- Ich kenn ein Haus, ein Freudenhaus,
- Es hat geschminkte Wangen,
- Es hängt ein bunter Kranz heraus,
- Drin liegt der Tod gefangen.
- In meinem Mantel trag ich hin
- Biskuit und süße Weine,
- Der Himmel weiß wohl, wer ich bin,
- Die Welt schimpft, was ich scheine.
- Die eine liest mir in der Hand
- Sie will mein Unglück lesen,
- Die andre malt mich an die Wand,
- Und nennt mich holdes Wesen.
- Die dritte weiß sich flink zu drehn
- Es schwindeln mir die Sinne
- Und jede dieser bösen Feen
- Sucht, wie sie mich umspinne.
- Doch dorten auf den Arm gelehnt
- Sitzt eine stumm und weinet,
- Sie hat sich längst mit Gott versöhnt,
- Und sitzet doch und weinet.
- Was will sie noch in diesem Haus,
- Sie muß den Spott erleiden,
- Es zischt der freche Chor sie aus,
- Du kannst uns doch nicht meiden.
- Sie schweigt und weint und trägt den Hohn
- Den schweren Büßerorden.
- Man zuckt die Achseln, kennt sie schon,
- Sie ist zur Närrin worden.
- Doch ich berühr um sie allein
- Die himmelschreinde Schwelle,
- Bei ihr, tret ich zum Saal herein,
- Ist meine feste Stelle.
- Sie achtet’s nicht, sie blickt nicht auf.
- Wenn alle tanzend fliegen,
- Seh ich mit stetem Tränenlauf
- Das bleiche Haupt sie wiegen,
- So hundert Tage ohne Ruh
- Sah ich sie wanken, weinen
- Und sprach, o Weib, welch Kind wiegst du?
- Will denn kein Schlaf erscheinen?
- Du hast dem Leid genug getan,
- Gib mir’s, ich will dir’s tragen.
- Da schrie ihr Blick mich schneidend an,
- Doch konnt ihr Mund nichts sagen,
- Und neulich nachts, um Mitternacht,
- Kam ich mit meiner Laute,
- Die Pforte hat sie aufgemacht,
- Die noch am Fenster schaute.
- Sie zieht mich in den Garten fort,
- Sitzt auf ein Hüglein nieder,
- Gibt keinen Blick und gibt kein Wort,
- Und weinet stille wieder.
- Zu ihren Füßen saß ich hin,
- Und ehrte ihren Kummer,
- Da hat mir Gott ein Lied verliehn,
- Ich sang sie in den Schlummer.
- Ich sang so kindlich, sang so fromm,
- Ach säng ich je so wieder!
- O Ruhe komm, ach Friede komm,
- Küß ihre Augenlider!
- Und da sie schlief, da stieg so hold
- Ein Kindlein aus dem Hügel,
- Trug einen Kranz von Flittergold
- Und einen Taschenspiegel,
- Und brach ein Zweiglein Rosmarin,
- Das ihm am Herzen grünet,
- Und legt‘ es auf die Mutter hin,
- Und sprach: Gott ist versühnet.
- Und wo den Rosmarin es brach,
- Da bluteten zwei Wunden,
- Und als es kaum die Worte sprach,
- Ist es vor mir verschwunden.
- Die Mutter ist nicht mehr erwacht
- Noch schläft sie in dem Garten,
- Ich steh und sing die ganze Nacht,
- Kann wohl den Tag erwarten,
- Da ruft mich Zucht und Ehr und Pflicht
- Aus diesem Haus der Sünde,
- Doch von der Mutter laß ich nicht
- Ob ihrem armen Kinde.
- Es winkt zurück, wenn ich will gehn,
- Sitzt an des Hügels Schwelle,
- Und kann nicht aus dem Spiegel sehn,
- Sein Flitterkranz glänzt helle.
- Es brach das Haus, der Kranz fiel ab,
- Fiel auf den Sarg der Frauen,
- Ich blieb getreu, tät bei dem Grab
- Mir eine Hütte bauen.
- Und daß die Schuld nicht mehr erwacht,
- Will ich da ewig singen,
- Bis Jesus richtend bricht die Nacht,
- Bis die Posaunen klingen.
- Oft mit dem Kind in Sturm und Wind,
- Sing ich auf meinen Knieen,
- O Jesus! du gemordet Kind
- Du hast ja auch verziehen!
- Ein Tröpflein deines Blutes nur
- Laß auf die Mutter fallen,
- Das macht uns rein und klar und pur,
- Daß wir zum Lichte wallen.
Ich kenn ein Haus, ein Freudenhaus
… eine Ballade von Clemens BrentanoIch kenn ein Haus, ein Freudenhaus von Clemens Brentano wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/brentano/ich-kenn-ein-haus-ein-freudenhaus/
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