyn ei denket der graf euer kaiserlich gnaden so habt ihr mich darum zum tanze geladen er sucht sein roß läßt seinen troß und jagt nach seinem gefährdeten schloß um ebersteins veste da wimmelts von streitern sie schleichen im nebel mit hacken und leitern graf eberstein grüßet sie fein er wirft sie vom wall in die gräben hinein als nun der herr kaiser am morgen gekommen da meint er es seye die burg schon genommen doch auf dem wall tanzen mit schall der graf und seine gewappneten all herr kaiser beschleicht ihr ein andermal schlösser thuts noth ihr verstehet aufs tanzen euch besser euer töchterlein tanzet so fein dem soll meine veste geöffnet seyn im schlosse des grafen da hebt sich ein klingen mit fackeln und kerzen ein tanzen und springen graf eberstein führet den reihn mit des kaisers holdseligem töchterlein und als er sie schwingt nun im bräutlichen reigen da flüstert er leise nicht kann ers verschweigen schön jungfräulein hüte dich fein heut nacht wird ein schlößlein gefährdet seyn |
Harald von Ludwig Uhland, 1811 „Vor seinem Heergefolge ritt / Der kühne Held Harald. / Sie zogen in des Mondes Schein / Durch einen wilden Wald.“ |
1811 | 1292 | harald von ludwig uhland vor seinem heergefolge ritt der kühne held harald sie zogen in des mondes schein durch einen wilden wald sie tragen manch erkämpfte fahn die hoch im winde wallt sie singen manches siegeslied das durch die berge hallt was rauschet lauschet im gebüsch was wiegt sich auf dem baum was senket aus den wolken sich und taucht aus stromes schaum was wirft mit blumen um und um was singt so wonniglich was tanzet durch der krieger reihn schwingt auf die rosse sich was kost so sanft und küßt so süß und hält so lind umfaßt und nimmt das schwert und zieht vom roß und läßt nicht ruh noch rast es ist der elfen leichte schar hier hilft kein widerstand schon sind die krieger all dahin sind all im feenland nur er der beste blieb zurück der kühne held harald er ist vom wirbel bis zur sohl in harten stahl geschnallt all seine krieger sind entrückt da liegen schwert und schild die rosse ledig ihrer herrn sie gehn im walde wild in großer trauer ritt von dann der stolze held harald er ritt allein im mondenschein wohl durch den weiten wald vom felsen rauscht es frisch und klar er springt vom rosse schnell er schnallt vom haupte sich den helm und trinkt vom kühlen quell doch wie er kaum den durst gestillt versagt ihm arm und bein er muß sich setzen auf den fels er nickt und schlummert ein er schlummert auf demselben stein schon manche hundert jahr das haupt gesenket auf die brust mit grauem bart und haar wann blitze zucken donner rollt wann sturm erbraust im wald dann greift er träumend nach dem schwert der alte held harald |
Klein Roland von Ludwig Uhland, 1808 „Frau Berta saß in der Felsenkluft, / Sie klagt’ ihr bittres Loos. / Klein Roland spielt’ in freier Luft, / Deß Klage war nicht groß.“ |
1808 | 3470 | klein roland von ludwig uhland frau berta saß in der felsenkluft sie klagt ihr bittres loos klein roland spielt in freier luft deß klage war nicht groß o könig karl mein bruder hehr o daß ich floh von dir um liebe ließ ich pracht und ehr nun zürnst du schrecklich mir o milon mein gemahl so süß die flut verschlang mir dich die ich um liebe alles ließ nun läßt die liebe mich klein roland du mein theures kind nun ehr und liebe mir klein roland komm herein geschwind mein trost kommt all von dir klein roland geh zur stadt hinab zu bitten um speis und trank und wer dir gibt eine kleine gab dem wünsche gottes dank der könig karl zur tafel saß im goldnen rittersaal die diener liefen ohn unterlaß mit schüssel und pokal von flöten saitenspiel gesang ward jedes herz erfreut doch reichte nicht der helle klang zu bertas einsamkeit und draußen in des hofes kreis da saßen der bettler viel die labten sich an trank und speis mehr als am saitenspiel der könig schaut in ihr gedräng wohl durch die offne thür da drückt sich durch die dichte meng ein feiner knab herfür des knaben kleid ist wunderbar vierfarb zusammengestückt doch weilt er nicht bei der bettlerschaar herauf zum saal er blickt herein zum saal klein roland tritt als wärs sein eigen haus er hebt eine schüssel von tisches mitt und trägt sie stumm hinaus der könig denkt was muß ich sehn das ist ein sondrer brauch doch weil ers ruhig läßt geschehn so lassens die andern auch es stund nur an eine kleine weil klein roland kehrt in den saal er tritt zum könig hin mit eil und faßt seinen goldpokal heida halt an du kecker wicht der könig ruft es laut klein roland läßt den becher nicht zum könig auf er schaut der könig erst gar finster sah doch lachen mußt er bald du trittst in die goldne halle da wie in den grünen wald du nimmst die schüssel von königs tisch wie man aepfel bricht vom baum du holst wie aus dem bronnen frisch meines rothen weines schaum die bäurin schöpft aus dem bronnen frisch die bricht die aepfel vom baum meiner mutter ziemet wildbrät und fisch ihr rothen weines schaum ist deine mutter so edle dam wie du berühmst mein kind so hat sie wohl ein schloß lustsam und stattlich hofgesind sag an wer ist denn ihr truchseß sag an wer ist ihr schenk meine rechte hand ist ihr truchseß meine linke die ist ihr schenk sag an wer sind ihre wächter tren meine augen blau allstund sag an wer ist ihr sänger frei der ist mein rother mund die dam hat wackre diener traun doch liebt sie sondre livrei wie regenbogen anzuschaun mit farben mancherlei ich hab bezwungen der knaben acht von jedem viertel der stadt die haben mir als zins gebracht vierfältig tuch zur wat die dame hat nach meinem sinn den besten diener der welt sie ist wohl bettlerkönigin die offne tafel hält so edle dame darf nicht fern von meinem hofe seyn wohlauf drei damen auf drei herru führt sie zu mir herein klein roland trägt den becher flink hinaus zum prunkgemach drei damen auf des königs wink drei ritter folgen nach es stund nur an eine kleine weil der könig schaut in die fern da kehren schon zurück mit eil die damen und die herrn der könig ruft mit einem mal hilf himmel seh ich recht ich hab verspottet im offnen saal mein eigenes geschlecht hilf himmel schwester berta bleich im grauen pilgergewand hilf himmel in meinem prunksaal reich den bettelstab in der hand frau berta fällt zu füßen ihm das bleiche frauenbild da regt sich plötzlich der alte grimm er blickt sie an so wild frau berta senkt die augen schnell kein wort zu reden sich traut klein roland hebt die augen hell den oehm begrüßt er laut da spricht der könig in mildem ton steh auf du schwester mein um diesen deinen lieben sohn soll dir verziehen seyn frau berta hebt sich freudenvoll lieb bruder mein wohlan klein roland dir vergelten soll was du mir guts gethan soll werden seinem könig gleich ein hohes heldenbild soll führen die farb von manchem reich in seinem banner und schild soll greifen in manches königs tisch mit seiner freien hand soll bringen zu heil und ehre frisch sein seufzend mutterland |
Roland Schildträger von Ludwig Uhland, 1811 „Der König Karl saß einst zu Tisch / Zu Aachen mit den Fürsten, / Man stellte Wildpret auf und Fisch / Und ließ auch keinen dürsten.“ |
1811 | 5426 | roland schildträger von ludwig uhland der könig karl saß einst zu tisch zu aachen mit den fürsten man stellte wildpret auf und fisch und ließ auch keinen dürsten viel goldgeschirr von klarem schein manch roten grünen edelstein sah man im saale leuchten da sprach herr karl der starke held was soll der eitle schimmer das beste kleinod dieser welt das fehlet uns noch immer dies kleinod hell wie sonnenschein ein riese trägts im schilde sein tief im ardennerwalde graf richard erzbischof turpin herr haimon naim von bayern milon von anglant graf garin die wollten da nicht feiern sie haben stahlgewand begehrt und hießen satteln ihre pferd zu reiten nach dem riesen jung roland sohn des milon sprach lieb vater hört ich bitte vermeint ihr mich zu jung und schwach daß ich mit riesen stritte doch bin ich nicht zu winzig mehr euch nachzutragen euern speer samt eurem guten schilde die sechs genossen ritten bald vereint nach den ardennen doch als sie kamen in den wald da täten sie sich trennen roland ritt hinterm vater her wie wohl ihm war des helden speer des helden schild zu tragen bei sonnenschein und mondenlicht streiften die kühnen degen doch fanden sie den riesen nicht in felsen noch gehegen zur mittagsstund am vierten tag der herzog milon schlafen lag in einer eiche schatten roland sah in der ferne bald ein blitzen und ein leuchten davon die strahlen in dem wald die hirsch und reh aufscheuchten er sah es kam von einem schild den trug ein riese groß und wild vom berge niedersteigend roland gedacht im herzen sein was ist das für ein schrecken soll ich den lieben vater mein im besten schlaf erwecken es wachet ja sein gutes pferd es wacht sein speer sein schild und schwert es wacht roland der junge roland das schwert zur seite band herrn milons starkes waffen die lanze nahm er in die hand und tät den schild aufraffen herrn milons roß bestieg er dann und ritt erst sachte durch den tann den vater nicht zu wecken und als er kam zur felsenwand da sprach der ries mit lachen was will doch dieser kleine fant auf solchem rosse machen sein schwert ist zwier so lang als er vom rosse zieht ihn schier der speer der schild will ihn erdrücken jung roland rief wohlauf zum streit dich reuet noch dein necken hab ich die tartsche lang und breit kann sie mich besser decken ein kleiner mann ein großes pferd ein kurzer arm ein langes schwert muß eins dem andern helfen der riese mit der stange schlug auslangend in die weite jung roland schwenkte schnell genug sein roß noch auf die seite die lanz er auf den riesen schwang doch von dem wunderschilde sprang auf roland sie zurücke jung roland nahm in großer hast das schwert in beide hände der riese nach dem seinen faßt er war zu unbehende mit flinkem hiebe schlug roland ihm unterm schild die linke hand daß hand und schild entrollten dem riesen schwand der mut dahin wie ihm der schild entrissen das kleinod das ihm kraft verliehn mußt er mit schmerzen missen zwar lief er gleich dem schilde nach doch roland in das knie ihn stach daß er zu boden stürzte roland ihn bei den haaren griff hieb ihm das haupt herunter ein großer strom von blute lief ins tiefe tal hinunter und aus des toten schild hernach roland das lichte kleinod brach und freute sich am glanze dann barg ers unterm kleide gut und ging zu einem quelle da wusch er sich von staub und blut gewand und waffen helle zurücke ritt der jung roland dahin wo er den vater fand noch schlafend bei der eiche er legt sich an des vaters seit vom schlafe selbst bezwungen bis in der kühlen abendzeit herr milon aufgesprungen wach auf wach auf mein sohn roland nimm schild und lanze schnell zur hand daß wir den riesen suchen sie stiegen auf und eilten sehr zu schweifen in der wilde roland ritt hinterm vater her mit dessen speer und schilde sie kamen bald zu jener stätt wo roland jüngst gestritten hätt der riese lag im blute roland kaum seinen augen glaubt als nicht mehr war zu schauen die linke hand dazu das haupt so er ihm abgehauen nicht mehr des riesen schwert und speer auch nicht sein schild und harnisch mehr nur rumpf und blutge glieder milon besah den großen rumpf was ist das für ne leiche man sieht noch am zerhaunen stumpf wie mächtig war die eiche das ist der riese frag ich mehr verschlafen hab ich sieg und ehr drum muß ich ewig trauern zu aachen vor dem schlosse stund der könig karl gar bange sind meine helden wohl gesund sie weilen allzu lange doch seh ich recht auf königswort so reitet herzog haimon dort des riesen haupt am speere herr haimon ritt in trübem mut und mit gesenktem spieße legt er das haupt besprengt mit blut dem könig vor die füße ich fand den kopf im wilden hag und fünfzig schritte weiter lag des riesen rumpf am boden bald auch der erzbischof turpin den riesenhandschuh brachte die ungefüge hand noch drin er zog sie aus und lachte das ist ein schön reliquienstück ich bring es aus dem wald zurück fand es schon zugehauen der herzog naim von bayerland kam mit des riesen stange schaut an was ich im walde fand ein waffen stark und lange wohl schwitz ich von dem schweren druck hei bayrisch bier ein guter schluck sollt mir gar köstlich munden graf richard kam zu fuß daher ging neben seinem pferde das trug des riesen schwere wehr den harnisch samt dem schwerte wer suchen will im wilden tann manch waffenstück noch finden kann ist mir zu viel gewesen der graf garin tät ferne schon den schild des riesen schwingen der hat den schild des ist die kron der wird das kleinod bringen den schild hab ich ihr lieben herrn das kleinod hätt ich gar zu gern doch das ist ausgebrochen zuletzt tät man herrn milon sehn der nach dem schlosse lenkte er ließ das rößlein langsam gehn das haupt er traurig senkte roland ritt hinterm vater her und trug ihm seinen starken speer zusamt dem festen schilde doch wie sie kamen vor das schloß und zu den herrn geritten macht er von vaters schilde los den zierat in der mitten das riesenkleinod setzt er ein das gab so wunderklaren schein als wie die liebe sonne und als nun diese helle glut im schilde milons brannte da rief der könig frohgemut heil milon von anglante der hat den riesen übermannt ihm abgeschlagen haupt und hand das kleinod ihm entrissen herr milon hatte sich gewandt sah staunend all die helle roland sag an du junger fant wer gab dir das geselle um gott herr vater zürnt mir nicht daß ich erschlug den groben wicht derweil ihr eben schliefet |
Schwäbische Kunde von Ludwig Uhland, 1815 „Als Kaiser Rothbart lobesam / Zum heil’gen Land gezogen kam, / Da mußt’ er mit dem frommen Heer / Durch ein Gebirge, wüst und leer.“ |
1815 | 1646 | schwäbische kunde von ludwig uhland als kaiser rothbart lobesam zum heilgen land gezogen kam da mußt er mit dem frommen heer durch ein gebirge wüst und leer daselbst erhub sich große noth viel steine gabs und wenig brot und mancher deutsche reitersmann hat dort den trunk sich abgethan den pferden wars so schwach im magen fast mußt der reiter die mähre tragen nun war ein herr aus schwabenland von hohem wuchs und starker hand deß rößlein war so krank und schwach er zog es nur am zaume nach er hätt es nimmer aufgegeben und kostets ihn das eigne leben so blieb er bald ein gutes stück hinter dem heereszug zurück da sprengten plötzlich in die queer fünfzig türkische reiter daher die huben an auf ihn zu schießen nach ihm zu werfen mit den spießen der wackre schwabe forcht sich nit ging seines weges schritt vor schritt ließ sich den schild mit pfeilen spicken und thät nur spöttlich um sich blicken bis einer dem die zeit zu lang auf ihn den krummen säbel schwang da wallt dem deutschen auch sein blut er trifft des türken pferd so gut er haut ihm ab mit einem streich die beiden vorderfüß zugleich als er das thier zu fall gebracht da faßt er erst sein schwerdt mit macht er schwingt es auf des reiters kopf haut durch bis auf den sattelknopf haut auch den sattel noch zu stücken und tief noch in des pferdes rücken zur rechten sieht man wie zur linken einen halben türken heruntersinken da packt die andern kalter graus sie fliehen in alle welt hinaus und jedem ists als würd ihm mitten durch kopf und leib hindurchgeschnitten drauf kam des wegs ne christenschaar die auch zurück geblieben war die sahen nun mit gutem bedacht was arbeit unser held gemacht von denen hats der kaiser vernommen der ließ den schwaben vor sich kommen er sprach sagt an mein ritter werth wer hat euch solche streich gelehrt der held bedacht sich nicht zu lang die streiche sind bei uns im schwang sie sind bekannt im ganzen reiche man nennt sie halt nur schwabenstreiche |
Siegfrieds Schwert von Ludwig Uhland, 1812 „Jung Siegfried war ein stolzer Knab, / Ging von des Vaters Burg herab. // Wollt rasten nicht in Vaters Haus, / Wollt wandern in alle Welt hinaus.“ |
1812 | 764 | siegfrieds schwert von ludwig uhland jung siegfried war ein stolzer knab ging von des vaters burg herab wollt rasten nicht in vaters haus wollt wandern in alle welt hinaus begegnet ihm manch ritter wert mit festem schild und breitem schwert siegfried nur einen stecken trug das war ihm bitter und leid genug und als er ging im finstern wald kam er zu einer schmiede bald da sah er eisen und stahl genug ein lustig feuer flammen schlug o meister liebster meister mein laß du mich deinen gesellen sein und lehr du mich mit fleiß und acht wie man die guten schwerter macht siegfried den hammer wohl schwingen kunnt er schlug den amboß in den grund er schlug daß weit der wald erklang und alles eisen in stücke sprang und von der letzten eisenstang macht er ein schwert so breit und lang nun hab ich geschmiedet ein gutes schwert nun bin ich wie andre ritter wert nun schlag ich wie ein andrer held die riesen und drachen in wald und feld |
Taillefer von Ludwig Uhland, 1813 „Normannenherzog Wilhelm sprach einmal: / »Wer singet in meinem Hof und in meinem Saal? / Wer singet vom Morgen bis in die späte Nacht, / So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht?«“ |
1813 | 2410 | taillefer von ludwig uhland normannenherzog wilhelm sprach einmal wer singet in meinem hof und in meinem saal wer singet vom morgen bis in die späte nacht so lieblich daß mir das herz im leibe lacht das ist der taillefer der so gerne singt im hofe wann er das rad am bronnen schwingt im saale wann er das feuer schüret und facht wann er abends sich legt und wann er morgens erwacht der herzog sprach ich hab einen guten knecht den taillefer der dienet mir fromm und recht er treibt mein rad und schüret mein feuer gut und singet so hell das höhet mir den mut da sprach der taillefer und wär ich frei viel besser wollt ich dienen und singen dabei wie wollt ich dienen dem herzog hoch zu pferd wie wollt ich singen und klingen mit schild und mit schwert nicht lange so ritt der taillefer ins gefild auf einem hohen pferde mit schwert und mit schild des herzogs schwester schaute vom turm ins feld sie sprach dort reitet bei gott ein stattlicher held und als er ritt vorüber an fräuleins turm da sang er bald wie ein lüftlein bald wie ein sturm sie sprach der singet das ist eine herrliche lust es zittert der turm und es zittert mein herz in der brust der herzog wilhelm fuhr wohl über das meer er fuhr nach engelland mit gewaltigem heer er sprang vom schiffe da fiel er auf die hand hei rief er ich faß und ergreife dich engelland als nun das normannenheer zum sturme schritt der edle taillefer vor den herzog ritt manch jährlein hab ich gesungen und feuer geschürt manch jährlein gesungen und schwert und lanze gerührt und hab ich euch gedient und gesungen zu dank zuerst als ein knecht und dann als ein ritter frank so laßt mich das entgelten am heutigen tag vergönnet mir auf die feinde den ersten schlag der taillefer ritt vor allem normannenheer auf einem hohen pferde mit schwert und mit speer er sang so herrlich das klang über hastingsfeld vom roland sang er und manchem frommen held und als das rolandslied wie ein sturm erscholl da wallete manch panier manch herze schwoll da brannten ritter und mannen von hohem mut der taillefer sang und schürte das feuer gut dann sprengt er hinein und führte den ersten stoß davon ein englischer ritter zur erde schoß dann schwang er das schwert und führte den ersten schlag davon ein englischer ritter am boden lag normannen sahens die harrten nicht allzu lang sie brachen herein mit geschrei und mit schilderklang hei sausende pfeile klirrender schwerterschlag bis harald fiel und sein trotziges heer erlag herr wilhelm steckte sein banner aufs blutige feld inmitten der toten spannt er sein gezelt da saß er am mahle den goldnen pokal in der hand auf dem haupte die königskrone von engelland mein tapfrer taillefer komm trink mir bescheid du hast mir viel gesungen in lieb und in leid doch heut im hastingsfelde dein sang und dein klang der tönet mir in den ohren mein leben lang |
Trinklied von Ludwig Uhland, 1815 „Wir sind nicht mehr am ersten Glas, / Drum denken wir gern an dies und das, / Was rauschet und was brauset.“ |
1815 | 1589 | trinklied von ludwig uhland wir sind nicht mehr am ersten glas drum denken wir gern an dies und das was rauschet und was brauset so denken wir an den wilden wald darin die stürme sausen wir hören wie das jagdhorn schallt die ross und hunde brausen und wie der hirsch durchs wasser setzt die fluten rauschen und wallen und wie der jäger ruft und hetzt die schüsse schmetternd fallen wir sind nicht mehr am ersten glas drum denken wir gern an dies und das was rauschet und was brauset so denken wir an das wilde meer und hören die wogen brausen die donner rollen drüberher die wirbelwinde sausen ha wie das schifflein schwankt und dröhnt wie mast und stange splittern und wie der nothschuß dumpf ertönt die schiffer fluchen und zittern wir sind nicht mehr am ersten glas drum denken wir gern an dies und das was rauschet und was brauset so denken wir an die wilde schlacht da fechten die deutschen männer das schwerdt erklirrt die lanze kracht es schnauben die muthgen renner mit trommelwirbel trommetenschall so zieht das heer zum sturme hin stürzet von kanonenknall die mauer sammt dem thurme wir sind nicht mehr am ersten glas drum denken wir gern an dies und das was rauschet und was brauset so denken wir an den jüngsten tag und hören posaunen schallen die gräber springen von donnerschlag die sterne vom himmel fallen es braust die offne höllenkluft mit wildem flammenmeere und oben in der goldnen luft da jauchzen die selgen chöre wir sind nicht mehr am ersten glas drum denken wir gern an dies und das was rauschet und was brauset und nach dem wald und der wilden jagd nach sturm und wellenschlage und nach der deutschen männer schlacht und nach dem jüngsten tage so denken wir an uns selber noch an unser stürmisch singen an unser jubeln und lebehoch an unsrer becher klingen wir sind nicht mehr am ersten glas drum denken wir gern an dies und das was rauschet und was brauset |
Vom treuen Walther von Ludwig Uhland, 1805 „Der treue Walther ritt vorbei / An unsrer Frau Kapelle. / Da kniete gar in tiefer Reu’ / Ein Mägdlein an der Schwelle.“ |
1805 | 1272 | vom treuen walther von ludwig uhland der treue walther ritt vorbei an unsrer frau kapelle da kniete gar in tiefer reu ein mägdlein an der schwelle halt an halt an mein walther traut kennst du nicht mehr der stimme laut die du so gerne hörtest wen seh ich hier die falsche maid ach weiland ach die meine wo liessest du dein seiden kleid wo gold und edelsteine o daß ich von der treue ließ verloren ist mein paradies bei dir nur find ichs wieder er hub zu roß das schöne weib er trug ein sanft erbarmen sie schlang sich fest um seinen leib mit weissen weichen armen ach walther traut mein liebend herz es schlägt an kaltes starres erz es klopft nicht an dem deinen sie ritten ein in walthers schloß das schloß war öd und stille sie band den helm dem ritter los hin war der schönheit fülle die wangen bleich die augen trüb sie sind dein schmuck du treues lieb du warst mir nie so lieblich die rüstung löst die fromme maid dem herrn den sie betrübet was seh ich ach ein schwarzes kleid wer starb den du geliebet die liebste mein betraur ich sehr die ich auf erden nimmermehr noch überm grabe finde sie sinkt zu seinen füßen hin mit ausgestreckten armen da lieg ich arme büßerin dich fleh ich um erbarmen erhebe mich zu neuer lust laß mich an deiner treuen brust von allem leid genesen steh auf steh auf du armes kind ich kann dich nicht erheben die arme mir verschlossen sind die brust ist ohne leben sey traurig stets wie ich es bin die lieb ist hin die lieb ist hin und kehret niemals wieder |
Wintermorgen von Ludwig Uhland, 1834 (?) „Ein trüber Wintermorgen war’s, / Als wollt’ es gar nicht tagen, / Und eine dumpfe Glocke ward / Im Nebel angeschlagen.“ |
1834 | 386 | wintermorgen von ludwig uhland ein trüber wintermorgen wars als wollt es gar nicht tagen und eine dumpfe glocke ward im nebel angeschlagen und als die dumpfe glocke bald die einzige verklungen da ward ein heisres grabeslied ein einzger vers gesungen es war ein armer alter mann der lang gewankt am stabe trüb klanglos wie sein lebensweg so war sein weg zum grabe nun höret er in lichten höhn der engel chöre singen und einen schönen vollen klang durch alle welten schwingen |
Württemberg von Ludwig Uhland, 1816 „Was kann dir aber fehlen, / Mein teures Vaterland? / Man hört ja weit erzählen / Von deinem Segensstand.“ |
1816 | 912 | württemberg von ludwig uhland was kann dir aber fehlen mein teures vaterland man hört ja weit erzählen von deinem segensstand man sagt du seist ein garten du seist ein paradies was kannst du mehr erwarten wenn man dich selig pries ein wort das sich vererbte sprach jener ehrenmann wenn man dich gern verderbte daß man es doch nicht kann und ist denn nicht ergossen dein fruchtfeld wie ein meer kommt nicht der most geflossen von tausend hügeln her und wimmeln dir nicht fische in jedem strom und teich ist nicht dein waldgebüsche an wild nur allzu reich treibt nicht die wollenherde auf deiner weiten alb und nährest du nicht pferde und rinder allenthalb hört man nicht fernhin preisen des schwarzwalds stämmig holz hast du nicht salz und eisen und selbst ein körnlein golds und sind nicht deine frauen so häuslich fromm und treu erblüht in deinen gauen nicht weinsberg ewig neu und sind nicht deine männer arbeitsam redlich schlicht der friedenswerke kenner und tapfer wenn man ficht du land des korns und weines du segenreich geschlecht was fehlt dir all und eines das alte gute recht |
Der Gattenmörder von Joseph von Eichendorff, vor 1857 † „Vater und Kind gestorben / ruhen im Grabe tief, / die Mutter hat erworben / seitdem ein andrer Lieb.“Joseph von Eichendorff |
1857 | 2683 | der gattenmörder von joseph von eichendorff vater und kind gestorben ruhen im grabe tief die mutter hat erworben seitdem ein andrer lieb da droben auf dem schlosse da schallt das hochzeitsfest da lachts und wiehern die rosse durchs grün ziehn bunte gäst die braut schaut ins gefilde noch einmal vom altan es sah so ernst und milde sie da der abend an rings waren schon verdunkelt die täler und der rhein in ihrem brautschmuck funkelt nur noch der abendschein sie hörte glocken gehen im weiten tiefen tal er bracht der lüfte weben fern übern wald den schall sie dacht o falscher abend wen das bedeuten mag wen läuten sie zu grabe an meinem hochzeitstag sie hört im garten rauschen die brunnen immerdar und durch die wälder rauschen ein singen wunderbar sie sprach wie wirres klingen kommt durch die einsamkeit das lied wohl hört ich singen in alter schöner zeit es klang als wollt sies rufen und grüßen tausendmal so stieg sie von den stufen so kühle rauscht das tal so zwischen weingehängen stieg sinnend sie ins land hinunter zu den klängen bis sie im walde stand dort ging sie wie in träumen im weiten stillen rund das lied klang in den bäumen von quellen rauscht der grund derweil von mund zu munde durchs haus erst heimlich sacht und lauter geht die kunde die braut irrt in der nacht der bräutgam tät erbleichen er hört im tal das lied ein dunkelrotes zeichen ihm von der stirne glüht und tanz und jubel enden er und die gäst im saal windlichter in den händen sich stürzen in das tal da schweifen rote scheine schall nun und roßehuf es hallen die gesteine rings von verworrnem ruf doch einsam irrt die fraue im walde schön und bleich die nacht hat tiefen grauen das ist von sternen so reich und als sie war gelanget zum allerstillsten grund ein kind am felsenhange dort freundlich lächelnd stund das trug in seinen locken einen weißen rosenkranz sie schaut es an erschrocken beim irren mondesglanz solch augen hat das meine ach meines bist du nicht und ruht ja unterm steine den niemand mehr zerbricht ich weiß nicht was mir grauset blick nicht so fremd auf mich ich wollt ich wär zu hause nach hause führ ich dich sie gehn nun miteinander so trübe weht der wind die fraue sprach im wandern ich weiß nicht wo wir sind wen tragen sie beim scheine der fackeln durch die schlucht o gott der stürzt vom steine sich tot in dieser kluft das kind sagt den sie tragen dein brräutgam heute war er hat meinen vater erschlagen s ist diese stund ein jahr wir alle müssens büßen bald wird es besser sein der vater läßt dich grüßen mein liebes mütterlein ihr schauerts durch die glieder du bist mein totes kind wie funkeln die sterne nieder jetzt weiß ich wo wir sind da löst sie kranz und spangen und über ihr angesicht perlen und tränen rannen man unterschied sie nicht und über die schultern nieder rollen die locken sacht verdunkeln augen und glieder wie eine prächtige nacht ums kind den arm geschlagen sank sie ins gras hinein dort hatten sie erschlagen den vater im gestein die hochzeitsgäste riefen im walde auch und ab die gründe alle schliefen nur echo antwort gab und als sich leis erhoben der erste morgenduft hörten die hirten droben ein singen in stiller luft |
Der Gefangene von Joseph von Eichendorff, 1812 „In goldner Morgenstunde, / Weil alles freudig stand, / Da ritt im heitern Grunde / Ein Ritter über Land.“ |
1812 | 1561 | der gefangene von joseph von eichendorff in goldner morgenstunde weil alles freudig stand da ritt im heitern grunde ein ritter über land rings sangen auf das beste die vöglein mannichfalt es schüttelte die aeste vor lust der grüne wald den nacken stolz gebogen klopft er dem rößelein so ist er hingezogen tief in den wald hinein sein roß hat er getrieben ihn trieb der frische muth ist alles fern geblieben so ist mir wohl und gut mit freuden mußt er sehen im wald ein grüne au wo brünnlein kühle gehen von blumen roth und blau vom roß ist er gesprungen legt sich zum kühlen bach die wellen lieblich klungen das ganze herz zog nach so grüne war der rasen es rauschte bach und baum sein roß thät stille grasen und alles wie ein traum die wolken sah er gehen die schifften immer zu er konnt nicht widerstehen die augen sanken ihm zu nun hört er stimmen rinnen als wie der liebsten gruß er konnt sich nicht besinnen bis ihn erweckt ein kuß wie prächtig glänzt die aue wie gold der quell nun floß und einer süßen fraue lag er im weichen schooß herr ritter wollt ihr wohnen bei mir im grünen haus aus allen blumenkronen wind ich euch einen strauß der wald ringsum wird wachen wie wir beisammen seyn der kukuk schelmisch lachen und alles fröhlich seyn es bog ihr angesichte auf ihn den süßen leib schaut mit den augen lichte das wunderschöne weib sie nahm seinn helm herunter löst krause ihm und bund spielt mit den locken munter küßt ihm den rothen mund und spielt viel süße spiele wohl in geheimer lust es flog so kühl und schwüle ihm um die offne brust um ihn nun thät sie schlagen die arme weich und bloß er konnte nichts mehr sagen sie ließ ihn nicht mehr los und diese au zur stunde ward ein krystallnes schloß der bach ein strom gewunden ringsum gewaltig floß auf diesem strome gingen viel schiffe wohl vorbei es konnt ihn keines bringen aus böser zauberei |
Der Götter Irrfahrt von Joseph von Eichendorff, 1828 „Unten endlos nichts als Wasser, / Droben Himmel still und weit, / Nur das Götterland, das blasse, / Lag in Meereseinsamkeit,“ |
1828 | 2254 | der götter irrfahrt von joseph von eichendorff nach einer volkssage der tongainseln unten endlos nichts als wasser droben himmel still und weit nur das götterland das blasse lag in meereseinsamkeit wo auf farbenlosen matten gipfel wie in träumen stehn und gestalten ohne schatten ewig lautlos sich ergehn zwischen grauen wolkenschweifen die verschlafen berg und flut mit den langen schleiern streifen hoch der göttervater ruht heut zu fischen ihn gelüstet und vom zackgen felsenhang in des meeres grüne wüste senket er die schnur zum fang sinnend sitzt er und es flattern bart und haar im sturme weit und die zeit wird ihm so lange in der stillen ewigkeit da fühlt er die angel zucken ei das ist ein schwerer fisch freudig fängt er an zu rucken stemmt sich zieht und windet frisch sieh da hebt er felsenspitzen langsam aus der wasser grund und erschrocken aus den ritzen schießen schuppge schlangen bunt ringelnd ungetüm der tiefen die im öden wogenhaus in der grünen dämmrung schliefen stürzen sich ins meer hinaus doch der vater hebt aufs neue und gebirge tal und strand taucht allmählich auf ins freie und es grünt das junge land irrend farbge lichter schweifen und von blumen glänzt die flur wo des vaters blick sie streifen da zerreißt die angelschnur wie ne liebliche sirene halb nun überm wellenglanz staunend ob der eignen schöne schwebt es mit dem blütenkranz bei der lüfte lindem fächeln sich im meer das rosig brennt spiegelnd mit verschämtem lächeln erde sie der vater nennt staunend auf den göttersitzen die unsterblichen nun stehn sehn den morgen drüben blitzen fühlen duft herüberwehn und so süßes weh sie spüren lösen leis ihr schiff vom strand und die lüfte sie verführen fern durchs meer zum jungen land o wie da die quellen sprangen in die tiefe blütenpracht und lianen dort sich schlangen glühend durch die waldesnacht und die wandrer trunken lauschen wo die wasserfälle gehn bis sie in dem frühlingsrauschen plötzlich all erschrocken stehn denn sie sehn zum ersten male nun die sonne niedergehn und verwundert berg und tale tief im abendrote stehn und der schönste gott von allen sank erbleichend in den duft denn dem tode ist verfallen wer geatmet irdsche luft die genossen faßt ein grauen und sie fahren weit ins meer nach des vaters haus sie schauen doch sie findens nimmermehr mußten aus den wogenwüsten ihrer schiffe schnäbel drehn wieder nach des eilands küsten ach das war so falsch und schön und für immer da verschlagen blieben sie im fremden land hörten nachts des vaters klagen oft noch fern vom götterstrand und nun kindeskinder müssen nach der heimat sehn ins meer und es kommt im wind ein grüßen und sie wissen nicht woher |
Der Schatzgräber von Joseph von Eichendorff, 1834 „Wenn alle Wälder schliefen, / Er an zu graben hub, / Rastlos in Berges Tiefen / Nach einem Schatz er grub.“ |
1834 | 346 | der schatzgräber von joseph von eichendorff wenn alle wälder schliefen er an zu graben hub rastlos in berges tiefen nach einem schatz er grub die engel gottes sangen derweil in stiller nacht wie rote augen drangen metalle aus dem schacht und wirst doch mein und grimmer wühlt er und wühlt hinab da stürzen steine und trümmer über dem narren herab hohnlachen wild erschallte aus der verfallnen kluft der engelgesang verhallte wehmütig in der luft |
Die Hochzeitsnacht von Joseph von Eichendorff, 1810 „Nachts durch die stille Runde / Rauschte des Rheines Lauf, / Ein Schifflein zog im Grunde, / Ein Ritter stand darauf.“ |
1810 | 1823 | die hochzeitsnacht von joseph von eichendorff nachts durch die stille runde rauschte des rheines lauf ein schifflein zog im grunde ein ritter stand darauf die blicke irre schweifen von seines schiffes rand ein blutigrother streifen sich um das haupt ihm wand der sprach da oben stehet ein schlößlein überm rhein die an dem fenster stehet das ist die liebste mein sie hat mir treu versprochen bis ich gekommen sey sie hat die treu gebrochen und alles ist vorbei viel hochzeitleute drehen sich oben laut und bunt sie bleibet einsam stehen und lauschet in den grund und wie sie tanzen munter und schiff und schiffer schwand stieg sie vom schloß herunter bis sie im garten stand die spielleut musizirten sie sann gar mancherlei die töne sie so rührten als müßt das herz entzwei da trat ihr bräutgam süße zu ihr aus stiller nacht so freundlich er sie grüßte daß ihr daß herze lacht er sprach was willst du weinen weil alle fröhlich sein die stern so helle scheinen so lustig geht der rhein das kränzlein in den haaren steht dir so wunderfein wir wollen etwas fahren hinunter auf dem rhein zum kahn folgt sie behende setzt sich ganz vorne hin er setzt sich an das ende und ließ das schifflein ziehn sie sprach die töne kommen verworren durch den wind die fenster sind verglommen wir fahren so geschwind was sind das für so lange gebürge weit und breit mir wird auf einmal bange in dieser einsamkeit und fremde leute stehen auf mancher felsenwand und stehen still und sehen so schwindlich übern rand der bräutgam schien so traurig und sprach kein einzig wort schaut in die wellen schaurig und rudert immerfort sie sprach schon seh ich streifen so roth im morgen stehn und stimmen hör ich schweifen vom ufer hähne krähn du siehst so still und wilde so bleich wird dein gesicht mir graut vor deinem bilde du bist mein bräutgam nicht da stand er auf das sausen hielt an in fluth und wald es rührt mit lust und grausen das herz ihr die gestalt und wie mit steinernn armen hob er sie auf voll lust drückt ihren schönen warmen leib an die eisge brust licht wurden wald und höhen der morgen schien blutroth das schifflein sah man gehen die schöne braut drin todt |
Die späte Hochzeit von Joseph von Eichendorff, 1828 „Der Mond ging unter – jetzt ist’s Zeit. – / Der Bräut’gam steigt vom Roß, / Er hat so lange schon gefreit – / Da tut sich auf das Schloß,“ |
1828 | 414 | die späte hochzeit von joseph von eichendorff der mond ging unter jetzt ists zeit der bräutgam steigt vom roß er hat so lange schon gefreit da tut sich auf das schloß und in der halle sitzt die braut auf diamantnem sitz von ihrem schmuck tuts durch den bau einn langen roten blitz blass knaben warten schweigend auf still gäste stehn herum da richtt die braut sich langsam auf so hoch und bleich und stumm sie schlägt zurück ihr goldgewand da schauert ihn vor lust sie langt mit kalter weißer hand das herz ihm aus der brust |
Die stille Gemeinde von Joseph von Eichendorff, 1835 „Von Bretagnes Hügeln, die das Meer / Blühend hell umsäumen, / Schaute ein Kirchlein trostreich her / Zwischen uralten Bäumen.“ |
1835 | 2622 | die stille gemeinde von joseph von eichendorff von bretagnes hügeln die das meer blühend hell umsäumen schaute ein kirchlein trostreich her zwischen uralten bäumen das kornfeld und die wälder weit rauschten im sonntagsglanze doch keine glocken klangen heut vom grünen felsenkranze denn auf des kirchhofs schattigem grund die jakobiner saßen ihre pferde alle blumen bunt von den grabeshügeln fraßen sie hatten am kreuz auf stiller höh feldflasch und säbel hangen derweil sie statt des kyrie die marseillaise sangen ihr hauptmann aber lehnt am baum todmüde von schweren wunden und schaute wie im fiebertraum nach dem tiefschwülen grunde er sprach verwirrt »da drüben stand des vaters schloß am weiher ich selbst steckts an das war ein brand der freiheit freudenfeuer ich seh ihn noch wie durch den sturm zwischen den feurgen zungen mein stolzer vater da vom turm sein banner hat geschwungen und als es war entlaubt vom brand die fahn im wind zerflogen den schaft als kreuz nun in der hand teilt er die flammenwogen er sah so wunderbar auf mich ich konnt ihn nicht ermorden da sank die burg er wandte sich und ist ein pfaff geworden seitdem hör ich in träumen schwer von ferne glocken gehen und seh in rotem feuermeer ein kreuz allnächtlich stehen es sollen keine glocken gehn die nächte zu verstören kein kreuz soll mehr auf erden stehn um narren zu betören und dieses kirchlein hier bewacht sie sollen nicht messe singen wir reißens nieder über nacht licht sei wohin wir dringen« und als die nacht schritt leis daher der hauptmann stand am strande so still im wald so still das meer nur die wachen riefen im lande im wind die glock von selbst anschlug da wollt ein hauch sich heben wie unsichtbarer engel flug die übers wasser schweben nun sieht er auch im meere fern ein lichtlein hell entglommen er dacht wie ist der schöne stern dort in die flut gekommen am ufer aber durch die nacht in allen felsenspalten regt sichs und schlüpft es leis und sacht viel dunkle schwanke gestalten nur manchmal von den buchten her schallt ruderschlag von weitem auf barken lautlos in das meer sie nach dem stern hin gleiten der wächst und breitet sich im nahn und streift mit glanz die wellen es ist ein kleiner fischerkahn den fackeln mild erhellen und einsam auf des schiffleins rand ein greis kommt hergezogen in wunderbarem meßgewand als wie der hirt der wogen die barken eine weite rund dort um den hirten machen der laut nun überm meeresgrund den segen spricht im nachen da schwieg der wind und rauscht das meer so wunderbare weise und auf den knien lag ringsher die stille gemeinde im kreise und als er das kreuz hob in die luft hoch zwischen die fackeln trat er den hauptmann schauert im herzensgrund es war sein alter vater da taumelt er und sank ins gras betend im stillen grunde und wie felsenquellen im frühling brach sein herzblut aus allen wunden und als die gesellen kommen zum strand einen toten mann sie finden voll graun sie sprengen fort durchs land als jagt sie der tod in den winden die stürzten sich in den krieg so weit sie sind verweht und zerstoben das kirchlein aber steht noch heut unter den linden droben |
Die verlorene Braut von Joseph von Eichendorff, 1837 „Vater und Kind gestorben / Ruhten im Grabe tief, / Die Mutter hatt erworben / Seitdem ein ander Lieb.“ |
1837 | 2693 | die verlorene braut von joseph von eichendorff vater und kind gestorben ruhten im grabe tief die mutter hatt erworben seitdem ein ander lieb da droben auf dem schlosse da schallt das hochzeitsfest da lachts und wiehern rosse durchs grün ziehn bunte gäst die braut schaut ins gefilde noch einmal vom altan es sah so ernst und milde sie da der abend an rings waren schon verdunkelt die täler und der rhein in ihrem brautschmuck funkelt nur noch der abendschein sie hörte glocken gehen im weiten tiefen tal es bracht der lüfte wehen fern übern wald den schall sie dacht o falscher abend wen das bedeuten mag wen läuten sie zu grabe an meinem hochzeitstag sie hört im garten rauschen die brunnen immerdar und durch der wälder rauschen ein singen wunderbar sie sprach wie wirres klingen kommt durch die einsamkeit das lied wohl hört ich singen in alter schöner zeit es klang als wollt sies rufen und grüßen tausendmal so stieg sie von den stufen so kühle rauscht das tal so zwischen weingehängen stieg sinnend sie ins land hinunter zu den klängen bis sie im walde stand dort ging sie wie in träumen im weiten stillen rund das lied klang in den bäumen von quellen rauscht der grund derweil von mund zu munde durchs haus erst heimlich sacht und lauter geht die kunde die braut irrt in der nacht der bräutgam tät erbleichen er hört im tal das lied ein dunkelrotes zeichen ihm von der stirne glüht und tanz und jubel enden er und die gäst im saal windlichter in den händen sich stürzen in das tal da schweifen rote scheine schall nun und rosseshuf es hallen die gesteine rings von verworrnem ruf doch einsam irrt die fraue im walde schön und bleich die nacht hat tiefes grauen das ist von sternen so reich und als sie war gelanget zum allerstillsten grund ein kind am felsenhange dort freundlich lächelnd stund das trug in seinen locken einen weißen rosenkranz sie schaut es an erschrocken beim irren mondesglanz solch augen hat das meine ach meines bist du nicht das ruht ja unterm steine den niemand mehr zerbricht ich weiß nicht was mir grauset blick nicht so fremd auf mich ich wollt ich wär zu hause nach hause führ ich dich sie gehn nun miteinander so trübe weht der wind die fraue sprach im wandern ich weiß nicht wo wir sind wen tragen sie beim scheine der fackeln durch die schluft o gott der stürzt vom steine sich tot in dieser kluft das kind sagt den sie tragen dein bräutgam heute war er hat meinen vater erschlagen s ist diese stund ein jahr wir alle müssens büßen bald wird es besser sein der vater läßt dich grüßen mein liebes mütterlein ihr schauerts durch die glieder du bist mein totes kind wie funkeln die sterne nieder jetzt weiß ich wo wir sind da löst sie kranz und spangen und über ihr angesicht perlen und tränen rannen man unterschied sie nicht und über die schultern nieder rollten die locken sacht verdunkelnd augen und glieder wie eine prächtige nacht ums kind den arm geschlagen sank sie ins gras hinein dort hatten sie erschlagen den vater im gestein die hochzeitsgäste riefen im walde auf und ab die gründe alle schliefen nur echo antwort gab und als sich leis erhoben der erste morgenduft hörten die hirten droben ein singen in stiller luft |
Die Zauberin im Walde von Joseph von Eichendorff, 1808 „„Schon vor vielen, vielen Jahren / Saß ich drüben an dem Ufer, / Sah manch Schiff vorüberfahren / Weit hinein ins Waldesdunkel.“ |
1808 | 1940 | die zauberin im walde von joseph von eichendorff schon vor vielen vielen jahren saß ich drüben an dem ufer sah manch schiff vorüberfahren weit hinein ins waldesdunkel denn ein vogel jeden frühling an dem grünen waldessaume sang mit wunderbarem schalle wie ein waldhorn klangs im traume und gar seltsam hohe blumen standen an dem rand der schlünde sprach der strom so dunkle worte s war als ob ich sie verstünde und wie ich so sinnend atme stromeskühl und waldesdüfte und ein wundersam gelüsten mich hinabzog nach den klüften sah ich auf kristallnem nachen tief im herzensgrund erschrocken eine wunderschöne fraue ganz umwallt von goldnen locken und von ihrem hals behende tät sie lösen eine kette reicht mit ihren weißen händen mir die allerschönste perle nur ein wort von fremdem klange sprach sie da mit rotem munde doch im herzen ewig stehen wird des worts geheime kunde seitdem saß ich wie gebannt dort und wenn neu der lenz erwachte immer von dem halsgeschmeide eine perle sie mir brachte ich barg all im waldesgrunde und aus jeder perl der fraue sproßte eine blum zur stunde wie ihr auge anzuschauen und so bin ich aufgewachsen tät der blumen treulich warten schlummert oft und träumte golden in dem schwülen waldesgarten fortgespült ist nun der garten und die blumen all verschwunden und die gegend wo sie standen hab ich nimmermehr gefunden in der fern liegt jetzt mein leben breitend sich wie junge träume schimmert stets so seltsam lockend durch die alten dunklen bäume jetzt erst weiß ich was der vogel ewig ruft so bange bange unbekannt zieht ewge treue mich hinunter zu dem sange wie die wälder kühle rauschen zwischendurch das alte rufen wo bin ich so lang gewesen o ich muß hinab zur ruhe und es stieg vom schloß hinunter schnell der süße florimunde weit hinab und immer weiter zu dem dunkelgrünen grunde hört die ströme stärker rauschen sah in nacht des vaters burge stillerleuchtet ferne stehen alles leben weit versunken und der vater schaut vom berge schaut zum dunklen grunde immer regte sich der wald so grausig doch den sohn erblickt er nimmer und es kam der winter balde und viel lenze kehrten wieder doch der vogel in dem walde sang nie mehr die wunderlieder und das waldhorn war verklungen und die zauberin verschwunden wollte keinen andern haben nach dem süßen florimunde |
Letzte Heimkehr von Joseph von Eichendorff, 1830 „Der Wintermorgen glänzt so klar, / Ein Wandrer kommt von ferne, / Ihn schüttelt Frost, es starrt sein Haar, / Ihm log die schöne Ferne, / Nun endlich will er rasten hier, / Er klopft an seines Vaters Tür.“ |
1830 | 1297 | letzte heimkehr von joseph von eichendorff der wintermorgen glänzt so klar ein wandrer kommt von ferne ihn schüttelt frost es starrt sein haar ihm log die schöne ferne nun endlich will er rasten hier er klopft an seines vaters tür doch tot sind die sonst aufgetan verwandelt hof und habe und fremde leute sehn ihn an als käm er aus dem grabe ihn schauert tief im herzensgrund ins feld eilt er zur selben stund da sang kein vöglein weit und breit er lehnt an einem baume der schöne garten lag verschneit es war ihm wie im traume und wie die morgenglocke klingt im stillen feld er niedersinkt und als er aufsteht vom gebet nicht weiß wohin sich wenden ein schöner jüngling bei ihm steht faßt mild ihn bei den händen komm mit sollst ruhn nach kurzem gang er folgt ihn rührt der stimme klang nun durch die bergeseinsamkeit sie wie zum himmel steigen kein glockenklang mehr reicht so weit sie sehn im öden schweigen die länder hinter sich verblühn schon sterne durch die wipfel glühn der führer jetzt die fackel sacht erhebt und schweigend schreitet bei ihrem schein die stille nacht gleichwie ein dom sich weitet wo unsichtbare hände baun den wandrer faßt ein heimlich graun er sprach was bringt der wind herauf so fremden laut getragen als hört ich ferner ströme lauf dazwischen glocken schlagen das ist des nachtgesanges wehn sie loben gott in stillen höhn der wandrer drauf ich kann nicht mehr ists morgen der so blendet was leuchten dort für länder her sein freund die fackel wendet nun ruh zum letzten male aus wenn du erwachst sind wir zu haus |
Sehnsucht von Joseph von Eichendorff, 1830/31 „Es schienen so golden die Sterne, / Am Fenster ich einsam stand / Und hörte aus weiter Ferne / Ein Posthorn im stillen Land.“ |
1830 | 628 | sehnsucht von joseph von eichendorff es schienen so golden die sterne am fenster ich einsam stand und hörte aus weiter ferne ein posthorn im stillen land das herz mir im leib entbrennte da hab ich mir heimlich gedacht ach wer da mitreisen könnte in der prächtigen sommernacht zwei junge gesellen gingen vorüber am bergeshang ich hörte im wandern sie singen die stille gegend entlang von schwindelnden felsenschlüften wo die wälder rauschen so sacht von quellen die von den klüften sich stürzen in die waldesnacht sie sangen von marmorbildern von gärten die überm gestein in dämmernden lauben verwildern palästen im mondenschein wo die mädchen am fenster lauschen wann der lauten1 klang erwacht und die brunnen verschlafen rauschen in der prächtigen sommernacht |
Täuschung von Joseph von Eichendorff, 1837 „Ich ruhte aus vom Wandern, / Der Mond ging eben auf, / Da sah ich fern im Lande / Der alten Tibet Lauf,“ |
1837 | 455 | täuschung von joseph von eichendorff ich ruhte aus vom wandern der mond ging eben auf da sah ich fern im lande der alten tibet lauf im walde lagen trümmer paläste auf stillen höhn und gärten im mondesschimmer o welschland wie bist du schön und als die nacht vergangen die erde blitzte so weit einen hirten sah ich bangen am fels in der einsamkeit den fragt ich ganz geblendet komm ich nach rom noch heut er dehnt sich halbgewendet ihr seid nicht recht gescheut eine winzerin lacht herüber man sah sie vor weinlaub kaum mir aber gings herze über es war ja alles nur traum |
Waldgespräch von Joseph von Eichendorff, 1812 „»Es ist schon spät, es wird schon kalt, / Was reitst du einsam durch den Wald? / Der Wald ist lang, du bist allein, / Du schöne Braut! Ich führ dich heim!«“ |
1812 | 482 | waldgespräch von joseph von eichendorff es ist schon spät es wird schon kalt was reitst du einsam durch den wald der wald ist lang du bist allein du schöne braut ich führ dich heim groß ist der männer trug und list vor schmerz mein herz gebrochen ist wohl irrt das waldhorn her und hin o flieh du weißt nicht wer ich bin so reich geschmückt ist roß und weib so wunderschön der junge leib jetzt kenn ich dich gott steh mir bei du bist die hexe lorelei du kennst mich wohl von hohem stein schaut still mein schloß tief in den rhein es ist schon spät es wird schon kalt kommst nimmermehr aus diesem wald |
Barbarossa von Friedrich Rückert, 1817 „Der alte Barbarossa, / Der Kaiser Friederich, / Im unterirdschen Schlosse / Hält er verzaubert sich.“Friedrich Rückert |
1817 | 710 | barbarossa von friedrich rückert der alte barbarossa der kaiser friederich im unterirdschen schlosse hält er verzaubert sich er ist niemals gestorben er lebt darin noch jetzt er hat im schloß verborgen zum schlaf sich hingesetzt er hat hinabgenommen des reiches herrlichkeit und wird einst wiederkommen mit ihr zu seiner zeit der stuhl ist elfenbeinern darauf der kaiser sitzt der tisch ist marmelsteinern worauf sein haupt er stützt sein bart ist nicht von flachse er ist von feuersglut ist durch den tisch gewachsen worauf sein kinn ausruht er nickt als wie im traume sein aug halboffen zwinkt und je nach langem raume er einem knaben winkt er spricht im schlaf zum knaben geh hin vors schloß o zwerg und sieh ob noch die raben herfliegen um den berg und wenn die alten raben noch fliegen immerdar so muß ich auch noch schlafen verzaubert hundert jahr |
Chidher von Friedrich Rückert, vor 1866 † „Chidher, der ewig junge, sprach: / Ich fuhr an einer Stadt vorbei, / Ein Mann im Garten Früchte brach; / Ich fragte, seit wann die Stadt hier sei?“ |
1866 | 1333 | chidher von friedrich rückert chidher der ewig junge sprach ich fuhr an einer stadt vorbei ein mann im garten früchte brach ich fragte seit wann die stadt hier sei er sprach und pflückte die früchte fort die stadt steht ewig an diesem ort und wird so stehen ewig fort und aber nach fünfhundert jahren kam ich desselbigen wegs gefahren da fand ich keine spur der stadt ein einsamer schäfer blies die schalmei die herde weidete laub und blatt ich fragte wie lang ist die stadt vorbei er sprach und blies auf dem rohre fort das eine wächst wenn das andre dorrt das ist mein ewiger weideort und aber nach fünfhundert jahren kam ich desselbigen wegs gefahren da fand ich ein meer das wellen schlug ein schiffer warf die netze frei und als er ruhte vom schweren zug fragt ich seit wann das meer hier sei er sprach und lachte meinem wort solang als schäumen die wellen dort fischt man und fischt man in diesem port und aber nach fünfhundert jahren kam ich desselbigen wegs gefahren da fand ich einen waldigen raum und einen mann in der siedelei er fällte mit der axt den baum ich fragte wie alt der wald hier sei er sprach der wald ist ein ewiger hort schon ewig wohn ich an diesem ort und ewig wachsen die bäum hier fort und aber nach fünfhundert jahren kam ich desselbigen wegs gefahren da fand ich eine stadt und laut erschallte der markt vom volksgeschrei ich fragte seit wann ist die stadt erbaut wohin ist wald und meer und schalmei sie schrien und hörten nicht mein wort so ging es ewig an diesem ort und wird so gehen ewig fort und aber nach fünfhundert jahren will ich desselbigen weges fahren |
Der fehlende Schöppe von Friedrich Rückert, vor 1866 † „Zu Ebern hält man Hochgericht / über Leben und Blut; / zwölf Stühle sind zugericht / für die zwölf Schöppen gut.“ |
1866 | 720 | der fehlende schöppe von friedrich rückert zu ebern hält man hochgericht über leben und blut zwölf stühle sind zugericht für die zwölf schöppen gut elfe sind gekommen han ihre stühl eingenommen der zwölfte stuhl bleibt unberührt niemand drauf sitzen darf denn der schöppe dem er gehört ist aus abermannsdorf aber abermannsdorf ist versunken sein schöpp hält gericht bei den unken da reitet von den elfen ein bote hinaus zu roß der den fehlenden zwölften herein laden muß der bot bhälts roß am zügel den linken fuß im bügel mit dem rechten fuß dreimal stampft er auf den grund und den schöppen dreimal ruft er mit lautem mund zu ebern ist schöppengericht schöppe säume dich nicht da wird es unter der erde laut von furchtbarem getos der bot nicht vor noch rückwärts schaut sondern springt auf sein roß und muß schnell fort sich machen sonst verschlingt ihn der erde rachen |
Die sterbende Blume von Friedrich Rückert, vor 1866 † „Hoffe! du erlebst es noch, / Daß der Frühling wiederkehrt. / Hoffen alle Bäume doch, / Die des Herbstes Wind verheert,“ |
1866 | 1961 | die sterbende blume von friedrich rückert hoffe du erlebst es noch daß der frühling wiederkehrt hoffen alle bäume doch die des herbstes wind verheert hoffen mit der stillen kraft ihrer knospen winterlang bis sich wieder regt der saft und ein neues grün entsprang ach ich bin kein starker baum der ein sommertausend lebt nach verträumtem wintertraum neue lenzgedichte webt ach ich bin die blume nur die des maies kuß geweckt und von der nicht bleibt die spur wie das weiße grab sie deckt wenn du denn die blume bist o bescheidenes gemüt tröste dich beschieden ist samen allem was da blüht laß den sturm des todes doch deinen lebensstaub verstreun aus dem staube wirst du noch hundertmal dich selbst erneun ja es werden nach mir blühn andre die mir ähnlich sind ewig ist das ganze grün nur das einzle welkt geschwind aber sind sie was ich war bin ich selber es nicht mehr jetzt nur bin ich ganz und gar nicht zuvor und nicht nachher wenn einst sie der sonne blick wärmt der jetzt noch mich durchflammt lindert das nicht mein geschick das mich nun zur nacht verdammt sonne ja du äugelst schon ihnen in die fernen zu warum noch mit frostgem hohn mir aus wolken lächelst du weh mir daß ich dir vertraut als mich wach geküßt dein strahl daß ins aug ich dir geschaut bis es mir das leben stahl dieses lebens armen rest deinem mitleid zu entziehn schließen will ich krankhaft fest mich in mich und dir entfliehn doch du schmelzest meines grimms starres eis in thränen auf nimm mein fliehend leben nimms ewige zu dir hinauf ja du sonnest noch den gram aus der seele mir zuletzt alles was von dir mir kam sterbend dank ich dir es jetzt aller lüfte morgenzug dem ich sommerlang gebebt aller schmetterlinge flug die um mich im tanz geschwebt augen die mein glanz erfrischt herzen die mein duft erfreut wie aus duft und glanz gemischt du mich schufst dir dank ichs heut eine zierde deiner welt wenn auch eine kleine nur ließest du mich blühn im feld wie die stern auf höhrer flur einen odem hauch ich noch und er soll kein seufzer sein einen blick zum himmel hoch und zur schönen welt hinein ewges flammenherz der welt laß verglimmen mich an dir himmel spann dein blaues zelt mein vergrüntes sinket hier heil o frühling deinem schein morgenluft heil deinem wehn ohne kummer schlaf ich ein ohne hoffnung aufzustehn |
Die verzauberte Jungfrau von Friedrich Rückert, vor 1866 † „Die Jungfrau, die verzaubert dort / Sitzt in der Höhle Grunde, / Hat auf Erlösung fort und fort / Gewartet bis zur Stunde;“ |
1866 | 911 | die verzauberte jungfrau von friedrich rückert die jungfrau die verzaubert dort sitzt in der höhle grunde hat auf erlösung fort und fort gewartet bis zur stunde wer sich an die erlösung wagt muß einen kuß nur unverzagt aufdrücken ihrem munde allein beim küssen ziert sie sich und gar nicht hold jungfräulich verwandelnd umgebiert sie sich in viel gestalten greulich daß nur ein unerschrockner mann es ansehn und sie küssen kann wie sie sich stellt abscheulich da war ein schneider jung und keck der kühnste mann auf erden dem saß das herz am rechten fleck magst du dich nur gebärden und was du tust und was du sagst und wie du dich verwandeln magst du sollst erlöset werden die jungfrau ward von angesicht zum schrecklichsten der drachen der tapfre schneider zittert nicht und küßt sie auf den rachen die jungfrau wird ein grimmer leu schon will der schneider auch nicht scheu zum kuß sich fertig machen die jungfrau wird zum krokodil er will zum kusse schreiten und wie sie sich verwandeln will er wird sie doch erstreiten zuletzt wird sie ein ziegenbock da rennt er über stock und block dich mag der teufel reiten |
Erscheinung der Schnitterengel von Friedrich Rückert, vor 1866 † „Die Mägdelein / Im Mondenschein, / Die Schnitterinnen tanzen, / Die Kleider sind / Im Abendwind / Geworfen auf die Pflanzen;“ |
1866 | 1075 | erscheinung der schnitterengel von friedrich rückert die mägdelein im mondenschein die schnitterinnen tanzen die kleider sind im abendwind geworfen auf die pflanzen sie tanzen wie sie gott erschaffen es wird sich niemand hier vergaffen und wenn der mond sich will verschanzen mag er ein wölkchen raffen allein wer kommt nun eile frommt zu schlüpfen in die röckchen wer ist der narr ach gott der pfarr er geht an seinem stöckchen der schreck verwirrt die tänzerinnen die jeden rock verkehrt gewinnen da sprach das jüngste klügste döckchen mit unverstörten sinnen wie toll ihr seid wollt ihr im kleid erscheinen und euch nennen er kennt euch nicht am angesicht im rock wird er euch kennen wir tanzen wie uns gott erschaffen er ist zu alt sich zu vergaffen und wenn er fürchtet anzubrennen mag er hinweg sich raffen er sieht den tanz im mondenglanz die wesen ohne mängel sie kamen nur von höhrer flur doch ohne lilienstengel still geht er heim auf seinen wegen und danket gott beim schlafenlegen daß er gesehn die schnitterengel bedeutend erntesegen und als nun gar gedroschen war die mägde stehn betroffen dort wars so schwül nun ists so kühl der buße tor ist offen jedwede bringt aus freiem triebe ein mäßlein wohl gefegt im siebe dem pfarrherrn daß des segens hoffen ihm unerfüllt nicht bliebe |
Jusuf und Suleicha von Friedrich Rückert, vor 1866 † „Lange her ist’s, dass Suleicha / Jung und schön und reich und üppig, / Josef ihren keuschen Sklaven / Wollte ziehn in ihre Arme, / Denen er den Kerker verzog.“ |
1866 | 1715 | jusuf und suleicha von friedrich rückert lange her ists dass suleicha jung und schön und reich und üppig josef ihren keuschen sklaven wollte ziehn in ihre arme denen er den kerker verzog er indes ist aus dem kerker zu ägyptens thron gestiegen jung und schön ist er geblieben reich geworben nur nicht üppig sie aus ihren hochpalästen in der armut niedre hütte alt bemüthig eingezogen alles glück hat sie verlassen nur nicht josefs angedenken wenn das ist ein glück zu nennen was sie an verlornen glückes träume noch in träumen mahnet doch die blume der entsagung ist aus ihrer liebe schmerzen wie aus rosen eine lilie hell und glänzend aufgegangen in der liebe koran heißt es die entsagung bring erhöhung die verstoßung luftvereinigung gabriel von gottes throne bringt die urkund ausgefertigt von den werthen schreiberengeln blumenschrift auf gold geschrieben von den zeugen unterzeichnet von dem richter selbst besiegelt dass der ehebund im himmel ist geschlossen und auf erden josef die suleicha freiet feierlich im hochzeitzuge wird die braut zu ihres gatten haus geführt die schnellverjüngte jünger als sie jung gewesen weil die liebe sie verjüngt schöner als sie schön gewesen weil die liebe sie schön gewesen weil die demut sie so reich war weil die frömmigkeit mit reicherm als juwelenschmuck sie schmückte ihrer harrt der ungeduldge bräutigam im brautgemache doch sie beugt die schönen glieder erst in andacht sich versenkend zum gebet und macht es lange josef spricht bist du suleicha die suleicha deren inbrunst mir zerriss den saum des hemdes die suleicha spricht suleicha bin ich nicht ich bin die andre jene war die reichersehnte aber josef der nun alle sehnsucht fühlt die sie einst fühlte wie er will zu sich herüber ziehn die säumende zerreißt er heftig ihr den saum des hemdes gabriel im brautgemache war er mit dabei sprach lächelnd hemd um hemde ausgeglichen ist die rechnung und die sühne gegenseitig gott besohlen riefs und gieng und schloss die kammer leise zu mit himmelsdufte |
Roland der Ries‘ von Friedrich Rückert, vor 1866 † „Roland, der Ries‘, am / Rathaus zu Bremen / Steht er im Standbild / Standhaft und wacht.“ |
1866 | 538 | roland der ries von friedrich rückert roland der ries am rathaus zu bremen steht er im standbild standhaft und wacht roland der ries am rathaus zu bremen kämpfer einst kaisers karls in der schlacht roland der ries am rathaus zu bremen männlich die mark einst hütend mit macht roland der ries am rathaus zu bremen wollten ihm welsche nehmen die wacht roland der ries am rathaus zu bremen wollten ihn welsche werfen in nacht roland der ries am rathaus zu bremen lehnet an langer lanz er und lacht roland der ries am rathaus zu bremen ende ward welschem wesen gemacht roland der ries am rathaus zu bremen wieder wie weiland wacht er und wacht |
Das Gewitter von Gustav Schwab, 1828 „Urahne, Großmutter, Mutter und Kind, / In dumpfer Stube beisammen sind; / Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt, / Großmutter spinnet, Urahne gebückt“Gustav Schwab |
1828 | 1117 | das gewitter von gustav schwab urahne großmutter mutter und kind in dumpfer stube beisammen sind es spielet das kind die mutter sich schmückt großmutter spinnet urahne gebückt sitzt hinter dem ofen im pfühl wie wehen die lüfte so schwül das kind spricht morgen ists feiertag wie will ich spielen im grünen hag wie will ich springen durch thal und höhn wie will ich pflücken viel blumen schön dem anger dem bin ich hold hört ihrs wie der donner grollt die mutter spricht morgen ists feiertag da halten wir alle fröhlich gelag ich selber ich rüste mein feierkleid das leben es hat auch lust nach leid dann scheint die sonne wie gold hört ihrs wie der donner grollt großmutter spricht morgen ists feiertag großmutter hat keinen feiertag sie kochet das mahl sie spinnet das kleid das leben ist sorg und viel arbeit wohl dem der that was er sollt hört ihrs wie der donner grollt urahne spricht morgen ists feiertag am liebsten morgen ich sterben mag ich kann nicht singen und scherzen mehr ich kann nicht sorgen und schaffen schwer was thu ich noch auf der welt seht ihr wie der blitz dort fällt sie hörens nicht sie sehens nicht es flammet die stube wie lauter licht urahne großmutter mutter und kind vom strahl miteinander getroffen sind vier leben endet ein schlag und morgen ists feiertag |
Der Mörderturm von Gustav Schwab, vor 1850 † „Zu Würzburg steht ein grauer Turm / weit ab vom lust’gen Maine, / in seinen Balken pickt der Wurm, / es nagt das Moos am Steine.“ |
1850 | 1348 | der mörderturm von gustav schwab zu würzburg steht ein grauer turm weit ab vom lustgen maine in seinen balken pickt der wurm es nagt das moos am steine die hohle brust durchröchelt schwach ein rostig uhrwerk stöhnend sein stundenschlag ist auch noch wach doch nur die zeit verhöhnend denn wenn die glocken alle ruhn ein viertel vor der stunde beginnt er ein verkehrtes tun mit ehrnem lügenmunde ob seinem frühen schlage quält sich was auf märkten handelt der kranke der die stunden zählt der reisende der wandelt wie dulden es die städter nur den trüger stets zu hören so wißt sie mögen seiner uhr den alten fluch nicht stören denn in dem dreißigjährgen sturm im langen jammerkriege da ward der falsche schwedenturm einst eines greuels wiege verschwörer saßen dort versteckt in seiner glockenstube ein dumpfer streich ward ausgeheckt in luftger mördergrube als drauf die stadt voll frieden schlief die unbewehrte rechte in sichrem schlummer senkten tief des reiches treue knechte ein viertel hub vor mitternacht der turm an irr zu reden zwölf schläge dröhnten da mit macht lauf riefen sie dem schweden und der verstand das zeichen wohl ein pförtlein fand er offen das blut in allen kammern quoll die schlummerkissen troffen der strom empfing als tiefes grab der leichen schwer gerölle doch jubel scholl vom turm herab hoch oben jauchzet die hölle ihr sieg war kurz ihr stachel ward geknickt durch schnelle rache dem turm verräterischer art ließ man des truges sprache im röderwerk der wahnsinn knarrt so steht er grau zerfallen muß bis man ihn als schutt verscharrt von seiner sünde lallen |
Der Reiter und der Bodensee von Gustav Schwab, 1826 „Der Reiter reitet durch’s helle Thal, / Auf’s Schneefeld schimmert der Sonne Strahl. // Er treibet im Schweiß durch den kalten Schnee, – / Will heut noch erreichen den Bodensee;“ |
1826 | 2075 | der reiter und der bodensee von gustav schwab der reiter reitet durchs helle thal aufs schneefeld schimmert der sonne strahl er treibet im schweiß durch den kalten schnee will heut noch erreichen den bodensee noch heut mit dem pferd in den sichern kahn will drüben noch landen vor nacht er an auf schlimmem weg über dorn und stein er braust auf rüstigem roß feldein aus den bergen heraus ins ebene land weit sieht er sich dehnen das schneegewand weit hinter ihm schwindet so dorf wie stadt der weg wird eben die bahn wird glatt in weiter fläche kein bühl kein haus die bäume gingen die felsen aus so flieget er hin eine meil und zwei er hört in den lüften der schneegans schrei es flattert das wasserhuhn empor nicht andere laute vernimmt sein ohr keinen wandersmann sein auge schaut der ihm den rechten pfad vertraut fort gehts wie auf sammt auf dem weichen schnee wann rauscht denn das wasser wann glänzt der see da bricht der abend der frühe herein von lichtern blinket ein ferner schein es hebt aus dem nebel sich baum an baum und hügel schließen den weiten raum er spürt auf dem boden stein und dorn dem rosse giebt er den scharfen sporn die hunde bellen empor am pferd und es winkt im dorf ihm der warme heerd willkommen am fenster mägdelein an den see an den see wie weit mags seyn die maid sie staunet den reiter an der see liegt hinter dir und der kahn und deckt ihn die rinde von eis nicht zu ich spräch aus dem nachen stiegest du der fremde schaudert er athmet schwer dort hinten die ebne die ritt ich her da recket die magd die arm in die höh herr gott so rittest du über den see an den schlund an die tiefe bodenlos hat gepocht des rasenden hufes stoß und unter dir zürnten die wasser nicht nicht krachte hinunter die rinde dicht du wardst nicht die speise der stummen brut der hungrigen hecht in der kalten fluth sie rufet das dorf herbei zu der mähr es stellen die knaben sich um ihn her die mütter die greise sie sammeln sich glückseliger mann ja segne du dich herein zum ofen zum dampfenden tisch brich mit uns das brod und iß vom fisch der reiter erstarret auf seinem pferd er hat nur das erste wort gehört es stocket sein herz es sträubt sich sein haar dicht hinter ihm grinset noch die gefahr es sieht sein blick nur den gräßlichen schlund im geist versinkt er im schwarzen grund im ohr ihm donnerts wie krachend eis wie die well umrieselt ihn kalter schweiß da seufzt er da sinkt er vom roß herab da ward ihm am ufer ein trocken grab |
Das Hünengrab von Wilhelm Müller, vor 1827 † „Schon wieder hundert Jahre! / Ich darf aus meiner Gruft / Heraus die Blicke senden / Und schöpfen frische Luft.“Wilhelm Müller |
1827 | 796 | das hünengrab von wilhelm müller schon wieder hundert jahre ich darf aus meiner gruft heraus die blicke senden und schöpfen frische luft die luft so frisch wie immer das meer noch dunkelblau die alten weißen dünen die junge grüne au du mensch nur immer kleiner und größer stets dein haus die gräber immer enger wo denkst du mensch hinaus die erste ruhestätte für eine spanne zeit die bauest auf der höhe so prächtig und so weit und läßt dein grab dir graben so eng so kurz so schmal dort zwischen dumpfen mauern im tief versteckten thal dort mußt du lange wohnen dort ist dein rechtes haus und darfst aus dem nicht gehen auf berg und strand hinaus schau ich aus meinem grabe ich schaue weit umher den hohen blauen himmel die küsten und das meer das meer das ich durchschwommen mit meinem starken arm den strand wo ich gestanden in meiner feinde schwarm du guckst aus deiner grube in wust und graus hinein in schwarze föhrenschatten auf deinen leichenstein |
Der Glockenguß zu Breslau von Wilhelm Müller, vor 1827 † „War einst ein Glockengießer / Zu Breslau in der Stadt, / Ein ehrenwerter Meister / Gewandt in Rat und Tat.“ |
1827 | 2585 | der glockenguß von breslau von wilhelm müller war einst ein glockengießer zu breslau in der stadt ein ehrenwerter meister gewandt in rat und tat er hatte schon gegossen viel glocken gelb und weiß für kirchen und kapellen zu gottes lob und preis und seine glocken klangen so voll so hell so rein er goss auch lieb und glauben mit in die form hinein doch aller glocken krone die er gegossen hat das ist die sünderglocke zu breslau in der stadt im magdalenenturme da hängt das meisterstuck rief schon manch starres herze zu seinem gott zurück wie hat der gute meister so treu das werk bedacht wie hat er seine hände gerührt bei tag und nacht und als die stunde kommen dass alles fertig war die form ist eingemauert die speise gut und gar da ruft er seinen buben zur feuerwacht herein ich lass auf kurze weile beim kessel dich allein will mich mit einem trunke noch stärken zu dem guss das gibt der zähen speise erst einen vollen fluss doch hüte dich und rühre den hahn mir nimmer an sonst wär es um dein leben fürwitziger getan der bube steht am kessel schaut in die glut hinein das wogt und wallt und wirbelt und will entfesselt sein und zischt ihm in die ohren und zuckt ihm durch den sinn und zieht an allen fingern ihn nach dem hahne hin er fühlt ihn in den händen er hat ihn umgedreht da wird ihm angst und bange er weiß nicht was er tät und läuft hinaus zum meister die schuld ihm zu gestehn will seine knie umfassen und ihn um gnade flehn doch wie der nur vernommen des knaben erstes wort da reißt die kluge rechte der jähe zorn ihm fort er stößt sein scharfes messer dem buben in die brust dann stürzt er nach dem kessel sein selber nicht bewusst vielleicht dass er noch retten den strom noch hemmen kann doch sieh der guss ist fertig es fehlt kein tropfen dran da eilt er abzuräumen und sieht und wills nicht sehn ganz ohne fleck und makel die glocke vor sich stehn der knabe liegt am boden er schaut sein werk nicht mehr ach meister wilder meister du stießest gar zu sehr er stellt sich dem gerichte er klagt sich selber an es tut den richtern wehe wohl um den wackern mann doch kann ihn keiner retten und blut will wieder blut er hört sein todesurteil mit ungebeugtem mut und als der tag gekommen dass man ihn fährt hinaus da wird ihm angeboten der letzte gnadenschmaus ich dank euch spricht der meister lhr herren lieb und wert doch eine andre gnade mein herz von euch begehrt lasst mich nur einmal hören der neuen glocke klang ich hab sie ja bereitet möcht wissen obs gelang die bitte ward gewähret sie schien den herrn gering die glocke ward geläutet als er zum tode ging der meister hört sie klingen so voll so hell so rein die augen gehn ihm über es muss vor freude sein und seine blicke leuchten als wären sie verklärt er hat in ihrem klange wohl mehr als klang gehört hat auch geneigt den nacken zum streich voll zuversicht und was der tod versprochen das bricht das leben nicht das ist der glocken krone die er gegossen hat die magdalenenglocke zu breslau in der stadt die ward zur sünderglocke seit jenem tag geweiht weiß nicht obs anders worden in dieser neuen zeit |
Alexius von August von Platen, 1832 „Vor der Strenge seines Vaters, vor dem allgewaltigen Zar, / Floh von Moskau weg Alexis, der aus zarterm Stoffe war: / Gern vergönnt der milde Kaiser, den er anzuflehn beschloß, / Ein Asyl dem armen Flüchtling auf Neapels Felsenschloß.“August von Platen |
1832 | 1593 | alexius von august von platen vor der strenge seines vaters vor dem allgewaltigen zar floh von moskau weg alexis der aus zarterm stoffe war gern vergönnt der milde kaiser den er anzuflehn beschloß ein asyl dem armen flüchtling auf neapels felsenschloß auf der burg sankt elmo hielt sich nun des zaren sohn versteckt doch die späher seines vaters hatten dort ihn bald entdeckt als zurück ihn diese schleppten nach dem eisumstarrten pol richtet er an seine freistatt ein beklommnes lebewohl lebe wohl o eden dessen reize doppelt ich gefühlt wo die woge purpurfarbig um die felsigen gärten spült gern um deine zauber hätt ich eingetauscht das größte reich doch es ist dem feuerberg dort meines vaters busen gleich hab ich doch nach seiner krone nie gestrebt und was ich bin war bereit ich abzutreten an den sohn der buhlerin bloß des klosters zwang vermeiden wollt ich als ich ihm entfloh fern von ihm und fern von ehrsucht war ich hier im stillen froh stets vor seinem geiste hat sich meine seele tief gebückt nicht den zepter ihm beneidet hab ich ach ich war beglückt nicht beneidet ihm die waffen die von sieg zu sieg er schwang seine tugend nicht beneidet denn sie geht den henkersgang nicht die krone bloß das leben soll ich weihn ihm als tribut ja und wiederkehren soll ich weil er lechzt nach meinem blut vor der allgewalt des willens geht zugrunde jedes recht bin ich selbst doch ein romanow und ich kenne mein geschlecht wollte mich der vater schonen gäbe doch mir keine frist menzikoff und dessen kebsweib welches nun die zarin ist doch die rache folgt vielleicht mir in des grabs ersehnten schoß und dem paar das mich verfolgte wird ein unglückselig los gerne für den vater stürb ich wärs der welt und ihm zum heil doch ich fürchte seine krone wird den schlechtern einst zuteil mög er kinderlos verwelken seine herrschaft ihm zum hohn möge jene bauerndirne teilen mit dem bäckersohn |
Colombos Geist von August von Platen, 1818 „Durch die Fluten bahnte, durch die dunkeln, / Sich das Schiff die feuchte Straße leicht: / Stürme ruhn und alle Sterne funkeln, / Als den Wendepunkt die Nacht erreicht.“ |
1818 | 1678 | colombos geist von august von platen durch die fluten bahnte durch die dunkeln sich das schiff die feuchte straße leicht stürme ruhn und alle sterne funkeln als den wendepunkt die nacht erreicht und der neuentthronte kaiser stützte seine stirne mit der tapfern hand eine welle nach der andern sprützte um das steuer des northumberland an die schlachten denkt der held im geiste die er schlug an sein erprobtes heer doch um ihn und seine träume kreiste einer riesenschlange gleich das meer den des südens steppen nicht bezwangen den der frost des nordens kaum besiegt fühlt sich nun im engen raum gefangen auf dem schaum sich hin und her gewiegt als er hadernd solchem truggeschicke gottes ratschluß fodert vor gericht sieh da zeigt sich seinem nassen blicke eines helden schattenbild und spricht klage nicht wenn auch die seele duldet klage nicht dir ist ein trost bereit was du leidest litt ich unverschuldet und colombo nannte mich die zeit ich zuerst durchschnitt die wasserwüste über der du deine zähren weinst der atlantis frühverlorne küste dieser fuß betrat zuerst sie einst nun erglänzt in heller morgenstunden auferstehung jenes teure land das der menschheit ich zum heil gefunden nicht zum frondienst einem ferdinand du erlagst dem unbezwingbarn norden aber jene die darob sich freun werden zitternd vor entmenschten horden ihren blinden jubel bald bereun aber kommt der große tag der schmerzen und es hemmt ja nichts der zeiten lauf nimm columbia dann die freien herzen nimm europas letzte helden auf wann das große henkerschwert geschliffen meinen kindern dann ein werter gast kommt die freiheit auf bekränzten schiffen ihre mütze pflanzt sie auf den mast segle westwärts sonne dich am lichte das umglänzt den stillen ozean denn nach westen flieht die weltgeschichte wie ein herold segelst du voran sprachs das schattenbild und schien vergangen wie ein stern der im verlöschen blinkt freude färbt des großen würgers wangen weil europa hinter ihm versinkt |
Das Grab im Busento von August von Platen, 1820 „Nächtlich am Busento lispeln, bey Cosenza, dumpfe Lieder, / Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder! // Und den Fluß hinauf, hinunter, zieh’n die Schatten tapfrer Gothen, / Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Todten.“ |
1820 | 902 | das grab im busento von august von platen nächtlich am busento lispeln bey cosenza dumpfe lieder aus den wassern schallt es antwort und in wirbeln klingt es wieder und den fluß hinauf hinunter ziehn die schatten tapfrer gothen die den alarich beweinen ihres volkes besten todten allzufrüh und fern der heimath mußten hier sie ihn begraben während noch die jugendlocken seine schulter blond umgaben und am ufer des busento reihten sie sich um die wette um die strömung abzuleiten gruben sie ein frisches bette in der wogenleeren höhlung wühlten sie empor die erde senkten tief hinein den leichnam mit der rüstung auf dem pferde deckten dann mit erde wieder ihn und seine stolze habe daß die hohen stromgewächse wüchsen aus dem heldengrabe abgelenkt zum zweyten male ward der fluß herbeygezogen mächtig in ihr altes bette schäumten die busentowogen und es sang ein chor von männern schlaf in deinen heldenehren keines römers schnöde habsucht soll dir je dein grab versehren sangens und die lobgesänge tönten fort im gothenheere wälze sie busentowelle wälze sie von meer zu meere |
Der alte Gondolier von August von Platen, 1834 „Es sonnt sich auf den Stufen / Der seebespülten Schwelle / Ein Greis am Rand der Welle, / In weißer Locken Zier: / Und gerne steht dem Fremdling, / Der müßig wandelt, Rede / Auf seiner Fragen jede / Der alte Gondolier.“ |
1834 | 1563 | der alte gondolier von august von platen es sonnt sich auf den stufen der seebespülten schwelle ein greis am rand der welle in weißer locken zier und gerne steht dem fremdling der müßig wandelt rede auf seiner fragen jede der alte gondolier er spricht ich habe rüstig lagun und meer befahren doch hab ich nun seit jahren kein ruder eingetaucht es hangt die morsche gondel an stricken in der halle wo alles im verfalle wo alles ungebraucht es ist der herr des hauses nach fernen himmelstrichen seit langer zeit entwichen für unsre bitten taub der gute zog von hinnen am tag als bonaparte der republik standarte ließ werfen in den staub er stand in besten jahren als er von uns geschieden doch lebt er noch hienieden so ists ein greiser mann er sprach und soll ich dienen so seis in fremden ländern hier soll mit ordensbändern mich schmücken kein tyrann wir blieben ach und schauten wie kirchenraub und schande beging die schnöde bande nach schnellgebrochnem eid wir sahn wie jene wilden den bucentaur zerschlugen und unsre seelen trugen ein unerhörtes leid wir sahn den markuslöwen zum fernen strand entführen wir sahn wie man mit schwüren und mit besiegten scherzt wir sahn zerstört von frevlern was würdig schien der dauer wir sahn an tor und mauer die wappen ausgemerzt doch leb ich und betrachte die teure stadt noch immer erquick im morgenschimmer die glieder schwach und alt von meines herrn palaste vermocht ich nicht zu weichen auch läßt er gern mir reichen den kleinen unterhalt da denk ich meiner jugend und wie ich als matrose gefolgt der windesrose bei sturm und sonnenstrahl und wie blockierte tunis und jene türkenrotte mit seiner schönen flotte venedigs admiral o holder tag als emos heimzug die fluten teilte und ihm entgegen eilte der doge paul renier gedenk ich jener zeiten wird meine seele milder es fliegen jene bilder wie engel um mich her |
Der Pilgrim vor St. Just von August von Platen, 1819 „Nacht ist′s und Stürme sausen für und für, / Hispanische Mönche, schließt mir auf die Tür! // Laßt hier mich ruhn, bis Glockenton mich weckt, / Der zum Gebet euch in die Kirche schreckt!“ |
1819 | 483 | der pilgrim vor st just von august von platen nacht ists und stürme sausen für und für hispanische mönche schließt mir auf die tür laßt hier mich ruhn bis glockenton mich weckt der zum gebet euch in die kirche schreckt bereitet mir was euer haus vermag ein ordenskleid und einen sarkophag gönnt mir die kleine zelle weiht mich ein mehr als die hälfte dieser welt war mein das haupt das nun der schere sich bequemt mit mancher krone wards bediademt die schulter die der kutte nun sich bückt hat kaiserlicher hermelin geschmückt nun bin ich vor dem tod den toten gleich und fall in trümmer wie das alte reich |
Der Tod des Carus von August von Platen, 1830 „Mutig stand an Persiens Grenzen Roms erprobtes Heer im Feld, / Carus saß in seinem Zelte, der den Purpur trug, ein Held. // Persiens Abgesandte beugten sich vor Roms erneuter Macht, / Flehn um Frieden an den Kaiser; doch der Kaiser wählt die Schlacht.“ |
1830 | 1863 | der tod des carus von august von platen mutig stand an persiens grenzen roms erprobtes heer im feld carus saß in seinem zelte der den purpur trug ein held persiens abgesandte beugten sich vor roms erneuter macht flehn um frieden an den kaiser doch der kaiser wählt die schlacht kampfbegierig sind die scharen die er fern und nah beschied durch das heer aus tausend kehlen ging das hohe siegeslied weh den persern römer kommen römer ziehn im flug heran rächen ihren imperator rächen dich valerian durch verrat und mißgeschick nur trugst du ein barbarisch joch aber starbst du auch im kerker deine rächer leben noch wenn zu pferd stieg artaxerxes ungezähmten stolz im blick setzte seinen fuß der könig auf valerians genick ach und rom in seiner schande das vordem die welt gewann flehte zum olymp um einen flehte nur um einen mann aber männer sind erstanden männer führen uns zur schlacht scipio marius und pompejus sind aus ihrem grab erwacht unser kaiser aurelianus hat die goten übermannt welche deinen wundertempel ephesus zu staub verbrannt unser kaiser aurelianus hat die stolze frau besiegt welche nun im stillen tibur ihre schmach in träume wiegt probus führte seine mauer durch des nordens halbe welt neun germanenfürsten knieten vor dem römischen kaiserzelt carus unser imperator sühnt nun auch die letzte schmach geht mit heldenschritt voran uns heldenschritte folgen nach so der weihgesang und siehe plötzlich steigt gewölk empor finsternis bedeckt den himmel wie ein schwarzer trauerflor regen stürzt in wilden güssen grausenhafter donner brüllt keiner mehr erkennt den andern alles ist in nacht verhüllt plötzlich zuckt ein blitz vom himmel viele stürzen bang herbei denn im zelt des imperators hört man einen lauten schrei carus ist erschlagen jeder tut auf kampf und wehr verzicht und es folgt des heers verzweiflung auf die schöne zuversicht alle fliehn das lager feiert wie ein unbewohntes haus und der schmerz der legionen bricht in laute klagen aus götter haben uns gerichtet untergang ist unser teil denn des kapitols gebieter sandte seinen donnerkeil untergang und schande wälzen ihren uferlosen strom stirb und neige dich o neige dich zu grabe hohes rom |
Die Gründung Karthagos von August von Platen, 1832 „Vor der Goldbegier des Bruders, / Der nach ihren Schätzen schnaubt, / Der in ihres Gatten Busen / Sein verruchtes Schwert getaucht, / Flieht hinweg die schöne Dido“ |
1832 | 1886 | die gründung karthagos von august von platen vor der goldbegier des bruders der nach ihren schätzen schnaubt der in ihres gatten busen sein verruchtes schwert getaucht flieht hinweg die schöne dido aus sidonischen heimataun nimmt mit sich gehäufte schätze nimmt mit sich des gatten staub dem gelobt sie stäte treue wie es ziemt den höchsten fraun denn der wahren witwe liebe gleicht dem lieben einer braut edle folgen ihr und knechte als sie löst den ankertau segeln auf den hohen schiffen durch das tiefe wogenblau bis an afrikanischer küste landen alle voll vertraun dido läßt an sichrer felsbucht mächtig eine stadt erbaun axt an axt erklingt am ufer stein um stein wird ausgehaun bald beschirmen stolze mauern tempel hafen hütt und haus drauf als königin beherrschte dido diesen stolzen raum doch der ruf von ihrer schönheit breitet seine flügel aus könig jarbas wohnt benachbart tapferer männer oberhaupt dieser bietet seine hand ihr ja die drohung macht er laut wenn die königin sich weigert meiner kraft sich anzutraun wehe jener stadt sie möchte dann verschwinden wie ein traum zitternd hört es ganz karthago weil er mächtig überaus und des volks ergraute väter treten vor der fürstin auf flehn sie jenen bund zu schließen hinzugeben nicht dem raub diese laren diese tempel die sie liebend selbst gebaut aber ihr im tiefen busen steigt ein böser geist herauf ob sie freveln soll am gatten ob sie jeder bitte taub freveln soll an ihrem volke das an ihre liebe glaubt doch in einer solchen seele ist ein zweifel wie ein hauch nur das große kann sie denken nur das große führt sie aus einen holzstoß wie zum opfer läßt die königin erbaun läßt um ihn das volk versammeln tritt hervor und steigt hinauf lebe wohl o mein karthago nicht die feinde sollst du schaun blühn empor in goldner freiheit nicht vergehn in schutt und graus o sichäus breite deine schattenarme nach mir aus diese hohen worte sprechend faßt ein schwert sie ohne graun stößt es durch den schönsten busen den die sonne durfte schaun und im aschenkrug gesammelt ward sofort der edle staub ward im tempel selbst bestattet ward bekränzt mit siegeslaub könig jarbas zog von dannen störte nicht karthagos bau jenen seegewaltigen freistaat gründete so die größte frau |
Gambacorti und Gualandi von August von Platen, 1832 „Als Alfons, der mächtige König, / Seine Scharen ausgeschickt, / Anzufeinden jene weise / Florentinische Republik, / Die verwaltete wohlbedächtig / Cosimo von Medicis,“ |
1832 | 1309 | gambacorti und gualandi von august von platen als alfons der mächtige könig seine scharen ausgeschickt anzufeinden jene weise florentinische republik die verwaltete wohlbedächtig cosimo von medicis hatte gerhard gambacorti tief im schoß des apennins als ein lehn der florentiner eine herrschaft im besitz durch verschwägrung war verknüpft er jenem großen albizi welcher aus florenz vertrieben nach dem heiligen grabe ging bis zuletzt er heimgewandert seltner schicksalslaune spiel an dem hochzeittag der tochter war gestorben im exil des gedenkt nun gambacorti der verrat und tücke spinnt als ein feind der mediceer abgeneigt der republik welcher gleichwohl seinen sohn er hat als geisel überschickt sicherheit ihr einzuflößen die bereits verrat umstrickt als vor seinem schloß corzano wo den kleinen hof er hielt mit dem feldhauptmann des königs nun des königs heer erschien läßt die brücke gambacorti nieder tritt entgegen ihm dem die burg er für den könig tückisch überliefern will ihn umgeben seine ritter männer vielgewandt im krieg unter ihnen war gualandi dem der hochverrat mißfiel der ergreift den gambacorti über die brücke stößt er ihn diese wird auf sein verlangen aufgezogen augenblicks während aufgepflanzt die freie florentinische fahne wird während innerhalb die mannschaft ruft es lebe die republik gambacorti steht verlassen außerhalb im angesicht seiner nun verlornen feste die gualandi treu verficht nach neapel muß er wandern mit dem feinde muß er ziehn doch es schickt den sohn zurück ihm großgesinnt die republik |
Harmosan von August von Platen, 1830 „Schon war gesunken in den Staub der Sassaniden alter Thron, / Es plündert Mosleminenhand das schätzereiche Ktesiphon: / Schon langt am Oxus Omar an, nach manchem durchgekämpften Tag, / Wo Chosrus Enkel Jesdegerd auf Leichen eine Leiche lag.“ |
1830 | 1270 | harmosan von august von platen schon war gesunken in den staub der sassaniden alter thron es plündert mosleminenhand das schätzereiche ktesiphon schon langt am oxus omar an nach manchem durchgekämpften tag wo chosrus enkel jesdegerd auf leichen eine leiche lag und als die beute mustern ging medinas fürst auf weitem plan ward ein satrap vor ihn geführt er hieß mit namen harmosan der letzte der im hochgebirg dem kühnen feind sich widersetzt doch ach die sonst so tapfre hand trug eine schwere kette jetzt und omar blickt ihn finster an und spricht erkennst du nun wie sehr vergeblich ist vor unserm gott der götzendiener gegenwehr und harmosan erwidert ihm in deinen händen ist die macht wer einem sieger widerspricht der widerspricht mit unbedacht nur eine bitte wag ich noch abwägend dein geschick und meins drei tage focht ich ohne trunk laß reichen einen becher weins und auf des feldherrn leisen wink steht ihm sogleich ein trunk bereit doch harmosan befürchtet gift und zaudert eine kleine zeit was zagst du ruft der sarazen nie täuscht ein moslem seinen gast nicht eher sollst du sterben freund als bis du dies getrunken hast da greift der perser nach dem glas und statt zu trinken schleudert hart zu boden ers auf einen stein mit rascher geistesgegenwart und omars mannen stürzen schon mit blankem schwert auf ihn heran zu strafen ob der hinterlist den allzuschlauen harmosan doch wehrt der feldherr ihnen ab und spricht sodann er lebe fort wenn was auf erden heilig ist so ist es eines helden wort |
Klaglied Kaiser Otto des Dritten von August von Platen, 1834 „O Erde, nimm den Müden, / Den Lebensmüden auf, / Der hier im fernen Süden / Beschließt den Pilgerlauf! / Schon steh ich an der Grenze, / Die Leib und Seele teilt, / Und meine zwanzig Lenze / Sind rasch dahin geeilt.“ |
1834 | 1539 | klaglied kaiser otto des dritten von august von platen o erde nimm den müden den lebensmüden auf der hier im fernen süden beschließt den pilgerlauf schon steh ich an der grenze die leib und seele teilt und meine zwanzig lenze sind rasch dahin geeilt voll unerfüllter träume verwaist in gram versenkt entfallen mir die zäume die dieses reich gelenkt ein andrer mag es zügeln mit händen minder schlaff von diesen sieben hügeln bis an des nordens haff doch selbst im seelenreiche harrt meiner noch die schmach es folgt der blassen leiche begangner frevel nach vergebens mit gebeten beschwör ich diesen bann und mir entgegen treten crescentius und johann doch nein die stolzen beugte mein reuemütig flehn ihn welcher mich erzeugte ihn werd ich wiedersehn nach welchem ich als knabe so oft vergebens frug an seinem frühen grabe hab ich geweint genug des deutschen volks berater umwandeln gottes thron mir winkt der ältervater mit seinem großen sohn und während voll von milde die frommen hände legt mir auf das haupt mathilde steht heinrich tiefbewegt nun fühlt ich erst wie eitel des glücks geschenke sind wiewohl ich auf dem scheitel schon kronen trug als kind was je mir schien gewichtig zerstiebt wie ein atom o welt du bist so nichtig du bist so klein o rom o rom wo meine blüten verwelkt wie dürres laub dir ziemt es nicht zu hüten den kaiserlichen staub die mir die treue brachen zerbrächen mein gebein beim großen karl in aachen will ich bestattet sein die echten palmen wehen nur dort um sein panier ihn hab ich liegen sehen in seiner kaiserzier was durfte mich verführen zu öffnen seinen sarg den lorbeer anzurühren der seine schläfe barg o freunde laßt das klagen mir aber gebt entsatz und macht dem leichenwagen mit euren waffen platz bedeckt das grab mit rosen das ich so früh gewann und legt den tatenlosen zum tatenreichsten mann |
Luca Signorelli von August von Platen, 1830 „Die Abendstille kam herbei, / Der Meister folgt dem allgemeinen Triebe; / Verlassend seine Staffelei, / Blickt er das Bild noch einmal an mit Liebe.“ |
1830 | 1380 | luca signorelli von august von platen die abendstille kam herbei der meister folgt dem allgemeinen triebe verlassend seine staffelei blickt er das bild noch einmal an mit liebe da pocht es voll tumult am haus und ehe luca fähig ist zu fragen ruft einer seiner schüler aus dein einziger sohn o meister ist erschlagen in holder blüte sank dahin der schönste jüngling den die welt erblickte es war die schönheit sein ruin die oft in liebeshändel ihn verstrickte vor eines nebenbuhlers kraft sank er zu boden fast in unsrer mitte ihn trägt bereits die brüderschaft zur totenkirche wie es heischt die sitte und luca spricht o mein geschick so lebt ich denn so strebt ich denn vergebens zunichte macht ein augenblick die ganze folge meines reichen lebens was half es daß in farb und licht als meister ich cortonas volk entzückte mit meinem jüngsten weltgericht orvietos hohe tempelhallen schmückte nicht ruhm und nicht der menschen gunst beschützte mich und nicht des geistes feuer nun ruf ich erst geliebte kunst nun ruf ich dich du warst mir nie so teuer er sprichts und seinen schmerz verrät kein andres wort rasch eilt er zur kapelle indem er noch das malgerät den schülern reicht und diese folgen schnelle zur kirche tritt der greis hinein wo seine bilder ihm entgegentreten und bei der ewigen lampe schein sieht er den sohn um den die mönche beten nicht klagt er oder stöhnt und schreit kein seufzer wird zum leeren spiel des windes er setzt sich hin und konterfeit den schönen leib des vielgeliebten kindes und als er ihn so zug für zug gebildet spricht er gegen seine knaben der morgen graut es ist genug die priester mögen meinen sohn begraben |
Saul und David von August von Platen, vor 1835 † „Der König sitzt auf seinem Throne bang, / Er winkt, den Sohn des Isai zu rufen: / »Komm, Knabe, komm mit deinem Harfenklang!« / Und jener läßt sich nieder auf die Stufen.“ |
1835 | 825 | saul und david von august von platen der könig sitzt auf seinem throne bang er winkt den sohn des isai zu rufen komm knabe komm mit deinem harfenklang und jener läßt sich nieder auf die stufen der herr ist groß beginnt er feierlich geschöpfe spiegeln ihres schöpfers wonne der morgen graut die wolken teilen sich und wandelnd singt ihr hohes lied die sonne die schwere krone löse dir vom haupt und tret hinaus in reine gotteslüfte die lilie prangt der busch ist neu belaubt die reben blühen und verschwenden düfte zwar bin ich nur ein schlichter hirtensohn doch fühl ich bis zum himmel mich erhoben was mußt du fühlen könig auf dem thron wie muß dein herz den gott der väter loben doch deine wimper neigst du tränenschwer daß sie des auges schönen glanz verhehle wie groß ist jehova o blick umher und welche ruhe füllt die ganze seele so laß dein herz an gott so laß dein ohr an meiner töne harmonie sich laben allein der könig springt in wut empor und wirft den spieß nach dem erschrocknen knaben |
Zobir von August von Platen, 1830 „Raublustig und schreckenverbreitend und arm / Geleitet Abdalla den Araberschwarm / Gen Afrika zu, / Vor Tripoli stehn die Beherzten im Nu.“ |
1830 | 2097 | zobir von august von platen raublustig und schreckenverbreitend und arm geleitet abdalla den araberschwarm gen afrika zu vor tripoli stehn die beherzten im nu doch ehe sie stürmen um mauer und tor erscheint mit dem heere der hohe gregor statthalter im glanz erfochtener siege geschickt von byzanz und während er drängt die fanatische schar ritt ihm an der seite mit goldenem haar den speer in der hand die liebliche tochter im panzergewand sie hatte gewählt sich ein männliches teil sie schwenkte die lanze sie schoß mit dem pfeil im schlachtengetön wie pallas und doch wie cythere so schön der vater erhub sich und blickend umher befeuerte mächtig die seinigen er nicht länger gespielt ihr männer und stets nach abdalla gezielt und wer mir das haupt des erschlagenen beut dem geb ich die schöne maria noch heut ein köstlicher sold mit ihr unermeßliche schätze von gold da warfen die christen verdoppelten schaft den gläubigen mekkas erlahmte die kraft abdalla begab ins zelt sich und mied ein bereitetes grab doch stritt in dem heere von eifer entfacht zobir ein gewaltiger blitz in der schlacht fort jagt er im zorn ihm triefte der klirrende blutige sporn er eilt zum gebieter und spricht du versäumst abdalla die schlacht wie ein knabe du träumst im weichen gezelt und sollst dem kalifen erobern die welt was uns zu entnerven ersonnen der christ ihn mög es verderben mit ähnlicher list das gleiche sogleich versprich es und stelle dich eben so reich den deinen verkündige folgendes wort wer immer dem feindlichen führer sofort den schädel zerhaut der nehme die schöne maria zur braut dies kündet abdalla mit frischerem sinn die seinen ermutiget hoher gewinn zobir dringt vor sein kreisender säbel erlegt den gregor schon birgt in die stadt sich die christliche schmach schon folgen die sieger und stürzen sich nach schon weht von den vier kastellen herab des propheten panier lang trotzte maria dem feindlichen troß bis endlich ein haufe sie völlig umschloß von vielen vereint wird vor den zobir sie geführt und sie weint und einer beginnt im versammelten kreis wir bringen den süßen den lieblichen preis den höchsten um den mit uns du gekämpft und gesiegt sarazen doch jener versetzt in verächtlichem scherz wer wagt zu verführen ein männliches herz wer legt mir ein netz ich kämpfte für gott und das hohe gesetz nicht buhl ich um christliche frauen mit euch dich aber entlaß ich o mädchen entfleuch was willst du von mir beweine den vater und hasse zobir |
Am letzten Tage des Jahres (Silvester) von Annette von Droste-Hülshoff, vor 1848 † „Das Jahr geht um, / Der Faden rollt sich sausend ab. / Ein Stündchen noch, das letzte heut, / Und stäubend rieselt in sein Grab, / Was einstens war lebend’ge Zeit. / Ich harre stumm.“Annette von Droste-Hülshoff |
1848 | 1262 | am letzten tage des jahres silvester von annette von droste-hülshoff das jahr geht um der faden rollt sich sausend ab ein stündchen noch das letzte heut und stäubend rieselt in sein grab was einstens war lebendge zeit ich harre stumm s ist tiefe nacht ob wohl ein auge offen noch in diesen mauern rüttelt dein verinnen zeit mir schaudert doch es will die letzte stunde sein einsam durchwacht gesehen all was ich begangen und gedacht was mir aus haupt und herzen stieg das steht nun eine ernste wacht am himmelstor o halber sieg o schwerer fall wie reißt der wind am fensterkreuze ja es will auf sturmesfittichen das jahr zerstäuben nicht ein schatten still verhauchen unterm sternenklar du sündenkind war nicht ein hohl und heimlich sausen jeder tag in deiner wüsten brust verließ wo langsam stein an stein zerbrach wenn es den kalten odem stieß vom starren pol mein lämpchen will verlöschen und begierig saugt der docht den letzten tropfen öl ist so mein leben auch verraucht eröffnet sich des grabes höhl mir schwarz und still wohl in dem kreis den dieses jahres lauf umzieht mein leben bricht ich wußt es lang und dennoch hat dies herz geglüht in eitler leidenschaften drang mir brüht der schweiß der tiefsten angst auf stirn und hand wie dämmert feucht ein stern dort durch die wolken nicht wär es der liebe stern vielleicht dir zürnend mit dem trüben licht daß du so bangst horch welch gesumm und wieder sterbemelodie die glocke regt den ehrnen mund o herr ich falle auf das knie sei gnädig meiner letzten stund das jahr ist um |
Am Turme von Annette von Droste-Hülshoff, 1842 „Ich steh‘ auf hohem Balkone am Turm, / Umstrichen vom schreienden Stare, / Und lass‘ gleich einer Mänade den Sturm / Mir wühlen im flatternden Haare;“ |
1842 | 926 | am turme von annette von droste-hülshoff ich steh auf hohem balkone am turm umstrichen vom schreienden stare und lass gleich einer mänade den sturm mir wühlen im flatternden haare o wilder geselle o toller fant ich möchte dich kräftig umschlingen und sehne an sehne zwei schritte vom rand auf tod und leben dann ringen und drunten seh ich am strand so frisch wie spielende doggen die wellen sich tummeln rings mit geklaff und gezisch und glänzende flocken schnellen o springen möcht ich hinein alsbald recht in die tobende meute und jagen durch den korallenen wald das walroß die lustige beute und drüben seh ich ein wimpel wehn so keck wie eine standarte seh auf und nieder den kiel sich drehn von meiner luftigen warte o sitzen möcht ich im kämpfenden schiff das steuerruder ergreifen und zischend über das brandende riff wie eine seemöve streifen wär ich ein jäger auf freier flur ein stück nur von einem soldaten wär ich ein mann doch mindestens nur so würde der himmel mir raten nun muß ich sitzen so fein und klar gleich einem artigen kinde und darf nur heimlich lösen mein haar und lassen es flattern im winde |
Bajazet von Annette von Droste-Hülshoff, 1835/36 „Der Löwe und der Leopard / Die singen Wettgesänge, / Glutsäulen heben Wettlauf an, / Und der Samum ihr Herold. / O Sonne, birg die Stralen!“ |
1835 | 1087 | bajazet von annette von droste-hülshoff der löwe und der leopard die singen wettgesänge glutsäulen heben wettlauf an und der samum ihr herold o sonne birg die stralen was schleicht dort durch den gelben sand ist es ein wunder schakal ist es ein großer vogel wohl ein schwergetroffner ibis o sonne birg die stralen ein wunder schakal ist es nicht kein schwergetroffner vogel es ist der mächtge bajazet der reichste in cairo er der die dreizehn segel hat die reichbeladnen schiffe auf seiner achsel liegt der schlauch der stab in seiner rechten o sonne birg die stralen weh dir du unglückselges gold verrätherisches silber und weh dir hassan falscher freund du ungetreuer diener nahmst in der nacht die zelte mir und nahmst mir die kameele o sonne birg die stralen wie einen leichnam ließest mich wie mumien verdorrte wie ein verschmachtetes kameel wie ein gethier der wüste und gab dir doch das reiche gut die zwanzigtausend kori o sonne birg die stralen so fluch ich denn zu sieben mal und tausend mal verfluch ich daß dich verschlingen mag das meer dein brennend haus dich tödten daß breche dein gebein der leu dein blut der tiger lecke der beduine plündre dich preis gebe dich der wüste daß in dem sande du versiechst verschmachtend hülflos irrend o sonne birg die stralen |
Das Fegefeuer des westfälischen Adels von Annette von Droste-Hülshoff, 1841 „Wo der selige Himmel, das wissen wir nicht, / Und nicht, wo der greuliche Höllenschlund, / Ob auch die Wolke zittert im Licht, / Ob siedet und qualmet Vulkanes Mund;“ |
1841 | 3649 | das fegefeuer des westfälischen adels von annette von droste-hülshoff wo der selige himmel das wissen wir nicht und nicht wo der greuliche höllenschlund ob auch die wolke zittert im licht ob siedet und qualmet vulkanes mund doch wo die westfälischen edeln müssen sich sauber brennen ihr rostig gewissen das wissen wir alle das ward uns kund grau war die nacht nicht öde und schwer ein aschenschleier hing in der luft der wanderbursche schritt flink einher mit wollust saugend den heimatduft o bald bald wird er schauen sein eigen schon sieht am lutterberge er steigen sich leise schattend die schwarze kluft er richtet sich wie trompetenstoß ein holla ho seiner brust entsteigt was ihm im nacken ein schnaubend roß an seiner schulter es rasselt keucht ein rappe grünliche funken irren über die flanken die knistern und knirren wie wenn man den murrenden kater streicht jesus maria er setzt seitab da langt vom sattel es überzwerch ein eherner griff und in wüstem trab wie wind und wirbel zum lutterberg an seinem ohre hört er es raunen dumpf und hohl wie gedämpfte posaunen so an ihm raunt der gespenstige scherg johannes deweth ich kenne dich johann du bist uns verfallen heut bei deinem heile nicht lach noch sprich und rühre nicht an was man dir beut vom brote nur magst du brechen in frieden ewiges heil ward dem brote beschieden als christus in froner nacht es geweiht ob mehr gesprochen man weiß es nicht da seine sinne der bursche verlor und spät erst hebt er sein bleiches gesicht vom estrich einer halle empor um ihn gesumme geschwirr gemunkel von tausend flämmchen ein mattes gefunkel und drüber schwimmend ein nebelflor er reibt die augen er schwankt voran an hundert tischen die halle entlang all edle geschlechter so mann an mann es rühren die gläser sich sonder klang es regen die messer sich sonder klirren wechselnde reden summen und schwirren wie glockengeläut ein wirrer gesang ob jedem haupte des wappens glast das langsam schwellende tropfen speit und wenn sie fallen dann zuckt der gast und drängt sich einen moment zur seit und lauter lauter dann wird das rauschen wie stürme die zornigen seufzer tauschen und wirrer summet das glockengeläut strack steht johann wie ein lanzenknecht nicht möchte der gleißenden wand er traun noch wäre der glimmernde sitz ihm recht wo rutschen die knappen mit zuckenden braun da muß o himmel wer sollt es denken den frommen herrn den friedrich von brenken den alten stattlichen ritter er schaun mein heiland mach ihn der sünden bar der jüngling seufzet in schwerem leid er hat ihm gedient ein ganzes jahr doch ungern kredenzt er den becher ihm heut bei jedem schlucke sieht er ihn schüttern ein blaues wölkchen dem schlund entzittern wie wenn auf kohlen man weihrauch streut o manche gestalt noch dämmert ihm auf dort sitzt sein pate der metternich und eben durch den wimmelnden hauf johann von spiegel der schenke strich prälaten auch je viere und viere sie blättern und rispeln im grauen breviere und zuckend krümmen die finger sich und unten im saale da knöcheln frisch schaumburger grafen um leut und land graf simon schüttelt den becher risch und reibt mitunter die knisternde hand ein knappe nahet er surret leise ha welches gesumse im weiten kreise wie hundert schwärme an klippenrand geschwind den sessel den humpen wert den schleichenden wolf geschwinde herbei horch wie es draußen rasselt und fährt barhaupt stehet die massonei hundert lanzen drängen nach binnen hundert lanzen und mitten darinnen der asseburger der blutige weih und als ihm alles entgegenzieht da spricht johannes ein stoßgebet dann risch hinein sein ärmel sprüht ein funken über die finger ihm geht voran da sieben schwirren die lüfte sieben sieben sieben die klüfte in sieben wochen johann deweth der sinkt auf schwellenden rasen hin und schüttelt gegen den mond die hand drei finger die bröckeln und stäuben hin zu asch und knöchelchen abgebrannt er rafft sich auf er rennt er schießet und ach die vaterklause begrüßet ein grauer mann von keinem gekannt der nimmer lächelt nur des gebets mag pflegen drüben im klosterchor denn sieben sieben flüstert es stets und sieben wochen ihm in das ohr und als die siebente woche verronnen da ist er versiegt wie ein dürrer bronnen gott hebe die arme seele empor |
Das Fräulein von Rodenschild von Annette von Droste-Hülshoff, 1841 „Sind denn so schwül die Nächt‘ im April? / Oder ist so siedend jungfräulich Blut? / Sie schließt die Wimper, sie liegt so still, / Und horcht des Herzens pochender Flut.“ |
1841 | 3493 | das fräulein von rodenschild von annette von droste-hülshoff sind denn so schwül die nächt im april oder ist so siedend jungfräulich blut sie schließt die wimper sie liegt so still und horcht des herzens pochender flut o will es denn nimmer und nimmer tagen o will denn nicht endlich die stunde schlagen ich wache und selbst der zeiger ruht doch horch es summt eins zwei und drei noch immer fort sechs sieben und acht elf zwölf o himmel war das ein schrei doch nein gesang steigt über der wacht nun wird mirs klar mit frommem munde begrüßt das hausgesinde die stunde anbrach die hochheilige osternacht seitab das fräulein die kissen stößt und wie eine hinde vom lager setzt sie hat des mieders schleifen gelöst ins häubchen drängt sie die locken jetzt dann leise das fenster öffnend leise horcht sie der mählich schwellenden weise vom wimmernden schrei der eule durchsetzt o dunkel die nacht und schaurig der wind die fahnen wirbeln am knarrenden tor da tritt aus der halle das hausgesind mit blendlaternen und einzeln vor der pförtner dehnet sich halb schon träumend am dochte zupfet der jäger säumend und wie ein oger gähnet der mohr was ist wie das auseinander schnellt in reihen ordnen die männer sich und eine wacht vor die dirnen stellt die graue zofe sich ehrbarlich ward ich gesehn an des vorhangs lücke doch nein zum balkone starren die blicke nun langsam wenden die häupter sich o weh meine augen bin ich verrückt was gleitet entlang das treppengeländ hab ich nicht so aus dem spiegel geblickt das sind meine glieder welch ein geblend nun hebt es die hände wie zwirnes flocken das ist mein strich über stirn und locken weh bin ich toll oder nahet mein end das fräulein erbleicht und wieder erglüht das fräulein wendet die blicke nicht und leise rührend die stufen zieht am steingelände das nebelgesicht in seiner rechten trägt es die lampe ihr flämmchen zittert über der rampe verdämmernd blau wie ein elfenlicht nun schwebt es unter dem sternendom nachtwandlern gleich in traumes geleit nun durch die reihen zieht das phantom und jeder tritt einen schritt zur seit nun lautlos gleitets über die schwelle nun wieder drinnen erscheint die helle hinauf sich windend die stiegen breit das fräulein hört das gemurmel nicht sieht nicht die blicke stier und verscheucht fest folgt ihr auge dem bläulichen licht wie dunstig über die scheiben es streicht nun ists im saale nun im archive nun steht es still an der nische tiefe nun matter matter ha es erbleicht du sollst mir stehen ich will dich fahn und wie ein aal die beherzte maid durch nacht und krümmen schlüpft ihre bahn hier droht ein stoß dort häkelt das kleid leis tritt sie leise o geistersinne sind scharf daß nicht das gesicht entrinne ja mutig ist sie bei meinem eid ein dunkler rahmen archives tor ha schloß und riegel sie steht gebannt sacht sacht das auge und dann das ohr drückt zögernd sie an der spalte rand tiefdunkel drinnen doch einem rauschen der pergamente glaubt sie zu lauschen und einem streichen entlang der wand so niederkämpfend des herzens schlag hält sie den odem sie lauscht sie neigt was dämmert ihr zur seite gemach ein glühwurmleuchten es schwillt es steigt und arm an arm auf schrittes weite lehnt das gespenst an der pforte breite gleich ihr zur nachbarspalte gebeugt sie fährt zurück das gebilde auch dann tritt sie näher so die gestalt nun stehen die beiden auge in aug und bohren sich an mit vampyres gewalt das gleiche häubchen decket die locken das gleiche linnen wie schnees flocken gleich ordnungslos um die glieder wallt langsam das fräulein die rechte streckt und langsam wie aus der spiegelwand sich linie um linie entgegenreckt mit gleichem rubine die gleiche hand nun rührt sichs die lebendige spüret als ob ein luftzug schneidend sie rühret der schemen dämmert zerrinnt entschwand und wo im saale der reihen fliegt da siehst ein mädchen du schön und wild vor jahren hats eine weile gesiecht das stets in den handschuh die rechte hüllt man sagt kalt sei sie wie eises flimmer doch lustig die maid sie hieß ja immer das tolle fräulein von rodenschild |
Das Hirtenfeuer von Annette von Droste-Hülshoff, 1842 „Dunkel, Dunkel im Moor, / Über der Haide Nacht, / Nur das rieselnde Rohr / Neben der Mühle wacht, / Und an des Rades Speichen / Schwellende Tropfen schleichen.“ |
1842 | 1695 | das hirtenfeuer von annette von droste-hülshoff dunkel dunkel im moor über der haide nacht nur das rieselnde rohr neben der mühle wacht und an des rades speichen schwellende tropfen schleichen unke kauert im sumpf igel im grase duckt in dem modernden stumpf schlafend die kröte zuckt und am sandigen hange rollt sich fester die schlange was glimmt dort hinterm ginster und bildet lichte scheiben nun wirft es funkenflinster die löschend niederstäuben nun wieder alles dunkel ich hör des stahles picken ein knistern ein gefunkel und auf die flammen zücken und hirtenbuben hocken im kreis umher sie strecken die hände torfes brocken seh ich die lohe lecken da bricht ein starker knabe aus des gestrippes windel und schleifet nach im trabe ein wüst wacholderbündel er läßts am feuer kippen hei wie die buben johlen und mit den fingern schnippen die funkengirandolen wie ihre zipfelmützen am ohre lustig flattern und wie die nadeln spritzen und wie die aeste knattern die flamme sinkt sie hocken aufs neu umher im kreise und wieder fliegen brocken und wieder schwehlt es leise glührothe lichter streichen an haarbusch und gesichte und schier dämonen gleichen die kleinen haidewichte der da der unbeschuhte was streckt er in das dunkel den arm wie eine ruthe im kreise welch gemunkel sie spähn wie junge geier von ihrer ginsterschütte hah noch ein hirtenfeuer recht an des dammes mitte man sieht es eben steigen und seine schimmer breiten den wirren funkenreigen uebern wacholder gleiten die buben flüstern leise sie räuspern ihre kehlen und alte haideweise verzittert durch die schmehlen helo heloe heloe loe komm du auf unsre haide wo ich meine schäflein weide komm o komm in unser bruch da gibts der blümelein genug helo heloe die knaben schweigen lauschen nach dem tann und leise durch den ginster ziehts heran gegenstrophe helo heloe ich sitze auf dem walle meine schäflein schlafen alle komm o komm in unsern kamp da wächst das gras wie brahm so lang helo heloe heloe loe |
Der Fundator von Annette von Droste-Hülshoff, 1842 „Im Westen schwimmt ein falber Strich, / Der Abendstern entzündet sich / Grad‘ überm Sankt Georg am Tore; / Schwer haucht der Dunst vom nahen Moore.“ |
1842 | 3899 | der fundator von annette von droste-hülshoff im westen schwimmt ein falber strich der abendstern entzündet sich grad überm sankt georg am tore schwer haucht der dunst vom nahen moore schlaftrunkne schwäne kreisen sacht ums eiland wo die graue wacht sich hebt aus wasserbins und rohre auf ihrem dach die fledermaus sie schaukelt sich sie breitet aus den rippenschirm des schwingenflosses und mit dem schwirren des geschosses entlang den teich hinauf hinab dann klammert sie am fensterstab und blinzt in das gemach des schlosses ein weit gelaß im sammetstaat wo einst der mächtige prälat des hauses chronik hat geschrieben frisch ist der baldachin geblieben der güldne tisch an dem er saß und seine seelenmesse las man heut in der kapelle drüben heut sind es grade hundert jahr seit er gelegen auf der bahr mit seinem kreuz und silberstabe die ewge lamp an seinem grabe hat heute hundert jahr gebrannt in seinem sessel an der wand sitzt heut ein schlichter alter knabe des hauses diener sigismund harrt hier der herrschaft stund auf stund schon kam die nacht mit ihren flören oft glaubt die kutsche er zu hören ihr quitschern in des weges kies er richtet sich doch nein es blies der abendwind nur durch die föhren s ist eine dämmernacht genau gemacht für alp und weiße frau dem junkerlein ward es zu lange dort schläft es hinterm damasthange die chronik hält der alte noch und blättert fort im finstern doch im ohre summt es gleich gesange so hab ich dieses schloß erbaut ihm mein erworbnes anvertraut zu des geschlechtes nutz und walten ein neuer stamm sprießt aus dem alten gott segne ihn gott mach ihn groß der alte horcht das buch vom schoß schiebt sacht er in der lade spalten nein durch das fenster ein und aus zog schrillend nur die fledermaus nun schießt sie fort der alte lehnet am simse wie der teich sich dehnet ums eiland wo der warte rund sich tief schattiert im matten grund das röhricht knirrt die unke stöhnet dort denkt der greis dort hat gewacht der alte kirchenfürst wenn nacht sich auf den weiher hat ergossen don hat den reiher er geschossen und zugeschaut des schlosses bau sein weiß habit sein auge grau lugt drüben an den fenstersprossen wie scheint der mond so kümmerlich er birgt wohl hinterm tanne sich schaut nicht der turm wie ne laterne verhauchend dunstig aus der ferne wie steigt der blaue duft im rohr und rollt sich am gesims empor wie seltsam blinken heut die sterne doch ha er blinzt er spannt das aug denn dicht und dichter schwillt der rauch als ob ein docht sich langsam fache entzündet sich im turmgemache wie mondenschein ein graues licht und dennoch dennoch las er nicht nicht neumond heut im almanache was ist das deutlich nur getrübt vom dunst der hin und wieder schiebt ein tisch ein licht in turmes mitten und nun nun kömmt es hergeschritten ganz wie ein schatten an der wand es hebt den arm es regt die hand nun ist es an den tisch geglitten und nieder sitzt es langsam steif was in der hand ein weißer streif nun zieht es etwas aus der scheiden und fingert mit den händen beiden ein ding ein stäbchen ungefähr dran fährt es langsam hin und her es scheint die feder anzuschneiden der diener blinzt und blinzt hinaus der schemen schwankt und bleichet aus noch sieht er es die feder tunken da drüber gleitet es wie funken und in demselbigen moment ist alles in das element der spurlos finstern nacht versunken noch immer steht der sigismund noch starrt er nach der warte rund ihn dünkt des weihers flächen rauschen weit beugt er übern sims zu lauschen ein ruder nein die schwäne ziehn grad hört er längs dem ufergrün sie sacht ihr tiefes schnarchen tauschen er schließt das fenster licht o licht doch mag das junkerlein er nicht so plötzlich aus dem schlafe fassen noch minder es im saale lassen sacht schiebt er sich dem sessel ein zieht sein korallnes nösterlein was klingelt drüben an den tassen nein ein fliege schnurrt im glas dem alten wird die stirne naß die möbeln stehn wie totenmale es regt und rüttelt sich im saale allmählich weicht die tür zurück und in demselben augenblick schlägt an die dogge im portale der alte drückt sich dicht zuhauf er lauscht mit doppelsinnen auf ja am parkett ein leises streichen wie wiesel nach der stiege schleichen und immer härter tapp an tapp wie mit sandalen auf und ab es kimmt es naht er hört es keuchen sein sessel knackt ihm schwimmt das hirn ein odem dicht an seiner stirn da fährt er auf und wild zurücke errafft das kind mit blindem glücke und stürzt den korridor entlang o gott sei dank ein licht im gang die kutsche rasselt auf die brücke |
Der Geierpfiff von Annette von Droste-Hülshoff, 1841 „»Nun still! – Du an den Dohnenschlag! / Du links an den gespaltnen Baum! / Und hier der faule Fetzer mag / Sich lagern an der Klippe Saum: / Da seht fein offen übers Land / Die Kutsche ihr heranspazieren: / Und Rieder dort, der Höllenbrand, / Mag in den Steinbruch sich postieren!“ |
1841 | 4788 | der geierpfiff von annette von droste-hülshoff nun still du an den dohnenschlag du links an den gespaltnen baum und hier der faule fetzer mag sich lagern an der klippe saum da seht fein offen übers land die kutsche ihr heranspazieren und rieder dort der höllenbrand mag in den steinbruch sich postieren dann aufgepaßt mit aug und ohr und bei dem ersten räderhall den eulenschrei und tritt hervor die fracht dann wiederholt den schall doch naht gefahr patrouillen gehn seht ihr die landdragoner streifen dann dreimal wie von riffeshöhn laßt ihr den lämmergeier pfeifen nun rieder noch ein wort zu dir mit recht heißt du der höllenbrand kein stückchen ich verbitt es mir wie neulich mit der kalten hand der hauptmann spricht es durch den kreis ein rauschen geht und feines schwirren als sie die büchsen schultern leis und in den gurt die messer klirren seltsamer troß hier riesenbau und hiebgespaltnes angesicht und dort ein bübchen wie ne frau ein zierliches spelunkenlicht der drüben an dem scheitelhaar so sachte streift den blanken fänger schaut aus den blauen augen gar wie ein verarmter minnesänger s ist lichter tag die bande scheut vor keiner stunde alles gleich es ist die rote bande weit verschrien gefürchtet in dem reich das knäbchen kauert unterm stier und betet raschelt es im walde und manches weib verschließt die tür schreit nur ein kuckuck an der halde die posten haben sich zerstreut und in die hütte schlüpft der troß wildhüters obdach zu der zeit als jene trümmer war ein schloß wie ritter vor der ahnengruft fühlt sich der räuber stolz gehoben am schutte dran ein gleicher schuft vor jahren einst den brand geschoben und als der letzte schritt verhallt der letzte zweig zurückgerauscht da wird es einsam in dem wald wo überm ast die sonne lauscht und als es drinnen noch geklirrt und noch ein weilchen sich geschoben da still es in der hütte wird vom wilden weingerank umwoben der scheue vogel setzt sich kühn aufs dach und wiegt sein glänzend haupt und summend durch der reben grün die wilde biene honig raubt nur leise wie der hauch im tann wie weste durch die halme streifen hört drinnen leise leise man vorsichtig an den messern schleifen ja lieblich ist des berges maid in ihrer festen glieder pracht in ihrer blanken fröhlichkeit und ihrer zöpfe rabennacht siehst du sie brechen durchs genist der brombeerranken frisch gedrungen du denkst die centifolie ist vor übermut vom stiel gesprungen nun steht sie still und schaut sich um allüberall nur baum an baum ja irre zieht im walde um des berges maid und glaubt es kaum noch zwei minuten wo sie sann pulsieren ließ die heißen glieder behende wie ein marder dann schlüpft keck sie in den steinbruch nieder am eingang steht ein felsenblock wo das geschiebe überhängt der efeu schüttelt sein gelock zur grünen laube vorgedrängt da unterm dache lagert sie behaglich lehnend an dem steine und denkt ich sitze wahrlich wie ein heilgenbildchen in dem schreine ihr ist so warm der zöpfe paar sie löset mit der runden hand und nieder rauscht ihr schwarzes haar wie rabenfittiges gewand ei denkt sie bin ich doch allein auf springt das spangenpaar am mieder doch unbeweglich gleich dem stein steht hinterm block der wilde rieder er sieht sie nicht nur ihren fuß der tändelnd schaukelt wie ein schiff zuweilen treibt des windes gruß auch eine locke um das riff doch ihres heißen odems zug samumes hauch glaubt er zu fühlen verlorne laute wie im flug lockvögel um das ohr ihm spielen so weich die luft und badewarm berauschend thymianes duft sie lehnt sich dehnt sich ihren arm den vollen streckt sie aus der kluft schließt dann ihr glänzend augenpaar nicht schlafen ruhn nur eine stunde so dämmert sie und die gefahr wächst von sekunde zu sekunde nun alles still sie hat gewacht doch hinterm steine wirds belebt und seine büchse sachte sacht der rieder von der schulter hebt lehnt an die klippe ihren lauf dann lockert er der messer klingen hebt nun den fuß was hält ihn auf ein schrei scheint aus der luft zu dringen ha das signal er ballt die faust und wiederum des geiers pfiff ihm schrillend in die ohren saust noch zögert knirschend er am riff zum dritten mal und sein gewehr hat er gefaßt hinan die klippe daß bröckelnd kies und sand umher nachkollern von dem steingerippe und auch das mädchen fährt empor ei ist so locker das gestein und langsam gähnend tritt hervor sie aus dem falschen heilgenschrein hebt ihrer augen feuchtes glühn will nach dem sonnenstande schauen da sieht sie einen geier ziehn mit einem lamm in seinen klauen und schnell gefaßt der wildnis kind tritt sie entgegen seinem flug der kam daher wo menschen sind das ist der bergesmaid genug doch still war das nicht stimmenton und räderknarren still sie lauscht und wirklich durch die nadeln schon die schwere kutsche ächzt und rauscht he mädchen ruft es aus dem schlag mit feinem knix tritt sie heran zeig uns zum dorf die wege nach wir fuhren irre in dem tann herr spricht sie lachend nehmt mich auf auch ich bin irr und führ euch doch nun wohl du schmuckes kind steig auf nur frisch hinauf du zögerst noch herr was ich weiß ist nur gering doch führt es euch zu menschen hin und das ist schon ein köstlich ding im wald mit räuberhorden drin seht einen weih am bergeskamm sah steigen ich aus jenen gründen der in den fängen trug ein lamm dort muß sich eine herde finden am abend steht des forstes held und flucht die steine warm und kalt der wechsler freut sich daß sein geld er klug gesteuert durch den wald und nur die gute franke maid nicht ahnet in der träume walten daß über sie so gnädig heut der himmel seinen schild gehalten |
Der Graf von Thal von Annette von Droste-Hülshoff, 1835 „Das war der Graf von Thal, / So ritt an der Felsenwand; / Das war sein ehlich Gemahl, / Die hinter dem Steine stand.“ |
1835 | 5880 | der graf von thal von annette von droste-hülshoff das war der graf von thal so ritt an der felsenwand das war sein ehlich gemahl die hinter dem steine stand sie schaut im sonnenstral hinunter den linden hang wo bleibt der graf von thal ich hört ihn doch reiten entlang ob das ein hufschlag ist vielleicht ein hufschlag fern ich weiß doch wohl ohne list ich hab gehört meinen herrn sie bog zurück den zweig bin blind ich oder auch taub sie blinzelt in das gesträuch und horcht auf das rauschende laub oed wars im hohlweg leer einsam im rispelnden wald doch überm weiher am wehr da fand sie den grafen bald in seinen schatten sie trat er und seine gesellen die flüstern und halten rath viel lauter rieseln die wellen sie starrten über das land genau sie spähten genau sahn jedes zweiglein am strand doch nicht am wehre die frau zur erde blickte der graf so sprach der graf von thal seit dreizehn jahren den schlaf rachlose schmach mir stahl war das ein seufzer lind gesellen wer hats gehört sprach kurt es ist nur der wind der über das schilfblatt fährt so schwör ich beym höchsten gut und wärs mein ehlich weib und wärs meines bruders blut viel minder mein eigner leib nichts soll mir wenden den sinn daß ich die rache ihm spar der freche soll werden inn zins tragen auch dreizehn jahr bei gott das war ein gestöhn sie schossen die blicke in hast sprach kurt es ist der föhn der macht seufzen den tannenast und ist sein aug auch blind und ist sein haar auch grau und mein weib seiner schwester kind hier that einen schrei die frau wie wetterfahnen schnell die dreie wendeten sich zurück zurück mein gesell dieses weibes richter bin ich hast du gelauscht allgund du schweigst du blickst zur erd das bringt dir bittre stund allgund was hast du gehört ich lausch deines rosses klang ich späh deiner augen schein so kam ich hinab den hang nun tue was noth mag seyn o frau sprach jakob port da habt ihr schlimmes spiel grad sprach der herr ein wort das sich vermaß gar viel sprach kurt ich sag es rund viel lieber den wolf im stall als eines weibes mund zum hüter in solchem fall da sah der graf sie an zu einem und zu zwein drauf sprach zur fraue der mann wohl weiß ich du bist mein als du gefangen lagst um mich ein ganzes jahr und keine sylbe sprachst da ward deine treu mir klar so schwöre mir denn sogleich seys wenig oder auch viel was du vernahmst am teich dir seys wie rauch und spiel als seye nichts geschehn so muß ich völlig meinen darf dich nicht weinen sehn darfst mir nicht bleich erscheinen denk nach denk nach allgund was zu verheißen noth die wahrheit spricht dein mund ich weiß und brächt es tod und konnte sie sich besinnen verheißen hätte sies nie so war sie halb von sinnen sie schwur und wußte nicht wie und als das morgengrau in die kemnate sich stahl da hatte die werthe frau geseufzt schon manches mal manch mal gerungen die hand ganz heimlich wie ein dieb roth war ihrer augen rand todtblaß ihr antlitz lieb drei tage kredenzt sie den wein und saß beim mahle drei tag drei nächte in steter pein in der waldkapelle sie lag wenn er die wacht besorgt der thorwart sieht sie gehn im walde steht und horcht der wilddieb dem gestöhn am vierten abend sie saß an ihres herren seit sie dreht die spindel er las dann sahn sie auf alle beid allgund bleich ist dein mund herr s macht der lampe schein deine augen sind rot allgund s drang rauch vom herde hinein auch macht mirs schlimmen muth daß heut vor fünfzehn jahren ich sah meines vaters blut gott mag die seele wahren lang ruht die mutter im dom sind wenge mir verwandt ein muhm noch und ein ohm sonst ist mir keins bekannt starr sah der graf sie an es steht dem weibe fest daß um den ehlichen mann sie ohm und vater läßt ja herr so muß es seyn ich gäb um euch die zweie und mich noch obendrein wenns seyn müßt ohne reue doch daß nun dieser tag nicht gleich den andern sey lest wenn ich bitten mag ein sprüchlein oder zwei und als die fraue klar darauf das heilge buch bot ihrem gatten dar es auf von selber schlug mit einem blicke er maß der nächsten sprüche einen mein ist die rach er las das will ihm seltsam scheinen doch wie so fest der mann auf frau und bibel blickt die saß so still und spann dort war kein blatt geknickt um ihren schönen leib den arm er düster schlang so nimm die laute weib sing mir einen lustgen sang o herr mags euch behagen ich sing ein liedlein werth das erst vor wenig tagen mich ein minstrel gelehrt der kam so matt und bleich wollt nur ein wenig ruhn und sprach im oberen reich sing man nichts anderes nun drauf wie ein schrei verhallt es durch die kammer klingt als ihre finger kalt sie an die saiten bringt johann johann was dachtest du an jenem tag als du erschlugst deine eigne ruh mit einem schlag verderbtest auch mit dir zugleich deine drei gesellen o sieh nun ihre glieder bleich am monde schwellen weh dir was dachtest du johann zu jener stund nun läuft von dir verlornem mann durchs reich die kund ob dich verbergen mag der wald dich wirds ereilen horch nur die vögel singens bald die wölf es heulen o weh das hast du nicht gedacht johann johann als du die rache wahr gemacht am alten mann und wehe nimmer wird der fluch mit dir begraben dir der den ohm und herrn erschlug johann von schwaben aufrecht die fraue bleich vor ihrem gatten stand der nimmt die laute gleich er schlägt sie an die wand und als der schall verklang da hört man noch zuletzt wie er die hall entlang den zorngen fußtritt setzt von heut am siebenten tag das war eine schwere stund als am balkone lag auf ihren knien allgund laut waren des herzens schläge o herr erbarme dich mein und bracht ich böses zuwege mein sey die buß allein dann beugt sie tief hinab sie horcht und horcht und lauscht vom wehre tost es herab vom forste drunten es rauscht war das ein fußtritt nein der hirsch setzt über die kluft sollt ein signal das seyn doch nein der auerhahn ruft o mein erlöser mein hort ich bin mit sünde beschwert sey gnädig und nimm mich fort eh heim mein gatte gekehrt ach wen der böse umgarnt dem alle kraft er bricht doch hab ich ja nur gewarnt verrathen verrathen ja nicht weh das sind rossestritte sie sah sie fliegen durchs thal mit wildem grimmigen ritte sie sah auch ihren gemahl sie sah ihn dräuen genau sie sah ihn ballen die hand da sanken die knie der frau da rollte sie über den rand und als zum schlimmen entschlossen der graf sprengt in das thor kam blut entgegen geflossen drang unterm gitter hervor und als er die hände sah falten sein weib in letzter noth da konnt er den zorn nicht halten bleich ward sein gesicht so roth weib das den tod sich erkor s war nicht mein wille sie sprach noch eben bracht sies hervor weib das seine schwüre brach wie abendlüfte verwehen noch einmal haucht sie ihn an es mußt eine sünde geschehen ich hab sie für dich gethan |
Der Graue von Annette von Droste-Hülshoff, 1841 „Im Walde steht die kleine Burg, / Aus rohem Quaderstein gefugt, / Mit Schart‘ und Fensterlein, wodurch / Der Doppelhaken einst gelugt;“ |
1841 | 5603 | der graue von annette von droste-hülshoff im walde steht die kleine burg aus rohem quaderstein gefugt mit schart und fensterlein wodurch der doppelhaken einst gelugt am teiche rauscht des rohres speer die brücke wiegt und knarrt im sturm und in des hofes mitte schwer plump wie ein mörser steht der thurm da siehst du jetzt umher gestellt manch feuerrothes ziegeldach und wie der stempel steigt und fällt so pfeift die dampfmaschine nach es knackt die form der bogen schrillt es dunstet scheidewassers näh und überm grauen wappenschild liest man moulin à papier doch wie der kessel quillt und schäumt den brüßler kaufherrn freut es kaum der hatte einmal sich geträumt von land und luft den feinsten traum das war so recht ein fleckchen sich zu retten aus der zahlen haft nicht groß und doch ganz adelich und brauchte wenig dienerschaft doch eine nacht nur macht er sich bequem es oder unbequem in seinem schlößchen und er strich nur wie ein vogel dran seitdem sah dann er zu den fenstern auf verschlossen wie die sakristein so zog er wohl die schultern auf mit einem seufzer oder zwein es war um die septemberzeit als schürend des kamines brand gebückt in regenfeuchtem kleid der hausherr in der halle stand er und die gäste all im rauch van neelen redel verney dahm und dann der blonde waller auch der eben erst aus smyrna kam im schlote schnob der wind es goß der regen sprudelnd sich vom dach und wenn am brand ein flämmchen schoß schien doppelt öde das gemach die gäste waren all zur hand erleichternd ihres wirthes müh van neelen nur am fenster stand und schimpfte auf die landparthie doch nach und nach mags besser gehn schon hat der wind die glut gefacht den regen läßt man draußen stehn champagnerflaschen sind gebracht die leuchter hatten wenig wert es ging wie beim studentenfest sobald die flasche ist geleert wird eine kerze drauf gepreßt je mehr es fehlt so mehr man lacht der wein ist heiß die kost gewählt manch derbes späßchen wird gemacht und mancher feine streich erzählt zuletzt von wein und reden glüh rückt seinen stuhl der herr vom haus ich lud euch zu ner landparthie es ward ne wasserfahrt daraus doch da die allerschönste fracht am ende nach dem hafen schifft so meine herren gute nacht und nehmt vorlieb wie es sich trifft da lachend nach den flaschen greift ein jeder türen auf und zu und waller noch im gehen streift aus seinem frack den ivanhoe es war tief in die nacht hinein und draußen heulte noch der sturm schnob zischend an dem fensterstein und drillt den glockenstrang am thurm in seinem bette waller lag und las so scharf im ivanhoe daß man gedacht bevor es tag sey englands königreich in ruh er sah nicht daß die kerze tief sich brannte in der flasche rand der talg in schweren tropfen lief und drunten eine lache stand wie träumend hört er das geknarr der fenster vom rouleau gedämpft und wie die thüre mit geschnarr in ihren angeln zuckt und kämpft sehr freut er sich am bruder tuck die sehne schwirrt es rauscht der hain da plötzlich ein gewaltger ruck und hui die scheibe klirrt hinein er fuhr empor weg war der traum und deckte mit der hand das licht ha wie so wüst des zimmers raum selbst ein romantisches gedicht der sessel feudalistisch gold am marmortisch die greifenklau und überm spiegel flatternd rollt ein banner der tapete blau im zug der durch die lücke schnaubt die ahnenbilder leben fast und schütteln ihr behelmtes haupt ergrimmt ob dem plebejen gast der blonde waller machte gern sich selber einen kleinen graus so nickt er spöttisch gen die herrn als fordert er sie keck heraus die glocke summt schon eins fürwahr wie eine boa dehnt er sich und sah nach dem pistolenpaar dann rüstet er zum schlafe sich die flasche hob er einmal noch und leuchtete die wände an ganz wie ne alte halle doch aus einem scottischen roman und ist das nebel oder rauch was durch der thüre spalten quillt und wirbelnd in des zuges hauch die dunstigen paneele füllt ein ding ein ding wie grau in grau die formen schwanken sonderbar doch ob der blick sich schärft den bau von gliedern nimmt er mählig wahr wie überm eisenhammer schwer und schwarz des rauches säule wallt ein zucken flattert drüber her doch hat es menschliche gestalt er war ein hitziger kumpan wenn wein die lava hat geweckt qui vive und leise knackt der hahn der waller hat den arm gestreckt qui vive ne pause ou je tire und aus dem lauf die kugel knallt er hört sie schlagen an die thür und abwärts prallen mit gewalt der schuß dröhnt am gewölbe nach und eine schwere nebelschicht füllt pulverbrodem das gemach er theilt sich schwindet das gesicht steht in des zimmers mitte jetzt ganz wie ein graues bild von stein die formen scharf und unverletzt die züge edel streng und rein auf grauer locke grau barett mit grauer hahnenfeder drauf der waller hat so sacht und nett sich hergelangt den zweiten lauf noch zögert er ist es ein bild wärs zu zerschießen lächerlich und wärs ein mensch das blut ihm quillt ein geck der unterfinge sich ein neuer ruck und wieder knall und pulverrauch war das gestöhn er hörte keiner kugel prall es ist vorüber ist geschehn der waller zuckt verdammtes hirn mit einmal ist er kalt wie eis der angstschweiß tritt ihm auf die stirn er starret in den nebelkreis ein aechzen oder windeshauch doch nein der scheibensplitter schwirrt o gott es zappelt nein der rauch gedrängt vom zuge schwankt und irrt es wirbelt aufwärts woget wallt und wie ein graues bild von stein steht nun am bette die gestalt da wo der vorhang sinkt hinein und drüber knisterts wie von sand wie funke der elektrisch lebt nun zuckt ein finger nun die hand allmählig nun ein fuß sich hebt hoch immer höher waller winkt dann macht er schnell gehörig raum und langsam in die kissen sinkt es schwer wie ein gefällter baum ah je te tiens er hats gepackt und schlingt die arme wie nen strick ein leichnam todessteif und nackt mit einem ruck fährt er zurück da wälzt es langsam schwer wie blei sich gleich dem mühlstein über ihn da that der waller einen schrei und seine sinne waren hin am nächsten morgen fand man kalt ihn im gemache ausgestreckt s war eine ohnmacht nur und bald ward zum bewußtsein er geweckt nicht irre war er nur gepreßt und fragt ob keiner ward gestört doch alle schliefen überfest nicht einer hat den schuß gehört so ward es denn für traum sogleich und alles für den alp erkannt doch zog man sich aus dem bereich und trollte hurtig über land sie waren alle viel zu klug und vollends zu belesen gar allein der blonde waller trug seit dieser nacht eisgraues haar |
Der Barmekiden Untergang von Annette von Droste-Hülshoff, 1835/36 „Reiche mir die Blutorange / Mit dem süßen Zauberdufte, / Sie, die von den schönsten Lippen / Ihre Nahrung hat geraubt.“ |
1835 | 1269 | der barmekiden untergang von annette von droste-hülshoff reiche mir die blutorange mit dem süßen zauberdufte sie die von den schönsten lippen ihre nahrung hat geraubt sagt ich es nicht o maimuna flehend händeringend knieend sagt ich es zu sieben malen nicht zu tausend malen dir laß o fürstin diese liebe laß von dieser dunklen liebe dir die ganze brust versengend unheil bringend und gefahr daß nicht merk es der kalife er der zornbereite bruder nicht den dschafer dir verderbe deinen hohen barmekiden nicht den dschafer dir verderbe und dich selber fürstin auch doch was ist die weise rede in dem liebentglühten herzen wie das winseln eines kindleins in der wutentbrannten schlacht wie ein linder nebeltropfen in dem flammenden gebäude wie ein licht vom borde taumelnd in den dunklen ozean in der tänzerin gewande schmiegen sich der fürstin glieder um die schultern seide flattert in dem arm die zither liegt o wie windet sie die arme hoch das tamburin erschwingend o wie wogen ihre schritte ihre reizerblühten glieder daß der barmekide glühend seine dunklen augen birgt sieben jahre sind verschwunden sieben wonnevolle jahre zu den sieben drei und fünfe und in den gebirgen irrend zieht der barmekiden schar mütter auf den dromedaren blind geweint die schönen augen in den armen kindlein wimmernd in die lagerlose nacht über bagdads tor ein geier kreisend über dschafers schädel rauscht hinan und rauscht vorüber hat zur nahrung nichts gefunden als in seiner augen höhlen nur zwei kleine spinnlein noch |
Der Knabe im Moor von Annette von Droste-Hülshoff, 1842 „O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehn, / Wenn es wimmelt vom Haiderauche, / Sich wie Phantome die Dünste drehn / Und die Ranke häkelt am Strauche,“ |
1842 | 1393 | der knabe im moor von annette von droste-hülshoff o schaurig ists übers moor zu gehn wenn es wimmelt vom haiderauche sich wie phantome die dünste drehn und die ranke häkelt am strauche unter jedem tritte ein quellchen springt wenn aus der spalte es zischt und singt o schaurig ists übers moor zu gehn wenn das röhricht knistert im hauche fest hält die fibel das zitternde kind und rennt als ob man es jage hohl über die fläche sauset der wind was raschelt drüben am hage das ist der gespenstige gräberknecht der dem meister die besten torfe verzecht hu hu es bricht wie ein irres rind hinducket das knäblein zage vom ufer starret gestumpf hervor unheimlich nicket die föhre der knabe rennt gespannt das ohr durch riesenhalme wie speere und wie es rieselt und knittert darin das ist die unselige spinnerin das ist die gebannte spinnlenor die den haspel dreht im geröhre voran voran nur immer im lauf voran als woll es ihn holen vor seinem fuße brodelt es auf es pfeift ihm unter den sohlen wie eine gespenstige melodei das ist der geigenmann ungetreu das ist der diebische fiedler knauf der den hochzeitheller gestohlen da birst das moor ein seufzer geht hervor aus der klaffenden höhle weh weh da ruft die verdammte margret ho ho meine arme seele der knabe springt wie ein wundes reh wär nicht schutzengel in seiner näh seine bleichenden knöchelchen fände spät ein gräber im moorgeschwehle da mählich gründet der boden sich und drüben neben der weide die lampe flimmert so heimathlich der knabe steht an der scheide tief athmet er auf zum moor zurück noch immer wirft er den scheuen blick ja im geröhre wars fürchterlich o schaurig wars in der haide |
Der Mutter Wiederkehr von Annette von Droste-Hülshoff, 1844 (?) „Du frägst mich immer von neuem, Marie, / Warum ich mein Heimathland / Die alten lieben Gebilde flieh / Dem Herzen doch eingebrannt?“ |
1844 | 6649 | der mutter wiederkehr von annette von droste-hülshoff du frägst mich immer von neuem marie warum ich mein heimathland die alten lieben gebilde flieh dem herzen doch eingebrannt nichts soll das weib dem manne verhehlen und nichts dem treuen weibe der mann drum setz dich her ich will erzählen doch abwärts sitze schau mich nicht an bei meinen eltern ich war ein kind ein kind und dessen nicht froh im hause wehte ein drückender wind der ehliche friede floh nicht zank noch scheltwort durfte ich hören doch wie ein fels auf allen es lag sahn wir von reisen den vater kehren das war uns kindern ein trauriger tag ein kaufmann ernst sein strenges gemüth verbittert durch manchen verlust und meine mutter die war so müd so keuchend ging ihre brust noch seh ich wie sie die augen geröthet ein bild der still verhärmten geduld an unserm bettchen gekniet und gebetet gewiß meine mutter war frei von schuld doch trieb der vater sich um vielleicht in london oder in wien dann lebten wir auf und athmeten leicht und schossen wie kressen so grün durch lustige schwänke machte uns lachen der gute meßner dürr und ergraut der dann uns alle sollte bewachen denn meiner mutter ward nichts vertraut da schickte der himmel ein schweres leid sie schlich so lange umher und härmte sich sachte ins sterbekleid w i r machten das scheiden ihr schwer wir waren wie irre vögel im haine zu früh entflattert dem treuen nest bald tobten wir toll über blöcke und steine und duckten bald in den winkel gepreßt dem alten manne ward kalt und heiß dem würdigen sakristan sah er besudelt mit staub und schweiß und glühend wie oefen uns nahn doch traten wir in die verödete kammer und sahn das schemelchen am clavier dann strömte der unbändige jammer und nach der mutter wimmerten wir am sechsten abend nachdem sie fort wir kauerten am kamin der alte lehnte am simse dort und sah die kohlen verglühn wir sprachen nicht uns war beklommen da leis im vorsaal dröhnte die thür und schlürfende schritte hörten wir kommen mein brüderchen rief die mutter ist hier still stille nur wir horchten all zusammen gedrängt und bang wir hörten deutlich der tritte hall die knarrende diel entlang genau wir hörten rücken die stühle am schranke klirren den schlüsselbund und dann das schwere krachen der diele als es vom stuhle trat an den grund mein junges blut in den adern stand ich sah den alten wie stein sich klammern an des gesimses rand da langsam trat es herein o gott ich sah meine mutter marie marie ich sah meine mutter gehn im schlichten kleide wie morgens frühe sie kam nach ihren zwei knaben zu sehn fest war ihr blick zum grunde gewandt so schwankte sie durch den saal den schlüsselbund in der bleichen hand die augen trüb wie opal sie hob den arm wir hörtens pfeifen ganz wie ein schlüssel im schlosse sich dreht und ins closet dann sahn wir sie streifen drin unser geld und silbergeräth du denkst wohl daß keines odems hauch die schaurige oede brach und still wars in dem closete auch noch lange lauschten wir nach da sah ich zusammen den alten fallen und seine schläfe schlug an den stein da ließen wir unser geschrei erschallen da stürzten unsere diener herein du sagst mir nichts doch zweifl ich nicht du schüttelst dein haupt marie ein greis zwei kinder im dämmerlicht da waltet die phantasie was wollte ich nicht um dein lächeln geben um deine zweifel du gute frau doch wieder sag ichs bei meinem leben marie wir sahen und hörten genau am morgen kehrte der vater heim verstimmt und müde gehetzt und war er nimmer ein honigseim so war er ein wermuth jetzt auch waren es wohl bedenkliche worte die er gesprochen zum alten mann denn laut sie haderten an der pforte und schieden in tiefer empörung dann nun ward durchstöbert das ganze haus ein jeder gefragt gequält die beutel gewogen geschüttet aus die silberbestecke gezählt ob alles richtig versperrt die zimmer nichts konnte dem manne genügen doch bis abends zählte und wog er immer und meinte der schade finde sich noch als nun die dämmerung brach herein ohne mutter und sakristan wir kauerten auf dem staubigen stein und gähnten die flamme an verstimmt der vater am langen tische wühlt in papieren schob und rückt wir duckten an unserm kamin wie fische wenn drauf das auge des reihers drückt da horch die thüre dröhnte am gang ein schlürfender schritt darauf sich schleppte die knarrende diel entlang der vater horchte stand auf und wieder hörten wir rücken die stühle am schranke klirren den schlüsselbund und wieder das schwere krachen der diele als es vom stuhle trat an den grund er stand den leib vornüber gebeugt wie jäger auf wildes spur nicht furcht noch rührung sein auge zeigt man sah er lauerte nur und wieder sah ich die mich geboren verbannt verstoßen vom heiligen grund o nimmer hab ich das bild verloren es folgt mir noch in der todesstund und e r hat keine wimper geregt und keine muskel gezuckt der stuhl auf den seine hand gelegt nur einmal leise geruckt ihr folgend mit den stechenden blicken wandt er sich langsam wie sie schritt doch als er sie ans closet sah drücken da zuckte er auf als wolle er mit und arnold riefs aus dem geldverließ er beugte vornüber weit und wieder arnold so klagend süß er legte die feder bei seit zum dritten mal wie die blutige trauer arnold den meerschaumkopf im nu erfaßt er schleudert ihn gegen die mauer schritt ins closet und riegelte zu wir aber stürzten in wilder hast hinaus an das abendroth wir hatten uns bei den händen gefaßt und weinten uns schier zu todt die ganze nacht hat die lampe geglommen geknattert im saal des kamines rost und als der dritte abend gekommen da setzte der vater sich auf die post ich habe ihm nicht lebewohl gesagt und nicht seine hand geküßt doch heißt es daß er in dieser nacht am bettchen gestanden ist und bei des nächsten morgens erglühen das erste was meine augen sahn das war an unserem lager knieen den tief erschütterten sakristan dem ward in der früh ein brief gebracht und dann ein schlüsselchen noch ich will nicht lesen hat er gedacht und zögerte las dann doch den brief in letzter stunde geschrieben von meines unglücklichen vaters hand der fest im herzen mir ist geblieben obwohl mein bruder ihn einst verbrannt was mich betroffen das sag ich nicht eh dorre die zunge aus doch ist es ein bitter ein schwer gericht und treibt mich von hof und haus in dem closete da sind gelegen papiere wechsel briefe dabei dir will ich auf deine seele legen meine zwei buben denn du bist treu sorg nicht um mich was ich bedarf deß hab ich genügend noch und forsch auch nimmer ich warne scharf nach mir es tröge dich doch sei ruhig mann ich will nicht tödten den leib der vieles noch muß bestehn doch laß meine armen kinderchen beten denn sehr bedarf ich der unschuld flehn und im closete gefunden ward ein richtiges testament und alle papiere nach kaufmannsart geordnet und wohl benennt und wir in der fremde ließ man uns pflegen da waren wir eben wie buben sind doch mit den jahren da muß sichs regen bin ich doch jetzt sein einziges kind du weißt es wie ich auch noch so früh so hart den bruder verlor und hätte ich dich nicht meine marie dann wär ich ein armer thor ach gott was hab ich nicht all geschrieben aufrufe briefe in meiner noth umsonst doch alles umsonst geblieben ob er mag leben vermuthlich todt nie brachte wieder auf sein geschick die gute marie den mann der seines lebens einziges glück in ihrer liebe gewann so mild und schonend bot sie die hände bracht ihm so manches blühende kind daß von der ehrlichen stirn am ende die düstern falten gewichen sind wohl führt nach jahren einmal sein weg ihn dicht zur heimath hinan da ließ er halten am mühlensteg und schaute die thürme sich an die händ gefaltet schien er zu beten ein wink die kutsche rasselte fort doch nimmer hat er den ort betreten und keinen trunk wasser nahm er dort |
Der Schloßelf von Annette von Droste-Hülshoff, 1841 „In monderhellten Weihers Glanz / Liegt brütend wie ein Wasserdrach‘ / Das Schloß mit seinem Zackenkranz, / Mit Zinnenmoos und Schuppendach.“ |
1841 | 2545 | der schloßelf von annette von droste-hülshoff in monderhellten weihers glanz liegt brütend wie ein wasserdrach das schloß mit seinem zackenkranz mit zinnenmoos und schuppendach die alten eichen stehn von fern respektvoll flüsternd mit den wellen wie eine graue garde gern sich mag um graue herrscher stellen am thore schwenkt ein steinkoloß der pannerherr die kreuzesfahn und courbettirend schnaubt sein roß jahrhunderte schon himmelan und neben ihm ein tantalus lechzt seit jahrhunderten sein docke gesenkten halses nach dem fluß im dürren schlunde mooses flocke ob längst die mitternacht verklang im schlosse bleibt es immer wach streiflichter gleiten rasch entlang den corridor und das gemach zuweilen durch des hofes raum ein hüpfendes laternchen ziehet dann horcht der wandrer der am saum des weihers in den binsen knieet ave maria stärke sie und hilf ihr über diese nacht ein frommer bauer ists der früh sich auf die wallfahrt hat gemacht wohl weiß er was der lichterglanz mag seiner gnädgen frau bedeuten und eifrig läßt den rosenkranz er durch die schwielgen finger gleiten doch durch sein christliches gebet manch heidennebel schwankt und raucht ob wirklich wie die sage geht der elf sich in den weiher taucht so oft dem gräflichen geschlecht der erste sprosse wird geboren der bauer glaubt es nimmer recht noch minder hätt er es verschworen scheu blickt er auf die nacht ist klar und gänzlich nicht gespensterhaft gleich drüben an dem pappelpaar zählt man die zweige längs dem schaft doch stille in dem eichenrund sind das nicht tritte kindestritte er hört wie an dem harten grund sich wiegen kurz und stramm die schritte still still es raschelt übern rain wie eine hinde die im thau beherzt gemacht vom mondenschein vorsichtig äßet längs der au der bauer stutzt die nacht ist licht die blätter glänzen an dem hagen und dennoch dennoch sieht er nicht wen auf ihn zu die schritte tragen da langsam knarrend thut sich auf das schwere heck zur rechten hand und wieder langsam knarrend drauf versinkt es in die grüne wand der bauer ist ein frommer christ er schlägt behend des kreuzes zeichen und wenn du auch der teufel bist du mußt mir auf der wallfahrt weichen da hui streifts ihn federweich da hui raschelts in dem grün da hui zischt es in den teich daß bläulich schilf und binsen glühn und wie ein knisterndes geschoß fährt an den grund ein bläulich feuer im augenblicke wo vom schloß ein schrei verzittert überm weiher der alte hat sich vorgebeugt ihm ist als schimmre wie durch glas ein kindesleib phosphorisch feucht und dämmernd wie verlöschend gas ein arm zerrinnt ein aug verglimmt lag denn ein glühwurm in den binsen ein langes fadenhaar verschwimmt am ende scheinens wasserlinsen der bauer starrt hinab hinauf bald in den teich bald in die nacht da klirrt ein fenster drüben auf und eine stimme ruft mit macht nur schnell gesattelt schnell zur stadt gebt dem polacken gert und sporen viktoria soeben hat die gräfin einen sohn geboren |
Der sterbende General von Annette von Droste-Hülshoff, 1847 „Er lag im dicht verhängten Saal, / Wo grau der Sonnenstrahl sich brach, / Auf seinem Schmerzensbette lag / Der alte kranke General;“ |
1847 | 2047 | der sterbende general von annette von droste-hülshoff er lag im dicht verhängten saal wo grau der sonnenstrahl sich brach auf seinem schmerzensbette lag der alte kranke general genüber ihm am spiegel hing echarpe orden feldherrnstab still war die luft am fenster ging langsam die schildwach auf und ab wie der verwitterte soldat so stumm die letzte fehde kämpft zwölf stunden seit zuletzt gedämpft um wasser er um wasser bat an seinem kissen beugten zwey des einen auge rothgeweint des andern düster fest und treu ein diener und ein alter freund tritt seitwärts sprach der eine laß ihn seines standes ehren sehn den vorhang weg daß flatternd wehn die bänder an dem spiegelglas der kranke schlug die augen auf man sah wohl daß er ihn verstand ein blick ein leuchtender und drauf hat er sich düster abgewandt denkst du mein alter kamerad der jubelnden viktoria wie flogen unsre banner da durch der gemähten feinde saat denkst du an unsers prinzen wort man sieht es gleich hier stand der wart schnell conrad nehmt die decke fort sein odem wird so kurz und hart der obrist lauscht er murmelt sacht verkümmert wie ein welkes blatt das dutzend friedensjahre hat zum kapuziner ihn gemacht wart wart du hast so frisch und licht so oft dem tode dich gestellt die furcht ich weiß es kennst du nicht so stirb auch freudig wie ein held stirb wie ein leue adelich in seiner brust das bleygeschoß o stirb nicht wie ein zahnlos roß das zappelt vor des henkers stich ha seinem auge kehrt der strahl stirb alter freund stirb wie ein mann der kranke zuckt zuckt noch einmal und wasser wasser stöhnt er dann leer ist die flasche wache dort he wache du bist abgelöst schau wo ans haus das gitter stößt lauf wache lauf zum borne fort s ist auch ein grauer knasterbart und strauchelt wie ein dromedar nur schnell die sohlen nicht gespart was alter bursche thränen gar mein commandant spricht der uhlan grimmig verschämt ich dachte nach wie ich blessirt am strauche lag der general mir nebenan und wie er mir die flasche bot selbst dürstend in dem sonnenbrand und sprach du hast die schlimmste noth dran dacht ich nur mein commandant der kranke horcht durch sein gesicht zieht ein verwittert lächeln dann schaut fest den veteran er an die seele der viktorie nicht nicht fürstenwort gelöst den fluch auf einem tropfen menschlichkeit schwimmt mit dem letzten athemzug sie lächelnd in die ewigkeit |
Der Tod des Erzbischofs Engelbert von Köln von Annette von Droste-Hülshoff, 1841 „Der Anger dampft, es kocht die Ruhr, / Im scharfen Ost die Halme pfeifen, / Da trabt es sachte durch die Flur, / Da taucht es auf wie Nebelstreifen,“ |
1841 | 4474 | der tod des erzbischofs engelbert von köln von annette von droste-hülshoff der anger dampft es kocht die ruhr im scharfen ost die halme pfeifen da trabt es sachte durch die flur da taucht es auf wie nebelstreifen da nieder rauscht es in den fluß und stemmend gen der wellen guß es fliegt der bug die hufe greifen ein schnauben noch ein satz und frei das roß schwingt seine nassen flanken und wieder eins und wieder zwei bis fünfundzwanzig stehn wie schranken voran voran durch heid und wald und wo sich wüst das dickicht ballt da brechen knisternd sie die ranken am eichenstamm im überwind um einen ast den arm geschlungen der isenburger steht und sinnt und naget an erinnerungen ob er vernimmt was durchs gezweig ihm rinkerad der ritter bleich raunt leise wie mit vögelzungen graf flüstert es graf haltet dicht mich dünkt als woll es euch betören bei christi blute laßt uns nicht heim wie gepeitschte hunde kehren wer hat gefesselt eure hand den freien stegreif euch verrannt der isenburg scheint nicht zu hören graf flüstert es wer war der mann dem zu dem kreuz die rose paßte wer machte euren schwäher dann in seinem eignen land zum gaste und graf wer höhnte euer recht wer stempelt euch zum pfaffenknecht der isenburg biegt an dem aste und wer wer hat euch zuerkannt im härnen sünderhemd zu stehen die schandekerz in eurer hand und alte vetteln anzuflehen um kyrie und litanei da krachend bricht der ast entzwei und wirbelt in des sturmes wehen spricht isenburg mein guter fant und meinst du denn ich sei begraben o laß mich nur in meiner hand doch ruhig still ich höre traben sie stehen lauschend vorgebeugt durch das gezweig der helmbusch steigt und flattert drüber gleich dem raben wie dämmerschaurig ist der wald an neblichten novembertagen wie wunderlich die wildnis hallt von astgestöhn und windesklagen horch knabe war das waffenklang nein gnädger herr ein vogelsang von sturmesflügeln hergetragen fort trabt der mächtige prälat der kühne erzbischof von köllen er den der kaiser sich zum rat und reichsverweser mochte stellen die ehrne hand der klerisei zwei edelknaben reisger zwei und noch drei äbte als gesellen gelassen trabt er fort im traum von eines wunderdomes schöne auf seines rosses hals den zaum er streicht ihm sanft die dichte mähne die windesodem senkt und schwellt es schaudert wenn ein tropfen fällt von ast und laub des nebels träne schon schwindelnd steigt das kirchenschiff schon bilden sich die krausen zacken da horch ein pfiff und hui ein griff ein helmbusch hier ein arm im nacken wie schwarzwildrudel brichts heran die äbte fliehn wie spreu und dann mit reisigen sich reisge packen ha schnöder strauß zwei gegen zehn doch hat der fürst sich losgerungen er peitscht sein tier und mit gestöhn hats übern hohlweg sich geschwungen die gerte pfeift weh rinkerad vom rosse gleitet der prälat und ist ins dickicht dann gedrungen hussa hussa erschlagt den hund den stolzen hund und eine meute fährts in den wald es schließt ein rund dann vor und rückwärts und zur seite die zweige krachen ha es naht am buchenstamm steht der prälat wie ein gestellter eber heute er blickt verzweifelnd auf sein schwert er löst die kurze breite klinge dann prüfend untern mantel fährt die linke nach dem panzerringe und nun wohlan er ist bereit ja männlich focht der priester heut sein streich war eine flammenschwinge das schwirrt und klingelt durch den wald die blätter stäuben von den eichen und über arm und schädel bald blutrote rinnen tröpfeln schleichen entwaffnet der prälat noch ringt der starke mann da zischend dringt ein falscher dolch ihm in die weichen ruft isenburg es ist genug es ist zuviel und greift die zügel noch sah er wie ein knecht ihn schlug und riß den wicht am haar vom bügel es ist zuviel hinweg geschwind fort sind sie und ein wirbelwind fegt ihnen nach wie eulenflügel des sturmes odem ist verrauscht die tropfen glänzen an dem laube und über blutes lachen lauscht aus hohem loch des spechtes haube was knistert nieder von der höh und schleppt sich wie ein krankes reh ach armer knabe wunde taube mein gnädiger mein lieber herr so mußten dich die mörder packen mein frommer o mein heiliger das tüchlein zerrt er sich vom nacken er druckt es auf die wunde dort und hier und drüben immerfort ach wund an wund und blutge zacken ho holla ho dann beugt er sich und späht ob noch der odem rege wars nicht als wenn ein seufzer schlich als wenn ein finger sich bewege ho holla ho hallo hoho schallts wiederum des war er froh sind unsre reuter allewege zu köln am rheine kniet ein weib am rabensteine unterm rade und überm rade liegt ein leib an dem sich weiden kräh und made zerbrochen ist sein wappenschild mit trümmern seine burg gefüllt die seele steht bei gottes gnade den leib des fürsten hüllt der rauch von ampeln und von weihrauchschwelen um seinen qualmt der moderhauch und hagel peitscht der rippen höhlen im dome steigt ein trauerchor und ein tedeum stieg empor bei seiner qual aus tausend kehlen und wenn das rad der bürger sieht dann läßt er rasch sein rößlein traben doch eine bleiche frau die kniet und scheucht mit ihrem tuch die raben um sie mied er die schlinge nicht er war ihr held er war ihr licht und ach der vater ihrer knaben |
Die beschränkte Frau von Annette von Droste-Hülshoff, 1841/42 „Ein Krämer hatte eine Frau, / Die war ihm schier zu sanft und milde, / Ihr Haar zu licht, ihr Aug‘ zu blau, / Zu gleich ihr Blick dem Mondenschilde;“ |
1841 | 2806 | die beschränkte frau von annette von droste-hülshoff ein krämer hatte eine frau die war ihm schier zu sanft und milde ihr haar zu licht ihr aug zu blau zu gleich ihr blick dem mondenschilde wenn er sie sah so still und sacht im hause gleiten wie ein schemen dann faßt es ihn wie böse macht er mußte sich zusammen nehmen vor allem macht ihm ueberdruß ein wort das sie an alles knüpfte das freilich in der rede fluß gedankenlos dem mund entschlüpfte in gottes namen sprach sie dann wenn schwere prüfungsstunden kamen und wenn zu weine ging ihr mann dann sprach sie auch in gottes namen das schien ihm lächerlich und dumm mitunter frevelhaft vermessen oft schalt er und sie weinte drum und hat es immer doch vergessen gewöhnung war es früher zeit und klösterlich verlebter jugend so war es keine sündlichkeit und war auch eben keine tugend ein sprichwort sagt wem gar nichts fehlt den ärgert an der wand die fliege so hat dies wort ihn mehr gequält als andre hinterlist und lüge und sprach sie sanft es paßte schlecht durch demuth seinen groll zu zähmen so schwur er übel oder recht werd es ihn ärgern und beschämen ein blütenhaag war seine lust einst sah die frau ihn sinnend stehen und ganz versunken unbewußt so zweig an zweig vom strauche drehen in gottes namen rief sie mann du ruinirst den ganzen hagen der gatte sah sie grimmig an fürwahr fast hätt er sie geschlagen doch wer da unglück sucht und reu dem werden sie entgegen eilen der handel ist ein zart gebäu und ruht gar sehr auf fremden säulen ein freund fallirt ein schuldner flieht ein gläubger will sich nicht gedulden und eh ein halbes jahr verzieht weiß unser krämer sich in schulden die gattin hat ihn oft gesehn gedankenvoll im sande waten am contobuche seufzend stehn und hat ihn endlich auch errathen sie öffnet heimlich ihren schrein langt aus verborgner fächer grube dann leise wie der mondenschein schlüpft sie in ihres mannes stube der saß die schwere stirn gestützt und rauchte fort am kalten rohre carl drang ein scheues flüstern itzt und wieder carl zu seinem ohre sie stand vor ihm wie blut so roth als gält es eine schuld gestehen carl sprach sie wenn uns unheil droht ists denn unmöglich ihm entgehen drauf reicht sie aus der schürze dar ein säckchen stramm und schwer zu tragen drin alles was sie achtzehn jahr erspart am eigenen behagen er sah sie an mit raschem blick und zählte zählte nun aufs neue dann sprach er seufzend mein geschick ist zu verwirrt dies langt wie spreue sie bot ein blatt und wandt sich um erzitternd glüh gleich der granate es war ihr kleines eigenthum das erbtheil einer frommen pathe nein sprach der mann das soll nicht seyn und klopfte freundlich ihre wangen dann warf er einen blick hinein und sagte dumpf schier möcht es langen nun nahm sie aus der schürze grund all ihre armen herrlichkeiten theelöffelchen dukaten rund was ihr geschenkt von kindeszeiten sie gab es mit so freudgem zug doch wars als ob ihr mund sich regte als sie zuletzt aufs contobuch der selgen mutter trauring legte fast langt es sprach gerührt der mann und dennoch kann es schmählich enden willst du dein leben dann fortan geplündert fristen mit den händen sie sah ihn an nur liebe weiß an liebem blicke so zu hangen in gottes namen sprach sie leis und weinend hielt er sie umfangen |
Die junge Mutter von Annette von Droste-Hülshoff, 1841/42 „Im grün verhangnen duftigen Gemach, / Auf weißen Kissen liegt die junge Mutter; / Wie brennt die Stirn! sie hebt das Auge schwach / Zum Bauer, wo die Nachtigall das Futter / Den nackten Jungen reicht: „mein armes Thier,““ |
1841 | 1699 | die junge mutter von annette von droste-hülshoff im grün verhangnen duftigen gemach auf weißen kissen liegt die junge mutter wie brennt die stirn sie hebt das auge schwach zum bauer wo die nachtigall das futter den nackten jungen reicht mein armes thier so flüstert sie und bist du auch gefangen gleich mir wenn draußen lenz und sonne prangen so hast du deine kleinen doch bei dir den vorhang hebt die graue wärterin und legt den finger mahnend auf die lippen die kranke dreht das schwere auge hin gefällig will sie von dem tranke nippen er mundet schon und ihre bleiche hand faßt fester den kristall o milde labe elisabet was macht mein kleiner knabe er schläft versetzt die alte abgewandt wie mag er zierlich liegen kleines ding und selig lächelnd sinkt sie in die kissen ob man den schleyer um die wiege hing den schleyer der am erndtefest zerrissen man sieht es kaum sie flickte ihn so nett daß alle frauen höchlich es gepriesen und eine ranke ließ sie drüber sprießen was leutet man im dom elisabet madame wir haben heut mariatag so hoch im mond sie kann sich nicht besinnen wie war es nur doch ihr gehirn ist schwach und leise suchend zieht sie aus den linnen ein häubchen in dem strale kümmerlich läßt sie den faden in die nadel gleiten so ganz verborgen will sie es bereiten und leise leise zieht sie stich um stich da öffnet knarrend sich die kammerthür vorsichtge schritte übern teppich schleichen ich schlafe nicht rainer komm her komm hier wann wird man endlich mir den knaben reichen der gatte blickt verstohlen himmelwärts küßt wie ein hauch die kleinen heißen hände geduld geduld mein liebchen bis zum ende du bist noch gar zu leidend gutes herz du duftest weihrauch mann ich war im dom schlaf kind und wieder gleitet er von dannen sie aber näht und liebliches phantom spielt um ihr aug von auen blumen tannen ach wenn du wieder siehst die grüne au siehst über einem kleinen hügel schwanken den tannenzweig und blumen drüber ranken dann tröste gott dich arme junge frau |
Die Schwestern von Annette von Droste-Hülshoff, 1841/42 „Sacht pochet der Käfer im morschen Schrein, / Der Mond steht über den Fichten. / „Jesus Maria, wo mag sie seyn! / Hin will meine Angst mich richten.“ |
1841 | 6439 | die schwestern von annette von droste-hülshoff sacht pochet der käfer im morschen schrein der mond steht über den fichten jesus maria wo mag sie seyn hin will meine angst mich richten helene helene was ließ ich dich gehn allein zur stadt mit den hunden du armes kind das sterbend mir auf die seele die mutter gebunden und wieder rennt gertrude den weg hinauf bis über die steige hier ist ein tobel sie lauscht am steg ein strauch sie rüttelt am zweige da drunten summet es elf im thurm gertrude kniet an der halde du armes blut du verlassener wurm wo magst du irren im walde und zitternd löst sie den rosenkranz von ihres gürtels gehänge ihr auge starret in trübem glanz ob es die dämmerung sprenge ave maria ein licht ein licht sie kommt s ist ihre laterne ach gott es ist nur ein hirtenfeur jetzt wirft es flatternde sterne vater unser der du im himmel bist geheiliget werde dein name es rauscht am hange heiliger christ es bricht und knistert im brahme und drüber streckt sich ein schlanker hals zwei glänzende augen starren ach gott es ist eine hinde nur jetzt setzt sie über die farren gertrude klimmt die halde hinauf sie steht an des raines mitte da täuscht ihr ohr ein flüchtiger lauf behend galoppirende tritte und um sie springt es in wüstem kreis und funkelt mit freudgem gestöhne fidel fidel so flüstert sie leis dann ruft sie schluchzend helene helene schallt es am felsenhang helen von des waldes kante es war ein einsamer trauriger klang den heimwärts die echo sandte wo drunten im tobel das mühlrad wacht die staubigen knecht an der wanne die haben gehorcht die ganze nacht auf das irre gespenst im tanne sie hörten sein rufen von stund zu stund sahn seiner laterne geflimmer und schlugen ein kreuz auf brust und mund zog über den tobel der schimmer und als die müllerin reisig las frühmorgens an waldes saume da fand sie die arme gertrud im gras die ängstlich zuckte im traume wie rollt in den gassen das marktgebraus welch ein getümmel geblitze hanswurst schaut über die bude hinaus und winkt mit der klingelnden mütze karossen rasseln der trinker jucht und mädchen schrein im gedränge drehorgeln pfeifen der kärrner flucht o babels würdige klänge da tritt ein weib aus der ladenthür eine schlichte frau von den flühen die stieß an den klingelnden harlekin schier und hat nicht gelacht noch geschrien ihr mattes auge sucht auf dem grund als habe sie etwas verloren und hinter ihr trabt ein zottiger hund verdutzt mit hängenden ohren zurück verwegne siehst du denn nicht den wagen die schnaubenden braunen schon dampfen die nüstern ihr am gesicht da fährt sie zurück mit staunen und ist noch über die rinne grad mit raschem sprunge gewichen als an die schürze das klirrende rad in wirbelndem schwunge gestrichen noch ein moment sie taumelt erbleicht und dann ein plötzlich erglühen o schau wie durch das gewühl sie keucht mit armen und händen und knieen sie rudert sie windet sich stoß auf stoß scheltworte und flüche wie schlossen das fürtuch reißt dann flattert es los und ist in die rinne geflossen nun steht sie vor einem stattlichen haus ohne schuh besudelt mit kothe dort hält die karosse dort schnauben aus die braunen und rauchen wie schlote der schlag ist offen und eben sieht sie im portale verschwinden eines kleides falte die purpurn glüht und den schleyer segelnd in winden ach flüstert gertrude was hab ich gemacht ich bin wohl verrückt geworden kein trost bei tag keine ruh bei nacht das kann die sinne schon morden da poltert es schreiend die stiegen hinab ein fußtritt aus dem portale und wimmernd rollt von der rampe herab ihr hund der zottige fahle ja seufzt gertrude nun ist es klar ich bin eine irre leider erglühend streicht sie zurück ihr haar und ordnet die staubigen kleider wie sah ich so deutlich ihr liebes gesicht so deutlich am schlage doch ragen allein in ewigkeit hätte sie nicht den armen fidel geschlagen zehn jahre und mancher der keck umher die funkelnden blicke geschossen der schlägt sie heute zu boden schwer und mancher hat sie geschlossen am hafendamme geht eine frau mich dünkt wir müssen sie kennen ihr haar einst schwarz nun schillerndes grau und hohl die wangen ihr brennen im topfe trägt sie den honigwab zergehend in juliushitze die trägerin trocknet den schweiß sich ab und ruft dem hinkenden spitze der sie bestellte den schiffspatron sieht über die planke sie kommen wird er ihr kümmern den kargen lohn gertrude denkt es beklommen doch nein wo sich die matrosen geschaart zum strande sieht sie ihn schreiten er schüttelt das haupt er streicht den bart und scheint auf die welle zu deuten und schau den spitz er schnuppert am grund was suchst du denn in den gleisen fidel fidel fort strauchelt der hund und heulet wie wölfe im eisen barmherziger himmel ihr wird so bang sie watet im brennenden sande und wieder erhebt sich so hohl und lang des hundes geheul vom strande o gott eine triefende leich im kies eine leich mit dem auge des stieres und drüber kreucht das zottige vlies des lahmen wimmernden thieres gertrude steht sie starret herab mit blicken irrer und irrer dann beugt sie über die leiche hinab mit lächeln wirrer und wirrer sie wiegt das haupt bald so bald so sie flüstert mit zuckendem munde und eh die zweite minute entfloh da liegt sie knieend am grunde sie faßt der todten geschwollene hand ihr haar voll muscheln und tange sie faßt ihr triefend zerlumptes gewand und säubert von kiese die wange dann sachte schiebt sie das tuch zurück recht wo die schultern sich runden so stier und bohrend verweilt ihr blick als habe sie etwas gefunden nun zuckt sie auf erhebt sich jach und stößt ein wimmernd gestöhne grad eben als der matrose sprach das ist die blonde helene noch jüngst juchheite sie dort vorbei mit trunknen soldaten am strande da that gertrud einen hohlen schrei und sank zusammen im sande jüngst stand ich unter den föhren am see meinen büchsenspanner zur seite vom hange schmählte das brünstige reh und strich durch des aufschlags breite ich hörte es knistern so nah und klar grad wo die lichtung verdämmert daß mich gestöret der holzwurm gar der unterm fuße mir hämmert dann sprang es ab es mochte die luft ihm unsre witterung tragen herr sprach der bursche links über die kluft wir müssen zur linken uns schlagen hier naht kein wild wo sie eingescharrt die tolle gertrud vom gestade ich höre genau wie der holzwurm pocht in ihrer zerfallenden lade zur seite sprang ich eisig durchgraut mir war als hab ich gesündigt indeß der bursch mit flüsterndem laut die schaurige mähre verkündigt wie jene gesucht bei tag und nacht nach dem fremden ertrunkenen weibe das ihr der tückische see gebracht verloren an seele und leibe ob ihres blutes man wußte es nicht kein fragen löste das schweigen doch schlief die welle dann sah ihr gesicht man über den spiegel sich beugen und zeigte er ihr das eigene bild dann flüsterte sie beklommen wie alt sie sieht wie irre und wild und wie entsetzlich verkommen doch wenn der sturm die woge gerührt dann war sie vom bösen geschlagen was sie für bedenkliche reden geführt das möge er lieber nicht sagen so war sie gerannt vor jahresfrist man sahs vom lavirenden schiffe zur brandung wo sie am hohlsten ist und kopfüber gefahren vom riffe drum scharrte man sie ins dickicht dort wie eine verlorene seele ich schwieg und sandte den burschen fort brach mir vom grab eine schmehle du armes gehetztes wild der pein wie mögen die menschen dich richten sacht pochte der käfer im morschen schrein der mond stand über den fichten |
Die Stiftung Cappenbergs von Annette von Droste-Hülshoff, 1841 „Der Mond mit seinem blassen Finger / Langt leise durch den Mauerspalt, / Und koset, streifend längs dem Zwinger, / Norbertus‘ Stirne feucht und kalt.“ |
1841 | 2780 | die stiftung cappenbergs von annette von droste-hülshoff der mond mit seinem blassen finger langt leise durch den mauerspalt und koset streifend längs dem zwinger norbertus stirne feucht und kalt der lehnt an bröckelndem gestein salpeterflocken seine daunen an seinem ohre heimchen raunen und wimmelnd rennt das tausendbein und überm haupte fühlt ers beben da geht es hoch da zecht es frisch in pulsen schäumend pocht das leben die humpen tanzen auf dem tisch der graf von arnsberg gibt ein fest dem schwiegersohn der graue schwäher so mehr er trinkt so wird er zäher so wirrer steht sein lockennest gern hat sein kind er dem dynasten dem reichen cappenberg vertraut nun trägt sein anker doppellasten und seinen feinden hats gegraut da kömmt auf seinem eselein norbert und macht den sohn zum pfaffen allein er wußte rat zu schaffen er pferchte den apostel ein wie keine enkel soll er wiegen soll in des eidams hora gehn und sehn sein kind am boden liegen und paternosterkugeln drehn nein heute ist der tag wo muß wo wird die sache sich erledgen und sollt er mit dem schwerte predgen ein umgekehrter carolus und gottfried spricht er junge ritter so sieh doch einmal in die höh du schaust ja in den wein so bitter wie requiem und kyrie was spinnst du an dem alten werg laß die kapuze grauen sündern und deine burg die laß den kindern dein schönes festes cappenberg und drunten in dem feuchten turme der heilge flüstert großer gott allgegenwärtger du im wurme als in der krone blankem spott wie größer deine allmacht zeigt sein füßchen das lebendig zittert als eine mauer die verwittert und ob ein babel drüber steigt ja spricht der graf den humpen schwenkend wär norbert hier dein eselmann ich ließ ihm füllen dein gedenkend und trinken möcht er was er kann doch da ihm pech und schwefel glüht was andern schächern mild und süße so bleibt er besser im verließe ein wohlkasteiter eremit und drunten sprichts mit mildem tone du der des himmels höchste zier gezogen bist zur dornenkrone auf einem still demütgen tier du der des mondes lieblichkeit in meinen kerker ließest rinnen gezähmt mir die vertrauten spinnen du milder seist gebenedeit und gottfried kämpfend mit den tränen ergreift den humpen noch gefüllt vor seinem ohr ein leises stöhnen vor seinem aug ein bleiches bild o dringen möcht er durch den stein wo seine sündgen füße stehen o einmal einmal möcht er sehen durch lichterglanz den heilgenschein ha zürnt der graf was ließ ich schenken dir meinen allerbesten wein eh möcht ich einen schädel tränken ja oder einen leichenstein gottfried gottfried ich schwör es dir so wahr ich friedrich seht ihn stocken vor seinem auge schwimmen flocken er hebt sich auf er schwankt zur tür und plötzlich auf den estrich nieder taumelt er wie ein wundes roß es zucken strecken sich die glieder welch ein getümmel in dem schloß krank dieser tot spricht jener mund ja wahrlich das ist todes miene und eine mächtige ruine liegt friedrich auf dem eignen grund die humpen sind in hast zertrümmert burgunderblut fließt übern stein die lampen mählich sind verkümmert wie erdenlust sie qualmten ein doch drüben in des klosters hut entflammte man die ewge leuchte und knieend alles volk sich beugte dem reinen wein der christi blut |
Die Vendetta von Annette von Droste-Hülshoff, 1841/42 „Ja, einen Feind hat der Kors‘, den Hund, / Luigi, den hagern Podesta, / Der den Ohm, so stark und gesund, / Ließ henken, den kühnen di Vesta.“ |
1841 | 4529 | die vendetta von annette von droste-hülshoff ja einen feind hat der kors den hund luigi den hagern podesta der den ohm so stark und gesund ließ henken den kühnen di vesta er und der rote franzose jocliffe die beiden machten ihn hangen aber der ging zu dem schmugglerschiff und liegt seit monden gefangen steht im walde geronimo und klirrend zieht aus der scheide er das messer so und so an der sohle wetzt er die schneide gleitet dann in die dämmerung dem feinde auf tod und leben mit des tieres verstümmelung ein korsisch kartell zu geben schau wie zweig an zweige er streicht kaum flüsternd die blätter schwanken gleich der gleißenden boa leicht hinquillt durch gelaub und ranken drüber träufelt das mondenlicht wie heimlicher träne klage durch eine dunkele wimper bricht nun kniet der korse am hage dort der anger und dort am hang die einsam weidende stute langsam schnaubt sie den rain entlang aus andalusischem blute hoch schneeschimmernd zum grund gebeugt den mähnumfluteten nacken nah sie näher dem hagen steigt nun wird der korse sie packen schon erfaßt er der schneide griff er reckt sich über dem kraute da ein geknister und still ein pfiff und wieder summende laute und es schreitet dem hage zu grad wo geronimo knieet nieder gleitet der kors im nu ha wie er keuchet und glühet dicht an ihm der mantel streift die ferse könnt er ihm fassen steht der hagre podest und pfeift sorella ruft er gelassen und sorella mein kluges tier der lauscher höret es stampfen über ihm mit hellem gewiehr zwei schnaubende nüstern dampfen freundlich klatscht luigi den bug liebkosend streicht er die mähnen hat nicht zärtlicher worte genug er spricht wie zu seiner schönen einen blitz aus glühendem aug und rückwärts taumelt die stute ei sorella was fehlt dir auch mein töchterchen meine gute kandiszucker langt er hervor ha wie ihre nüstern blasen wie sie naschet gespitzt das ohr und immer glotzet zum rasen einen blick der podesta scheu schießt über die glitzernde aue rückt am dolche und dann aufs neu mein schimmelchen meine graue wie er über den hag sich biegt am nacken des tieres gleitet auf geronimos auge liegt des feindes mantel gebreitet o nie hat so heiß und schwer geronimo nie gelegen jede muskel im arm fühlt er wie eine viper sich regen doch er ist ein gläubiger christ geht jede woche zur beichte hat voll andacht noch heut geküßt christoferos heilige leuchte sünde wärs das messer im schlund des ungewarnten zu bergen sonst alleine allein der hund bewaffnet und ohne schergen eine minute die schnell vergeht der korse gen himmel schaute zum patrone ein stoßgebet dann fährt er empor vom kraute blank die waffe den bug geschlitzt dann wie ein vogel zum walde schreiend vom hange die stute blitzt der richter starrt an der halde mittagsstunde der sonnenpfeil prallt an des weihen gefieder der vom gesteine grau und steil blinzt in die pinien nieder schwarz der wald eine wetternacht die aus dem äther gesunken drüber der strahl in siegespracht tanzt auf dem feinde wie trunken plötzlich zuckt es flattert der weih und klatscht in taumelnden ringen überm riffe sein wilder schrei dann steigt er wiegend die schwingen und am grunde es stampft und surrt hart unter dem felsenmale netz im haare pistol im gurt zwölf schergen reiten zu tale wo den schatten verkürzt das riff wirft über die zitternde aue starrt gefesselt der rote jocliffe hinauf zum vogel ins blaue dürr seine zunge kein tropfen labt er lacht in grimmigem hohne neben ihm der podesta trabt und pfeift sich eine kanzone rüstig stampfen die rosse fort dann halt es lagert die bande hier ein scherge ein anderer dort gestreckt im knisternden sande die zigarre läßt an den grund ihr bläuliches wölkchen schwehlen und der schlauch von mund zu mund strömt in die durstigen kehlen wie so lockend die taube lacht aus grünem duftigem haine von den zwölfen heben sich acht sie schlendern entlang das gesteine lässig spielend so sorgenbar wie junge geier im neste dieser zupfet des nachbars haar der schnitzelt am zwiebelreste einer so nach dem andern schwankt ins grün aus der sengenden hitze halt wie elektrisch feuer rankt von aug zu aug ein geblitze horch sie flüstern zwei und zwei die pinien streifen sie leise wie die hinde witternd und scheu schlüpft über befahrene gleise zwei am hange und zwei hinab und vier zur rechten und linken sachte beugen den ast sie ab ihre augen wie vipern blinken da im moose ein dürrer baum mit wunderlich brauner schale hui ein pfiff auf gekrümmtem daum und dort und drunten im tale fährt vom moose geronimo und eh ihn die schergen umschlingen wie im haid die knisternde loh ha sieh ihn flattern und springen knall auf knall eine kugel pfeift ihm durch der retilla knoten blutend er an dem gesteine läuft bis zum jocliffe dem roten hoch die rechte will er schnell sich rächen zu dieser stunde nein am rosse schreibt das kartell er rasch mit klaffender wunde hoch die linke es knallt es blitzt und taumelnd sinkt der podesta ruft der korse so hab es itzt du hund für den kühnen di vesta o geronimo hätten dich fort fort fort deine sprünge getragen als die einen am riffe dort die andern klommen am hagen schwerlich heute so mein ich klar sie würden die stadt erschrecken mit der leiche auf grüner bahr und mit dir gebunden am schecken |
Die Vergeltung von Annette von Droste-Hülshoff, 1841/42 „Der Kapitän steht an der Spiere, / Das Fernrohr in gebräunter Hand, / Dem schwarzgelockten Passagiere / Hat er den Rücken zugewandt.“ |
1841 | 3022 | die vergeltung von annette von droste-hülshoff der kapitän steht an der spiere das fernrohr in gebräunter hand dem schwarzgelockten passagiere hat er den rücken zugewandt nach einem wolkenstreif in sinnen die beiden wie zwei pfeiler sehn der fremde spricht was braut da drinnen der teufel brummt der kapitän da hebt von morschen balkens trümmer ein kranker seine feuchte stirn des aethers blau der see geflimmer ach alles quält sein fiebernd hirn er läßt die blicke schwer und düster entlängs dem harten pfühle gehn die eingegrabnen worte liest er batavia fünfhundert zehn die wolke steigt zur mittagsstunde das schiff ächzt auf der wellen höhn gezisch geheul aus wüstem grunde die bohlen weichen mit gestöhn jesus marie wir sind verloren vom mast geschleudert der matros ein dumpfer krach in aller ohren und langsam löst der bau sich los noch liegt der kranke am verdecke um seinen balken fest geklemmt da kömmt die fluth und eine strecke wird er ins wüste meer geschwemmt was nicht geläng der kräfte sporne das leistet ihm der starre krampf und wie ein narwal mit dem horne schießt fort er durch der wellen dampf wie lange so er weiß es nimmer dann trifft ein stral des auges ball und langsam schwimmt er mit der trümmer auf ödem glitzerndem kristall das schiff die mannschaft sie versanken doch nein dort auf der wasserbahn dort sieht den passagier er schwanken in einer kiste morschem kahn armselge lade sie wird sinken er strengt die heisre stimme an nur grade freund du drückst zur linken und immer näher schwankts heran und immer näher treibt die trümmer wie ein verwehtes möwennest courage ruft der kranke schwimmer mich dünkt ich sehe land im west nun rühren sich der fähren ende er sieht des fremden auges blitz da plötzlich fühlt er starke hände fühlt wüthend sich gezerrt vom sitz barmherzigkeit ich kann nicht kämpfen er klammert dort er klemmt sich hier ein heisrer schrei den wellen dämpfen am balken schwimmt der passagier dann hat er kräftig sich geschwungen und schaukelt durch das öde blau er sieht das land wie dämmerungen enttauchen und zergehn in grau noch lange ist er so geschwommen umflattert von der möve schrei dann hat ein schiff ihn aufgenommen viktoria nun ist er frei drei kurze monde sind verronnen und die fregatte liegt am strand wo mittags sich die robben sonnen und bursche klettern übern rand den mädchen ists ein abentheuer es zu erschaun vom fernen riff denn noch zerstört ist nicht geheuer das gräuliche corsarenschiff und vor der stadt da ist ein waten ein wühlen durch das kiesgeschrill da die verrufenen piraten ein jeder sterben sehen will aus strandgebälken morsch zertrümmert hat man den galgen dicht am meer in wüster eile aufgezimmert dort dräut er von der düne her welch ein getümmel an den schranken da kommt der frei der hessel jetzt da bringen sie den schwarzen franken der hat geläugnet bis zuletzt schiffbrüchig sey er hergeschwommen höhnt eine alte ei wie kühn doch keiner sprach zu seinem frommen die ganze bande gegen ihn der passagier am galgen stehend hohläugig mit zerbrochnem muth zu jedem räuber flüstert flehend was tat dir mein unschuldig bluth barmherzigkeit so muß ich sterben durch des gesindels lügenwort o mög die seele euch verderben da zieht ihn schon der scherge fort er sieht die menge wogend spalten er hört das summen im gewühl nun weiß er daß des himmels walten nur seiner pfaffen gaukelspiel und als er in des hohnes stolze will starren nach den aetherhöhn da liest er an des galgens holze bataviafünfhundertzehn |
Gethsemane von Annette von Droste-Hülshoff, vor 1848 † „Als Christus lag im Hain Gethsemane / auf seinem Antlitz mit geschloss’nen Augen, – / die Lüfte schienen Seufzer nur zu saugen, / und eine Quelle murmelte ihr Weh,“ |
1848 | 1994 | gethsemane von annette von droste-hülshoff als christus lag im hain gethsemane auf seinem antlitz mit geschlossnen augen die lüfte schienen seufzer nur zu saugen und eine quelle murmelte ihr weh des mondes blasse scheibe widerscheinend das war die stunde wo ein engel weinend von gottes throne ward herabgesandt den bittern leidenskelch in seiner hand und vor dem heiland stieg das kreuz empor daran sah seinen eignen leib er hangen zerrissen ausgespannt wie stricke drangen die sehnen an den gliedern ihm hervor die nägel sah er ragen und die krone auf seinem haupte wo an jedem dorn ein blutestropfen hing und wie im zorn murrte der donner mit verhaltnem tone ein tröpfeln hört er und am stamme leis herniederglitt ein flimmern qualverloren da seufzte christus und aus allen poren drang ihm der schweiß und dunkel ward die nacht im grauen meer schwamm eine tote sonne kaum zu schauen war noch des qualbewegten hauptes grauen im todeskampfe schwankend hin und her am kreuzesfuße lagen drei gestalten er sah sie grau wie nebelwolken liegen er hörte ihres schweren odems fliegen vor zittern rauschten ihrer kleider falten owelch ein lieben war wie seines heiß er kannte sie er hat sie wohl erkannt das menschenblut in seinen adern stand und stärker quoll der schweiß die sonnenleiche schwand nur schwarzer rauch in ihm versunken kreuz und seufzerhauch ein schweigen grauser als des donners toben schwamm durch des äthers sternenleere gassen kein lebenshauch auf weiter erde mehr ringsum ein krater ausgebrannt und leer und eine hohle stimme rief von oben mein gott mein gott wie hast du mich verlassen da weinte christus mit gebrochnem munde herr ist es möglich so laß diese stunde an mir vorübergehn ein blitz durchfuhr die nacht im lichte schwamm das kreuz ostrahlend mit den marterzeichen und millionen hände sah er reichen sich angstvoll klammernd um den blutgen stamm o händ und händchen aus den fernsten zonen und um die krone schwebten millionen noch ungeborner seelen funken gleichend ein leiser nebelhauch dem grund entschleichend stieg aus den gräbern der verstorbnen flehn da hob sich christus in der liebe fülle und vater vater rief er nicht mein wille der deine mag geschehn still schwamm der mond im blau ein lilienstengel stand vor dem heiland im betauten grün und aus dem lilienkelche trat der engel und stärkte ihn |
Kurt von Spiegel von Annette von Droste-Hülshoff, 1842 „O frommer Prälat, was ließest so hoch / Des Marschalks frevlen Mut du steigen! / War’s seine Gestalt, deren Adel dich trog, / Sein flatternder Witz unter Bechern und Reigen?“ |
1842 | 2984 | kurt von spiegel von annette von droste-hülshoff o frommer prälat was ließest so hoch des marschalks frevlen mut du steigen wars seine gestalt deren adel dich trog sein flatternder witz unter bechern und reigen o frommer bischof wie war dir zu mut als rauchend am anger unschuldiges blut verklagte verklagte dein zögerndes schweigen am wewelsberge schallt waldhurra des rosses flanke schäumt über den bügel es keucht der hirsch und dem edelwild nah ein flüchtiger dogge keucht kurt von spiegel von turmes fahne begierig horcht der arme tüncher und unbesorgt hält in der hand er den bröckelnden ziegel da horch halali das treiben ist aus des hirsches einzige träne vergossen ein hörnerstoß durch das waldige haus vereint zum geweide die zottgen genossen und bald aus der nickenden zweige geleit die treiber so stumm die ritter so breit ziehn langsam daher mit den stöhnenden rossen der spiegel spornt sein rauchendes tier verfluchte canaille du hast mich bestohlen da sieht er hoch an des turmes zimier den armen tüncher auf schwankenden bohlen ha murrt er heute nicht beute noch schuß nie kam ich noch wieder mit solchem verdruß ich möchte mir drüben den spatzen wohl holen der tüncher sieht wie er blinzelt empor und will nach dem ärmlichen hütlein greifen da sieht er drunten visieren das rohr da hört er den knall und die kugel noch pfeifen getroffen getroffen er schaukelt er dreht mit ziegel und bohle und handwerksgerät kollert er nieder zum rasigen streifen als träf ihn selber das todesgeschoß so zuckt der prälat seine augen blitzen marschalk stöhnt er die stirne wird naß am schwellenden halse zittern die spitzen dann fährt auf die wange ein glühendes rot und marschalk ruft er das bringt dir den tod greift ihn greift ihn meine treiber und schützen doch lächelnd der spiegel vom hengste schaut er lächelt umher auf die bleichen vasallen mein gnädigster herr nicht zu laut nicht zu laut eur dräuen möchte im winde verhallen dann wendet er rasch im sausenden lauf durchs tor und die donnernde brücke hinauf zu spät zu spät sind die gitter gefallen im dome zu paderborn ist verhallt das sterbegeläute des alten prälaten und wieder im dom hat kapitels gewalt den neuen beherrscher gewählt und beraten stumm fährt das gebirg und die felder hinein der neue bischof zur wewelsburg ein geleitet von summenden volkskomitaten und als nun über die brücke er rollt und sieht die massigen türme sich strecken wie ihm im busen es zittert und grollt an seiner inful o brandiger flecken des spiegels blut in dem ahnenbaum hell leis seufzet er auf dann murmelt er schnell herr truchseß laßt unsere tafel nun decken es kreisen die becher beim böllergeknall die stattlichen ritter die artigen damen sich schleudernd des witzes anmutigen ball fast von der stirne die falten ihm nahmen da horch im flure ein schreiten in eil es knarren die türen es steht eine säul der spiegel der blutige marschalk im rahmen der bischof schaut wie ein laken so bleich im weiten saal keines odems verhallen ans auge schlägt er die rechte sogleich und langsam läßt er zur seite sie fallen dann seufzt er hohl und düster und schwer kurt kurt von spiegel wie kömmst du daher greift ihn ergreift ihn ihr meine vasallen kein sünderglöckchen geläutet ward kein schandgerüst sah man zimmern und tragen doch sieben schüsse die knatterten hart und eine messe hörte man sagen der bischof schaut auf den blutigen stein dann murmelt er sacht ins breve hinein es ist doch schwer eine inful zu tragen |
Meister Gerhard von Köln von Annette von Droste-Hülshoff, 1842 „Wenn in den linden Vollmondnächten / Die Nebel lagern überm Rhein, / Und graue Silberfäden flechten / Ein Florgewand dem Heil’genschrein:“ |
1842 | 3076 | meister gerhard von köln von annette von droste-hülshoff ein notturno wenn in den linden vollmondnächten die nebel lagern überm rhein und graue silberfäden flechten ein florgewand dem heilgenschrein es träumt die waldung duftumsäumt es träumt die dunkle flutenschlange wie eine robbe liegt am hange der schürg und träumt tief zieht die nacht den feuchten odem des walles gräser zucken matt und ein verhauchter grabesbrodem liegt über der entschlafnen stadt sie hört das schlummerlied der welln das leise murmelnde geschäume und tiefer tiefer sinkt in träume das alte köln dort wo die graue kathedrale ein riesenhafter zeitentraum entsteigt dem düstern trümmermale der macht die auch zerrann wie schaum dort in der scheibe purpurrund hat taumelnd sich der strahl gegossen und sinkt und sinkt in traum zerflossen bis auf den grund wie ist es schauerlich im weiten versteinten öden palmenwald wo die gedanken niedergleiten wie anakonden schwer und kalt und blutig sich der schatten hebt am blutgen märtyrer der scheibe wie neben dem gebannten leibe die seele schwebt der ampel schein verlosch im schiffe schläft halbgeschlossen blum und kraut wie nackt gespülte uferriffe die streben lehnen tief ergraut anschwellend zum altare dort dann aufwärts dehnend lang gezogen schlingen die häupter sie zu bogen und schlummern fort und immer schwerer will es rinnen von quader säulenknauf und schaft und in dem strahle wills gewinnen ein dunstig leben geisterhaft da horch es dröhnt im turme ha die glocke summt da leise säuselt der dunst er zucket wimmelt kräuselt nun steht es da ein nebelmäntlein umgeschlagen ein graues käppchen grau gewand am grauen halse grauer kragen das richtmaß in der aschenhand durch seine glieder zitternd geht der strahl wie in verhaltner trauer doch an dem estrich an der mauer kein schatten steht es wiegt das haupt nach allen seiten unhörbar schwebt es durch den raum nun sieh es um die säulen gleiten nun fahrt es an der orgel saum und allerorten legt es an sein richtmaß webert auf und nieder und leise zuckt das spiel der glieder wie rauch im tann war das der nacht gewaltger odem ein weit zerfloßner seufzerhall ein zitterlaut ein grabesbrodem durchquillt die öden räume all und an der pforte himmelan das männlein ringt die hand die fahle dann gleitets aufwärts am portale es steht am kran und über die entschlafnen wellen die hand es mit dem richtmaß streckt ihr schlangenleib beginnt zu schwellen sie brodeln auf wie halb geweckt als drüber nun die stimme dröhnt ein dumpf verhallend fern getose wie träumend sich im wolkenschoße der donner dehnt ich habe diesen bau gestellt ich bin der geist vergangner jahre weh dieses dumpfe schlummerfeld ist schlimmer viel als totenbahre o wann wann steigt die stunde auf wo ich soll lang begrabnes schauen mein starker strom ihr meine gauen wann wacht ihr auf ich bin der wächter an dem turm mein ruf sind felsenhieroglyphen mein hornesstoß der zeitensturm allein sie schliefen schliefen schliefen und schlafen fort ich höre nicht den meißel klingen am gesteine wo tausend hände sind wie eine ich hör es nicht und kann nicht ruhn ich sehe dann zuvor den alten kran sich regen daß ich mein treues richtmaß kann in eine treue rechte legen wenn durch das land ein handschlag schallt wie einer alle pulse klopfen ein strom die millionen tropfen da silbern wallt im osten auf des morgens fahne und ein zerfloßner nebelstreif der meister fährt empor am krane mit räderknarren und gepfeif ein rauchend ungeheuer schäumt das dampfboot durch den rhein den blauen o deutsche männer deutsche frauen hab ich geträumt |
Vorgeschichte (SECOND SIGHT) von Annette von Droste-Hülshoff, 1841 „Kennst du die Blassen im Haideland, / Mit blonden flächsenen Haaren? / Mit Augen so klar wie an Weihers Rand / Die Blitze der Welle fahren? / O sprich ein Gebet, inbrünstig, ächt, / Für die Seher der Nacht, das gequälte Geschlecht.“ |
1841 | 3591 | vorgeschichte second sight von annette von droste-hülshoff kennst du die blassen im haideland mit blonden flächsenen haaren mit augen so klar wie an weihers rand die blitze der welle fahren o sprich ein gebet inbrünstig ächt für die seher der nacht das gequälte geschlecht so klar die lüfte am aether rein träumt nicht die zarteste flocke der vollmond lagert den blauen schein auf des schlafenden freiherrn locke hernieder bohrend in kalter kraft die vampyrzunge des strahles schaft der schläfer stöhnt ein traum voll noth scheint seine sinne zu quälen es zuckt die wimper ein leises roth will über die wange sich stehlen schau wie er woget und rudert und fährt wie einer so gegen den strom sich wehrt nun zuckt er auf ob ihn geträumt nicht kann er sich dessen entsinnen ihn fröstelt fröstelt obs drinnen schäumt wie fluthen zum strudel rinnen was ihn geängstet er weiß es auch es war des mondes giftiger hauch o fluch der haide gleich ahasver unterm nachtgestirne zu kreisen wenn seiner strahlen züngelndes meer aufbohret der seele schleusen und der prophet ein verzweifelnd wild kämpft gegen das mählig steigende bild im mantel schaudernd mißt das parquet der freiherr die läng und breite und wo am boden ein schimmer steht weitaus er beuget zur seite er hat einen willen und hat eine kraft die sollen nicht liegen in blutes haft es will ihn krallen es saugt ihn an wo glanz die scheiben umgleitet doch langsam weichend spann um spann wie ein wunder edelhirsch schreitet in immer engerem kreis gehetzt des lagers pfosten ergreift er zuletzt da steht er keuchend sinnt und sinnt die müde seele zu laben denkt an sein liebes einziges kind seinen zarten schwächlichen knaben ob dessen leben des vaters gebet wie eine zitternde flamme steht hat er des kleinen stammbaum doch gestellt an des lagers ende nach dem abendkusse und segen noch drüber brünstig zu falten die hände im monde flimmernd das pergament zeigt schild an schilder schier ohne end rechtsab des eigenen blutes gezweig die alten freiherrlichen wappen drei rosen im silberfelde bleich zwei wölfe schildhaltende knappen wo ros an rose sich breitet und blüht wie überm fürsten der baldachin glüht und links der milden mutter geschlecht der frommen in grabeszellen wo pfeil an pfeile wie im gefecht durch blaue lüfte sich schnellen der freiherr seufzt die stirn gesenkt und steht am fenster bevor ers denkt gefangen gefangen im kalten stral in dem nebelnetze gefangen und fest gedrückt an der scheib oval wie tropfen am glase hangen verfallen sein klares nixenaug der heidequal in des mondes hauch welch ein gewimmel er muß es sehn ein gemurmel er muß es hören wie eine säule so muß er stehn kann sich nicht regen noch kehren es summt im hofe ein dunkler hauf und einzelne laute dringen hinauf hei eine fackel sie tanzt umher sich neigend steigend in bogen und nickend zündend ein flammenheer hat den weiten estrich umzogen all schwarze gestalten im trauerflor die fackeln schwingen und halten empor und alle gereihet am mauerrand der freiherr kennet sie alle der hat ihm so oft die büchse gespannt der pflegte die ross im stalle und der so lustig die flasche leert den hat er siebzehn jahre genährt nun auch der würdige kastellan die breite pleureuse am hute den sieht er langsam schlurfend nahn wie eine gebrochene ruthe noch deckt das pflaster die dürre hand versengt erst gestern an heerdes brand ha nun das roß aus des stalles thür in schwarzem behang und flore o ists achill das getreue thier oder ists seines knaben medore er starret starrt und sieht nun auch wie es hinkt vernagelt nach altem brauch entlang der mauer das musikchor in krepp gehüllt die posaunen haucht prüfend leise cadenzen hervor wie träumende winde raunen dann alles still o angst o qual es tritt der sarg aus des schlosses portal wie prahlen die wappen farbig grell am schwarzen sammet der decke ha ros an rose der todesquell hat gespritzet blutige flecke der freiherr klammert das gitter an die andre seite stöhnet er dann da langsam wenden die träger blank mit dem monde die schilder kosen o seufzt der freiherr gott sei dank kein pfeil kein pfeil nur rosen dann hat er die lampe still entfacht und schreibt sein testament in der nacht |
Begegnung von Heinrich Heine, 1844 „Wohl unter der Linde erklingt die Musik, / Da tanzen die Burschen und Mädel, / Da tanzen zwei die niemand kennt, / Sie schau’n so schlank und edel.“Heinrich Heine |
1844 | 915 | begegnung von heinrich heine wohl unter der linde erklingt die musik da tanzen die burschen und mädel da tanzen zwei die niemand kennt sie schaun so schlank und edel sie schweben auf sie schweben ab in seltsam fremder weise sie lachen sich an sie schütteln das haupt das fräulein flüstert leise mein schöner junker auf eurem huth schwangt eine neckenlilje die wächst nur tief in meeresgrund ihr stammt nicht aus adams familie ihr seyd der wassermann ihr wollt verlocken des dorfes schönen ich hab euch erkannt beim ersten blick an euren fischgrätigen zähnen sie schweben auf sie schweben ab in seltsam fremder weise sie lachen sich an sie schütteln das haupt der junker flüstert leise mein schönes fräulein sagt mir warum so eiskalt eure hand ist sagt mir warum so naß der saum an eurem weißen gewand ist ich hab euch erkannt beim ersten blick an eurem spöttischen knixe du bist kein irdisches menschenkind du bist mein mühmchen die nixe die geigen verstummen der tanz ist aus es trennen sich höflich die beiden sie kennen sich leider viel zu gut suchen sich jetzt zu vermeiden |
Beine hat uns zwei gegeben von Heinrich Heine, vor 1856 † „Beine hat uns zwei gegeben / Gott der Herr, um fortzustreben, / Wollte nicht, daß an der Scholle / Unsre Menschheit kleben solle.“ |
1856 | 3078 | beine hat uns zwei gegeben von heinrich heine beine hat uns zwei gegeben gott der herr um fortzustreben wollte nicht daß an der scholle unsre menschheit kleben solle um ein stillstandsknecht zu sein gnügte uns ein einzges bein augen gab uns gott ein paar daß wir schauen rein und klar um zu glauben was wir lesen wär ein auge gnug gewesen gott gab uns die augen beide daß wir schauen und begaffen wie er hübsch die welt erschaffen zu des menschen augenweide doch beim gaffen in den gassen sollen wir die augen brauchen und uns dort nicht treten lassen auf die armen hühneraugen die uns ganz besonders plagen wenn wir enge stiefel tragen gott versah uns mit zwei händen daß wir doppelt gutes spenden nicht um doppelt zuzugreifen und die beute aufzuhäufen in den großen eisentruhn wie gewisse leute tun ihren namen auszusprechen dürfen wir uns nicht erfrechen hängen würden wir sie gern doch sie sind so große herrn philanthropen ehrenmänner manche sind auch unsre gönner und man macht aus deutschen eichen keine galgen für die reichen gott gab uns nur eine nase weil wir zwei in einem glase nicht hineinzubringen wüßten und den wein verschlappern müßten gott gab uns nur einen mund weil zwei mäuler ungesund mit dem einen maule schon schwätzt zu viel der erdensohn wenn er doppeltmäulig wär fräß und lög er auch noch mehr hat er jetzt das maul voll brei muß er schweigen unterdessen hätt er aber mäuler zwei löge er sogar beim fressen mit zwei ohren hat versehn uns der herr vorzüglich schön ist dabei die symmetrie sind nicht ganz so lang wie die so er unsern grauen braven kameraden anerschaffen ohren gab uns gott die beiden um von mozart gluck und hayden meisterstücke anzuhören gäb es nur tonkunstkolik und hämorrhoidalmusik von dem großen meyerbeer schon ein ohr hinlänglich wär als zur blonden teutolinde ich in solcher weise sprach seufzte sie und sagte ach grübeln über gottes gründe kritisieren unsern schöpfer ach das ist als ob der topf klüger sein wollt als der töpfer doch der mensch fragt stets warum wenn er sieht daß etwas dumm freund ich hab dir zugehört und du hast mir gut erklärt wie zum weisesten behuf gott den menschen zwiefach schuf augen ohren arm und bein wahrend er ihm gab nur ein exemplar von nas und mund doch nun sage mir den grund gott der schöpfer der natur warum schuf er einfach nur das skabröse requisit das der mann gebraucht damit er fortpflanze seine rasse und zugleich sein wasser lasse teurer freund ein duplikat wäre wahrlich hier vonnöten um funktionen zu vertreten die so wichtig für den staat wie fürs individuum kurz fürs ganze publikum zwei funktionen die so greulich und so schimpflich und abscheulich miteinander kontrastieren und die menschheit sehr blamieren eine jungfrau von gemüt muß sich schämen wenn sie sieht wie ihr höchstes ideal wird entweiht so trivial wie der hochaltar der minne wird zur ganz gemeinen rinne psyche schaudert denn der kleine gott amur der finsternis er verwandelt sich beim scheine ihrer lamp in mankepiß also teutolinde sprach und ich sagte ihr gemach unklug wie die weiber sind du verstehst nicht liebes kind gottes nützlichkeitssystem sein ökonomieproblem ist daß wechselnd die maschinen jeglichem bedürfnis dienen den profanen wie den heilgen den pikanten wie langweilgen alles wird simplifiziert klug ist alles kombiniert was dem menschen dient zum seichen damit schafft er seinesgleichen auf demselben dudelsack spielt dasselbe lumpenpack feine pfote derbe patsche fiddelt auf derselben bratsche durch dieselben dämpfe räder springt und singt und gähnt ein jeder und derselbe omnibus fährt uns nach dem tartarus |
Belsazar von Heinrich Heine, 1820 „Die Mitternacht zog näher schon; / In stummer Ruh lag Babylon. // Nur oben in des Königs Schloss, / Da flackert’s, da lärmt des Königs Tross. // Dort oben in dem Königssaal / Belsazar hielt sein Königsmahl.“ |
1820 | 1321 | belsazar von heinrich heine die mitternacht zog näher schon in stummer ruh lag babylon nur oben in des königs schloss da flackerts da lärmt des königs tross dort oben in dem königssaal belsazar hielt sein königsmahl die knechte saßen in schimmernden reihn und leerten die becher mit funkelndem wein es klirrten die becher es jauchzten die knecht so klang es dem störrigen könige recht des königs wangen leuchten glut im wein erwuchs ihm kecker mut und blindlings reißt der mut ihn fort und er lästert die gottheit mit sündigem wort und er brüstet sich frech und lästert wild der knechtenschar ihm beifall brüllt der könig rief mit stolzem blick der diener eilt und kehrt zurück er trug viel gülden gerät auf dem haupt das war aus dem tempel jehovahs geraubt und der könig ergriff mit frevler hand einen heiligen becher gefüllt bis am rand und er leert ihn hastig bis auf den grund und rufet laut mit schäumendem mund jehovah dir künd ich auf ewig hohn ich bin der könig von babylon doch kaum das grause wort verklang dem könig wards heimlich im busen bang das gellende lachen verstummte zumal es wurde leichenstill im saal und sieh und sieh an weißer wand da kams hervor wie menschenhand und schrieb und schrieb an weißer wand buchstaben von feuer und schrieb und schwand der könig stieren blicks da saß mit schlotternden knien und totenblass die knechtenschar saß kalt durchgraut und saß gar still gab keinen laut die magier kamen doch keiner verstand zu deuten die flammenschrift an der wand belsazar ward aber in selbiger nacht von seinen knechten umgebracht |
Der Dichter Firdusi von Heinrich Heine, 1851 „Goldne Menschen, Silbermenschen! / Spricht ein Lump von einem Toman, / Ist die Rede nur von Silber, / Ist gemeint ein Silbertoman.“ |
1851 | 4440 | der dichter firdusi von heinrich heine goldne menschen silbermenschen spricht ein lump von einem toman ist die rede nur von silber ist gemeint ein silbertoman doch im munde eines fürsten eines schaches ist ein toman gülden stets ein schach empfängt und er gibt nur goldne toman also denken brave leute also dachte auch firdusi der verfasser des berühmten und vergötterten schach nameh dieses große heldenlied schrieb er auf geheiß des schaches der für jeden seiner verse einen toman ihm versprochen siebzehnmal die rose blühte siebzehnmal ist sie verwelket und die nachtigall besang sie und verstummte siebzehnmal unterdessen saß der dichter an dem webstuhl des gedankens tag und nacht und webte emsig seines liedes riesenteppich riesenteppich wo der dichter wunderbar hineingewebt seiner heimat fabelchronik farsistans uralte könge lieblingshelden seines volkes rittertaten aventüren zauberwesen und dämonen keck umrankt von märchenblumen alles blühend und lebendig farbenglänzend glühend brennend und wie himmlisch angestrahlt von dem heilgen lichte irans von dem göttlich reinen urlicht dessen letzter feuertempel trotz dem koran und dem mufti in des dichters herzen flammte als vollendet war das lied überschickte seinem gönner der poet das manuskript zweimalhunderttausend verse in der badestube war es in der badestub zu gasna wo des schaches schwarze boten den firdusi angetroffen jeder schleppte einen geldsack den er zu des dichters füßen kniend legte als den hohen ehrensold für seine dichtung der poet riß auf die säcke hastig um am lang entbehrten goldesanblick sich zu laben da gewahrt er mit bestürzung daß der inhalt dieser säcke bleiches silber silbertomans zweimalhunderttausend etwa und der dichter lachte bitter bitter lachend hat er jene summe abgeteilt in drei gleiche teile und jedwedem von den beiden schwarzen boten schenkte er als botenlohn solch ein drittel und das dritte gab er einem badeknechte der sein bad besorgt als trinkgeld seinen wanderstab ergriff er jetzo und verließ die hauptstadt vor dem tor hat er den staub abgefegt von seinen schuhen hätt er menschlich ordinär nicht gehalten was versprochen hätt er nur sein wort gebrochen zürnen wollt ich nimmermehr aber unverzeihlich ist daß er mich getäuscht so schnöde durch den doppelsinn der rede und des schweigens größre list stattlich war er würdevoll von gestalt und von gebärden wenge glichen ihm auf erden war ein könig jeder zoll wie die sonn am himmelsbogen feuerblicks sah er mich an er der wahrheit stolzer mann und er hat mich doch belogen schach mahomet hat gut gespeist und gut gelaunet ist sein geist im dämmernden garten auf purpurnem pfühl am springbrunn sitzt er das plätschert so kühl die diener stehen mit ehrfurchtsmienen sein liebling ansari ist unter ihnen aus marmorvasen quillt hervor ein üppig brennender blumenflor gleich odalisken anmutiglich die schlanken palmen fächern sich es stehen regungslos die zypressen wie himmelträumend wie weltvergessen doch plötzlich erklingt bei lautenklang ein sanft geheimnisvoller gesang der schach fährt auf als wie behext von wem ist dieses liedes text ansari an welchen die frage gerichtet gab antwort das hat firdusi gedichtet firdusi rief der fürst betreten wo ist er wie geht es dem großen poeten ansari gab antwort in dürftigkeit und elend lebt er seit langer zeit zu thus des dichters vaterstadt wo er ein kleines gärtchen hat schach mahomet schwieg eine gute weile dann sprach er ansari mein auftrag hat eile geh nach meinen ställen und erwähle dort hundert maultiere und funfzig kamele die sollst du belasten mit allen schätzen die eines menschen herz ergötzen mit herrlichkeiten und raritäten kostbaren kleidern und hausgeräten von sandelholz von elfenbein mit güldnen und silbernen schnurrpfeiferein kannen und kelchen zierlich gehenkelt lepardenfellen groß gesprenkelt mit teppichen schals und reichen brokaten die fabriziert in meinen staaten vergiß nicht auch hinzuzupacken glänzende waffen und schabracken nicht minder getränke jeder art und speisen die man in töpfen bewahrt auch konfitüren und mandeltorten und pfefferkuchen von allen sorten füge hinzu ein dutzend gäule arabischer zucht geschwind wie pfeile und schwarze sklaven gleichfalls ein dutzend leiber von erz strapazentrutzend ansari mit diesen schönen sachen sollst du dich gleich auf die reise machen du sollst sie bringen nebst meinem gruß dem großen dichter firdusi zu thus ansari erfüllte des herrschers befehle belud die mäuler und kamele mit ehrengeschenken die wohl den zins gekostet von einer ganzen provinz nach dreien tagen verließ er schon die residenz und in eigner person mit einer roten führerfahne ritt er voran der karawane am achten tage erreichten sie thus die stadt liegt an des berges fuß wohl durch das westtor zog herein die karawane mit lärmen und schrein die trommel scholl das kuhhorn klang und lautaufjubelt triumphgesang la illa il allah aus voller kehle jauchzten die treiber der kamele doch durch das osttor am andern end von thus zog in demselben moment zur stadt hinaus der leichenzug der den toten firdusi zu grabe trug |
Der tugendhafte Hund von Heinrich Heine, 1855 „Ein Pudel, der mit gutem Fug / Den schönen Namen Brutus trug, / War vielberühmt im ganzen Land / Ob seiner Tugend und seinem Verstand.“ |
1855 | 1554 | der tugendhafte hund von heinrich heine ein pudel der mit gutem fug den schönen namen brutus trug war vielberühmt im ganzen land ob seiner tugend und seinem verstand er war ein muster der sittlichkeit der langmut und bescheidenheit man hörte ihn loben man hörte ihn preisen als einen vierfüßigen nathan den weisen er war ein wahres hundejuwel so ehrlich und treu eine schöne seel auch schenkte sein herr in allen stücken ihm volles vertrauen er konnte ihn schicken sogar zum fleischer der edle hund trug dann einen hängekorb im mund worin der metzger das schöngehackte rindfleisch schaffleisch auch schweinefleisch packte wie lieblich und lockend das fett gerochen der brutus berührte keinen knochen und ruhig und sicher mit stoischer würde trug er nach hause die kostbare bürde doch unter den hunden wird gefunden auch eine menge von lumpenhunden wie unter uns gemeine köter tagdiebe neidharde schwerenöter die ohne sinn für sittliche freuden im sinnenrausch ihr leben vergeuden verschworen hatten sich solche racker gegen den brutus der treu und wacker mit seinem korb im maule nicht gewichen von dem pfad der pflicht und eines tages als er kam vom fleischer und seinen rückweg nahm nach hause da ward er plötzlich von allen verschwornen bestien überfallen da ward ihm der korb mit dem fleisch entrissen da fielen zu boden die leckersten bissen und fraßbegierig über die beute warf sich die ganze hungrige meute brutus sah anfangs dem schauspiel zu mit philosophischer seelenruh doch als er sah daß solchermaßen sämtliche hunde schmausten und fraßen da nahm auch er an der mahlzeit teil und speiste selbst eine schöpsenkeul moral auch du mein brutus auch du du frißt so ruft wehmütig der moralist ja böses beispiel kann verführen und ach gleich allen säugetieren nicht ganz und gar vollkommen ist der tugendhafte hund er frißt |
Die Grenadiere von Heinrich Heine, 1822 „Nach Frankreich zogen zwei Grenadier’, / Die waren in Rußland gefangen. / Und als sie kamen in’s deutsche Quartier, / Sie ließen die Köpfe hangen.“ |
1822 | 1064 | die grenadiere von heinrich heine nach frankreich zogen zwei grenadier die waren in rußland gefangen und als sie kamen ins deutsche quartier sie ließen die köpfe hangen da hörten sie beide die traurige mähr daß frankreich verloren gegangen besiegt und zerschlagen das tapfere heer und der kaiser der kaiser gefangen da weinten zusammen die grenadier wohl ob der kläglichen kunde der eine sprach wie weh wird mir wie brennt meine alte wunde der andre sprach das lied ist aus auch ich möcht mit dir sterben doch hab ich weib und kind zu haus die ohne mich verderben was scheert mich weib was scheert mich kind ich trage weit bessres verlangen laß sie betteln gehen wenn sie hungrig sind mein kaiser mein kaiser gefangen gewähr mir bruder eine bitt wenn ich jetzt sterben werde so nimm meine leiche nach frankreich mit begrab mich in frankreichs erde das ehrenkreuz am rothen band sollst du aufs herz mir legen die flinte gieb mir in die hand und gürt mir um den degen so will ich liegen und horchen still wie eine schildwach im grabe bis einst ich höre kanonengebrüll und wiehernder rosse getrabe dann reitet mein kaiser wohl über mein grab viel schwerter klirren und blitzen dann steig ich gewaffnet hervor aus dem grab den kaiser den kaiser zu schützen |
Die Nixen von Heinrich Heine, 1844 „Am einsamen Strande plätschert die Fluth, / Der Mond ist aufgegangen, / Auf weißer Dühne der Ritter ruht, / Von bunten Träumen befangen.“ |
1844 | 779 | die nixen von heinrich heine am einsamen strande plätschert die fluth der mond ist aufgegangen auf weißer dühne der ritter ruht von bunten träumen befangen die schönen nixen im schleyergewand entsteigen der meerestiefe sie nahen sich leise dem jungen fant sie glaubten wahrhaftig er schliefe die eine betastet mit neubegier die federn auf seinem barette die andre nestelt am bandelier und an der waffenkette die dritte lacht und ihr auge blitzt sie zieht das schwert aus der scheide und auf dem blanken schwert gestützt beschaut sie den ritter mit freude die vierte tänzelt wohl hin und her und flüstert aus tiefem gemüthe o daß ich doch dein liebchen wär du holde menschenblüthe die fünfte küßt des ritters händ mit sehnsucht und verlangen die sechste zögert und küßt am end die lippen und die wangen der ritter ist klug es fällt ihm nicht ein die augen öffnen zu müssen er läßt sich ruhig im mondenschein von schönen nixen küssen |
Das Lied vom blöden Ritter von Heinrich Heine, vor 1856 † „Es war mal ein Ritter trübselig und stumm, / Mit hohlen, schneeweißen Wangen; / Er schwankte und schlenderte schlotternd herum, / In dumpfen Träumen befangen.“ |
1856 | 1358 | das lied vom blöden ritter von heinrich heine es war mal ein ritter trübselig und stumm mit hohlen schneeweißen wangen er schwankte und schlenderte schlotternd herum in dumpfen träumen befangen er war so hölzern so täppisch so links die blümlein und mägdlein die kicherten rings wenn er stolpernd vorbeigegangen oft saß er im finstersten winkel zu haus er hatt sich vor menschen verkrochen da streckte er sehnend die arme aus doch hat er kein wörtlein gesprochen kam aber die mitternachtstunde heran ein seltsames singen und klingen begann an die türe da hört er es pochen da kommt seine liebste geschlichen herein im rauschenden wellenschaumkleide sie blüht und glüht wie ein röselein ihr schleier ist eitel geschmeide goldlocken umspielen die schlanke gestalt die äuglein grüßen mit süßer gewalt in die arme sinken sich beide der ritter umschlingt sie mit liebesmacht der hölzerne steht jetzt in feuer der blasse errötet der träumer erwacht der blöde wird freier und freier sie aber sie hat ihn gar schalkhaft geneckt sie hat ihm ganz leise den kopf bedeckt mit dem weißen demantenen schleier in einen kristallenen wasserpalast ist plötzlich gezaubert der ritter er staunt und die augen erblinden ihm fast vor alle dem glanz und geflitter doch hält ihn die nixe umarmet gar traut der ritter ist bräutgam die nixe ist braut ihre jungfraun spielen die zither sie spielen und singen und singen so schön und heben zum tanze die füße dem ritter dem wollen die sinne vergehn und fester umschließt er die süße da löschen auf einmal die lichter aus der ritter sitzt wieder ganz einsam zu haus in dem düstern poetenstübchen |
Das Sklavenschiff von Heinrich Heine, 1854 (?) „Der Superkargo Mynher van Koek / Sitzt rechnend in seiner Kajüte; / Er kalkuliert der Ladung Betrag / Und die probabeln Profite.“ |
1854 | 2354 | das sklavenschiff von heinrich heine der superkargo mynher van koek sitzt rechnend in seiner kajüte er kalkuliert der ladung betrag und die probabeln profite der gummi ist gut der pfeffer ist gut dreihundert säcke und fässer ich habe goldstaub und elfenbein die schwarze ware ist besser sechshundert neger tauschte ich ein spottwohlfeil am senegalflusse das fleisch ist hart die sehnen sind stramm wie eisen vom besten gusse ich hab zum tausche branntewein glasperlen und stahlzeug gegeben gewinne daran achthundert prozent bleibt mir die hälfte am leben bleiben mir neger dreihundert nur im hafen von riojaneiro zahlt dort mir hundert dukaten per stück das haus gonzales perreiro da plötzlich wird mynher van koek aus seinen gedanken gerissen der schiffschirurgius tritt herein der doktor van der smissen das ist eine klapperdürre figur die nase voll roter warzen nun wasserfeldscherer ruft van koek wie gehts meinen lieben schwarzen der doktor dankt der nachfrage und spricht ich bin zu melden gekommen daß heute nacht die sterblichkeit bedeutend zugenommen im durchschnitt starben täglich zwei doch heute starben sieben vier männer drei frauen ich hab den verlust sogleich in die kladde geschrieben ich inspizierte die leichen genau denn diese schelme stellen sich manchmal tot damit man sie hinabwirft in die wellen ich nahm den toten die eisen ab und wie ich gewöhnlich tue ich ließ die leichen werfen ins meer des morgens in der fruhe es schossen alsbald hervor aus der flut haifische ganze heere sie lieben so sehr das negerfleisch das sind meine pensionäre sie folgten unseres schiffes spur seit wir verlassen die küste die bestien wittern den leichengeruch mit schnupperndem fraßgelüste es ist possierlich anzusehn wie sie nach den toten schnappen die faßt den kopf die faßt das bein die andern schlucken die lappen ist alles verschlungen dann tummeln sie sich vergnügt um des schiffes planken und glotzen mich an als wollten sie sich für das frühstück bedanken doch seufzend fällt ihm in die red van koek wie kann ich lindern das übel wie kann ich die progression der sterblichkeit verhindern der doktor erwidert durch eigne schuld sind viele schwarze gestorben ihr schlechter odem hat die luft im schiffsraum so sehr verdorben auch starben viele durch melancholie dieweil sie sich tödlich langweilen durch etwas luft musik und tanz läßt sich die krankheit heilen da ruft van koek ein guter rat mein teurer wasserfeldscherer ist klug wie aristoteles des alexanders lehrer der präsident der sozietät der tulpenveredlung im delfte ist sehr gescheit doch hat er nicht von eurem verstande die hälfte musik musik die schwarzen solln hier auf dem verdecke tanzen und wer sich beim hopsen nicht amüsiert den soll die peitsche kuranzen |
Die schlesischen Weber von Heinrich Heine, 1844 „Im düstern Auge keine Thräne, / Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne: / Deutschland, wir weben Dein Leichentuch, / Wir weben hinein den dreifachen Fluch – / Wir weben, wir weben!“ |
1844 | 744 | die schlesischen weber von heinrich heine im düstern auge keine thräne sie sitzen am webstuhl und fletschen die zähne deutschland wir weben dein leichentuch wir weben hinein den dreifachen fluch wir weben wir weben ein fluch dem gotte zu dem wir gebeten in winterskälte und hungersnöthen wir haben vergebens gehofft und geharrt er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt wir weben wir weben ein fluch dem könig dem könig der reichen den unser elend nicht konnte erweichen der den letzten groschen von uns erpreßt und uns wie hunde erschießen läßt wir weben wir weben ein fluch dem falschen vaterlande wo nur gedeihen schmach und schande wo jede blume früh geknickt wo fäulniß und moder den wurm erquickt wir weben wir weben das schiffchen fliegt der webstuhl kracht wir weben emsig tag und nacht altdeutschland wir weben dein leichentuch wir weben hinein den dreifachen fluch wir weben wir weben |
Die Wallfahrt nach Kevlaar von Heinrich Heine, 1823/24 „Am Fenster stand die Mutter, / Im Bette lag der Sohn. / »Willst du nicht aufstehn, Wilhelm, / Zu schaun die Prozession?«“ |
1823 | 1902 | die wallfahrt nach kevlaar von heinrich heine am fenster stand die mutter im bette lag der sohn willst du nicht aufstehn wilhelm zu schaun die prozession ich bin so krank o mutter daß ich nicht hör und seh ich denk an das tote gretchen da tut das herz mir weh steh auf wir wollen nach kevlaar nimm buch und rosenkranz die mutter gottes heilt dir dein krankes herze ganz es flattern die kirchenfahnen es singt im kirchenton das ist zu köllen am rheine da geht die prozession die mutter folgt der menge den sohn den führet sie sie singen beide im chore gelobt seist du marie die mutter gottes zu kevlaar trägt heut ihr bestes kleid heut hat sie viel zu schaffen es kommen viel kranke leut die kranken leute bringen ihr dar als opferspend aus wachs gebildete glieder viel wächserne füß und händ und wer eine wachshand opfert dem heilt an der hand die wund und wer einen wachsfuß opfert dem wird der fuß gesund nach kevlaar ging mancher auf krücken der jetzo tanzt auf dem seil gar mancher spielt jetzt die bratsche dem dort kein finger war heil die mutter nahm ein wachslicht und bildete draus ein herz bring das der mutter gottes dann heilt sie deinen schmerz der sohn nahm seufzend das wachsherz ging seufzend zum heilgenbild die träne quillt aus dem auge das wort aus dem herzen quillt du hochgebenedeite du reine gottesmagd du königin des himmels dir sei mein leid geklagt ich wohnte mit meiner mutter zu köllen in der stadt der stadt die viele hundert kapellen und kirchen hat und neben uns wohnte gretchen doch die ist tot jetzund marie dir bring ich ein wachsherz heil du meine herzenswund heil du mein krankes herze ich will auch spät und früh inbrünstiglich beten und singen gelobt seist du marie der kranke sohn und die mutter die schliefen im kämmerlein da kam die mutter gottes ganz leise geschlichen herein sie beugte sich über den kranken und legte ihre hand ganz leise auf sein herze und lächelte mild und schwand die mutter schaut alles im traume und hat noch mehr geschaut sie erwachte aus dem schlummer die hunde bellten so laut da lag dahingestrecket ihr sohn und der war tot es spielt auf den bleichen wangen das lichte morgenrot die mutter faltet die hände ihr war sie wußte nicht wie andächtig sang sie leise gelobt seist du marie |
Donna Clara von Heinrich Heine, 1823/24 „In dem abendlichen Garten / Wandelt des Alkaden Tochter; / Pauken- und Trommetenjubel / Klingt herunter von dem Schlosse.“ |
1823 | 2310 | donna clara von heinrich heine in dem abendlichen garten wandelt des alkaden tochter pauken und trommetenjubel klingt herunter von dem schlosse lästig werden mir die tänze und die süßen schmeichelworte und die ritter die so zierlich mich vergleichen mit der sonne überlästig wird mir alles seit ich sah beim strahl des mondes jenen ritter dessen laute nächtens mich ans fenster lockte wie er stand so schlank und mutig und die augen leuchtend schossen aus dem edelblassen antlitz glich er wahrlich sankt georgen also dachte donna clara und sie schaute auf den boden wie sie aufblickt steht der schöne unbekannte ritter vor ihr händedrückend liebeflüsternd wandeln sie umher im mondschein und der zephir schmeichelt freundlich märchenartig grüßen rosen märchenartig grüßen rosen und sie glühn wie liebesboten aber sage mir geliebte warum du so plötzlich rot wirst mücken stachen mich geliebter und die mücken sind im sommer mir so tief verhaßt als wärens langenasge judenrotten laß die mücken und die juden spricht der ritter freundlich kosend von den mandelbäumen fallen tausend weiße blütenflocken tausend weiße blütenflocken haben ihren duft ergossen aber sage mir geliebte ist dein herz mir ganz gewogen ja ich liebe dich geliebter bei dem heiland seis geschworen den die gottverfluchten juden boshaft tückisch einst ermordet laß den heiland und die juden spricht der ritter freundlich kosend in der ferne schwanken traumhaft weiße liljen lichtumflossen weiße liljen lichtumflossen blicken nach den sternen droben aber sage mir geliebte hast du auch nicht falsch geschworen falsch ist nicht in mir geliebter wie in meiner brust kein tropfen blut ist von dem blut der mohren und des schmutzgen judenvolkes laß die mohren und die juden spricht der ritter freundlich kosend und nach einer myrtenlaube führt er die alkadentochter mit den weichen liebesnetzen hat er heimlich sie umflochten kurze worte lange küsse und die herzen überflossen wie ein schmelzend süßes brautlied singt die nachtigall die holde wie zum fackeltanze hüpfen feuerwürmchen auf dem boden in der laube wird es stiller und man hört nur wie verstohlen das geflüster kluger myrten und der blumen atemholen aber pauken und trommeten schallen plötzlich aus dem schlosse und erwachend hat sich clara aus des ritters arm gezogen horch da ruft es mich geliebter doch bevor wir scheiden sollst du nennen deinen lieben namen den du mir so lang verborgen und der ritter heiter lächelnd küßt die finger seiner donna küßt die lippen und die stirne und er spricht zuletzt die worte ich sennora eur geliebter bin der sohn des vielbelobten großen schriftgelehrten rabbi israel von saragossa |
Es war ein alter König von Heinrich Heine, 1844 „Es war ein alter König, / Sein Herz war schwer, sein Haupt war grau; / Der arme alte König, / Er nahm eine junge Frau.“ |
1844 | 286 | es war ein alter könig von heinrich heine es war ein alter könig sein herz war schwer sein haupt war grau der arme alte könig er nahm eine junge frau es war ein schöner page blond war sein haupt leicht war sein sinn er trug die seidne schleppe der jungen königin kennst du das alte liedchen es klingt so süß es klingt so trüb sie mußten beide sterben sie hatten sich viel zu lieb |
Frau Mette von Heinrich Heine, 1844 „Herr Peter und Bender saßen beim Wein, / Herr Bender sprach: »Ich wette, / Bezwänge dein Singen die ganze Welt, / Doch nimmer bezwingt es Frau Mette.«“ |
1844 | 1663 | frau mette von heinrich heine herr peter und bender saßen beim wein herr bender sprach ich wette bezwänge dein singen die ganze welt doch nimmer bezwingt es frau mette herr peter sprach ich wette mein roß wohl gegen deine hunde frau mette sing ich nach meinem hof noch heut in der mitternachtsstunde und als die mitternachtsstunde kam herr peter hub an zu singen wohl über den fluß wohl über den wald die süßen töne dringen die tannenbäume horchen so still die flut hört auf zu rauschen am himmel zittert der blasse mond die klugen sterne lauschen frau mette erwacht aus ihrem schlaf wer singt vor meiner kammer sie achselt ihr kleid sie schreitet hinaus das ward zu großem jammer wohl durch den wald wohl durch den fluß sie schreitet unaufhaltsam herr peter zog sie nach seinem hof mit seinem liede gewaltsam und als sie morgens nach hause kam vor der türe stand herr bender frau mette wo bist du gewesen zur nacht es triefen deine gewänder ich war heut nacht am nixenfluß da hört ich prophezeien es plätscherten und bespritzten mich die neckenden wasserfeien am nixenfluß ist feiner sand dort bist du nicht gegangen zerrissen und blutig sind deine füß auch bluten deine wangen ich war heut nacht im elfenwald zu schaun den elfenreigen ich hab mir verwundet fuß und gesicht an dornen und tannenzweigen die elfen tanzen im monat mai auf weichen blumenfeldern jetzt aber herrscht der kalte herbst und heult der wind in den wäldern bei peter nilsen war ich heut nacht er sang und zaubergewaltsam wohl durch den wald wohl durch den fluß es zog mich unaufhaltsam sein lied ist stark als wie der tod es lockt in nacht und verderben noch brennt mir im herzen die tönende glut ich weiß jetzt muß ich sterben die kirchentür ist schwarz behängt die trauerglocken läuten das soll den jämmerlichen tod der armen frau mette bedeuten herr bender steht vor der leichenbahr und seufzt aus herzensgrunde nun hab ich verloren mein schönes weib und meine treuen hunde |
Jammertal von Heinrich Heine, vor 1856 † „Der Nachtwind durch die Luken pfeift, / Und auf dem Dachstublager / Zwei arme Seelen gebettet sind; / Sie schauen so blaß und mager.“ |
1856 | 773 | jammertal von heinrich heine der nachtwind durch die luken pfeift und auf dem dachstublager zwei arme seelen gebettet sind sie schauen so blaß und mager die eine arme seele spricht umschling mich mit deinen armen an meinen mund drück fest deinen mund ich will an dir erwarmen die andere arme seele spricht wenn ich dein auge sehe verschwindet mein elend der hunger der frost und all mein erdenwehe sie küßten sich viel sie weinten noch mehr sie drückten sich seufzend die hände sie lachten manchmal und sangen sogar und sie verstummten am ende am morgen kam der kommissär und mit ihm kam ein braver chirurgus welcher konstatiert den tod der beiden kadaver die strenge wittrung erklärte er mit magenleere vereinigt hat beider ableben verursacht sie hat zum mindesten solches beschleunigt wenn fröste eintreten setzt er hinzu sei höchst notwendig verwahrung durch wollene decken er empfahl gleichfalls gesunde nahrung |
Karl I. von Heinrich Heine, vor 1856 † „Im Wald, in der Köhlerhütte, sitzt / Trübsinnig allein der König; / Er sitzt an der Wiege des Köhlerkinds / Und wiegt und singt eintönig:“ |
1856 | 1017 | karl i von heinrich heine im wald in der köhlerhütte sitzt trübsinnig allein der könig er sitzt an der wiege des köhlerkinds und wiegt und singt eintönig eiapopeia was raschelt im stroh es blöken im stalle die schafe du trägst das zeichen an der stirn und lächelst so furchtbar im schlafe eiapopeia das kätzchen ist tot du trägst auf der stirne das zeichen du wirst ein mann und schwingst das beil schon zittern im walde die eichen der alte köhlerglaube verschwand es glauben die köhlerkinder eiapopeia nicht mehr an gott und an den könig noch minder das kätzchen ist tot die mäuschen sind froh wir müssen zu schanden werden eiapopeia im himmel der gott und ich der könig auf erden mein mut erlischt mein herz ist krank und täglich wird es kränker eiapopeia du köhlerkind ich weiß es du bist mein henker mein todesgesang ist dein wiegenlied eiapopeia die greisen haarlocken schneidest du ab zuvor im nacken klirrt mir das eisen eiapopeia was raschelt im stroh du hast das reich erworben und schlägst mir das haupt vom rumpf herab das kätzchen ist gestorben eiapopeia was raschelt im stroh es blöken im stalle die schafe das kätzchen ist tot die mäuschen sind froh schlafe mein henkerchen schlafe |
König Harald Harfagar von Heinrich Heine, 1844 „Der König Harald Harfagar / Sitzt unten in Meeresgründen / Bei seiner schönen Wasserfee; / Die Jahre kommen und schwinden.“ |
1844 | 891 | könig harald harfagar von heinrich heine der könig harald harfagar sitzt unten in meeresgründen bei seiner schönen wasserfee die jahre kommen und schwinden von nixenzauber gebannt und gefeit er kann nicht leben nicht sterben zweihundert jahre dauert schon sein seliges verderben des königs haupt liegt auf dem schoß der holden frau und mit schmachten schaut er nach ihren augen empor kann nicht genug sie betrachten sein goldnes haar ward silbergrau es treten die backenknochen gespenstisch hervor aus dem gelben gesicht der leib ist welk und gebrochen manchmal aus seinem liebestraum wird er plötzlich aufgeschüttert denn droben stürmt so wild die flut und das gläserne schloß erzittert manchmal ist ihm als hört er im wind normannenruf erschallen er hebt die arme mit freudiger hast läßt traurig sie wieder fallen manchmal ist ihm als hört er gar wie die schiffer singen hier oben und den könig harald harfagar im heldenliede loben der könig stöhnt und schluchzt und weint alsdann aus herzensgrunde schnell beugt sich hinab die wasserfee und küßt ihn mit lachendem munde |
Marie Antoinette von Heinrich Heine, 1851 „Wie heiter im Tuilerienschloß / Blinken die Spiegelfenster, / Und dennoch dort am hellen Tag / Gehn um die alten Gespenster.“ |
1851 | 1602 | marie antoinette von heinrich heine wie heiter im tuilerienschloß blinken die spiegelfenster und dennoch dort am hellen tag gehn um die alten gespenster es spukt im pavillon de flor maria antoinette sie hält dort morgens ihre lever mit strenger etikette geputzte hofdamen die meisten stehn auf tabourets andre sitzen die kleider von atlas und goldbrokat behängt mit juwelen und spitzen die taille ist schmal der reifrock bauscht darunter lauschen die netten hochhackigen füßchen so klug hervor ach wenn sie nur köpfe hätten sie haben alle keinen kopf der königin selbst mankieret der kopf und ihro majestät ist deshalb nicht frisieret ja sie die mit turmhohem toupet so stolz sich konnte gebaren die tochter maria theresias die enkelin deutscher cäsaren sie muß jetzt spuken ohne frisur und ohne kopf im kreise von unfrisierten edelfraun die kopflos gleicherweise das sind die folgen der revolution und ihrer fatalen doktrine an allem ist schuld jean jacques rousseau voltaire und die guillotine doch sonderbar es dünkt mich schier als hätten die armen geschöpfe gar nicht bemerkt wie tot sie sind und daß sie verloren die köpfe ein leeres gespreize ganz wie sonst ein abgeschmacktes scherwenzen possierlich sind und schauderhaft die kopflosen reverenzen es knickt die erste dame datour und bringt ein hemd von linnen die zweite reicht es der königin und beide knicksen von hinnen die dritte dam und die vierte dam knicksen und niederknieen vor ihrer majestät um ihr die strümpfe anzuziehen ein ehrenfräulein kommt und knickst und bringt das morgenjäckchen ein andres fräulein knickst und bringt der königin unterröckchen die oberhofmeisterin steht dabei sie fächert die brust die weiße und in ermanglung eines kopfs lächelt sie mit dem steiße wohl durch die verhängten fenster wirft die sonne neugierige blicke doch wie sie gewahrt den alten spuk prallt sie erschrocken zurücke |
Rhampsenit von Heinrich Heine, vor 1851 † „Als der König Rhampsenit / Eintrat in die goldne Halle / Seiner Tochter, lachte diese, / Lachten ihre Zofen alle.“ |
1851 | 1948 | rhampsenit von heinrich heine als der könig rhampsenit eintrat in die goldne halle seiner tochter lachte diese lachten ihre zofen alle auch die schwarzen die eunuchen stimmten lachend ein es lachten selbst die mumien selbst die sphinxe daß sie schier zu bersten dachten die prinzessin sprach ich glaubte schon den schatzdieb zu erfassen der hat aber einen toten arm in meiner hand gelassen jetzt begreif ich wie der schatzdieb dringt in deine schatzhauskammern und die schätze dir entwendet trotz den schlössern riegeln klammern einen zauberschlüssel hat er der erschließet allerorten jede türe widerstehen können nicht die stärksten pforten ich bin keine starke pforte und ich hab nicht widerstanden schätzehütend diese nacht kam ein schätzlein mir abhanden so sprach lachend die prinzessin und sie tänzelt im gemache und die zofen und eunuchen hoben wieder ihre lache an demselben tag ganz memphis lachte selbst die krokodile reckten lachend ihre häupter aus dem schlammig gelben nile als sie trommelschlag vernahmen und sie hörten an dem ufer folgendes reskript verlesen von dem kanzeleiausrufer rhampsenit von gottes gnaden könig zu und in ägypten wir entbieten gruß und freundschaft unsern vielgetreun und liebden in der nacht vom dritten zu dem vierten junius des jahres dreizehnhundertvierundzwanzig vor christi geburt da war es daß ein dieb aus unserm schatzhaus eine menge von juwelen uns entwendet es gelang ihm uns auch später zu bestehlen zur ermittelung des täters ließen schlafen wir die tochter bei den schätzen doch auch jene zu bestehlen schlau vermocht er um zu steuern solchem diebstahl und zu gleicher zeit dem diebe unsre sympathie zu zeigen unsre ehrfurcht unsre liebe wollen wir ihm zur gemahlin unsre einzge tochter geben und ihn auch als thronnachfolger in den fürstenstand erheben sintemal uns die adresse unsres eidams noch zur stunde unbekannt soll dies reskript ihm bringen unsrer gnade kunde so geschehn den dritten jänner dreizehnhundertzwanzigsechs vor christi geburt signieret von uns rhampsenitus rex rhampsenit hat wort gehalten nahm den dieb zum schwiegersohne und nach seinem tode erbte auch der dieb ägyptens krone er regierte wie die andern schützte handel und talente wenig heißt es ward gestohlen unter seinem regimente |
Ritter Olaf von Heinrich Heine, 1844 „Vor dem Dome stehn zwey Männer, / Tragen beide rothe Röcke, / Und der Eine ist der König / Und der Henker ist der Andre.“ |
1844 | 2047 | ritter olaf von heinrich heine vor dem dome stehn zwey männer tragen beide rothe röcke und der eine ist der könig und der henker ist der andre und zum henker spricht der könig am gesang der pfaffen merk ich daß vollendet schon die trauung halt bereit dein gutes richtbeil glockenklang und orgelrauschen und das volk strömt aus der kirche bunter festzug in der mitte die geschmückten neuvermählten leichenblaß und bang und traurig schaut die schöne königstochter keck und heiter schaut herr olaf und sein rother mund der lächelt und mit lächelnd rothem munde spricht er zu dem finstern könig guten morgen schwiegervater heut ist dir mein haupt verfallen sterben soll ich heut o laß mich nur bis mitternacht noch leben daß ich meine hochzeit feyre mit banquett und fackeltänzen laß mich leben laß mich leben bis geleert der letzte becher bis der letzte tanz getanzt ist laß bis mitternacht mich leben und zum henker spricht der könig unserm eidam sey gefristet bis um mitternacht sein leben halt bereit dein gutes richtbeil herr olaf sitzt beim hochzeitschmaus er trinkt den letzten becher aus an seine schulter lehnt sein weib und stöhnt der henker steht vor der thüre der reigen beginnt und herr olaf erfaßt sein junges weib und mit wilder hast sie tanzen bey fackelglanz den letzten tanz der henker steht vor der thüre die geigen geben so lustigen klang die flöten seufzen so traurig und bang wer die beiden tanzen sieht dem erbebt das gemüth der henker steht vor der thüre und wie sie tanzen im dröhnenden saal herr olaf flüstert zu seinem gemahl du weißt nicht wie lieb ich dich hab so kalt ist das grab der henker steht vor der thüre herr olaf es ist mitternacht dein leben ist verflossen du hattest eines fürstenkinds in freier lust genossen die mönche murmeln das todtengebet der mann im rothen rocke er steht mit seinem blanken beil schon vor dem schwarzen blocke herr olaf steigt in den hof hinab da blinken viel schwerter und lichter es lächelt des ritters rother mund mit lächelndem munde spricht er ich segne die sonne ich segne den mond und die stern die am himmel schweifen ich segne auch die vögelein die in den lüften pfeifen ich segne das meer ich segne das land und die blumen auf der aue ich segne die veilchen sie sind so sanft wie die augen meiner fraue ihr veilchenaugen meiner frau durch euch verlier ich mein leben ich segne auch den hollunderbaum wo du dich mir ergeben |
Schelm von Bergen von Heinrich Heine, 1846 „Im Schloß zu Düsseldorf am Rhein / Wird Mummenschanz gehalten; / Da flimmern die Kerzen, da rauscht die Musik, / Da tanzen die bunten Gestalten.“ |
1846 | 1542 | schelm von bergen von heinrich heine im schloß zu düsseldorf am rhein wird mummenschanz gehalten da flimmern die kerzen da rauscht die musik da tanzen die bunten gestalten da tanzt die schöne herzogin sie lacht laut auf beständig ihr tänzer ist ein schlanker fant gar höfisch und behendig er trägt eine maske von schwarzem samt daraus gar freudig blicket ein auge wie ein blanker dolch halb aus der scheide gezücket es jubelt die fastnachtsgeckenschar wenn jene vorüberwalzen der drickes und die marizzebill grüßen mit schnarren und schnalzen und die trompeten schmettern drein der närrische brummbaß brummet bis endlich der tanz ein ende nimmt und die musik verstummet durchlauchtigste frau gebt urlaub mir ich muß nach hause gehen die herzogin lacht ich laß dich nicht fort bevor ich dein antlitz gesehen durchlauchtigste frau gebt urlaub mir mein anblick bringt schrecken und grauen die herzogin lacht ich fürchte mich nicht ich will dein antlitz schauen durchlauchtigste frau gebt urlaub mir der nacht und dem tode gehör ich die herzogin lacht ich lasse dich nicht dein antlitz zu schauen begehr ich wohl sträubt sich der mann mit finsterm wort das weib nicht zähmen kunnt er sie riß zuletzt ihm mit gewalt die maske vom antlitz herunter das ist der scharfrichter von bergen so schreit entsetzt die menge im saale und weichet scheusam die herzogin stürzt fort zu ihrem gemahle der herzog ist klug er tilgte die schmach der gattin auf der stelle er zog sein blankes schwert und sprach knie vor mir nieder geselle mit diesem schwertschlag mach ich dich jetzt ehrlich und ritterzünftig und weil du ein schelm so nenne dich herr schelm von bergen künftig so ward der henker ein edelmann und ahnherr der schelme von bergen ein stolzes geschlecht es blühte am rhein jetzt schläft es in steinernen särgen |
Schlachtfeld bei Hastings von Heinrich Heine, vor 1851 † „Der Abt von Waltham seufzte tief, / Als er die Kunde vernommen, / Daß König Harold elendiglich / Bei Hastings umgekommen.“ |
1851 | 3402 | schlachtfeld bei hastings von heinrich heine der abt von waltham seufzte tief als er die kunde vernommen daß könig harold elendiglich bei hastings umgekommen zwei mönche asgod und ailrik genannt die schickt er aus als boten sie sollten suchen die leiche harolds bei hastings unter den toten die mönche gingen traurig fort und kehrten traurig zurücke hochwürdiger vater die welt ist uns gram wir sind verlassen vom glücke gefallen ist der beßre mann es siegte der bankert der schlechte gewappnete diebe verteilen das land und machen den freiling zum knechte der lausigste lump aus der normandie wird lord auf der insel der briten ich sah einen schneider aus bayeux er kam mit goldnen sporen geritten weh dem der jetzt ein sachse ist ihr sachsenheilige droben im himmelreich nehmt euch in acht ihr seid der schmach nicht enthoben jetzt wissen wir was bedeutet hat der große komet der heuer blutrot am nächtlichen himmel ritt auf einem besen von feuer bei hastings in erfüllung ging des unsterns böses zeichen wir waren auf dem schlachtfeld dort und suchten unter den leichen wir suchten hin wir suchten her bis alle hoffnung verschwunden den leichnam des toten königs harold wir haben ihn nicht gefunden asgod und ailrik sprachen also der abt rang jammernd die hände versank in tiefe nachdenklichkeit und sprach mit seufzen am ende zu grendelfield am bardenstein just in des waldes mitte da wohnet edith schwanenhals in einer dürftgen hütte man hieß sie edith schwanenhals weil wie der hals der schwäne ihr nacken war der könig harold er liebte die junge schöne er hat sie geliebt geküßt und geherzt und endlich verlassen vergessen die zeit verfließt wohl sechzehn jahr verflossen unterdessen begebt euch brüder zu diesem weib und laßt sie mit euch gehen zurück nach hastings der blick des weibs wird dort den könig erspähen nach walthamabtei hierher alsdann sollt ihr die leiche bringen damit wir christlich bestatten den leib und für die seele singen um mitternacht gelangten schon die boten zur hütte im walde erwache edith schwanenhals und folge uns alsbalde der herzog der normannen hat den sieg davongetragen und auf dem feld bei hastings liegt der könig harold erschlagen komm mit nach hastings wir suchen dort den leichnam unter den toten und bringen ihn nach walthamabtei wie uns der abt geboten kein wort sprach edith schwanenhals sie schürzte sich geschwinde und folgte den mönchen ihr greisendes haar das flatterte wild im winde es folgte barfuß das arme weib durch sümpfe und baumgestrüppe bei tagesanbruch gewahrten sie schon zu hastings die kreidige klippe der nebel der das schlachtfeld bedeckt als wie ein weißes leilich zerfloß allmählich es flatterten auf die dohlen und krächzten abscheulich viel tausend leichen lagen dort erbärmlich auf blutiger erde nackt ausgeplündert verstümmelt zerfleischt daneben die äser der pferde es wadete edith schwanenhals im blute mit nackten füßen wie pfeile aus ihrem stieren aug die forschenden blicke schießen sie suchte hin sie suchte her oft mußte sie mühsam verscheuchen die fraßbegierige rabenschar die mönche hinter ihr keuchen sie suchte schon den ganzen tag es ward schon abend plötzlich bricht aus der brust des armen weibs ein geller schrei entsetzlich gefunden hat edith schwanenhals des toten königs leiche sie sprach kein wort sie weinte nicht sie küßte das antlitz das bleiche sie küßte die stirne sie küßte den mund sie hielt ihn fest umschlossen sie küßte auf des königs brust die wunde blutumflossen auf seiner schulter erblickt sie auch und sie bedeckt sie mit küssen drei kleine narben denkmäler der lust die sie einst hineingebissen die mönche konnten mittlerweil baumstämme zusammenfugen das war die bahre worauf sie alsdann den toten könig trugen sie trugen ihn nach walthamabtei daß man ihn dort begrübe es folgte edith schwanenhals der leiche ihrer liebe sie sang die totenlitanein in kindisch frommer weise das klang so schauerlich in der nacht die mönche beteten leise |
Der verlorne Sohn von Christian Friedrich Scherenberg, vor 1881 † „Und nun ade, mein Sohn, nun tue gut / Und mach deinem Vater kein Herzeleid. / Und nun ade, mein Leben, mein Blut! / Gedenk deiner Mutter auch alle Zeit! / Gedenk deiner Eltern zu Land und See; / Du bist unsere Freude, du bist unser Weh!“Christian Friedrich Scherenberg |
1881 | 2055 | der verlorne sohn von christian friedrich scherenberg und nun ade mein sohn nun tue gut und mach deinem vater kein herzeleid und nun ade mein leben mein blut gedenk deiner mutter auch alle zeit gedenk deiner eltern zu land und see du bist unsere freude du bist unser weh herzvater herzmutter mein schönstes ade gedenk wohl eurer zu land und see gedenk auch eurer zu aller zeit dein herz ist willig und glatt dein gesicht mein sohn mein sohn nimm dich in acht wenn die bösen buben locken ich folge nicht das hat schon mancher gesagt in der nacht in der nacht der singenden nacht da flimmert der saal da schäumt der pokal ich tanze für zwei und trinke für drei je wilder der sprung je heißer der trunk was kann ich dafür ich bin noch jung juchhei herum herunter herum die leben glühn die funken sprühn die kerzen sich drehn im sturme wehn die stunden vorbei auf die nacht auf die nacht lieb jungfer fein da wollen wir beide beisammen sein juchhei so lang wir zu zwei hält unsere treu und wenn wir auseinander gehn so haben wir uns nicht gesehn vorbei in der nacht in der nacht der klingenden nacht wos grinst und stiert und grimmt und giert und bleich und stumm als ginge der tod im saale um zum tisch zum tisch zum grünen tisch wos locket und rollt das glitzernde silber das glühende gold ich war kaum vogel nun bin ich fisch verjubelt die glut ist kalt mein blut mein sang ist der klang mein lieb ist das gold va banque juchhei die taschen sind voll noch mehr noch mehr gewagt gewonnen es steht la bête vorbei gewonnen zerronnen die taschen sind leer und sind sie leer herzvater herzmutter sie schicken mehr sie sparen und scharren und kratzen zu haus und weinen zu ihrem vergnügen ich nehme die gelder zum briefe heraus und lasse die tränen drin liegen juchhei der eine erwirbt der andre verdirbt und jeder dran stirbt vorbei im sturme im sturme wirds durchgebracht das herz das leben die liebe wir leben geschwinde wir herren der nacht wir schwelger wir spieler wir diebe ich bin gefahren zu land und see aus ist mein spiel und tanz ade die eltern sind verdorben an ihrem sohn verstorben und kreuz und gras darüber und alles ist hinüber verwüstet mein leib verstürmt mein sinn nichts drinnen nichts draußen wo soll ich hin o wie michs gereut o wie michs gereut ich habe verlungert die ganze zeit und nichts errungen als herzeleid ich hab nicht gelebt wie soll ich sterben am wege am wege muß ich verderben |
Blücher am Rhein von August Kopisch, 1836 (?) „Die Heere blieben am Rheine stehn: / Soll man hinein nach Frankreich gehn? / Man dachte hin und wieder nach, / Allein der alte Blücher sprach: / „Generalkarte her!“August Kopisch |
1836 | 382 | blücher am rhein von august kopisch die heere blieben am rheine stehn soll man hinein nach frankreich gehn man dachte hin und wieder nach allein der alte blücher sprach generalkarte her nach frankreich gehn ist nicht so schwer wo steht der feind der feind dahier den finger drauf den schlagen wir wo liegt paris paris dahier den finger drauf das nehmen wir nun schlagt die brücken übern rhein ich denke der champagnerwein wird wo er wächst am besten sein |
Blücher bei Brienne von August Kopisch, vor 1853 † „Es stob da um Brienne / Gerad’ wie auf der Tenne! / Napoleon hielt uns Stange: / Das währt dem Vater Blücher allzulange. / Ritt hin der Eisenfresser: / „Was sind denn das für Schosen?“ |
1853 | 652 | blücher bei brienne von august kopisch zur feier des schlachttages es stob da um brienne gerad wie auf der tenne napoleon hielt uns stange das währt dem vater blücher allzulange ritt hin der eisenfresser was sind denn das für schosen jungens da stehen die franzosen da stünden wir ville besser druff herr feldmarschall nun sehet zur linken hand da stehet ein schulhaus wohlgezieret da drinnen hat napoleon studieret was er da drin studieret sprach blücher mag er halten hauffen zeig er was er vom alten präzeptor profitieret druff da ward hineingeritten und das terrain erstritten napoleon musste schnupfen als er die schöne linie sah zerrupfen es liefen die franzosen sie kriegtens in die hosen jungens schwenkt hoch die fahnentücher hoch lebe vater blücher juch |
Das Krähen von August Kopisch, vor 1853 † „Ein Grobschmied hatt ein Töchterlein, / Das konnte nicht schöner und feiner sein. / Da kam der Hans den einen Tag, / Ein Bursche, wies viele geben mag:“ |
1853 | 3077 | das krähen von august kopisch ein grobschmied hatt ein töchterlein das konnte nicht schöner und feiner sein da kam der hans den einen tag ein bursche wies viele geben mag der warb um die tochter sie war ihm gut doch hatte der vater nicht gleichen mut und sagte er hat nicht gut und geld und will doch freien in dieser welt da sprach der bursch geld gut ist dunst viel besser ist eine gute kunst was kann er für eine ich will doch sehn da sprach der bursche ich kann gut krähn da lachten mutter und töchterlein der alte schmied auch hinterdrein und sprach so zeig er wie ers kann da fing der bursch zu krähn an kikeriküh und kikeriküh recht wie der hahn und sonder müh der alte sprach ein spaß ist das doch sag er an was hilft so was gar viel begann der junge mann nur sag er bin ich sein eidam dann wenn ich dahier auf seinen sand ein schloß hinschaff und gartenland und wird das andre rings bestellt zu einem schönen weizenfeld ja sagte der schmied schaffst du den sand den ich nicht mag zum gartenland und baust ein schönes schloß darauf so nimm das andre dazu in kauf topp eltern und topp töchterlein das schloß das feld die braut sind mein da sahen sich die leute an doch es begann der junge mann nun allerlei brimborium und sah sich unterweilen um nun wußte niemand wies geschah auf einmal stand ein teufel da und dem verschrieb sich hans mit blut hm denkt der schmied das wird nicht gut im pakt versprach der teufel den zaun das feld den garten das schloß zu baun darin den reichsten schönsten schatz und rings umher einen lustgen platz das alles am selben abend spat noch vor der ersten hahnenkrat doch würd er nicht fertig und fehlt ein stein sollt hansens seele gerettet sein er sollte da wohnen wies ihm gefiel und machen seiner tage viel nun ging die teufelsarbeit los die angst der mutter der braut war groß der grobschmied sprach welch dummer streich der teufel schafft das freilich gleich ganz lustig ist allein der hans und freut sich an der geister tanz die schleppen herzu ohn rast und ruh es wächst da alles in einem nu flink klappert der zaun zusammen sich gras kraut und baum sprießt wunderlich und vögel singen und schwäne ziehn auf den rings umirrenden wassern hin nun steigt der palast das schönste haus auf dem schönsten platz vom boden heraus der keller die küche die treppe jetzt der zweite stock wird aufgesetzt der dritte nun nun kommt das dach hausrat und schatz füllt jedes gemach das dach wächst höher o angst o pein es fehlt bald nur der letzte stein o hans o hans nun holt er den und noch will hier kein hahn nicht krähn da lacht der hans und ohne müh kräht er beherzt sein kikeriküh da sah der teufel ihn höhnisch an das gilt hier nicht du bist kein hahn so hör doch teufel kikeriküh ertönts im ganzen dorfe hie ja selbst auf dem turm der wetterhahn fängt lustig mit zu krähen an da wirft der teufel hin den stein und ruft verdammte künstelein aus ist der pakt das schloß ist dein nun macht euch lustig und zieht hinein da fährt der teufel zum untersten grund und prügelt vor wut den höllenhund der grobschmied gibt dem jungen mann sein töchterchen weil er krähen kann zwar fehlt am palaste der letzte stein und setzt man noch so oft ihn ein er fällt herunter und fällt sich klein doch machts den leuten keine pein und auf der hochzeit sangen sie dem teufel zur schur nur kikerikih im ganzen haus hin kikerikih im keller kikrih in der küche kikrih auf den treppen und fluren nur kikerikih in allen gemächern kikikerikih beim essen und trinken nur kikerikih drei tage und nächte kikikerikih auf tischen und bänken kikikerikih dem teufel zur schur nur kikikerikih |
Das Wunder im Kornfeld von August Kopisch, 1836 (?) „Der Knecht reitet hinten, der Ritter vorn, / Rings um sie woget das blühende Korn . . . / Und wie Herr Attich herniederschaut, / Da liegt im Weg ein lieblich Kind, / Von Blumen umwölbt, die sind betaut, / Und mit den Locken spielt der Wind.“ |
1836 | 893 | das wunder im kornfeld von august kopisch der knecht reitet hinten der ritter vorn rings um sie woget das blühende korn und wie herr attich herniederschaut da liegt im weg ein lieblich kind von blumen umwölbt die sind betaut und mit den locken spielt der wind da ruft er dem knecht heb auf das kind absteigt der knecht und langt geschwind o welch ein wunder kommt daher denn ich allein erheb es nicht absteigt der ritter es ist zu schwer sie heben es alle beide nicht komm schäfer sie erhebens nicht komm bauer sie erhebens nicht sie riefen jeden der da war und jeder hilft sie hebens nicht sie stehn umher die ganze schar ruft welch ein wunder wir hebens nicht und das holdselige kind beginnt laßt ruhen mich in sonn und wind ihr werdet haben ein fruchtbar jahr daß keine scheuer den segen faßt die reben tropfen von moste klar die bäume brechen von ihrer last hoch wächst das gras vom morgentau von zwillingkälbern hüpft die au von milch wird jede gölte naß hat jeder arm genug im land auf lange füllt sich jedes faß so sang das kind da und verschwand |
Der Burgemeister zu Pferde von August Kopisch, vor 1853 † „In Kriebeln war vor Zeiten gar viele Feuersnoth, / Doch einmal kommt ein Männlein mit einem Käpplein roth, / Und bringt gefaßt am Zügel ein blüthenweißes Pferd, / Und schenkts dem Burgemeister und sprach: »Das haltet werth:“ |
1853 | 810 | der burgemeister zu pferde von august kopisch elbsage in kriebeln war vor zeiten gar viele feuersnoth doch einmal kommt ein männlein mit einem käpplein roth und bringt gefaßt am zügel ein blüthenweißes pferd und schenkts dem burgemeister und sprach das haltet werth ist in der stadt ein feuer so setzt euch auf das thier und reitet um die flammen ihr dämpft sie trauet mir der burgemeister folgte und sieh jedweder brand wenn er ihn selbst umritten verdampft in sich und schwand und weil das weiße rößlein besaß die wunderkraft ernährt es viele jahre mit lust die bürgerschaft und selbst die kinder brachten ihm gras und obst und brod auf einmal starbs als eben da große feuersnot da lief der burgemeister zu fuß ums feuer her und es war just dasselbe als ob zu pferd er wär die flamme sank ich habe nicht kunde mir verschafft ob jetzt der burgemeister noch hat dieselbe kraft ob er sie in den beinen ob in dem kopf verspürt doch soll es immer gut sein wenn obrigkeit sich rührt |
Der Kutscher des Alten Fritz von August Kopisch, vor 1853 † „Des Alten Fritz Leibkutscher soll aus Stein / zu Potsdamm auf dem Stall zu sehen sein – / da fährt er so einher, / als ob er lebend wär: / aller Kutscher Muster, treu und fest und grob, / Pfund genannt, umschmeißen kannt er nicht: das war sein Lob!“ |
1853 | 1132 | der kutscher des alten fritz von august kopisch des alten fritz leibkutscher soll aus stein zu potsdamm auf dem stall zu sehen sein da fährt er so einher als ob er lebend wär aller kutscher muster treu und fest und grob pfund genannt umschmeißen kannt er nicht das war sein lob mordwege fuhr er ohne furcht sein mut hielt aus in schnee nacht sturm und wasserflut ihm war das einerlei er fand gar nichts dabei in dem schnurrbart fest und steif blieb sein gesicht und man sah darauf kein schlimmes wetter niemals nicht doch rührte man an seinen kutscherstolz war jedes wort von ihm ein kloben holz woher es auch geschah daß er es einst versah und dem alten fritz etwas zu gröblich kam wessenhalb derselbe eine starke prise nahm und sprach ein grober knüppel wie er ist der fährt fortan mit eseln knüppeln oder mist und so geschah´s ein jahr bereits verflossen war als der pfund einst knüppel fuhr und guten muts ihm begegnete der alte fritz der frug wie tut´s i nu wenn ich nur fahre sagte pfund indem er fest auf seinem fahrzeug stund so ist´s mir einerlei und weiter nichts dabei ob´s mit pferden oder ob´s mit eseln geht fahr ich knüppel oder eure majestät da nahm der alte fritz tabak gemach und sah den groben pfund sich an und sprach hüm find´t er nichts dabei und ist ihm einerlei ob es pferd ob esel knüppel oder ich lad er ab und spann er um und fahr er wieder mich |
Der Nöck von August Kopisch, 1836 (?) „Es tönt des Nöcken Harfenschall: / Da steht sogar still der Wasserfall, / Umschwebt mit Schaum und Wogen / Den Nöck im Regenbogen. / Die Bäume neigen / Sich tief und schweigen, / Und atmend horcht die Nachtigall.-„ |
1836 | 1004 | der nöck von august kopisch es tönt des nöcken harfenschall da steht sogar still der wasserfall umschwebt mit schaum und wogen den nöck im regenbogen die bäume neigen sich tief und schweigen und atmend horcht die nachtigall o nöck was hilft das singen dein du kannst ja doch nicht selig sein wie kann dein singen taugen der nöck erhebt die augen sieht an die kleinen beginnt zu weinen und senkt sich in die flut hinein da rauscht und braust der wasserfall hoch fliegt hinweg die nachtigall die bäume heben mächtig die häupter grün und prächtig o weh es haben die wilden knaben der nöck betrübt im wasserfall komm wieder nöck du singst so schön wer singt kann in den himmel gehn du wirst mit deinem klingen zum paradiese dringen o komm es haben gescherzt die knaben komm wieder nöck und singe schön da tönt des nöcken harfenschall und wieder steht still der wasserfall umschwebt mit schaum und wogen den nöck im regenbogen die bäume neigen sich tief und schweigen und atmend horcht die nachtigall es spielt der nöck und singt mit macht von meer und erd und himmelspracht mit singen kann er lachen und selig weinen machen der wald erbebet die sonn entschwebet er singt bis in die sternennacht |
Der Schneiderjunge von Krippstedt von August Kopisch, vor 1853 † „In Krippstedt wies ein Schneiderjunge / Dem Bürgermeister einst die Zunge: / Es war im Jahr Eintausend siebenhundert. / Der Bürgermeister sehr sich wundert / Und find’t es wider den Respekt, / Weshalb er in den Turm ihn steckt.“ |
1853 | 2191 | der schneiderjunge von krippstedt von august kopisch nach alter handschriftlicher notiz in krippstedt wies ein schneiderjunge dem bürgermeister einst die zunge es war im jahr eintausend siebenhundert der bürgermeister sehr sich wundert und findt es wider den respekt weshalb er in den turm ihn steckt es war nach der nachmittagpredigt die kirche noch nicht ganz erledigt am heilgen trinitatis tag da geschah auf einmal ein großer schlag es schlug mit gedonner im wettersturm der blitz in denselben sankt niklasturm der schreck durchfährt die ganze stadt die kaum sich vom brand erhoben hat was innen ist im gotteshaus das dringt mit aller gewalt heraus was außen ist das will hinein da sieht man auf einmal flammenschein von außen an des turmes spitze da rief man feuer wasser wo ist die spritze die spritze ja die ist dicht dabei doch kasten und röhren sind entzwei wie saure milch läuft alles zusammen man schreit und blickt auf die feuerflammen dazwischen es war ein böser tag hallt mancher donner und wetterschlag nun sammelt sich der magistrat und jeder weiß etwas und keiner weiß rat der bürgermeister ein weiser mann sieht sich das ding bedenklich an und spricht hört mich wir zwingens nicht der turm brennt nieder wie ein licht es kommt wer hatte das gedacht sich wie anno sechzehnhundert achtzig erst brennt der turm die kirche die stadt sodann drum ist mein rat rett jeder was er kann da laufen die bürger mit aller kraft ein jeder das seine zusammenrafft das ist ein gerenne wie fliegen die zöpfe wie stoßen zusammen die puderköpfe auf einmal was krabbelt dort aus dem loch am turm der junge nein und doch er ists er klettert zu turmes spitze der schlingel er nimmt vom kopf die mühe er schlägt auf das feuer und dass dich der daus er löscht es mit seiner mühe aus er tupft am ganzen turm umher man sieht nicht eine flamme mehr und während alle jubelnd schrein schlüpft er von neuem ins loch hinein er scheut des magistrates wesen und sitzt als war gar nichts gewesen das mehrt den jubel die bürger alle rufen ihm vivat mit großem schalle der bürgermeister aber spricht indem sein großer zorn sich bricht holt ihn heraus ich erzeig ihm ehr und tu für ihn zeitlebens mehr da kommt er ganz rußig der knirps der zwerg hoch lebe der kleine liewenberg der bürgermeister sprach komm junge streck noch einmal heraus die zunge ich leg dir lauter dukaten drauf so sperr den mund recht angelweit auf nur immer mehr herausgereckt wir haben alle vor dir respekt und morgen wird dass nichts maniquiert die große spritze hier probiert und was entzwei ist repariert |
Der Trompeter von August Kopisch, 1836 (?) „Wenn dieser Siegesmarsch in das Ohr mir schallt, / Kaum halt ich da die Tränen mir zurück mit Gewalt. / Mein Kamerad der hat ihn geblasen in der Schlacht, / Auch schönen Mädchen oft als ein Ständchen gebracht;“ |
1836 | 1239 | der trompeter von august kopisch wenn dieser siegesmarsch in das ohr mir schallt kaum halt ich da die tränen mir zurück mit gewalt mein kamerad der hat ihn geblasen in der schlacht auch schönen mädchen oft als ein ständchen gebracht auch zuletzt auch zuletzt in der grimmigsten not erscholl er ihm vom munde bei seinem jähen tod das war ein mann von stahl ein mann von echter art gedenk ich seiner rinnet mir die trän in den bart herr wirt noch einen krug von dem feurigsten wein soll meinem freund zur ehr ja zur ehr getrunken sein wir hatten musiziert in der frühlingsnacht und kamen zu der elbe wie das eis schon erkracht doch schritten wir mit lachen darüber unverwandt ich trug das horn und er die trompet in der hand da erknarrte das eis und es bog und es brach ihn riss der strom von bannen wie der wind so jach ich konnt ihn nimmermehr erreichen mit der hand ich musste selbst mich retten mit dem sprung auf den sand er aber trieb hinab auf die scholle gestellt und rief nun geht die reis in die weite weite welt drauf setzt er die trompet an den mund und schwang den schall dass rings der himmel und die erde erklang er schmetterte gewaltig mit vollem mannesmut als gält es eine jagd mit dem eis in der flut er trompetete klar er trompetete rein als gings mit vater blücher nach paris hinein da donnerte das eis die scholle sie zerbrach und wurde eine bange bange stille danach das eis verging im strom und der strom in dem meer wer bringt mir meinen kriegskameraden wieder her |
Des winzigen Volkes Überfahrt von August Kopisch, vor 1853 † „Steh auf, steh auf! Es pocht ans Haus – / „Tipp, tipp!“ – Wer mag das sein? / Der alte Fährmann geht hinaus, / „Tipp, tipp!“ – Wer mag das sein? / Nichts sieht er, – halb nur scheint der Mond, / die Sache deucht ihm ungewohnt! –“ |
1853 | 2529 | des winzigen volkes überfahrt von august kopisch steh auf steh auf es pocht ans haus tipp tipp wer mag das sein der alte fährmann geht hinaus tipp tipp wer mag das sein nichts sieht er halb nur scheint der mond die sache deucht ihm ungewohnt da flüstert es fein o fährmann mein wir sind ein winzig völkelein und haben weib und kinderlein fahr uns die müh ist klein und jedes zahlt sein hellerlein es lärmt zu sehr im lande wir wollen zum andren strande unheimlich wirds an diesem ort es gellt hier zu viel hammerschlag und schießt und trommelt fort und fort die glocken läuten tag für tag der fährmann steigt in seinen kahn ich will euch fahren kommt heran werft ohne betrug das geld in den krug o welchen lärm vernahm er da obwohl er nichts am ufer sah er wußte nicht wie ihm geschah es klang wie fern und war doch nah zehntausend kleine stimmchen viel feiner als die immchen der schiffer ruft den knechte sein er kommt die kleinen wesen schrein zertritt uns nicht wir sind so klein da mußt er wohl behutsam sein tick tick fiels in den krug hinab wie jeder seinen heller gab pirr trippelts heran und stapft zum kahn und ächzt wie mit kisten und kasten schwer rück drückt und schiebt sich hin und her es drängt und zwängt sich immermehr fahr ab der kahn will sinken fort eh wir all ertrinken der schiffer stößt vom ufer los und als er jetzo drüben war geht an das schiff mit leichtem stoß au schrie die ganze kleine schar in ohnmacht fiel da manche frau das hörte man am ton genau nun dappelts hinaus mit katz und maus mit kind und kegel und stuhl und tisch mit kisten und kasten und federwisch es war ein lärmen und ein gemisch von ruf und zank und stillgezisch nichts sieht man doch am schalle hört man hinaus sind alle nach holt er wieder neue schar die lärmt hinaus er fährt zurück als dreißigmal gefahren war laßt nach im krug das tück tück tück er fährt den letzten teil zum strand der mond geht unter am himmelrand doch dunkel ist es nicht was glänzt so licht am strand gehn tausend lichter klein wie von johanniswürmelein da rafft der knecht vom uferrain erdboden in den hut hinein setzt auf und kann nun schauen die männlein und die frauen o welche wunder er nun sah der ganze strand war all bedeckt sie liefen mit laternchen da von gras und blumen oft versteckt und trugen kindlein wunderhold und edelstein und rotes gold hei denket der knecht das kommt mir recht und langt begierig aus dem kahn am uferrande weit hinan da merket ihn ein kleiner mann der fängt ein zeterschreien an puh puh sind aus die lichte verschwunden alle wichte drauf flog es her wie erbsen klein es mochten kleine steinchen sein die warfen sie mit großer pein und ächzten mühsam hinterdrein es sprühet immer mehr wie toll fort fort von hier der kahn wird voll sie wenden geschwind herum wie der wind und stoßen eilig ab vom land und fahren in angst sich fest im sand bald rechter hand bald linker hand und immer ruft es nach dem strand das fliehn war euer glücke sonst kamt ihr nicht zurücke |
Die Heinzelmännchen zu Köln von August Kopisch, 1836 „Wie war zu Köln es doch vordem / mit Heinzelmännchen so bequem! / Denn, war man faul, man legte sich / hin auf die Bank und pflegte sich:“ |
1836 | 2499 | die heinzelmännchen zu köln von august kopisch wie war zu köln es doch vordem mit heinzelmännchen so bequem denn war man faul man legte sich hin auf die bank und pflegte sich da kamen bei nacht eh man es gedacht die männlein und schwärmten und klappten und lärmten und rupften und zupften und hüpften und trabten und putzten und schabten und eh ein faulpelz noch erwacht war all sein tagewerk bereits gemacht die zimmerleute streckten sich hin auf die spän und reckten sich indessen kam die geisterschar und sah was da zu zimmern war nahm meißel und beil und die säg in eil sie sägten und stachen und hieben und brachen berappten und kappten visierten wie falken und setzten die balken eh sichs der zimmermann versah klapp stand das ganze haus schon fertig da beim bäckermeister war nicht not die heinzelmännchen backten brot die faulen burschen legten sich die heinzelmännchen regten sich und ächzten daher mit den säcken schwer und kneteten tüchtig und wogen es richtig und hoben und schoben und fegten und backten und klopften und hackten die burschen schnarchten noch im chor da rückte schon das brot das neue vor beim fleischer ging es just so zu gesell und bursche lag in ruh indessen kamen die männlein her und hackten das schwein die kreuz und quer das ging so geschwind wie die mühl im wind die klappten mit beilen die schnitzten an speilen die spülten die wühlten und mengten und mischten und stopften und wischten tat der gesell die augen auf wapp hing die wurst schon da zum ausverkauf beim schenken war es so es trank der küfer bis er niedersank am hohlen fasse schlief er ein die männlein sorgten um den wein und schwefelten fein alle fässer ein und rollten und hoben mit winden und kloben und schwenkten und senkten und gossen und panschten und mengten und manschten und eh der küfer noch erwacht war schon der wein geschönt und fein gemacht einst hatt ein schneider große pein der staatsrock sollte fertig sein warf hin das zeug und legte sich hin auf das ohr und pflegte sich da schlüpften sie frisch in den schneidertisch da schnitten und rückten und nähten und stickten und fassten und passten und strichen und guckten und zupften und ruckten und eh mein schneiderlein erwacht war bürgermeisters rock bereits gemacht neugierig war des schneiders weib und macht sich diesen zeitvertreib streut erbsen hin die andre nacht die heinzelmännchen kommen sacht eins fährt nun aus schlägt hin im haus die gleiten von stufen die plumpen in kufen die fallen mit schallen die lärmen und schreien und vermaledeien sie springt hinunter auf den schall mit licht husch husch husch husch verschwinden all o weh nun sind sie alle fort und keines ist mehr hier am ort man kann nicht mehr wie sonsten ruhn man muß nun alles selber tun ein jeder muß fein selbst fleißig sein und kratzen und schaben und rennen und traben und schniegeln und biegeln und klopfen und hacken und kochen und backen ach daß es noch wie damals wär doch kommt die schöne zeit nicht wieder her |
Die Wettersäule von August Kopisch, vor 1853 † „Vom Meere wirbelt´s auf wie Rauch, / und aus der Wolke senkt sich auch / der finstre Hang. / Die Wettersäule stürmt ums Riff / und faßt bereits des Helden Schiff:“ |
1853 | 2701 | die wettersäule von august kopisch vom meere wirbelt´s auf wie rauch und aus der wolke senkt sich auch der finstre hang die wettersäule stürmt ums riff und faßt bereits des helden schiff da trotzet swend und ruft ein feenwirbelwind und wirft danach sein messer geschwind da tönt ein schrei da faßt das wirbeln ihn allein die andern sollen gerettet sein er aber fliegt mit den wirbelnden wassern ans end´ der welt auf öder insel er niederfällt da liegt er betäubt und wie er aufs neu zum leben erwacht hell leuchtet´s um ihn mit wunderpracht auf blicket swend und sieht halbschwebend vor sich stehn die schönste der lichten meeresfeen die weinet sehr durch tränen blickt die holde gestalt da ergreift ihn der liebe zaubergewalt sie aber spricht send alf zu kühner was hast du getan sieh meine seite die blutet an da schreit er auf und windet zu füßen ihr sich in schmerz und ruft das traf mein eigen herz süßholde frau wie soll ich sühnen was ich gefehlt der kühne swend liebt liebentseelt in tiefem weh die huld der fee nicht lange weilt traf es dein herz so ist geheilt mein herbes leid oh sieh es schwindet der wunde spur und schmerz wird süße sehnsucht nur von herz zu herz sieh blumigen rasen schwellt zur stund des vormals dürren eilands grund und ladet zur ruh und laubige schatten hüllen uns ein zu liebseligem huldverein da küßt sie ihn da küßt er sie schlingt liebewarm um die wonneschwere gestalt den arm der kühne swend rings dunkelt nacht den strand entlang tönt wallender wogen brautgesang und kühlungen wehn und nachtigallen mit süßem schall ziehn dichter im wald allüberall das liebesnetz allseelige tage lebt der held und entzückende nächte fern der welt der kühne swend und jeder wunsch wird ihm erfüllt und jedes sehnen scheint gestillt dem kühnen swend sie reicht ihm die hehre speise der fein sie selbst kredenzt ihm den purpurwein im kelch von kristall in prächtiger grotte wohnt das paar umglüht von gesteinen wunderbar von bernsteingold von muscheln korallen und perlen licht allein die ruhe behaget ihm nicht er sehnt sich fort säh lieber seiner hütte rauch und seine kühnen genossen auch am silter strand und wie die meerfei schlief einmal er ihren zaubergürtel stahl der kühne swend er dreht einen ring da fliegt er hoch den zweiten da fliegt er schneller noch ob land und meer er fliegt wo er nur hin begehrt und als er nah der heimat fährt da jauchzt er laut er hat die türme schon erkannt und hört bereits die stimmen am land laut bellt sein hund da dreht er vor freude den dritten ring doch wunderbar es ihm erging ihn hebt ein sturm der wirbelt tausend meilen von dort besinnungsraubend den kühnen fort zurück zurück er fliegt hoch über land und meer in zauberkreisen wild umher zurück zurück zurück bis wieder zur meeresfrau schon sieht er den strand die höhle genau wild stürmt´s ihn hin und blitze fliegen und donner erschallt die frei reißt alles hinab mit gewalt ins untre meer swend kehrt nicht mehr zu der menschen land und die sonne wird ihm unbekannt in blauer nacht hoch über ihm der fische heer im wallenden erdumdonnernden meer wehklaget swend gern säh er seiner hütte rauch und seine kühnen genossen auch am silter strand |
Zeitelmoos von August Kopisch, 1836 (?) „Geht heim, ihr Kleinen, wärmet euch am Feuer, / Am Abend ist’s im Zeitelmoose nicht geheuer!“ — / Die Kleinen lachen. — / Und, wie er weiter reitet von der Stelle, / Wirft sich am Teich ein Mädchen in die kühle Welle…“ |
1836 | 1861 | zeitelmoos von august kopisch ein wald im fichtelgebirge geht heim ihr kleinen wärmet euch am feuer am abend ists im zeitelmoose nicht geheuer die kleinen lachen und wie er weiter reitet von der stelle wirft sich am teich ein mädchen in die kühle welle was will er machen er springt ins wasser nach um sie zu retten ja wenn ihn nur die nixen nicht zum narren hätten die nixen lachen er tappt zurück zum ross mit nassen beinen da sitzen auf dem rosse wiederum die kleinen was will er machen er nimmt die peitsch und haut sie aber munter heupferdchen ähnlich springen sie von da herunter und stehn und lachen auf setzt er sich doch angstschweiß muss er schwitzen denn hinter sich fühlt wieder er die kleinen sitzen was will er machen sie klammern sich so fest an ihn und kneifen er kann sich die spukgeister nicht vom halse streifen sie aber lachen im zeitelmoos ists abends nicht geheuer zirpt eines doch er sieht nun hirten um ein feuer was will er machen er traut sich nicht hin bis zum nächsten orte und will herab und gibt den hirten gute worte die kleinen lachen nun möcht er gern sie hauen mit dem stecken sie aber fliehn indem sie mit den zähnen blecken was will er machen die hirten wollen ihn vom pferde heben da dreht sich gar der sattel um er fällt daneben die hirten lachen er schilt sie aus die hirten schwinden beide er liegt im moor am schimmern einer faulen weide was will er machen auf springt er schnallt den sattel wieder feste steigt auf und peitscht fortreiten ruft er ist das beste die kleinen lachen er kommt nicht fort es ist ihm wie im traume der sattel sitzt am rosse nicht nein an dem baume was will er machen aus allen ecken rufts geh heim zum feuer und wärme dich im zeitelmoos ists nicht geheuer die kleinen lachen nun bleibt er sitzen die laubfrösche quarren die mücken stechen alles hat ihn da zum narren was will er machen er sitzt und sitzt auskräht der hahn den morgen da rufen sie nun guter mann bist du geborgen und fliehn und lachen er geht zum ross es ist ihm wie im traume sitzt auf und jagt aus dem verhexten raume was will er machen fortreitet er es klingt ihm nach im ohre er höret immer noch und immer wie im chore die kleinen lachen |
Der ewige Jude von Nikolaus Lenau, 1836 „Ich irrt allein in einem öden Tale, / Von Klippenkalk umstarrt, von dunklen Föhren; / Es war kein Laut im Hochgebirg zu hören, / Stumm rang die Nacht mit letztem Sonnenstrahle.“Nikolaus Lenau |
1836 | 6724 | der ewige jude von nikolaus lenau ich irrt allein in einem öden tale von klippenkalk umstarrt von dunklen föhren es war kein laut im hochgebirg zu hören stumm rang die nacht mit letztem sonnenstrahle für ernste wandrer ließ die urwelt liegen in diesem tal versteinert ihre träume dort sah ich einen geier durch die bäume wie einen stillen todsgedanken fliegen nun kam ein regen daß der himmel weine erkennt das herz an kahlen felsenriffen wo es vom regen traurig wird ergriffen daß er nicht wecken kann die toten steine so ruft umsonst ein strom von heißen tränen den trümmern ausgetobter leidenschaften wach auf blüh auf aus deinen todeshaften o liebe süßes quälen hoffen sehnen das erz nur kann ich aus den schlacken zwingen mit lebensgluten es dem tod entlocken und gießen zu lebendgen liedesglocken die wehmut weckend durch die welt erklingen dahin dahin des lebens helle stunden mir nachtets tal wie dir ich wollt ich wäre versunken eh mein licht versank im meere ich riefs und ließ aufbluten meine wunden und heftger regnets von erwachten winden ward wolk an wolke brausend zugetragen wie zu des herzens jüngsten tränen klagen sich alter schmerzen ferne quellen finden stets dunkler wards im tale lauter immer sturzbäche durch die felsengassen sprangen es wimmerten die winde schluchtverfangen und donner schlug den geier sah ich nimmer wo war der geier wo der todsgedanke der geier muß in einer ritze ducken solang die klagen das gebirg durchzucken sein leben fühlt und liebt im schmerz der kranke nur einem ist ob schweigend oder stürmend die welt stets einerlei und stets zuwider denn rastlos muß er wandern auf und nieder jahrtausendhoch die todeswünsche türmend schon sucht ich in den bergeseinsamkeiten ein lager mir da kam ein rauch geflogen als wär er gastlich nach mir ausgezogen zur waldversteckten hütte mich zu leiten ich späht umher bald sah ich kerzenschimmer durch dunkle tannen hörte menschenworte bevor ich einschritt in die offne pforte blickt ich durchs fenster in das niedre zimmer ein greis bemüht die braunen rückenhaare zu einem gemsbart weidgerecht zu schlichten saß schweigend und wie sinnend auf geschichten und jägerstreiche seiner rüstgen jahre hoch stand sein sohn vom ruß die büchse putzend mit schultern die den hirsch bergüber trügen mit scharfen und entschlußgewohnten zügen wie sie der raubschütz hat dem tode trutzend die hausfrau stand am herd die mahlzeit kochend rief durch die tür herein daß sie bald fertig denn ihre kinder saßen schon gewärtig mit froher ungeduld am tische pochend und ich empfand als ich das bild betrachtet ein herz das lieb und sorge dicht umhegen ist glücklich und ein herz auf stolzen wegen auf irrfahrt großer wünsche herb verschmachtet der hütte not manch bunter schmuck verhüllte viel heilgenbilder braut und taufgeschenke verzierten blank die wände rings und schränke trinkgläser auch vielleicht noch nie gefüllte schön ist die armut wenn sie keusch verhangen im rohen sturm als eine jungfrau schreitet die hüllen sorglich um die blößen breitet den feind besiegend mit verschämten wangen eintrat ich in die stube froh willkommen dem wildrer gab ich ehrlich meine rechte ihn nicht zu liefern an des forstes mächte und ward zu herberg herzlich aufgenommen die wirte suchten ihren gast zu ehren mit derber kost mit derben jägerstücken wie sie die wächter und das wild berücken von gemsen wie sie fielen luchsen bären der schütze wies und pries mir seine stutze mit welchen schon sein vater einst der alte als frischer jung in diesen bergen knallte mir wies die frau was sie besaß an putze sie ließ mir kindlich bunten flitter schauen doch mehr als ringlein perlenschnur und spangen hielt eine münze meinen blick gefangen und traf mein herz mit wunderlichem grauen die münze bleiern sah so traurig blinkend fast wie ein brechend auge das gepräge war christus mit dem kreuz am leidenswege nach ruhe schmachtend und zusammensinkend nie war ein bild gemalt vom heilgen schmerze in all den reichen kunstgeschmückten hallen so klagend an die seele mir gefallen wie dieses bild geprägt im grauen erze nun schien der mond herein die kinder schliefen der alte murmelte den abendsegen dann ward es still vorbei war sturm und regen nur draußen hört ich noch die tannen triefen und als ich starrt aufs mondbestrahlte bildnis ward mir ob sichs in meiner hand belebe als ob sein geist mit mir von hinnen schwebe ich war hinausentrückt zur felsenwildnis und alpenlerchen hört ich jubelnd schmettern und adler sah ich steigen in die lüfte die scheue gemse springen über klüfte den jäger nach im morgenrote klettern die büchse knallt die gemse stürzt vom felsen sie hört nicht mehr das echo donnernd wandern von berg zu berg doch hören es die andern und lauschen schreckhaft mit gespannten hälsen des toten tieres zitternde genossen stehn still solang die widerhalle dauern sie hören schüsse rings von allen mauern wohin sie flüchten sollen unentschlossen jetzt eilen sie windschnell davon und schwinden im felsgeklüft ob sie nur angst durchzittert daß man die weide ihnen so verbittert ob sie des menschen unrecht nicht empfinden der bock den dieser schuß herabgerissen vom felsenhang wo ihn sein leben freute hängt von des jägers schulter nun als beute hält in den zähnen noch den kräuterbissen wie jetzt der raubschütz auf geheimen wegen mit seinem raube will davon sich machen hört ers gerüll von schweren tritten krachen ihm kommt ein riesenhafter greis entgegen der alte blickt aus dichten augenbrauen die föhrenbüscheln glutversengten gleichen der urkalk rings scheint mit dem starren bleichen antlitz des manns aus einem stück gehauen er ruft dem jäger halt mit einer stimme daß lauter als zuvor die berge schallen daß fliehend vom geklipp die gemsen fallen und seine keule schwingt der greis im grimme doch steht er fest im engen schluchtenpfade und harrt mit hocherhobner todeswaffe daß der bestürzte jäger auf sich raffe und seine ausgeschoßne büchse lade indes in seiner rechten droht die keule reißt seine linke von der brust die hülle schieß her ruft sein toddürstendes gebrülle sonst stirb ruft sein todlechzendes geheule erstaunen und entsetzen überschleiern des jägers blicke doch die büchse faßt er und schüttet pulver drückt darauf das pflaster und in den lauf treibt er die kugel bleiern er zielt und schießt aufs herz dem wilden recken doch wie geprallt an eine felsenscheibe so klatscht die kugel ab von seinem leibe den jägersmann zu boden wirft der schrecken an ihm vorüber rauscht der grause alte dens weiter treibt umsonst den tod zu suchen der schütze hört noch lang sein fernes fluchen bis ihm der letzte laut im wind verhallte der ewge jude rief nur ich von allen kann unglückselig nie die ruhe finden o könnt ich sterben mit den morgenwinden und wie mein wehruf im gebirg verhallen ich bin mein schatten der mich überdauert mein widerhall am felsen festgenagelt ein halm auf den es ewig niederhagelt ein flüchtger lichtstrahl in den stein gemauert weh mir ich kann des bilds mich nicht entschlagen wie er um kurze rast so flehend blickte der todesmüde schmach und schmerzgeknickte muß ewig ihn von meiner hütte jagen und als es stille war im felsenschlunde erhob sich scheu und schlich zur grausen stelle wo seine kugel traf der weidgeselle und nahm sein plattgequetschtes blei vom grunde und zitternd kam er auf mich zugeschritten und reichte mir das blei ich nahms mit grauen zur münze wars geprägt auf der zu schauen des ewgen juden herzqual eingeschnitten die münze bleiern sah so traurig blinkend fast wie ein brechend auge das gepräge war christus mit dem kreuz am leidenswege nach ruhe schmachtend und zusammensinkend da weckten meine wirtlichen genossen mit lautem ruf zurück mich in das zimmer als ich erwacht hielt meine hand noch immer das zauberbild vom mondenlicht umflossen |
Der Postillon von Nikolaus Lenau, 1833 „Lieblich war die Maiennacht, / Silberwölklein flogen, / Ob der holden Frühlingspracht / Freudig hingezogen.“ |
1833 | 1393 | der postillon von nikolaus lenau lieblich war die maiennacht silberwölklein flogen ob der holden frühlingspracht freudig hingezogen schlummernd lagen wies´ und hain jeder pfad verlassen niemand als der mondenschein wachte auf der straßen leise nur das lüftchen sprach und es zog gelinder durch das stille schlafgemach all der frühlingskinder heimlich nur das bächlein schlich denn der blüten träume dufteten gar wonniglich durch die stillen räume rauher war mein postillion ließ die geißel knallen über berg und tal davon frisch sein horn erschallen und von flinken rossen vier scholl der hufe schlagen die durchs blühende revier trabten mit behagen wald und flur im schnellen zug kaum gegrüßt gemieden und vorbei wie traumesflug schwand der dörfer frieden mitten in dem maienglück lag ein kirchhof innen der den raschen wanderblick hielt zu ernstem sinnen hingelehnt an bergesrand war die bleiche mauer und das kreuzbild gottes stand hoch in stummer trauer schwager ritt auf seiner bahn stiller jetzt und trüber und die rosse hielt er an sah zum kreuz hinüber halten muß hier roß und rad mags euch nicht gefährden drüben liegt mein kamerad in der kühlen erden ein gar herzlieber gesell herr ´s ist ewig schade keiner blies das horn so hell wie mein kamerade hier ich immer halten muß dem dort unterm rasen zum getreuen brudergruß sein leiblied zu blasen und dem kirchhof sandt´ er zu frohe wandersänge daß es in die grabesruh seinem bruder dränge und des hornes heller ton klang vom berge wieder ob der tote postillion stimmt´ in seine lieder weiter ging´s durch feld und hag mit verhängtem zügel lang mir noch im ohre lag jener klang vom hügel |
Die Drei von Nikolaus Lenau, 1842 „Drei Reiter nach verlorner Schlacht, / Wie reiten sie so sacht, so sacht! / Aus tiefen Wunden quillt das Blut, / Es spürt das Roß die warme Flut.“ |
1842 | 649 | die drei von nikolaus lenau drei reiter nach verlorner schlacht wie reiten sie so sacht so sacht aus tiefen wunden quillt das blut es spürt das roß die warme flut vom sattel tropft das blut vom zaum und spült hinunter staub und schaum die rosse schreiten sanft und weich sonst flöß das blut zu rasch zu reich die reiter reiten dicht gesellt und einer sich am andern hält sie sehn sich traurig ins gesicht und einer um den andern spricht mir blüht daheim die schönste maid drum tut mein früher tod mir leid hab haus und hof und grünen wald und sterben muß ich hier so bald den blick hab ich in gottes welt sonst nichts doch schwer mirs sterben fällt und lauernd auf den todesritt ziehn durch die luft drei geier mit sie teilen kreischend unter sich den speisest du den du den ich |
Die drei Indianer von Nikolaus Lenau, 1834 „Mächtig zürnt der Himmel im Gewitter, / Schmettert manche Rieseneich in Splitter, / Übertönt des Niagara Stimme, / Und mit seiner Blitze Flammenruten / Peitscht er schneller die beschäumten Fluten, / Daß sie stürzen mit empörtem Grimme.“ |
1834 | 1377 | die drei indianer von nikolaus lenau mächtig zürnt der himmel im gewitter schmettert manche rieseneich in splitter übertönt des niagara stimme und mit seiner blitze flammenruten peitscht er schneller die beschäumten fluten daß sie stürzen mit empörtem grimme indianer stehn am lauten strande lauschen nach dem wilden wogenbrande nach des waldes bangem sterbgestöhne greis der eine mit ergrautem haare aufrecht überragend seine jahre die zwei andern seine starken söhne seine söhne jetzt der greis betrachtet und sein blick sich dunkler jetzt umnachtet als die wolken die den himmel schwärzen und sein aug versendet wildre blitze als das wetter durch die wolkenritze und er spricht aus tiefempörtem herzen fluch den weißen ihren letzten spuren jeder welle fluch worauf sie fuhren die einst bettler unsern strand erklettert fluch dem windhauch dienstbar ihrem schiffe hundert flüche jedem felsenriffe das sie nicht hat in den grund geschmettert täglich übers meer in wilder eile fliegen ihre schiffe giftge pfeile treffen unsre küste mit verderben nichts hat uns die räuberbrut gelassen als im herzen tödlich bittres hassen kommt ihr kinder kommt wir wollen sterben also sprach der alte und sie schneiden ihren nachen von den uferweiden drauf sie nach des stromes mitte ringen und nun werfen sie weithin die ruder armverschlungen vater sohn und bruder stimmen an ihr sterbelied zu singen laut ununterbrochne donner krachen blitze flattern um den todesnachen ihn umtaumeln möwen sturmesmunter und die männer kommen festentschlossen singend schon dem falle zugeschossen stürzen jetzt den katarakt hinunter |
Die drei Zigeuner von Nikolaus Lenau, 1837/38 „Drei Zigeuner fand ich einmal / Liegen an einer Weide, / Als mein Fuhrwerk mit müder Qual / Schlich durch sandige Heide.“ |
1837 | 715 | die drei zigeuner von nikolaus lenau drei zigeuner fand ich einmal liegen an einer weide als mein fuhrwerk mit müder qual schlich durch sandige heide hielt der eine für sich allein in den händen die fiedel spielte umglüht vom abendschein sich ein feuriges liedel hielt der zweite die pfeif im mund blickte nach seinem rauche froh als ob er vom erdenrund nichts zum glücke mehr brauche und der dritte behaglich schlief und sein zimbal am baum hing über die saiten der windhauch lief über sein herz ein traum ging an den kleidern trugen die drei löcher und bunte flicken aber sie boten trotzig frei spott den erdengeschicken dreifach haben sie mir gezeigt wenn das leben uns nachtet wie mans verraucht verschläft vergeigt und es dreimal verachtet nach den zigeunern lang noch schaun mußt ich im weiterfahren nach den gesichtern dunkelbraun den schwarzlockigen haaren |
Die Heideschenke von Nikolaus Lenau, 1827/30 „Ich zog durchs weite Ungarland; / Mein Herz fand seine Freude, / Als Dorf und Busch und Baum verschwand / Auf einer stillen Heide.“ |
1827 | 3510 | die heideschenke von nikolaus lenau ich zog durchs weite ungarland mein herz fand seine freude als dorf und busch und baum verschwand auf einer stillen heide die heide war so still so leer am abendhimmel zogen die wolken hin gewitterschwer und leise blitze flogen da hört ich in der ferne was in dunkler meilenweiter ich legte s ohr ans knappe gras mir war als kämen reiter und als sie kamen näherwärts begann der grund zu zittern stets bänger wie ein zages herz vor nahenden gewittern hertobte nun ein pferdehauf von hirten angetrieben zu rastlos wildem sturmeslauf mit lauten geißelhieben der rappe peitscht den grund geschwind zurück mit starken hufen wirft aus dem wege sich den wind hört nicht sein scheltend rufen gezwungen ist in strenge haft des wildfangs tolles jagen denn klammernd herrscht des reiters kraft um seinen bauch geschlagen sie flogen hin woher mit macht das wetter kam gedrungen verschwanden ob die wolkennacht mit einmal sie verschlungen doch meint ich nun und immer noch zu hören und zu sehen der hufe donnerndes gepoch der mähnen schwarzes wehen die wolken schienen rosse mir die eilend sich vermengten des himmels hallendes revier im donnerlauf durchsprengten der sturm ein wackrer rosseknecht sein muntres liedel singend daß sich die herde tummle recht des blitzes geißel schwingend schon rannten sich die rosse heiß matt ward der hufe klopfen und auf die heide sank ihr schweiß in schweren regentropfen nun brach die dämmerung herein mir winkt von fernen hügeln herüber weißer wände schein die schritte zu beflügeln es schwieg der sturm das wetter schwand froh daß es fortgezogen sprang übers ganze heideland der junge regenbogen die hügel nahten allgemach die sonne wies im sinken mir noch von rohr das braune dach ließ hell die fenster blinken am giebel tanzte wie berauscht des weines grüner zeiger und als ich freudig hingelauscht hört ich gesang und geiger bald kehrt ich ein und setzte mich allein mit meinem kruge an mir vorüber drehte sich der tanz im raschen fluge die dirnen waren frisch und jung und hatten schlanke leiber gar flink im drehen leicht im sprung die bursche waren räuber die hände klatschten und im takt hell klirrt des spornes eisen das lied frohlocket und es klagt schwermütig kühne weisen ein räuber singt »wir sind so frei so selig meine brüder« am jubeln seines munds vorbei schleicht eine träne nieder der hauptmann sitzt auf seinen arm das braune antlitz senkend er scheint entrückt dem lauten schwarm wie an sein schicksal denkend das feuer seiner augen bricht hindurch die finstern brauen wie nachts im wald der flamme licht durch büsche ist zu schauen wächst aber sang und sporngeklirr nun kühner den genossen seh ich das leere weingeschirr ihn kräftig niederstoßen ein mädel sitzt an seiner seit scheint ihn als kind zu ehren und gerne hier der fröhlichkeit des tanzes zu entbehren auf ihren reizen ruht sein blick mit innigem behagen zugleich auf seines kinds geschick mit heimlichem beklagen stets wilder in die seelen geigt nun die zigeunerbande der freude süßes rasen steigt laut auf zum höchsten brande und selbst des hauptmanns angesicht hat freude überkommen da dacht ich an das hochgericht und ging hinaus beklommen die heide war so still so leer am himmel nur war leben ich sah der sterne strahlend heer des mondes völle schweben der hauptmann auch entschlich dem haus mit wachsamer gebärde rings horcht er in die nacht hinaus dann horcht er in die erde ob er nicht höre schon den tritt ereilender gefahren ob leise nicht der grund verriet ansprengende husaren er hörte nichts da blieb er stehn um in die hellen sterne um in den hellen mond zu sehn als möcht er sagen gerne o mond im weißen unschuldskleid ihr sterne dort unzählig in eurer stillen sicherheit wie wandert ihr so selig er lauschte wieder und er sprang und rief hinein zum hause und seiner stimme macht verschlang urplötzlich das gebrause und eh das herz mir dreimal schlug so saßen sie zu pferde und auf und davon im schnellen flug daß rings erbebte die erde doch die zigeuner blieben hier die feurigen gesellen und spielten alte lieder mir rakoczys des rebellen |
Die Werbung von Nikolaus Lenau, 1826 (?) „Rings im Kreise lauscht die Menge / Bärtiger Magyaren froh; / Aus dem Kreise rauschen Klänge: / Was ergreifen die mich so? –“ |
1826 | 2939 | die werbung von nikolaus lenau rings im kreise lauscht die menge bärtiger magyaren froh aus dem kreise rauschen klänge was ergreifen die mich so tiefgebräunt vom sonnenbrande rotgeglüht von weinesglut spielt da die zigeunerbande und empört das heldenblut laß die geige wilder singen wilder schlag das zimbal du ruft der werber und es klingen seine sporen hell dazu der zigeuner hörts und voller wölkt sein mund der pfeife dampf lauter immer immer toller braust der instrumente kampf braust die alte heldenweise die vor zeiten wohl mit macht frische knaben welke greise hinzog in die türkenschlacht wie des werbers augen glühn und wie all die säbelnarben ehrenröslein purpurfarben ihm auf wang und stirne blühn klirrend glänzt das schwert in funken das sich oft im blute wusch auf dem tschako freudetrunken taumelt ihm der federbusch aus der bunten menge ragen einen jüngling stark und hoch sieht der werber mit behagen wärest du ein reiter doch ruft er aus mit lichtern augen solcher wuchs und solche kraft würden dem husaren taugen komm und trinke brüderschaft und es schwingt der freudigrasche jenem zu die volle flasche doch der jüngling hört es schweigend in die schatten der gedanken die ihn bang und süß umranken still sein schönes antlitz neigend ihn bewegt das edle sehnen wie der ahn ein held zu sein doch berieseln warme tränen seiner wangen rosenschein außer denen die da rauschen in musik in werberswort scheint er klängen noch zu lauschen hergeweht aus fernem ort komm zurück in meine arme fleht sein mütterlein so bang und die braut in ihrem harme fleht o säume nimmer lang und er sieht das hüttchen trauern das ihn hegte mit den seinen hört davor die linde schauern und den bach vorüberweinen pochst du lauter nach den bahnen kühner taten junges herz oder zieht das süße mahnen dich der liebe heimatwärts also steht er unentschlossen während dort geworbne schon ziehn ins feld auf flinken rossen lustig mit trommetenton komm in unsre reiterscharen fällt der werber jubelnd ein schönes leben des husaren das ist leben das allein jünglings augen flammen heller seine pulse jagen schneller plötzlich zeigt sich jetzt im kreise eine finstere gestalt tiefen ernstes schreitet leise und beim werber macht sie halt und sie flüstert ihm so dringend ein geheimes wort ins ohr daß er hoch den säbel schwingend wie begeistert loht empor und der dämon schwebt zur bande facht den eifer der musik mächtig an zum stärksten brande mit geraun und geisterblick aus des basses sturmgewittern mit unendlich süßem sehnen mit der stimmen weichem zittern singen geigen grabsirenen und der finstre schwebt enteilend durch der lauscher dichte reihe nur am jüngling noch verweilend wie mit einem blick der weihe bald im ungestümen werben wird der liebe klagelaut wird das bild der heimat sterben arme mutter arme braut in des jünglings letztes wanken bricht des werbers rauhes zanken lacht des werbers bittrer hohn bist wohl auch kein heldensohn bist kein echter ungarjunge feiges herz so fahre hin seht er stürzt mit raschem sprunge zorn und scham der wange glühn hin zum werber von der rechten schallt der handschlag in den lüften und er gürtet kühn zum fechten schnell das schwert sich um die hüften wie beim sonnenuntergange still waldeinwärts schleicht das wild also von der ungarn wange flüchtet in den bart herab still die scheue männerzähre ahnen sie des jünglings ehre ahnen sie sein frühes grab |
Der Feuerreiter von Eduard Mörike, 1824 „Sehet ihr am Fensterlein / Dort die rothe Mütze wieder? / Nicht geheuer muß es sein, / Denn er geht schon auf und nieder. / Und auf einmal welch Gewühle / Bei der Brücke, nach dem Feld’!“Eduard Mörike |
1824 | 1079 | der feuerreiter von eduard mörike sehet ihr am fensterlein dort die rothe mütze wieder nicht geheuer muß es sein denn er geht schon auf und nieder und auf einmal welch gewühle bei der brücke nach dem feld horch das feuerglöcklein gellt hinterm berg hinterm berg brennt es in der mühle schaut da sprengt er wüthend schier durch das thor der feuerreiter auf dem rippendürren thier als auf einer feuerleiter querfeldein durch qualm und schwüle rennt er schon und ist am ort drüben schallt es fort und fort hinterm berg hinterm berg brennt es in der mühle der so oft den rothen hahn meilenweit von fern gerochen mit des heilgen kreuzes spahn freventlich die gluth besprochen weh dir grinst vom dachgestühle dort der feind im höllenschein gnade gott der seele dein hinterm berg hinterm berg rast er in der mühle keine stunde hielt es an bis die mühle borst in trümmer doch den kecken reitersmann sah man von der stunde nimmer volk und wagen im gewühle kehren heim von all dem graus auch das glöcklein klinget aus hinterm berg hinterm berg brennts nach der zeit ein müller fand ein gerippe sammt der mützen aufrecht an der kellerwand auf der beinern mähre sitzen feuerreiter wie so kühle reitest du in deinem grab husch da fällts in asche ab ruhe wohl ruhe wohl drunten in der mühle |
Der Zauberleuchtturm von Eduard Mörike, vor 1875 † „Des Zauberers sein Mägdlein saß / in ihrem Saale rund von Glas; / sie spann beim hellen Kerzenschein / und sang so glockenhell darein.“ |
1875 | 1056 | der zauberleuchtturm von eduard mörike des zauberers sein mägdlein saß in ihrem saale rund von glas sie spann beim hellen kerzenschein und sang so glockenhell darein der saal als eine kugel klar in lüften aufgehangen war an einem turm auf felsenhöh bei nacht hoch ob der wilden see und hing in sturm und wettergraus an einem langen arm hinaus wenn nun ein schiff in nächten schwer sah weder rat noch rettung mehr der lotse zog die achsel schief der hauptmann alle teufel rief auch der matrose wollt verzagen o weh mir armen schwartenmagen auf einmal scheint ein licht von fern als wie ein heller morgenstern die mannschaft jauchzet überlaut heida jetzt gilt es trockne haut aus allen kräften steuert man jetzt nach dem teuren licht hinan das wächst und wächst und leuchtet fast wie einer zaubersonne glast darin ein mägdlein sitzt und spinnt sich beuget ihr gesang im wind die männer stehen wie verzückt ein jeder nach dem wunder blickt und horcht und staunet unverwandt dem steuermann entsinkt die hand hat keiner acht mehr auf das schiff das kracht mit eins am felsenriff die luft zerreißt ein jammerschrei herr gott im himmel steh uns bei da löscht die zauberin ihr licht noch einmal aus der tiefe bricht verhallend weh aus einem mund da zuckt das schiff und sinkt zu grund |
Die Geister am Mummelsee von Eduard Mörike, 1828 (?) „Vom Berge was kommt dort um Mitternacht spaet / Mit Fackeln so praechtig herunter? / Ob das wohl zum Tanze, zum Feste noch geht? / Mir klingen die Lieder so munter. / O nein! / So sage, was mag es wohl sein?“ |
1828 | 977 | die geister am mummelsee von eduard mörike vom berge was kommt dort um mitternacht spaet mit fackeln so praechtig herunter ob das wohl zum tanze zum feste noch geht mir klingen die lieder so munter o nein so sage was mag es wohl sein das was du da siehest ist totengeleit und was du da hoerest sind klagen dem koenig dem zauberer gilt es zu leid sie bringen ihn wieder getragen o weh so sind es die geister vom see sie schweben herunter ins mummelseetal sie haben den see schon betreten sie ruehren und netzen den fuss nicht einmal sie schwirren in leisen gebeten o schau am sarge die glaenzende frau jetzt oeffnet der see das gruenspiegelnde tor gib acht nun tauchen sie nieder es schwankt eine lebende treppe hervor und drunten schon summen die lieder hoerst du sie singen ihn unten zur ruh die wasser wie lieblich sie brennen und gluehn sie spielen in gruenendem feuer es geisten die nebel am ufer dahin zum meere verzieht sich der weiher nur still ob dort sich nichts ruehren will es zuckt in der mitten o himmel ach hilf nun kommen sie wieder sie kommen es orgelt im rohr und es klirret im schilf nur hurtig die flucht nur genommen davon sie wittern sie haschen mich schon |
Die schlimme Gret und der Königssohn von Eduard Mörike, 1828 „„Gott grüß dich, junge Müllerin! / Heut wehen die Lüfte wohl schön?“ / „Laßt sie wehen von Morgen und Abend, / Meine leere Mühle zu drehn!““ |
1828 | 3983 | die schlimme gret und der königssohn von eduard mörike gott grüß dich junge müllerin heut wehen die lüfte wohl schön laßt sie wehen von morgen und abend meine leere mühle zu drehn die stangenlangen flügel sie haspeln dir eitel wind der herr ist tot die frau ist tot da feiert das gesind so tröste sich leid mit leide wir wären wohl gesellt ich irr ein armer königssohn landflüchtig durch die welt und drunten an dem berge die hütte dort ist mein da liegt auch meine krone geschmuck und edelstein willt meine liebste heißen so sage wie und wann an tagen und in nächten ich zu dir kommen kann ich bind eine güldne pfeife wohl an den flügel hin daß sie sich helle hören läßt wann ich daheime bin doch wollt ihr bei mir wohnen sollt mir willkommen sein mein haus ist groß und weit mein hof da wohn ich ganz allein der königssohn mit freuden ihr folget in ihr haus sie tischt ihm auf kein edelhof vermöchte so stattlichen schmaus schwarzwild und rebhuhn fisch und met er fragt nicht lang woher sie zeigt so stolze sitten des wundert er sich sehr die erste nacht da er kost mit ihr in das ohr ihm sagte sie wißt eine jungfrau muß ich bleiben so lieb euer leben euch ist einsmals da kam der königssohn zu mittag von der jagd unfrohgemut doch barg er sich sprach lachend zu seiner magd die leute sagten mir neue mär von dir und böse dazu sankt jörgens drach war minder schlimm wenn man sie hört denn du sie sagen daß ich ein falsches ding daß ich eine hexe sei nun ja mein schatz so sprechen sie eine hexe meiner treu ich dachte wohl ihr narren ihr lüget nicht daran mit den schwarzen augen aufs erstemal hat sie mirs angetan und länger ruh ich keinen tag bis daß ich könig bin und morgen zieh ich auf die fahrt aufs jahr bist du königin sie blitzt ihn an wie wetterstrahl sie blickt ihn an so schlau du lügst in deinen hals hinein du willt keine hexe zur frau du willt dich von mir scheiden das mag ja wohl geschehn sollt aber von der schlimmen gret noch erst ein probstück sehn ach liebchen ach wie hebet sich wie wallet dein schwarzes haar und rühret sich kein lüftchen doch o sage was es war schon wieder ach und wieder du lachest und mir graut es singen deine zöpfe weh du bist die windesbraut nicht seine braut doch ihm vertraut meine sippschaft ist gar groß komm küsse mich ich halte dich und lasse dich nimmer los o pfui das ist ein schief gesicht du wirst ja kreideweiß frisch munter prinz ich gebe dir mein bestes stücklein preis rührlöffel in der küch sie holt rührlöffel ihrer zwei war jeder eine elle lang waren beide nagelneu was guckst du so erschrocken denkst wohl es gäbe streich nicht doch herzliebster warte nur dein wunder siehst du gleich auf den obern boden führt sie ihn schau was ein weiter platz wie ausgeblasen hübsch und rein hie tanzen wir mein schatz schau was ein nebel zieht am berg gib acht ich tu ihn ein sie beugt sich aus dem laden weit die geister zu bedräun sie wirbelt übereinander ihre löffel so wunderlich sie wickelt den nebel und wickelt und wirft ihn hinter sich sie langt hervor ein saitenspiel sah wie ein hackbrett aus sie rühret es nur leise es zittert das ganze haus teil dich teil dich du wolkendunst ihr geister geht herfür lange männer lange weiber seid hurtig zu dienste mir da fangt es an zu kreisen da wallet es hervor lange arme lange schleppen und wieget sich im chor faßt mir den dummen jungen da geschwinde wickelt ihn ein er hat mein herz gekränket das soll er mir bereun den jüngling von dem boden hebts es dreht ihn um und um es trägt ihn als ein wickelkind dreimal im saal herum margret ein wörtlein murmelt klatscht in die hand dazu da fegt es wie ein wirbelwind durchs fenster fort im nu und fähret über die berge den jüngling mitteninn und fort bis wo der pfeffer wächst o knabe wie ist dir zu sinn und als er sich besonnen lag er im grünen gras hoch oben auf dem seegestad die liebste bei ihm saß ein teppich war gebreitet köstlich gewirket bunt darauf ein lustig essen in blankem silber stund und als er sich die augen reibt und schaut sich um und an ist sie wie eine prinzessin schön wie ein prinz er angetan sie lacht ihn an wie maienschein da sie ihm den becher beut sie legt den arm um seinen hals vergessen war all sein leid da ging es an ein küssen er kriegt nicht satt an ihr fürwahr ihr güldner gürtel wär zu schaden kommen schier ach liebchen ach wie wallet hoch dein schwarzes ringelhaar warum mich so erschrecken jetzt nun ist meine freude gar rück her rück her sei nicht so bang nun sollt du erst noch sehn wie lieblich meine arme tun komm es ist gleich geschehn sie drückt ihn an die brüste der atem wird ihm schwer sie heult ein grausiges totenlied und wirft ihn in das meer |
Die Tochter der Heide von Eduard Mörike, 1861 „Wasch dich, mein Schwesterchen, wasch dich! / Zu Robins Hochzeit gehn wir heut: / Er hat die stolze Ruth gefreit. / Wir kommen ungebeten;“ |
1861 | 786 | die tochter der heide von eduard mörike wasch dich mein schwesterchen wasch dich zu robins hochzeit gehn wir heut er hat die stolze ruth gefreit wir kommen ungebeten wir schmausen nicht wir tanzen nicht und nicht mit lachendem gesicht komm ich vor ihn zu treten strähl dich mein schwesterchen strähl dich wir wollen ihm singen ein rätsellied wir wollen ihm klingen ein böses lied die ohren sollen ihm gellen ich will ihr schenken einen kranz von nesseln und von dornen ganz damit fährt sie zur hölle schick dich mein schwesterchen schmück dich derweil sie alle sind am schmaus soll rot in flammen stehn das haus die gäste schreien und rennen zwei sollen sitzen unverwandt zwei hat ein sprüchlein festgebannt zu kohle müssen sie brennen lustig mein schwesterchen lustig das war ein alter ammensang den falschen rob vergaß ich lang er soll mich sehen lachen hab ich doch einen andern schatz der mit mir tanzet auf dem platz sie werden augen machen |
Die traurige Krönung von Eduard Mörike, 1828 „Es war ein König Milesint, / Von dem will ich euch sagen: / Der meuchelte sein Bruderskind, / Wollte selbst die Krone tragen.“ |
1828 | 902 | die traurige krönung von eduard mörike es war ein könig milesint von dem will ich euch sagen der meuchelte sein bruderskind wollte selbst die krone tragen die krönung ward mit prangen auf liffeyschloß begangen o irland irland warest du so blind der könig sitzt um mitternacht im leeren marmorsaale sieht irr in all die neue pracht wie trunken von dem mahle er spricht zu seinem sohne »noch einmal bring die krone doch schau wer hat die pforten aufgemacht« da kommt ein seltsam totenspiel ein zug mit leisen tritten vermummte gäste groß und viel eine krone schwankt inmitten es drängt sich durch die pforte mit flüstern ohne worte dem könige dem wird so geisterschwül und aus der schwarzen menge blickt ein kind mit frischer wunde es lächelt sterbensweh und nickt es macht im saal die runde es trippelt zu dem throne es reichet eine krone dem könige des herze tief erschrickt darauf der zug von dannen strich von morgenluft berauschet die kerzen flackern wunderlich der mond am fenster lauschet der sohn mit angst und schweigen zum vater tät sich neigen er neiget über eine leiche sich |
Schön-Rohtraut von Eduard Mörike, 1838 „Wie heißt König Ringangs Töchterlein? / Rohtraut, Schön-Rohtraut. / Was tut sie denn den ganzen Tag, / Da sie wohl nicht spinnen und nähen mag?“ |
1838 | 863 | schönrohtraut von eduard mörike wie heißt könig ringangs töchterlein rohtraut schönrohtraut was tut sie denn den ganzen tag da sie wohl nicht spinnen und nähen mag tut fischen und jagen o daß ich doch ihr jäger wär fischen und jagen freute mich sehr schweig stille mein herze und über eine kleine weil rohtraut schönrohtraut so dient der knab auf ringangs schloß in jägertracht und hat ein roß mit rohtraut zu jagen o daß ich doch ein königssohn wär rohtraut schönrohtraut lieb ich so sehr schweig stille mein herze einstmals sie ruhten am eichenbaum da lacht schönrohtraut was siehst mich an so wunniglich wenn du das herz hast küsse mich ach erschrak der knabe doch denket er mir ists vergunnt und küsset schönrohtraut auf den mund schweig stille mein herze darauf sie ritten schweigend heim rohtraut schönrohtraut es jauchzt der knab in seinem sinn und würdest du heute kaiserin mich sollts nicht kränken ihr tausend blätter im walde wißt ich hab schönrohtrauts mund geküßt schweig stille mein herze |
Zwei Liebchen von Eduard Mörike, 1838 (?) „Ein Schifflein auf der Donau schwamm, / Drin saßen Braut und Bräutigam, / Er hüben und sie drüben. / Sie sprach: »Herzliebster, sage mir, / Zum Angebind was geb ich dir?«“ |
1838 | 979 | zwei liebchen von eduard mörike ein schifflein auf der donau schwamm drin saßen braut und bräutigam er hüben und sie drüben sie sprach herzliebster sage mir zum angebind was geb ich dir sie streift zurück ihr ärmelein sie greift ins wasser frisch hinein der knabe der tät gleich also und scherzt mit ihr und lacht so froh ach schöne frau done geb sie mir für meinen schatz eine hübsche zier sie zog heraus ein schönes schwert der knab hätt lang so eins begehrt der knab was hält er in der hand milchweiß ein köstlich perlenband er legts ihr um ihr schwarzes haar sie sah wie eine fürstin gar ach schöne frau done geb sie mir für meinen schatz eine hübsche zier sie langt hinein zum andernmal faßt einen helm von lichtem stahl der knab vor freud entsetzt sich schier fischt ihr einen goldnen kamm dafür zum dritten sie ins wasser griff ach weh da fällt sie aus dem schiff er springt ihr nach er faßt sie keck frau done reißt sie beide weg frau done hat ihr schmuck gereut das büßt der jüngling und die maid das schifflein leer hinunterwallt die sonne sinkt hinter die berge bald und als der mond am himmel stand die liebchen schwimmen tot ans land er hüben und sie drüben |
Botenart von Anastasius Grün, 1837 (?) „Der Graf kehrt heim vom Festturnei, / Da wallt an ihm sein Knecht vorbei. / Hallo, woher des Wegs, sag’ an! / Wohin, mein Knecht, geht deine Bahn?“Anastasius Grün |
1837 | 992 | botenart von anastasius grün der graf kehrt heim vom festturnei da wallt an ihm sein knecht vorbei hallo woher des wegs sag an wohin mein knecht geht deine bahn ich wandle daß der leib gedeih ein wohnhaus such ich mir nebenbei ein wohnhaus nun sprich grad heraus was ist geschehn bei uns zu haus nichts sonderlichs nur todeswund liegt euer kleiner weißer hund mein treues hündchen todeswund sprich wie begab sichs mit dem hund im schreck eur leibroß auf ihn sprang drauf liefs in den strom der es verschlang mein schönes roß des stalles zier wovon erschrak das arme thier besinn ich recht mich erschraks davon als von dem fenster stürzt eur sohn mein sohn doch blieb er unverletzt wohl pflegt mein süßes weib ihn jetzt die gräfin rührte stracks der schlag als vor ihr des herrleins leichnam lag warum bei solchem jammer und graus du schlingel hütest du nicht das haus das haus ei welches meint ihr wohl das eure liegt in asch und kohl die leichenfrau schlief ein an der bahr und feuer fing ihr kleid und haar und schloß und stall verlodert im wind dazu das ganze hausgesind nur mich hat das schicksal aufgespart euchs vorzubringen auf gute art |
Der Brautkuß von Anastasius Grün, vor 1876 † „Was flattern die Raben am Hochgericht? / Was wimmert der Eulen ächzend Gezücht? / Sie wimmern der Sünderin Leichengesang, / Den Totenreih’n flattern die Raben bang.“ |
1876 | 2356 | der brautkuß von anastasius grün was flattern die raben am hochgericht was wimmert der eulen ächzend gezücht sie wimmern der sünderin leichengesang den totenreihn flattern die raben bang was blicket der mond so bleich herab er blicket traurig aufs frische grab wo eingescharrt die verbrechrin die heut am rade der grinsende tod gefreit ein knäblein das sündige liebe gebar rang hilflos das zarte händepaar statt lebens gab tod ihm der mutter hand weil treulos der vater in fernem land der zieht nun zur heimat bei stiller nacht kein ahnungsbild ist in dem falschen erwacht vergessen die taube die er verführt weil neue liebe sein herz nun regiert und sinnend wallt er in die nacht hinein hell blinken die sterne der mond so rein da flattert der raben und eulen gezücht und siehe er steht am hochgericht dort schimmert im silbernen mondenlicht ein frisches grab er kennt es wohl nicht und neben dem leichenhügel hinab senkt tief sich noch offen ein anderes grab da fährt es ihm schaurig und kalt durch den sinn er starrt auf die beiden gräber hin und wie er aus seinem entsetzen erwacht sieht wandeln er eine gestalt durch die nacht sie wallet ihm näher und er erblickt ein mädchen von himmlischer anmut geschmückt ein kranz ihr weißrosig die stirne umschließt von welcher das goldene lockenhaar fließt so steht vor ihm das herrliche weib ein band von demant umschlingt ihr den leib es streuet der mond sein silberlicht ihr mild in das bleiche angesicht und als er ins antlitz der wanderin schaut erblickt er erstaunt die betrogene braut nun lodert der liebe erstorbene glut es fließt ihm so wohl durch gebein und blut woher fein liebchen so spät bei der nacht was hat aus dem wärmenden bett dich gebracht ich floh aus der kammer da weil ich nicht gern denn liebster ich glaubte dich treulos und fern es ließ im gemach mir nicht rast und ruh drum wallt ich im gram deinem pfade zu was deutet am haupte der rosige kranz was prangst du so reich in des schmuckes glanz der brautkranz der blüht auf dem haupte mir das brautkleid das ist meines leibes zier es harren die hochzeitsgäste im haus es blieb nur der bräutigam zögernd aus ich walle mein liebchen zur hochzeit mit dir doch reiche erst liebend den brautkuß mir dann eine uns segen und schwur am altar dann schlinge den reigen der gäste schar er schwellet zum kusse die lippe so heiß doch schrecken er küßt nur moder und eis es rieselt ihm fieberfrost durch das gebein es schwindet verlöschend des auges schein er sinket er sinket im schwindel hinab und taumelnd sinkt er in das offene grab sein brechend auge noch statt der braut am rade ein blaues irrlicht erschaut und krächzend flattert vom hochgericht hinab auf die leiche der raben gezücht es wimmern die eulen den totengesang und durch die nacht widerhallt es bang |
Der Deserteur von Anastasius Grün, 1837 (?) „Auf der Hauptwacht sitzt geschlossen / Des Gebirges schlanker Sohn, / Morgen frühe wird erschossen, / Der dreimal der Fahn’ entflohn.“ |
1837 | 2120 | der deserteur von anastasius grün auf der hauptwacht sitzt geschlossen des gebirges schlanker sohn morgen frühe wird erschossen der dreimal der fahn entflohn heute gönnten mit erbarmen sie ihm wein und prasserkost doch in seiner mutter armen gibt und nimmt er letzten trost mutter seht die närrschen leute heischten treu und eid mir ab die ich doch und nicht erst heute meiner lieben sennin gab soll mein blut dem fürsten geben mag wohl sein ein guter mann doch er fordre nicht mein leben was blieb euch o mutter dann eures hauptes silberflocken acker schirmen hof und haus und der liebsten goldne locken füllts nicht schön ein leben aus hoch von langen stangen wallten fetzen tuchs drauf sie recht fein ein geflügelt raubthier malten und da sollt ich hinterdrein dem gevögel adlern geiern war ich doch mein lebtag gram schoß manch einen der zu euern und der liebsten heerden kam ueber eine blanke schachtel spannten sie ein eselsfell welch gedröhn statt lerch und wachtel die im korn einst schlugen hell trommellärm trieb mich von dannen alphorn rief mich zu den höhn wo die grünen duftgen tannen meine echten fahnen wehn unserm küster lauscht ich lieber mit dem tapfern fiedelstrich während vom gebirg herüber süßrer klang mein ohr beschlich in zweifarbig tuch geschlagen knebelten mich spang und knopf einen höcker sollt ich tragen und als hut solch schwarzen topf besser läßt das sieht doch jeder mir der grüne schützenrock auf dem hut die schildhahnfeder stutzen auch und alpenstock wachtstehn sollt ich nachts vor zelten lullt mein wachen sie in ruh legt der herr den mir geschmälten schlummer wohl dem ihren zu besser als durch mich geborgen stellt in himmels schutz ich sie und vor liebchens haus am morgen stand als ehrenwacht ich früh morgen wenn die schüsse schüttern mutter denkt daß fern von euch im gebirg bei hochgewittern mich erschlug ein wetterstreich besser will mirs so behagen kann doch auf den lippen treu euren ihren namen tragen wie der blühndsten rosen zwei und der morgen stieg zur erde unter laubgem blüthenbaum ruht die sennin ihre heerde weidet rings am bergessaum horch im thalgrund büchsenknalle daß aus seinem morgentraum aufgeschreckt vom rauhen halle bang und zitternd lauscht der baum aus der krone losgerüttelt taumeln blüthenflocken hin tropfen thaus wie thränen schüttelt er aufs haupt der sennerin und entsunken sind zur stunde in dem thale grün und frei einem rothen jünglingsmunde wohl der blühndsten rosen zwei |
Aus dem schlesischen Gebirge von Ferdinand Freiligrath, 1842/1844 „»Nun werden grün die Brombeerhecken; / Hier schon ein Veilchen – welch ein Fest! / Die Amsel sucht sich dürre Stecken, / Und auch der Buchfink baut sein Nest.“Ferdinand Freiligrath |
1842 | 1958 | aus dem schlesischen gebirge von ferdinand freiligrath nun werden grün die brombeerhecken hier schon ein veilchen welch ein fest die amsel sucht sich dürre stecken und auch der buchfink baut sein nest der schnee ist überall gewichen die koppe nur sieht weiß ins tal ich habe mich von haus geschlichen hier ist der ort ich wags ein einmal rübezahl hört ers ich seh ihm dreist entgegen er ist nicht bös auf diesen block will ich mein leinwandpäckchen legen es ist ein richtges volles schock und fein ja dafür kann ich stehen kein beßres wird geweht im tal er läßt sich immer noch nicht sehen drum frischen mutes noch einmal rübezahl kein laut ich bin ins holz gegangen daß er uns hilft in unsrer not o meiner mutter blasse wangen im ganzen haus kein stückchen brot der vater schritt zu markt mit fluchen fänd er auch käufer nur einmal ich wills mit rübezahl versuchen wo bleibt er nur zum drittenmal rübezahl er half so vielen schon vorzeiten großmutter hat mirs oft erzählt ja er ist gut den armen leuten die unverschuldet elend quält so bin ich froh denn hergelaufen mit meiner richtgen ellenzahl ich will nicht betteln will verkaufen o daß er käme rübezahl rübezahl wenn dieses päckchen ihm gefiele vielleicht gar bät er mehr sich aus das wär mir recht ach gar zu viele gleich schöne liegen noch zu haus die nähm er alle bis zum letzten ach fiel auf dies doch seine wahl da löst ich ein selbst die versetzten das wär ein jubel rübezahl rübezahl dann trät ich froh ins kleine zimmer und riefe vater geld genug dann flucht er nicht dann sagt er nimmer ich web euch nur ein hungertuch dann lächelte die mutter wieder und tischt uns auf ein reichlich mahl dann jauchzten meine kleinen brüder o käm o käm er rübezahl rübezahl so rief der dreizehnjährge knabe so stand und rief er matt und bleich umsonst nur dann und wann ein rabe flog durch des gnomen altes reich so stand und paßt er stund auf stunde bis daß es dunkel ward im tal und er halblaut mit zuckendem munde ausrief durch tränen noch einmal rübezahl dann ließ er still das buschige fleckchen und zitterte und sagte hu und schritt mit seinem leinwandpäckchen dem jammer seiner heimat zu oft ruht er aus auf moosgen steinen matt von der bürde die er trug ich glaub sein vater webt dem kleinen zum hunger bald das leichentuch rübezahl |
Der Scheik am Sinai von Ferdinand Freiligrath, vor 1876 † „„Tragt mich vor’s Zelt hinaus sammt meiner Ottomane! / Ich will ihn selber sehn! – Heut‘ kam die Karavane / Aus Afrika, sagt ihr, und mit ihr das Gerücht? / Tragt mich vor’s Zelt hinaus! wie an den Wasserbächen / Sich die Gazelle letzt, will ich an seinem Sprechen / Mich letzen, wenn er Wahrheit spricht.““ |
1876 | 2216 | der scheik am sinai von ferdinand freiligrath tragt mich vors zelt hinaus sammt meiner ottomane ich will ihn selber sehn heut kam die karavane aus afrika sagt ihr und mit ihr das gerücht tragt mich vors zelt hinaus wie an den wasserbächen sich die gazelle letzt will ich an seinem sprechen mich letzen wenn er wahrheit spricht der scheik saß vor dem zelt und also sprach der mohre auf algiers thürmen weht o greis die tricolore auf seinen zinnen rauscht die seide von lyon durch seine gassen dröhnt früh morgens die reveille das roß geht nach dem takt des liedes von marseille die franken kamen von toulon gen süden rückt das heer in blitzender kolonne auf ihre waffen flammt der barbaresken sonne tuneser sand umweht der pferde mähnenhaar mit ihren weibern fliehn die knirschenden kabylen der atlas nimmt sie auf und mit dem fuß voll schwielen klimmt durchs gebirg der dromedar die mauren stellen sich vom streit gleich einer esse glüht schwül das defilé dampf wirbelt durch die pässe der leu verläßt den rest des halbzerrissnen rehs er muß sich für die nacht ein ander wild erjagen allah feu en avant keck bis zum gipfel schlagen sich durch die aventuriers der berg trägt eine kron von blanken bajonetten zu ihren füßen liegt das land mit seinen städten vom atlas bis ans meer von tunis bis nach fez die reiter sitzen ab ihr arm ruht auf den croupen ihr auge schweift umher aus grünen myrtengruppen schaun dünn und schlank die minarets die mandel blüht im thal mit spitzen dunkeln blättern trotzt auf dem kahlen fels die aloe den wettern gesegnet ist das land des beys von tittery dort glänzt das meer dorthin liegt frankreich mit den bunten kriegsfahnen buhlt der wind am zündloch glühn die lunten die salve kracht so grüßen sie sie sind es ruft der scheik ich focht an ihrer seite o pyramidenschlacht o tag des ruhms der beute roth wie dein turban war im nile jede furt allein ihr sultan sprich er faßt des mohren rechte sein wuchs sein gang sein aug sahst du ihn im gefechte sein kleid der mohr greift in den gurt ihr sultan blieb daheim in seinen burggemächern ein feldherr trotzt für ihn den kugeln und den köchern ein aga sprengt für ihn des atlas eisenthür doch ihres sultans haupt siehst du auf diesem blanken goldstück von zwanzig francs ein reiter von den franken gab es beim pferdehandel mir der emir nimmt das gold und blickt auf das gepräge ob dies der sultan sei dem er die wüstenwege vor langen jahren wies allein er seufzt und spricht das ist sein auge nicht das ist nicht seine stirne den mann hier kenn ich nicht sein haupt gleicht einer birne der den ich meine ist es nicht |
Die Trompete von Gravelotte von Ferdinand Freiligrath, vor 1876 † „Sie haben Tod und Verderben gespiehn; / Wir haben es nicht gelitten. / Zwei Colonnen Fussvolk, zwei Batterie’n, / Wir haben sie niedergeritten.“ |
1876 | 1044 | die trompete von gravelotte von ferdinand freiligrath sie haben tod und verderben gespiehn wir haben es nicht gelitten zwei colonnen fussvolk zwei batterien wir haben sie niedergeritten die säbel geschwungen die zäume verhängt tief die lanzen und hoch die fahnen so haben wir sie zusammengesprengt cürassiere wir und ulanen doch ein blutritt war es ein todesritt wohl wichen sie unsern hieben doch von zwei regimentern was ritt und was stritt unser zweiter mann ist geblieben die brust durchschossen die stirn zerklafft so lagen sie bleich auf dem rasen in der kraft in der jugend dahingerafft nun der trompeter zum sammeln geblasen und er nahm die trompet und er hauchte hinein da die muthig mit schmetterndem grimme uns geführt in den herrlichen kampf hinein der trompete versagte die stimme nur ein klanglos wimmern ein schrei voll schmerz entquoll dem metallenen munde eine kugel hatte durchlöchert ihr erz um die todten klagte die wunde um die tapfern die treuen die wacht am rhein um die brüder die heut gefallen um sie alle es ging uns durch mark und bein erhub sie gebrochenes lallen und nun kam die nacht und wir ritten hindann und wir dachten der todten der todten die rosse schnoben der regen rann und wir dachten der todten der todten |
Die Trompete von Vionville von Ferdinand Freiligrath, vor 1876 † „Sie haben Tod und Verderben gespien: / Wir haben es nicht gelitten. / Zwei Kolonnen Fußvolk, zwei Batterien, / wir haben sie niedergeritten.“ |
1876 | 1029 | die trompete von vionville von ferdinand freiligrath sie haben tod und verderben gespien wir haben es nicht gelitten zwei kolonnen fußvolk zwei batterien wir haben sie niedergeritten die säbel geschwungen die zäume verhängt tief die lanzen und hoch die fahnen so haben wir sie zusammengesprengt kürassiere wir und ulanen doch ein blutritt war es ein todesritt wohl wichen sie unsern hieben doch von zwei regimentern was ritt und was stritt unser zweiter mann ist geblieben die brust durchschossen die stirn zerklafft so lagen sie bleich auf dem rasen in der kraft in der jugend dahingerafft nun trompeter zum sammeln geblasen und er nahm die trompet und er hauchte hinein da die mutig mit schmetterndem grimme uns geführt in den herrlichen kampf hinein der trompete versagte die stimme nur ein klanglos wimmern ein schrei voll schmerz entquoll dem metallenen munde eine kugel hatte durchlöchert ihr erz um die toten klagte die wunde um die tapfern die treuen die wacht am rhein um die brüder die heut gefallen um sie alle es ging uns durch mark und bein erhub sie gebrochenes lallen und nun kam die nacht und wir ritten hindann rundum die wachtfeuer lohten die rosse schnoben der regen rann und wir dachten der toten der toten |
Löwenritt von Ferdinand Freiligrath, vor 1876 † „Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen, / Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen. / Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre; / Zitternd über dem Gewalt’gen rauscht das Laub der Sykomore.“ |
1876 | 2089 | löwenritt von ferdinand freiligrath wüstenkönig ist der löwe will er sein gebiet durchfliegen wandelt er nach der lagune in dem hohen schilf zu liegen wo gazellen und giraffen trinken kauert er im rohre zitternd über dem gewaltgen rauscht das laub der sykomore abends wenn die hellen feuer glühn im hottentottenkrale wenn des jähen tafelberges bunte wechselnde signale nicht mehr glänzen wenn der kaffer einsam schweift durch die karroo wenn im busch die antilope schlummert und am strom das gnu sieh dann schreitet majestätisch durch die wüste die giraffe dass mit der lagune trüben fluten sie die heisse schlaffe zunge kühle lechzend eilt sie durch der wüste nackte strecken kniend schlürft sie langen halses aus dem schlammgefüllten becken plötzlich regt es sich im rohre mit gebrüll auf ihren nacken springt der löwe welch ein reitpferd sah man reichere schabracken in den marstallkammern einer königlichen hofburg liegen als das bunte fell des renners den der tiere fürst bestiegen in die muskeln des genickes schlägt er gierig seine zähne um den bug des riesenpferdes weht des reiters gelbe mähne mit dem dumpfen schrei des schmerzes springt es auf und flieht gepeinigt sieh wie schnelle des kameles es mit pardelhaut vereinigt sieh die mondbestrahlte fläche schlägt es mit den leichten füssen starr aus ihrer höhlung treten seine augen rieselnd fliessen an dem braungefleckten halse nieder schwarzen blutes tropfen und das herz des flüchtgen tieres hört die stille wüste klopfen gleich der wolke deren leuchten israel im lande yemen führte wie ein geist der wüste wie ein fahler luftger schemen eine sandgeformte trombe in der wüste sandgem meer wirbelt eine gelbe säule sandes hinter ihnen her ihrem zuge folgt der geier krächzend schwirrt er durch die lüfte ihrer spur folgt die hyäne die entweiherin der grüfte folgt der panther der des kaplands hürden räuberisch verheerte blut und schweiss bezeichnen ihres königs grausenvolle fährte zagend auf lebendgem throne sehn sie den gebieter sitzen und mit scharfer klaue seines sitzes bunte polster ritzen rastlos bis die kraft ihr schwindet muss ihn die giraffe tragen gegen einen solchen reiter hilft kein bäumen und kein schlagen taumelnd an der wüste saume stürzt sie hin und röchelt leise tot bedeckt mit staub und schaume wird das ross des reiters speise über madagaskar fern im osten sieht man frühlicht glänzen so durchsprengt der tiere könig nächtlich seines reiches grenzen |
Prinz Eugen, der edle Ritter von Ferdinand Freiligrath, vor 1876 † „Zelte, Posten, Werda-Rufer! / Lustge Nacht am Donauufer! / Pferde stehn im Kreis umher / Angebunden an den Pflöcken; / An den engen Sattelböcken / Hangen Karabiner schwer.“ |
1876 | 886 | prinz eugen der edle ritter von ferdinand freiligrath zelte posten werdarufer lustge nacht am donauufer pferde stehn im kreis umher angebunden an den pflöcken an den engen sattelböcken hangen karabiner schwer um das feuer auf der erde vor den hufen seiner pferde liegt das östreichsche pikett auf dem mantel liegt ein jeder von den tschakos weht die feder leutnant würfelt und kornett neben seinem müden schecken ruht auf einer wollnen decken der trompeter ganz allein laßt die knöchel laßt die karten kaiserliche feldstandarten wird ein reiterlied erfreun vor acht tagen die affäre hab ich zu nutz dem ganzen heere in gehörgen reim gebracht selber auch gesetzt die noten drum ihr weißen und ihr roten merket auf und gebet acht und er singt die neue weise einmal zweimal dreimal leise denen reitersleuten vor und wie er zum letzten male endet bricht mit einem male los der volle kräftge chor prinz eugen der edle ritter hei das klang wie ungewitter weit ins türkenlager hin der trompeter tät den schnurrbart streichen und sich auf die seite schleichen zu der marketenderin |
Aus der Kindheit von Friedrich Hebbel, 1843 „„Ja, das Kätzchen hat gestohlen, / und das Kätzchen wird ertränkt. / Nachbars Peter sollst du holen, / daß er es im Teich versenkt!““Friedrich Hebbel |
1843 | 1700 | aus der kindheit von friedrich hebbel ja das kätzchen hat gestohlen und das kätzchen wird ertränkt nachbars peter sollst du holen daß er es im teich versenkt nachbars peter hats vernommen ungerufen kommt er schon ist die diebin zu bekommen gebe ich ihr gern den lohn mutter nein er will sie quälen gestern warf er schon nach ihr bleibt nichts andres mehr zu wählen so ertränk ich selbst das tier sieh das kätzchen kommt gesprungen wie es glänzt im morgenstrahl lustig hüpfts dem kleinen jungen auf den arm zu seiner qual mutter lass das kätzchen leben jedesmal wenns dich bestiehlt sollst du mir kein frühstück geben sieh nur wie es artig spielt nein der vater hats geboten hundertmal ist ihr verziehn hat sie doch vier weiße pfoten einerlei ihr tag erschien nachbarin ich folg ihm leise ob er es auch wirklich tut peter spricht es hämscherweise und der knabe hörts mit wut unterwegs auf manchem platze bietet er sein liebchen aus aber keiner will die katze jeder hat sie längst im haus ach da ist er schon am teiche und sein blick sein scheuer schweift ob ihn peter noch umschleiche ja er steht von fern und pfeift nun wir müssen alle sterben großmama ging dir vorauf und du wirst den himmel erben kratze nur sie macht dir auf jetzt um sie recht tief zu betten wirft er sie mit aller macht doch zugleich um sie zu retten springt er nach als ers vollbracht eilte peter nicht der lange gleich im augenblick herzu fände er es ist mir bange hier im teich die ewge ruh in das haus zurückgetragen hört er auf die mutter nicht schweigt auf alle ihre fragen schließt die augen trotzig dicht von dem zucker den sie brachte nimmt er zwar zerstreut ein stück doch den tee den sie ihm machte weist er ungestüm zurück welch ein ton er dreht sich stutzend und auf einer fensterbank spinnend und sich emsig putzend sitzt sein kätzchen blink und blank lebt sie mutter dem verderben warst du näher kind als sie und sie soll auch nicht mehr sterben trinke nur so soll sies nie |
Das alte Haus von Friedrich Hebbel, 1834 „Der Maurer schreitet frisch heraus, / er soll dich niederbrechen; / da ist es mir, du altes Haus, / als hörte ich dich sprechen: / »Wie magst du mich, das lange Jahr’ / der Lieb’ und Eintracht Tempel war, / wie magst du mich zerstören?«“ |
1834 | 1783 | das alte haus von friedrich hebbel der maurer schreitet frisch heraus er soll dich niederbrechen da ist es mir du altes haus als hörte ich dich sprechen wie magst du mich das lange jahr der lieb und eintracht tempel war wie magst du mich zerstören dein ahnherr hat mich einst erbaut und unter frommem beten mit seiner schönen stillen braut mich dann zuerst betreten ich weiß um alles wohl bescheid um jede lust um jedes leid was ihnen widerfahren dein vater ward geboren hier in der gebräunten stube die ersten blicke gab er mir der muntre kräftge bube er schaute auf die engelein die gaukeln in der fenster schein dann erst auf seine mutter und als er traurig schlich am stab nach manchen schönen jahren da hat er schon wie still ein grab in meinem schoß erfahren in jener ecke saß er da und stumm und händefaltend sah er sehnlich auf zum himmel du selbst doch nein das sag ich nicht ich will von dir nicht sprechen hat dieses alles kein gewicht so laß nur immer brechen das glück zog mit dem ahnherrn ein zerstöre du den tempel sein damit es endlich weiche noch lange jahre kann ich stehn bin fest genug gegründet und ob sich mit der stürme wehn ein wolkenbruch verbündet kühn rag ich wie ein fels empor und was ich auch an schmuck verlor gewann ichs nicht an würde und hab ich denn nicht manchen saal und manch geräumig zimmer und glänzt nicht festlich mein portal in alter pracht noch immer noch jedem hats in mir behagt kein glücklicher hat sich beklagt ich sei zu klein gewesen und wenn es einst zum letzten geht und wenn das warme leben in deinen adern stille steht wird dies dich nicht erheben dort wo dein vater sterbend lag wo deiner mutter auge brach den letzten kampf zu streiten nun schweigt es still das alte haus mir aber ists als schritten die toten väter all heraus um für ihr haus zu bitten und auch in meiner eignen brust wie ruft so manche kinderlust laß stehn das haus laß stehn indessen ist der mauermann schon ins gebälk gestiegen er fängt mit macht zu brechen an und stein und ziegel fliegen still lieber meister geh von hier gern zahle ich den taglohn dir allein das haus bleibt stehen |
Das Kind am Brunnen von Friedrich Hebbel, 1841 „Frau Amme, Frau Amme, das Kind ist erwacht! / Doch die liegt ruhig im Schlafe. / Die Vöglein zwitschern, die Sonne lacht, / Am Hügel weiden die Schafe.“ |
1841 | 998 | das kind am brunnen von friedrich hebbel frau amme frau amme das kind ist erwacht doch die liegt ruhig im schlafe die vöglein zwitschern die sonne lacht am hügel weiden die schafe frau amme frau amme das kind steht auf es wagt sich weiter und weiter hinab zum brunnen nimmt es den lauf da stehen blumen und kräuter frau amme frau amme der brunnen ist tief sie schläft als läge sie drinnen das kind läuft schnell wie es nie noch lief die blumen lockens von hinnen nun steht es am brunnen nun ist es am ziel nun pflückt es die blumen sich munter doch bald ermüdet das reizende spiel da schauts in die tiefe hinunter und unten erblickt es ein holdes gesicht mit augen so hell und so süße es ist sein eignes das weiß es noch nicht viel stumme freundliche grüße das kindlein winkt der schatten geschwind winkt aus der tiefe ihm wieder herauf herauf so meints das kind der schatten hernieder hernieder schon beugt es sich über den brunnenrand frau amme du schläfst noch immer da fallen die blumen ihm aus der hand und trüben den lockenden schimmer verschwunden ist sie die süße gestalt verschluckt von der hüpfenden welle das kind durchschauerts fremd und kalt und schnell enteilt es der stelle |
Der Heideknabe von Friedrich Hebbel, vor 1863 † „Der Knabe träumt, man schicke ihn fort / Mit dreißig Talern zum Heideort, / Er ward drum erschlagen am Wege / Und war doch nicht langsam und träge.“ |
1863 | 2522 | der heideknabe von friedrich hebbel der knabe träumt man schicke ihn fort mit dreißig talern zum heideort er ward drum erschlagen am wege und war doch nicht langsam und träge noch liegt er im angstschweiß da rüttelt ihn sein meister und heißt ihm sich anzuziehn und legt ihm das geld auf die decke und fragt ihn warum er erschrecke ach meister mein meister sie schlagen mich tot die sonne sie ist ja wie blut so rot sie ist es für dich nicht alleine drum schnell sonst mach ich dir beine ach meister mein meister so sprachst du schon das war das gesicht der blick der ton gleich greifst du zum stock will er sagen er sagts nicht er wird schon geschlagen ach meister mein meister ich geh ich geh bring meiner frau mutter das letzte ade und sucht sie nach allen vier winden am weidenbaum bin ich zu finden hinaus aus der stadt und da dehnt sie sich die heide nebelnd gespenstiglich die winde darüber sausend ach wär hier ein schritt wie tausend und alles so still und alles so stumm man sieht sich umsonst nach lebendigem um nur hungrige vögel schießen aus wolken um würmer zu spießen er kommt ans einsame hirtenhaus der alte hirt schaut eben heraus des knaben angst ist gestiegen am wege bleibt er noch liegen ach hirte du bist ja von frommer art vier gute groschen hab ich erspart gib deinen knecht mir zur seite dass er bis zum dorf mich begleite ich will sie ihm geben er trinke dafür am nächsten sonntag ein gutes bier dies geld hier ich trag es mit beben man nahm mir im traum drum das leben der hirt der winkte dem langen knecht er schnitt sich eben den stecken zurecht jetzt trat er hervor wie graute dem knaben als er ihn schaute ach meister hirte ach nein ach nein es ist doch besser ich geh allein der lange spricht grinsend zum alten er will die vier groschen behalten da sind die vier groschen er wirft sie hin und eilt hinweg mit verstörtem sinn schon kann er die weide erblicken da klopft ihn der knecht in den rücken du hältst es nicht aus du gehst zu geschwind ei eile mit weile du bist ja noch kind auch muss das geld dich beschweren wer kann dir das ausruhn verwehren komm setz dich unter den weidenbaum und dort erzähl mir den hässlichen traum mir träumte gott soll mich verdammen triffts nicht mit deinem zusammen er fasst den knaben wohl bei der hand der leistet auch nimmermehr widerstand die blätter flüstern so schaurig das wässerlein rieselt so traurig nun sprich du träumtest es kam ein mann war ich das sieh mich doch näher an ich denke du hast mich gesehen nun weiter wie ist es geschehen er zog ein messer war das wie dies ach ja ach ja er zogs und stieß er stieß dirs wohl so durch die kehle was hilft es auch dass ich dich quäle und fragt ihr wies weiter gekommen sei so fragt zwei vögel sie saßen dabei der rabe verweilte gar heiter die taube konnte nicht weiter der rabe erzählt was der böse noch tat und auch wies der henker gerochen hat die taube erzählt wie der knabe geweint und gebetet habe |
Der heilige Wein von Friedrich Hebbel, vor 1863 † „Es schlichen zwei schlimme Gesellen / sich in die Kapelle hinein: / in Kannen, in goldnen, geweihten, / stand dort der heilige Wein.“ |
1863 | 763 | der heilige wein von friedrich hebbel es schlichen zwei schlimme gesellen sich in die kapelle hinein in kannen in goldnen geweihten stand dort der heilige wein da spricht der eine mit lachen zum andern in sündigem mut komm willst du dich mit mir berauschen in christi eigenem blut der andere greift nach der kanne und setzt sie flugs an den mund sie trinken und trinken und trinken doch kommen sie nicht auf den grund sie trinken und trinken und trinken und treiben viel frostigen scherz doch steigt keine glut auf die wangen doch flammt keine lust durch das herz sie trinken und trinken und trinken die kanne bleibt voll wie sie war da packt sie ein innersten grausen sie stürzen hin zum altar sie rufen er blutet aufs neue wer stillt des blutes lauf er zeigt uns die offenen wunden o weh uns wir rissen sie auf nun schauen sie ewig den heiland ein blasses blutendes bild er blickt sie an nicht finster ach so unendlich mild |
Der Invalide von Friedrich Hebbel, vor 1863 † „Frei zieh ich durch Dörfer und Städte, / Frei zieh ich von Haus zu Haus, / Und um mein Amt zu vermelden: / Ich glaub, ich säe die Helden / Für künftige Schlachten aus.“ |
1863 | 621 | der invalide von friedrich hebbel frei zieh ich durch dörfer und städte frei zieh ich von haus zu haus und um mein amt zu vermelden ich glaub ich säe die helden für künftige schlachten aus einst hatt ich was ich brauchte jetzt brauch ich was ich hab noch gibt man mir ganz so gerne wie man mir in der ferne in feindes landen gab dort schrieb das quantum der degen hier schreibts der stelzfuß vor viel schmäler meinetwegen gewann ich doch an segen was ich an brot verlor auch sind ja hier nicht die klingen wie dort auf mich erpicht ich dem gedroht jedwede bin sicher jetzt gegen jede nur gegen die eigne nicht dort kommen buben gesprungen ich nehme den stein hier zum sitz am bettelbrot mich zu stärken wenn sichs die buben merken so bin ich noch zu was nütz |
Die Odaliske von Friedrich Hebbel, 1853 „Es harrt auf weichem Purpursamt / Die jüngste Sklavin ihres Herrn, / Und unter dunkler Braue flammt / Ihr Auge, wie ein irrer Stern.“ |
1853 | 1354 | die odaliske von friedrich hebbel es harrt auf weichem purpursamt die jüngste sklavin ihres herrn und unter dunkler braue flammt ihr auge wie ein irrer stern sie stammt aus jenem lande nicht wo ehrbarblond der weizen reift und stachlichtkeusch die gerste sticht wenn man sie noch so leise streift sie ist der feuerzone kind wo jede frucht von selber fällt weil sie der baum der zu geschwind die zweite zeitigt gar nicht hält sie hat von dem johannisstrauch die karge beere nie gepflückt die ohne kraft und ohne hauch zur abwehr gar den dorn noch zückt doch ward sie oft vom wein bespritzt weit himmelan die rebe drang und dann vom sonnenstrahl zerschlitzt die traube in der luft zersprang drum sitzt sie auch nicht seufzend da nun ihre eigne stunde naht sie denkt der rosen fern und nah die sie schon selbst gebrochen hat und sieh der pascha tritt herein zwar ernst und düster doch nicht alt und vor ihm her den becher wein trägt eines mohren nachtgestalt er sieht das mägdlein lange an mißt zug für zug und nickt nur still zum goldnen becher greift er dann und fragt ob sie nicht trinken will ihr aber schwillt schon jetzt das blut bis an der adern letzten rand drum fürchtet sie des weines glut und stößt ihn weg mit ihrer hand nun weist er stumm den mohren fort dem wild das auge glüht vor lust und setzt sich an den weichsten ort und küßt ihr langsam mund und brust und plötzlich dringt ein jäher schrei von außen ihr ins bange ohr sie ruft verstört was das denn sei und er versetzt es starb der mohr er trank den wein den ich dir bot und wird der sünde nimmer froh denn beigemischt war ihm der tod ich prüfe jede sklavin so |
Vater und Sohn von Friedrich Hebbel, vor 1863 † „»Wer hat die Kerze ins Dach gesteckt?« / Mein Sohn, dein Knabe tat’s! / »Sein Arm ist zu kurz, wie hoch er ihn reckt!« / Ich hob ihn empor, er erbat’s.“ |
1863 | 1321 | vater und sohn von friedrich hebbel wer hat die kerze ins dach gesteckt mein sohn dein knabe tats sein arm ist zu kurz wie hoch er ihn reckt ich hob ihn empor er erbats er weiß noch nicht was feuer ist du lehrtest ihn dies spiel und wenn du denn ganz ein teufel bist so steck ich dir heut das ziel nun packt er den vater beim weißen schopf und schleift ihn hinaus in die nacht das knäblein mit dem blonden kopf schaut nach der alte lacht du höhnst mich noch ich schlag dich hund schlag zu mir tuts nicht weh ich trete dich das ist gesund juchhe juchhe juchhe so kommen sie an die schwarze schlucht in der es ewig braust weil sie in unterirdischer flucht der wildeste strom durchsaust mein sohn mein sohn nicht dort hinein halt an in deinem lauf dort fault schon menschliches gebein dort droht ein schatten herauf wer fault denn dort mein vater sohn schau eben zeigt er sich wem droht der schatten wem sollt er drohn dem mörder und das bin ich es war wie heut kalt pfiff der wind die wolken hingen schwer du standest dabei ein stummes kind dein zucken kommt daher ich wehr mich nicht machs ab machs ab hier ist ein messer dazu nur gönne mir ein eignes grab dort fänd ich nimmer ruh der mond ergießt sein blaues licht durch eine wolke schwach es trifft ein blasses kindergesicht das knäblein schlich sich nach ihn graust er zieht mit der rechten schnell sein kind zu sich heran und reicht die linke auf der stell dem bösen vater dann steh auf und steckst du auch morgen mir die hütte ganz in brand ich setze den stuhl in der neuen dir der in der alten stand |
Vater unser von Friedrich Hebbel, 1839 „Blitze lauern hinter Wolken, / In den Eichen wühlt der Sturm; / Dicker Wald; ein Notgeläute / Hallt schon dumpf von manchem Turm.“ |
1839 | 1317 | vater unser von friedrich hebbel blitze lauern hinter wolken in den eichen wühlt der sturm dicker wald ein notgeläute hallt schon dumpf von manchem turm ruhig unterm breiten baume seine pfeife in dem mund liegt der alte räuberhauptmann ihm zu füßen schläft sein hund und ein jüngling bleich wie keiner streckt sich ihm zur seite hin schleif dein messer spricht der alte er gehorcht mit schwerem sinn rot und zischend zwischen beide springt ein blitz doch trifft er nicht vater unser ruft der jüngling doch der alte flucht und spricht vater unser laß ich gelten wenn man auf dem richtstuhl sitzt wenn die schere in den haaren und das beil im nacken blitzt jetzt verbiet ich dir das beten denn zum herrn erkorst du mich und ich stell den mord noch heute dunkel zwischen gott und dich ja ich schwörs du sollst den ersten den du hier erblicken wirst töten daß du nicht noch einmal dich von mir zu gott verirrst du erschrickst ich wills nicht schelten mir auch schien das einst gar viel und auch du erlebst die zeiten wo dus treibst wie ich als spiel mir ist solch ein mut gekommen seit ich weil er zornig sprach vom gericht und andern dingen meinen vater niederstach angstgeschüttelt ruft der jüngling nimmer nimmer tatst du das kräftig schmauchend spricht der alte ei ich tats und ists denn was wohl da muß ichs freilich halten was du schwurst und tus mit lust rufts und stößt dem grausen alten fest sein messer in die brust jener ballt die hand verröchelnd doch er sieht es ohne graus betet wie nach einem opfer laut sein vaterunser aus |
Bothwell von Emanuel Geibel, 1860/64 „Wie bebte Königin Marie, / Als durchs geheime Pförtlein spat / Mit ungebognem Haupt und Knie / In ihr Gemach Graf Bothwell trat!“Emanuel Geibel |
1860 | 1029 | bothwell von emanuel geibel wie bebte königin marie als durchs geheime pförtlein spat mit ungebognem haupt und knie in ihr gemach graf bothwell trat ihr schön gesicht ward leichenweiß sie zuckt und sah ihn fragend an er wischte von der stirn den schweiß und sagte dumpf es ist getan es ist getan dein süßer mund war nicht für buben solcher art heut abend um die achte stund hielt heinrich darnley himmelfahrt sie schrie empor verzeih dir gott nimm all mein gold nimm hin und flieh da lacht er laut in grimmem spott was soll mir gold für blut marie ich liebe dich und wenn ich mich der höll ergab zu dieser frist so wars um dich allein um dich weil du der schönste teufel bist die hand die einen könig schlug greift auch nach einer königin er riefs und graun in jedem zug starr wie ein wachsbild sank sie hin er hub sie auf sie fühlt es nicht daß ihr ins fleisch sein stahlhemd schnitt ihr lockig haupthaar wallte dicht um seine schulter wie er schritt er stieß den ring an ihre hand er schwang sie vor sich fest aufs roß und jagt ins wetterschwüle land hinaus mit ihr gen dunbarschloß schwarz war die nacht als wäre rings erloschen jeder stern des heils nur manchmal in den wolken gings gleichwie das blitzen eines beils |
Der Tod des Tiberius von Emanuel Geibel, vor 1884 † „Bei Kap Misenum winkt ein fürstlich Haus / aus Lorbeerwipfeln zu des Meeres Küsten, / mit Säulengängen, Mosaiken, Büsten, / und jedem Prunkgerät zu Fest und Schmaus.“ |
1884 | 5163 | der tod des tiberius von emanuel geibel bei kap misenum winkt ein fürstlich haus aus lorbeerwipfeln zu des meeres küsten mit säulengängen mosaiken büsten und jedem prunkgerät zu fest und schmaus oft sah es nächtlicher gelage glanz wo lockge knaben efeu um die stirnen mit bechern flogen silberfüßge dirnen den thyrsus schwangen in berauschtem tanz und jauchzen scholl gelächter saitenspiel bis auf die gärten rings der frühtau fiel doch heut wie stumm das haus nur hier und dort ein fenster hell und wo die säulen düstern wogt am portal der sklaven schwarm mit flüstern es kommen sänften boten sprengen fort und jedesmal dann zuckt umher im kreise ein fragen das nur scheu um antwort wirbt was sagt der arzt wie steht es leise leise zu ende gehts der greise tiger stirbt bei matter ampeln zwielicht droben lag der kranke cäsar auf den purpurkissen sein fahl gesicht von schwären wild zerrissen erschien noch grauser heut als sonst es pflag hohl glomm das auge durch die schläfe wallte des fiebers glut daß jede ader schlug niemand war bei ihm als der arzt der alte und macro der des hauses schlüssel trug und jetzt mit halbersticktem schreckensruf aus seinen decken fuhr empor der sieche hochauf sich bäumend schaff mir kühlung grieche eis eis im busen trag ich den vesuv o wie das brennt doch grimmer brennt das denken im haupt mir ich verfluch es tausendmal und kanns doch lassen nicht zu meiner qual o gib mir lethe lethe mich zu tränken umsonst dort wälzt sichs wieder schon heran wie rauchgewölk und ballt sich zu gestalten sieh von den wunden heben sie die falten und starren mich gebrochnen auges an germanicus und drusus und sejan wer rief euch her kann euch das grab nicht halten was saugt ihr mit dem leichenblick dem stieren an meinem blut und dörrt mir das gebein es ist wahr ich tötet euch doch mußt es sein wer hieß im würfelspiel euch auch verlieren hinweg weh mir wann endet diese pein der arzt bot ihm den kelch er sog ihn leer und sank zurück in tödlichem ermatten dann aus den kissen blickt er scheu umher und frug verstört nicht wahr du siehst nichts mehr fort sind sie fort die fürchterlichen schatten vielleicht auch wars nur dunst doch glaube mir sie kamen oft schon nachts und wie sie quälen das weiß nur ich doch still komm setz dich hier nah nah von anderm will ich dir erzählen auch ich war jung einst traut auf meinen stern und glaubt an menschen doch der wahn der jugend zerstob zu bald nur und ins innre lugend verfault erfand ich alles wesens kern da war kein ding so hoch und bar der rüge der wurm saß drin aus jeder großtat sahn der selbstsucht züge mich versteinernd an lieb ehre tugend alles schein und lüge nichts unterschied vom reißenden getier dies kotgeschlecht als im ehrlosen munde der falschheit honig und im herzensgrunde die größre feigheit und die wildre gier wo war ein freund der nicht den freund verriet ein bruder der nicht brudermord gestiftet ein weib das lächelnd nicht den mann vergiftet nichtswürdig alle stets dasselbe lied da ward auch ich wie sie und weil nur schrecken sie zähmte lernt ich schrecken zu erwecken und krieg mit ihnen führt ich zum genuß ward ihre qual mir ihr verendend röcheln ich schritt ins blut hinein bis zu den knöcheln doch auch das grausen wird zum überdruß und jetzt nur noch gequält vom strahl des lichts matt trostlos reulos starr ich in das nichts sein wort ging tonlos aus er keuchte leis im krampf von seinen schläfen floß der schweiß und graß verstellt wie eine larve sah sein blutlos antlitz zu des lagers stufen trat macro da soll ich den cajus rufen herr deinen enkel den caligula du bist sehr krank doch jener schlange falle mein fluch auf dich was geht dich cajus an noch leb ich mensch und cajus ist wie alle ein narr ein schurk ein lügner nur kein mann und wär ers frommt es nicht kein held verjüngt rom und die welt wie er mit blut sie düngt wenns götter gäb auf diesem berg der scherben vermöcht ein gott selbst nicht mehr frucht zu ziehn und nun der blöde knab nein nein nicht ihn die rachegeister welche mich verderben die furien die der abgrund ausgespien sie und das chaos setz ich ein als erben für sie das zepter und im schlafgewand hoch sprang er auf und wie die glieder flogen im todesschweiß riß er vom fensterbogen den vorhang fort und warf mit irrer hand hinaus den stab der herrschaft in die nacht dann schlug er sinnlos hin im hofe stand in sich vertieft ein kriegsknecht auf der wacht blondbärtig hoch zu dessen füßen rollte des zepters rundes elfenbein und sprang vom glatten marmorgrund mit hellem klang an ihm empor als obs ihn grüßen wollte er nahm es auf unwissend was es sei und sank zurück in seine träumerei er dacht an seinen wald im wesertal die düstern wipfelkronen sah er ragen er sah am malstein die genossen tagen blank jedes wort wie ihrer streitaxt stahl und treu die hand zum sühnen wie zum schlagen und an sein liebes weib gedacht er dann er sah sie sitzen an des hüttleins schwelle im langen gelben haar wie sie mit schnelle die spindel wirbelnd in die ferne sann wohl her zu ihm und vor ihr spielt am rhein sein knabe der den ersten speer sich schnitzte und dem so kühn das blaue auge blitzte als sprächs ein schwert nur und die welt ist mein und plötzlich floß dann wie verstand er kaum ein andres bild in seinen heimatstraum vor seiner seele drängt es sich mit macht wie er dereinst in heißen morgenlanden als wacht an eines mannes kreuz gestanden bei dessen tod die sonn erlosch in nacht wohl lag dazwischen manch durchstürmter tag doch konnt er nie des dulders blick vergessen darin ein leidensabgrund unermessen und dennoch alles segens fülle lag und nun wie kams nur über seinen eichen sah er dies kreuz erhöht als siegeszeichen und seines volks geschlechter sah er ziehn unzählig stromgleich über den gefilden von waffen wogt es und auf ihren schilden stand jener mann und glorie strahlt um ihn da fuhr er auf aus des palastes hallen kam dumpf geräusch der herr der welt war tot er aber schaute kühn ins morgenrot und sahs wie einer zukunft vorhang wallen |
Des Woiewoden Tochter von Emanuel Geibel, vor 1884 † „Es steht im Wald, im tiefen Wald / Das Haus des Woiewoden; / Eiszapfen hangen am Dache kalt, / Und Schnee bedeckt den Boden.“ |
1884 | 1403 | des woiewoden tochter von emanuel geibel es steht im wald im tiefen wald das haus des woiewoden eiszapfen hangen am dache kalt und schnee bedeckt den boden das fräulein sitzt am herd und spinnt zu ihrem hochzeitschleier sie hört im rauchfang gehn den wind und schürt empor das feuer da tritt die waldfrau zu ihr ein die pflegt nicht guts zu bringen guten abend feines goldtöchterlein will dir ein liedchen singen was sollen deine lieder mir mein liebster der kommt balde da hast du brot da hast du bier geh wieder heim zum walde die alte sprach hast immer zeit dein schatz wird nimmer kommen der wald ist tief der weg ist weit hat andern weg genommen was quälst du mich mit falschem weh treu wird mein liebster bleiben er schwur es mir bis aus dem schnee einst rote röslein treiben das fräulein riefs doch war ihr bang der wind pfiff nicht geheuer die alte blieb die alte sang ihr dumpfes lied ins feuer und als ich ging die schlucht entlang da kamen drei wölfe gesprungen die heulten wie ob gutem fang und hatten blutige zungen und als ich kam zum fichtenzaun drei raben hört ich schreien sie schrien ihr jungen euch sollt traun der frische schmaus gedeihen und als ich kam zum eisgen see hab ich einen knaben gefunden es floß wohl über den winterschnee sein blut aus tiefen wunden rot röslein blüht aus dem schnee so kalt nun hast dus selbst vernommen der weg ist weit und tief der wald dein schatz wird nimmer kommen das lied war aus die alte fort des herdes glut vergangen die jungfrau saß und sprach kein wort ihr waren so bleich die wangen und lauter draußen pfiff der wind und lauter schrien die raben drei tage nach diesem hat sein kind der woiewod begraben |
Die Goldgräber von Emanuel Geibel, 1870 „Sie waren gezogen über das Meer, / Nach Glück und Gold stand ihr Begehr, / Drei wilde Gesellen, vom Wetter gebräunt, / Und kannten sich wohl und waren sich freund.“ |
1870 | 2224 | die goldgräber von emanuel geibel sie waren gezogen über das meer nach glück und gold stand ihr begehr drei wilde gesellen vom wetter gebräunt und kannten sich wohl und waren sich freund sie hatten gegraben tag und nacht am flusse die grube im berge den schacht in sonnengluten und regengebraus bei durst und hunger hielten sie aus und endlich endlich nach monden voll schweiß da sahn aus der tiefe sie winken den preis da glüht es sie an durch das dunkel so hold mit blicken der schlange das feurige gold sie brachen es los aus dem finsteren raum und als sies faßten sie hoben es kaum und als sies wogen sie jauchzten zugleich nun sind wir geborgen nun sind wir reich sie lachten und kreischten mit jubelndem schall sie tanzten im kreis um das blanke metall und hätte der stolz nicht bezähmt ihr gelüst sie hättens mit brünstiger lippe geküßt sprach tom der jäger nun laßt uns ruhn zeit ists auf das mühsal uns gütlich zu tun geh sam und hol uns speisen und wein ein lustiges fest muß gefeiert sein wie trunken schlenderte sam dahin zum flecken hinab mit verzaubertem sinn sein haupt umnebelnd beschlichen ihn sacht gedanken wie er sie nimmer gedacht die andern saßen am bergeshang sie prüften das erz und es blitzt und es klang sprach will der rote das gold ist fein nur schade daß wir es teilen zu drein du meinst je nun ich meine nur so zwei würden des schatzes besser froh doch wenn wenn was nun nehmen wir an sam wäre nicht da ja freilich dann sie schwiegen lang die sonne glomm und gleißt um das gold da murmelte tom siehst du die schlucht dort unten warum ihr schatten ist tief und die felsen sind stumm versteh ich dich recht was fragst du noch viel wir dachten es beide und führens ans ziel ein tüchtiger stoß und ein grab im gestein so ist es getan und wir teilen allein sie schwiegen aufs neu es verglühte der tag wie blut auf dem golde das spätrot lag da kam er zurück ihr junger genoß von bleicher stirne der schweiß ihm floß nun her mit dem korb und dem bauchigen krug und sie aßen und tranken mit tiefem zug hei lustig bruder dein wein ist stark er rollt wie feuer durch bein und mark komm tu uns bescheid ich trank schon vorher nun sind vom schlafe die augen mir schwer ich streck ins geklüft mich nun gute ruh und nimm den stoß und den dazu sie trafen ihn mit den messern gut er schwankt und glitt im rauchenden blut noch einmal hub er sein blaß gesicht herrgott im himmel du hältst gericht wohl um das gold erschluget ihr mich weh euch ihr seid verloren wie ich auch ich ich wollte den schatz allein und mischt euch tödliches gift an den wein |
Die weiße Schlange von Emanuel Geibel, 1844/53 „Auf der Burg in reichgeschmückter Halle / Schweigsam brütend sitzt der greise Stojan, / Sitzt beim vollen Silberkrug und trinkt nicht, / Starrt empor zum Balkenwerk der Decke, / Das von güldnen Drachenköpfen funkelt;“ |
1844 | 7773 | die weiße schlange von emanuel geibel auf der burg in reichgeschmückter halle schweigsam brütend sitzt der greise stojan sitzt beim vollen silberkrug und trinkt nicht starrt empor zum balkenwerk der decke das von güldnen drachenköpfen funkelt hell ins fenster lacht die spätherbstsonne doch nicht mit ihr lacht die seele stojans denn sie denkt gedanken vorger tage denkt und sinnt und weiß nicht froh zu werden tritt zu ihm herein vom see der fischer neigt sich dreimal tief und spricht die worte grüß dich gott herr stojan mein gebieter heute nacht im see die netze warf ich doch nicht aale fing ich drin noch karpfen noch die brut des blaugefloßten hechtes fing statt ihrer eine weiße schlange weiß an kopf und rücken roth am bauche wer von solcher weißen schlange isset der vernimmt es was die thiere sprechen aus dem feld das wild im laub die vogel auch der wipfel rede mag er deuten wenn sie flüstern mit den grünen zungen und des bachs geschwätz der winde sausen giebst du dreißig goldstück mir herr stojan will ich dir die weiße schlange lassen dreißig goldstück giebt der greis dem fischer schickt ihn heim und ruft den koch zur stelle daß er ihm die schlange zubereite spricht dann zu sich selbst und pfeift dazwischen mag hinfort mich die woiwodschaft meiden die mir nicht zum schmause kommt um ostern noch zum zechgelag am neujahrsabend fortan lach ich ihres außenbleibens reden werd ich mit den thieren draußen daß sie die gedanken mir verscheuchen und die träume die ich träum im wachen als die mittagsstunde nun geschlagen bringt der koch die schlange wohlbereitet grünumkränzt auf goldgediegner schüssel munter setzt herr stojan sich zur tafel legt sich vor und ißt mit wohlbehagen ißt und trinkt vom rothen wein dazwischen bis die schüssel auf den grund geleert ist drauf vom sessel springt er auf die füße schnallt sich um den säbel mit smaragden heißt den knecht sein türkisch rothroß satteln schwingt sich auf und reitet aus dem hofe bald im dichten walde trabt herr stojan wo der weg zum schwarzen see hinabführt laublos schon am wege stehn die bäume in den wipfeln hört er da ein schallen das von ast zu aste weiterflüstert bang und traurig wie von menschenstimmen die ein dräuend unheil sich verkünden doch er achtets kaum und reitet weiter als er nun den schwarzen see erreicht hat flattern übers wasser her zwei raben alte vögel beide breitgeflügelt ruhn dann krächzend aus auf einer fichte wohl vernimmt herr stojan was sie krächzen hält sein rothroß an und lauscht zur kurzweil spricht der erste rabe da zum zweiten bruder sprich woher hast du den goldreif den ich gestern sah in deinem schnabel fein und blank mit sieben rothen steinen wo doch hast du den gefunden sag mirs ihm erwiedert drauf der andre vogel mährlein will ich dir erzählen bruder von dem goldreif wunderliche mährlein sind nun siebenundzwanzig jahr und länger daß ein mägdlein hier im walde wohnte weiß und roth mit langen schwarzen zöpfen trug sie nur ein hemd von grobem linnen nur sandalen an den weißen füßen trug sie doch ein antlitz wie die blumen heller schien die sonne wenn sie lachte wenn sie sang so stand das bächlein stille grüner ward der rasen drauf sie tanzte sieh da kam des wegs ein herr geritten reiherfedern an der zobelmütze gold sein zaum sein säbel mit smaragden einmal kam er erst dann kam er vielmals sprach ihr zu und schwur ihr hundert schwüre steckt ihr an den finger einen goldreif fein und blank mit sieben rothen steinen daß sie seinen schwüren glauben möchte und sie glaubt und ließ von ihm sich küssen lieblich däucht es ihr den langen sommer aber als im herbst die vögel zogen fernhin zogen und nicht wiederkamen kam auch er nicht wieder gleich den vögeln wo er blieb das mag die sonne wissen noch jedweden abend kam das mägdlein saß am see und weinte heiße thränen weint hernieder auf den schnee im winter und im frühjahr auf die blauen veilchen aber in der nacht der frühlingsgleiche schrie sie laut empor vor großer trübsal sprang hinunter dann ins schwarze wasser keiner hat sie wieder je gesehen nur den goldreif warf der see ans ufer so zum einen raben spricht der andre doch herrn stojan dünkt es üble kurzweil dröhnend schlägt das herz ihm wie ein hammer seinem rothroß drückt er ein die sporen daß es stöhnt und jählings drauf dahinschießt kreuz und quer von keinem pfad geleitet aber endlich keuchend hält es stille hält an einer hütt und will nicht weiter tief im finstern walde liegt die hütte hat nicht fenster mehr noch thür und angel hohes unkraut wuchert auf der schwelle sitzen auf dem dach zwei wilde tauben blau und weiß ein männlein und ein weibchen gurren laut und wohl vernimmts herr stojan fragt die wilde taube da den tauber männlein sprich was ists mit dieser hütte daß darinnen keine menschen hausen wie in allen hütten sonst im forste warum steht sie gar so öde sag mirs ihr erwiedert drauf der wilde tauber mährlein sollst du hören du mein weibchen nicht zu jeder zeit wars hier so einsam wohnte vormals in der hütt ein köhler alt von jahren schwarz mit weißem barte wohnte mit ihm drin ein junger knabe sah nicht aus wie köhlerbuben aussehn hieß er so doch war ers nicht in wahrheit denn am see einst fand das kind der alte morgens nach der nacht der frühlingsgleiche nahms und pflegt es groß an sohnes stelle stark und schön erwuchs der knab im walde goldne locken sproßten ihm am haupte schwarze brauen über schwarzen augen doch am meiler mocht er nimmer stehen noch die kohlen schüren mit dem schürbaum schnitzte lieber bogen sich und pfeile scharfe pfeile die das wild erlegen oder zog sich falken auf zur beize täglich ging er dann hinaus zu jagen kehrte beim zu nacht mit reicher beute und der köhler freute sich des mahles aber einst am tag der sonnenwende sieben jahre sind es nun und länger ging er auch zu wald und kam nicht wieder kam auch nicht am andern tag noch später daß der alte drob zu tod sich härmte wo er blieb das mag die sonne wissen so zur wilden taube spricht der tauber doch herr stojan hört es mit entsetzen kalter angstschweiß perlt ihm von der stirne und zu eis gefriert sein herz im leibe plötzlich wirft er dann herum sein rothroß jagt nach hause fort durch dorn und dickicht jagt in hast als ob der tod ihn hetze scharf ins antlitz schlagen ihm die aeste zornig pfeift der wind aus hagelwolken doch er merkt es kaum und fleucht von dannen als er nun das thor der burg erreicht hat sporenklirrend eilt er in die halle heißt im steinkamin ein feuer zünden hoch aus fichtenholz ein großes feuer daß er sich sein frierend herz erwärme wirft sich lechzend dann in seinen sessel bald im steinkamine brennt das feuer brütend ins geloder starrt herr stojan aber wie er starrt da saust es drinnen saust und prasselt um die harzgen scheite sieh und plötzlich reckt sich hoch die flamme blitzt ihn an und spricht mit rothen zungen mährlein künden will ich dir herr stojan dunkle mährlein von vergangnen tagen war ich einst ein fichtenbaum im walde streckte tief ins erdreich meine wurzeln meinen wipfel in des himmels bläue wohl gedenk ich noch der alten zeiten doch zumeist des tags der sonnenwende sieben jahre sind es nun und länger saß ein knabe da in meinem schatten goldnen haars mit schwarzen augenbrauen trug auf seiner faust den schönsten falken spielt und koste mit dem klugen vogel zu der stunde kamst auch du herr stojan kamst vom waidwerk durch den busch geschritten sahst den falten an und er gefiel dir daß du trutzig ihn vom knaben heischtest aber dieser wollt ihn nimmer lassen faßt ihn fest und lachte da du drohtest lachte wie du selber pflegst zu lachen da ergrimmte dir die finstre seele zogst ein spitzes messer aus den gürtel stießest ihm ins herz das spitze messer wandtest dich und flohst mit rothen händen kreischend hub der falk sich in die lüfte doch im moos verscheidend lag der knabe langsam aus der wunde troff sein herzblut troff in strömen über meine wurzeln troff hinunter in die schwarze erde sieh da schauderte die schwarze erde zuckte wie im krampf und schrie zur sonne weh von welchem blut hab ich getrunken blut verströmt in unerhörtem gräuel kindesblut von vaterhand vergossen also saust im steinkamin die flamme da vom sessel fluchend springt herr stojan reißt den krummen säbel aus der scheide haut in blinder wuth damit ins feuer daß die brände durch die halle spritzen taumelt dann und stürzt erschöpft zu boden aber leise züngelts aus den bränden schießt wie rothe schlänglein hin und wieder leckt und klimmt empor am wandgetäfel klimmt empor ins balkenwerk der decke doch urplötzlich droben wächst die lohe wie ein riesenfächer der sich aufschlägt bricht zugleich durch fenster pfort und gitter wirbelt aus dem dach als feuersäule wirbelt hochhinauf zum dunkeln himmel und in flammen kracht die burg zusammen liegt nun tief im wald ein trümmerhaufen hochgethürmter schutt verkohlte balken jagt kein jäger dort und treibt kein hirte singt kein vogel auch an jener stätte und kein thau benetzt umher das erdreich denn verflucht sind die geschwärzten steine drunter liegen die gebeine stojans stojans der den eignen sohn erschlagen |
Friedrich Rotbart von Emanuel Geibel, 1837 „Tief im Schloße des Kyffhäusers / Bei der Ampel rotem Schein / Sitzt der alte Kaiser Friedrich / An dem Tisch von Marmorstein.“ |
1837 | 1224 | friedrich rotbart von emanuel geibel tief im schloße des kyffhäusers bei der ampel rotem schein sitzt der alte kaiser friedrich an dem tisch von marmorstein ihn umwallt der purpurmantel ihn umfängt der rüstung pracht doch auf seinen augenwimpern liegt des schlafes tiefe nacht vorgesunken liegt das antlitz dem sich ernst und milde paart durch den marmortisch gewachsen ist sein langer goldner bart rings wie ehrne bilder stehen seine ritter um ihn her harnischglänzend schwertumgürtet aber tief im schlaf wie er heinrich auch der ofterdingen ist in ihrer stummen schar mit den liederreichen lippen mit dem goldgelockten haar seine harfe ruht dem sänger in der linken ohne klang doch auf seiner hohen stirne schläft ein künftiger gesang alles schweigt nur hin und wieder fällt ein tropfen vom gestein bis der große morgen plötzlich bricht mit feuersglut herein bis der adler stolzen fluges um des berges gipfel zieht daß vor seines fittichs rauschen dort der rabenschwarm entflieht aber dann wie ferner donner rollt es durch den berg herauf und der kaiser greift zum schwerte und die ritter wachen auf laut in seinen angeln tönend springet auf das ehern tor barbarossa mit den seinen steigt im waffenschmuck empor auf dem helm trägt er die krone und den sieg in seiner hand schwerter blitzen harfen klingen wo er schreitet durch das land und dem alten kaiser beugen sich die völker allzu gleich und aufs neu zu aachen gründet er das heilge deutsche reich |
Krokodilromanze von Emanuel Geibel, 1873/77 „Ich bin ein altes Krokodil / Und sah schon die Osirisfeier; / Bei Tage sonn ich mich im Nil, / Bei Nacht am Strande leg ich Eier.“ |
1873 | 339 | krokodilromanze von emanuel geibel ich bin ein altes krokodil und sah schon die osirisfeier bei tage sonn ich mich im nil bei nacht am strande leg ich eier ich weiß mit listgem wehgekreisch mir stets die mahlzeit zu erwürken gewöhnlich freß ich mohrenfleisch und sonntags manchmal einen türken die klauen in den sand gepflanzt tiefsinnig spricht sie tochter thebens friß nur was du verdauen kannst das ist das rätsel deines lebens |
Omar von Emanuel Geibel, vor 1884 † „Inmitten seiner Turbankrieger, / Die Stirne voll Gewitterschein, / Zog Omar, der Kalif, als Sieger / Ins Tor der Ptolemäer ein.“ |
1884 | 1880 | omar von emanuel geibel inmitten seiner turbankrieger die stirne voll gewitterschein zog omar der kalif als sieger ins tor der ptolemäer ein umrauscht von mekkas halbmondbannern ritt langsam er dahin im zug ihm folgte mit den bogenspannern ein negerschwarm der fackeln trug sie zogen durch die öden gassen durch siegestor und säulengang drin klirrend nur der schritt der massen der hengste stampfen widerklang schon lenkte zu den porphyrstufen der alten hofburg der kalif da warf vor seines rosses hufen ein greis sich in den staub und rief o herr der sieger warst du heute und diese stadt des nils ist dein so nimm als reiche schlachtenbeute ihr gold und erz und elfenbein die türme stürz in schutt zusammen zerbrich den bilderschmuck des hains die tempel selber gib den flammen nur eins verschone herr nur eins sieh hin wo dort die sphinxe grollen am tor die hüter unsres ruhms da schläft in hunderttausend rollen der geisterhort des altertums was seit der erdkreis aufgerichtet in tat und wort sich offenbart was je gedacht ward und gedichtet dort liegts der nachwelt aufbewahrt o gib den schatz aus allen reichen der welt gehäuft mit treuem fleiß gib dies vermächtnis ohnegleichen der menschheit erbteil gib nicht preis nein heilig sei auch dir die stätte die jede muse fromm geweiht streck drüber deine hand und rette der zukunft die vergangenheit doch omar zieht die stirn in falten und spricht indem sein auge flammt ich bin genaht gericht zu halten was drängst du tor dich in mein amt hinweg daß meines zorns geloder nicht dich samt deinen rollen trifft die schätze die du rühmst sind moder und was du weisheit nennst ist gift schon allzulang am unfruchtbaren vielwissen siecht die welt erschlafft der staub von mehr als tausend jahren liegt wie ein alp auf jeder kraft des lebens baum ließ ab zu lauben seit dran der wurm des zweifels zehrt wo ist ein herz noch frisch zum glauben wo ist ein arm noch stark zum schwert daß endlich diese dumpfheit ende bin ich gesandt vom herrn ein blitz auf schleudert denn die feuerbrände in der verjährten krankheit sitz und wenn umwogt vom flammenmeere der aufgetürmte wust zergeht ruft gott ist groß ihm sei die ehre und mahomed ist sein prophet |
Geschwisterblut von Theodor Storm, 1853 (?) „Sie saßen sich genüber bang / Und sahen sich an in Schmerzen; / Oh, lägen sie in tiefster Gruft / Und lägen Herz an Herzen! –“Theodor Storm |
1853 | 1906 | geschwisterblut von theodor storm sie saßen sich genüber bang und sahen sich an in schmerzen oh lägen sie in tiefster gruft und lägen herz an herzen sie sprach daß wir beisammen sind mein bruder will nicht taugen er sah ihr in die augen tief o süße schwesteraugen sie faßte flehend seine hand und rief o denk der sünde er sprach o süßes schwesterblut was läufst du so geschwinde er zog die schmalen fingerlein an seinen mund zur stelle sie rief oh hilf mir herre christ er zieht mich nach der hölle der bruder hielt ihr zu den mund er rief nach seinen knappen nun rüsteten sie reisezeug nun zäumten sie die rappen er sprach daß ich dein bruder sei nicht länger will ichs tragen nicht länger will ich drum im grab vater und mutter verklagen zu lösen vermag der papst urban er mag uns lösen und binden und säß er an sankt peters hand den brautring muß ich finden er ritt dahin die träne rann von ihrem angesichte der stuhl wo er gesessen stand im abendsonnenlichte sie stieg hinab durch hof und hall zu der kapelle stufen weh mir ich hör im grabe tief vater und mutter rufen sie stieg hinauf ins kämmerlein das stand in dämmernissen ach nächtens schlug die nachtigall da saß sie wach im kissen da fuhr ihr herz dem liebsten nach allüberall auf erden sie streckte weit die arme aus unselig muß ich werden schon war mit seinem rosenkranz der sommer fortgezogen es hatte sich die nachtigall in weiter welt verflogen im erker saß ein blasses weib und schaute auf die fliesen so stille wars kein tritt erscholl kein hornruf über die wiesen der abendschein alleine ging vergoldend durch die halle da öffneten die tore sich geräuschlos ohne schalle da stand an seiner schwelle rand ein mann in harm gebrochen der sah sie toten auges an kein wort hat er gesprochen es lag auf ihren lidern schwer sie schlug sie auf mit mühen sie sprang empor sie schrie so laut wie noch kein herz geschrieen doch als er sprach es reicht kein ring um schwester und bruderhände um stürzte sie den marmortisch und schritt an saales ende sie warf in seine arme sich doch war sie bleich zum sterben er sprach so ist die stunde da daß beide wir verderben die schwester von dem nacken sein löste die zarten hände wir wollen zu vater und mutter gehn da hat das leid ein ende |
In Bulemanns Haus von Theodor Storm, vor 1888 † „Es klippt auf den Gassen im Mondenschein; / Das ist die zierliche Kleine, / Die geht auf ihren Pantöffelein / Behend und mutterseelenallein / Durch die Gassen im Mondenscheine.“ |
1888 | 1912 | in bulemanns haus von theodor storm es klippt auf den gassen im mondenschein das ist die zierliche kleine die geht auf ihren pantöffelein behend und mutterseelenallein durch die gassen im mondenscheine sie geht in ein alt verfallenes haus im flur ist die tafel gedecket da tanzt vor dem monde die maus mit der maus da setzt sich das kind mit den mäusen zu schmaus die tellerlein werden gelecket und leer sind die schüsseln die mäuslein im nu verrascheln in mauer und holze nun läßt es dem mägdlein auch länger nicht ruh sie schüttelt ihr kleidchen sie schnürt sich die schuh dann tritt sie einher mit stolze es leuchtet ein spiegel aus goldnem gestell da schaut sie hinein mit lachen gleich schaut auch heraus ein mägdelein hell das ist ihr einziger spielgesell nun wolln sie sich lustig machen sie nickt voll huld ihr gehört ja das reich da neigt sich das spiegelkindlein da neigt sich das kind vor dem spiegel zugleich da neigen sich beide gar anmutreich da lächeln die rosigen mündlein und wie sie lächeln so hebt sich der fuß es rauschen die seidenen röcklein die händchen werfen sich kuß um kuß das kind mit dem kinde nun tanzen muß es tanzen im nacken die löcklein der mond scheint voller und voller herein auf dem estrich gaukeln die flimmer im takte schweben die mägdelein bald tauchen sie tief in die schatten hinein bald stehn sie in bläulichem schimmer nun sinken die glieder nun halten sie an und atmen aus herzensgrunde sie nahen sich schüchtern und beugen sich dann und knien voreinander und rühren sich an mit dem zarten unschuldigen munde doch müde werden die beiden allein von all der heimlichen wonne sehnsüchtig flüstert das mägdelein ich mag nicht mehr tanzen im mondenschein ach käme doch endlich die sonne sie klettert hinunter ein trepplein schief und schleicht hinab in den garten die sonne schlief und die grille schlief hier will ich sitzen im grase tief und der sonne will ich warten doch als nun morgens um busch und gestein verhuschet das dämmergemunkel da werden dem kinde die äugelein klein sie tanzte zu lange bei mondenschein nun schläft sie bei sonnengefunkel nun liegt sie zwischen den blumen dicht auf grünem blitzendem rasen und es schauen ihr in das süße gesicht die nachtigall und das sonnenlicht und die kleinen neugierigen hasen |
Von Katzen von Theodor Storm, vor 1848 „Vergangnen Maitag brachte meine Katze / Zur Welt sechs allerliebste kleine Kätzchen, / Maikätzchen, alle weiß mit schwarzen Schwänzchen. / Fürwahr, es war ein zierlich Wochenbettchen!“ |
1848 | 1340 | von katzen von theodor storm vergangnen maitag brachte meine katze zur welt sechs allerliebste kleine kätzchen maikätzchen alle weiß mit schwarzen schwänzchen fürwahr es war ein zierlich wochenbettchen die köchin aber köchinnen sind grausam und menschlichkeit wächst nicht in einer küche die wollte von den sechsen fünf ertränken fünf weiße schwarzgeschwänzte maienkätzchen ermorden wollte dies verruchte weib ich half ihr heim der himmel segne mir meine menschlichkeit die lieben kätzchen sie wuchsen auf und schritten binnen kurzem erhobnen schwanzes über hof und herd ja wie die köchin auch ingrimmig drein sah sie wuchsen auf und nachts vor ihrem fenster probierten sie die allerliebsten stimmchen ich aber wie ich sie so wachsen sahe ich preis mich selbst und meine menschlichkeit ein jahr ist um und katzen sind die kätzchen und maitag ists wie soll ich es beschreiben das schauspiel das sich jetzt vor mir entfaltet mein ganzes haus vom keller bis zum giebel ein jeder winkel ist ein wochenbettchen hier liegt das eine dort das andre kätzchen in schränken körben unter tisch und treppen die alte gar nein es ist unaussprechlich liegt in der köchin jungfräulichem bette und jede von den sieben katzen hat sieben denkt euch sieben junge kätzchen maikätzchen alle weiß mit schwarzem schwänzchen die köchin rast ich kann der blinden wut nicht schranken setzen dieses frauenzimmers ersäufen will sie alle neunundvierzig mir selber ach mir läuft der kopf davon o menschlichkeit wie soll ich dich bewahren was fang ich an mit sechsundfünfzig katzen |
Walpurgisnacht von Theodor Storm, vor 1888 † „Am Kreuzweg weint die verlassene Maid, / Sie weint um verlassene Liebe. / Die klagt den fliegenden Wolken ihr Leid, / Ruft Himmel und Hölle zu Hülfe. –“ |
1888 | 866 | walpurgisnacht von theodor storm am kreuzweg weint die verlassene maid sie weint um verlassene liebe die klagt den fliegenden wolken ihr leid ruft himmel und hölle zu hülfe da stürmt es heran durch die finstere nacht die eiche zittert die fichte kracht es flattern so krächzend die raben am kreuzweg feiert der böse sein fest mit sang und klang und reigen die eule rafft sich vom heimlichen nest und lädt viel luftige gäste die stürzen sich jach durch die lüfte heran geschmückt mit distel und drachenzahn und grüßen den harrenden meister und über die heide weit und breit erschallt es im wilden getümmel wer bist du du schöne du lustige maid juchheisa walpurgis ist kommen was zauderst du hexchen komm springe mit ein sollst heute des meisters liebste sein du schöne du lustige dirne der nachtwind peitscht die tolle schar im kreis um die weinende dirne da packt sie der meister am goldenen haar und schwingt sie im sausenden reigen und wie im zwielicht der auerhahn schreit da hat der teufel die dirne gefreit und hat sie nimmer gelassen |
Aktäon von Gottfried Keller, vor 1890 † „Aktäon hat im dunklen Hain / Das edle Wild gefällt, / Da sah von einem milden Schein / Die Waldflut er erhellt.“Gottfried Keller |
1890 | 662 | aktäon von gottfried keller aktäon hat im dunklen hain das edle wild gefällt da sah von einem milden schein die waldflut er erhellt den silbermond auf weißer stirn sonst der gewänder bar und um sie manche nackte dirn die nicht zu tadeln war so stand diana weiß und zart o dreimal selige birsch sie spritzt ihm wasser in den bart o unglückseliger hirsch wohl sprang er über stein und dorn zitternd und verzagt an seinen fersen götterzorn die wilde jungfernjagd schon floß sein rauchend blut so rot dianen vor den fuß das ist ein schlimmer jägertod wer so verenden muß das letzte wilde mägdlein sprang voll keuscher wut herzu und hielt dem schön gehörnten fang das brechende auge zu auch heut noch mancher junker birscht durch das kartoffelkraut der aber wird er auch verhirscht die göttin nie geschaut |
Ballade vom dürren König von Gottfried Keller, vor 1845 † „Es war ein dürrer König, der hatt‘ ein Land am Meer; / Er fuhr an seinen Küsten brandschatzend hin und her. / So oft im Maienscheine erglüht sein Felsenhaus, / Zog er mit Schiff und Knechten und leeren Seckeln aus.“ |
1845 | 2738 | ballade vom dürren könig von gottfried keller es war ein dürrer könig der hatt ein land am meer er fuhr an seinen küsten brandschatzend hin und her so oft im maienscheine erglüht sein felsenhaus zog er mit schiff und knechten und leeren seckeln aus wo helle fenster blinkten entlang dem meeresstrand da klopft er an die thüren mit seiner knochenhand und wo ein speicher lachte da that er einen griff und füllte unersättlich sein weitgebauchtes schiff er konnte alles brauchen und allem war er hold der wolle wie der seide dem silber wie dem gold im topf nahm er den honig die gerste wie das korn den weizen mit der spreuer die kuh mit klau und horn die sau mit ihren ferkeln das huhn mit seinem ei bis jedesmal das fahrzeug glich einer meierei daheim hatt er zwölf junge und eine königin und eine königin mutter die harrten all auf ihn die fraßen was er brachte und klagten sich noch sehr und jagten stets aufs neue den dürren auf das meer und gaben ihm dann schmählich auf seinen wellenritt und allen seinen mannen ein fäßlein zwiebak mit so fuhr er einst bedächtig am klaren morgen aus doch noch an selbem tage da kam ein wettergraus ein saus und braus am himmel und auf den wassern her bald hinter schaum und regen sah man kein ufer mehr es trieb das schiff ins weite und auf die hohe see und als der sturm verflogen ward es den schiffern weh sie kannten keine gegend s war nur ein blaues rund wo sie den anker warfen da faßt er keinen grund und weiter immer weiter verirrte sich die fahrt und länger immer länger der zwieback ward gespart o weh da half kein sparen am ende ging er aus und grinsend saß der hunger im engen bretterhaus drei tage lang zu fasten ein jeder mann vermag doch wird das ding verdrießlich schon mit dem vierten tag was sagt ihr zu sechs tagen vermaledeiter brauch das fand der dürre könig mit seinen knechten auch drum nehmen sie drei würfel und würfeln um den tod sein blut muß einer lassen sein fleisch und blut so roth kaum hat ein armer teufel den kleinsten wurf gethan hebt man ihn gleich zu braten und zu verspeisen an und als man solchen braten mit grauen hat verdaut und wieder ein paar tage die finger sich zerkaut da ging es an den zweiten den dritten und so fort bis endlich nur der könig und noch ein mann an bord man hatte ihm das knöcheln erlassen aus respekt doch hatt ihm drum die mahlzeit nicht minder wohl geschmekt ja er fand ganz in ordnung und trefflich diesen schmaus und gafft ein liedlein pfeifend dumm auf das meer hinaus und windstill ruhte weitum des meeres klare brust und öffnet ihre tiefen dem sonnenschein mit lust der könig pfiff noch immer indeß der andre mann verdächtig nach ihm schielend kühn auf verschwörung sann dann fing er an herr könig wollt gnädigst ihr geruhn mit eurem letzten knechte auch einen wurf zu thun doch jener maß ihn starrend vom haupte bis zum fuß denn das war ihm ein fremder und ungewohnter gruß drauf schwang er zähnefletschend den kolben auf den knecht der aber praktizirte ein nagelneues recht schlug ihm die kron vom kopfe riß ihm den purpur ab und schrie paß auf mein magen wird nun ein königsgrab zog schnell ihm durch die kehle sein messer scharf und krumm und wüthender vor hunger wandt er ihn um und um er mußte liegen lassen den leib mit haut und haar weil er auch gar zu zähe und ungenießbar war |
Das Köhlerweib ist trunken von Gottfried Keller, 1851/54 „Das Köhlerweib ist trunken / Und singt im Wald; / Hört, wie die Stimme gellend / Im Grünen hallt! // Sie war die schönste Blume, / Berühmt im Land; / Es warben Reich‘ und Arme / Um ihre Hand.“ |
1851 | 362 | das köhlerweib ist trunken von gottfried keller das köhlerweib ist trunken und singt im wald hört wie die stimme gellend im grünen hallt sie war die schönste blume berühmt im land es warben reich und arme um ihre hand sie trat in gürtelketten so stolz einher den bräutigam zu wählen fiel ihr zu schwer da hat sie überlistet der rote wein wie müssen alle dinge vergänglich sein das köhlerweib ist trunken und singt im wald wie durch die dämmrung gellend ihr lied erschallt |
Der Narr des Grafen von Zimmern von Gottfried Keller, 1878 „Was rollt so zierlich, klingt so lieb / Treppauf und ab im Schloss? / Das ist des Grafen Zeitvertreib / Und stündlicher Genoss:“ |
1878 | 1189 | der narr des grafen von zimmern von gottfried keller was rollt so zierlich klingt so lieb treppauf und ab im schloss das ist des grafen zeitvertreib und stündlicher genoss sein narr annoch ein halbes kind und rosiges gesellchen so leicht und luftig wie der wind und trägt den kopf voll schellchen noch ohne arg wie ohne bart an possen reich genug ist doch der fant von guter art und in der torheit klug und was vergecken und verdrehn die zappeligen hände gerät ihm oft wie aus versehn zuletzt zum guten ende der graf mit seinem hofgesind weilt in der burgkapell da ist wie schon das amt beginnt kein ministrant zur stell rasch nimmt der pfaff den narrn beim ohr und zieht ihn zum altare der knabe sieht sich fleissig vor dass er nach bräuchen fahre und gut als wär ers längst gewohnt bedient er den kaplan doch wanns die müh am besten lohnt bricht oft der unstern an denn als die heilge hostia vom priester wird erhoben o schreck so ist kein glöcklein da den süssen gott zu loben ein weilchen bleibt es totenstill erbleichend lauscht der graf der gleich ein unheil ahnen will das ihn vom himmel traf doch schon hat sich der narr bedacht den handel zu versöhnen die kappe schüttelt er mit macht dass alle glöcklein tönen da strahlt von dem ciborium ein goldnes leuchten aus es glänzt und duftet um und um im kleinen gotteshaus wie wenn des himmels majestät in frischen veilchen läge der herr der durch die wandlung geht er lächelt auf dem wege |
Die kleine Passion von Gottfried Keller, 1872 „Der sonnige Duft, Semptemberluft, / sie wehten ein Mücklein mir aufs Buch. / Das suchte sich die Ruhegruft / und fern vom Wald sein Leichentuch.“ |
1872 | 973 | die kleine passion von gottfried keller der sonnige duft semptemberluft sie wehten ein mücklein mir aufs buch das suchte sich die ruhegruft und fern vom wald sein leichentuch vier flügelein von seiden fein trugs auf dem rücken zart drin man im regenbogenschein spielendes licht gewahrt hellgrün das schlanke leibchen war hellgrün der füßchen dreifach paar und auf dem köpfchen wundersam saß ein federbüschchen stramm die äuglein wie ein goldnes erz glänzten mir in das tiefste herz dies zierliche und manierliche wesen hatt sich zu gruft und leichentuch das glänzende papier erlesen darin ich las ein dichterliches buch so ließ den band ich aufgeschlagen und sah erstaunt dem sterben zu wie langsam langsam ohne klagen das tierlein kam zu seiner ruh drei tage ging es müd und matt umher auf dem papiere die flügelein von seide fein sie glänzten alle viere am vierten tage stand es still gerade auf dem wörtlein will gar tapfer stands auf selbem raum hob je ein füßchen wie im traum am fünften tage legt es sich doch noch am sechsten regt es sich am siebten endlich siegt der tod da war zu ende seine not nun ruht im buch sein leicht gebein mög uns sein frieden eigen sein |
Ein Schwurgericht von Gottfried Keller, 1878 „Da liegt ein Blatt, von meiner Hand beschrieben / In Tagen, die nun lang dahin geschwunden, / So lang, daß halb verblich die flücht’ge Schrift. / Doch wie ich lese, wird ein Unterfangen, / Ein wunderliches, wieder mir lebendig, / Das mich befiel in wunderlicher Zeit,“ |
1878 | 3785 | ein schwurgericht von gottfried keller da liegt ein blatt von meiner hand beschrieben in tagen die nun lang dahin geschwunden so lang daß halb verblich die flüchtge schrift doch wie ich lese wird ein unterfangen ein wunderliches wieder mir lebendig das mich befiel in wunderlicher zeit als schnödes abenteuer mächtig herrschte und frech die welt zum abenteuer schuf was während eines mondes kurzer dauer von tollem spuk und schrecklichem geschehen merkwürdgem wagnis und ruchloser that die zeitung brachte von versunknen schiffen mit schwerem gold und brüllendem volk beladen von drehnden tischen dran die thorheit saß von schlachtenlärm und diebischen marschällen von falschem gift durch weiße hand gemischt das dacht ich rhythmisch wogend zu verflechten in einen wild rhapsodischen gesang gleich einem wandrer der bestäubt und keuchend dem tobenden gewühl mit not entrann und seinen fiebertraum voll hast erzählt so schrieb ich mir auf blätter jede kunde und nicht im stich fürwahr ließ mich die zeitung jedoch die lust die mir gemach verging dies gelbe blatt nur hat sich noch erhalten ein lächeln will beim anblick mich beschleichen das wandelt aber sich sogleich in ernst es steht ein richterspruch darauf verzeichnet und eine that so dunkel traurger art daß wie von selbst die hand zum stifte greift das blutge rätsel doch noch festzubannen in franken wars an stillem sommertage daß eine frau ihr kleines liebes bübchen mit korb und vesperbrot zum vater sandte der im gehölze mäßig weit im schweiße des angesichts an seiner arbeit stand sie wußte daß er heut ein hartes lohnwerk vollbringen wollte bis zur dunkelzeit ein mütterlicher kleiner uebermut verlockte sie das wagnis zu versuchen und mit dem bötlein ihren ehkumpan zu überraschen dieses erste mal denn sonntag war es morgen und im hause blieb ihr zu schaffen übrig noch genug das knäblein aber sträubte sich zu gehen gewohnt nur an der mutter stets zu hangen und sie um tausend dinge zu befragen mit schmeichelwörtchen lind im singeton «geh nur» sprach sie «die mundharmonika geb ich dir mit mein söhnchen und drauf spielen wirst du gar herrlich auf dem ganzen wege der vater ruft was hör ich für musik gewiß marschiert ein regiment soldaten wie lacht er aber wenn sein hänschen kommt» und da sie aus dem schrank das instrumentchen das dort zur schonung sorglich aufgehoben hervorholt faßt es gleich der frohe kleine und schreitet wacker seinen korb am arm ins helle sommerland die wengen stimmchen an seinen lippen unverweilt erprobend und stets aufs neue reihend ton an ton schon weit ist er doch über korn und klee tönt weich und sanft wie all der blaue himmel sein einfach lied nun aus dem feld herüber der kinderpuls ein lufthauch und die ferne sie schaffen eine rührend zarte weise die fast verwehend jetzt dann leise schwillt und weil die mutter hier noch steht und horcht und denkt nun hat er wohl den forst betreten vernimmt der vater drüben schon die töne und kennt sein vögelchen an dem gesang er lauscht erfreut auf einmal bricht es ab und stumm bleibt ewig dieser kindermund kein knäblein kommt zum vater keines kehrt zur mutter abends mit dem müden wieder nach dreien tagen erst zog man das kind mit eingeschlagnem haupt aus einem wasser das tückisch hehlend dunkel unbeweglich abseits vom pfad im waldesschatten lag der mörder auch ward bald darauf ergriffen es war ein starker bursch von achtzehn jahren fast unbekannt der lungernd in der stadt mißtrauisch spielend auf dem oerglein blies das ihn verriet dann vor dem richter stehend von dessen kunst bedrängt erzählt er mürrisch wie er das kind im holze angetroffen und es gebeten ihm das ding zu leihen für einen augenblick sich dran zu laben denn eine unbezwinglich starke lust hab ihn schon lang gequält auf solchem werklein ein einzig mal sich blasend zu vergnügen kopfschüttelnd hab das knäblein fortgespielt er aber es mit einem stein erschlagen und weiter ward die kunde beigebracht wie daß vor jahren schon in seiner heimat der unhold von der zarten kinderwelt als spielzeugräuber sei gefürchtet worden die trauten plätze flure hofgebreiten wo sich das kleine volk zur lust versammelt der große range habe finsterlauernd beschlichen sie und von dem bunten werkzeug der jugend sich gewaltsam angeeignet was ihm gefiel dann in entlegnen winkeln einsam mit ungeschickter hand gespielt der wahrspruch fiel die sühne ward bemessen doch aus der unthat wurde keiner klug |
Panard und Galet von Gottfried Keller, 1845 „Sie kamen von der Tränke, Sie wankten aus der Schenke / Mit einer Zecherschar, / Als es Karfreitag morgen / Und grabesstille war.“ |
1845 | 759 | panard und galet von gottfried keller sie kamen von der tränke sie wankten aus der schenke mit einer zecherschar als es karfreitag morgen und grabesstille war von heißen stirnen nicken und stäuben die perücken wie wolke birgt den blitz die spitze kling am degen zuckt wie geschliffner witz sie taumelten und sangen vom mund wie stöpsel sprangen die verse schlag auf schlag da schrie panard o fühlet den furchtbar großen tag das universum trauert die dunkle sonne schauert die erde wankt und bebt daß unter unsern füßen der lose boden schwebt unsicher ists zu stehen und ratsam nicht zu gehen kehrt um zu unsrem wirt und alsbald kroch die herde zurück zu ihrem hirt dort blieben sie verborgen bis an den dritten morgen tief und geheimnisvoll bis durch die goldne frühe die osterglocke scholl als die verjüngte sonne in auferstehungswonne durchschritt des frühlings tor da stiegen aus der höhle weinselig sie hervor |
Von Kindern von Gottfried Keller, 1847 „Man merkte, daß der Wein geraten war: / Der alte Bettler wankte aus dem Tor, / Die Wangen glühend wie ein Rosenflor, / Mutwillig flatterte sein Silberhaar.“ |
1847 | 471 | von kindern von gottfried keller man merkte daß der wein geraten war der alte bettler wankte aus dem tor die wangen glühend wie ein rosenflor mutwillig flatterte sein silberhaar und vor und hinter ihm die kinderschar umdrängt ihn wie ein kleinbacchantenchor draus ragte schwank der selige empor sich spiegelnd in den hundert äuglein klar am morgen als die kinderlein noch schliefen von jungen träumen drollig angelacht sah man den braunen wald von silber triefen es war ein reif gefallen über nacht der alte lag erfroren in dem tiefen gebüsch vom rausch im himmel aufgewacht |
Archibald Douglas von Theodor Fontane, 1854 (?) „„Ich hab’ es getragen sieben Jahr / Und ich kann es nicht tragen mehr, / Wo immer die Welt am schönsten war, / Da war sie öd’ und leer.“Theodor Fontane |
1854 | 2434 | archibald douglas von theodor fontane ich hab es getragen sieben jahr und ich kann es nicht tragen mehr wo immer die welt am schönsten war da war sie öd und leer ich will hintreten vor sein gesicht in dieser knechtsgestalt er kann meine bitte versagen nicht ich bin ja worden alt und trüg er noch den alten groll frisch wie am ersten tag so komme was da kommen soll und komme was da mag graf douglas sprichts am weg ein stein lud ihn zu harter ruh er sah in feld und wald hinein die augen fielen ihm zu er trug einen harnisch rostig und schwer darüber ein pilgerkleid da horch vom waldrand scholl es her wie von hörnern und jagdgeleit und kies und staub aufwirbelte dicht herjagte meute und mann und ehe der graf sich aufgerichtt waren roß und reiter heran könig jakob saß auf hohem roß graf douglas grüßte tief dem könig das blut in die wange schoß der douglas aber rief könig jakob schaue mich gnädig an und höre mich in geduld was meine brüder dir angethan es war nicht meine schuld denk nicht an den alten douglasneid der trotzig dich bekriegt denk lieber an deine kinderzeit wo ich dich auf den knien gewiegt denk lieber zurück an stirling schloß wo ich spielzeug dir geschnitzt dich gehoben auf deines vaters roß und pfeile dir zugespitzt denk lieber zurück an linlithgow an den see und den vogelheerd wo ich dich fischen und jagen froh und schwimmen und springen gelehrt o denk an alles was einsten war und sänftige deinen sinn ich hab es gebüßet sieben jahr daß ich ein douglas bin ich seh dich nicht graf archibald ich hör deine stimme nicht mir ist als ob ein rauschen im wald von alten zeiten spricht mir klingt das rauschen süß und traut ich lausch ihm immer noch dazwischen aber klingt es laut er ist ein douglas doch ich seh dich nicht ich höre dich nicht das ist alles was ich kann ein douglas vor meinem angesicht wär ein verlorener mann könig jakob gab seinem roß den sporn bergan ging jetzt sein ritt graf douglas faßte den zügel vorn und hielt mit dem könig schritt der weg war steil die sonne stach und sein panzerhemd war schwer doch ob er schier zusammenbrach er lief doch nebenher könig jakob ich war dein seneschall ich will es nicht fürder sein ich will nur tränken dein roß im stall und ihm schütten die körner ein ich will ihm selber machen die streu und es tränken mit eigener hand nur laß mich athmen wieder aufs neu die luft im vaterland und willst du nicht so hab einen muth und ich will es danken dir und zieh dein schwert und triff mich gut und laß mich sterben hier könig jakob sprang herab vom pferd hell leuchtete sein gesicht aus der scheide zog er sein breites schwert aber fallen ließ er es nicht nimms hin nimms hin und trag es neu und bewache mir meine ruh der ist in tiefster seele treu wer die heimath liebt wie du zu roß wir reiten nach linlithgow und du reitest an meiner seit da wollen wir fischen und jagen froh als wie in alter zeit |
Barbara Allen von Theodor Fontane, 1855 „Es war im Herbst, im bunten Herbst, / Wenn die rotgelben Blätter fallen, / Da wurde John Graham vor Liebe krank, / Vor Liebe zu Barbara Allen.“ |
1855 | 1037 | barbara allen von theodor fontane es war im herbst im bunten herbst wenn die rotgelben blätter fallen da wurde john graham vor liebe krank vor liebe zu barbara allen seine läufer liefen hinab in die stadt und suchten bis sie gefunden ach unser herr ist krank nach dir komm lady und mach ihn gesunden die lady schritt zum schloss hinan schritt über die marmornen stufen sie trat ans bett sie sah ihn an john graham du ließest mich rufen ich ließ dich rufen ich bin im herbst und die rotgelben blätter fallen hast du kein letztes wort für mich ich sterbe barbara allen john graham ich hab ein letztes wort du warst mein all und eines du teiltest pfänder und bänder aus mir aber gönntest du keines john graham und ob du mich lieben magst ich weiß ich hatte dich lieber ich sah nach dir du lachtest mich an und gingest lachend vorüber wir haben gewechselt ich und du die sprossen der liebesleiter du bist nun unten du hast es gewollt ich aber bin oben und heiter sie ging zurück eine meil oder zwei da hörte sie glocken schallen sie sprach die glocken klingen für ihn für ihn und für barbara allen liebe mutter mach ein bett für mich unter weiden und eschen geborgen john graham ist heute gestorben um mich und ich sterbe um ihn morgen |
Das Trauerspiel von Afghanistan von Theodor Fontane, 1858 „Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt, / Ein Reiter vor Dschellalabad hält, / „Wer da!“ – „„Ein britischer Reitersmann, / Bringe Botschaft aus Afghanistan.“““ |
1858 | 1286 | das trauerspiel von afghanistan von theodor fontane der schnee leis stäubend vom himmel fällt ein reiter vor dschellalabad hält wer da ein britischer reitersmann bringe botschaft aus afghanistan afghanistan er sprach es so matt es umdrängt den reiter die halbe stadt sir robert sale der commandant hebt ihn vom rosse mit eigener hand sie führen ins steinerne wachthaus ihn sie setzen ihn nieder an den kamin wie wärmt ihn das feuer wie labt ihn das licht er athmet hoch auf und dankt und spricht wir waren dreizehntausend mann von cabul unser zug begann soldaten führer weib und kind erstarrt erschlagen verrathen sind zersprengt ist unser ganzes heer was lebt irrt draußen in nacht umher mir hat ein gott die rettung gegönnt seht zu ob den rest ihr retten könnt sir robert stieg auf den festungswall offiziere soldaten folgten ihm all sir robert sprach der schnee fällt dicht die uns suchen sie können uns finden nicht sie irren wie blinde und sind uns so nah so laßt sies hören daß wir da stimmt an ein lied von heimath und haus trompeter blast in die nacht hinaus da huben sie an und sie wurdens nicht müd durch die nacht hin klang es lied um lied erst englische lieder mit fröhlichem klang dann hochlandslieder wie klagegesang sie bliesen die nacht und über den tag laut wie nur die liebe rufen mag sie bliesen es kam die zweite nacht umsonst daß ihr ruft umsonst daß ihr wacht die hören sollen sie hören nicht mehr vernichtet ist das ganze heer mit dreizehntausend der zug begann einer kam heim aus afghanistan |
Die Balinesenfrauen auf Lombok von Theodor Fontane, 1895 „Unerhört, / Auf Lombok hat man sich empört, / Auf der Insel Lombok die Balinesen / Sind mit Mynheer unzufrieden gewesen.“ |
1895 | 1035 | die balinesenfrauen auf lombok von theodor fontane unerhört auf lombok hat man sich empört auf der insel lombok die balinesen sind mit mynheer unzufrieden gewesen und die mynheers faßt ein zürnen und schaudern aus mit dem brand ohne zögern und zaudern und allerlei volk verkracht verdorben wird von mynheer angeworben allerlei leute mit mausergewehren sollen die balinesen bekehren vorwärts ohne sinn und plan aber auch planlos wird es gethan hinterlader arbeitete gut und die männer liegen in ihrem blut die männer aber groß anzuschaun sind da noch sechszig stolze fraun all eingeschlossen zu wehr und trutz in eines buddhatempels schutz reichgekleidet goldgeschmückt ihr jüngstes kind an die brust gedrückt hochaufgerichtt eine jede stand den feind im auge den dolch in der hand die kugeln durchschlagen trepp und dach wozu hier noch warten feig und schwach und die thüren auf und hinab ins thal hoch ihr kind und hoch den stahl am griffe funkelt der edelstein so stürzen sie sich in des feindes reihn die hälfte fällt todt die hälfte fällt wund aber jede will sterben zu dieser stund und die letzten in stolzer todeslust stoßen den dolch sich in die brust mynheer derweilen in seinem kontor malt sich christlich kulturelles vor |
Die Brück‘ am Tay von Theodor Fontane, 1880 „»Wann treffen wir drei wieder zusamm?« / »Um die siebente Stund‘, am Brückendamm.« / »Am Mittelpfeiler.« / »Ich lösche die Flamm.« / »Ich mit.« // »Ich komme vom Norden her.« / »Und ich vom Süden.« / »Und ich vom Meer.«“ |
1880 | 1839 | die brück am tay von theodor fontane wann treffen wir drei wieder zusamm um die siebente stund am brückendamm am mittelpfeiler ich lösche die flamm ich mit ich komme vom norden her und ich vom süden und ich vom meer hei das gibt einen ringelreihn und die brücke muß in den grund hinein und der zug der in die brücke tritt um die siebente stund ei der muß mit muß mit tand tand ist das gebilde von menschenhand auf der norderseite das brückenhaus alle fenster sehen nach süden aus und die brücknersleut ohne rast und ruh und in bangen sehen nach süden zu sehen und warten ob nicht ein licht übers wasser hin ich komme spricht ich komme trotz nacht und sturmesflug ich der edinburger zug und der brückner jetzt ich seh einen schein am anderen ufer das muß er sein nun mutter weg mit dem bangen traum unser johnie kommt und will seinen baum und was noch am baume von lichtern ist zünd alles an wie zum heiligen christ der will heuer zweimal mit uns sein und in elf minuten ist er herein und es war der zug am süderturm keucht er vorbei jetzt gegen den sturm und johnie spricht die brücke noch aber was tut es wir zwingen es doch ein fester kessel ein doppelter dampf die bleiben sieger in solchem kampf und wies auch rast und ringt und rennt wir kriegen es unter das element und unser stolz ist unsre brück ich lache denk ich an früher zurück an all den jammer und all die not mit dem elend alten schifferboot wie manche liebe christfestnacht hab ich im fährhaus zugebracht und sah unsrer fenster lichten schein und zählte und konnte nicht drüben sein auf der norderseite das brückenhaus alle fenster sehen nach süden aus und die brücknersleut ohne rast und ruh und in bangen sehen nach süden zu denn wütender wurde der winde spiel und jetzt als ob feuer vom himmel fiel erglüht es in niederschießender pracht überm wasser unten und wieder ist nacht wann treffen wir drei wieder zusamm um mitternacht am bergeskamm auf dem hohen moor am erlenstamm ich komme ich mit ich nenn euch die zahl und ich die namen und ich die qual hei wie splitter brach das gebälk entzwei tand tand ist das gebilde von menschenhand |
Die drei Raben von Theodor Fontane, vor 1898 † „Drei Raben saßen auf einem Baum, / Drei schwärzere Raben gab es kaum. / Der eine sprach zu den andern zwei’n: / „Wo nehmen wir unser Frühmahl ein?““ |
1898 | 617 | die drei raben von theodor fontane drei raben saßen auf einem baum drei schwärzere raben gab es kaum der eine sprach zu den andern zwein wo nehmen wir unser frühmahl ein die andern sprachen dort unten im feld unterm schilde liegt ein erschlagener held zu seinen füßen liegt sein hund und hält die wache seit mancher stund und seine falken umkreisen ihn scharf kein vogel der sich ihm nahen darf sie sprachens da kam eine hinde daher unterm herzen trug sie ein junges schwer sie hob des toten haupt in die höh und küßte die wunden ihr war so weh sie lud auf ihren rücken ihn bald und trug ihn hinab zwischen see und wald sie begrub ihn da vor morgenroth vor abend war sie selber todt gott sende jedem ritter zumal solche falken und hunde und solches gemahl |
Die zwei Raben von Theodor Fontane, 1855 „Ich ging über’s Heidemoor allein, / Da hört ich zwei Raben kreischen und schrein; / Der eine rief dem andern zu: / »Wo machen wir Mittag, ich und du?«“ |
1855 | 621 | die zwei raben von theodor fontane ich ging übers heidemoor allein da hört ich zwei raben kreischen und schrein der eine rief dem andern zu wo machen wir mittag ich und du im walde drüben liegt unbewacht ein erschlagener ritter seit heute nacht und niemand sah ihn im waldesgrund als sein lieb und sein falke und sein hund sein hund auf neue fährte geht sein falk auf frische beute späht sein lieb ist mit ihrem buhlen fort wir können in ruhe speisen dort du setzest auf seinen nacken dich seine blauen augen die sind für mich eine goldene locke aus seinem haar soll wärmen das nest uns nächstes jahr manch einer wird sprechen ich hatt ihn lieb doch keiner wird wissen wo er blieb und hingehn über sein bleich gebein wird wind und regen und sonnenschein |
Goodwin-Sand von Theodor Fontane, 1857 „Das sind die Bänke von Goodwin-Sand, / Sie sind nicht Meer, sie sind nicht Land, / Sie schieben sich, langsam, satt und schwer, / Wie eine Schlange hin und her.“ |
1857 | 564 | goodwin sand von theodor fontane das sind die bänke von goodwin sand sie sind nicht meer sie sind nicht land sie schieben sich langsam satt und schwer wie eine schlange hin und her und die schiffe die mit dem sturm gerungen und die schäumende wuth der wellen bezwungen und die gefahren über die welt unzertrümmert unzerschellt sie sehen die heimath sie sehen das ziel da schiebt sich die schlange unter den kiel und ringelt schiff und mannschaft hinab zugleich ihr tod zugleich ihr grab die see ist still die ebb ist nah mastspitzen ragen hier und da und wo sie ragen in die luft da sind es kreuze über der gruft ein kirchhof ists halb meer halb land das sind die bänke von goodwin sand |
Gorm Grymme von Theodor Fontane, 1864 (?) „König Gorm herrscht über Dänemark, / Er herrscht‘ die dreißig Jahr, / Sein Sinn ist fest, seine Hand ist stark, / Weiß worden ist nur sein Haar, / Weiß worden sind nur seine buschigen Brau’n, / Die machten manchen stumm;“ |
1864 | 2245 | gorm grymme von theodor fontane könig gorm herrscht über dänemark er herrscht die dreißig jahr sein sinn ist fest seine hand ist stark weiß worden ist nur sein haar weiß worden sind nur seine buschigen braun die machten manchen stumm im grimme liebt er dreinzuschaun gorm grymme heißt er drum und die jarls kamen zum fest des jul gorm grymme sitzt im saal und neben ihm sitzt auf beinernem stuhl thyra danebod sein gemahl sie reichen einander still die hand und blicken sich an zugleich ein lächeln in beider augen stand gorm grymme was macht dich so weich den saal hinunter in offner hall da fliegt es wie locken im wind jungharald spielt mit dem federball jungharald ihr einziges kind sein wuchs ist schlank blond ist sein haar blaugolden ist sein kleid jungharald ist heut fünfzehn jahr und sie lieben ihn allbeid sie lieben ihn beid eine ahnung bang kommt über die königin gorm grymme aber den saal entlang auf jungharald deutet er hin und er hebt sich zum sprechen sein mantel rot gleitet nieder auf den grund wer je mir spräche er ist tot der müsste sterben zur stund und monde gehn es schmolz der schnee der sommer kam zu gast dreihundert schiffe fahren in see jungharald steht am mast er steht am mast er singt ein lied bis sichs im winde brach das letzte segel es schwand es schied gorm grymme schaut ihm nach und wieder monde grauherbstestag liegt über sund und meer drei schiffe mit mattem ruderschlag rudern heimwärts drüber her schwarz hängen die wimpel auf brömsebromoor jungharald liegt im blut wer bringt die kunde vor königs ohr keiner hat den mut thyra danebod schreitet hinab an den sund sie hatte die segel gesehn sie spricht und bangt sich euer mund ich meld ihm was geschehn ab legt sie ihr rotes korallengeschmeid und die gemme von opal sie kleidet sich in ein schwarzes kleid und tritt in hall und saal in hall und saal an pfeiler und wand goldteppiche ziehen sich hin schwarze teppiche nun mit eigener hand hängt drüber die königin und sie zündet zwölf kerzen ihr flackernd licht es gab einen trüben schein und sie legt ein gewebe schwarz und dicht auf den stuhl von elfenbein ein tritt gorm grymme es zittert sein gang er schreitet wie im traum er starrt die schwarze hall entlang die lichter er sieht sie kaum er spricht es weht wie schwüle hier ich will an meer und strand reich meinen rotgoldenen mantel mir und reiche mir deine hand sie gab ihm um einen mantel dicht der war nicht golden nicht rot gorm grymme sprach was niemand spricht ich sprech es er ist tot er setzte sich nieder wo er stand ein windstoß fuhr durchs haus die königin hielt des königs hand die lichter loschen aus |
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland von Theodor Fontane, 1889 „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, / Ein Birnbaum in seinem Garten stand, / Und kam die goldene Herbsteszeit / Und die Birnen leuchteten weit und breit, / Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl, / Der von Ribbeck sich beide Taschen voll.“ |
1889 | 1372 | herr von ribbeck auf ribbeck im havelland eine ballade von theodor fontane herr von ribbeck auf ribbeck im havelland ein birnbaum in seinem garten stand und kam die goldene herbsteszeit und die birnen leuchteten weit und breit da stopfte wenns mittag vom turme scholl der von ribbeck sich beide taschen voll und kam in pantinen ein junge daher so rief er junge wiste ne beer und kam ein mädel so rief er lütt dirn kumm man röwer ick hebb ne birn so ging es viel jahre bis lobesam der von ribbeck auf ribbeck zu sterben kam er fühlte sein ende s war herbsteszeit wieder lachten die birnen weit und breit da sagte von ribbeck ich scheide nun ab legt mir eine birne mit ins grab und drei tage drauf aus dem doppeldachhaus trugen von ribbeck sie hinaus alle bauern und büdner mit feiergesicht sangen jesus meine zuversicht und die kinder klagten das herze schwer he is dod nu wer giwt uns nu ne beer so klagten die kinder das war nicht recht ach sie kannten den alten ribbeck schlecht der neue freilich der knausert und spart hält park und birnbaum strenge verwahrt aber der alte vorahnend schon und voll mißtrauen gegen den eigenen sohn der wußte genau was er damals tat als um eine birn ins grab er bat und im dritten jahr aus dem stillen haus ein birnbaumsprößling sproßt heraus und die jahre gehen wohl auf und ab längst wölbt sich ein birnbaum über dem grab und in der goldenen herbsteszeit leuchtets wieder weit und breit und kommt ein jung übern kirchhof her so flüsterts im baume wiste ne beer und kommt ein mädel so flüsterts lütt dirn kumm man röwer ick gew di ne birn so spendet segen noch immer die hand des von ribbeck auf ribbeck im havelland |
Jan Bart von Theodor Fontane, 1858 „Jan Bart geht über den Vlissinger Damm. / „Hür’, Katrin, wi trecken tosamm; / En Huus, en Boot, ’ne Zieg’ un ’ne Kuh’, / Wat mienst, Katrin? sy miene Fru.““ |
1858 | 1032 | jan bart von theodor fontane jan bart geht über den vlissinger damm hür katrin wi trecken tosamm en huus en boot ne zieg un ne kuh wat mienst katrin sy miene fru katrin an ihrem friesrock zog ne jan bist mi nich mynherr noog der nickt und lacht na denn adje und nach frankreich geht er und sticht in see matrose maat so fängt er an auf der zweiten reise steuermann auf der dritten leutnant unter du quesne auf der vierten flottenkapitän und als es mit england kommt zum krieg wo jan bart erscheint erscheint der sieg wie stolz das britische banner auch weh jan bart ist herr und fegt die see heut aber tritt er vor seinen herrn vor louis quatorze der sieht ihn gern willkommen jan bart in diesem saal ich ernenn euch zu meinem großadmiral jan bart verneigt sich majestät was klug und recht ist kommt nie zu spät alles starrt auf den könig der aber lacht jan bart hat sich wieder heim gemacht und am vlissinger damm an alter stell sitzt wieder katrin auf ihrer schwell ihren ältesten hält sie bei der hand der jüngste liegt und spielt im sand er grüßt sie lachend und noch einmal katrin ich bin nu großadmiral katrin wrüm biste nich mit mi goahn joa wenn ickt wußt hätt hätt ickt doahn |
John Maynard von Theodor Fontane, 1886 „John Maynard! / „Wer ist John Maynard?“ / „John Maynard war unser Steuermann, / Aushielt er bis er das Ufer gewann, / Er starb für uns, er trägt die Kron’, / Er hat uns gerettet, die Liebe sein Lohn. / John Maynard.““ |
1886 | 1927 | john maynard von theodor fontane john maynard wer ist john maynard john maynard war unser steuermann aushielt er bis er das ufer gewann er starb für uns er trägt die kron er hat uns gerettet die liebe sein lohn john maynard die schwalbe fliegt über den eriesee gischt schäumt um den bug wie flocken von schnee von detroit fliegt sie nach buffalo alle herzen aber sind frei und froh und die passagiere mit kindern und fraun im dämmerlicht schon das ufer schaun und plaudernd an john maynard heran tritt alles wie weit noch steuermann der schaut nach vorn und schaut in die rund noch 30 minuten halbe stund alle herzen sind froh alle herzen sind frei da klingts aus dem schiffsraum her wie schrei feuer war es was da klang ein qualm aus kajütt und luke drang ein qualm dann flammen lichterloh und noch 20 minuten bis buffalo und die passagiere buntgemengt am bugspriet stehn sie zusammengedrängt am bugspriet vorn ist noch luft und licht am steuer aber lagert sichs dicht und ein jammern wird laut wo sind wir wo und noch 15 minuten bis buffalo der zugwind wächst doch die qualmwolke steht der kapitain nach dem steuer späht er sieht nicht mehr seinen steuermann aber durchs sprachrohr fragt er an noch da john maynard ja herr ich bin auf den strand in die brandung ich halte drauf hin und das schiffsvolk jubelt halt aus halloh und noch 10 minuten bis buffalo noch da john maynard und antwort schallts mit ersterbender stimme ja herr ich halts und in die brandung was klippe was stein jagt er die schwalbe mitten hinein soll rettung kommen so kommt sie nur so rettung der strand von buffalo das schiff geborsten das feuer verschweelt gerettet alle nur einer fehlt alle glocken gehn ihre töne schwelln himmelan aus kirchen und kapelln ein klingen und läuten sonst schweigt die stadt ein dienst nur den sie heute hat zehntausend folgen oder mehr und kein aug im zuge das thränenleer sie lassen den sarg in blumen hinab mit blumen schließen sie das grab und mit goldner schrift in den marmorstein schreibt die stadt ihren dankspruch ein hier ruht john maynard in qualm und brand hielt er das steuer fest in der hand er starb für uns er trägt die kron er hat uns gerettet die liebe sein lohn john maynard |
Kaiser Friedrich III. letzte Fahrt von Theodor Fontane, 1888 „»Ich sähe wohl gern (er sprach es stumm) / noch einmal die Plätze hier herum, / am liebsten auf Alt-Geltow zu, – / und ihr kommt mit, die Kinder und du.«“ |
1888 | 834 | kaiser friedrich iii letzte fahrt von theodor fontane ich sähe wohl gern er sprach es stumm noch einmal die plätze hier herum am liebsten auf altgeltow zu und ihr kommt mit die kinder und du das dorf es lag im sonnenschein in die stille kirche tritt er ein die wände weiß die fenster blank zu beiden seiten nur bank an bank und auf der letzten er blickt empor auf orgel und auf orgelchor und wendet sich und spricht wie gern vernähm ich noch einmal lobe den herrn den lehrer im feld ich mag ihn nicht stören vicky laß du das lied mich hören und durch die kirche klein und kahl als sprächen die himmel erbraust der choral und wie die töne sein herz bewegen eine lichtgestalt tritt ihm entgegen eine lichtgestalt an den händen beiden erkennt er die male dein los war leiden du lerntest dulden und entsagen drum sollst du die krone des lebens tragen du siegtest nichts soll dich fürder beschweren lobe den mächtigen könig der ehren die hände gefaltet den kopf tief geneigt so lauscht er der stimme die orgel schweigt |
Lied des James Monmouth von Theodor Fontane, 1853 „Es zieht sich eine blutige Spur / Durch unser Haus von Alters, / Meine Mutter war seine Buhle nur / Die schöne Lucy Walters.“ |
1853 | 546 | lied des james monmouth von theodor fontane es zieht sich eine blutige spur durch unser haus von alters meine mutter war seine buhle nur die schöne lucy walters am abend wars leis wogte das korn sie küßten sich unter der linde eine lerche klang und ein jägerhorn ich bin ein kind der sünde meine mutter hat mir oft erzählt von jenes abends sonne ihre lippen sprachen ich habe gefehlt ihre augen lachten vor wonne ein kind der sünde ein stuartkind es blitzt wie beil von weiten den weg den alle geschritten sind ich werd ihn auch beschreiten das leben geliebt und die krone geküßt und den frauen das herz gegeben und den letzten kuß auf das schwarze gerüst das ist ein stuartleben |
Maria und Bothwell von Theodor Fontane, 1851 „König Darnley liegt erschlagen, / Graf Bothwell hat es getan; / Sechs Lords von Schottland tragen / Die Leiche nach Sankt Alban, / Sie stellen bei Fackelscheine / Den Sarg an den Altar hin – / Von Trauernden fehlt nur eine, / Maria, die Königin.“ |
1851 | 1827 | maria und bothwell von theodor fontane könig darnley liegt erschlagen graf bothwell hat es getan sechs lords von schottland tragen die leiche nach sankt alban sie stellen bei fackelscheine den sarg an den altar hin von trauernden fehlt nur eine maria die königin die sitzet daheim im schlosse in funkelnder nische des saals auf dem sammetpfühl ihr genosse ist der mörder ihres gemahls dem lande kleidet die trauer der königin kleidet die lust kaltheiße wonneschauer durchrieseln ihre brust sie spricht verlockenden schalles nun komm und küsse dich rot ich danke dir alles alles mein leben und seinen tod o schau nicht so fragend und bange schau lieber wie sonst mich an leg ab die blasse wange getan ist was getan die kerzen brennen wie lüstern und geben schwülen hauch immer leiser wird das flüstern nun schweigt das flüstern auch ihr atem lodert zusammen wie glut und glut sich mischt bis mählich in flackerflammen so lust wie licht erlischt still wirds nur mondeslichter durchhuschen noch bleich den saal es schlummern wie totengesichter graf bothwell und sein gemahl sie schlummern des windes weise erstirbt im hohen kamin an den wänden hastigleise schatten vorüberfliehn und hastiger wird ihr treiben schon graut und dämmert der tag da schlägts an die klirrenden scheiben wie flatternder flügelschlag auf fahren die zwei vom kissen verstört an haar und sinn im traume ward wach ihr gewissen und es murmelt die königin hilf himmel ich sah die meinen landflüchtig der zügel beraubt der fallenden krone des einen nach rollte sein fallendes haupt und wie donner durch meine seele ging zürnend das alte lied ich räch alle schuld und fehle bis in das vierte glied maria hat es gesprochen graf bothwell hört es kaum seine schläfen pulsen und pochen er denkt an den eigenen traum er spricht unter starren und stocken sie grüßte dann betete sie ab schnitt ihr der henker die locken ach deine locken marie graf bothwell hat es gesprochen maria hört ihn kaum ihre schläfen pulsen und pochen sie denkt an den eigenen traum stumm blicken die buhlergatten sich an so blass so bang könig darnleys blutiger schatten schreitet den saal entlang |
Marie Duchatel von Theodor Fontane, 1854 (?) „„Welchen Hofstaat bringt unsre Königin mit?“ / „„Sie bringt mit ihre vier Marien, / Ihre vier Marieen von Frankreich her, / Die müssen mit ihr ziehn.“ |
1854 | 2720 | marie duchatel von theodor fontane welchen hofstaat bringt unsre königin mit sie bringt mit ihre vier marien ihre vier marieen von frankreich her die müssen mit ihr ziehn die müssen ihr plätten und glätten das bett und warten auf der schwell ich kenne die jüngste die schönste das ist marie duchatel marie duchatel sprang ans ufer im winde flog ihr haar der könig sah marie duchatel und wie schön und wie schlank sie war marie duchatel sprang in den bügel ihr haar war blond und licht der könig sah marie duchatel die andern sah er nicht marie duchatel sprang aus dem sattel und zur kirche schritten sie hin der könig sah marie duchatel viel mehr als die königin und eh drei wochen waren ins land da sangen sie laut und hell was sind alle mädchen am hofe gegen marie duchatel und eh drei monde waren ins land da sangen sie groß und klein ach ohne marie duchatel könnten wir gar nicht sein marie duchatel marie duchatel wolle nicht in den garten gehn der könig ist da und die nacht ist nah und du kannst nicht widerstehn nun pflücket sie heimlich vom klosterbaum und ringt ihre hände wund doch das leben unterm herzen wird lebendiger jede stund und endlich hinaus zum strande schleicht sie und trägt ihr kind nun schwimme oder sinke flüstert sie in den wind am andern morgen läufts auf und ab wisset ihr was geschah marie duchatel hat ein kleines und das kleine ist nicht da und die königin ruft marie duchatel die zittert und kommt geschwind ich hörte zu nacht was wimmern sag an wo ist dein kind ich habe kein kind mylady denket nicht so schlecht von mir ich hatte stiche und schmerzen unterm herzen hier und hattest du stiche und schmerzen wohlan heut bist du gesund bring mir meinen mantel von scharlach wir reiten noch diese stund wir reiten von schloß stirling bis edinburg ohne müh und in edinburg giebts hochzeit morgen in aller früh die königin stieg zu rosse ihre herren und damen mit sie ritten all im trabe marie duchatel ritt im schritt haltet an liebe herren und damen ich kann nicht folgen mehr sie hörtens und sprengten weiter sie ritt seufzend hinterher und als sie kamen zum thore da wußten sies schon in der stadt alle mädchen und frauen schluchzten so oft sie gegrüßet hat was weinet ihr liebe frauen kommt mit es soll hochzeit sein sie schüttelten ihre köpfe und traten ins haus hinein am norderthor wo das zollhaus steht da saßen sie zu gericht sie war erst sechszehn jahre das konnte sie retten nicht durchs süderthor am andren tag ein zug und ein karren schlich marie duchatel wollte lächeln und weinte bitterlich sie kamen an den hügel leb wohl liebe königin von deinen vier marieen geht eine nun dahin oft hab ich dich angekleidet und dir das bett gemacht daß es so kommen würde das hab ich nie gedacht oft hab ich dir mit goldband dein scharlachmieder gesäumt von diesem tag und dieser stund ach hab ich nie geträumt ihr schiffer und ihr matrosen wenn ihr zu schiffe geht erzählt kein wort in frankreich von allem was ihr nun seht erzählt nicht meiner mutter von dem brett auf dem ich stand und nichts von meinem tode und nichts von meiner schand ach meine arme mutter als in der wieg ich lag und du mich herztest und küßtest wie fern war dieser tag |
Rizzio’s Ermordung von Theodor Fontane, vor 1898 † „Herr Darnley reitet in den Wald, Lord Ruthven ihm zur Seite; / Herr Darnley spricht: „was frommt es mir, daß in den Lenz ich reite? / Ich ritt hinaus ein Schreckgespenst mir aus dem Sinn zu schlagen, / Ihr aber Ruthven hastet Euch, in’s Feuer Oel zu tragen.““ |
1898 | 2676 | rizzios ermordung von theodor fontane herr darnley reitet in den wald lord ruthven ihm zur seite herr darnley spricht was frommt es mir daß in den lenz ich reite ich ritt hinaus ein schreckgespenst mir aus dem sinn zu schlagen ihr aber ruthven hastet euch ins feuer oel zu tragen lord ruthven streicht den rothen bart als sei er des zufrieden er schweigt und denkt nur wenn es heiß soll man das eisen schmieden seit an marias ohr er frech ein liebeswort verloren hat er der schönen königin im herzen haß geschworen er spricht kein wort beredter spricht sein lächeln jetzt und schweigen er sieht von schritt zu schritt das blut in darnleys wange steigen der ruft sing aus dein rabenlied und sprichts wie deine blicke verdamm mich gott wenn ich den fant nicht in die hölle schicke lord ruthven streicht den rothen bart und spricht so soll ichs glauben mein herr und könig zweifle noch am spiel der frommen tauben er wisse nicht was jeder weiß vom schottschen königsstuhle daß heinrich darnleys ehlich weib des david rizzio buhle herr darnley kehrt gen edinburg er hält vor seinem schlosse lord ruthven spricht er sos beliebt bleibt ihr mein jagdgenosse der fuchs ist schlau doch bärg er sich in ihres kleides falten ich jag ihn auf noch heute nacht will meinen schwur ich halten es glänzt der festgeschmückte saal von rittern wohl und frauen vor allen ist maria doch als königin zu schauen sie läßt die zeit bei spiel und tanz in raschem flug enteilen und nur ihr gatte zögert noch des festes lust zu theilen die kerzen und die wangen glühn vor freuden um die wette es schreitet an lord seytons hand maria zum bankette der becher schäumt maria winkt ein saitenspiel zu bringen ihr liebling rizzio nimmt es hin und hebet an zu singen der könig zog in finstrem sinn hinaus mit seinem trosse nachblickt die schöne königin dem reiter und dem rosse und als des waldes laub und moos den könig kaum erlaben da lockt sie schon auf ihren schooß den blonden edelknaben sie streicht sein haar sie küsst so heiß die lippen ihm und wangen die aber sind heut kalt wie eis und athmen kein verlangen sie flüstert lieber knabe mein halt fester mich in armen wir wollen eins zur stunde sein das wird dein herz erwarmen er aber spricht s läßt heut mich nicht fest drücken dich und pressen ich hatt zur nacht ein traumgesicht das kann ich nicht vergessen es trat der könig vor mich hin als ich dich wollte küssen mir ist so bang lieb königin als würd ich sterben müssen so stirb du buhlerischer thor herr darnley rufts dazwischen es fegt im nu sein zornesblick die gäste von den tischen stirb denn und danks im tode mir daß ich mit guter klinge zu deinem bösen bubenlied das letzte verslein singe es packt den sänger todesangst in namenlosem leide hält fest er wie ein zitternd kind sich an marias kleide die tritt halb furcht halb zorn im blick hervor ihn zu bewahren umsonst schon ist des königs schwert ihm durch die brust gefahren es hält die lange nacht hindurch maria todtenwache zum ersten mal zieht durch ihr herz der heiße wunsch nach rache die morgensonne sah den schwur auf ihrer lippe beben herr darnley hat des sängers tod bezahlt mit seinem leben |
Schloß Eger von Theodor Fontane, 1849 „Lärmend, im Schloß zu Eger, Ueber dem Ungarwein, / Sitzen die Würdenträger / Herzogs Wallenstein: / Tertschka, des Feldherrn Schwager, / Illo und Kinsky dazu, / Ihre Heimath das Lager, / Und die Schlacht ihre Ruh.“ |
1849 | 1662 | schloß eger von theodor fontane lärmend im schloß zu eger ueber dem ungarwein sitzen die würdenträger herzogs wallenstein tertschka des feldherrn schwager illo und kinsky dazu ihre heimath das lager und die schlacht ihre ruh lustig flackern die kerzen aber der tertschka spricht ist mirs nacht im herzen oder vorm gesicht diese lichter leuchten wie in dunkler gruft und die wände die feuchten hauchen grabesluft feurig funkelt der unger aber der kinsky spricht draußen bei frost und hunger schüttelte so michs nicht hielte lieber bei lützen wieder in qualm und rauch wolle gott uns schützen oder der teufel auch illo nur herz wie kehle hält er bei laune sich dicht ist seine seele gegen hieb und stich trägt ein büffelkoller wie sein körper traun lustiger und toller war er nie zu schaun und vom trunke heiser ruft er jetzt und lacht das erst ist der kaiser wer den kaiser macht eid und treue brechen thaten wirs allein hoch der könig der czechen herzog wallenstein burg und schloßbewohner ruhen da sieh in stahl buttlersche dragoner dringen in den saal buttler selbst im helme tritt an den illo sprich seid ihr schurken und schelme oder gut kaiserlich hei da fahren die klingen wie von selber heraus von dem pfeifen und schwingen löschen die lichter aus weiter geht es im dunkeln nein im dunkeln nicht ihrer augen funkeln giebt das rechte licht tertschka fällt daneben kinsky mit fluch und schwur mehr um tod wie leben ficht selbst illo nur schlägt blindhin in scherben schädel und flaschen jetzt wie ein eber im sterben noch die hauer wetzt licht und fackel kommen geben düstren schein in einander verschwommen blinken blut und wein ueberall im saale leichen in buntem gemisch stumm vor seinem mahle sitzt der tod am tisch buttler aber wie wetter donnert jetzt laßt sie ruhn das sind erst die blätter an die wurzel nun bald in schlosses ferne hört mans krachen und schrein schau nicht in die sterne rette dich wallenstein |
Und alles ohne Liebe von Theodor Fontane, 1846 (?) „Die Mutter spricht: „lieb Else mein, / Wozu dies Grämen und Härmen? / Man lebt sich in einander ein, / Auch ohne viel zu schwärmen;“ |
1846 | 814 | und alles ohne liebe von theodor fontane die mutter spricht lieb else mein wozu dies grämen und härmen man lebt sich in einander ein auch ohne viel zu schwärmen wie manche nahm schon ihren mann daß sie nicht sitzen bliebe und dünkte sich im himmel dann und alles ohne liebe jungelse hörts sie schloß das band das ewge am altare und lächelnd nahm des gatten hand den kranz aus ihrem haare ihr wars als ob ein glühend roth sich auf die stirn ihr schriebe sie gab ihr alles nach gebot und alles ohne liebe der mann ist schlecht er liebt das spiel und guten trunk nicht minder sein weib zu hause weint zu viel und ewig schrein die kinder spät kommt er heim er kost er schlägt nachgiebig jedem triebe sie trägts wie nur die liebe trägt und alles ohne liebe sie wünscht sich oft es wär vorbei wenn nicht die kinder wären so aber sucht sie stets aufs neu zum guten es zu kehren sie schmeichelt ihm und ob er dann auch kalt bei seit sie schiebe sie nennt ihn ihren liebsten mann und alles ohne liebe |
Wo Bismarck liegen soll von Theodor Fontane, vor 1898 † „Nicht in Dom oder Fürstengruft, / Er ruh’ in Gottes freier Luft / Draußen auf Berg und Halde, / Noch besser tief, tief im Walde;“ |
1898 | 478 | wo bismarck liegen soll von theodor fontane nicht in dom oder fürstengruft er ruh in gottes freier luft draußen auf berg und halde noch besser tief tief im walde widukind lädt ihn zu sich ein ein sachse war er drum ist er mein im sachsenwald soll er begraben sein der leib zerfällt der stein zerfällt aber der sachsenwald der hält und kommen nach dreitausend jahren fremde hier des weges gefahren und sehen geborgen vorm licht der sonnen den waldgrund in epheu tief eingesponnen und staunen der schönheit und jauchzen froh so gebietet einer lärmt nicht so hier unten liegt bismarck irgendwo |
Das Herz von Douglas von Moritz von Strachwitz, vor 1847 † „»Graf Douglas, presse den Helm ins Haar, / gürt’ um dein lichtblau’ Schwert, / schnall’ an dein schärfstes Sporenpaar / und sattle dein schnellstes Pferd!“Moritz von Strachwitz |
1848 | 3340 | das herz von douglas von moritz von strachwitz graf douglas presse den helm ins haar gürt um dein lichtblau schwert schnall an dein schärfstes sporenpaar und sattle dein schnellstes pferd der totenwurm pickt in scones saal ganz schottland hört ihn hämmern könig robert liegt in todesqual sieht nimmer den morgen dämmern sie ritten vierzig meilen fast und sprachen worte nicht vier und als sie kamen vor königs palast da blutete sporn und tier könig robert lag im norderthurn sein auge begann zu zittern ich höre das schwert von bannockburn auf der treppe rasseln und schüttern ha gottwillkomm mein tapfrer lord es geht mit mir zu end und du sollst hören mein letztes wort und schreiben mein testament es war am tag von bannockburn da aufging schottlands stern es war am tag von bannockburn da schwur ichs gott dem herrn ich schwur wenn der sieg mir sei verliehn und fest mein diadem mit tausend lanzen wollt ich ziehn hin gen jerusalem der schwur wird falsch mein herz steht still es brach in müh und streit es hat wer schottland bändigen will zum pilgern wenig zeit du aber wenn mein wort verhallt und aus ist stolz und schmerz sollst schneiden aus meiner brust alsbald mein schlachtenmüdes herz du sollst es hüllen in roten samt und schließen in gelbes gold und es sei wenn gelesen mein totenamt im banner das kreuz entrollt und nehmen sollst du tausend pferd und tausend helden frei und geleiten mein herz in des heilands erd damit es ruhig sei nun vorwärts angus und lothian laßt flattern den busch vom haupt der douglas hat des königs herz wer ist es ders ihm raubt mit den schwertern schneidet die taue ab alle segel in die höh der könig fährt in das schwarze grab und wir in die schwarzblaue see sie fuhren tage neunzig und neun gen ost ward der wind gewandt und bei dem hundertsten morgenschein da stießen sie an das land sie ritten über die wüste gelb wie im tale blitzte der fluß die sonne stach durchs helmgewölb als wie ein bogenschuß und die wüste war still und kein lufthauch blies und schlaff hing schärpe und fahn da flog in wolken der stäubende kies draus flimmernde spitzen sahn und die wüste ward voll und die luft erscholl und es hob sich wolk an wolk aus jeder berstenden wolke quoll speerwerfendes reitervolk zehntausend lanzen funkelten rechts zehntausend schimmerten links allah il allah scholl es rechts il allah scholl es links der douglas zog die zügel an und still stand herr und knecht beim heiligen kreuz und sankt alban das gibt ein grimmig gefecht eine kette von gold um den hals ihm hing dreimal um ging sie rund eine kapsel an der kette hing die zog er an den mund du bist mir immer gegangen voran o herz bei tag und nacht drum sollst du auch heut wie du stets getan vorangehn in die schlacht und verlasse der herr mich drüben nicht wie ich hier dir treu verblieb und gönne mir noch auf das heidengezücht einen christlichen schwerteshieb er warf den schild auf die linke seit und band den helm herauf und als zum würgen er saß bereit in den bügeln stand er auf wer dies geschmeid mir wieder schafft des tages ruhm sei sein da warf er das herz mit aller kraft in die feinde mitten hinein sie schlugen das kreuz mit dem linken daum die rechte den schaft legt ein die schilde zurück und los den zaum und sie ritten drauf und drein und es war ein stoß und es war eine flucht und rasender tod rundum und die sonne versank in die meeresbucht und die wüste ward wieder stumm und der stolz des ostens er lag gefällt im meilenweiten kreis und der sand ward rot auf dem leichenfeld der nie mehr wurde heiß von den helden allen durch gottes huld entrann nicht mann noch pferd kurz ist die schottische geduld und lang ein schottisch schwert doch wo am dicksten ringsumher die feinde lagen im sand da hatte ein falscher heidenspeer dem grafen das herz durchrannt und er schlief mit klaffendem kettenhemd längst aus war stolz und schmerz doch unter dem schilde festgeklemmt lag könig roberts herz |
Hie Welf von Moritz von Strachwitz, vor 1847 † „Fürwahr, Ihr Langobarden, das war ein schwerer Tritt, / Den Friedrich Barbarossa durch Mailands Bresche ritt, / Licht war das Roß des Kaisers, ein Schimmel von Geburt, / Das war mit welschem Blut gescheckt bis über den Sattelgurt.“ |
1848 | 1107 | hie welf von moritz von strachwitz fürwahr ihr langobarden das war ein schwerer tritt den friedrich barbarossa durch mailands bresche ritt licht war das roß des kaisers ein schimmel von geburt das war mit welschem blut gescheckt bis über den sattelgurt es saß der hohenstaufe in stahl von fuß bis kopf er stemmte wider die hüfte den schweren schwertesknopf das haupt zurückgeworfen die lippe kniff sich schlimm sein bart stob all zu berge und jedes haar war grimm wie lagest du o mailand du sonst so hoch und frei zertreten im blutigen staube du perle der lombardei der schutt im winde wirbelte wo säulen geragt unlängst und über den marmor stampfte der schwerhufige friesenhengst und stille über den trümmern und stille in dem troß da zügelte der rächer sein kaiserliches roß und tiefer ward die stille denn alles stand zur stell quer auf des siegers wege lag ein sterbender rebell der bäumte sich gewaltig mit halbem leib hochauf und sah mit unauslöschlichem tödlichem grimm herauf er wimmerte nicht erbarmen er winselte nicht gott helf er knirschte unter dem helme vor sein trotziges hie welf das packte den vertilger wie fest er sich geglaubt ihm schlug ein schwarzer gedanke die schweren flügel ums haupt er sah an südlichen meere ein dunkelrot schafott drauf kniete der letzte staufe das letzte mal vor gott |
Pharao von Moritz von Strachwitz, vor 1847 † „An dem Roten Meer mit bekümmerter Seel‘, / Mit der Stirn im Staube lag Israel, / Vor ihnen der See tiefflutender Born, / Und hinten des Pharao klirrender Zorn: / »Jehova, erbarme Dich meiner!«“ |
1847 | 795 | pharao von moritz von strachwitz an dem roten meer mit bekümmerter seel mit der stirn im staube lag israel vor ihnen der see tiefflutender born und hinten des pharao klirrender zorn jehova erbarme dich meiner und moses schlug mit dem stab in den schwall da türmte der herr die flut zum wall und das volk des herrn durch die gasse zog und auf beiden seiten stand das gewog und drüben fehlte nicht einer und pharao kam an das ufer gebraust auf der lippe den grimm das schwert in der faust sein strahlendes heer weit kams gerollt und roß und reiter war eitel gold nun könig der könige rette und hinab in das meer mit wagen und troß doch vornen sprengte des todes roß und als in der gasse ritt mann an mann aufbrüllten die wogen und schlossen sich dann hoch über ihr altes bette schwer war der harnisch und tief die see nicht roß noch reiter kam wieder zur höh und juda kniet und der herr war nah und es sanken die wasser und lagen da und still wards über der glätte |
Richard Löwenherz‘ Tod von Moritz von Strachwitz, 1842 „»Hinweg die Lanze, hinab vom Roß! / Bei Gott und unsrer Frau! / Ich nehme das stolze Rebellenschloß / Noch vor dem Abendgrau.“ |
1842 | 1056 | richard löwenherz tod von moritz von strachwitz hinweg die lanze hinab vom roß bei gott und unsrer frau ich nehme das stolze rebellenschloß noch vor dem abendgrau hinan ihr lords von nord und süd hinan auf wall und turm durchs löwenbanner der sturmwind zieht er heult zum sturm zum sturm zieht schützen den langen bogen ans ohr der oft den hirsch bedroht auf sendet in jedes herz empor den graubefiederten tod hoch lebe das fröhliche engelland und jedes stück davon der könig schwang in der panzerhand die streitaxt von askalon und wem die axt um die ohren pfiff der ward auf ewig taub und wem die axt an den nacken griff der lag ohne kopf im staub wen legst du dort ins grüne gras sag an mein kühner gesell seine stirn ist hoch seine wange blaß sein aug blickt grimmig hell die streitaxt hält die faust umklemmt als gält es das ewige heil doch tief in dem blutigen panzerhemd da zittert der dünne pfeil die faust ward matt die lippe weiß der schlaf ihn überkam der mund aber betete röchelnd leis für gott und meine dam und wie er es sprach in zuckendem schmerz der todeswunde mann da hatte das brechende löwenherz den letzten schlag getan die faust war starr und starr das blut die lippe war stolz gebäumt als riefe sie noch mit grimmem mut still wenn der löwe träumt |
Bettlerballade von Conrad Ferdinand Meyer, 1862 (?) „Prinz Bertarit bewirtet Veronas Bettlerschaft / Mit Weizenbrot und Kuchen und edlem Traubensaft. / Gebeten ist ein jeder, der sich mit Lumpen deckt, / Der, heischend auf den Brücken der Etsch, die Rechte reckt.“Conrad Ferdinand Meyer |
1862 | 1586 | bettlerballade von conrad ferdinand meyer prinz bertarit bewirtet veronas bettlerschaft mit weizenbrot und kuchen und edlem traubensaft gebeten ist ein jeder der sich mit lumpen deckt der heischend auf den brücken der etsch die rechte reckt auf edlen marmorsesseln im saale thronen sie durch riß und löcher gucken ellbogen zeh und knie nicht nach geburt und würden sie sitzen grell gemischt jetzt werden noch die hasen und hühner aufgetischt der tastet nach dem becher er durstet und ist blind den krüppel ohne arme bedient ein frommes kind ein reizend stumpfes näschen guckt unter struppgem schopf mit wildem mosesbarte prahlt ein charakterkopf die herzen sind gesättigt beginne musica ein dudelsack ein hackbrett und geig und harf ist da der prinz noch schier ein knabe wie gottes engel schön erhebt den vollen becher und singt durch das getön mit frisch gepflückten rosen bekrön ich mir das haupt des reiches ehrne krone hat mir der ohm geraubt er ließ mir tag und sonne mein übrig gut ist klein so will ich mit den armen als armer fröhlich sein ein bettler stürzt ins zimmer grumell wo kommst du her der schreckensbleiche stammelt ich lauscht von ungefähr gebettet an der hofburg dein ohm schickt mörder aus nimm meinen braunen mantel erzschritt umdröhnt das haus drück in die stirn den hut dir er schattet tief geschwind da hast du meinen stecken entspring geliebtes kind die mörder nahen klirrend ein bettler schleicht davon wer bist du zeig das antlitz gehobne dolche drohn laß ihn es ist grumello ich kenn das loch im hut ich kenn den riß im ärmel wir opfern edler blut sie spähen durch die hallen und suchen bertarit der unter dunkelm mantel dem dunkeln tod entflieht er fuhr in fremde länder und ward darob zum mann er kehrte heim gepanzert den ohm erschlug er dann verona nahm er stürmend in rotem feuerschein am abend lud der könig veronas bettler ein |
Chor der Toten von Conrad Ferdinand Meyer, 1883 „Wir Toten, wir Toten sind größere Heere / Als ihr auf der Erde, als ihr auf dem Meere! / Wir pflügten das Feld mit geduldigen Taten, / Ihr schwinget die Sicheln und schneidet die Saaten,“ |
1883 | 521 | chor der toten von conrad ferdinand meyer wir toten wir toten sind größere heere als ihr auf der erde als ihr auf dem meere wir pflügten das feld mit geduldigen taten ihr schwinget die sicheln und schneidet die saaten und was wir vollendet und was wir begonnen das füllt noch dort oben die rauschenden bronnen und all unser lieben und hassen und hadern das klopft noch dort oben in sterblichen adern und was wir an gültigen sätzen gefunden dran bleibt aller irdische wandel gebunden und unsere töne gebilde gedichte erkämpfen den lorbeer im strahlenden lichte wir suchen noch immer die menschlichen ziele drum ehret und opfert denn unser sind viele |
Das Glöcklein von Conrad Ferdinand Meyer, 1864 (?) „Er steht an ihrem Pfühl in herber Qual / Und muss den jungen Busen keuchen sehn, / Er ist ein Arzt, und weiß, sein traut Gemal / Erblasst, sobald die Morgenschauer wehn.“ |
1864 | 984 | das glöcklein von conrad ferdinand meyer er steht an ihrem pfühl in herber qual und muss den jungen busen keuchen sehn er ist ein arzt und weiß sein traut gemal erblasst sobald die morgenschauer wehn sie hat geschlummert lieber du bei mir mir träumte dass ich auf der alpe war wie schön mir träumte das erzähl ich dir du schickst mich wieder hin das nächste jahr dort vor dem dorf du weißt den moosgen stein saß ich und rings umhallte mich getön die herden zogen alle mit schalmein an mir vorüber von den sommerhöhn die herden ziehen alle heut nach haus nun ists die letzte wohl nein eine noch noch ein geläut klingt an und eins klingt aus das endet nicht da kam das letzte doch nun alles still es starb das abendrot die matten dunkelten so grün und rein die hohen gipfel standen bleich und tot und drüber glomm ein leiser sternenschein ein glöcklein horch klingt fern es aus der schlucht irrt es verspätet noch am felsenhang ein armes glöcklein das die herde sucht da wacht ich auf und höre noch den klang du schickst mich wieder auf die lieben höhn sie haben sagst du mich gesund gemacht da wars so schön da wars so wunderschön das glöcklein wieder hörst dus gute nacht |
Der gleitende Purpur von Conrad Ferdinand Meyer, 1864 „„Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!“ / Schallt im Münsterchor der Psalm der Knaben. / Kaiser Otto lauscht der Mette, / Diener hinter sich mit Spend’ und Gaben.“ |
1864 | 1431 | der gleitende purpur von conrad ferdinand meyer eia weihnacht eia weihnacht schallt im münsterchor der psalm der knaben kaiser otto lauscht der mette diener hinter sich mit spend und gaben eia weihnacht eia weihnacht heute da die himmel niederschweben wird dem elend und der blöße mäntel er und warme röcke geben hundert bettler stehn erwartend einer hält des kaisers knie umfangen mit den wundgeriebnen armen dran zerrissner fesseln enden hangen schalk was zerrst du mir den purpur harr und beite kennst du mich als kargen doch der bettler hält den mantel fest und jammert kennst du mich den argen du gesalbter und erlauchter kennst du mich du hast mit mir gelegen mit dem siechen mit dem wunden unter eines mutterherzens schlägen aus demselben wollentuche schnitt man uns die kappen und die kleider aus demselben psalmenbuche sang das frische jugendantlitz beider heinz wo bist du heinz wo bleibst du hast zum spiele du mich oft gerufen durch die säle durch die gänge auf und ab der wendeltreppe stufen dann als einen falschen bruder und verräther hast du mich erfunden du ergrimmtest und du warfest in die kerkertiefe mich gebunden in der tiefe meines kerkers hab ich ohne mantel heut gefroren eia weihnacht eia weihnacht heute wird der welt das heil geboren eia weihnacht eia weihnacht hundert bettler strecken jetzt die hände gieb uns mäntel gieb uns röcke sei barmherzig gieb uns deine spende eine spange löst der kaiser sacht sein purpur gleitet gleitet gleitet ueber seinen sündgen bruder und der erste bettler steht bekleidet eia weihnacht eia weihnacht jubelt erd und himmelreich mit schallen glorie glorie friede freude und am menschenkind ein wohlgefallen |
Der Pilger und die Sarazenin von Conrad Ferdinand Meyer, 1862 „Jüngst am Libanon in einem Kloster, / Drin ich eine kurze Reiserast hielt, / Langsam durch die kühlen Hallen wandelnd, / Blieb ich stehn vor einem alten Bilde, / Wohlbewahrt in eigener Capelle.“ |
1862 | 4349 | der pilger und die sarazenin von conrad ferdinand meyer jüngst am libanon in einem kloster drin ich eine kurze reiserast hielt langsam durch die kühlen hallen wandelnd blieb ich stehn vor einem alten bilde wohlbewahrt in eigener capelle es berührte mich mit leisem zauber trotz der byzantinischen gestalten denn darüber lag ein glanz der liebe durch das thor des paradieses schritten eine sarazenin und ein pilger hand in hand versenkt und blick in blick auch was bedeutet dieses süße märchen frug ich anaklet den klosterbruder der mich schleichend überall begleitet mit gesenkten augen gab er antwort guter herr kein süßes märchen ist es sondern eine tröstliche legende auf ein altes pergament verzeichnet zur erbauung aller gläubgen christen dieser pilger ist ein heilger märtrer eine märtrin ist die sarazenin er verschied gesteinigt und gepeinigt sie verblich umarmend eine schwelle märchenlustig bin ich wie scheherban wie die plaudernde scheherezade und ich bat den mönch erzähle vater deinem sohn die tröstliche legende bruder anaklet willfahrte sprechend einst vor ungezählten vielen jahren also stehts im pergament verzeichnet das ich gründlich lernte schon als knabe zogen pilger nach dem grab vorüber ohne rast und ohne trunk und speise scheuen fußes an der stadt damaskus denn verhaßt ist christus in damaskus vor der stadt damaskus rauscht ein brunnen wo ein löwenkopf aus seines maules tiefherabgezognen winkeln sprudelt ein begehrtes köstlich kühles wasser dort am brunnen stand die sarazenin schleierlos die jungen warmen augen fünfzehnjährig oder sechszehnjährig stand am brunnen eine sarazenin die den schlanken krug gelassen füllte alle pilger zogen ihr vorüber mit gesenktem haupte niederblickend denn die moslimweiber treiben künste aber überwunden hat sie christus nur ein zarter jüngling fast ein knabe noch entwich der pilgerreihe durstig nahte sich der jungen sarazenin flehend forderte von ihr zu trinken langsam senkte sie den krug er schlürfte langsam hob den krug zu haupt sie wieder heimwärts wandelnd vor des thores wölbung wandte sie das haupt mitsammt dem kruge schritte fühlend hinter ihren sohlen pilger hüte dich vor diesem thore denn es würde dir zum thor des todes meine dunkeln augen sind verderblich und verhaßt ist christus in damaskus und sie wandelt durch des thores wölbung und sie wandelt durch die dunkeln gassen schritte fühlend hinter ihren sohlen ihre türe öffnet sie und schließt sie und empor zum innern söller steigend sieht sie mit den sinnen ihres geistes einen pilger liegen auf der schwelle auf der schwelle vor des hauses pforte in der ersten morgenhelle stand sie vor dem pilger heftig ihn zu schelten pilger hebe dich von dieser schwelle die zur schwelle würde dir des todes will nicht schuldig sein an deinem tode meine dunkeln augen sind verderblich alle schlügen heute dich mit stäben alle würfen heute dich mit steinen und du lägest todt in deinem blute denn verhaßt ist christus in damaskus weiche pilger heb dich lästger bettler fremdling abergläubscher götzendiener diesen lippen einen kuß entweiche doch er weigerte sich mit dem haupte zornig wich von ihm die sarazenin in der letzten abendhelle stand sie vor dem pilger dem das blut aus vielen wunden strömte heftig ihn zu schelten weiche pilger heb dich lästger bettler fremdling abergläubscher götzendiener meine dunkeln augen sind verderblich und verhaßt ist christus in damaskus will nicht schuldig sein an deinem tode waschen will ich deine rothen striemen küssen will ich deine blutgen wunden läugnest du den bleichen mann am holze doch er weigerte sich mit dem haupte weinend wich von ihm die sarazenin und empor zum innern söller steigend hört sie mit den sinnen ihres geistes leise stöhnen einen todeswunden auf der schwelle vor des hauses pforte ferne blieb der schlummer ihren lidern endlich kam der schlummer und ein traum kam rings empor an eines gipfels abhang klommen mit erbaulichen gesängen pilger auf zum thor des paradieses einer klomm voran ein heilger märtrer den die andern grüßten ehrerbietig in des thores wölbung stand der heiland tritt herein du hast für mich geblutet doch der pilger weigerte sich standhaft heiland laß mich liegen auf der schwelle bis sie kommt die stündlich ich erwarte hand in hand versenkt und blick in blick auch tritt sie mir gesellt in deine freude keine sarazenin eine christin solches träumend stürzten ihr die thränen so gewaltig daß sie drob erwachte jählings springt sie auf von ihrem lager fliegt hinab des hauses hundert stufen leer und blutbegossen lag die schwelle in des ungebornen tages frühlicht auf die harte schwelle kniet sie nieder badet sie mit unerschöpften thränen drängt den warmen busen ihr entgegen preßt sie fest als klopft ein herz im steine keines klopft doch ihres zum zerspringen als die füße derer wiederkehrten die den todten vor das thor getragen eilten sie der schwelle scheu vorüber auf der schwelle sahn sie eine todte auf der schwelle lag die sarazenin keine sarazenin eine christin endet bruder anaklet erbaulich |
Der Tod und Frau Laura von Conrad Ferdinand Meyer, 1889 „Es war in Avignon am Karneval / Dass sich ein Mörder in den Reigen stahl / Und dass die Pest verlarvt sich schwang im Tanz / Mit einem schlotterichten Mummenschanz.“ |
1889 | 678 | der tod und frau laura von conrad ferdinand meyer es war in avignon am karneval dass sich ein mörder in den reigen stahl und dass die pest verlarvt sich schwang im tanz mit einem schlotterichten mummenschanz in einer nahen villa täuschen sie die angst mit wohllaut und mit phantasie frau laura war und auch petrarca da als an das tor ein dumpfer schlag geschah die blassen lippen schaudern vor dem wein es tritt ein weissgewandeter herein der eine maske mit dem sterbezug und einen frisch gepflückten lorbeer trug der dämon hebt den lorbeer voller ruh und sinnt und schreitet auf petrarca zu ich grüsse freund und komme priesterlich das ist der selgen lorbeer neige dich der lorbeer schwebt da raubt ihn eine hand frau laura war es die daneben stand sie schmiegt ihn um die blonden haare leicht sie steht bekränzt sie schaudert sie erbleicht |
Die drei gemalten Ritter von Conrad Ferdinand Meyer, 1882 „„Frau Berte, hört: Ihr dürftet nun / Mir einmal einen Gefallen thun!“ // – „Was denkt Ihr, Graf? Wohin denket Ihr? / Vor den drei gemalten Rittern hier?“ // Drei Ritter prahlen auf der Wand / Mit rollenden Augen, am Dolch die Hand.“ |
1882 | 683 | die drei gemalten ritter von conrad ferdinand meyer frau berte hört ihr dürftet nun mir einmal einen gefallen thun was denkt ihr graf wohin denket ihr vor den drei gemalten rittern hier drei ritter prahlen auf der wand mit rollenden augen am dolch die hand wer frau ist diese ritterschaft drei vettern und alle drei tugendhaft gelobt ihr graf die ehe mir bei den drei gemalten rittern hier will ich ihr laßt es doch nicht ruhn euch einmal einen gefallen tun das gräflein zwinkert den rittern zu frau berte welch eine gans bist du das gräflein hebt die finger flink frau berte du bist ein dummes ding trautlieb ich schwör und beschwör es dir bei den drei gemalten rittern hier jetzt rufen aus einem mund die drei es ist geredet und bleibt dabei die wand versinkt dahinter stehn drei gültge zeugen so ists geschehn |
Die Fei von Conrad Ferdinand Meyer, 1879 (?) „Mondnacht und Flut. Sie hangt am Kiel, / Umklammert mit den Armen ihn, / Sie treibt ein grausam lüstern Spiel, / Den Nachen in den Grund zu ziehn.“ |
1879 | 844 | die fei von conrad ferdinand meyer mondnacht und flut sie hangt am kiel umklammert mit den armen ihn sie treibt ein grausam lüstern spiel den nachen in den grund zu ziehn der ferge stöhntin seegesträuch reißt nieder uns der blanke leib rasch herr von sünden reinigt euch begehrt ihr heim zu kind und weib der ritter hält den schwertesgriff sich als das heilge zeichen vor aus dunkeln haaren lauscht am schiff ein schmerzlich bleiches haupt empor herr christ ich beichte ritterthat streit flammenschein und strömend blut doch nichts von frevel noch verrat denn treu und glauben hielt ich gut er küßt das kreuz gell schreit die fee auflangen sieht er eine hand am steuer blendend weiß wie schnee und starrt darauf von graun gebannt herr christ ich beichte missethat ich brach den glauben und die treu ich übt an einem lieb verrat es starb ich thue leid und reu sie löst die arme sie versinkt das ruder schlägt der nachen fliegt vom strand das licht des erkers winkt wo weib und kind ihm schlummernd liegt |
Die Füße im Feuer von Conrad Ferdinand Meyer, 1864 „Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm. / Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß, / Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust / Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest. / Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell / Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann…“ |
1864 | 3085 | die füsse im feuer von conrad ferdinand meyer wild zuckt der blitz in fahlem lichte steht ein turm der donner rollt ein reiter kämpft mit seinem ross springt ab und pocht ans tor und lärmt sein mantel saust im wind er hält den scheuen fuchs am zügel fest ein schmales gitterfenster schimmert goldenhell und knarrend öffnet jetzt das tor ein edelmann ich bin ein knecht des königs als kurier geschickt nach nîmes herbergt mich ihr kennt des königs rock es stürmt mein gast bist du dein kleid was kümmerts mich tritt ein und wärme dich ich sorge für dein tier der reiter tritt in einen dunkeln ahnensaal von eines weiten herdes feuer schwach erhellt und je nach seines flackerns launenhaftem licht droht hier ein hugenott im harnisch dort ein weib ein stolzes edelweib aus braunem ahnenbild der reiter wirft sich in den sessel vor dem herd und starrt in den lebendgen brand er brütet gafft leis sträubt sich ihm das haar er kennt den herd den saal die flamme zischt zwei füsse zucken in der glut den abendtisch bestellt die greise schaffnerin mit linnen blendend weiss das edelmägdlein hilft ein knabe trug den krug mit wein der kinder blick hangt schreckensstarr am gast und hangt am herd entsetzt die flamme zischt zwei füsse zucken in der glut verdammt dasselbe wappen dieser selbe saal drei jahre sinds auf einer hugenottenjagd ein fein halsstarrig weib wo steckt der junker sprich sie schweigt bekenn sie schweigt gib ihn heraus sie schweigt ich werde wild der stolz ich zerre das geschöpf die nackten füsse pack ich ihr und strecke sie tief mitten in die glut gib ihn heraus sie schweigt sie windet sich sahst du das wappen nicht am tor wer hiess dich hier zu gaste gehen dummer narr hat er nur einen tropfen bluts erwürgt er dich eintritt der edelmann du träumst zu tische gast da sitzen sie die drei in ihrer schwarzen tracht und er doch keins der kinder spricht das tischgebet ihn starren sie mit aufgerissnen augen an den becher füllt und übergiesst er stürzt den trunk springt auf herr gebet jetzt mir meine lagerstatt müd bin ich wie ein hund ein diener leuchtet ihm doch auf der schwelle wirft er einen blick zurück und sieht den knaben flüstern in des vaters ohr dem diener folgt er taumelnd in das turmgemach fest riegelt er die tür er prüft pistol und schwert gell pfeift der sturm die diele bebt die decke stöhnt die treppe kracht dröhnt hier ein tritt schleicht dort ein schritt ihn täuscht das ohr vorüberwandelt mitternacht auf seinen lidern lastet blei und schlummernd sinkt er auf das lager draussen plätschert regenflut er träumt gesteh sie schweigt gib ihn heraus sie schweigt er zerrt das weib zwei füsse zucken in der glut aufsprüht und zischt ein feuermeer das ihn verschlingt erwach du solltest längst von hinnen sein es tagt durch die tapetentür in das gemach gelangt vor seinem lager steht des schlosses herr ergraut dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das haar sie reiten durch den wald kein lüftchen regt sich heut zersplittert liegen ästetrümmer quer im pfad die frühsten vöglein zwitschern halb im traume noch friedselge wolken schwimmen durch die klare luft als kehrten engel heim von einer nächtgen wacht die dunkeln schollen atmen kräftgen erdgeruch die ebne öffnet sich im felde geht ein pflug der reiter lauert aus den augenwinkeln herr ihr seid ein kluger mann und voll besonnenheit und wisst dass ich dem grössten könig eigen bin lebt wohl auf nimmerwiedersehn der andre spricht du sagsts dem grössten könig eigen heute ward sein dienst mir schwer gemordet hast du teuflisch mir mein weib und lebst mein ist die rache redet gott |
Die Rose von Newport von Conrad Ferdinand Meyer, 1864 „Sprengende Reiter und flatternde Blüthen, / Einer voraus mit gescheitelten Locken – / Ist es der Lenz auf geflügeltem Renner? / Karl ist’s, der Jüngling, der Erbe von England,“ |
1864 | 1424 | die rose von newport von conrad ferdinand meyer sprengende reiter und flatternde blüthen einer voraus mit gescheitelten locken ist es der lenz auf geflügeltem renner karl ists der jüngling der erbe von england und die sich nähern in goldener mailuft das sind die giebel und thore von newport drüber das wappen der stadt eine rose jubelnde gassen und jubelnde wimpel und ein von treibender jugend geschwelltes jubelndes herz in dem busen des stuart unter den blühenden linden des marktes schreitet ein reigen von blühnden gestalten und eine schönste mit herzlichem beben bietet dem prinzen die rose von newport seliges gestern und morgen und heute herr dir die rose von newport bedeute morgen erzählen die linden das märchen von der entblätterten rose von newport sprengende reiter und wirbelnde flocken einer voraus mit verwilderten haaren ist es der winter der finstre geselle karl ists der flüchtling der könig von england seit er das blut seines volkes vergossen reitet er neben zerschmetterndem abgrund und die sich nähern in weißem gestöber das sind die giebel und thore von newport drüber das wappen der stadt eine rose nirgend ein jubel und nirgend ein wimpel polternde hämmer und kreischende feilen und ein von eisernen fäusten gepresstes aechzendes herz in dem busen des stuart unter den frierenden linden des marktes bettelt ein kind mit verschatteten augen bietet dem könig ein dorrendes röschen seliges gestern und morgen und heute herr dir die rose von newport bedeute karl der die züge des kindes betrachtet schmal und gespenstig im spiegel des elends sieht er das eigene antlitz und schaudert morgen erzählen die linden das märchen von dem enthaupteten könig in england |
Die Söhne Haruns von Conrad Ferdinand Meyer, 1866 „Harun sprach zu seinen Kindern Assur, Assad, Scheherban: / „Söhne, werdet ihr vollenden, was ich kühnen Muths begann? / Seit ich Bagdads Thron bestiegen, bin von Feinden ich umgeben! / Wie befestigt ihr die Herrschaft? Wie vertheidigt ihr mein Leben?““ |
1866 | 1645 | die söhne haruns von conrad ferdinand meyer harun sprach zu seinen kindern assur assad scheherban söhne werdet ihr vollenden was ich kühnen muths begann seit ich bagdads thron bestiegen bin von feinden ich umgeben wie befestigt ihr die herrschaft wie vertheidigt ihr mein leben assur ruft der feurig schlanke schleunig werb ich dir ein heer zimmre masten webe segel ich bevölkre dir das meer rosse schul ich säbel schmied ich ich erbaue dir castelle dir gehören stadt und wüste dir gehorchen strand und welle assad mit der schlauen miene sinnt und äußert sich bedächtig sicher schaff ich deinen schlummer sorgen machen übernächtig traue deinem assad wähle mich zum polizeiminister jeden athemzug belausch ich jedes heimliche geflüster wirthe kuppler und barbiere jedem setz ich einen sold daß ein jeder mir berichte wer dich liebt und wer dir grollt harun lächelt zu dem jüngsten seinem liebling sagt er ruhst du wie beschämst du deine brüder zarter scheherban was tust du vater redet jetzt der jüngste keusch errötend es ist gut daß ein tropfen rinne nieder warm ins volk aus deinem blut über ungezählte loose bist allmächtig du auf erden das ist raub an deinen brüdern und du wirst gerichtet werden dein erhaben loos zu sühnen das sich thürmt den blitzen zu laß mich in des lebens dunkle tiefe niedertauchen du such mich nicht ich ging verloren sende weder kleid noch spende wie der aermste will ich leben von der arbeit meiner hände mit dem hammer mit der kelle laß mich herr ein maurer sein selber maur ich mich in deines glückes grund und boden ein jedem hause wird ein zauber daß es unzerstörlich dauert etwas liebes etwas theures in den grundstein eingemauert hörest du die straße rauschen unter deinem marmorschloß morgen bin ich dieser menge namenloser tischgenoß wenn dich die beherrschten lästern segnet einer herr dich stündlich wenn dich die enterbten hassen einer vater liebt dich kindlich |
Don Fadrique von Conrad Ferdinand Meyer, 1882 „Don Fadrique bringt ein Ständchen / Der possierlichen Pepita: / »Liebchen, strecke durch die Türe / Deines Füßchens Spitze nur!«“ |
1882 | 717 | don fadrique von conrad ferdinand meyer don fadrique bringt ein ständchen der possierlichen pepita liebchen strecke durch die türe deines füßchens spitze nur und die drollige pepita streckt durch eine schmale spalte eines allerliebsten fußes weißes spitzchen in die luft don fadrique krümmt den rücken will das weiße spitzchen küssen knabe amor steht beiseite der den bogen lachend spannt nach dem ewigjungen herzen zielt er doch wer lacht der zielt schlecht in des ritters alten rücken schießt er einen hexenschuß don fadriques knochen rasseln don fadrique stürzt zusammen figaro holt eine sänfte figaro bringt ihn zu bett frommer bruder agostino exorziere mir das frevle allerliebste weiße füßchen das durch meine beichte tanzt don fadrique sucht den hades zierlich schreitend wie ein stutzer tänzelnd leuchtet ihm ein weißes füßchen durch die unterwelt |
Fingerhütchen von Conrad Ferdinand Meyer, 1862 (?) „Liebe Kinder, wisst ihr wo / Fingerhut zu Hause? / Tief im Tal von Acherloo / Hat er Herd und Klause; / Aber schon in jungen Tagen / Muss er einen Höcker tragen;“ |
1862 | 3176 | fingerhütchen von conrad ferdinand meyer liebe kinder wisst ihr wo fingerhut zu hause tief im tal von acherloo hat er herd und klause aber schon in jungen tagen muss er einen höcker tragen geht er wunderlicher nie wallte man auf erden sitzt er staunen kinn und knie dass sie nachbarn werden körbe flicht aus binsen er früh und spät sich regend trägt sie zum verkauf umher in der ganzen gegend und er gäbe sich zufrieden wär er nicht im volk gemieden denn man zischelt mancherlei dass ein hexenmeister dass er kräuterkundig sei und im bund der geister solches ist die wahrheit nicht ist ein leeres meinen doch das volk im dämmerlicht schaudert vor dem kleinen so die jungen wie die alten weichen aus dem ungestalten doch vorüber wohlgemut auf des schusters räppchen trabt er blauer fingerhut nickt von seinem käppchen einmal geht er heim bei nacht nach des tages lasten hat den halben weg gemacht darf ein bisschen rasten setzt sich und den korb daneben schimmernd hebt der mond sich eben fingerhut ist gar nicht bang ihm ist gar nicht schaurig nur dass noch der weg so lang macht den kleinen traurig etwas hört er klingen fein nicht mit rechten dingen mitten aus dem grünen rain ein melodisch singen silberfähre gleitest leise schon verstummt die kurze weise fingerhütchen spähet scharf und kann nichts entdecken aber was er hören darf ist nicht zum erschrecken wieder hebt das liedchen an unter busch und hecken doch es bleibt der reimgespan stets im hügel stecken silberfähre gleitest leise wiederum verstummt die weise lieblich ist doch einerlei der gesang der elfen fingerhütchen fällt es bei ihnen einzuhelfen fingerhütchen lauert still auf der töne leiter wie das liedchen enden will führt er leicht es weiter silberfähre gleitest leise ohne ruder ohne gleise aus dem hügel rufts empor das ist dir gelungen unterm boden kommt hervor kleines volk gesprungen fingerhütchen fingerhut lärmt die tolle runde fass dir einen frischen mut günstig ist die stunde silberfähre gleitest leise ohne ruder ohne gleise dieses hast du brav gemacht lernet es ihr sänger wie du es zustand gebracht hübscher ists und länger zeig dich einmal schöner mann lass dich einmal sehen vorn zuerst und hinten dann lass dich einmal drehen weh was müssen wir erblicken fingerhütchen welch ein rücken auf der schulter liebe zeit trägst du eine grause bürde ohne hübsche leiblichkeit was ist geisteswürde eine ganze stirne voll glücklicher gedanken unter einem höcker soll länger nicht sie schwanken strecket euch verkrümmte glieder garstger buckel purzle nieder fingerhut nun bist du grad deines fehls genesen heil zum schlanken rückengrat heil zum neuen wesen plötzlich steckt der elfenchor wieder tief im raine aus dem hügelgrund empor tönts im mondenscheine silberfähre gleitest leise ohne ruder ohne gleise fingerhütchen wird es satt wäre gern daheime er entschlummert lass und matt an dem eignen reime schlummert eine ganze nacht auf derselben stelle wie er endlich auferwacht scheint die sonne helle kühe weiden schafe grasen auf des elfenhügels rasen fingerhut ist bald bekannt lässt die blicke schweifen sachte dreht er dann die hand hinter sich zu greifen ist ihm heil im traum geschehn ist das heil die wahrheit wird das elfenwort bestehn vor des tages klarheit und er tastet tastet tastet unbebürdet unbelastet jetzt bin ich ein grader mann jauchzt er ohne ende wie ein hirschlein jagt er dann über feld behende fingerhut steht plötzlich still tastet leicht und leise ob er wieder wachsen will nein in keiner weise selig preist er nacht und stunde da er sang im geisterbunde fingerhütchen wandelt schlank gleich als hätt er flügel seit er schlummernd niedersank nachts am elfenhügel |
König Etzels Schwert von Conrad Ferdinand Meyer, 1875 „Der Kaiser spricht zu Ritter Hug: / „Du hast für mich dein Schwert verspellt, / Des Eisens ist bei mir genug, / Geh, wähl dir eins, das dir gefällt!““ |
1875 | 1169 | könig etzels schwert von conrad ferdinand meyer der kaiser spricht zu ritter hug du hast für mich dein schwert verspellt des eisens ist bei mir genug geh wähl dir eins das dir gefällt hug schreitet durch den waffensaal wo stets der graue schaffner sitzt der kaiser gibt mir freie wahl aus allem was da hangt und blitzt er prüft und wägt von ihrem ort langt er die schwerter mannigfalt sprich wessen ist das große dort gewaltig heidnisch ungestalt des würgers etzel flüstert scheu der graue der es hält in hut des hunnenkönigs meiner treu so lechzt und dürstet es nach blut lass ruhn es hat genug gewürgt die tote wut erwecke nicht gib her dem ist der sieg verbürgt der mit dem schwert des hunnen ficht und wieder sprengt er in den kampf du hast dich lange nicht geletzt schwert etzels an des blutes dampf drum freue dich und trinke jetzt er schwingt es weit er mäht und mäht und etzels schwert es schwelgt und trinkt bis müd die sonne niedergeht und hinter rote wolken sinkt als längst er schon im mondlicht braust wird ihm der arm vom schlagen matt er frägt das schwert in seiner faust schwert etzels bist noch nicht du satt lass ab heut ist genug getan doch weh es weiß von keiner rast es hebt ein neues morden an und trifft und frisst was es erfasst lass ab es zuckt in grauser lust der ritter stürzt mit seinem pferd und jubelnd sticht ihn durch die brust des hunnen unersättlich schwert |
La Blanche Nef von Conrad Ferdinand Meyer, 1882 „„Herr König, ich bin Steffens Kind, / Der den Erobrer einst geführt! / Es ist ein Lehn, Dass mein Gesind / Mein Schiff allein den König führt!“ |
1882 | 2501 | la blanche nef von conrad ferdinand meyer herr könig ich bin steffens kind der den erobrer einst geführt es ist ein lehn dass mein gesind mein schiff allein den könig führt voraus den schnellsten seglern fliegt mein boot la blanche nef genannt es weiss wo sichre tiefe liegt es furcht das meer es kennt den strand nicht mich doch meinen besten hort vier königskinder führest du sie knospen weil mein leben dorrt die junge normandie dazu gelobe mir dein himmlisch teil gelobe mir dein männlich wort du bringst an leib und seele heil die kinder mir nach england dort ich schwöre dir mein himmlisch teil ich schwöre dir mein männlich wort an leib und seele bring ich heil die kinder dir nach england dort des schiffers geller pfiff erscholl in see das boot des königs stach ein korb von frischen blumen voll glitt blanche nef la belle nach so leichtbeschwingt wie nie zuvor durchfurchte blanche nef die see mit ihrem kräftgen knabenflor und mägdlein schlank wie hirsch und reh die königskinder hell und zart erhöht inmitten sassen sie ringsum gepaart in zucht und art das edelblut der normandie vier stimmen sangen frisch und schön und hundertstimmig scholl der chor es zog das junge lustgetön die nixen aus der flut empor ich warne junge herrlichkeit und dich normännisch edelblut das singen schafft der nixe leid dem freudelosen kind der flut und schaffen dem gezücht wir leid und quälen wir das halbgeschlecht und reizen wir der nixe neid das steffen ist uns eben recht gemach verlosch das abendrot des tages gluten schliefen ein ausbreitet über meer und boot der mond den bleichen geisterschein die see ist wunderlich erregt was wandert um des kieles lauf von armen wird die flut bewegt beglänzte nacken tauchen auf der steffen ernst am steuer stand das meer ist klar doch droht gefahr er deutet mit gestreckter hand da naht sie schon die nixenschar umklammert hält den schrägen mast ein blanker leib als schiffsfigur dass blanche nef von graun erfasst in wilder flucht von dannen fuhr ich warne junge herrlichkeit vergesst die nachtgebete nicht ei steffen kind der alten zeit süss herzt es sich im mondenlicht es klimmt und überklimmt das bord es lässt sich nieder aus den taun es kichert wie ein freches wort es schaudert wie ein lüstern graun es reizt es quält es schlüpft es schmiegt sich zwischen edelknecht und maid bis sich das paar in armen liegt zu früher lust zu tod und leid dem steffen steigt das haar er starrt auf ein gespenstig bacchanal die königskinder hell und zart verblühen all im mondenstrahl verloren geht mein himmlisch teil gebrochen ist mein männlich wort nicht bring an leib und seele heil die kinder ich nach england dort stirb blanche nef bevor es tagt im wasser weiss ich hier ein riff er dreht das steuer stracks und jagt der klippe zu das sündenschiff der könig lauscht zurück das scholl wie sterbeschrei klar ist der sund ein korb von welken blumen voll sinkt blanche nef zum meeresgrund |
Lethe von Conrad Ferdinand Meyer, 1860 „Jüngst im Traume sah ich auf den Fluten / Einen Nachen ohne Ruder ziehn, / Strom und Himmel stand in matten Gluten / Wie bei Tages Nahen oder Fliehn.“ |
1860 | 882 | lethe von conrad ferdinand meyer jüngst im traume sah ich auf den fluten einen nachen ohne ruder ziehn strom und himmel stand in matten gluten wie bei tages nahen oder fliehn saßen knaben drin mit lotoskränzen mädchen beugten über bord sich schlank kreisend durch die reihe sah ich glänzen eine schale draus ein jedes trank jetzt erscholl ein lied voll süßer wehmuth das die schaar der kranzgenossen sang ich erkannte deines nackens demuth deine stimme die den chor durchdrang in die welle taucht ich bis zum marke schaudert ich wie seltsam kühl sie war ich erreicht die leise ziehnde barke drängte mich in die geweihte schaar und die reihe war an dir zu trinken und die volle schale hobest du sprachst zu mir mit trautem augenwinken herz ich trinke dir vergessen zu dir entriß in trotzgem liebesdrange ich die schale warf sie in die flut sie versank und siehe deine wange färbte sich mit einem schein von blut flehend küßt ich dich in wildem harme die den bleichen mund mir willig bot da zerrannst du lächelnd mir im arme und ich wußt es wieder du bist todt |
Mit zwei Worten von Conrad Ferdinand Meyer, 1877 „Am Gestade Palästina’s, auf und nieder, Tag um Tag, / „London?“ frug die Sarazenin, wo ein Schiff vor Anker lag. / „London!“ bat sie lang vergebens, nimmer ward sie müd und zag, / Bis zuletzt an Bord sie brachte eines Bootes Ruderschlag.“ |
1877 | 1036 | mit zwei worten von conrad ferdinand meyer am gestade palästinas auf und nieder tag um tag london frug die sarazenin wo ein schiff vor anker lag london bat sie lang vergebens nimmer ward sie müd und zag bis zuletzt an bord sie brachte eines bootes ruderschlag sie betrat das deck des seglers und ihr wurde nicht gewehrt meer und himmel london frug sie von der heimath abgekehrt suchte blickte durch des schiffers ausgestreckte hand belehrt nach den küsten wo die sonne sich in abendgluth verzehrt gilbert fragt die sarazenin im gedräng der großen stadt und die menge lacht und spottet bis sie dann erbarmen hat tausend gilbert giebts in london doch sie schreitet nimmer matt labe dich mit trank und speise doch sie wird von thränen satt gilbert nichts als gilbert weißt du keine andern worte nein gilbert hört das wird der weiland pilger gilbert becket sein den gebräunt in sklavenketten glüher wüste sonnenschein dem die bande löste heimlich eines emirs töchterlein pilgrim gilbert becket dröhnt es braust es längs der themse strand sieh da kommt er ihr entgegen von des volkes mund genannt ueber seine schwelle führt er die das ziel der reise fand liebe wandert mit zwei worten gläubig über meer und land |
Möwenflug von Conrad Ferdinand Meyer, 1881 „Möwen sah um einen Felsen kreisen / Ich in unermüdlich gleichen Gleisen, / Auf gespannter Schwinge schweben bleibend, / Eine schimmernd weiße Bahn beschreibend,“ |
1881 | 653 | möwenflug von conrad ferdinand meyer möwen sah um einen felsen kreisen ich in unermüdlich gleichen gleisen auf gespannter schwinge schweben bleibend eine schimmernd weiße bahn beschreibend und zugleich im grünen meeresspiegel sah ich um dieselben felsenspitzen eine helle jagd gestreckter flügel unermüdlich durch die tiefe blitzen und der spiegel hatte solche klarheit daß sich anders nicht die flügel hoben tief im meer als hoch in lüften oben daß sich völlig glichen trug und wahrheit allgemach beschlich es mich wie grauen schein und wesen so verwandt zu schauen und ich fragte mich am strand verharrend ins gespenstische geflatter starrend und du selber bist du echt beflügelt oder nur gemalt und abgespiegelt gaukelst du im kreis mit fabeldingen oder hast du blut in deinen schwingen |
Napoleon im Kreml von Conrad Ferdinand Meyer, 1868 „Er nickt mit seinem grossen Haupt / Am Feuer eines fremden Herds: / Im Traum erblickt er einen Geist, / Der seines Purpurs Spange löst.“ |
1868 | 461 | napoleon im kreml von conrad ferdinand meyer er nickt mit seinem grossen haupt am feuer eines fremden herds im traum erblickt er einen geist der seines purpurs spange löst der dämon schreit mit wilder gier mich lüstet nach dem roten kleid in ungezählter menschen blut getaucht verfärbt der purpur nicht die beiden rangen leib an leib gib her gib her der dämon fleucht mit spitzen flügeln durch die nacht und schleift den purpur hinter sich und wo der purpur flatternd fliegt sprühn funken lodern flammen auf der korse fährt aus seinem traum und starrt in moskaus weiten brand |
Stapfen von Conrad Ferdinand Meyer, 1865 „In jungen Jahren war’s. Ich brachte dich / Zurück ins Nachbarhaus, wo du zu Gast, / Durch das Gehölz. Der Nebel rieselte, / Du zogst des Reisekleids Capuze vor / Und blicktest traulich mit verhüllter Stirn.“ |
1865 | 1166 | stapfen von conrad ferdinand meyer in jungen jahren wars ich brachte dich zurück ins nachbarhaus wo du zu gast durch das gehölz der nebel rieselte du zogst des reisekleids capuze vor und blicktest traulich mit verhüllter stirn naß ward der pfad die sohlen prägten sich dem feuchten waldesboden deutlich ein die wandernden du schrittest auf dem bord von deiner reise sprechend eine noch die längre folge drauf so sagtest du dann scherzten wir der nahen trennung klug das angesicht verhüllend und du schiedst dort wo der first sich über ulmen hebt ich ging denselben pfad gemach zurück leis schwelgend noch in deiner lieblichkeit in deiner wilden scheu und wohlgemuth vertrauend auf ein baldig wiedersehn vergnüglich schlendernd sah ich auf dem rain den umriß deiner sohlen deutlich noch dem feuchten waldesboden eingeprägt die kleinste spur von dir die flüchtigste und doch dein wesen wandernd reisehaft schlank rein walddunkel aber o wie süß die stapfen schritten jetzt entgegen dem zurück dieselbe strecke wandernden aus deinen stapfen hobst du dich empor vor meinem innern auge deinen wuchs erblickt ich mit des busens zartem bug vorüber gingst du eine traumgestalt die stapfen wurden jetzt undeutlicher vom regen halb gelöscht der stärker fiel da überschlich mich eine traurigkeit fast unter meinem blick verwischten sich die spuren deines letzten gangs mit mir |
Der Ichthyosaurus von Viktor von Scheffel, 1904 „Es rauscht in den Schachtelhalmen, / Verdächtig leuchtet das Meer, / Da schwimmt mit Thränen im Auge / Ein Ichthyosaurus daher.“Viktor von Scheffel |
1904 | 792 | der ichthyosaurus von victor von scheffel es rauscht in den schachtelhalmen verdächtig leuchtet das meer da schwimmt mit thränen im auge ein ichthyosaurus daher ihn jammert der zeiten verderbnis denn ein sehr bedenklicher ton war neuerlich eingerissen in der liasformation der plesiosaurus der alte er jubelt in saus und braus der pterodactylus selber flog neulich betrunken nach haus der iguanodon der lümmel wird frecher zu jeglicher frist schon hat er am hellen tage die ichthyosaura geküsst mir ahnt eine weltkatastrophe so kann es ja länger nicht gehn was soll aus dem lias noch werden wenn solche dinge geschehn so klagte der ichthyosaurus da ward es ihm kreidig zu mut sein letzter seufzer verhallte im qualmen und zischen der flut es starb zu derselbigen stunde die ganze saurierei sie kamen zu tief in die kreide da war es natürlich vorbei und der uns hat gesungen dies petrefactische lied der fands als fossiles albumblatt auf einem koprolith |
Die Schlange von Paul Heyse, vor 1914 † „Wenn ich das Tollkraut dir vom Munde pflücke, / Das mir den Sinn verwirrt, und so umgraut / Von Nacht und Glück, mich treffen deine Blicke, // Frag‘ ich mich oft: Wo hab ich doch geschaut / Ein Auge, so wie dies, nicht zu ergründen? / Ein Auge war’s, das nie ein Gram betaut,“Paul Heyse |
1914 | 2576 | die schlange von paul heyse wenn ich das tollkraut dir vom munde pflücke das mir den sinn verwirrt und so umgraut von nacht und glück mich treffen deine blicke frag ich mich oft wo hab ich doch geschaut ein auge so wie dies nicht zu ergründen ein auge wars das nie ein gram betaut ein blick wie aus den tiefsten todesschlünden der seelenlos die seele magisch zwang kalt und doch mächtig fieber zu entzünden daß ich hinein mich tauchte stundenlang als leucht ein weltgeheimnis mir entgegen unheimlich unaussprechlich trüb und bang wie tote flammen im smaragd sich regen wie meeresleuchten aus der tiefe sprüht goldadern glühn auf unterirdschen wegen und heute da ich einsam im gemüt zurückesann stand mirs auf einen schlag vor augen wieder was mich lang bemüht ich hatt am heißen frühlingsnachmittag in roms campagna schweifend mich verirrt da ein gewitter dumpf in lüften lag kein schattendach nicht herde hund und hirt kein vogelruf kein laut als der zikade eintönig ritornell das heiser schwirrt und ich erschöpft vom wandern wo sich grade ein sitz mir bot streckt ich die glieder hin erwartend daß die schwüle sich entlade mir war so weltentrückt so fremd zu sinn so fern von allem heimlichen und schönen vergehn und nichtsein schien allein gewinn und plötzlich weckte mich ein heftig dröhnen in flammen lodernd stand das firmament und sturm fuhr übers öde feld mit stöhnen und wie ein neuer blitz die wolken trennt seh ich dicht vor mir eine braune schlange auf dornumranktem felsenpostament geringelt lag sie da wer sagt wie lange die grauen augen traurig und erstaunt auf mich geheftet die geschuppte wange dicht auf den stein gedrückt nicht wohlgelaunt doch müde schiens und ohne mordbegier vielleicht vom donnerton in schlaf geraunt und ich blieb still der atem stockte mir ich mußt in dies gefeite auge schauen und so wohl eine stunde ruhten wir da erst begann die wolkennacht zu tauen sacht stand ich auf sie aber regungslos blieb wo sie war ich wandte mich voll grauen furchtbar vom himmel rauschte das getos des lenzorkans doch wie die blitze flammten ich sah im geist das schlangenauge bloß so dacht ich glühn die augen der verdammten die niederfahren aller hoffnung bar für immer fern dem licht dem sie entstammten so blickt erlösung hoffend immerdar die niedre kreatur mit stummem flehen der eine seele nicht erschaffen war und erst bei milder herbsteslüfte wehn sooft auch früher ein gelüst sich regte könnt ich hinaus die stätte wiedersehn ich fand den ort wo ich mich niederlegte und wundersam da ruhte noch das tier das auge offen das sich nicht bewegte mich faßt ein schauer hat die feindin hier gelauert sommerlang mich doch zu fassen und wieder aug in auge staunten wir und feige schien mirs ihr das feld zu lassen ich schlug nach ihr da fielen ihre ringe in staub nur aus dem auge das gelassen ins leere stierte war mirs als entschwinge sich ein gefangner blitz da ließ ich sie daß sie nicht noch im tode mich bezwinge doch ihren scheideblick vergaß ich nie |
Novelle von Paul Heyse, vor 1914 † „Sie kannten sich beide von Angesicht, / Sie sprachen sich nie und liebten sich nicht. / Er nahm ein Weib, das die Mutter ihm wählte, / Als sie sich mit einem Vetter vermählte.“ |
1914 | 1197 | novelle von paul heyse sie kannten sich beide von angesicht sie sprachen sich nie und liebten sich nicht er nahm ein weib das die mutter ihm wählte als sie sich mit einem vetter vermählte er war zufrieden mit seinem los sie wähnte sich recht in des glückes schoß nur manchmal zur zeit der fliederblüte was wollte da knospen in ihrem gemüte und einst nach jahren am dritten ort da sagten sie sich das erste wort am selben tische zum ersten male der flieder duftet herein zum saale was er sie gefragt was sie ihm gesagt es war nicht neu und war nicht gewagt doch plötzlich mitten im plaudern und scherzen erschraken sie beide im tiefsten herzen sie hatten mit tödlichem staunen erkannt wie seltsam eins das andre verstand auch das was beiden im stillen gemüte erwachte zur zeit der fliederblüte sie sahen sich an einen augenblick und sahn einen abgrund von mißgeschick dann blickten sie weg und beide verstummten so munter rings die gespräche summten drauf ging sie nach haus mit dem eigenen mann er führte sein weib so schieden sie dann und sagten sie würden sich glücklich schätzen die werte bekanntschaft fortzusetzen doch wie er am andern morgen erwacht was hat ihn so bitter lachen gemacht und wie sie auffuhr von ihrem kissen was hat sie so heimlich weinen müssen sie haben sich niemals wiedergesehn sie wußten sich klug aus dem weg zu gehn nur immer zur zeit der fliederblüte wie spätfrost schauerts durch ihr gemüte |
Aus der guten alten Zeit von Rudolf Baumbach, vor 1905 † „Es melden Bücher und Sagen / so manches Wunderding / von einem gelben Wagen, / der durch die Länder ging. / Die Kutsche fuhr – man denke – / des Tags drei Meilen weit / Und hielt vor jeder Schenke. – / O gute, alte Zeit!“Rudolf Baumbach |
1905 | 1076 | aus der guten alten zeit von rudolf baumbach es melden bücher und sagen so manches wunderding von einem gelben wagen der durch die länder ging die kutsche fuhr man denke des tags drei meilen weit und hielt vor jeder schenke o gute alte zeit es ward von den passagieren zuvor das haus bestellt sie schieden von den ihren als gings ans end der welt sie trugen die louisdore vernäht in stiefeln und kleid im sack zwei feuerrohre o gute alte zeit oft wenn die reisegenossen sich sehnten nach bett und wirt da brummte der schwager verdrossen potz blitz ich hab mich verirrt von fern her wolfsgeheule kein obdach weit und breit es schnaubten zitternd die gäule o gute alte zeit auch war es sehr ergötzlich wenn mit gewaltigem krach in einem hohlweg plötzlich der wagen zusammenbrach war nur ein rad gebrochen so herrschte fröhlichkeit mitunter brachen auch knochen o gute alte zeit der abenteuer perle war doch das waldwirtshaus es spannten verdächtige kerle die müden schimmel aus ein bett mit federdecken stand für den gast bereit das zeigte blutige flecken o gute alte zeit und waren der gäste hundert verschwunden im waldwirtshaus dann schickte der rat verwundert berittene häscher aus die leichen wurden gefunden bestattet und geweiht der wirt gerädert geschunden o gute alte zeit |
Das Häslein von Rudolf Baumbach, vor 1905 † „Zur Zeit, da man die Aehren schnitt, / Ein Ritter auf das Waidwerk ritt / Mit einem Sperber und zwei Hunden. / Die hatten bald ein Wild gefunden;“ |
1905 | 5330 | das häslein von rudolf baumbach zur zeit da man die aehren schnitt ein ritter auf das waidwerk ritt mit einem sperber und zwei hunden die hatten bald ein wild gefunden ein häslein war es winzig klein das flüchtete ins korn hinein dort aber haschte es ein schnitter und brachte es dem jungen ritter der dacht ich will es lassen leben und einem kind als spielzeug geben er streichelte das thierlein mild und trabte weiter durchs gefild ein dorf an seiner strasse lag und vor dem dorf ein rosenhag darinnen stand am gartenzaun ein fräulein lieblich anzuschaun an jahren noch ein halbes kind und fromm wie gottes engel sind der ritter grüsste wie sichs schickt und als die junge magd erblickt das häslein mit dem weichen fell da sprach sie zu dem jäger schnell herr ritter habt nicht solche eil und sagt ist euch das thierlein feil es ist so zierlich und so klein drum wollt ich gern es wäre mein der ritter sah die jungfrau an die war so lieb und wohlgethan es schwante ihm ein abenteuer drum sprach er schnell das thier ist euer ich geb es euch wies leibt und lebt wenn ihr mir eure minne gebt da sprach mit traurigem gesicht die jungfrau minne hab ich nicht allein ich hab in meinem schreine ein ringlein und zehn bickelsteine und einen gürtel noch von seide gar eine schöne augenweide gestickt mit perlen und topasen den geb ich euch für euren hasen den gürtel dein begehr ich nicht du liebes engelsangesicht allein nach deiner süssen minne du traute stehen mir die sinne drei küsse nur vergönne mir so geb ich dir das junge thier nichts weiter sprach das schöne kind steigt ab von eurem pferd geschwind zertheilt der rosen dicht gesträuch und kommt herein und holt sie euch der ritter sprang behend vom ross die magd in seine arme schloss und thät ihr rothes mündlein kosen da lachten im geheg die rosen das pferd die rüden braun und weiss und auch der sperber lachte leis drauf ward das häslein unverweilt dem jungen fräulein zugetheilt der ritter schnell sein ross beschritt und wohlgemuth von dannen ritt die jungfrau koste sanft den hasen und tanzte lustig auf dem rasen darauf sie flink zur mutter lief und athemlos vor freude rief o schaut die kleine kreatur drei küsse war der kaufschatz nur und thät der mutter haarklein sagen was sich im garten zugetragen da war die mutter sehr erschrocken und griff dem mägdlein in die locken und thät ihr gelbes haar zerraufen ich will dich lehren hasen kaufen die magd erging am andern tag sich wiederum im rosenhag der mutter zürnen war ihr leid drum sprach das kind in traurigkeit ach dass der ritter wieder käme und seinen hasen wieder nähme und als sies kaum gesprochen kam herbei der ritter lobesam und grüsste übers rosengitter da rief das fräulein halt herr ritter der kauf den ich mit euch geschlossen hat meine mutter sehr verdrossen wie hat sie mir das haar gerauft weil ich das thier euch abgekauft drum lieber herr seid gut und mild und nehmt zurück das kleine wild und gebt die küsse stück für stück mir armen mägdelein zurück da sprach der ritter grossmuthvoll was ihr begehrt geschehen soll er sprang geschwind von seinem schecken und schlüpfte durch die rosenhecken umschlang behend der jungfrau mieder und gab ihr ihre küsse wieder so mild der ritter sich erwies dass er ihr auch den hasen liess drob dankte ihm die jungfrau warm und nahm das häslein auf den arm und hüpfte wie an junges reh in heller freude durch den klee dann lief sie in das haus hinein und rief vielliebe mutter mein nun grollet länger nicht mit mir der rittersmann war wieder hier und gab mir denkt nur welches glück die küsse allesammt zurück das allerliebste kleine thier den hasen aber liess er mir der zorn der mutter flammte helle sie schlug die tochter mit der elle und zeterte und schalt sie recht und zauste ihr das haargeflecht dass bittre thränen weinen musste die magd die nichts von minne wusste drauf gab die mutter gute lehre dem kind von sitte zucht und ehre und sprach nun lass das weinen stehn denn was geschehn ist ist geschehn und halt den mund dass nicht im land dein hasenhandel wird bekannt verstrichen war ein volles jahr und bräutigam der ritter war das land erscholl von jubellaut und jeder lobte bass die braut die geld und gut besass genug und stolz die jungfernschappel trug es war an einem maientag da hielt der ritter hofgelag die flöten und die harfen klangen die fahrenden zur fiedel sangen der ritter trug ein festgewand und hielt sein fräulein an der hand und blickte fröhlich auf die schaaren die zu dem fest gekommen waren da sah er in den hof den weiten zwei reichgeschmückte frauen reiten die eine war schon hochbetagt die andre eine zarte magd die scheu die augen niederschlug und auf dem arm ein häslein trug und als der ritter sie erschaut da muss er lachen überlaut was lacht ihr frug die braut geschwind neugierig wie die frauen sind sagt an was werdet ihr so roth da kam der ritter sehr in noth er hätte wenns gegangen wäre verschwiegen gern die hasenmäre allein die braut solang ihn plagte bis er die volle wahrheit sagte und ihr erzählte wie das kind um einen hasen ihn geminnt und wie das mägdlein unverweilt der mutter solches mitgetheilt und wie er ohne widerstreben den kaufschatz ihr zurückgegeben da lachte hell des ritters braut als ihr die märe ward vertraut und sprach das arme mägdelein muss wohl ein rechtes thörlein sein was du ihr thatst hat mir gethan wohl hundertmal der burgkaplan doch hab ichs immer klug verhehlt und meiner mutter nie erzählt vom sessel auf der ritter sprang den zorn er mühsam niederzwang er wandte sich und schritt im flug zum fräulein das den hasen trug und scheusam bei der mutter stand er nahm sie bei der weissen hand und rief in das getümmel laut willkommen meine süsse braut und gab ihr den verlobungskuss der schuf der mutter nicht verdruss horch orgelton und glockenklang und pfaffenspruch und chorgesang das junge paar zur kirche schritt den hasen nahm die mutter mit da ward dem ritter seine braut durch priestersegen angetraut die erste braut ward kurzer hand zu ihrem burgkaplan gesandt dann schritten sie zum hochzeitssaal und setzten sich zum hochzeitsmahl das häslein mit zu tische sass und kraut von goldnem teller ass hier ist des abenteuers schluss sich findet was sich finden muss |
Aufschwung von Detlev von Liliencron, vor 1909 † „Mitten aus dem Schnee des Nordens, / Weit im Süden, aus der Nacht, / In des Annunciatenordens / Reicher Herrenmeistertracht:“Detlev von Liliencron |
1909 | 1920 | aufschwung von detlev von liliencron mitten aus dem schnee des nordens weit im süden aus der nacht in des annunciatenordens reicher herrenmeistertracht sitz ich auf der türkischen stute die mit bändern bunt geschmückt von pompons und quasten wappen überprunkt ist fast erdrückt sesselsattel spanische spitzen stulpen fransen und draps dor seidenwams mit ärmelschlitzen zeitalter louis quatorze ja so sitz ich auf der falben die allongeperücke fällt gravitätisch auf den kragen den ein diamantknopf hält langsam fang ich an zu traben wo le notres garten blüht wo mich nelkenwolken laben wo die harlemtulpe glüht mählich stärker wird mein reiten park und blumen sind entflohn bald bin ich auf wüsten wegen wackelt die perücke schon stärker wird mein traben reiten die perücke purzelt ab mantel wams culotten gleiten immer stärker wird mein trab nun galopp zaum sattel rutschen immer länger wird mein sprung leise donnerts in der ferne orgelt wie verkündigung nackt jag ich auf nacktem pferde einem klippenfelsen zu kaum noch trägt mich unsre erde und die landschaft fliegt im nu einzig schwing ich in der rechten hoch ein schwert hoch überm kopf meine linke griff sich eisern griff sich fest im mähnenschopf flüche schreien mir entgegen fäuste drohn mich wütend an schlingen fangnetz dolch und degen feinde feinde mann an mann hieb zur erde tief hallunken rechts und links macht platz und drauf alle menschen gegen einen jedes menschen lebenslauf durch die fersen in den weichen stürzt und stolpert fort mein gaul denn ich muß das ziel erreichen auf aus jedem fall und knaul höher rauher klamm und schlünde immer heb ich hoch mein pferd und ich treibe und ich peitsche seine flanken mit dem schwert oben kochend dampfend zitternd steht mein tier mit letztem pust seiner nüstern hauch zieht gitternd schleier mir vor kinn und brust frei verflogen sind die dämpfe vor mir liegt in weitester bahn glitzernd schäumend brandend brüllend vor mir wogt der ozean wildaufjauchzend vor entzücken schleudr ich mitten in den gischt weit mein schwert wie elendskrücken daß die welle spritzt und zischt eine lohe an der stelle schießt ein garbenkorb empor und es ruft mich rafft mich reißt mich in des weltmeers donnerchor |
Ballade in U-Dur von Detlev von Liliencron, 1903 (?) „Es lebte Herr Kunz von Karfunkel / mit seiner verrunzelten Kunkel / auf seinem Schlosse Punkpunkel / in Stille und Sturm. / Seine Lebensgeschichte war dunkel, / es murmelte manch Gemunkel / um seinen Turm.“ |
1903 | 1609 | ballade in udur von detlev von liliencron es lebte herr kunz von karfunkel mit seiner verrunzelten kunkel auf seinem schlosse punkpunkel in stille und sturm seine lebensgeschichte war dunkel es murmelte manch gemunkel um seinen turm täglich ließ er sich sehen beim auf und niedergehen in den herrlichen ulmenalleen seines adlichen guts zuweilen blieb er stehen und ließ die federn wehen seines freiherrnhuts er war just hundert jahre hatte schneeschlohweiße haare und kam mit sich ins klare ich sterbe nicht weg mit der verfluchten bahre und ähnlicher leichenware hol sie die gicht werd ich neugiertrunken ins gartengras hingesunken entdeckt von dem alten halunken dann grunzt er plump töw sumpfhuhn ick wil di glieks tunken in den uhlenpfuhl zu den unken du schrumpliger lump einst lag ich im verstecke im park an der rosenhecke da kam auf der ulmenstrecke etwas angemufft ich bebe ich erschrecke ohne sense kommt mit geblecke der tod der schuft und von der andern seite mit dem krückstock als geleite in knurrigem geschreite kommt auch einer her der sieht nicht in die weite der sieht nicht in die breite geht gedankenschwer hallo du kleine mücke meckert der tod voll tücke hier ist eine gräberlücke hinunter ins loch erlaube daß ich dich pflücke sonst hau ich dir auf die perücke oller knasterknoch der alte herr mit grimassen tut seinen krückstock festfassen was hast du hier aufzupassen du uhu du weg da aus meinen gassen sonst will ich dich abschrammen lassen zur uriansruh sein krückstock saust behende auf die dürren gierigen hände die knöchel und knochenverbände knicksknucksknacks freund hein schreit au mach ein ende au au ich lauf ins gelände nach haus schnurstracks noch heut lebt herr kunz von karfunkel mit seiner verrunzelten kunkel auf seinem schlosse punkpunkel in stille und sturm seine lebensgeschichte ist dunkel es murmelt und raunt manch gemunkel um seinen turm |
Das alte Steinkreuz am Neuen Markt von Detlev von Liliencron, vor 1909 † „Berlin-Cölln war die Stadt genannt / Und tat viel Lärm verbreiten, / Da lebte mal ein Musikant, / In sagenhaften Zeiten. / Der rührte so sein Saitenspiel, / Daß alles auf die Kniee fiel / Vor lauter Seligkeiten.“ |
1909 | 1788 | das alte steinkreuz am neuen markt von detlev von liliencron berlin cölln war die stadt genannt und tat viel lärm verbreiten da lebte mal ein musikant in sagenhaften zeiten der rührte so sein saitenspiel daß alles auf die kniee fiel vor lauter seligkeiten doch leider hat der musikant zu viel bourgogne genossen das schuf ihm manchen höllenbrand warf ihn in manche gossen ein greulich laster trat hinzu er lästert gott und himmelsruh mit seinen teufelsglossen einst als die welt ihm schwankend schien er war halt stark im trane stieg er den turm von sankt marien hinauf im söffelwahne und auf der plattform oben quiek geigt er die weltlichste musik dem guten kirchenhahne ach das war wahrlich kein choral das waren tanz und weisen und üppige lieder die dem baal gefallen und ihn preisen und schaudernd hört der kikeriki die grauenhafte blasphemie und möchte stracks verreisen die bürger unten bleiben stehn und traun kaum ihren ohren begreifen nicht wie konnts geschehn und murren und rumoren und jeder sieht schon daß er fällt sich schädel und genick zerschellt und hält ihn für verloren gottvater hat es auch gehört und denkt mein musikante du bist zwar sehr vom wein betört und torkelst an der kante du bist ein liederliches vieh doch bist und bleibst du ein genie das ist das amüsante drum gönn ich eine lehre dir du wirst sie hoff ich nutzen das zweite mal mein herr pläsier darfst du nicht wieder trutzen nun paß mal auf jetzt sag ich eins und zwei und drei und nochmal eins dann wird der sand dich putzen und purzelpurzelpurzelbaum kopf arm bein ohne pause wie ikaros durch wind und raum gehts abwärts mit gesause und schwapp da liegt der fiedelhans ist nüchtern wie ne stoppelgans steht auf und geht nach hause das volk schreit ein miraculum und tut den platz anstieren und dreht sich rechts und links herum und kann es nicht kapieren und stiftet während domgeläuts da wo er fiel ein steinern kreuz den teufel zu vexieren der musikant hat niemals nie den weinkrug mehr gehoben probierte täglich sein genie um gott den herrn zu loben ob er zuweilen doch einmal wer kann das wissen den pokal ansetzte nur zum proben |
Das Kind mit dem Gravensteiner von Detlev von Liliencron, vor 1909 † „Ein kleines Mädchen von sechs, sieben Jahren, / Mit Kornblumenaugen und strohgelben Haaren, / Kommt mit einem Apfel gesprungen, / Hat ihn wie einen Ball geschwungen, / Von einer Hand ihn in die andre geflitzt, / Dass er blendend im grellen Sonnenlicht blitzt.“ |
1909 | 1009 | das kind mit dem gravensteiner von detlev von liliencron ein kleines mädchen von sechs sieben jahren mit kornblumenaugen und strohgelben haaren kommt mit einem apfel gesprungen hat ihn wie einen ball geschwungen von einer hand ihn in die andre geflitzt dass er blendend im grellen sonnenlicht blitzt sie sieht im hofe hoch aufgetürmt einen holzstoß und ist gleich hingestürmt und wie ein kätzchen katzenleicht hat sie schnell die spitze erreicht und hockt nun dort und will mit begehren den glänzenden goldgelben apfel verzehren da holterdipolter pardauz pardau bricht zusammen der künstliche bau wie bei bergrutsch und felsenbeben haben bretter und scheite nachgegeben wie alle neun im kegelspiel so alles übereinander fiel die leute im hofe habens gehört und laufen hin entsetzt und verstört die mutter liegt ohnmächtig gott erbarm einem raschen nachbarn im hilfreichen arm nun gehts ans räumen der trümmer von oben vorsichtig wird stück für stück gehoben vorsichtig gehts weiter in dumpfem schweigen der atem stockt was wird sich zeigen da sitzt in einer gewölbten halle das lächelnde kind wie die maus in der falle hat schon vergessen den purzelschrecken und beißt in den apfel und lässt sichs schmecken |
Der Blitzzug von Detlev von Liliencron, 1903 „Quer durch Europa von Westen nach Osten / rüttert und rattert die Bahnmelodie. / Gilt es die Seligkeit schneller zu kosten? / Kommt er zu spät an im Himmelslogis?“ |
1903 | 1353 | der blitzzug von detlev von liliencron quer durch europa von westen nach osten rüttert und rattert die bahnmelodie gilt es die seligkeit schneller zu kosten kommt er zu spät an im himmelslogis fortfortfort fortfortfort drehen sich die räder rasend dahin auf dem schienengeäder rauch ist der bestie verschwindender schweif schaffnerpfiff lokomotivengepfeif länder verfliegen und städte versinken stunden und tage verflattern im flug täler und berge vorbei wenn sie winken traumbilder sehnsucht und sinnenbetrug mondschein und sonne noch einmal die sterne bald ist erreicht die beglückende ferne dämmerung abend und nebel und nacht stürmisch erwartet was glühend gedacht dämmerung senkt sich allmählich wie gaze schon hat die venus die wache gestellt nur noch ein stündchen dann nimmt sich die strasse trennt was sich hier aneinander gesellt reiche familien bankiers kavaliere landrat gelehrter ein prinz offiziere damen und herren ein dichter im schwarm liebliche kinder mit spielzeug im arm nun ist das dunkel dämonisch gewachsen in den kupees brennt die gasflamme schon fortfortfort fortfortfort steht an der kurve steht da der tod mit der bombe zum wurfe halthalthalthalthalthalthalthalthaltein ein anderer zug fährt schräg hinein folgenden tages unter trümmern verloren finden sich zwischen verkohltem gebein finden sich schuttüberschüttet zwei sporen brennscheren uhren ein aktienschein geld ein gedichtbuch seraphische töne ringe ein notenblatt meiner camöne endlich ein püppchen im bettchen verbrannt dem war ein eselchen vorgespannt |
Der Golem von Detlev von Liliencron, um 1900 „Prag, das alte sagenreiche, / Barg schon viele Menschenweisheit, / Barg schon viele Menschentorheit, / Auch den hohen Rabbi Löw.“ |
1900 | 1245 | der golem von detlev von liliencron prag das alte sagenreiche barg schon viele menschenweisheit barg schon viele menschentorheit auch den hohen rabbi löw rabbi löw war sehr zu hause in den künsten wissenschaften und besonders in der schwarzen in der schweren kabbala so erschuf er einen golem einen holzgeschnitzten menschen tat belebend in den mund ihm einen zauberspruch den schem unverdrossen als sein diener muß der golem fegen kochen kinder wiegen fenster putzen stiefel wichsen und so fort nur am sabbath darf er rasten nahm ihm dann der hohe rabbi aus dem mund den zauberzettel stand er stockstill augenblicks einmal hat er es vergessen einmal was ist da geschehen rasend wurde dwatsch der golem ein berserker ward der kerl bäume reißt er aus der erde häuser wuppt er in die wolken schleudert menschen in die lüfte stülpt den hradschin auf den kopf schon im anzug war der sabbath alle arbeit muß nun ruhen alles flüchtet brüllt und zetert nach dem hohen rabbi löw der erscheint packt eben eben noch den tollhans am schlafittchen ist mit ihm bald oben unten bald auf bergen bald im tal wie ein bändiger der dem pferde das sich bäumt und wirft und schüttelt einen kappzaum legen möchte und nun mit ihm tanzen muß hopsa hopsa was für sprünge aber endlich glückts er würgt ihn zerrt den schem ihm aus den zähnen und zerschmettert liegt der kerl nicht noch einmal hat der rabbi einen golem sich geschnitzelt jede lust war ihm vergangen allzu klug ist manchmal dumm |
Der Hunger und die Liebe von Detlev von Liliencron, vor 1909 † „Tunkomar und Teutelinde, / Welch ein zärtlich junges Paar. / Er gemächlich, sie geschwinde; / Furie sie, er Dromedar. / Er phlegmatisch und platonisch: / »Süßes Lindchen, Mündchen her.« / Sie dämonisch, denkt lakonisch: / »Er ermannt sich nimmermehr.«“ |
1909 | 1847 | der hunger und die liebe von detlev von liliencron gänsehautballade im bänkelsängerton tunkomar und teutelinde welch ein zärtlich junges paar er gemächlich sie geschwinde furie sie er dromedar er phlegmatisch und platonisch süßes lindchen mündchen her sie dämonisch denkt lakonisch er ermannt sich nimmermehr sonntags ausflug treubeflissen jedes mal ein leckres fest er häuft ihr die besten bissen sich bescheidend mit dem rest dann nach hause vor der klause küßt er ihr galant die hand sitzt die arme kleine mause stets allein vor ihrer wand hindernisse aller sorten türmen sich der schönen braut hier die eltern geldschwund dorten und der bräutigam steht benaut mais la femme teutelinden wird es glücken klipp und klar sich mit tunkomarn zu binden wos auch sei am traualtar sie beschließen zu entfliehen nicht zu warten nein sogleich und poseidon sieht sie ziehen durch sein großes wasserreich ihrer sehnsucht höchste höhe heißt das land amerika schicksalswanzen fehlschlagsflöhe weichen dort halleluja glatter als des spiegels glätte breitet sich der ozean plötzlich fuchtelt durch die stätte ein entsetzlicher orkan wale wimmern aale toben wogenberg und wogental mast nach unten kiel nach oben munter hält der hai sein mahl tunkomar und teutelinde ach erklettern mühsam nur eines eilands felsenrinde triefend von der nassen spur unter einer sykomoren ruhen sie die erste nacht und sie sehen sich verloren als sie morgens aufgewacht nur korallen nur gerölle selbst der alte feigenbaum zeitigt auf der inselhölle keine frucht im blätterraum kaffee wünscht sich teutelinde und ein brötchen tunkomar nirgends wächst ein obstgebinde gräßlich auf dem steinaltar strandschildkröten vögel eier nichts von allem kommt hier vor und der hunger zieht als freier frech ins kahle siegestor wer wird wohl den ausgang finden wo macht stopp des schicksals lauf tunkomar küßt teutelinden aber diese pfeift darauf eilends wird der hunger stärker immer stärker ganz enorm endlich wird er feuerwerker und zersprengt die anstandsform tunkomar springt aus der tute wird berserker goliath teutelindchen schwimmt im blute tunkomarchen frißt sich satt |
Der Teufel in der Not von Detlev von Liliencron, vor 1909 † „Ein Ritter aus dem Stegreifbund, / Der emsig seine Bauern schund, / Der mußte was erleben. / Wie das so kam und wies geschah, / Erzählte mir die Großmama, / Und die kann Märchen weben.“ |
1909 | 1762 | der teufel in der not von detlev von liliencron ein ritter aus dem stegreifbund der emsig seine bauern schund der mußte was erleben wie das so kam und wies geschah erzählte mir die großmama und die kann märchen weben der ritter hatte einen wald von süßem vogelsang durchschallt drin standen viele eichen die eine umfangreich wie nie sechs männer kaum umspannten sie fand nirgends ihresgleichen einst sprach der junker voller hohn zu einem kätner komm mein sohn begleit mich in den hagen siehst du die alte eiche hier die fällst du in zwei stunden mir sonst soll der block dich plagen der bauer winselt und beschwört vor seinem herrn von angst betört das könn er niemals zwingen doch der sagt weiter ihm kein wort dreht ihm den rücken und geht fort es wird ihm schon gelingen da steht der ärmste nun allein wer steht vermummt im sonnenschein ists einer von den seinen »du alter knecht was willst du hier den baum zu schlagen helf ich dir gehöre zu den deinen« ein glanz wie blitz die eiche schwankt die krone kracht die wurzel wankt nun liegt sie starr im staube ein wagen kommt drei rappen vor jetzt fahren wir durchs gartentor dem grafen vor die laube die klepper keuchen durch den kot die peitsche knallt die peitsche droht die peitschenhiebe sitzen und unbarmherzig trifft im hag wie hagelwetter schlag auf schlag die magern gäule schwitzen die zügel hält der alte knecht in seiner linken fahrgerecht die peitschenhiebe sausen aus seinen fingern fort im trott spritzt funk auf funke straf mich gott den kätner packt das grausen der graf als er den zug gewahrt fährt sich verdutzt durch haar und bart das ist ja meine eiche heda wer ist der andre mann woher die pferde das gespann was sind mir das für streiche da schnarrt der alte fuhrmann plump du leuteschinder lauselump sieh dir mal an die kracken dein vater großvater sind zwei dein urgroßvater das macht drei die kannten auch das placken ich bin der teufel schäbiger schuft der gern dich in die hölle ruft da sollst du nicht verlieren nimm dich in acht du hundesohn und denk an mich und meinen thron sonst fahr ich bald mit vieren |
Die Falschmünzer von Detlev von Liliencron, vor 1909 † „„Alles fertig? Nichts vergessen?“ / Spricht der Alte zu dem Jungen. / Der kommt wie ein Luchs gesprungen: / „Nimm die Lupe: Sieh die Scheine, / Zwillingsbrüder, echt, ich meine, / Täuschend ähnlich und solid, / Findest keinen Unterschied.““ |
1909 | 2263 | die falschmünzer von detlev von liliencron alles fertig nichts vergessen spricht der alte zu dem jungen der kommt wie ein luchs gesprungen nimm die lupe sieh die scheine zwillingsbrüder echt ich meine täuschend ähnlich und solid findest keinen unterschied spricht der junge zu dem alten einen blauen gib mir heute denn ich kenne dumme leute die ihn ohne ahnung wechseln weiß die sache gut zu drechseln hulda schmollt doch zeig ich gold ist mir meine hulda hold spricht der alte zu dem jungen dummer bengel wirst du schweigen sonst will ich den stock dir zeigen du besäufst dich lausepeter protz dein trinkgeld wird verräter warte auf den kavalier eh es dämmert ist er hier der versteht es geld zu wechseln der versteht es wie die grafen macht die rothschilds selbst zu schafen der bringt gutes geld in haufen können dann die welt uns kaufen wechselt wie ein herr baron kennt das leben hat ihm schon das was mir die teilung einträgt alles geb ich meinen kindern kein gericht kanns je verhindern denn ich trags ins bankgebäude das ist meine einzige freude werd ich mal gefaßt nun gut hab gesorgt für meine brut klingt ein ministrantenglöckchen klingling das geheime zeichen gleich wird sanft die türe weichen kommt geschniegelt und gebügelt tritt ein herr verstandgezügelt in die werkstatt hochgereckt he monocle und glas sekt achtung grandseigneursallüren tadellos sitzt rock und weste ein minister jede geste handschuh prima der zylinder ist allein schon goldsackfinder und die feinfein pantalons damals mode mit galons lachend spricht er zu den beiden hab viel geld in meinen taschen lauter echtes nur nicht paschen nur geduld und weg die hände aufgepaßt jetzt kommt die spende ich die hälfte mit verlaub ihr zwei viertel nehmt den raub kinder waren das kuriosa einen kellner in monaco fand ich mit sehr leerem tschako war zwei tage in den laren vite muß 8 uhr 40 fahren tausendfrancsschein changez schnell und verließ drauf das hotel auf dem train nach bordighera traf ich miß honoria birndl war ein gar nicht übles dirndl machte liebschaft mit der lady säuselt bald sie dearest edy can you change me thousand mark oa my love here is die quoark dann war ich in deutschland wieder sattelplatz im trippelgarten wo die feinen herren starten abends jeu graf honiglöwe arthur von der grünen möwe bank gehalten mitternacht braunen lappen losgemacht auf dem ball beim herzog flafla schst es knistern trepp und dielen hands off sechs revolver zielen und die drei sind rasch gebunden aller reichtum futsch verschwunden rrrrrutsch vorbei die herrlichkeit eigentlich es tut mir leid |
Die Kapelle zum finstern Stern von Detlev von Liliencron, 1883 „»König Erich, die Faust auf den Widerrist, / Laß tanzen den Hengst im Grase. / Vergiß den alten Bruderzwist, / Wir trinken aus einem Glase.«“ |
1883 | 2039 | die kapelle zum finstern stern von detlev von liliencron könig erich die faust auf den widerrist laß tanzen den hengst im grase vergiß den alten bruderzwist wir trinken aus einem glase herzog abel schrieb das könig erich ritt ein und lag im bruderarme viel jauchzen der ritter im abendschein lauge gudmundson schwieg im schwarme am morgen früh weckt hornstoß und tusch zu hetzen wolf und elche die brüder zusammen im heidebusch sie trinken aus einem kelche der herzog allein zur seiten nur ritter lauge mit speer und pfeilen sprich lauge wo blieb wieb stures spur wem hilft sie die freuden teilen der könig allein zur seiten nur ritter lauge mit speer und pfeilen könig erich wo blieb wieb stures spur wem hilft sie das leben teilen erich plogpenning zischt den stachel sticht dem rothengst er in die weichen bei sanct jürgen ich weiß es nicht und sucht die jagd zu erreichen am abend humpenaus zinken und tanz beim brettspiel könig und knappen der mond flicht draußen den alten kranz um lauben und steinerne wappen der herzog allein zur seiten nur ritter laug im wams von seiden sprich lauge wo blieb wieb stures spur wen küßt sie von euch beiden vom trinken ist dir die stirne heiß könig erich die luft ist trocken mein segel wiegt unten scharlach und weiß steig ein und kühle die locken schloßknechte spannen den baldachin vom söller winkt der bruder der könig schläft auf dem hermelin und leise tauchen die ruder verworren getön vom prunkgelag der wachen und stundenrufer da schießt mit gleichem einfallschlag ein ander boot vom ufer halt halt könig erich fackeln im wind flackern um schwarze figuren wo blieb wieb sture gieb antwort geschwind gieb antwort wo blieb wieb sturen bei sanct jürgen ich riß sie dir hund vom leib schreit der könig die lippen beben bei sanct jürgen sie war mir zeitvertreib zwei wochen von meinem leben der ritter ringt ihm den dolch vom gehenk und treibt ihn dem könig ins herze das rote blut tropft ins wüste gemeng stumm leuchtet oben die kerze wo lauge durchstach den erlauchten herrn am ufer steht die kapelle da steht die kapelle zum finstern stern unheimlich klatscht dort die welle herzog abel schwor beim himmel weit und der reinen magd im dome und ließ dem mörder wenig zeit den zupf der fisch im strome herzog abel schob nichts auf die lange bank in roeskilde ließ er sich krönen in die königsburg ritt er frech und frank drommeten und trummen dröhnen |
Die Musik kommt von Detlev von Liliencron, 1883 „Klingkling, bumbum und tschingdada, / zieht im Triumph der Perserschah? / Und um die Ecke brausend bricht’s / wie Tubaton des Weltgerichts, / voran der Schellenträger.“ |
1883 | 987 | die musik kommt von detlev von liliencron klingkling bumbum und tschingdada zieht im triumph der perserschah und um die ecke brausend brichts wie tubaton des weltgerichts voran der schellenträger brumbrum das große bombardon der beckenschlag das helikon die pikkolo der zinkenist die türkentrommel der flötist und dann der herre hauptmann der hauptmann naht mit stolzem sinn die schuppenketten unterm kinn die schärpe schnürt den schlanken leib beim zeus das ist kein zeitvertreib und dann die herren leutnants zwei leutnants rosenrot und braun die fahne schützen sie als zaun die fahne kommt den hut nimm ab der sind wir treu bis an das grab und dann die grenadiere der grenadier im strammen tritt in schritt und tritt und tritt und schritt das stampft und dröhnt und klappt und flirrt laternenglas und fenster klirrt und dann die kleinen mädchen die mädchen alle kopf an kopf das auge blau und blond der zopf aus tür und tor und hof und haus schaut mine trine stine aus vorbei ist die musike klingkling tschingtsching und paukenkrach noch aus der ferne tönt es schwach ganz leise bumbumbumbum tsching zog da ein bunter schmetterling tschingtsching bum um die ecke |
Die Zwillingsgeschwister von Detlev von Liliencron, vor 1909 † „Trümmer und Asche. Vereinzeltes Feuer / Zuckt noch am Himmel in Garben empor. / Tempel und Straßen und Villen und Scheuer, / Alles zertreten in Schmutz und Geschmor.“ |
1909 | 3349 | die zwillingsgeschwister von detlev von liliencron trümmer und asche vereinzeltes feuer zuckt noch am himmel in garben empor tempel und straßen und villen und scheuer alles zertreten in schmutz und geschmor hier zerstörte kein cunctator den das schicksal ausersah hier steht titus triumphator auf der burg antonia triefende wunden zerspaltene knochen zähne im feinde verkralltes gebein kämpfen die juden im tod ungebrochen wollen im sterben die herren noch sein wer nicht erlegen den heiligtumschändern den fesseln ketten um nacken und hand der schleppt die ketten nach fernfernen ländern heimatvertrieben für immer verbannt von des hohenpriesters kindern weggerissen vom altar fällt den wüsten überwindern ins gehark ein zwillingspaar mirjam und jonathan heißen die beiden schwester und bruder ein lieblich geflecht wer hat die roheit den blutstamm zu scheiden sklavin wird mirjam und jonathan knecht grausames schicksal sie werden geschieden zitternd lebwohl und unendliches weh treffen sie je noch zusammen hienieden gleißt ihnen niemals mehr libanons schnee zwei von romas senatoren cajus und sulpicius haben sie für sich erkoren abschied ohne abschiedskuß norden und süden italiens gefilde lösen den zwillingsverschwisterten bund lindernd verweht wie ein schleiergebilde jährlich der wechselnden monate rund jonathan hütet die kälber und kühe spaltet das brennholz und säubert den stall arbeit am tage des abends noch mühe schanzen und schuften und fron überall riesenfest wie baschoms eichen wild wie simson wuchs er auf löwenstärke war sein zeichen flüchtig wie der hirsch sein lauf und seine stimme behielt ihre würde in seinen augen lag silberne glut königlich trug er die furchtbare bürde heimlich erhob ihn sein fürstliches blut mirjam hütet die enten und gänse klopft in der küche das pfauenfleisch weich hilft bei der ernte mit sichel und sense feiste muränen entnimmt sie dem teich sarons lilien auf den wangen auf der braun verbrannten haut steht sie abends oft befangen steht wie hebrons schönste braut keiner kann je ihrer gunst sich erfreuen stolz von unnahbarer hoheit umdornt läßt sie es jeden bewerber bereuen der seine seele zum angriff gespornt römisches schwelgen und römische feste einst in den straßen im völkergewühl treffen zusammen zwei lustige gäste gehn zur taverne auf polster und pfühl die sich lange nicht begegnet cajus und sulpicius rufen jeder sei gesegnet daß ich hier dich treffen muß und bei faustiner und bajäschen zungen schwatzen sie was sie erlebt all die zeit was sie verloren und was sie errungen flötenspiel aufbruch und fackelgeleit vor einem porticus wo sie sich trennen sprechen sie viel vom judäischen land und wie auf einen schlag rufen sie nennen jonathan mirjam welch pärchen charmant und es witzeln scherzen lachen cajus und sulpicius bis sie topp ein ende machen und sie fassen den entschluß heimlich im dunkel vereinen wir beide riegeln sie ein zur verhütung der flucht und aus der hochzeitsnacht lustigem leide blüht uns zum vorteil die trefflichste zucht sinkende dämmrung der tag geht zu ende abendrot nur noch ein blaßgelbes band still wie im schlafe verschlungene hände still wie die wurzel im tieftiefen land unerkannt im finstern raume flüstert drängend die natur und die jugend folgt im traume ihrer ewig starken spur sylphenumjachterte ferne fontäne rosenversunkene klanglose nacht auf den granatbaum auf quellen und schwäne tüpfelt der mond seine täuschende pracht klärender dämmrung neugierige augen zwei die erwachen aus glück und aus glut grimmiger sonne reugierige augen zwei sich erkennend aus eigenem blut bruder schwester schrecklich funkelt gottes rachediadem grell beleuchtet hart umdunkelt schauen sie jerusalem zwei die sich bebend vom mauernkranz warfen aufklatscht zum himmel das tuskische meer zithern und cymbeln davidische harfen bringen verklingend ein hochzeitslied her |
Es lebe der Kaiser! von Detlev von Liliencron, 1883 „Es war die Zeit um Sonnenuntergang, / Ich kam vom linken Flügel hergejagt. / Granaten heulten, heiß im Mörderdrang, / Hol‘ euch die Pest, wohin ihr immer schlagt.“ |
1883 | 1654 | es lebe der kaiser von detlev von liliencron es war die zeit um sonnenuntergang ich kam vom linken flügel hergejagt granaten heulten heiß im mörderdrang hol euch die pest wohin ihr immer schlagt ich flog indessen das war nichts gewagt unter sich kreuzendem geschoß in mitten rechts reden unsre rohre ungefragt links wollen feindliche sich das verbitten gezänk und anspuken ich bin hindurchgeritten plötzlich erkenn ich einen johanniter am roten kreuz auf seiner weißen binde wo kommst du her du schneidiger samariter was trieb dich daß ich hier im kampf dich finde er aber riß vom haupt den hut geschwinde und schwang ihn viel den seltnen lüftekreiser und schwang ihn hoch im schwachen abendwinde und rief vom reiten angestrengt und heiser gestern ward unser greiser großer könig kaiser und zum salute donnern die batterieen den kaisergruß wie niemals er gebracht zweihundertfünfzig heiße munde schrieen den gruß hinaus mit aller atemmacht scheu schielt aus gelbgesäumter wolkennacht zum ersten mal die weiße wintersonne und schwefelfarben leuchtete die schlacht bis auf die fernst marschierende kolonne daß hoch mein jung soldatenherze schlug in wonne tot lag vor mir ein garde mobile du nord es scharrt mein fuchs und blies ihm in die haare da klang ein ton herüber an mein ohr den höllenlärm durchstieß der ton der klare nüchtern nicht wie die schmetternde fanfare klang her das horn von jenen musketieren daß dir mein vaterland es gott bewahre das infanterie signal zum avancieren dann bist du sicher vor franzosen und baschkiren zum sturm zum sturm die hörner schreien drauf es sprang mein degen zischend aus dem gatter und rechts und links wo nur ein flintenlauf ich riß ihn mit ins feindliche geknatter lerman lerman durch blut gewehrgeschnatter durch schutt und qualm schon fliehn die kugelspritzen der wolf brach ein und matter wird und matter der widerstand wo seine zähne blitzen und siegesband umflattert unsre fahnenspitze |
Hochsommer im Walde von Detlev von Liliencron, 1883 „»Kein Mittagessen fünf Tage schon. / Die Heimat so weit, kein Geld und kein Lohn, / Statt Arbeit zu finden, nur Hunger und Not, / Nur wandern und betteln und kaum ein Stück Brot.«“ |
1883 | 1092 | hochsommer im walde von detlev von liliencron kein mittagessen fünf tage schon die heimat so weit kein geld und kein lohn statt arbeit zu finden nur hunger und not nur wandern und betteln und kaum ein stück brot was biegt der handwerksbursch in den wald was läuft ihm übers gesicht so kalt was sieht er trostlos in den raum was irrt sein auge von baum zu baum die sonne sinkt und stille ringsum die drossel nur lärmt noch sonst alles stumm was schaukelt der erlbaum am waldesrand in seinen ästen ein mensch verschwand von seinem ärmlichen bündel den strick er legt um den hals ihn um wirbel genick dann läßt er sich fallen nur kurz ist die qual er sah die sonne zum letzten mal der tau fällt auf ihn der tag erwacht der pirol flötet der tauber lacht es lebt und webt als wär nichts geschehn gleichgültig wispern die winde und wehn ein jäger kommt den hügel herab und sieht den erhängten und schneidet ihn ab und macht der behörde die anzeige schnell gendarmen und träger sind bald zur stell in hellen glacés ein herr vom gericht der prüft ob kein raubmord wie das seine pflicht sie tragen den leichnam ins siechenhaus und dann wo kein kreuz steht ins feld hinaus da niemand zuvor den toten gesehn erhält er die nummer dreihundert und zehn drei hundert und neun schon liegen im sand wer hat sie geliebt wer hat sie gekannt |
Pidder Lüng von Detlev von Liliencron, vor 1909 † „„Frii es de Feskfang, / Frii es de Jaght, / Frii es de Strönthgang, / Frii es de Naght, / Frii es de See, de wilde See / En de Hörnemmer Rhee.““ |
1909 | 2635 | pidder lüng von detlev von liliencron frii es de feskfang frii es de jaght frii es de strönthgang frii es de naght frii es de see de wilde see en de hörnemmer rhee der amtmann von tondern henning pogwisch schlägt mit der faust auf den eichentisch heut fahr ich selbst hinüber nach sylt und hol mir mit eigner hand zins und gült und kann ich die abgaben der fischer nicht fassen sollen sie nasen und ohren lassen und ich höhn ihrem wort lewwer duad üs slaav im schiff vorn der ritter panzerbewehrt stützt sich finster auf sein langes schwert hinter ihm von der hohen geistlichkeit steht jürgen der priester beflissen bereit er reibt sich die hände er bückt den nacken der obrigkeit helf ich die frevler packen in den pfuhl das wort lewwer duad üs slaav gen hörnum hat die prunkbarke den schnabel gewetzt ihr folgen die ewer kriegsvolkbesetzt und es knirschen die kiele auf den sand und der ritter der priester springen ans land und waffenrasselnd hinter den beiden entreißen die söldner die klingen den scheiden nun gilt es friesen lewwer duad üs slaav die knechte umzingeln das erste haus pidder lüng schaut verwundert zum fenster heraus der ritter der priester treten allein über die ärmliche schwelle hinein des langen peters starkzählige sippe sitzt grad an der kargen mittagskrippe jetzt zeige dich pidder lewwer duad üs slaav der ritter verneigt sich mit hämischem hohn der priester will anheben seinen sermon der ritter nimmt spöttisch den helm vom haupt und verbeugt sich noch einmal ihr erlaubt daß wir euch stören bei euerm essen bringt hurtig den zehnten den ihr vergessen und euer spruch ist ein dreck lewwer duad üs slaav da reckt sich pidder steht wie ein baum henning pogwisch halt deine reden im zaum wir waren der steuern von jeher frei und ob du sie wünschst ist uns einerlei zieh ab mit deinen hungergesellen hörst du meine hunde bellen und das wort bleibt stehn lewwer duad üs slaav bettelpack fährt ihn der amtmann an und die stirnader schwillt dem geschienten mann du frißt deinen grünkohl nicht eher auf als bis dein geld hier liegt zu hauf der priester zischelt von trotzkopf und bücken und verkriecht sich hinter des eisernen rücken o wort geh nicht unter lewwer duad üs slaav pidder lüng starrt wie wirrsinnig den amtmann an immer heftiger in wut gerät der tyrann und er speit in den dampfenden kohl hinein nun geh an deinen trog du schwein und er will um die peinliche stunde zu enden zu seinen leuten nach draußen sich wenden dumpf dröhnts von drinnen lewwer duad üs slaav einen einzigen sprung hat pidder gethan er schleppt an den napf den amtmann heran und taucht ihm den kopf ein und läßt ihn nicht frei bis der ritter erstickt ist im glühheißen brei die fäuste dann lassend vom furchtbaren gittern brüllt er die thüren und wände zittern das stolzeste wort lewwer duad üs slaav der priester liegt ohnmächtig ihm am fuß die häscher stürmen mit höllischem gruß durchbohren den fischer und zerren ihn fort in den dünen im dorf rasen messer und mord pidder lüng doch ehe sie ganz ihn verderben ruft noch einmal im leben im sterben sein herrenwort lewwer duad üs slaav |
Trutz, blanke Hans von Detlev von Liliencron, 1883 „Heut bin ich über Rungholt gefahren, / Die stadt ging unter vor fünfhundert Jahren. / Noch schlagen die Wellen da wild und empört, / Wie damals, als sie die Marschen zerstört.“ |
1883 | 2316 | trutz blanke hans von detlev von liliencron heut bin ich über rungholt gefahren die stadt ging unter vor fünfhundert jahren noch schlagen die wellen da wild und empört wie damals als sie die marschen zerstört die maschine des dampfers schüttert und stöhnte aus den wassern rief es unheimlich und höhnte trutz blanke hans von der nordsee der mordsee vom festland geschieden liegen die friesischen inseln im frieden und zeugen weltenvernichtender wut taucht hallig auf hallig aus fliehender flut die möwe zankt schon auf wachsenden watten der seehund schon sonnt sich auf sandigen platten trutz blanke hans im ocean mitten schläft bis zur stunde ein ungeheuer tief auf dem grunde sein haupt ruht dicht vor englands strand die schwanzflosse spielt nah brasiliens sand es zieht sechs stunden den atem nach innen und treibt ihn sechs stunden wieder von hinnen trutz blanke hans doch einmal in jedem jahrhundert entlassen die kiemen gewaltige wassermassen dann holt das untier tief atem ein und peitscht die welle und schläft wieder ein viel tausend menschen im nordland ertrinken viel reiche länder und städte versinken trutz blanke hans rungholt ist reich und wird immer reicher kein korn mehr fast selbst der gröseste speicher wie zur blütezeit im alten rom staut hier täglich der menschenstrom die sänften tragen syrer und mohren mit goldblech und flitter in nasen und ohren trutz blanke hans zum feste heut klingen cymbeln und zinken aus den fenstern mit tüchern die frauen winken und blättern blumen in alle die pracht die kirchen schlos wer aber über nacht die rungholter wollen sich selbst regieren und keine zeit mehr mit gott verlieren trutz blanke hans auf allen märkten auf allen gassen lärmende leute betrunkene massen sie ziehn am abend hinaus auf den deich wir trotzen dir blanker hans nordseeteich und wie sie drohend die fäuste ballen zieht leis aus dem schlamm der krake die krallen trutz blanke hans die wasser ebben die vögel ruhen der liebe gott geht auf leisesten schuhen der mond zieht am himmel gelassen die bahn belächelt der protzigen rungholter wahn von brasilien glänzt bis zu norwegs riffen das meer wie schlafender stahl der geschliffen trutz blanke hans und überall frieden auf see in den landen plötzlich wie ruf eines raubtiers in banden das scheusal wälzte sich atmete tief und schlos die augen wieder und schlief und rauschende schwarze langmähnige wogen kommen wie rasende rosse geflogen trutz blanke hans ein einziger schrei die stadt ist versunken und hunderttausende sind ertrunken wo gestern noch lärm und lustiger tisch schwamm andern tages der dumme fisch heut bin ich über rungholt gefahren die stadt ging unter vor fünfhundert jahren trutz blanke hans |
Wer weiß wo von Detlev von Liliencron, vor 1909 † „Auf Blut und Leichen, Schutt und Qualm, / auf roßzerstampften Sommerhalm / die Sonne schien. / Es sank die Nacht. Die Schlacht ist aus, / und mancher kehrte nicht nach Haus / einst von Kolin.“ |
1909 | 733 | wer weiß wo von detlev von liliencron schlacht bei kolin 18 juni 1757 auf blut und leichen schutt und qualm auf roßzerstampften sommerhalm die sonne schien es sank die nacht die schlacht ist aus und mancher kehrte nicht nach haus einst von kolin ein junker auch ein knabe noch der heut das erste pulver roch er mußte dahin wie hoch er auch die fahne schwang der tod in seinen arm ihn zwang er mußte dahin ihm nahe lag ein frommes buch das stets der junker mit sich trug am degenknauf ein grenadier von bevern fand den kleinen erdbeschmutzten band und hob ihn auf und brachte heim mit schnellem fuß dem vater diesen letzten gruß der klang nicht froh dann schrieb hinein die zitterhand kolin mein sohn verscharrt im sand wer weiß wo und der gesungen dieses lied und der es liest im leben zieht noch frisch und froh doch einst bin ich und bist auch du verscharrt im sand zur ewigen ruh wer weiß wo |
Apoll, der Entdecker von Carl Spitteler, vor 1924 † „Im Osten stand des Tags prophetisches Gestirn. / Des Dämons Schwingen rauschten um Apollons Stirn. / «Wach auf! Schmeckt nicht dein Mund, spürt nicht dein Herz, Apoll, / Den nahen Tag, klarheit- und mut- und tatenvoll?“Carl Spitteler |
1924 | 20058 | apoll der entdecker von carl spitteler im osten stand des tags prophetisches gestirn des dämons schwingen rauschten um apollons stirn wach auf schmeckt nicht dein mund spürt nicht dein herz apoll den nahen tag klarheit und mut und tatenvoll hört deine sehnsucht nicht vom feld das trittehallen der reisechorgesänge die nach erden wallen dein neid von busch zu bach das wanderglücksgeflüster der freundespaare leuchtend durch das dämmerdüster und du vor zeiten einst an wagemut und willen der fürst du moderst hier im trägen und im stillen apoll erklärte erdwärts zielt für mich zu nieder und mit dem vielen volk die fahrt läuft mir zuwider führt ich dich jemals rief der dämon in den haufen auf andre pfade sprich als stolze steg und staufen apoll erwiderte das ist mir nicht genug so steil der horizont so geil der heuchler lug weißt du mir einmal einen frischen himmelsbogen hoch frei und rein darin noch niemals ward gelogen den keine pfiffigkeit befleckte mit verrat weil ihn kein schlechter kennt kein feiger je betrat wohlan dann melde dich dann bin ich dein einstweilen schließ ich die fenster von dem heuchelhauch zu heilen was du bedingst versprach der dämon bring ich dir in einen frischen raum entdecker folge mir verwundert hob apoll das haupt des wortes kern und geist zu lesen in des sprechers augenstern und sieh zum beispiel seines spruchs und wahrheitssiegel das abbild eines firnlichts glänzen aus dem spiegel indes des dämons aufgeregte reiseschwingen von hochmut redeten und fürstlichem gelingen aufsprang apoll beseelt voran ich folge mit und auf des hochgebirges treppe trat ihr tritt als sie erklommen das gefäll der wilden wand wo fluh auf flühen saß und tann ob tannen stand was seh ich schimmern rief apoll im finstern holz welch eines weibes schönheit scheinen hehr und stolz ists aphrodite die mein staunend auge schaut ists hera selbst die falsche hoheitübertaut doch wie er stetig steigend nach dem bilde blinkte geschah ihm freundesgruß und eine stimme winkte was wimpern so erstaunt und zwinkern deine lider kennst du apoll nicht artemis die freundin wieder wofür begann apoll kamst du hierher gegangen dich zu begrüßen freund und lieblich zu empfangen wer gab dir vorsicht meines wegs und vorempfinden ich wußt auf adlerhöhen ist apoll zu finden und magst du traute mit mir ziehn als weggeselle in alle zeit durch jeden raum zur fernsten stelle dein mund haucht mut an meine seite schließe dich so zogen sie den gang empor einträchtiglich und als vom walde mündend auf den freien plan sie sich im heitern auf der bergeskuppel sahn da schritten sie zusammen nach dem rasenrand und schickten ihre blicke übers tiefe land wohl mir sprach artemis hier oben weil ich gerne mein liebling neben mir und das gemeine ferne so rasteten sie müßig mit den augen nur geschäftig auf der klaren tagumblauten flur horch rätselhaftes rauschen freudig heldenharsch wie eines feldherrn schimmeltanz im heeresmarsch ah aufschein eines strahlenkranzumzuckten lichts sieh hinterm berghorn stille ringsum ruhe nichts erwartung täuschung da mit einmal um die spitze blendet der starke sonnenwagen stachelblitze entfeuernd treibt er flammenlodernd durch die luft beständig wächst er stetig mindert sich die kluft jetzt jubelndes gewühl von wimpeln farbengold und dröhnend kommt das schöngetüm ans land gerollt halt herrschte helios stampfend standen die maschinen und krabbelnd aus des wagens muschelkorb erschienen ein büschel angesichter frisch und lebensfroh gefolgt von schultern armen hüften ebenso und als das ganze schließlich wie es kam und schlüpfte aus dem gefängnis auf den grünen rasen hüpfte da warens helios töchter muntern lachens sprangen sie auf der matte hin und wider im verlangen die reiseglieder zu entsteifen und die jungen von übermut und spottlust überfüllten lungen zu lüften dann hinüberlaufend nach dem quell kämmten sie sich und wuschen sich vom ruße hell geneigten blickes nahm das kecke schauspiel wahr und schlenderte zum wagen hin das freundespaar daß euch ihr elstern schalt mit väterlichem grimme vom wagenkorb hernieder helios biederstimme ist das nun der erziehung und der sittenzucht womit ich täglich mich ereiferte die frucht ich habe wahrlich mehr verstand in meinen füßen als ihr im kopf wollt ihr wohl gleich gebührlich grüßen ihr blinden hummeln hopla hurtig regt euch knickt und reichet ordentlich die hände wie sichs schickt bestürzt erröteten die töchter schämten sich und huschten zu dem freundespaare ordentlich die hand zum gruße bietend mit bescheidnem knicken indes der mutwill lacht aus ihren augenblicken selbst aber lud die fremden gäste hübsch und fein helios zum anblick seiner sonnenschmiede ein wo er dem unerwarteten besuch zu ehren gütig das wundersame triebwerk mocht erklären der räder hin und widerschwung der kolben wechsel der kurbeln handlichkeit der stößel macht und drechsel nebst allem übrigen was etwa außerdem merkwürdiges bot des fahrwerks künstliches system dann um die kraft der unterweisung zu ergänzen ließ er zum klugen wort der taten beispiel glänzen indem er mit dem sonnenschiff im luftigen meer vor ihren augen fuhr ein weilchen hin und her vorsichtig aber schleifte längs der küstenzeile das fahrzeug und die sonne wahrlich hing am seile erfahrner meister frug apoll erkläre mir verzeih das freie wort was nützt das schleppseil hier sahst jemals einen vogel du am gängelbande warum auch fährst du gar so ängstlich längs dem lande meinst du nicht selbst vielleicht im weiten und im freien müßte die sonnenreise herrlicher gedeihen o fremdling schmunzelte der meister überlegen was einer nicht versteht das laß er unterwegen dann nützen die gewalten wenn im zaum gehalten der weise zügelt nur ein tor läßt willkür walten er sprachs da drehte artemis sich lachend um was lachst du fragte meister helios miene stumm ich lache rief sie weil das lustspiel mich vergnügt wenn meister schmied den göttlichen apollon rügt ein freudensturm ein aufruhr der ergebung scholl als artemis gestand den namen des apoll die wangen küßten ihm die schultern und die hände die sonnentöchter aber klagend ohne ende rief helios schmach der kränkung die du mir getan apoll daß du dich gabst für meinen schüler an der du mein überlegner herr und könig bist und keiner lebt der dir an kunst gewachsen ist freund sprach apoll laß dich den irrtum nicht verdrießen den vorteil deiner lehre mocht ich gern genießen denn niemand ist so groß und reicht er zu den sternen eh daß er etwas kann muß ers bescheiden lernen nun aber laß versuchen ob ich wohl alleine die sonne führen möge freihin ohne leine so sprechend ließ er lösen alle tau und stricke dämon stehst du mir bei wenn ja ein zeichen schicke und siehe da im waffentanz den dämon schreiten da sprang er kurz an bord und ließ die sonne gleiten jetzt gleich wie unterm sattel ein erlesen pferd schönhüpft wenn es den reiter merkt der seiner wert und gleich dem schwan der stolzen flügelschlags den gischt aufpeitscht und aus gebognem halse hochmut zischt so segelte die sonne als sie kaum verspürte daß selbst der königliche held apoll sie führte mit aufgeblähtem wimpelwald in ebnem flug glückaus ins blau durch ätherglanz und wolkenzug bewundernd beugten mit dem vater haupt und knie die sonnentöchter preis der großtat jauchzten sie leichthin versetzte artemis was jauchzt ihr bloß sein werk ist seiner nur ein teil er selbst ist groß doch welche wandlung jetzt begibt sich mit apoll sein haar fliegt auf sein ruhig auge hoheitsvoll strebt aus den höhlen auf die bank des wagens steigt im sprung sein fuß zum fernsten horizonte zeigt sein finger herrisch fordernd wie zu streit und fehde und stammelnd von der zunge taumelt ihm die rede nein rief er das ist keine täuschung es ist wahr mit meinen wachen augen nehm ichs deutlich wahr jenseits der welt wo wissenschaft und ahnung schweigen seh ich von einem neuen gau ein wölklein steigen das ist mit wonnigen glückes seligkeit beladen ein widerschein der zeugt von bessern weltgestaden eja nicht will ich aus dem sonnenwagen steigen zum schlummer nicht fürwahr die müde schläfe neigen eh meine augen jenes gaues gärten grüßen und das gesegnete gestad mir liegt zu füßen und als ob dieser rede helios der entsetzte mit warnungen die väterliche zunge wetzte schwatzend den kehrreim von der führerin natur und also fort und nie verlassen ihre spur ai rief apoll weisheit welch schauerliche speise wer wagts wer unternimmt mit mir die heldenreise da sah man artemis von edlem mut erglühn vom rasenbord sich furchtlos schwingend lief sie kühn mit hochgehobnen armen ihm entgegen schon hielt sie entschlossen neben ihm im wagenthron der atem mutbewegt die gläubge stirn erleuchtet das strenge augenpaar vom liebesblick befeuchtet du rief apoll stirnrunzelnd du getraust dich viel ins unbekannte ist kein scherz und weiberspiel der ansprung tut es nicht geduld darf nicht versagen und wer mich hindert wisse werf ich aus dem wagen freudig erwidert artemis tu also ja ists also sprach apoll willkommen bleib mir nah haian paian jetzt räderrollen dampfgebraus und tosend fuhr der wagen in den raum hinaus durch weite demantstrahlenmeere wonnige engen von farbendämmernden erlauchten wolkengängen umschwirrt von schwalbenschrei umwühlt von glanzgewimmel durch blaue bald und bald durch goldne rosenhimmel und eifersüchtige adler kamen mit den fängen sich flatternd an die sonnenräder anzuhängen und während hinter ihnen gruß und grün verschied begann und jauchzte artemis das reiselied trara hört ihr den schrei der kriegstrompeten klingen ein morgenlied aus vollem halse laßt mich singen vom licht bin ich berauscht vom lichte muß ich tönen drum sing ich von den reisemutigen sonnensöhnen zwei weiße reiter seh ich durch den weltraum blitzen zwei feuerfähnlein sprühn auf ihren lanzenspitzen auf ihrem blanken helm nimmst du kein stäubchen wahr das ist der dioskuren edles zwillingspaar die im geläut die lichtgebornen rosse strecken helana die verlorne schwester zu entdecken jenseits im metakosmos wo der hesperiden gesegnet eiland liegt besonnt von glück und frieden und fragst du nach dem führer leitstern und kompasse der ihnen durch den luftraum weist die rechte gasse vernimm des herzens hoffnung ist der vorderreiter und mut und glaube sind die trefflichen begleiter weil gleich der täubin die der körnerreichen blache entsteigt und steuert nach dem heimatlichen dache helana von der seligen insel wo sie weilt dem langentbehrten brüderpaar entgegeneilt was meint ihr welcher freudentaumelsturm geschah da wo helana ihre brüder wiedersah wenn man mir sagte heida zeichne mit dem stift die stelle wo man keusches glück im weltall trifft zwei striche führt ich kreuzweis über jenen ort und mit dem finger nach der kreuzung weisend dort spott euch ihr dioskuren müßt euch doch bescheiden um eine beßre himmelfahrt mich zu beneiden denn nicht zum fernen liebling zieh ich aus wie ihr mein fürst mein held mein bräutigam steht neben mir ich kann ihn schaun darf blick und odem mit ihm tauschen und seines dämons großen fittich hör ich rauschen die worte jauchzte artemis und unterhalb der sonnenreise stand auf jeder grünen alp das göttervolk und mensch und tier in hast versammelt die botschaft zu gewahren die der ruhm gestammelt die erde ward und der olympos laut von grüßen und beifall streckt ein jubelband zu ihren füßen über den wagen lehnte artemis sich vor da lief die welt ihr nach und rief zu ihr empor was magst du wähle ohne ziererei und scham ich habe aller dinge war in meinem kram sag an willst du vielleicht gebirge sprachs und warf sie kettenweise hin sind fluren dein bedarf da nimm sie willst du stadt und dörfer flüß und seen ich habs zu hunderten schau her da kannst dus sehen und tollen laufes taumelten mit blust beladen vorbei die hügelreihen hingemäht in schwaden indes dahinten links und rechts im gegenzug bedächtige wälder gingen mit dem wagenflug doch welterhaben stolzen schrittes stetig stieg das sonnenschiff und seine räder rollten sieg und also weiter ohne fährde noch beschwerde solange sich die reise hielt im bann der erde doch wie sie folgends hinterm letzten erdensaum einfuhren in den unbewohnten weltenraum wo statt des lebenshauches trauter atmosphäre nüchtern und farblos klaffte wesenlose leere kein ton das ohr kein gegenstand das auge grüßte ja selbst die wolke mangelte der strahlenwüste begann von den olympischen königsadlern vielen einer zu blinzeln und nach seinem schwanz zu schielen husch fiel er unversehens heimlich hinten ab die andern nach getreu dem beispiel das er gab ach seufzte artemis mir bangt in diesen gassen wo selbst die höhenkundigen adler uns verlassen apollon höhnte ei laß ziehen doch die geier erleichtert von den halben freunden fährt sichs freier und weiter wetterte die kühne fahrt nach oben da sieh von abertausend mücken und mikroben tanzt um den sonnenwagenlauf ein feiger schwarm frechheit im rüssel untertänigkeit im darm und alle wußten unumstößlich zu beweisen er fahre fehl die eitle hochfahrt müß entgleisen schüchtern begann bescheiden fragend artemis bist du o freund des rechten weges auch gewiß schmach daß du rief apoll an das geschmeiß dich kehrst des maulwerks platz ist hinterm rad einst fahr ich erst und weiter wetterte zur höh die kühne fahrt umringt von öde mit unendlichkeit gepaart ach weh stöhnt artemis im nichts kann nichts gelingen unmöglichkeiten kann apollon selbst nicht zwingen nunmehr verwarnte scharf apoll entscheide dich bist du genosse oder feind und wider mich nun schwieg sie aber während ewig einerlei die stunden gähnten durch die ätherwüstenei erlosch ihr blick die willenlosen augensterne starrten verzweifelt und ergeben in die ferne durch flüchtige pulse jagte wüstes denkgeschwirre ihr herz ward traurig und ihr schöner glaube irre doch still beinahe kam mir vor ich röche rauch wie eines unsichtbaren herdes waldeshauch das war ein ton hast du gehört doch doch was hat mich an die wange da gestreift ein blumenblatt schau her noch eins und dort ein küstennebelmeer und fremde adler werfen ihren schrei umher zu hinterst schatten wie verhüllte berggestalten ja das ist lebend land hier kann nicht täuschung walten erreicht erschwungen rief apoll der wagen stand gehemmt vom trotzgen querwall einer wolkenwand verworrenes geräusch das wonnige laute rief verriet ein holdes rätsel das dahinter schlief über dem wolkenscheitel schwankt ein schemen auf wer wagt zu diesem niebetretnen herd den lauf nach welchem ziele strebst du was begehrst du hier zur weltenkuppel hob mich mut und hochbegier und meine sehnsucht sprach zum sieg oder verderben was muß ich tun sag an mir einlaß zu erwerben mit gram und sorge mußt du um den schlüssel werben willkommen sorg und gram der schlüssel tut mir not ists also wohl vernimm bedingung und gebot ein bogen wird dir werden und ein scharfer pfeil kein zweiter gilt von diesem einzigen hoffe heil in dieser wolkenwand dem auge unsichtbar befindet sich ein zweck nicht breiter als ein haar mit dunkler ahnung muß der treffer dir gelingen so wird der vorhang fliehen und die pforte springen doch hast du deinen einzigen pfeil umsonst verschossen kehr um zieh heim auf ewig bleibt das tor verschlossen auf jetzt greif zu versammle deine seelenangst ob dus errätst ob dus erzweifelst und erbangst nach diesen worten flogen pfeil und bogen her als er den bogen aufnahm seufzt apoll wie schwer als er den pfeil auflegte und die sehne strengte beschlich ihn zweifel der sein urteil trübt und mengte als er die arme zum entscheidungsschuß erhoben und sah nicht ziel noch zweck nicht unten und nicht oben zur linken keinen deut und rechts nicht wink noch rat wankt er enttäuscht zurück ich tauge nicht zur tat wohl rafft er reuig den entschluß von neuem wieder doch immer sanken mut und arm ihm kraftlos nieder bis daß zuletzt verzweiflung ihm den willen lieh die waffe legt er aus den händen fiel aufs knie neigte das haupt verhüllte sich das angesicht und eine weile regt er sich und rührte nicht und als er wiederum die stirn dem tag vertraute da wars ein mann der aus dem jünglingsantlitz schaute plötzlich ein griff ein sprung und vom gespannten bogen war blick und pfeil zugleich der tapfern tat entflogen weh mir und mitleid fehlt ich frug der schütze bang doch sieh da schwankte teilte sich der wolkenhang und aus dem schleier trat gleich einer jungfrau hold das land der oberwelt in glück und farbengold ein wald von blumen ein vulkan von schmetterlingen und berg und täler laut von silberquellenspringen die hände reichten sich ergriffen inverschwiegen apoll und artemis worauf ans land sie stiegen und sieh vom berg gebieterisch den schemen nahn des schatten auf dem wolkengipfel jüngst sie sahn er sprach die hände auf apollons scheitel faltend als dieses landes könig meines amtes waltend das mir gebührt erklär ich laut und feierlich mit metakosmos inselreich belehn ich dich gebirg und täler sollen deinen namen tönen apoll jetzt aber sieger laß vom ruhm dich krönen dreifach apoll ist deines ruhmes fürstenkrone du hasts geglaubt das zeugt daß adel in dir wohne du hasts gewollt das spricht daß heldenmut dich stählt du hasts gekonnt du bist aus tausenden erwählt nunmehr tritt ein folg deinem wunsch lustwandle frei ich grüße dich mein werk ist all mein amt vorbei so sprechend wandte sich der schemen aber jach am schritt ihn jetzt erkennend eilt apoll ihm nach und faßte seinen mantel was betrügst du mich du bist mein eigner dämon ich erkenne dich der dämon sprach ich bin es ja wann sagt ich nein der irrtum der dein urteil täuschte er ist dein wie bist du ernst und fremd und hoch von wuchs geraten ei was befremdet dich ich wuchs durch deine taten du fehltest mir als pfadlos ich durch wüsten fuhr ich ehrte dich am ziele harrt ich deiner spur hier endete der spruch die trennung ward geschlossen der dämon schied indes die freundlichen genossen landeinwärts vom gestade strebten freudig nun neugierig welch geheimnis möcht im innern ruhn auf eine höhe kamen sie mit namen selig dem schmerz entrückt lustreich an gütern überzählig bewohnt vom hesperidenvolk von wesen gut von anblick schön das böses weder kennt noch tut nie siehst du dortzuland ein mürrisches gesicht die wickelkinder in der wiege weinen nicht und selbst beim blumenfest im dichtesten gemenge hörst du kein schelten spürst du nirgends ein gedränge denn statt der schule statt gesetz und sittenzwang reimt eingeborne lieblichkeit des tages gang indes was brauchts der wort und schilderungen viele lern ihre sinnesart aus diesem einzigen spiele wenn zwei wer immer auch an sich vorübergehn so lachen sie solange sie einander sehn vor freuden lachen sie versteh mit aug und munde so wird das leben inhaltreich und froh die stunde o welcher wunder fülle dann erstaunlich gar zeigten der hesperiden gärten ihnen dar in hoher gegenwart vom ewgen licht besiegelt das vorgebirge sahn sie wo sich jedes spiegelt auf zweien gegenfelsen namens war und wäre der eine schildert dir von überall die märe was immer stündlich sich begibt der andre schroffen der dinge möglichkeit geträumt vom herzenshoffen sie sahn den bösen bruch von wo entfiel die welt die halle die der dinge musterbild enthält nebst aller wesen urgestalt vom geist vermutet den gießbach ferner der in harfenpsalmen flutet tief unten aus der erde springen seine quellen zum liede schmilzt das leid in diesen reinen wellen den tiefen waldsee ferner der erinnerung wo das vergeßne auferscheint erfrischt und jung den wendelberg der sich verwandelt jeden morgen und täglich neue landschaft hält sein hut verborgen die zeder amuna die aus der wahrheit sprießt der irrtum schwindet wer von seiner frucht genießt hernach den engpaß wo die stunden und minuten in ewigem wechselzuge hin und her sich sputen leicht heben sie den fuß hellsingend in der frühe doch abends stumm beschwert mit irdischer not und mühe doch als sie auch das tal eidophane zuletzt entdeckten wo der fesseln ledig leibentsetzt vor deinem blick lustwandelt dein enthülltes ich hier stehst du drüben grüßest du vom walde dich da sprach apollon artemis du edle frau wenn ich die seele dein vor mir lustwandelnd schau so ist sie rein von makel wie von golde lauter darauf versetzte artemis geliebter trauter von lauterm golde nicht es ist ein kern darinnen lebendig warm und weich der mag dich zärtlich minnen und also weiter durch des eilands überfluß nie fand der wunsch genüge nie der geist den schluß weil neue wunder schafften neue zögernis bis daß der zwang der stunde sie von dannen riß und heimwärts zogen zum olympischen gestade apoll und artemis ruhmreich die luftigen pfade und es geschah um dieses tages mitternacht da sprach zu sich aus traumbegabtem schlaf erwacht apoll welch geistisch singen durch den mondenschein haucht aus der höhe atmend in mein herz hinein ich kenne diese sprache heimatlich bekannt und diese treue stimme herzlich anverwandt und sieh im sternenhaus vom schlummergeist enttragen die freundin artemis stehend im mondenwagen schlafwandelnd lenkte sie durch schwindelhafte räume die blinde fahrt an ihrem mantel hingen träume phalänen huschten um die räder und von ferne folgten in leisem zuge die erstaunten sterne die lippen öffnete die heldin unbewußt die zunge sprang ein hymnos quoll ihr aus der brust ich kann es nicht verschweigen kann es nicht verschließen ich jauchz es in die welt und mags die welt verdrießen es überhebt sich mir das herz es protzt es prahlt weil meine schläfen sieg die schultern ruhm umstrahlt nicht zwar für eigenes verdienst aus meiner kraft von einem andern bessern zieh ich lehenschaft von dem ich eitel bin ein matter widerschein das ist mein herr mein lehrer und gebieter mein ein aar an ungestüm ein leu an heftiger stärke doch nicht zu haß und hader zum lebendigen werke versöhnung lächelt wo sein augenblick geruht und was sein edler finger stiftet das ist gut und fragst du nach dem namen wer der große wäre du tor von wem erzählt die oberwelt die märe wes lobes ist der himmel und die erde voll wem beugt sich selber könig zeus sprich aus apoll du dort zurück kriech in den winkel winziger wicht schamloser däumling mit apoll vergleich dich nicht umsonst daß du die zehen streckst den nacken steifst erst kniest du alsdann sorge ob du ihn begreifst doch mir wie mochte solche gnade mir geschehn ich darf ihm aufrecht in die stolzen augen sehn jawahr er duldet mich er zürnt nicht fort von hier nein freundin freundin gönnt des helden zunge mir drum jauchzt mein herz drum muß mein hochmut überquellen wo ist ein wort ein ton es durch die welt zu gellen so sang für sich im traum die hehre schläferin mit blinder hand den wagen steuernd vor sich hin apoll vernahms und heimlich einen ewigen bund schloß er mit artemis im tiefsten herzensgrund ich fahre mehr in keine stolze höh und weite du ständest denn mit deinem glauben mir zur seite ja wahrlich ja und hoffe niemand zu entzweien die einst ins tal eidophane geblickt zu zweien |
Das Postmaidlein von Carl Spitteler, vor 1924 † „Stapft ein Maidlein auf die Lützelalp, / Flink und frei und sauber allenthalb. / Bar der Scheitel, Füß und Waden nackt / Und die Ärmchen mit der Post bepackt. / Senngehöfte lehnten ihrer drei / An der Halde in derselben Reih.“ |
1924 | 794 | das postmaidlein von carl spitteler stapft ein maidlein auf die lützelalp flink und frei und sauber allenthalb bar der scheitel füß und waden nackt und die ärmchen mit der post bepackt senngehöfte lehnten ihrer drei an der halde in derselben reih furchtsam hielt sie an der ersten tür kramt ein brieflein ordentlich herfür schritt zum zweiten gaden alsodann bracht ein sattes päckchen an den mann endlich drüben bei dem dritten haus langte sie ein telegramm heraus hüpfte dann und jauchzt ein dutzendmal lief mit lustgen sprüngen heim zu tal gab den beutel ab im postkontor schloff zu bett und legte sich aufs ohr aber oben in der alpennacht ward bei licht die ganze nacht gewacht aus dem hintersten der weiler drei klagte jammerruf und wehgeschrei in dem mittleren war mordio im schwang aus dem ersten becherte gesang maidlein mit dem kinderangesicht sag was hast dort oben angerichtt säh mans auch den nichtigen händlein an daß dir fluch und segen klebt daran |
Die Ballade vom lyrischen Wolf von Carl Spitteler, vor 1924 † „Frühlingslüfte lispelten im Haine, / Und ein Wolf im Silbermondenscheine, / Aufgeregt von lyrischen Gefühlen, / Strich, in seinem Innersten zu wühlen, / Melancholisch durch Gebirg und Strauch, / Liebe spürt er, etwas Weltschmerz auch.“ |
1924 | 765 | die ballade vom lyrischen wolf von carl spitteler frühlingslüfte lispelten im haine und ein wolf im silbermondenscheine aufgeregt von lyrischen gefühlen strich in seinem innersten zu wühlen melancholisch durch gebirg und strauch liebe spürt er etwas weltschmerz auch davor mög uns gott der herr bewahren nachtigallenseufzer liess er fahren eine rose hielt er in den knöcheln schwanenlieder in den kelch zu röcheln und mit honiglächelndem gemäul flötet er ein schmachtendes geheul orpheus hörte diese serenade herr kollega bat er ängstlich gnade nutzlos quälst und quetschest du die kehle denn die bosheit bellt dir aus der seele und mit einem herzen voll von hass bleibe bestie ferne dem parnass zwar auf tugend mag die kunst verzichten liederliche sieht man lieder dichten aber drachen mit musik im rachen liebster das sind hoffnungslose sachen aller schönen künste weit und breit grundbedingung ist gutherzigkeit |
Die Blütenfee von Carl Spitteler, 1907 „Maien auf den Bäumen, Sträußchen in dem Hag. / Nach der Schmiede reitet Janko früh am Tag. / Blütenschneegestöber segnet seine Fahrt, / Lilien trägt des Rößleins Mähne, Schweif und Bart, / Lacht der muntre Knabe: »Sag’ mir, Rößlein traut: / Bist bekränzt zur Hochzeit, doch wo bleibt die Braut?«“ |
1907 | 1014 | die blütenfee von carl spitteler maien auf den bäumen sträußchen in dem hag nach der schmiede reitet janko früh am tag blütenschneegestöber segnet seine fahrt lilien trägt des rößleins mähne schweif und bart lacht der muntre knabe sag mir rößlein traut bist bekränzt zur hochzeit doch wo bleibt die braut horch ein pferdchen trippelt hinter ihm geschwind auf dem pferdchen schaukelt ein holdselig kind solche kleine fante nimmt man auf den schoß auf die schulter wirft ers spielend ei wie groß zappelnd schreit die kleine böser bube du weh ich hab verloren meinen lilienschuh rückwärts sprengt er suchend ein geraumes stück wie er mit dem schuhe eilends kam zurück an des kindes stelle saß die schönste maid da geschah dem jungen süßes herzeleid flüsterte die schöne liebster janko mein hab ein kostbar ringlein strahlt wie sonnenschein bin dir hold gewogen schenk es dir zum pfand weh ich habs vergessen badend an dem strand wie er mit dem ringlein wiederkehrte schau hing gebückt im sattel eine welke frau ihre zunge stöhnte janko du mein sohn weh ein tröpfchen wasser schnell um gotteslohn wie er mit dem wasser kam zum selben ort war zu staub und asche weib und pferd verdorrt |
Die drei Rekruten von Carl Spitteler, vor 1924 † „Bei strömendem Regen im Biwuak / Kampierten drei müde Rekruten. / Sie legten den Kopf auf den Mantelsack / Und zogen den Hals in die Kutten“ |
1924 | 2724 | die drei rekruten von carl spitteler bei strömendem regen im biwuak kampierten drei müde rekruten sie legten den kopf auf den mantelsack und zogen den hals in die kutten der regen rauschte sie merktens kaum und sachte vom wunsch zum gedanken begann in bälde ein tröstlicher traum vor ihren augen zu schwanken sie meinten in ihrer phantasei als wären sie schon generäle im schlachtengetümmel und feldgeschrei diktierend die barschen befehle gemeinsam dünkte den dreien vereint man wolle sie überflügeln und unerschöpflich flute der feind herab von den mörderischen hügeln und adjutanten kämen gesprengt bleichwangig umblitzt von granaten wir sind umzingelt und eingezwängt man meutert man wähnt sich verraten da sprach der erste ich hab einen kern von jägern und von husaren der teufel ist ledig und hilfe ist fern jetzt gilt es die ehre zu wahren ingrimmig faßt er den säbelknauf ermahnte zur pflicht und zur ehre dann vorwärts ging es in rasendem lauf als ob es der sturmwind wäre aus tausend schlünden zischte der tod sie grüßten ihn ohne bangen die meisten färbten den boden rot er fiel und wurde gefangen bewundernd pflegt ihn der edle feind und schenkt ihm den rühmlichen degen er hatte seit jahren nie geweint jetzt spürt er im auge sichs regen der zweite sprach ich habe zur hand ein häuflein von veteranen ergeben gott und dem vaterland gehorsam dem winke der fahnen rasch formt er das viereck zum letzten stoß brüder begann er begeistert gott ist uns dawider der feind ist zu groß der tod nur wird niemals bemeistert heut heißt es bekunden was einer wert und ob den vätern wir gleichen wir kämpfen so lange der atem währt und hemmen den durchpaß als leichen hurra erscholl es wie donnergebraus dann rückten sie mit gesange langsam aus dem schirmenden hohlweg hinaus zum heiligen todesgange und als am abend nach bitterem streit man sah nach den toten und wunden da ward von dem samaritergeleit ein schaurig schauspiel gefunden zu bergen starrte die tapfere schar leichnam auf leichnam geschichtet im toden noch boten trotz sie dar das antlitz feindwärts gerichtet und freund und gegner entblößten sich stumm vor des anblicks grausiger schöne und flüsternd gings in den reihen um hier schaut man heldensöhne doch der dritte schweigend die karte las auf der brüstung der kirchhofmauer mitunter hob er das augenglas und nahm den feind auf die lauer er spähte nach rechts und spähte nach links die augen funkelnd vor tücke wahrhaftig entdeckt er plötzlicherdings im ring die erlösende lücke und eh einer wußte wie das geschah hatt er flugs in die bresche geschmissen die reserven alle von fern und nah und dem feinde die walstatt entrissen der regen plätscherte nach wie vor da stieg auf verborgenen stegen gewappnet ein riesiger geist empor und schwebte heran durch den regen er nickte dem letzten herr general wir lernen uns näher kennen ob früher ob später es wird einmal der ruhm deinen namen nennen ihr andern beide merkt euch den satz entschlagt euch das oberbefehlen in jeglichem regimente ist platz für mutige fähndrichsseelen pflicht ehre begeisterung geb ich euch feil sich bescheidend im unterliegen generäle brauch ich im gegenteil die nicht vergessen zu siegen |
Die drei Spinnerinnen von Carl Spitteler, 1894 „Es sitzen drei alte Jungfern im Turm, / Sie singen und spinnen bei Nacht und Sturm. / Die Erste verwegen die Spindel dreht, / Daß die Bänder flattern, die Kunkel weht.“ |
1894 | 750 | die drei spinnerinnen von carl spitteler es sitzen drei alte jungfern im turm sie singen und spinnen bei nacht und sturm die erste verwegen die spindel dreht daß die bänder flattern die kunkel weht der könig will kriegen die spindel muß fliegen zieht aufwärts zieht abwärts springt hüben springt drüben der regen aufs dach das tröpflein zum bach ein jeder muß eilen darf keiner weilen die zweite eh sie den faden streckt mit hängender lippe den daumen leckt das thor ist von eisen die burg von stein was kann fester als himmel und erde sein allvater wodan im himmel oben den alle guten geister loben jetzt über jetzt unter fallt alle herunter ob kaiser ob knab es muß jeder herab doch die dritte das werg mit den fingern rupft s ist alles verknotet s ist alles verzupft der zwirn ist verzwickt der faden verstrickt das wupp ist verworren die arbeit verloren verpfuscht was ich seh o jammer o jeh |
Die tote Erde von Carl Spitteler, um 1907 „Zwölf Engel hielten am Himmelstor: / „Ihr Türmer herunter, ihr Wächter hervor! / Was bringt ihr, ihr lieben Leute?“ / „Wir kommen geritten vom Erdenrund, / Gar frohe Botschaft bringt unser Mund, / Stimm an die Glocken und läute!““ |
1907 | 1666 | die tote erde von carl spitteler zwölf engel hielten am himmelstor ihr türmer herunter ihr wächter hervor was bringt ihr ihr lieben leute wir kommen geritten vom erdenrund gar frohe botschaft bringt unser mund stimm an die glocken und läute und als das pförtchen war aufgetan da setzten sie die posaunen an und bliesen aus vollen wangen juchhe ihr völker juchhe haja herbei ihr alle halleluja die frohe post zu empfangen worum wir inbrünstig gebetet oft was jeder ersehnte was keiner gehofft es hat sich in gnaden begeben wir kommen geritten von erden fern erloschen verglommen der blutige stern verhaucht das unselige leben da flogen die türen und fenster auf und alle die seligen eilten zu hauf und zogen zu fuß und zu pferde mit pfeifern und trommlern und saitenspiel und fröhlichem schwatzen und lachen viel hinab auf die einsame erde doch als sie im glitzernden sternenreich gewahrten die traurige weltenleich verkohlt in den wolken schwimmen da ging den pfeifern der atem aus und mancher wischt sich ein tränlein aus und tät ein greinen anstimmen dann schlichen sie auf dem riesengrab mit heimlichen flüstern talauf talab und erzählten mit bangen und zagen von alter verschollener menschenzeit von krankheit und sterben von zank und streit einander die schaurigen sagen sie stifteten einen sühnealtar drauf brachten die priester die messe dar beim klange der trauerlieder ein requiem aeternam lallt ihr mund weihwasser sprengten sie auf den grund und flehten den segen hernieder der segen der schwebte wohl über die welt das weihwasser rann übers ackerfeld doch sieh was will das bedeuten der segen flog ängstlich im kreis herum das weihwasser wälzte sich um und um sagt an was soll das bedeuten da sprach das weihwasser ich sehe ich seh auf erden kein plätzchen wohin ich auch späh das nie eine träne benetzt hat und der segen der sprach ich suche ich such einen fleck einen kleinen den nicht der fluch den nicht der mord schon besetzt hat |
Die Weltpost von Carl Spitteler, vor 1924 † „Auf einem Berg ein Posthaus steht, das keinem andern gleicht, / Das nie ein Wandrer hat geschaut und nie ein Brief erreicht. / Die Riesensäle gähnen leer, kein Wort, kein Ruf erschallt. / Statt Menschengeist und Menschenhand wirkt eiserne Gewalt.“ |
1924 | 1475 | die weltpost von carl spitteler auf einem berg ein posthaus steht das keinem andern gleicht das nie ein wandrer hat geschaut und nie ein brief erreicht die riesensäle gähnen leer kein wort kein ruf erschallt statt menschengeist und menschenhand wirkt eiserne gewalt von selber läuft das räderwerk und eilt der pendel takt an allen enden schafft es leis prickelt und pocht und knackt beständig summt der telegraph und saust depeschenflug im hofe vor dem fenster fährt ein doppelschienenzug die einen wagen fahren her die andern fahren hin viel tausend seelen sitzen stumm und totenbleich darin nur einmal wenn auf mitternacht der wanduhrzeiger steht juckt durch die wand ein glockenspiel ein hahn springt vor und kräht die heiligen apostel zwölf marschieren langsam auf ein herold hebt den botenstab und eine thür geht auf jetzt öffnet er den stentormund und stampft mit stab und fuß erhebet euch der meister kommt entbietet ihm den gruß da braust ein aufruhr durch das haus und hastger stimmenhall urplötzlich stockt das räderwerk und die maschinen all im hofe stemmt den eisenfuß die doppelschienenbahn alles pausiert erwartungsvoll und hält den atem an durch schwarzes schweigen tönen laut elf glockenschläge nur doch wenn den zwölften glockenschlag gethan die wunderuhr da kicherts in der gegenwand und lacht wie teufelshohn ein klingelruf ein judasschrei schrillt aus dem telephon den meister heischet ihr umsonst der meister der ist krank der herold senkt den botenstab und knarrend in den schrank verschwinden hahn und glockenspiel die wand verschlingt das thor der seelenzug hebt wieder an die fahrt und wie zuvor geht bei geschäftgem rädertakt und telegraphensang die wundersame weltenpost den geisterhaften gang |
Die Schnitterin von Gustav Falke, vor 1924 † „War einst ein Knecht, einer Witwe Sohn, / Der hatte sich schwer vergangen. / Da sprach sein Herr: „Du bekommst deinen Lohn, / Morgen musst du hangen.““Gustav Falke |
1924 | 1031 | die schnitterin von gustav falke war einst ein knecht einer witwe sohn der hatte sich schwer vergangen da sprach sein herr du bekommst deinen lohn morgen musst du hangen als das seiner mutter kund getan auf die erde fiel sie mit schreien o lieber herr graf und hört mich an er ist der letzte von dreien den ersten schluckte die schwarze see seinen vater schon musste sie haben dem andern haben in schonens schnee eure schwedischen feinde begraben und lasst ihr mir den letzten nicht und hat er sich vergangen lasst meines alters trost und licht nicht schmählich am galgen hangen die sonne hell im mittag stand der graf sass hoch zu pferde das jammernde weib hielt sein gewand und schrie vor ihm auf der erde da rief er gut eh die sonne geht kannst du drei aecker mir schneiden drei aecker gerste dein sohn besteht den tod soll er nicht leiden so trieb er spott hart gelaunt und ist seines weges geritten am abend aber der strenge staunt drei aecker waren geschnitten was stolz im halm stand über tag sank hin er musst es schon glauben und dort was wars was am feldrain lag sein schimmel stieg mit schnauben drei aecker gerste ums abendrot lagen in breiten schwaden daneben die mutter und die war tot so kam der knecht zu gnaden |
Thies und Ose von Gustav Falke, 1902 „In Wenningstedt bei Karten und Korn / erschlug einst ein Bauer in jähem Zorn / seinen Gast. Thies Thießen war stark, / und der Hansen ein Stänker um jeden Quark.“ |
1902 | 1652 | thies und ose von gustav falke in wenningstedt bei karten und korn erschlug einst ein bauer in jähem zorn seinen gast thies thießen war stark und der hansen ein stänker um jeden quark nun lag er bleich und im blut auf dem stroh aber wo war thies thießen wo sie suchten ihn und fanden ihn nicht und der galgen machte ein langes gesicht ose des mörders weib kam in not vier kinder wollten von ihr brot ihr kram ging zurück stück für stück ward verkauft und sie suchte bei fremden ihr glück doch stand sie in ehren bei jedermann und tat ihnen leid die zeit verrann und thies thießen war und blieb weg als wäre die welt ein sieb so wurden es jahre auf einmal fings zu tuscheln an bis nach rantum gings habt ihr gesehn schon lange nanu meint ihr und sie nickten sich zu sie war doch sonst ein ehrlich weib nun schreit ihre schande das kind im leib mit wem sies wohl hält das mannsvolk ist toll das war ein geschwätz alle stuben voll die fromme ose ertrug es in scham kein wort über ihre lippen kam nur einem fraß es am herzen und fraß bis ihm der schmerz in den fäusten saß und eh sichs die lästermäuler versahn stand er auf ich habs getan und standen alle und glotzten sehr thies thießen gott sei bei uns woher nicht verrat ich das dünenloch und ihr findet es nimmer sie aber fands doch und gehts um den hals das kind ist mein und verdammt wers nicht glaubt ich bläus ihm ein und er sah elend aus und schwach und er hielt sie wie ein gespenst in schach bis ihnen allen allmählich klar dass der da wirklich thies thießen war der hansen war tot von keinem vermisst ein säufer war er und schlechter christ aber der thießen ein kerl ist er doch und die ose gibts eine bravere noch alle die jahre in elend und not teilte sie ihr hungerbrot treulich ihm mit und jetzt weinte sie da an seinem hals es ging allen nah sie kauten und spuckten und sahen sich an und schoben sich sacht an thießen heran und brummten und schüttelten ihm die hand das war ihr gericht und so blieb er im land |
Hartnäckige Liebe von Otto Ernst, 1907 „Jan Reimers hatte vor garnichts Furcht. / Er rettete damals die beiden Dänen, / Ihr wißt wohl – es wollte keiner dran – / Er riß sie dem blanken Hans aus den Zähnen.“Otto Ernst |
1907 | 1409 | hartnäckige liebe von otto ernst jan reimers hatte vor garnichts furcht er rettete damals die beiden dänen ihr wißt wohl es wollte keiner dran er riß sie dem blanken hans aus den zähnen nun war da die antje nissen ei ja die mochte dem starken jan wohl taugen schmuck war sie alles was recht ist man bloß ihr guckte der deubel aus beiden augen aber jan wie gesagt war bange vor nichts und so freit er um antje sie ziert sich nicht lange und sagte ja und ward seine braut aber als sies war da ward ihm doch bange schon vor der hochzeit alle tage krieg verdammt denkt jan nur noch drei wochen dann ist die hochzeit sie läßt mich nicht los aber sie ist ein stachelrochen da denkt euch da kommt ihm hilf in der not bei südsüdost wird jan reimers verschlagen er rennt auf die klippen das schiff zerkracht eine planke hat ihn nach england getragen sein erster gedanke war jung watn glück nu bin ick verschollen dass gottes wille er stopft sich die pfeife mit nassem shag und steckt sie in brand bedachtsam und stille sein ewer freilich war grus und mus naja denkt jan wat is dor slimms bi ick hev hier fisch un hev hier toback und er lebte drei jahre vergnügt in grimsby aber die welt ist ein rattenloch ein landsmann muß ihn gesehen haben jan bummelt am hafen die fäust in der tasch sich recht an freiheit und sonne zu laben da hört er plötzlich ihm schießts in die knie seinen namen rufen von weiblicher stimme jan reimers jan reimers ihm wars als rief des jüngsten tages posaun ihn mit grimme aber jan hatte courage er stellt sich taub da ruft antje nissen du solltest dich schämen nun tu doch nicht so als wenn du nicht hörst du feigling du da mußt er sie nehmen |
Nis Randers von Otto Ernst, 1907 „Krachen und Heulen und berstende Nacht, / Dunkel und Flammen in rasender Jagd – / Ein Schrei durch die Brandung! / Und brennt der Himmel, so sieht man’s gut: / Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut; / Gleich holt sich’s der Abgrund.“ |
1907 | 1103 | nis randers von otto ernst krachen und heulen und berstende nacht dunkel und flammen in rasender jagd ein schrei durch die brandung und brennt der himmel so sieht mans gut ein wrack auf der sandbank noch wiegt es die flut gleich holt sichs der abgrund nis randers lugt und ohne hast spricht er da hängt noch ein mann im mast wir müssen ihn holen da faßt ihn die mutter du steigst mir nicht ein dich will ich behalten du bliebst mir allein ich wills deine mutter dein vater ging unter und momme mein sohn drei jahre verschollen ist uwe schon mein uwe mein uwe nis tritt auf die brücke die mutter ihm nach er weist nach dem wrack und spricht gemach und seine mutter nun springt er ins boot und mit ihm noch sechs hohes hartes friesengewächs schon sausen die ruder boot oben boot unten ein höllentanz nun muß es zerschmettern nein es blieb ganz wie lange wie lange mit feurigen geißeln peitscht das meer die menschenfressenden rosse daher sie schnauben und schäumen wie hechelnde hast sie zusammenzwingt eins auf den nacken des andern springt mit stampfenden hufen drei wetter zusammen nun brennt die welt was da ein boot das landwärts hält sie sind es sie kommen und auge und ohr ins dunkel gespannt still ruft da nicht einer er schreits durch die hand sagt mutter s ist uwe |
Een Boot is noch buten! von Arno Holz, 1886 (?) „»Ahoi! Klas Nielsen und Peter Jehann! / Kiekt nach, ob wi noch nich to Mus sind! / Ji hewt doch gesehn den Klabautermann? / Gottlob, dat wi wedder to Hus sind!«“Arno Holz |
1886 | 1215 | een boot is noch buten von arno holz ahoi klas nielsen und peter jehann kiekt nach ob wi noch nich to mus sind ji hewt doch gesehn den klabautermann gottlob dat wi wedder to hus sind die fischer riefens und stießen ans land und zogen die kiele bis hoch auf den strand dumpf an rollten die fluten han jochen aber rechnete nach und schüttelte finster sein haupt und sprach een boot is noch buten und ernster keuchte die braune schar dem dorf zu über die dünen schon grüßten von fern mit zerwehtem haar die fraun an den gräbern der hünen und korl hieß es und leiw marie t is doch man schön dat ji wedder hie dumpf an rollten die fluten un hinrich min hinrich wo is denn dee und jochen wies in die brüllende see een boot is noch buten am ufer dräute der möwenstein drauf stand ein verrufnes gemäuer dort schleppten sie werg und strandholz hinein und gossen öl in das feuer das leuchtete weit in die nacht hinaus und sollte rufen o komm nach haus dumpf an rollten die fluten hier steht dein weib in nacht und wind und jammert laut auf und küsst dein kind een boot is noch buten doch die nacht verrann und die see ward still und die sonne schien in die flammen da schluchzte die ärmste as gott will und bewusstlos brach sie zusammen sie trugen sie heim auf schmalem brett dort liegt sie nun fiebernd im krankenbett und draußen plätschern die fluten dort spielt ihr kind ihr lütting jehann und lallt wie träumend dann und wann een boot is noch buten |
Anno Domini 1812 von Richard Dehmel, 1907 „Über Rußlands Leichenwüstenei / faltet hoch die Nacht die blassen Hände; / funkeläugig durch die weiße, weite, / kalte Stille stam die Nacht und lauscht. / Schrill kommt ein Geläute.“Richard Dehmel |
1907 | 1715 | anno domini 1812 von richard dehmel über rußlands leichenwüstenei faltet hoch die nacht die blassen hände funkeläugig durch die weiße weite kalte stille stam die nacht und lauscht schrill kommt ein geläute dumpf ein stampfen von hufen fahl flatternder reif ein schlitten knirscht die kufe pflügt stiebende furchen die peitsche pfeift es dampfen die pferde atem fliegt flimmernd zittern die birken du was honest du von bonaparte und der bauer horcht und wills nicht glauben daß da hinter ihm der steinern starre fremdling mit den hanen lippen wone so voll trauer sprach antwort sucht der alte sucht und stockt stockt und staunt mit frommer furchtgebärde aus dem wolkensaum der erde brandrot aus dem schwarzen saum taucht das hörn des mondes hoch düster wie von blutschnee glimmt die lange straße wie von blutfrost perlt es in den birken wie von blut umtropft sitzt der im schlitten mensch was sagt man von dem großen kaiser düster schrillt das geläute die glocken rasseln es klingt es klagt der bauer horcht hohl rauschts im schnee und schwer nun feiervoll und sacht wie uralt lied so stark und weh tönt sein won ins öde groß am himmel stand die schwarze wolke fressen wollte sie den heiligen mond doch der heilige mond steht noch am himmel und zerstoben ist die schwarze wolke volk was weinst du trieb ein stolzer kalter sturm die wolke fressen sollte sie die stillen sterne aber ewig blühn die stillen sterne nur die wolke hat der sturm zerrissen und den sturm verschlingt die ferne und es war ein großes schwarzes heer und es war ein stolzer kalter kaiser aber unser mütterchen das heilige rußland hat viel tausend tausend stille warme herzen ewig ewig blüht das volk hohl verschluckt der mund der nacht die laute dumpfhin rauschen die hufe die glocken wimmern auf den kahlen birken flimmert rot der reif der mondbetaute den kaiser schauen durch die leere ebne im sein blick über rußlands leichenwüstenei faltet hoch die nacht die blassen hände glänzt der dunkelrot gekrümmte mond eine blutige sichel gottes |
Der Arbeitsmann von Richard Dehmel, 1896 (?) „Wir haben ein Bett, wir haben ein Kind, / mein Weib! / Wir haben auch Arbeit, und gar zuzweit, / und haben die Sonne und Regen und Wind, / und uns fehlt nur eine Kleinigkeit, / um so frei zu sein, wie die Vögel sind: / nur Zeit.“ |
1896 | 515 | der arbeitsmann von richard dehmel wir haben ein bett wir haben ein kind mein weib wir haben auch arbeit und gar zuzweit und haben die sonne und regen und wind und uns fehlt nur eine kleinigkeit um so frei zu sein wie die vögel sind nur zeit wenn wir sonntags durch die felder gehn mein kind und über den ähren weit und breit das blaue schwalbenvolk blitzen sehn o dann fehlt uns nicht das bißchen kleid um so schön zu sein wie die vögel sind nur zeit nur zeit wir wittern gewitterwind wir volk nur eine kleine ewigkeit uns fehlt ja nichts mein weib mein kind als all das was durch uns gedeiht um so kühn zu sein wie die vögel sind nur zeit |
Die Glocke im Meer von Richard Dehmel, vor 1920 † „Ein Fischer hatte zwei kluge Jungen, / hat ihnen oft ein Lied vorgesungen: / Es treibt eine Wunderglocke im Meer, / es freut ein gläubig Herze sehr, / das Glockenspiel zu hören.“ |
1920 | 874 | die glocke im meer von richard dehmel ein fischer hatte zwei kluge jungen hat ihnen oft ein lied vorgesungen es treibt eine wunderglocke im meer es freut ein gläubig herze sehr das glockenspiel zu hören der eine sprach zu dem andern sohn der alte mann verkindet schon was singt er das dumme lied immerfort ich hab manchen sturm gehört an bord noch nie eine wunderglocke der andre sprach wir sind noch jung er singt aus tiefer erinnerung ich glaube man muß viel fahrten bestehn um dem großen meer auf den grund zu sehn dann hört man es auch wohl läuten und als der vater gestorben war fuhren sie weg mit braunblondem haar und als sie sich grauhaarig wiedertrafen dachten sie eines abends im hafen an die wunderglocke der eine sprach verdrossen und alt ich kenne das meer und seine gewalt ich hab mich zuschanden auf ihm geplagt hab auch manchen gewinn erjagt läuten hört ich es niemals der andre sprach und lächelte jung ich gewann mir nichts als erinnerung es treibt eine wunderglocke im meer es freut ein gläubig herze sehr das glockenspiel zu hören |
Erntelied von Richard Dehmel, vor 1920 † „Es steht ein goldnes Garbenfeld, / das geht bis an den Rand der Welt. / Mahle, Mühle, mahle! // Es Stockt der Wind im weiten Land, / viel Mühlen stehn am Himmelsrand. / Mahle, Mühle, mahle!“ |
1920 | 375 | erntelied von richard dehmel es steht ein goldnes garbenfeld das geht bis an den rand der welt mahle mühle mahle es stockt der wind im weiten land viel mühlen stehn am himmelsrand mahle mühle mahle es kommt ein dunkles abendrot viel arme leute schrein nach brot mahle mühle mahle es hält die nacht den sturm im schoß und morgen geht die arbeit los mahle mühle mahle es fegt der sturm die felder rein es wird kein mensch mehr hunger schrein mahle mühle mahle |
Der Kampf mit dem Schicksal von Ricarda Huch, 1908 (?) „Herr Ulrich zog sein blankes Schwert: / »Zum Kampfe, Schicksal, stell‘ dich mir! / Bist du auch mit Verderben bewehrt, / Nicht länger fürcht‘ ich mich vor dir.“Ricarda Huch |
1908 | 934 | der kampf mit dem schicksal von ricarda huch herr ulrich zog sein blankes schwert zum kampfe schicksal stell dich mir bist du auch mit verderben bewehrt nicht länger fürcht ich mich vor dir das feld ist wüst auf dem ich steh noch mehr mein herz durch dich voll weh das schicksal winkte kämpfen wir wehre dich herr ulrich herr ulrich that den ersten stoß da traf er was er nicht gedacht des freundes brust die offen und bloß der hieb war künstlich beigebracht stumm sank er hin zu deiner ehr und zuckt mit keiner wimper mehr kein pfeilschütz hätt es nachgemacht wehre dich herr ulrich herr ulrich schwang sein schwert voll wuth da traf er was er nicht gemeint sein holdes lieb sein theuerstes gut herr ulrich weil der tag noch scheint beenden wir den waffengang die luft wird kühl der schatten lang den westen färbt der sonne blut wehre dich herr ulrich noch einen stoß herr ulrich that mit letzter kräfte aufgebot blind war sein aug sein arm war matt sich selbst traf er und traf sich todt man legt ihm an sein prachtgewand das schwert gab man ihm in die hand und führt ihn fort zur ruhestatt wehre dich herr ulrich |
Saul von Ricarda Huch, vor 1947 † „Wie unterm Sternenheer der Morgenstern, / So unter Menschen strahlte Saul in Glück / Und Kraft und Tugend; er gefiel dem Herrn / Doch ungebändigt, blindlings schreitet das Geschick.“ |
1947 | 1940 | saul von ricarda huch wie unterm sternenheer der morgenstern so unter menschen strahlte saul in glück und kraft und tugend er gefiel dem herrn doch ungebändigt blindlings schreitet das geschick kein auge sieht es aber der prophet samuel erkannte schaudernd seinen gang zum könig tritt er saul sprich ein gebet du bist verworfen sei um deine seele bang ist nicht von rosen nachts mein bett umkränzt entsproßten früchte süß nicht dem verein wie roth im laube die granate glänzt wie voll am rebenstocke schwillt der edle wein mich liebt mein volk und führ ich es zur schlacht so jauchzt es unser könig zieht voran wie tags in wolken und im feur bei nacht jehovah gnädig durch die wüste einst gethan an deines bettes rosen nagt der wurm die früchte fallen ab glänzt auch dein haus wie eine sonne horch schon rauscht der sturm und löscht die strahlende wie eine fackel aus der könig lächelt doch ihm graut geheim wie rott ich aus des unheils samenkorn schon aber bricht hervor der junge keim der zarte stiel verdichtet sich zum scharfen dorn doch wähnt er noch er hemme seinen trieb zu dem propheten den das grab verschlang hebt er die stimme gieb mir antwort gieb samuel und höre meines rufes erdenklang die tochter die ich liebe folgt dem feind mein liebstes kind mein stolz mein junger sohn hat sich in heilger freundschaft ihm geeint schwermuth die dunkelfarbige theilt meinen thron noch einmal komm aus der verbannung land samuel wann bricht mein stern aus wolken vor wann reckt der herr mir gnädig seine hand und theilt die wetterwolken die er herbeschwor ich komme staub und erde ist mein kleid die sternenlose nacht mein kaltes haus was rufst du mich vergebens ist dein streit dein morgenroth ist hin dein goldner tag ist aus und ständen babels völker wie ein wall um dich sie wehrten nicht dein schicksal ab es naht und naht es bringt dich jäh zu fall und zieht dich und dein haus in das gegrabne grab er sinkt und unaufhaltsam naht und naht schon jener engel dessen strenge hand der menschen arme lenkt zu blinder that und ihre seelen hält an unsichtbarem band und doch entflieh ich dir betrüg ich dich der könig rufts sieh her dein sieg ist faul er stürzt sich in sein schwert erkennst du mich raunt ihm der engel zu und lächelt so starb saul |
Brigitte B. von Frank Wedekind, 1905 (?) „Ein junges Mädchen kam nach Baden, / Brigitte B. war sie genannt, / Fand Stellung dort in einem Laden, / Wo sie gut angeschrieben stand.“Frank Wedekind |
1905 | 1288 | brigitte b von frank wedekind ein junges mädchen kam nach baden brigitte b war sie genannt fand stellung dort in einem laden wo sie gut angeschrieben stand die dame schon ein wenig älter war dem geschäfte zugetan der herr ein höherer angestellter der königlichen eisenbahn die dame sagt nun eines tages wie man zu nacht gegessen hat nimm dies paket mein kind und trag es zu der baronin vor der stadt auf diesem wege traf brigitte jedoch ein individuum das hat an sie nur eine bitte wenn nicht dann bringe er sich um brigitte völlig unerfahren gab sich ihm mehr aus mitleid hin drauf ging er fort mit ihren waren und ließ sie in der lage drin sie konnt es anfangs gar nicht fassen dann lief sie heulend und gestand dass sie sich hat verführen lassen was die madam begreiflich fand dass aber dabei die tournüre für die baronin vor der stadt gestohlen worden sei das schnüre das herz ihr ab sie hab sie satt brigitte warf sich vor ihr nieder sie sei gewiss nicht mehr so dumm den abend aber schlief sie wieder bei ihrem individuum und als die herrschaft dann um pfingsten ausflog mit dem gesangverein lud sie ihn ohne die geringsten bedenken abends zu sich ein sofort ließ er sich alles zeigen den schreibtisch und den kassenschrank macht die papiere sich zu eigen und zollt ihr nicht mal mehr den dank brigitte als sie nun gesehen was ihr geliebter angericht entwich auf unhörbaren zehen dem ehepaar aus dem gesicht vorgestern hat man sie gefangen es lässt sich nicht erzählen wo dem jüngling der die tat begangen dem ging es gestern ebenso |
Das Lied vom armen Kind von Frank Wedekind, 1905 „Es war einmal ein armes Kind, / Das war auf beiden Augen blind, / Auf beiden Augen blind; / Da kam ein alter Mann daher, / Der hört auf keinem Ohre mehr,“ |
1905 | 2104 | das lied vom armen kind von frank wedekind wer zuletzt lacht lacht am besten es war einmal ein armes kind das war auf beiden augen blind auf beiden augen blind da kam ein alter mann daher der hört auf keinem ohre mehr auf keinem ohre mehr sie zogen miteinander dann das blinde kind der taube mann der arme alte taube mann so zogen sie vor eine tür da kroch ein lahmes weib herfür ein lahmes weib herfür bei einem automobilunglück ließ sie ihr linkes bein zurück das ganze bein zurück nun zogen weiter alle drei das kind der mann das weib dabei das arme lahme weib dabei ein mägdlein zählte vierzig jahr derweil sie stets noch jungfrau war noch keusche jungfrau war um sie dafür zu strafen hart schuf gott ihr einen knebelbart ihr einen knebelbart sie flehte laßt mich mit euch gehn ihr lieben laßt mich mit euch gehn so wird noch heil an mir geschehn am wege lag ein räudiger hund der hatte keinen zahn im mund nicht einen zahn im mund fand er mal einen knochen auch er bracht ihn nicht in seinen bauch ihn nicht in seinen bauch nun trabte hinter den anderen vier wiewohl es am verenden schier das alte räudige hundetier ein dichter lebt in tiefster not er starb den ewigen hungertod den ewigen hungertod mit herzblut schrieb er sein gedicht man druckt es nicht man liest es nicht und niemand kennt es nicht sein leib war krank sein geist war wund drum schloß er mit dem räudigen hund der freundschaft heiligen seelenbund und dann schrieb er zu aller glück ein wundervolles theaterstück ein wundervolles stück in welchem die personen sind der taube mann das blinde kind das arme blinde kind das lahme weib die jungfrau zart mit ihrem langen knebelbart die jungfrau mit dem knebelbart und eh die nächste stund entflohn konnt jeder seine rolle schon die ganze rolle schon verständnisvoll führt die regie das alte räudige hundevieh das räudige hundevieh drauf ward das schauspiel zensuriert und einstudiert und aufgeführt und ward ganz prachtvoll kritisiert die künstler fanden viel applaus man spannt dem hund die pferde aus und zieht ihn selbst nach haus da gabs nun auch tantièmen viel und hohe gagen für das spiel das ungemein gefiel nachdem sie ganz europa sah da reisten sie nach amerika nach nord und südamerika nun hört zum schluß noch die moral gebrechen sind oft sehr fatal sind manchmal eine qual frau poesie schafft ohne graus beneidenswertes glück daraus sie schafft das glück daraus dann schwillt der mut dann schwillt der bauch und seis bei einer jungfrau auch so ists der menschheit guter brauch |
Der Tantenmörder von Frank Wedekind, 1905 „Ich hab’ meine Tante geschlachtet, / Meine Tante war alt und schwach; / Ich hatte bei ihr übernachtet / Und grub in den Kisten-Kasten nach.“ |
1905 | 551 | der tantenmörder von frank wedekind ich hab meine tante geschlachtet meine tante war alt und schwach ich hatte bei ihr übernachtet und grub in den kistenkasten nach da fand ich goldene haufen fand auch an papieren gar viel und hörte die alte tante schnaufen ohn mitleid und zartgefühl was nutzt es daß sie sich noch härme nacht war es rings um mich her ich stieß ihr den dolch in die därme die tante schnaufte nicht mehr das geld war schwer zu tragen viel schwerer die tante noch ich faßte sie bebend am kragen und stieß sie ins tiefe kellerloch ich hab meine tante geschlachtet meine tante war alt und schwach ihr aber o richter ihr trachtet meiner blühenden jugendjugend nach |
Der Zoologe von Berlin von Frank Wedekind, 1905 „Hört ihr Kinder, wie es jüngst ergangen / Einem Zoologen in Berlin! / Plötzlich führt ein Schutzmann ihn gefangen / Vor den Untersuchungsrichter hin.“ |
1905 | 1503 | der zoologe von berlin von frank wedekind hört ihr kinder wie es jüngst ergangen einem zoologen in berlin plötzlich führt ein schutzmann ihn gefangen vor den untersuchungsrichter hin dieser tritt ihm kräftig auf die zehen nimmt ihn hochnotpeinlich ins gebet und empfiehlt ihm schlankweg zu gestehen daß beleidigt er die majestät dieser sprach »herr richter ungeheuer ist die schuld die man mir unterlegt denn daß eine kuh ein wiederkäuer hat noch nirgends ärgernis erregt soweit ist die wissenschaft gediehen daß es längst in kinderbüchern steht wenn sie das auf majestät beziehen dann beleidigen sie die majestät vor der majestät das kann ich schwören hegt ich stets den schuldigsten respekt ja es freut mich oft sogar zu hören wenn man den beleidiger entdeckt denn dann wird die majestät erst sehen ob sie majestätisch nach gebühr deshalb ist ein mops das bleibt bestehen zweifelsohne doch ein säugetier ebenso hab vor den staatsgewalten ich mich vorschriftsmäßig stets geduckt auf kommando oft das maul gehalten und vor anarchisten ausgespuckt auch wo spitzel horchen in vereinen sprach ich immer harmlos wie ein kind aber deshalb kann ich von den schweinen doch nicht sagen daß es menschen sind viel respekt hab ich vor dir o richter unbegrenzten menschlichen respekt läßt du doch die ärgsten bösewichter in berlin gewöhnlich unentdeckt doch wenn hochzurufen ich mich sehne von dem schwarzwald bis nach kiautschau bleibt deshalb gestreift nicht die hyäne nicht ein schönes federvieh der pfau« also war das wort des zoologen doch dann sprach der hohe staatsanwalt und nachdem man alles wohl erwogen ward der mann zu einem jahr verknallt deshalb vor zoologiestudieren hüte sich ein jeder wenn er jung denn es schlummert in den meisten tieren eine majestätsbeleidigung |
Gräßliches Unglück, welches eine deutsche Familie betroffen hat von Ludwig Thoma, vor 1921 † „Im Wirtshaus sitzt der Vater / Die Mutter im Theater / Sie schwelgt im Kunstgenuß. / Die Tochter, unschuldsreine, / Liest still beim Lampenscheine / Den Simplicissimus.“Ludwig Thoma |
1921 | 813 | gräßliches unglück welches eine deutsche familie betroffen hat von ludwig thoma im wirtshaus sitzt der vater die mutter im theater sie schwelgt im kunstgenuß die tochter unschuldsreine liest still beim lampenscheine den simplicissimus wie alle höhren töchter hat sie nicht der geschlechter verschiedenheit gekennt doch als sie dies gelesen ist alles futsch gewesen was man moralisch nennt sie ließ den storchenglauben wohl über nacht sich rauben und sonst noch mancherlei sie las vergnügt die witze verstand die frechste spitze und wußte was es sei als dies die mutter ahnte und ihr das schlimmste schwante sprach sie nicht einen ton sie schloß in ihrer kammer sich ein mit ihrem jammer und einem bariton noch tiefer ist gesunken der vater schwer betrunken holt er sich bald die gicht wie war er gut katholisch jetzt ist er alkoholisch bis das sein bierherz bricht er geht nicht mehr von hinnen poussiert die kellnerinnen vor gram und überdruß und wer hat das verschuldet der den man leider duldet den simplicissimus |
Das lied von Stefan George, 1910 „Es fuhr ein knecht hinaus zum wald / Sein bart war noch nicht flück / Er lief sich irr im wunderwald / Er kam nicht mehr zurück.“Stefan George |
1910 | 839 | das lied von stefan george es fuhr ein knecht hinaus zum wald sein bart war noch nicht flück er lief sich irr im wunderwald er kam nicht mehr zurück das ganze dorf zog nach ihm aus vom früh zum abendrot doch fand man nirgends seine spur da gab man ihn für tot so flossen sieben jahr dahin und eines morgens stand auf einmal wieder er vorm dorf und ging zum brunnenrand sie fragten wer er wär und sahn ihm fremd ins angesicht der vater starb die mutter starb ein andrer kannt ihn nicht vor tagen hab ich mich verirrt ich war im wunderwald dort kam ich recht zu einem fest doch heim trieb man mich bald die leute tragen güldnes haar und eine haut wie schnee so heissen sie dort sonn und mond so berg und tal und see da lachten all in dieser früh ist er nicht weines voll sie gaben ihm das vieh zur hut und sagten er ist toll so trieb er täglich in das feld und sass auf einem stein und sang bis in die tiefe nacht und niemand sorgte sein nur kinder horchten seinem lied und sassen oft zur seit sie sangens als er lang schon tot bis in die spätste zeit |
Der Waffengefährte von Stefan George, 1895 „Am weiher wo die rehe huschen / Da war’s wo wir von kampfes schweiss / Zum erstenmal die stirnen wuschen / Nach unsren fahrten hart und heiss.“ |
1895 | 1178 | der waffengefährte von stefan george am weiher wo die rehe huschen da wars wo wir von kampfes schweiss zum erstenmal die stirnen wuschen nach unsren fahrten hart und heiss nun ist mein bruder eingeschlafen die schwerter klangen heute scharf und ich bin froh dass ich den braven dieweil er ruht behüten darf er stüzte sich mit seinem schilde ich nahm sein haupt in meinen schoss auf seiner wange zuckt es milde um seinen bart erbarmungslos er zog mich heut aus manchen fesseln im schwarzen wald wo unheil haust war ich verstrickt in tiefen nesseln er hieb mich aus mit rascher faust ich wollte zu den süssen stimmen des widerrates nicht gedenk dem sündeschloss entgegenklimmen er hielt mich fest am handgelenk er kennt kein sinnen und kein wanken die bösen fühlten seine wut die armen die zu fuss ihm sanken verteilten sich sein ganzes gut er wird mich immer unterweisen im graden wandel vor dem herrn mein bruder ist aus wachs und eisen in seinem schutze weil ich gern so unterlag er doch der feinde tücke er focht mit wenig treuen wider scharen er fiel doch durch des himmels huld im glücke der seinen sieg vorm tode zu erfahren und fürsten kamen gar zum trauersaale es hoben sich gemurmelte gebete der männer lob die klage der drommete für ihn zu frühem lichtem ruhmesmale wohin ich mich nach seinem tode kehre wer wehrt von mir des rauhen lebens stösse ich werde fallen ohne seine grösse o sei es nicht zu fern vom pfad der ehre |
Sporenwache von Stefan George, 1895 „Die lichte zucken auf in der kapelle. / Der edelknecht hat drinnen einsam wacht / Nach dem gesetze vor altares schwelle / ›Ich werde bei des nahen morgens helle / Empfangen von der feierlichen pracht“ |
1895 | 1601 | sporenwache von stefan george die lichte zucken auf in der kapelle der edelknecht hat drinnen einsam wacht nach dem gesetze vor altares schwelle ich werde bei des nahen morgens helle empfangen von der feierlichen pracht durch einen schlag zur ritterschar erkoren nachdem der kindheit sang und sehnen schwieg dem strengen dienste widmen wehr und sporen und streiter geben in dem guten krieg ich muss mich würdig rüsten zu der wahl zur weihe meines unbefleckten schwertes vor meines gottes zeit und diesem mal dem zeugnis echten heldenhaften wertes da lag der ahn in grauen stein gehauen um ihn der schlanken wölbung blumenzier die starren finger faltend im vertrauen auf seiner brust gebreitet ein panier den blick verdunkelt von des helmes klappen ein cherub hält mit hocherhobner schwinge zu häupten ihm den schild mit seinem wappen in glattem felde die geflammte klinge der jüngling bittet brünstig den da oben und bricht gelernten spruches enge schranken die hände fromm vors angesicht geschoben da wurde unvermerkt in die gedanken ihm eine irdische gestalt verwoben sie stand im garten bei den rosmarinen sie war viel mehr ein kind als eine maid in ihrem haare goldne flocken schienen sie trug ein langes sternbesticktes kleid ein schauer kommt ihn an er will erschrocken dem bild das ihm versuchung dünkt entweichen er gräbt die hände in die vollen locken und macht das starke bösemferne zeichen in seine wange schiesst es rot und warm die kerzen treffen ihn mit graden blitzen da sieht er auf der jungfrau schosse sitzen den welterlöser offen seinen arm ich werde diener sein in deinem heere es sei kein andres streben in mir wach mein leben folge fortab deiner lehre vergieb wenn ich zum lezten male schwach aus des altares weissgedeckter truhe flog ein schwarm von engelsköpfen aus es floss bei ferner orgel heilgem braus des tapfren einfalt und des toten ruhe zu weiter klarheit durch das ganze haus |
Joseph wird verkauft von Else Lasker-Schüler, 1920 „Die Winde spielten müde mit den Palmen noch / So dunkel war es schon um Mittag in der Wüste, / Und Joseph sah den Engel nicht, der ihn vom Himmel grüßte / Und weinte, da er für des Vaters Liebe büßte / Und suchte nach dem Cocos seines schattigen Herzens doch.“Else Lasker-Schüler |
1920 | 1046 | joseph wird verkauft von else lasker schüler die winde spielten müde mit den palmen noch so dunkel war es schon um mittag in der wüste und joseph sah den engel nicht der ihn vom himmel grüßte und weinte da er für des vaters liebe büßte und suchte nach dem cocos seines schattigen herzens doch der bunte brüderschwarm zog wieder nach gottosten und er bereute seine schwere untat schon und auf den sandweg fiel der schnöde silberlohn die fremden männer aber ketteten des jakobs sohn bis ihm die häute drohten mit dem eisen zu verrosten so oft sprach jakob inbrünstig zu seinem herrn sie trugen gleiche bärte schaum von einer eselin gemolken und joseph glaubte jedesmal sein vater blicke aus den wolken und eilte über heilige bergeshöhn ihm nachzufolgen bis er dann ratlos einschlief unter einem stern die käufer lauschten dem entrückten knaben des vaters andacht atmete aus seinem haare und sie entfesselten die edelblütige ware und drängten sich zu tragen canaans prophet in einer bahre wie die bebürdeten kameele durch den sand zu traben egypten glänzte feierlich in goldenen mantelfarben da dieses jahr die ernte auf den salbtag fiel die kleine karawane endlich nahte sie dem ziel sie trugen joseph in das haus des potiphars am nil an seinem traume hingen aller deutung garben |
Der Gingganz von Christian Morgenstern, 1905 „Ein Stiefel wandern und sein Knecht / von Knickebühl gen Entenbrecht. // Urplötzlich auf dem Felde drauß / begehrt der Stiefel: Zieh mich aus!“Christian Morgenstern |
1905 | 395 | der gingganz von christian morgenstern ein stiefel wandern und sein knecht von knickebühl gen entenbrecht urplötzlich auf dem felde drauß begehrt der stiefel zieh mich aus der knecht drauf es ist nicht an dem doch sagt mir lieber herre wem dem stiefel gibt es einen ruck fürwahr beim heiligen nepomuk ich ging ganz in gedanken hin du weißt daß ich ein andrer bin seitdem ich meinen herrn verlor der knecht wirft beide arm empor als wollt er sagen laß doch laß und weiter zieht das paar fürbaß |
Der Glaube von Christian Morgenstern, vor 1914 † „Eines Tags bei Kohlhasficht / sah man etwas Wunderbares. / Doch daß zweifellos und wahr es, / dafür bürgt das Augenlicht.“ |
1914 | 519 | der glaube von christian morgenstern eines tags bei kohlhasficht sah man etwas wunderbares doch daß zweifellos und wahr es dafür bürgt das augenlicht nämlich standen dort zwei hügel höchst solid und wohl bestellt einen schmückten windmühlflügel und den andern ein kornfeld plötzlich eines tags um viere wechselten die plätze sie furchtbar brüllten die dorfstiere und der mensch fiel auf das knie doch der bauer anton metzer weit berühmt als frommer mann sprach ich war der landumsetzer zeigt mich nur dem landrat an aller auge stand gigantisch offen als er dies erzählt doch das land war protestantisch und in dalldorf starb ein held |
Der Werwolf von Christian Morgenstern, 1907/08 „Ein Werwolf eines Nachts entwich / von Weib und Kind, und sich begab / an eines Dorfschullehrers Grab / und bat ihn: Bitte, beuge mich!“ |
1907 | 684 | der werwolf von christian morgenstern ein werwolf eines nachts entwich von weib und kind und sich begab an eines dorfschullehrers grab und bat ihn bitte beuge mich der dorfschulmeister stieg hinauf auf seines blechschilds messingknauf und sprach zum wolf der seine pfoten geduldig kreuzte vor dem toten der werwolf sprach der gute mann des weswolfs genitiv sodann dem wemwolf dativ wie mans nennt den wenwolf damit hats ein end dem werwolf schmeichelten die fälle er rollte seine augenbälle indessen bat er füge doch zur einzahl auch die mehrzahl noch der dorfschulmeister aber mußte gestehn daß er von ihr nichts wußte zwar wölfe gäbs in großer schar doch wer gäbs nur im singular der wolf erhob sich tränenblind er hatte ja doch weib und kind doch da er kein gelehrter eben so schied er dankend und ergeben |
Ballade des äußeren Lebens von Hugo von Hofmannsthal, 1896 „Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen, / Die von nichts wissen, wachsen auf und sterben, / Und alle Menschen gehen ihre Wege. / Und süße Früchte werden aus den herben / Und fallen nachts wie tote Vögel nieder / Und liegen wenig Tage und verderben.“Hugo von Hofmannsthal |
1896 | 762 | ballade des äußeren lebens eine ballade von hugo von hofmannsthal und kinder wachsen auf mit tiefen augen die von nichts wissen wachsen auf und sterben und alle menschen gehen ihre wege und süße früchte werden aus den herben und fallen nachts wie tote vögel nieder und liegen wenig tage und verderben und immer weht der wind und immer wieder vernehmen wir und reden viele worte und spüren lust und müdigkeit der glieder und straßen laufen durch das gras und orte sind da und dort voll fackeln bäumen teichen und drohende und totenhaft verdorrte wozu sind diese aufgebaut und gleichen einander nie und sind unzählig viele was wechselt lachen weinen und erbleichen was frommt das alles uns und diese spiele die wir doch groß und ewig einsam sind und wandernd nimmer suchen irgend ziele was frommts dergleichen viel gesehen haben und dennoch sagt der viel der abend sagt ein wort daraus tiefsinn und trauer rinnt wie schwerer honig aus den hohlen waben |
Ballade vom kranken Kind von Hugo von Hofmannsthal, 1892 „Das Kind mit fiebernden Wangen lag, / Rotgolden versank im Laub der Tag. / Das Fenster hing voller wildem Wein, / Da sah ein fremder Jüngling herein.“ |
1892 | 647 | ballade vom kranken kind von hugo von hofmannsthal das kind mit fiebernden wangen lag rotgolden versank im laub der tag das fenster hing voller wildem wein da sah ein fremder jüngling herein laß mutter den schönen knaben ein er beut mir die schale mit leuchtendem wein seine lippen sind wie blumen rot aus seinen augen ein feuer lobt der nächste tag verglomm im teich da stand am fenster der jüngling bleich mit lippen wie giftige blumen rot und einem lächeln das lockt und droht schick mutter den fremden knaben fort mich zehrt die glut und mein leib verdorrt mich ängstigt sein lächeln er hält mir her die schale mit wein der ist heiß und schwer ach mutter was bist du nicht erwacht er kam geschlichen ans bett bei nacht und weh seinen wein ich getrunken hab und morgen könnt ihr mir graben das grab |
Alte Landsknechte von Börries Freiherr von Münchhausen, 1900 „Im Himmel droben, in einer Ecken, / Wo die alten Soldaten die Beine strecken, / Weit weg von Heiligen und Propheten, / Von Märtyrern und von Anachoreten / Sitzen an eines Kamines Flammen, / Die seligen alten Landsknecht beisammen.“Börries Freiherr von Münchhausen |
1900 | 1743 | alte landsknechte von börries von münchhausen im himmel droben in einer ecken wo die alten soldaten die beine strecken weit weg von heiligen und propheten von märtyrern und von anachoreten sitzen an eines kamines flammen die seligen alten landsknecht beisammen manchmal greift einer nach der tasche sucht nach den knöcheln sucht nach der flasche aber im himmel gibts nichts dergleichen höchstens daß mal ein englein kommt ihnen ein schälchen tau zu reichen das den seligen seelen frommt und wenn gar einer mal fluchen will potz tod und teufel und frundsberger drill gehts ihm nicht aus dem maul heraus wird gleich ein halleluja draus so daß der reuter vom wunder benommen gar ein einfältiges lächeln bekommen den knebelbart zur seite drückt und ein weniges auf die seite rückt sind ja selig und freuen sich ja sind ihrer aber zu wenige da alle kameraden und kumpane hauptleute obristen und feldkaplane alle brüder vom schwert sitzen drunten zusammen und brennen in den höllischen flammen aber manchmal in ihren ohren es klingt und mit leisem gebrumm geht ein summen um wie vom schlägel der über das kalbfell springt terum tum tum terum tum tum da laufen sie alle zur himmelstür lauschen alle ganz verzückt herfür herunter zur erde und ihren tönen da donnern die trommeln und schüttern und dröhnen da rasseln die trommeln die fellbespannten da blasen die welschen kriegsmusikanten da wandern die freunde mit karren und kind da flackern die großen fahnen im wind da brennen die dörfer der rauch bricht vor über wolken und winde zum himmelstor und die alten landsknechte atmen beklommen den rauch der von sündiger erde gekommen sie lauschen und spähn ihnen zittern die hände wie sich das glück der feldschlacht wende da kommt sankt peter und treibt sie zurück noch ein letzter wehmütiger blick an des himmlischen kamines flammen sitzen wieder die alten landsknecht beisammen sagt keiner ein wort denn mit leisem gebrumm noch immer das lied ihres lebens klingt und ein summen geht um wie vom schlägel der über das kalbfell springt terum tum tum terum tum tum |
Ballade vom Brennesselbusch von Börries Freiherr von Münchhausen, 1910 „Liebe fragte Liebe: „Was ist noch nicht mein?“ / Sprach zur Liebe Liebe: „Alles, alles dein!“ / Liebe küßte Liebe: „Liebste, liebst du mich?“ / Küßte Liebe Liebe: „Ewig, ewiglich!“—“ |
1910 | 2048 | ballade vom brennesselbusch von börries von münchhausen liebe fragte liebe was ist noch nicht mein sprach zur liebe liebe alles alles dein liebe küßte liebe liebste liebst du mich küßte liebe liebe ewig ewiglich hand in hand hernieder stieg er mit maleen von dem heidehügel wo die nesseln stehen eine nessel brach er gab er ihrer hand zu der liebsten sprach er uns brennt heißrer brand lippe glomm auf lippe bis die lust zum schmerz bis der atem stockte brannte herz auf herz darum wo nur nesseln stehn am straßenrand wolln wir daran denken was uns heute band spricht von treu die liebe sagt sie ewig nur ach die treu am mittag gilt nur bis zwölf uhr treue gilt am abend bis die nacht begann und doch weiß ich herzen die verbluten dran krieg verschlug das mädchen wie ein blatt verweht das im wind die wege fremder koppeln geht und ihr lieber liebster stieg zum königsthron eine königstochter nahm der königssohn sieben jahre gingen und die nessel stand sieben jahr an jedem deutschen straßenrand wer hat treu gehalten gott alleine weiß ob nicht wunde treue brennet doppelt heiß bei der jagd im walde stand mit schwerem sinn stand am knick der könig bei der königin nesselblatt zum munde hob er wie gebannt und die lippe brannte wie sie einst gebrannt brennettelbusch brennettelbusch so kleene wat steihst du so alleene brennettelbusch wo is myn tyd eblewen un wo is myn maleen sprichst du mit fremder zunge frug die königin so sang ich als junge sprach er vor sich hin heim sie ritten schweigend abend hing im land seine lippen brannten wie sie einst gebrannt durch den garten streifte still die königin zu der magd am flusse trat sie heimlich hin welche wäsche spülte noch im sternenlicht tränen sahn die sterne auf der magd gesicht brennettelbusch brennettelbusch so kleene wat steihst du so alleene brennettelbusch ik hev de tyd eweten dar was ik nich alleen sprach die dame leise sah ich dein gesicht unter dem gesinde nein ich sah es nicht sprach das mädchen leiser konntest es nicht sehn gestern bin ich kommen und ich heiß maleen viele wellen wallen weit ins graue meer eilig sind die wellen ihre hände leer eine schleicht so langsam mit den schwestern hin trägt in nassen armen eine königin liebe fragte liebe sag weshalb du weinst raunte lieb zur liebe heut ist nicht mehr wie einst liebe klagte liebe ists nicht wie vorher sprach zur liebe liebe nimmer nimmermehr |
Bauernaufstand von Börries Freiherr von Münchhausen, um 1900 „Die Glocken stürmten vom Bernwardsturm, / der Regen durchrauschte die Straßen, / und durch die Glocken und durch den Sturm / gellte des Urhorns Blasen.“ |
1900 | 710 | bauernaufstand von börries von münchhausen die glocken stürmten vom bernwardsturm der regen durchrauschte die straßen und durch die glocken und durch den sturm gellte des urhorns blasen das büffelhorn das lange geruht veit stoßperg nahms aus der lade das alte horn es brüllte nach blut und wimmerte gott genade ja gnade dir gott du ritterschaft der bauer stund auf im lande und tausendjährige bauernkraft macht schild und schärpe zu schande die klingsburg hoch am berge lag sie zogen hinauf in waffen auframmte der schmied mit einem schlag das tor das er fronend geschaffen dem ritter fuhr ein schlag ins gesicht und ein spaten zwischen die rippen er brachte das schwert aus der scheide nicht und nicht den fluch von den lippen aufrauschte die flamme mit aller kraft brach balken bogen und bande ja gnade dir gott du ritterschaft der bauer stund auf im lande |
Das alizarinblaue Zwergenkind von Börries Freiherr von Münchhausen, vor 1945 † „Nein, was hab ich gelacht! // Da kommt doch diese Nacht / Ein kleinwinziges Zwergenkind / Aus dem Bücherspind / Hinter Kopischs Gedichten vor / Und krebselt an meinem Schreibtisch empor.“ |
1945 | 1485 | das alizarinblaue zwergenkind eine ballade von börries von münchhausen nein was hab ich gelacht da kommt doch diese nacht ein kleinwinziges zwergenkind aus dem bücherspind hinter kopischs gedichten vor und krebselt an meinem schreibtisch empor trippelt ans tintenfaß was ist denn das stippt den schneckenhorndünnen finger hinein leckt ui fein macht halslang guckt dumm nochmal in der ganzen stube rum gottseidank allein zwergenvater begegnet sich selber im mondenschein mutti um was gescheiteres anzufangen is e bissel spuken gegangen da knöpft es sein wämschen ab hemd runter schwapp spritzts ins tintenbad hinein taucht plantscht wischt die augen rein pudelt und sprudelt nimmts mäulchen voll prustet ein springbrunn hoch zwei zoll streckts füßchen raus schnalzt mit den zehn taucht um mal aufn kopf zu stehn endlich schluß der badesaison klettert raus trippelt über meinen löschkarton schuppert sich über und über pitschepatschenaß brr wie kalt war das ist selig wie es sich zugesaut und kriegt eine alizarinblaue gänsehaut nun trocknet sichs auf dem löschpapier probiert dort und hier was da fürn feines muster bleibt als ob einer der schreiben kann schreibt ein fußtapf wie ne bohne beinah ein handklitsch alle fünf finger da nun die nase aufgetunkt lacht schrecklich ein richtiger punkt ein punkt wos aber gesessen hat auf dem roten blatt wies da hinguckt da hats ein dreierbrötchen gedruckt ein kleinwinziges zweihälftiges dreierbrot blau auf rot erst lachts dann schämt sichs und dann so schnell es kann am tischbein runter durch den mondenschein in schrank hinein ein weilchen noch hinter den büchern her hörte ichs piepsen und heulen sehr hat so arg geschnieft und geschluckt weil es das dreierbrötchen da hingedruckt |
Die Glocke von Kadamar von Börries Freiherr von Münchhausen, 1900 „»Wir wollen dies Jahr die Felder am Rhein / Mit heißen Sicheln mähn, / Wie Sensen soll der Flammenschein / Über die Ernten gehn.“ |
1900 | 2364 | die glocke von kadamar von börries von münchhausen wir wollen dies jahr die felder am rhein mit heißen sicheln mähn wie sensen soll der flammenschein über die ernten gehn gott gnade der burg und gnade der stadt die meiner faust widerspricht du hältst wohl aus die kanone am rad aber tilly hältst du nicht und der brabanter sprang vom pferd eisenumschlossen ganz hell klirrend schlug an koller und schwert der eiserne rosenkranz da stiegen die wogen des reiterkriegs da prasselten hieb und schuß und von dem blute des reitersiegs ward rot der blaue fluß was silberne glocken gewesen einst klingelt als geld durchs land und wer die messe gelesen einst bettelt am straßenrand zu walmarod der reichsbaron die zugbrück zog er herauf s ist nicht für meine religion die gäb ich gern in kauf s ist nicht für meine baronie für thron nicht und altar ich kämpfe nur für dich sophie sophie und für dein haar für jedes haar und für jeden kuß einen schwerthieb schlag ich dafür bis ich tillys herz zwischen diesem fuß und der alten erde spür geliebte nun tauche den roten mund in den roten rheinischen wein wir läuten mit klingendem gläserrund wir läuten die litanein im namen des sohnes der marie des jesusknaben von prag ich will die burg und ich nehme sie vor sankt gertraudentag nie lag ich so lange im hinterhalt und nie so lang auf der laur niemals im ganzen westerwald und im walde von montabaur ich schwörs wenn ich fange das girrende paar sein haupt vorm beile sinkt wenn drüben vom kloster in hadamar der ton der mette klingt der söldner mit schienen die schenkel umschloß und prüfte des flambergs glanz und in die musketenkugeln goß er perlen vom rosenkranz und sie klommen empor trotz pfeil und tod im scheidenden abendlicht und sie fingen den herren von walmarod das weib aber fingen sie nicht durch den schweigenden wald den verschwiegenen pfad hinfloh sie aus schande und schlacht und es säte der hengst die funkensaat in die dunkele furche der nacht zu hadamar die alte abtei träumte im mondenlicht sie schlich an der türe des pförtners vorbei den klopfer hob sie nicht es klomm die stufen zum glockenturm empor die schöne sophie wohl atmete droben der frühlingssturm viel stürmischer atmete sie und um den klöppel der glocke schlang sie die runden arme fest und hielt den schwankenden glockenstrang zwischen ihre schenkel gepreßt es zog der mönch zur mette das seil die glocke war heut tot er riß zum zweiten am glockenseil da ward es blutig rot anschlug er den klöppel zum dritten mal da klang ein schrei so schrill ein schrei von wild verzweifelnder qual dann ward es totenstill und nur die große glocke hallt von hadamarabtei zitternd über den westerwald ihren letzten sterbeschrei und als er klang in walmarod ins knie sank der baron »erbarm dich herr um meinen tod durch christum deinen sohn |
Hunnenzug von Börries Freiherr von Münchhausen, 1893 „Finsterer Himmel, pfeifender Wind, / Wildöde Heide, der Regen rinnt, / Von fern ein Schein, wie ein brennendes Dorf, / Mattdüsierer Glanz auf den Lachen im Torf.“ |
1893 | 972 | hunnenzug von börries von münchhausen finsterer himmel pfeifender wind wildöde heide der regen rinnt von fern ein schein wie ein brennendes dorf mattdüsierer glanz auf den lachen im torf da plötzlich ein stampfendes dumpfes geroll wie drohenden wetters steigender groll und lauter und lauter erdröhnt die erde vom stürmischen nahn einer wilden herde ein hunnenschwarm mit laut jauchzendem ruf dumpf donnert und poltert der rosse huf es erbebt die heide der schlamm spritzt auf an den dolchbehangenen sattelknauf ein köcherumrauschter gewaltiger schwarm hell klirren die spangen an sattel und arm das haupt geneigt auf die struppige mähne die braune faust an gespannter sehne durch den rauschenden regen wild gellt ihr schrei immer mehr immer neue jagen herbei von der heimatlosen unzählbaren schar der der sattel wiege und sterbebett war da endlich die letzten vom völkerheer zerstampft und zertreten die heide umher ein letztes wiehern im winde als spur auf dem schwarzen schlamme ein riemen nur finsterer himmel pfeifender wind wildöde heide der regen rinnt von fern ein schein wie ein brennendes dorf und düsterer glanz auf den lachen im torf |
Alkestis von Rainer Maria Rilke, 1907 „Da plötzlich war der Bote unter ihnen, / hineingeworfen in das Überkochen / des Hochzeitsmahles wie ein neuer Zusatz. / Sie fühlten nicht, die Trinkenden, des Gottes / heimlichen Eintritt, welcher seine Gottheit / so an sich hielt wie einen nassen Mantel“Rainer Maria Rilke |
1907 | 3282 | alkestis von rainer maria rilke da plötzlich war der bote unter ihnen hineingeworfen in das überkochen des hochzeitsmahles wie ein neuer zusatz sie fühlten nicht die trinkenden des gottes heimlichen eintritt welcher seine gottheit so an sich hielt wie einen nassen mantel und ihrer einer schien der oder jener wie er so durchging aber plötzlich sah mitten im sprechen einer von den gästen den jungen hausherrn oben an dem tische wie in die höh gerissen nicht mehr liegend und überall und mit dem ganzen wesen ein fremdes spiegelnd das ihn furchtbar ansprach und gleich darauf als klärte sich die mischung war stille nur mit einem satz am boden von trübem lärm und einem niederschlag fallenden lallens schon verdorben riechend nach dumpfem umgestandenen gelächter und da erkannten sie den schlanken gott und wie er dastand innerlich voll sendung und unerbittlich wußten sie es beinah und doch als es gesagt war war es mehr als alles wissen gar nicht zu begreifen admet muß sterben wann in dieser stunde der aber brach die schale seines schreckens in stücken ab und streckte seine hände heraus aus ihr um mit dem gott zu handeln um jahre um ein einzig jahr noch jugend um monate um wochen um paar tage ach tage nicht um nächte nur um eine um eine nacht um diese nur um die der gott verneinte und da schrie er auf und schries hinaus und hielt es nicht und schrie wie seine mutter aufschrie beim gebären und die trat zu ihm eine alte frau und auch der vater kam der alte vater und beide standen alt veraltet ratlos beim schreienden der plötzlich wie noch nie so nah sie ansah abbrach schluckte sagte vater liegt dir denn viel daran an diesem rest an diesem satz der dich beim schlingen hindert geh gieß ihn weg und du du alte frau matrone was tust du denn noch hier du hast geboren und beide hielt er sie wie opfertiere in einem griff auf einmal ließ er los und stieß die alten fort voll einfall strahlend und atemholend rufend kreon kreon und nichts als das und nichts als diesen namen aber in seinem antlitz stand das andere das er nicht sagte namenlos erwartend wie ers dem jungen freunde dem geliebten erglühend hinhielt übern wirren tisch die alten stand da siehst du sind kein loskauf sie sind verbraucht und schlecht und beinah wertlos du aber du in deiner ganzen schönheit da aber sah er seinen freund nicht mehr er blieb zurück und das was kam war sie ein wenig kleiner fast als er sie kannte und leicht und traurig in dem bleichen brautkleid die andern alle sind nur ihre gasse durch die sie kommt und kommt gleich wird sie da sein in seinen armen die sich schmerzhaft auftun doch wie er wartet spricht sie nicht zu ihm sie spricht zum gotte und der gott vernimmt sie und alle hörens gleichsam erst im gotte ersatz kann keiner für ihn sein ich bins ich bin ersatz denn keiner ist zu ende wie ich es bin was bleibt mir denn von dem was ich hier war das ists ja daß ich sterbe hat sie dirs nicht gesagt da sie dirs auftrug daß jenes lager das da drinnen wartet zur unterwelt gehört ich nahm ja abschied abschied über abschied kein sterbender nimmt mehr davon ich ging ja damit das alles unter dem begraben der jetzt mein gatte ist zergeht sich auflöst so führ mich hin ich sterbe ja für ihn und wie der wind auf hoher see der umspringt so trat der gott fast wie zu einer toten und war auf einmal weit von ihrem gatten dem er versteckt in einem kleinen zeichen die hundert leben dieser erde zuwarf der stürzte taumelnd zu den beiden hin und griff nach ihnen wie im traum sie gingen schon auf den eingang zu in dem die frauen verweint sich drängten aber einmal sah er noch des mädchens antlitz das sich wandte mit einem lächeln hell wie eine hoffnung die beinah ein versprechen war erwachsen zurückzukommen aus dem tiefen tode zu ihm dem lebenden da schlug er jäh die hände vors gesicht wie er so kniete um nichts zu sehen mehr nach diesem lächeln |
Der letzte Graf von Brederode entzieht sich türkischer Gefangenschaft von Rainer Maria Rilke, 1907 „Sie folgten furchtbar; ihren bunten Tod / von ferne nach ihm werfend, während er / verloren floh, nichts weiter als: bedroht. / Die Ferne seiner Väter schien nicht mehr“ |
1907 | 478 | der letzte graf von brederode entzieht sich türkischer gefangenschaft von rainer maria rilke sie folgten furchtbar ihren bunten tod von ferne nach ihm werfend während er verloren floh nichts weiter als bedroht die ferne seiner väter schien nicht mehr für ihn zu gelten denn um so zu fliehn genügt ein tier vor jägern bis der fluß aufrauschte nah und blitzend ein entschluß hob ihn samt seiner not und machte ihn wieder zum knaben fürstlichen geblütes ein lächeln adeliger frauen goß noch einmal süßigkeit in sein verfrühtes vollendetes gesicht er zwang sein roß groß wie sein herz zu gehn sein blutdurchglühtes es trug ihn in den strom wie in sein schloß |
Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine von Rainer Maria Rilke, 1906 „Könige in Legenden / sind wie Berge im Abend. Blenden / jeden zu dem sie sich wenden. / Die Gürtel um ihre Lenden / und die lastenden Mantelenden / sind Länder und Leben wert.“ |
1906 | 2458 | karl der zwölfte von schweden reitet in der ukraine von rainer maria rilke könige in legenden sind wie berge im abend blenden jeden zu dem sie sich wenden die gürtel um ihre lenden und die lastenden mantelenden sind länder und leben wert mit den reichgekleideten händen geht schlank und nackt das schwert ein junger könig aus norden war in der ukraine geschlagen der hasste frühling und frauenhaar und die harfen und was sie sagen der ritt auf einem grauen pferd sein auge schaute grau und hatte niemals glanz begehrt zu füßen einer frau keine war seinem blicke blond keine hat küssen ihn gekonnt und wenn er zornig war so riß er einen perlenmond aus wunderschönem haar und wenn ihn trauer überkam so machte er ein mädchen zahm und forschte wessen ring sie nahm und wem sie ihren bot und hetzte ihr den bräutigam mit hundert hunden tot und er verließ sein graues land das ohne stimme war und ritt in einen widerstand und kämpfte um gefahr bis ihn das wunder überwand wie träumend ging ihm seine hand von eisenband zu eisenband und war kein schwert darin er war zum schauen aufgewacht es schmeichelte die schöne schlacht um seinen eigensinn er saß zu pferde ihm entging keine gebärde rings auf silber sprach jetzt ring zu ring und stimme war in jedem ding und wie in vielen glocken hing die seele jedes dings und auch der wind war anders groß der in die fahnen sprang schlank wie ein panther atemlos und taumelnd vom trompetenstoß der lachend mit ihm rang und manchmal griff der wind hinab da ging ein blutender ein knab welcher die trommel schlug er trug sie immer auf und ab und trug sie wie sein herz ins grab vor seinem toten zug da wurde mancher berg geballt als wär die erde noch nicht alt und baute sich erst auf bald stand das eisen wie basalt bald schwankte wie ein abendwald mit breiter steigender gestalt der großbewegte hauf es dampfte dumpf die dunkelheit was dunkelte war nicht die zeit und alles wurde grau aber schon fiel ein neues scheit und wieder ward die flamme breit und festlich angefacht sie griffen an in fremder tracht ein schwarm phantastischer provinzen wie alles eisen plötzlich lacht von einem silberlichten prinzen erschimmerte die abendschlacht die fahnen flatterten wie freuden und alle hatten königlich in ihren gesten ein vergeuden an fernen flammenden gebäuden entzündeten die sterne sich und nacht war und die schlacht trat sachte zurück wie ein sehr müdes meer das viele fremde tote brachte und alle toten waren schwer vorsichtig ging das graue pferd von großen fäusten abgewehrt durch männer welche fremd verstarben und trat auf flaches schwarzes gras der auf dem grauen pferde saß sah unten auf den feuchten farben viel silber wie zerschelltes glas sah eisen welken helme trinken und schwerter stehn in panzernaht sterbende hände sah er winken mit einem fetzen von brokat und sah es nicht und ritt dem lärme der feldschlacht nach als ob er schwärme mit seinen wangen voller wärme und mit den augen von verliebten |
Kleiner Roman von Erich Mühsam, vor 1934 † „Sie lernte Stenographin. / Er war Engros-Kommis. / Im Speisewagen traf ihn / ein Blick. Er liebte sie.“Erich Mühsam |
1934 | 505 | kleiner roman von erich mühsam sie lernte stenographin er war engroskommis im speisewagen traf ihn ein blick er liebte sie auf einer haltestelle brach man die reise ab woselbst er im hotelle sie als sein weib ausgab nicht viel das man sich fragte doch küßten sie genug und als der morgen tagte ging schon der nächste zug nach einer kurzen stunde fand ihre fahrt den schluß er nahm von ihrem munde noch einen heißen kuß er sah sie schnupftuchwinkend noch stehn zum letztenmal und in sein auge blinkend sich eine träne stahl er soll sie heut noch lieben sie war so drall und jung ihr ist ein kind geblieben und die erinnerung |
Cäsars Tod von Georg Kaiser, vor 1945 † „Rom hieß eine Stadt und alle Römer / hatten in den Adern heißes Blut, / als sie Cäsar einst tyrannisch reizte, / kochte es sofort in Siedeglut.“Georg Kaiser |
1945 | 927 | cäsars tod von georg kaiser rom hieß eine stadt und alle römer hatten in den adern heißes blut als sie cäsar einst tyrannisch reizte kochte es sofort in siedeglut nicht die warnung konnte cäsar hindern hüte vor des märzen iden dich er verfolgte seine frechen ziele und sah schon als herrn der römer sich immer schlimmer schlug ihn die verblendung nur sein wort galt noch im capitol und den weisen rat der senatoren schmähte er gemein und höhnisch kohl da kam stolzes römerblut ins wallen selbst der freund bleibt keinem cäsar treu wenn ihn dieser nur für seine zwecke kalt mißbraucht und sagt es ohne scheu heimlich trafen nachts sich die verschwörer und beredeten voll eifer sich und genau am tag der märzensiden stach ihm brutus den verdienten stich cäsar sank von seinem sitz und stierte seinen mörder an als obs nicht wahr et tu brute rief er auf lateinisch weil sie dort die landessprache war lasse keiner sich vom wahn verführen da er mehr als jeder andre gelt cäsar wollte mit dem schwert regieren und ein messer hat selbst ihn gefällt cäsar wollte mit dem schwert regieren und ein messer hat selbst ihn gefällt |
Der Enkel von Georg Kaiser, vor 1945 † „Er läßt auf seinen Knien den Enkel hocken / und läßt ihn fragen nach dem großen Krieg – / und schildert mit eindringlichem Frohlocken / sei’s Niederlage, sei’s erfochtner Sieg.“ |
1945 | 852 | der enkel von georg kaiser er läßt auf seinen knien den enkel hocken und läßt ihn fragen nach dem großen krieg und schildert mit eindringlichem frohlocken seis niederlage seis erfochtner sieg er spricht von schlachten und von feindestöten und von der heißen lust verschlagner list dem enkel lauschend sich die wangen röten sein sinn die milde gegenwart vergißt von überfällen ist jetzt das erzählen des der sich mehr und mehr erpicht vom untergang in nächtigen kanälen und der vergeltung die sich säumte nicht da trieb man alles was im dorf zusammen den greis die mutter mit dem säugekind und steckt den scheunenpferch in helle flammen und sorgt daß keiner aus der glut entrinnt du konntest das was die im pferch verbrennen der alte lacht hätt ich es nicht gemacht so könntest du nicht spielen springen rennen mich hätt mein ungehorsam umgebracht da rutscht der enkel von den knien sachte stellt totenblaß sich vor den alten dicht zuviel zu sagen wie er ihn verachte und sich speit ihm nur mitten ins gesicht |
Das verstörte Fest von Heinrich Lautensack, vor 1919 † „Alle Uhren wurden angehalten. / Nie mehr werde Tag! hieß die Parole / in dem Saal, der voller Spukgestalten / schwamm im starken Duft der Nachtviole.“Heinrich Lautensack |
1919 | 658 | das verstörte fest von heinrich lautensack alle uhren wurden angehalten nie mehr werde tag hieß die parole in dem saal der voller spukgestalten schwamm im starken duft der nachtviole und die zeit stand still in uhrgehäusen und phantastisch ohne augenlider hingen tausende von fledermäusen kopf nach unten als girlanden nieder zaubrer teufel wichte und lemuren goldner sekt gefror im silberkühler aus der damen kupfernen frisuren streckten nachtinsekten riesenfühler plötzlich sprangen tor und tür entsiegelt und wie graute da den nachtgespenstern von den porphyrsäulen abgespiegelt glomm ein rosa licht in allen fenstern viele flohn unnennbar eingeschüchtert mit den stirnen fast im staub darnieder selbst der trunkenste schien jäh ernüchtert tag ward und die uhren gingen wieder |
Ballade („Ein Narre schrieb drei Zeichen in Sand“) von Georg Trakl, 1909 (?) „Ein Narre schrieb drei Zeichen in Sand, / Eine bleiche Magd da vor ihm stand. / Laut sang, o sang das Meer. // Sie hielt einen Becher in der Hand, / Der schimmerte bis auf zum Rand, / Wie Blut so rot und schwer.“Georg Trakl |
1909 | 337 | ballade von georg trakl ein narre schrieb drei zeichen in sand eine bleiche magd da vor ihm stand laut sang o sang das meer sie hielt einen becher in der hand der schimmerte bis auf zum rand wie blut so rot und schwer kein wort ward gesprochen die sonne schwand da nahm der narre aus ihrer hand den becher und trank ihn leer da löschte sein licht in ihrer hand der wind verwehte drei zeichen im sand laut sang o sang das meer |
Ballade („Ein schwüler Garten stand die Nacht“) von Georg Trakl, 1909 (?) „Ein schwüler Garten stand die Nacht. / Wir verschwiegen uns, was uns grauend erfaßt. / Davon sind unsre Herzen erwacht / Und erlagen unter des Schweigens Last.“ |
1909 | 247 | ballade von georg trakl ein schwüler garten stand die nacht wir verschwiegen uns was uns grauend erfaßt davon sind unsre herzen erwacht und erlagen unter des schweigens last es blühte kein stern in jener nacht und niemand war der für uns bat ein dämon nur hat im dunkel gelacht seid alle verflucht da ward die tat |
Ballade („Es klagt ein Herz: Du findest sie nicht“) von Georg Trakl, 1909 (?) „Es klagt ein Herz: Du findest sie nicht, / Ihre Heimat ist wohl weit von hier, / Und seltsam ist ihr Angesicht! / Es weint die Nacht an einer Tür!“ |
1909 | 351 | ballade von georg trakl es klagt ein herz du findest sie nicht ihre heimat ist wohl weit von hier und seltsam ist ihr angesicht es weint die nacht an einer tür im marmorsaal brennt licht an licht o dumpf o dumpf es stirbt wer hier es flüstert wo o kommst du nicht es weint die nacht an einer tür ein schluchzen noch o säh er das licht da ward es dunkel dort und hier ein schluchzen bruder o betest du nicht es weint die nacht an einer tür |
Die junge Magd von Georg Trakl, 1909/13 „Oft am Brunnen, wenn es dämmert, / Sieht man sie verzaubert stehen / Wasser schöpfen, wenn es dämmert. / Eimer auf und nieder gehen.“ |
1909 | 1973 | die junge magd von georg trakl ludwig von ficker zugeeignet oft am brunnen wenn es dämmert sieht man sie verzaubert stehen wasser schöpfen wenn es dämmert eimer auf und nieder gehen in den buchen dohlen flattern und sie gleichet einem schatten ihre gelben haare flattern und im hofe schrein die ratten und umschmeichelt von verfalle senkt sie die entzundenen lider dürres gras neigt im verfalle sich zu ihren füßen nieder stille schafft sie in der kammer und der hof liegt längst verödet im hollunder vor der kammer kläglich eine amsel flötet silbern schaut ihr bild im spiegel fremd sie an im zwielichtscheine und verdämmert fahl im spiegel und ihr graut vor seiner reine traumhaft singt ein knecht im dunkel und sie starrt von schmerz geschüttelt röte träufelt durch das dunkel jäh am tor der südwind rüttelt nächtens übern kahlen anger gaukelt sie in fieberträumen mürrisch greint der wind im anger und der mond lauscht aus den bäumen balde rings die sterne bleichen und ermattet von beschwerde wächsern ihre wangen bleichen fäulnis wittert aus der erde traurig rauscht das rohr im tümpel und sie friert in sich gekauert fern ein hahn kräht übern tümpel hart und grau der morgen schauert in der schmiede dröhnt der hammer und sie huscht am tor vorüber glührot schwingt der knecht den hammer und sie schaut wie tot hinüber wie im traum trifft sie ein lachen und sie taumelt in die schmiede scheu geduckt vor seinem lachen wie der hammer hart und rüde hell versprühn im raum die funken und mit hilfloser geberde hascht sie nach den wilden funken und sie stürzt betäubt zur erde schmächtig hingestreckt im bette wacht sie auf voll süßem bangen und sie sieht ihr schmutzig bette ganz von goldnem licht verhangen die reseden dort am fenster und den bläulich hellen himmel manchmal trägt der wind ans fenster einer glocke zag gebimmel schatten gleiten übers kissen langsam schlägt die mittagsstunde und sie atmet schwer im kissen und ihr mund gleicht einer wunde abends schweben blutige linnen wolken über stummen wäldern die gehüllt in schwarze linnen spatzen lärmen auf den feldern und sie liegt ganz weiß im dunkel unterm dach verhaucht ein girren wie ein aas in busch und dunkel fliegen ihren mund umschwirren traumhaft klingt im braunen weiler nach ein klang von tanz und geigen schwebt ihr antlitz durch den weiler weht ihr haar in kahlen zweigen |
Die tote Kirche von Georg Trakl, 1909 „Auf dunklen Bänken sitzen sie gedrängt / Und heben die erloschnen Blicke auf / Zum Kreuz. Die Lichter schimmern wie verhängt, / Und trüb und wie verhängt das Wundenhaupt.“ |
1909 | 773 | die tote kirche von georg trakl auf dunklen bänken sitzen sie gedrängt und heben die erloschnen blicke auf zum kreuz die lichter schimmern wie verhängt und trüb und wie verhängt das wundenhaupt der weihrauch steigt aus güldenem gefäß zur höhe auf hinsterbender gesang verhaucht und ungewiß und süß verdämmert wie heimgesucht der raum der priester schreitet vor den altar doch übt mit müdem geist er die frommen bräuche ein jämmerlicher spieler vor schlechten betern mit erstarrten herzen in seelenlosem spiel mit brot und wein die glocke klingt die lichter flackern trüber und bleicher wie verhängt das wundenhaupt die orgel rauscht in toten herzen schauert erinnerung auf ein blutend schmerzensantlitz hüllt sich in dunkelheit und die verzweiflung starrt ihm aus vielen augen nach ins leere und eine die wie aller stimmen klang schluchzt auf indes das grauen wuchs im raum das todesgrauen wuchs erbarme dich unser herr |
Der Gott der Stadt von Georg Heym, 1910 „Auf einem Häuserblocke sitzt er breit. / Die Winde lagern schwarz um seine Stirn. / Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit / Die letzten Häuser in das Land verirrn.“Georg Heym |
1910 | 686 | der gott der stadt von georg heym auf einem häuserblocke sitzt er breit die winde lagern schwarz um seine stirn er schaut voll wut wo fern in einsamkeit die letzten häuser in das land verirrn vom abend glänzt der rote bauch dem baal die großen städte knieen um ihn her der kirchenglocken ungeheure zahl wogt auf zu ihm aus schwarzer türme meer wie korybantentanz dröhnt die musik der millionen durch die straßen laut der schlote rauch die wolken der fabrik ziehn auf zu ihm wie duft von weihrauch blaut das wetter schwält in seinen augenbrauen der dunkle abend wird in nacht betäubt die stürme flattern die wie geier schauen von seinem haupthaar das im zorne sträubt er streckt ins dunkel seine fleischerfaust er schüttelt sie ein meer von feuer jagt durch eine straße und der glutqualm braust und frißt sie auf bis spät der morgen tagt |
Dionysos von Georg Heym, 1910/12 „Am Wege sitzt er. An der Felder Schwelle. / Die Winde, die im weißen Korne spielen, / Sie tragen ihm des Landes Würze zu. // Des Ölbaums grüner Schatten folgt der Sonne. / Im Kreise ziehn am Himmel hin die Stunden. / Nun ward es Mittag. Und der Wind schläft ein.“ |
1910 | 2778 | dionysos von georg heym am wege sitzt er an der felder schwelle die winde die im weißen korne spielen sie tragen ihm des landes würze zu des ölbaums grüner schatten folgt der sonne im kreise ziehn am himmel hin die stunden nun ward es mittag und der wind schläft ein die panther stehen müde im geschirr wo ist ihr goldglanz der von india kam der welt entzücken sie sind alt und matt der gott ist manches jahr herumgestreift verstoßnen sklaven gleich durchs waldgebirge und niemand hat sich seiner mehr erbarmt durch städte kam er wo er einst geherrscht die tempel sind zerstört und schon zerfallen kein opfer netzt den heilgen boden mehr durch dörfer kam er wo sein säulchen sonst mit rosen jeden morgen ward bekränzt und wo der herden erstling er empfing der exorzisten horde in den kutten trieb ihn mit flüchen aus und scheiterhaufen verbrannten seine letzten söhne lang ein neuer gott ist in das land gekommen des kreuzwegs heiligkeit ward frech entweiht von seinem bilde das am kreuze hängt nackt fahl und wund so hängt er in dem tag im goldnen licht des mittags anzuschaun in schandfleck der geschändeten natur wo sind die spiele hin die philosophenschulen heros akademos der männer schönheit wo ist der sang der stolzen olympiaden wo sind die götter hin sie sind verwandelt sie sind zerstreut sie wohnen in der erde o aphrodite die zur spinne ward er sieht herüber zu dem götterberge des eisern haupt ins blau des himmels ragt verlassen ist er einsam alle zeit »warum warum« und seine hände suchen beim weinlaub trost das ihm zu häupten hängt und zitternd streicheln sie das reife korn die tränen rinnen langsam ins gesicht des greisen gottes in den falten hängend und wie ein kind schläft er vom weinen ein dryaden zwei die in den wald geflohn sie treten aus des waldes schatten vor vorsichtig spähn sie über weg und feld sie sehn den gott und stürzen ihm zu fuß o vater vater ach er schläft sie tragen behutsam ihn zum walde schritt vor schritt die panther folgen ihres herren spur der zug verzieht im wald ein goldner schein des wagens schimmert durch die stämme noch doch atemlos und stumm wird die natur »er ist gestorben« ruft es in den dörfern ein heißer ostwind streicht durch asia die pest tritt in die niedren türen ein vorm kruzifix zergeißelt sich das fleisch blut netzt des neuen gottes bleichen fuß kehr wieder gott kehr wieder aus den reich des grünen waldes denn erfüllt ist nun es neuen gottes kummervolles reich der usurpator muß vom throne stürzen die bettlergilde die sich angemaßt der himmlischen paläste zu bespein der himmel ist zum tollhaus nun geworden krankheit und wahnsinn herrschen im olymp drei ward gleich eins und brot ward dort zu fleisch sie passen in die königskleider nicht die zwerge die wie kleine affen hocken im götterpurpur auf der blitze thron kehr wieder gott dem pentheus einst erlag du gott der feste und der jugendzeit kehr wieder aus des waldes grünem reich kehr wieder gott erlösung rufen wir erlöse uns vom kreuz und marterpfahl tritt aus dem walde finde uns bereit wir wo dir wieder tempel bauen herr wir wollen feuer an die kirchen legen vergessen sei des lebens traurigkeit wir flehn zu dir in mancher stillen nacht wir sehen hoffend zu den sternen auf tritt aus den sternen hör das rufen herr |
Ophelia von Georg Heym, 1911 „Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten, / Und die beringten Hände auf der Flut / Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten / Des großen Urwalds, der im Wasser ruht.“ |
1911 | 1647 | ophelia von georg heym im haar ein nest von jungen wasserratten und die beringten hände auf der flut wie flossen also treibt sie durch den schatten des großen urwalds der im wasser ruht die letzte sonne die im dunkel irrt versenkt sich tief in ihres hirnes schrein warum sie starb warum sie so allein im wasser treibt das farn und kraut verwirrt im dichten röhricht steht der wind er scheucht wie eine hand die fledermäuse auf mit dunklem fittich von dem wasser feucht stehn sie wie rauch im dunklen wasserlauf wie nachtgewölk ein langer weißer aal schlüpft über ihre brust ein glühwurm scheint auf ihrer stirn und eine weide weint das laub auf sie und ihre stumme qual korn saaten und des mittags roter schweiß der felder gelbe winde schlafen still sie kommt ein vogel der entschlafen will der schwäne fittich überdacht sie weiß die blauen lider schatten sanft herab und bei der sensen blanken melodien träumt sie von eines kusses karmoisin den ewigen traum in ihrem ewigen grab vorbei vorbei wo an das ufer dröhnt der schall der städte wo durch dämme zwingt der weiße strom der widerhall erklingt mit weitem echo wo herunter tönt hall voller straßen glocken und geläut maschinenkreischen kampf wo westlich droht in blinde scheiben dumpfes abendrot in dem ein kran mit riesenarmen dräut mit schwarzer stirn ein mächtiger tyrann ein moloch drum die schwarzen knechte knien last schwerer brücken die darüber ziehn wie ketten auf dem strom und harter bann unsichtbar schwimmt sie in der flut geleit doch wo sie treibt jagt weit den menschenschwarm mit großem fittich auf ein dunkler harm der schattet über beide ufer breit vorbei vorbei da sich dem dunkel weiht der westlich hohe tag des sommers spät wo in dem dunkelgrün der wiesen steht des fernen abends zarte müdigkeit der strom trägt weit sie fort die untertaucht durch manchen winters trauervollen port die zeit hinab durch ewigkeiten fort davon der horizont wie feuer raucht |
Das Malheur von Franz Werfel, vor 1945 † „Als das Mädchen die Schüssel fallen ließ, blieben alle / Gäste anfangs stumm, / Nur die Hausfrau sagte etwas und drehte sich nicht um. // Das Mädchen aber stand regungslos, wie in unnatürlichen / Schlaf gesenkt, / Krampfhaft die Arme zu einer rettenden Geste verrenkt.“Franz Werfel |
1945 | 701 | das malheur von franz werfel als das mädchen die schüssel fallen ließ blieben alle gäste anfangs stumm nur die hausfrau sagte etwas und drehte sich nicht um das mädchen aber stand regungslos wie in unnatürlichen schlaf gesenkt krampfhaft die arme zu einer rettenden geste verrenkt dem verlegenen mitleid der gäste hatte sich scheues erstaunen zugesellt denn sie sahen plötzlich eine mitten in ein schicksal gestellt kamen schon die stubenmädchen mit tüchern und besen der diener und selbst der herr vom haus sie aber ging ganz wunderschön von kindheit und heimweh hinaus in der küche setzte sie sich auf die kohlenkiste legte die hände in den schoß und weinte vielfach in allen lagen nach aller kunst voll genuß laut und grenzenlos als man dann spät und geräuschvoll abschied nahm war sie es die wie aus ehrfurcht das reichste trinkgeld bekam |
Jesus und der Äser-Weg von Franz Werfel, vor 1945 † „Und als wir gingen von dem toten Hund, / Von dessen Zähnen mild der Herr gesprochen, / Entführte er uns diesem Meeres-Sund / Den Berg empor, auf dem wir keuchend krochen.“ |
1945 | 2175 | jesus und der äserweg von franz werfel und als wir gingen von dem toten hund von dessen zähnen mild der herr gesprochen entführte er uns diesem meeressund den berg empor auf dem wir keuchend krochen und wie der herr zuerst den gipfel trat und wir schon standen auf den letzten sprossen verwies er uns zu füßen pfad an pfad und wege die im sturm zur fläche schössen doch einer war den jeder sanft erfand und leiser jeder sah zu tale fließen und wie der heiland süß sich umgewandt da riefen wir und schrieen wähle diesen er neigte nur das haupt und ging voran indes wir uns verzückten daß wir lebten von luft berührt die grün in grün zerrann von öl und mandel die vorüberschwebten doch plötzlich bäumte sich vor unserem lauf zerfreßne mauer und ein tor inmitten der heiland stieß die dunkle pforte auf und wartete bis wir hindurchgeschritten und da geschah was uns die augen schloß was uns wie stämme auf die stelle pflanzte denn greulich vor uns wildverschlungen floß ein strom von aas auf dem die sonne tanzte verbissene ratten schwammen im gezücht von schlangen halb von schärfe aufgefressen verweste reh und esel und ein licht von pest und fliegen drüber unermessen ein schweflig stinken und so ohne maß aufbrodelte aus den verruchten lachen daß wir uns beugten übers gelbe gras und uns vor uferloser angst erbrachen der heiland aber hob sich auf und schrie und schrie zum himmel rasend ohne ende »mein gott und vater höre mich und wende dies grauen von mir und begnade die ich nannt mich liebe und nun packt mich auch dies würgen vor dem scheußlichsten gesetze ach ich bin eitler als die kleinste metze und schnöder bin ich als der letzte gauch mein vater du so du mein vater bist laß mich doch lieben dies verweste wesen laß mich im aase dein erbarmen lesen ist das denn liebe wo noch ekel ist« und siehe plötzlich brauste sein gesicht von jenen jagden die wir alle kannten und daß wir uns geblendet seitwärts wandten verfing sich seinem scheitel licht um licht er neigte wild sich nieder und vergrub die hände ins verderbliche geziefer und ach von rosen ein geruch ein tiefer von seiner weiße sich erhub er aber füllte seine haare aus mit kleinem aas und kränzte sich mit schleichen aus seinem gürtel hingen hundert leichen von seiner schulter ratt und fledermaus und wie er so im dunkeln tage stand brachen die berge auf und löwen weinten an seinem knie und die zum flug vereinten wildgänse brausten nieder unverwandt vier dunkle sonnen tanzten lind ein breiter strahl war da der nicht versiegte der himmel barst und gottes taube wiegte begeistert sich im blauen riesenwind |
Panther-Ballade von Franz Werfel, vor 1945 † „Als die greise Uhr die letzten Schläge keuchte, / Fühlt‘ ich nah von mir ein heimliches Geleuchte. // Auf zwei Stühlen, hingestreckt vor meinem Lager, / Lag ein Panther, atmend, flankenstark und hager.“ |
1945 | 1643 | pantherballade von franz werfel als die greise uhr die letzten schläge keuchte fühlt ich nah von mir ein heimliches geleuchte auf zwei stühlen hingestreckt vor meinem lager lag ein panther atmend flankenstark und hager blaue flamme schrecks sprang kurz aus meinem munde doch kein blitz fuhr auf in seinem spiegelgrunde nur die haare bebten leicht an seinen ohren daß ich wisse rührst du dich bist du verloren um das tier zu beugen meinem willen warf ich hart den blick ihm wider die pupillen aber seinen blick vermocht ich nicht zu fassen nur das eigne aug begann blau schon zu blassen auf des tieres iris hellumzirkten zonen funkten und erloschen träge elektronen leicht im atemtakt ein schwinden und ein schwellen kam und ging von grünorangenen ätherwellen und aus flut und ebbe dieser klaren feuer trat der kosmen gleichmut kalt und ungeheuer letzter kampf mein menschsein wurde kleiner und sein tiersein mächtiger und reiner bis der angestarrte mann der regungslose unterging in großer tierhypnose doch die katze harrte nur zu siegen nun ich aas war ließ sie links mich liegen sprang hinab und mit gestreckten lenden strich sie lang und lautlos an den zimmerwänden ich anheimgegeben tief dem tiere sprang ihm federnd nach auf alle viere folgte seinem schwingenden gelaßnen wallen leicht und listig setzend meine eignen ballen meine pranken prüften augen wuchsen schiefer leib war weiche sohle nur und kiefer so wie wir im sternlicht um die stube fuhren stiegen auf die untersten naturen und der vor mir schweift der feind der panther war mir meister nun und anverwandter da wie ohne last seitab von unserm hasten setzt er langen schwungs auf einen kleiderkasten ich auch throne schon ein düstrer tiergedanke panthers spiegelbild auf einem gegenschranke und wir starren schön und urgestaltig aug in aug uns herrliche heraldik zwischen unsern felsen aus dem dschungelmoore schießen riesenfarren und die bambusrohre |
Auferstehung von Josef Weinheber, vor 1945 † „Als Magdalena kam zur Gruft, / fand sie die Stelle leer. / Ein fremder Jüngling war und sprach: / „Du findest ihn nicht mehr.““Josef Weinheber |
1945 | 748 | auferstehung von josef weinheber als magdalena kam zur gruft fand sie die stelle leer ein fremder jüngling war und sprach du findest ihn nicht mehr sie hatte keine träne nur die arme sanken ihr drei tag drei lange nächte lang wie klagte ich nach dir da ich dir einst die füße wusch mit meiner tränen quell drang wie ein schwert dein zauberblick in meine wirre seel wie hab ich meinen schoß verflucht und meine brüste braun da ich am weg stand hundertmal dir brennend nachzuschaun wie hat dein mildes manneswort mir bitter wehgetan wer ohne sünde ist mir war ich müßte sterben dran nun bist du fort ich werde nie nie wieder fröhlich sein was rein an mir war ganz zutiefst mein tiefstes herz war dein da ging die sonne strahlend auf über jerusalem und mitten inne stand der herr im goldnen diadem sie hatte keine träne nur die augen schwanden ihr und eine stimme war und sprach ganz nah ich bin bei dir |
Ballade vom kleinen Mann von Josef Weinheber, 1926 (?) „Wie jeden Tag durch die zwanzig Jahr, / die er dient in seinem Büro, / steht er auf, streicht mit den Fingern durchs Haar, / wärmt Kaffee sich auf dem Rechaud,“ |
1926 | 2924 | ballade vom kleinen mann von josef weinheber wie jeden tag durch die zwanzig jahr die er dient in seinem büro steht er auf streicht mit den fingern durchs haar wärmt kaffee sich auf dem rechaud wäscht händ und gesicht fährt rasch in den rock nur im amt nicht unpünktlich sein streicht sich sein brot nimmt hut und stock und läßt sein zimmer allein um die groschen für die straßenbahn krampft er wichtig die hand eh er hält beim tor einen augenblick an um zu schaun nach dem wetterstand geht ein wenig müd denn er schläft nicht gut bis zur straßenbahn die paar schritt mit gesichtern ihm vertraut wie sein hut fährt er verdrossen mit vor dem amtshaus zupft er an kragen und rock verhält sich ein weniges nur und vor seinem schreibtisch im dritten stock sitzt er punkt acht uhr er nimmt seine lausigen akten vor schreibt zufolge und auftragsgemäß macht pause punkt zehn und die feder am ohr ißt er sein brot indes dann schreibt er wieder indem und hieraus bis zeit ist zum mittagstisch die gemeinschaftsküche ist gleich im haus und es stinkt nach rüben und fisch er würgt am schreibtisch den fraß wie ein mann der zuhause besseres hat dann raucht er sich eine pfeife an und gibt der verdauung statt er leiht sich dazu eine zeitung aus vom nächsten kollegen und liest daß eine dame aus gräflichem haus eines knaben genesen ist dann schreibt er von neuem mithin und anbei ganz pflicht und schweigenumweht und endlich ist es auch heute drei und er nimmt seinen hut und geht die sonne scheint blank also fährt er nicht wie sonst auf der straßenbahn er schlendert langsam mit stillem gesicht sieht sich die schaufenster an weicht ängstlich einem betrunkenen aus und staunt nur gibt es das auch schaut ihm kopfschüttelnd nach bis ans letzte haus und spürt den fuselhauch er sieht den mädchen scheu nach der brust und denkt ist nichts für mich lang ist die ehe und teuer die lust und spuckt und räuspert sich jetzt kommt der uhrmacherladen am eck hier verweilt er wie manchen tag und verschlingt mit dem blick seinen ring der am fleck liegt wo er immer lag er geht durch den park und die lindenblüh duftet süß und schwül ein heller tag aus der kindheit früh steht auf einmal vor seinem gefühl es zerstiebt gleich wieder er denkt der schuld die noch beim schneider steht wischt sich den schweiß mit ungeduld schiebt den hut ins genick und geht zuhause empfangen die wände ihn wie er sie morgens verließ er muß die kissen frisch überziehn lüften und jenes und dies der staubwedel rührt mit leichtem schwung an die lautensaiten der klang weckt halb verwehte erinnerung an die zeit wo er jung war und sang du mein gott die jugendeseleien die waren gründlich vorbei schnell holt er eier und wurstzeug ein und brät sich schinken mit ei er ißt aus der pfanne wer sieht es denn lang schwelgend und ohne gier und putzt nachher das geschirr wieder schön mit vielem zeitungspapier dann streicht er sich mehrmals über den bauch sein leiblied kommt ihm zu sinn ja die alten deutschen tranken ja auch und er brummt so halb vor sich hin zieht die uhr und schaut eine zeit an die wand denn die zeit läuft schrecklich leer wenn kein ding und tun die minute bannt und kein mensch ist um einen her und räkelt sich und zählt zweimal sein geld der stammtisch wartet schon dort ist das leben dort ist die welt dort verebbt der tag und die fron er genießt seine üblichen drei achtel wein wie ein bürger gehalten adrett und fällt mit einem seufzer klein punkt zehn in sein einsames bett |
Charlotte Corday von Gertrud Kolmar, vor 1943 † „Die in Schleiern schwebend und geweiht, / Eine aschenblonde Kerze, glomm: / Ihre Augen blühten klar und fromm, / Ihre Hände griffen Dunkelheit;“Gertrud Kolmar |
1943 | 1417 | charlotte corday von gertrud kolmar keine gemeine schändliche hand schnitt seinen lebensfaden ab die mörderin war ein junges mädchen voll weiblicher tugend um sieben uhr kam marieanne charlotte corday zu dem bürger marat restif de la bretonne die in schleiern schwebend und geweiht eine aschenblonde kerze glomm ihre augen blühten klar und fromm ihre hände griffen dunkelheit dunkelheit umschmiegte was sie barg ihres mordes streng erwählte pflicht da sie ohne flackern ihr gesicht leuchtend hinhob an den nahen sarg in den düstern käfig stieg sie hell ach die treppe war so schwer zu gehn jede stufe ward ihr zehnmal zehn alle stufen schwanden viel zu schnell als ihr mut die glocke droben zog schrie das herz schrie wehe ob der hand rief so tönend daß sie nicht verstand wie ihr mund die öffnende belog jenes ernste ungeschmückte weib das den dämon heilig liebte ihn der von flammenkronen widerschien und sie sah das bad den männerleib sah die schulter nackt die breite brust um sein haupt ein wunderliches tuch spürte dünnen arzeneigeruch fand in falbem armutskranken dust linnen wanne brett und tintenfaß federkiel der winkte und sie kam warf vom lid die röte ihrer scham riß ums antlitz blendend ihren haß saß so stark und zitternd zu gericht bot den zettel den er fiebrig griff wiederholte schweigend dieses triff fest sich fassend schon sie wußte nicht daß er groß war aber sie war rein stahl der seine feuerpranke brach sie erglänzte zuckte auch und stach als ein messer blitzend in ihn ein werkzeug gleich umklammert und zerschellt heldin die dem glauben starb er ruht aus der wunde fließt sein herz sein blut über frankreich strömend in die welt |
Dantons Ende von Gertrud Kolmar, vor 1943 † „Was klirrt, was wirbelt, dampft und braust, / Dies Schrein, dies Keuchen, dieses Lallen, / Das riß er würgend in die Faust, / Das zwang er klumpig um zum Ballen, / Den seine Rechte wütend hob;“ |
1943 | 716 | dantons ende von gertrud kolmar was klirrt was wirbelt dampft und braust dies schrein dies keuchen dieses lallen das riß er würgend in die faust das zwang er klumpig um zum ballen den seine rechte wütend hob sein wildes stierhaupt schwoll gelichter er warf den felsen ein zyklop ins antlitz seiner richter und alles säumnis schuld verrat was ihn in kluger schrift verdammte das stieß er mitten in die tat die heiß von seinen lippen flammte er schlang sein leben noch den rest die spritzende zerdrückte traube er hielt die stunde drängend fest hielt ihre rote phrygierhaube ihr schwarzes mähnenhaar gepackt griff ihr den lappen von der flanke er fand sie glühend stark und nackt und schmiß sie zuckend vor die schranke und seine stimme schnob ein meer entstürzte donnernd aus den dämmen geschworne kläger volk und heer wie treibholz wegzuschwemmen |
Ludwig XVI., 1775 von Gertrud Kolmar, vor 1943 † „Der neue Herrscher wird in Reims gekrönt. / Die Glocken läuten. Ein Gefangner stöhnt. // Und Kutschen rollen nach Paris zurück. / Die Hohe Schule wünscht in Ehrfurcht Glück.“ |
1943 | 852 | ludwig xvi 1775 von gertrud kolmar der neue herrscher wird in reims gekrönt die glocken läuten ein gefangner stöhnt und kutschen rollen nach paris zurück die hohe schule wünscht in ehrfurcht glück die knaben singen ein erkorner spricht begrüßend sein lateinisches gedicht ein stipendiat der dürftig und verwaist an königs freitisch brot und bildung speist mit fahlem starrem auge blasser stirn der große duldets seine blicke irrn und ruhen träge aus beim letzten satz er greift ein huldreich wort aus seinem schatz sieht an wirft hin und schiebt mit lässigem schuh dem schüchtern wartenden den brocken zu die lehrer dienern vor und ziehn gewandt das lob die gabe aus des jünglings hand des scher name weder tönt noch blinkt und morgen flügellos in alltag sinkt ein schüler aus arras der herrscher führt die rechte unbewußt zum nacken spürt nichts das ist märchen nein er hört und nickt gleichgültiggnädig lächelt ungeschickt ein mensch mit friedlich dumpfendem gesicht man nennt ihn könig seher ward er nicht |
Robespierre von Gertrud Kolmar, vor 1943 † „Ich will dich rühren mit den Händen, / Ich will dich scharren aus der Gruft. / Steig‘ auf! Du darfst, du darfst nicht enden, / Und wärst du schwebend nur wie Luft, / Unsichtbar hauchend wie ein Wind, / Nur sprachlos glänzend wie die Sterne, / Die starken, die uns ewig ferne / Uns ewig nahe sind.“ |
1943 | 1343 | robespierre von gertrud kolmar ich will dich rühren mit den händen ich will dich scharren aus der gruft steig auf du darfst du darfst nicht enden und wärst du schwebend nur wie luft unsichtbar hauchend wie ein wind nur sprachlos glänzend wie die sterne die starken die uns ewig ferne uns ewig nahe sind ich will dich reißen her dich krallen aus wirrnis aus vergangenheit soll unbeweint in schutt verfallen dein hoffen du gerechtigkeit von haß umstellt von hohn umschrien ein horst für rab und toteneule soll flehend an bekrönter säule der beter nicht mehr knien die rostge kette laß mich lösen die deines kerkers pforte sperrt sie stieß dein bildnis zu den bösen und schuf es fleckig und verzerrt sie pflanzte dir das heuchelwort das scheele giftkraut auf die lippen das wuchernd rankt an grabgerippen und grauenvoll verdorrt sie lehrte dich das mörderlauern die feige sprunggeduckte wut die wollust die in opfers schauern umarmend wie in liebe ruht und trieb dir beute eklen raub in schlau gezwirnte spinnenräder sie gab dir schlangengrün geäder ein hirn voll bücherstaub o daß ich jeden makel wasche der so dein angesicht verdarb ich finde gar nichts du bist asche du glaube der nur einmal starb bestattet ohne auferstehn verbrannt am scheit der neuen tage du keuscher traum und reine sage als narren betteln gehn du glühtest aus so mag ich sammeln verkohlten rest den aschenflug mag töricht fromm aus irdnem stammeln noch formen einen stillen krug der fassen und bewahren darf den segen den einst völker hatten du mehr als mensch du nichts als schatten den eine gottheit warf |
Rue Saint-Honoré von Gertrud Kolmar, vor 1943 † „Als die Karren durch die Straßen fuhren / In die Rue Saint-Honoré, / Sprangen von den Pflastern tausend Huren, / Schön geputzt und gräßlich wie Lemuren; / Ihre Lächeln taten weh,“ |
1943 | 1314 | rue saint honoré von gertrud kolmar als die karren durch die straßen fuhren in die rue saint honoré sprangen von den pflastern tausend huren schön geputzt und gräßlich wie lemuren ihre lächeln taten weh spitze pfeile aus bemalten köchern das geschwellte junge weib und die welke abgenagt und knöchern bleckten bunt und frech aus fensterlöchern männerarme um den leib nackt und glitzernd ritt die goldne jugend schon ihr geiles rosig fettes schwein stand in gassen an den türen lugend zu entehren die erschlagne tugend auf die sterbende zu spein schaum und schmähung brach aus vollem munde auf den blutigen verband auf den blick der über seine wunde hart und elend starrte in die runde doch in nebeln nur empfand daß gendarmensäbel auf ihn zeigte daß der gäule träges ziehn und den tod megärenschar umreigte daß ein haus erbarmend still sich neigte ach sie fiel nicht über ihn diese mauer die sein turm gewesen und ein schlächterkübel stand und ein kind gott weiß wo aufgelesen spritzte froh mit eingetauchtem besen einen langen blutstrahl auf die wand seine lider sanken weiß von schimmel und er war sehr weit aller erde aller hölle allem himmel dieser würmer fressendem gewimmel und sein grab lag halb verschneit bretter pfähle eine scharlachjacke fäuste griffen aus dem knäul fetzten ihm das linnen von der backe sein gesicht zerstürzte rote schlacke troff in grausigem geheul und ein unermeßner jubel hallte drüben ward das grab verweht nur in dämmerdüstrer gassenspalte raunte zittrig eine arme alte für dies sterben ein verrufenes gebet |
Saint-Just von Gertrud Kolmar, vor 1943 † „Einer stand mit blondem, wehndem Haar, / Freiem Nacken auf dem Blutgerüste; / Wüt’ge Gier sprang geifernd aus der Schar / Und zerschlug an seiner Felsenküste.“ |
1943 | 1321 | saint just von gertrud kolmar reißt mir das herz aus dem leibe und freßt es so werdet ihr was ihr nicht seid groß saintjust einer stand mit blondem wehndem haar freiem nacken auf dem blutgerüste wütge gier sprang geifernd aus der schar und zerschlug an seiner felsenküste aller unflat den er hart ertränkt jenes morsche das zerschellt er dachte hüpfte keck empor und spie und lachte heut wirst du gehenkt und er sah was um ihn quoll und schmolz feiges höhnen auswurf grind und fäule trat in seinen kalten klaren stolz und wuchs ein wie in kristallne säule reckte sich ein wenig daß sein sieg seine stirn den müden himmel rührte daß die menge die den anstoß spürte jäh erschauernd schwieg und er wußte heute bin ich tot heute nur doch morgen soll ich leben er empfand noch blau ein weiß ein rot sah der wipfel grünen atem schweben und zu füßen bös geduckt und dumm seichte brunst das kaum bezähmte hecheln blieb in starrem hochmut ohne lächeln wandte ohne hast sich um und starb ruhig einen augenblick als die knechte ihn aufs brett geschoben fuhr das beil durchfletschte sein genick und der henker zeigte aufgehoben dieses haupt mit bleichem offnen lid fahlen sternen mit dem jungen munde der den frühschein erster herrscherstunde sein geheimnis ernst verriet und sie tobten jauchzten schamlos nackt und sie tanzten wie entzückte affen und die tatze die das haupt gepackt warf es rasch ihr tagwerk fortzuschaffen einem korbe hin da fiel es weit in gewässer die es murmelnd flößten sanft ihm blutverklebte locken lösten in die allgerechtigkeit |
Thamar und Juda von Gertrud Kolmar, vor 1943 † „Ich habe mich in Tränen schön gebadet: / O der Hure, die ich nun bin! / Granatfrucht, die geschmückt den Pflücker ladet; / Laubig lockend hängt Schleier über mich hin.“ |
1943 | 828 | thamar und juda von gertrud kolmar ich habe mich in tränen schön gebadet o der hure die ich nun bin granatfrucht die geschmückt den pflücker ladet laubig lockend hängt schleier über mich hin der mantel deckt mich den die nacht der hirten über lammweiden weht und ich bin thamar palme vor den myrten und wenn mein herr mit seinem knaben geht zur schur gen timnath wo gedrängt die schafe ihm wandeln wellig wie ein fluß soll er mich schauen daß er bei mir schlafe der zeugende mit dem ich buhlen muß um diese kinder alle kindeskinder die schon in meiner tiefe weinen nach licht die helden stark und ernst wie hörnige rinder und könige mit meines herrn gesicht so sieh ich will dich stillen mit den lüsten die datteln und dunkle trauben mein wuchs dir bringt mit meinem blauschwarzen haar dem mund den brüsten draus einst die weiße quelle springt es breite doch mein herr über mich seinen schatten er lege bei mir nieder stab und ring und juda zog zur herde auf die matten und kam und tat und sie empfing |