- Es ragt umkrönt von Türmen empor aus dunklem Forst
- Ein steiler luft’ger Felsen, das ist der Raubherrn Horst,
- Und wie aus blauen Lüften der Aar auf seinen Fang,
- So schießen sie auf Beute von dort das Tal entlang.
- Drei Brüder sind’s, auf Straßen zu Roß in blankem Stahl,
- In Hermelin und Purpur daheim im Rittersaal,
- In Blut und Lust und Sünden, in Stolz und Üppigkeit,
- So schwelgen sie und prassen gefürchtet weit und breit.
- Und ihre freche Buhle weiß nicht, wie Hunger tut;
- Sie prunkt in Gold und Seide und tritt aus Frevelmut
- Die heil’ge Gottesgabe verächtlich in den Kot,
- Sie geht einher auf Schuhen von feinem Weizenbrot.
- Der Wächter hat gerufen: »Auf, Ritter, auf! zu Roß!
- Von Reisigen erscheinet ein staubumwölkter Troß,
- Das sind die fremden Kaufherrn, das ist der reiche Zug,
- Die führen wenig Eisen, doch rotes Gold genug.«
- »Vergeßt nicht eure Buhle«, ruft ihnen nach die Maid,
- »Schafft Gold und Edelsteine, schafft funkelndes Geschmeid,
- Versorgt mit Singevögeln aufs neu den Rosenhag,
- Daß sich an ihrem Zwitschern mein Ohr erfreuen mag.«
- Und bald mit Jubel ziehen sie wieder Burg hinan,
- Vor ihnen die Gefangnen gebunden Mann für Mann. –
- »Wir bringen dir die Vögel, die du begehret hast,
- Im Rosenhag zu zwitschern, und Goldes manche Last.«
- Der Rosenhag: tief öffnet und eng sich eine Gruft,
- Das Burgverlies, es steiget empor der Leichen Duft,
- Tief unten gähnt der Abgrund, ein jäher Felsenspalt,
- Kein andrer Ausgang führet aus diesem Aufenthalt.
- Da galt es zu verhungern. Der Angstruf, welcher drang
- Aus diesem Schreckensschlunde, das war der Vogelsang;
- Und wenn hinab sich stürzte, am Felsen sich zerschlug
- Verzweiflungsvoll ein Opfer, das war der Vogelflug.
- Sie stießen nun die Armen hinab in diesen Graus,
- Da rief ein Greis, ein Priester, noch händeringend aus:
- »Weh über euch, ihr Toren! die ihr verblendet seid,
- Einst werden solche Werke mehr euch, denn uns, noch leid!«
- Da rief ein Ritter grimmig: »Nun – Blutschuld, Sinnenlust?
- Ich bin der eignen Werke vollkommen mir bewußt;
- Ich will darüber brüten, bei meinem teuren Eid!
- Bis zu dem Weltgerichte, sie werden mir nicht leid.«
- Da rief der andre höhnend: »Du willst der Rabe sein?
- Die Sorg um meine Werke, so wie die Lust ist mein;
- Ich selber will sie tragen, bei meinem teuren Eid!
- Bis zu dem jüngsten Tage, sie werden mir nicht leid.«
- Da rief der dritte lachend: »Hinunter in den Schlund,
- Als Nachtigall zu singen, der hier gebellt als Hund;
- Ich trage meine Werke, bei meinem teuren Eid!
- Bis an den Tag der Tage, sie werden mir nicht leid.«
- Wie frevelnd ihren Lippen das schnelle Wort entflohn,
- Entgegnet aus der Tiefe ein Wehgeschrei dem Hohn,
- Und »Amen!« ruft die Buhle, die höllisch gellend lacht;
- Da schallt und rollt der Donner, der Felsen wankt und kracht.
- Und jene kreischt verwandelt, es rauscht der Flügelschlag,
- Sie schwingt sich in die Lüfte, verfinstert wird der Tag,
- Die Erde flammensprühend eröffnet ihren Mund,
- Und wie die Burg versunken, so ebnet sich der Grund.
- Du forschest nach der Stätte, wo einst die stolze stand,
- Du fragest nach den Namen, wie jene sonst benannt? –
- Vergebliches Beginnen, es waltet das Gericht;
- Vergessen und verschollen, die Sage weiß es nicht.
Die versunkene Burg
… eine Ballade von Adelbert von ChamissoDie versunkene Burg von Adelbert von Chamisso wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/chamisso/die-versunkene-burg/
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