- Ich will euch erzählen ein Märchen, gar schnurrig:
- Es war mal ein Kaiser; der Kaiser war kurrig;
- Auch war mal ein Abt, ein gar stattlicher Herr;
- Nur schade! sein Schäfer war klüger, als er.
- Dem Kaiser ward’s sauer in Hitz und in Kälte:
- Oft schlief er bepanzert im Kriegesgezelte;
- Oft hatt er kaum Wasser zu Schwarzbrot und Wurst;
- Und öfter noch litt er gar Hunger und Durst.
- Das Pfäfflein, das wußte sich besser zu hegen,
- Und weidlich am Tisch und im Bette zu pflegen.
- Wie Vollmond glänzte sein feistes Gesicht.
- Drei Männer umspannten den Schmerbauch ihm nicht.
- Drob suchte der Kaiser am Pfäfflein oft Hader.
- Einst ritt er, mit reisigem Kriegesgeschwader,
- In brennender Hitze des Sommers vorbei.
- Das Pfäfflein spazierte vor seiner Abtei.
- »Ha«, dachte der Kaiser, »zur glücklichen Stunde!«
- Und grüßte das Pfäfflein mit höhnischem Munde:
- »Knecht Gottes, wie geht’s dir? Mir deucht wohl ganz recht,
- Das Beten und Fasten bekomme nicht schlecht.
- Doch deucht mir daneben, euch plage viel Weile.
- Ihr dankt mir’s wohl, wenn ich euch Arbeit erteile,
- Man rühmet, ihr wäret der pfiffigste Mann,
- Ihr hörtet das Gräschen fast wachsen, sagt man.
- So geb ich denn euren zwei tüchtigen Backen
- Zur Kurzweil drei artige Nüsse zu knacken.
- Drei Monden von nun an bestimm ich zur Zeit.
- Dann will ich auf diese drei Fragen Bescheid.
- Zum ersten: Wann hoch ich, im fürstlichen Rate,
- Zu Throne mich zeige im Kaiserornate,
- Dann sollt ihr mir sagen, ein treuer Wardein,
- Wie viel ich wohl wert, bis zum Heller mag sein?
- Zum zweiten sollt ihr mir berechnen und sagen:
- Wie bald ich zu Rosse die Welt mag umjagen?
- Um keine Minute zu wenig und viel!
- Ich weiß der Bescheid darauf ist euch nur Spiel.
- Zum dritten noch sollst du, o Preis der Prälaten,
- Aufs Härchen mir meine Gedanken erraten.
- Die will ich dann treulich bekennen: allein
- Es soll auch kein Titelchen Wahres dran sein.
- Und könnt ihr mir diese drei Fragen nicht lösen,
- So seid ihr die längste Zeit Abt hier gewesen;
- So laß ich euch führen zu Esel durchs Land,
- Verkehrt, statt des Zaumes, den Schwanz in der Hand.« –
- Drauf trabte der Kaiser mit Lachen von hinnen.
- Das Pfäfflein zerriß und zerspliß sich mit Sinnen.
- Kein armer Verbrecher fühlt mehr Schwulität,
- Der vor hochnotpeinlichem Halsgericht steht.
- Er schickte nach ein, zwei, drei, vier Un’vers’täten,
- Er fragte bei ein, zwei, drei, vier Fakultäten,
- Er zahlte Gebühren und Sportuln vollauf:
- Doch löste kein Doktor die Fragen ihm auf.
- Schnell wuchsen, bei herzlichem Zagen und Pochen,
- Die Stunden zu Tagen, die Tage zu Wochen,
- Die Wochen zu Monden; schon kam der Termin!
- Ihm ward’s vor den Augen bald gelb und bald grün.
- Nun sucht‘ er, ein bleicher hohlwangiger Werther,
- In Wäldern und Feldern die einsamsten Örter.
- Da traf ihn, auf selten betretener Bahn,
- Hans Bendix, sein Schäfer, am Felsenhang an.
- »Herr Abt«, sprach Hans Bendix, »was mögt ihr euch grämen?
- Ihr schwindet ja wahrlich dahin, wie ein Schemen.
- Maria und Joseph! Wie hotzelt ihr ein!
- Mein Sixchen! Es muß euch was angetan sein.« –
- »Ach, guter Hans Bendix, so muß sich’s wohl schicken.
- Der Kaiser will gern mir am Zeuge was flicken,
- Und hat mir drei Nüß auf die Zähne gepackt,
- Die schwerlich Beelzebub selber wohl knackt.
- Zum ersten: Wann hoch er, im fürstlichen Rate,
- Zu Throne sich zeiget, im Kaiserornate,
- Dann soll ich ihm sagen, ein treuer Wardein,
- Wie viel er wohl wert, bis zum Heller mag sein?
- Zum zweiten soll ich ihm berechnen und sagen:
- Wie bald er zu Rosse die Welt mag umjagen?
- Um keine Minute zu wenig und viel!
- Er meint, der Bescheid darauf wäre nur Spiel.
- Zum dritten, ich ärmster von allen Prälaten,
- Soll ich ihm gar seine Gedanken erraten;
- Die will er mir treulich bekennen: allein
- Es soll auch kein Titelchen Wahres dran sein.
- Und kann ich ihm diese drei Fragen nicht lösen,
- So bin ich die längste Zeit Abt hier gewesen;
- So läßt er mich führen zu Esel durchs Land,
- Verkehrt, statt des Zaumes, den Schwanz in der Hand.« –
- »Nichts weiter?« erwidert Hans Bendix mit Lachen,
- »Herr, gebt Euch zufrieden! das will ich schon machen.
- Nur borgt mir Eu’r Käppchen, Eu’r Kreuzchen und Kleid;
- So will ich schon geben den rechten Bescheid.
- Versteh ich gleich nichts von lateinischen Brocken,
- So weiß ich den Hund doch vom Ofen zu locken.
- Was ihr Euch, Gelehrte, für Geld nicht erwerbt,
- Das hab ich von meiner Frau Mutter geerbt.«
- Da sprang, wie ein Böcklein, der Abt vor Behagen.
- Mit Käppchen und Kreuzchen, mit Mantel und Kragen,
- Ward stattlich Hans Bendix zum Abte geschmückt,
- Und hurtig zum Kaiser nach Hofe geschickt.
- Hier thronte der Kaiser im fürstlichen Rate,
- Hoch prangt‘ er, mit Zepter und Kron im Ornate:
- »Nun sagt mir, Herr Abt, als ein treuer Wardein,
- Wie viel ich itzt wert, bis zum Heller, mag sein?« –
- »Für dreißig Reichsgulden ward Christus verschachert;
- Drum gäb ich, so sehr ihr auch pochet und prachert,
- Für euch keinen Deut mehr, als zwanzig und neun,
- Denn einen müßt ihr doch wohl minder wert sein.« –
- »Hum«, sagte der Kaiser, »der Grund läßt sich hören,
- Und mag den durchlauchtigen Stolz wohl bekehren.
- Nie hätt ich, bei meiner hochfürstlichen Ehr!
- Geglaubet, daß so spottwohlfeil ich wär.
- Nun aber sollst du mir berechnen und sagen:
- Wie bald ich zu Rosse die Welt mag umjagen?
- Um keine Minute zu wenig und viel!
- Ist dir der Bescheid darauf auch nur ein Spiel?« –
- »Herr, wenn mit der Sonn ihr früh sattelt und reitet,
- Und stets sie in einerlei Tempo begleitet,
- So setz ich mein Kreuz und mein Käppchen daran,
- In zweimal zwölf Stunden ist alles getan.« –
- »Ha«, lachte der Kaiser, »vortrefflicher Haber!
- Ihr futtert die Pferde mit Wenn und mit Aber,
- Der Mann, der das Wenn und das Aber erdacht,
- Hat sicher aus Häckerling Gold schon gemacht.
- Nun aber zum dritten, nun nimm dich zusammen!
- Sonst muß ich dich dennoch zum Esel verdammen.
- Was denk ich, das falsch ist? das bringe heraus!
- Nur bleib mir mit Wenn und mit Aber zu Haus!« –
- »Ihr denket, ich sei der Herr Abt von St. Gallen.« –
- »Ganz recht! Und das kann von der Wahrheit nicht fallen.« –
- »Sein Diener, Herr Kaiser! Euch trüget eu’r Sinn:
- Denn wißt, daß ich Bendix, sein Schäfer, nur bin!« –
- »Was Henker! Du bist nicht der Abt von St. Gallen?«
- Rief hurtig, als wär er vom Himmel gefallen,
- Der Kaiser mit frohem Erstaunen darein;
- »Wohlan denn, so sollst du von nun an es sein!
- Ich will dich belehnen mit Ring und mit Stabe.
- Dein Vorfahr besteige den Esel und trabe!
- Und lerne fortan erst quid iuris verstehn!
- Denn wenn man will ernten, so muß man auch sä’n.« –
- »Mit Gunsten, Herr Kaiser! Das laßt nur hübsch bleiben!
- Ich kann ja nicht lesen, noch rechnen und schreiben;
- Auch weiß ich kein sterbendes Wörtchen Latein.
- Was Hänschen versäumt holt Hans nicht mehr ein.« –
- »Ach, guter Hans Bendix, das ist ja recht schade!
- Erbitte demnach dir ein‘ andere Gnade!
- Sehr hat mich ergötzet dein lustiger Schwank:
- Drum soll dich auch wieder ergötzen mein Dank.« –
- »Herr Kaiser, groß hab ich so eben nichts nötig:
- Doch seid ihr im Ernst mir zu Gnaden erbötig,
- So will ich mir bitten zum ehrlichen Lohn,
- Für meinen hochwürdigen Herren Pardon.« –
- »Ha bravo! Du trägst, wie ich merke, Geselle,
- Das Herz, wie den Kopf, auf der richtigsten Stelle.
- Drum sei der Pardon ihm in Gnaden gewährt,
- Und obenein dir ein Panisbrief beschert:
- Wir lassen dem Abt von St. Gallen entbieten:
- Hans Bendix soll ihm nicht die Schafe mehr hüten.
- Der Abt soll sein pflegen, nach unserm Gebot,
- Umsonst, bis an seinen sanftseligen Tod.«
Der Kaiser und der Abt
… eine Ballade von Gottfried August BürgerDer Kaiser und der Abt von Gottfried August Bürger wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/buerger/der-kaiser-und-der-abt/
Quelle: https://balladen.net/buerger/der-kaiser-und-der-abt/