Der rechte Barbier

eine Ballade von Adelbert von Chamisso
  1. „Und soll ich nach Philisterart
  2. Mir Kinn und Wange putzen,
  3. So will ich meinen langen Bart
  4. Den letzten Tag noch nutzen;
  5. Ja, ärgerlich, wie ich nun bin,
  6. Vor meinem Groll, vor meinem Kinn
  7. Soll mancher noch erzittern.
  8. Holla! Herr Wirt, mein Pferd! macht fort!
  9. Ihm wird der Hafer frommen.
  10. Habt ihr Barbierer hier im Ort?
  11. Laßt gleich den rechten kommen.
  12. Waldaus, waldein, verfluchtes Land!
  13. Ich ritt die Kreuz und Quer und fand
  14. Doch nirgends noch den rechten.
  15. Tritt her, Bartputzer, aufgeschaut!
  16. Du sollst den Bart mir kratzen,
  17. Doch kitzlig sehr ist meine Haut,
  18. Ich biete hundert Batzen,
  19. Nur, machst du nicht die Sache gut,
  20. Und fließt ein einz’ges Tröpfchen Blut,
  21. Fährt dir mein Dolch in’s Herze.“
  22. Das spitze, kalte Eisen sah
  23. Man auf dem Tische blitzen,
  24. Und dem verwünschten Ding gar nah
  25. Auf seinem Stuhle sitzen
  26. Den grimm’gen schwarzbehaarten Mann
  27. Im schwarzen, kurzen Wams, woran
  28. Noch schwärz’re Troddeln hingen.
  29. Dem Meister wird’s zu grausig fast,
  30. Er will die Messer wetzen,
  31. Er sieht den Dolch, er sieht den Gast,
  32. Es packt ihn das Entsetzen;
  33. Er zittert wie das Espenlaub,
  34. Er macht sich plötzlich aus dem Staub
  35. Und sendet den Gesellen.
  36. „Ein hundert Batzen mein Gebot,
  37. Falls du die Kunst besitzest;
  38. Doch merk‘ es dir, dich stech‘ ich tot,
  39. So du die Haut mir ritzest.“
  40. Und der Gesell: „Den Teufel auch!
  41. Das ist des Landes nicht der Brauch.“
  42. Er läuft und schickt den Jungen.
  43. „Bist du der Rechte, kleiner Molch
  44. Frisch auf, fang‘ an zu schaben!
  45. Hier ist das Geld, hier ist der Dolch,
  46. Das Beides ist zu haben!
  47. Und schneidest, ritzest du mich bloß,
  48. So geb‘ ich dir den Gnadenstoß;
  49. Du wärest nicht der Erste.“
  50. Der Junge denkt der Batzen, druckst
  51. Nicht lang‘ und ruft verwegen:
  52. „Nur still gesessen! nicht gemuckst!
  53. Gott geb‘ euch seinen Segen!“
  54. Er seift ihn ein ganz unverdutzt,
  55. Er wetzt, er stutzt, er kratzt, er putzt:
  56. „Gottlob! nun seid ihr fertig!“
  57. „Nimm kleiner Knirps, dein Geld nur hin;
  58. Du bist ein wahrer Teufel!
  59. Kein And’rer mochte den Gewinn,
  60. Du hegtest keinen Zweifel,
  61. Es kam das zittern dich nicht an,
  62. Und wenn ein Tröpflein Blutes rann,
  63. So stach ich dich doch nieder!“
  64. „Ei, guter Herr, so stand es nicht!
  65. Ich hielt euch an der Kehle,
  66. Verzucktet ihr nur das Gesicht
  67. Und ging der Schnitt mir fehle,
  68. So ließ ich euch dazu nicht Zeit,
  69. Entschlossen war ich und bereit,
  70. Die Kehl‘ euch abzuschneiden.“
  71. „So, so! ein ganz verwünschter Spaß!“
  72. Dem Herrn ward’s unbehaglich,
  73. Er wurd‘ auf einmal leichenblaß
  74. Und zitterte nachträglich:
  75. „So, so! das hatt‘ ich nicht bedacht,
  76. Doch hat es Gott noch gut gemacht;
  77. Ich will’s mir aber merken.“
Der rechte Barbier von Adelbert von Chamisso wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/chamisso/der-rechte-barbier/