- Sie haben zwei Todte zur Ruhe gebracht;
- Der Hauptmann fiel in rühmlicher Schlacht,
- Mit Ehren ward er beigesetzt,
- Und der, den jüngst er wacker gehetzt,
- Der Räuber hängt am Galgen.
- Da hält die Wacht als Schildergast
- Ein junger Landsknecht, verdrießlich fast;
- Die Nacht ist kalt, er flucht und friert,
- Und wird ihm geraubt, der den Galgen ziert,
- So muß für ihn er hangen.
- Im Grabgewölb‘ bei des Hauptmanns Leib
- Verweilt verzweiflungsvoll sein Weib,
- Sie hat geschworen in bitt’rer Noth,
- Für ihn zu sterben den Hungertod;
- Die Amme, zur Gesellschaft.
- Die Amme spricht: Gebieterin,
- Ich habe geschworen nach eurem Sinn;
- Beklagt und lobt den sel’gen Herrn,
- Da stimm‘ ich mit ein, von Herzen gern,
- Doch plagt mich sehr der Hunger.
- Er war, so alt er war, gar gut,
- Nicht eifersüchtig, von sanftem Muth;
- Ach, edle Frau, ihr findet zwar
- Den Zweiten nicht, wie der Erste war,
- Doch plagt mich sehr der Hunger.
- Euch war’s, es ist mir wohl bewußt,
- Ein harter Schlag, ein großer Verlust;
- Doch seid ihr noch schön, doch seid ihr noch jung,
- Und könntet noch haben der Freude genung;
- Es plagt mich sehr der Hunger!
- Die Amme so; und stumm beharrt
- Die edle Frau im Schmerz erstarrt,
- Erloschen scheint der Augen Licht,
- Sie klaget nicht, sie weinet nicht,
- Es plagt sie sehr der Hunger.
- Und draußen bläst der Wind gar scharf;
- Der Landsknecht läuft, so weit er darf,
- Indem er sich zu erwärmen sucht;
- Und wie er läuft, und wie er flucht,
- So sieht ein Licht er schimmern.
- Von wannen mag der Schimmer sein?
- Er schleicht hinzu, er tritt hinein:
- Gegrüßet mir, ihr edle Frau’n;
- Wie muß ich hier im Grabe schau’n
- So hoher Schönheit Schimmer!
- So staunend er; und stumm beharrt
- Die edle Frau im Schmerz erstarrt,
- Erloschen scheint der Augen Licht,
- Sie klaget nicht, sie weinet nicht,
- Es plagt sie sehr der Hunger.
- Die Amme drauf: das seht ihr ja,
- Wir trauern um den Todten da;
- Wir haben geschworen in bitt’rer Noth,
- Für ihn zu sterben den Hungertod,
- Es plagt mich sehr der Hunger.
- Drauf er: das ist nicht wohlgethan,
- Und hilft zu nichts dem todten Mann.
- So schön! so jung! ihr seid nicht klug,
- Es hat die Welt der Freude genug;
- Entsetzlich nagt der Hunger!
- Ich sage nur: ihr Frauen sollt
- Mich essen seh’n, dann thun, was ihr wollt.
- Hier hab‘ ich Brot, hier hab‘ ich Wurst,
- Hier eine Flasche für den Durst;
- Es plagt auch mich der Hunger.
- Und wie er thut, was er gesagt,
- Und ihm so wohl das Essen behagt,
- Da sinkt der Alten ganz der Muth:
- Ach! edle Frau, das schmeckt so gut!
- Und, ach! mich plagt der Hunger!
- D’rauf er: so eßt, ich habe für zwei
- Genug, und habe genug für drei,
- Ich esse sonst allein für vier;
- So eßt und trinkt getrost mit mir;
- Das hilft schon für den Hunger.
- Die Amme versucht, auf gutes Glück,
- Ein Stückchen erst und dann ein Stück;
- Sie sieht der Herrin in’s Angesicht;
- Sie klaget nicht, sie weinet nicht,
- Es plagt sie sehr der Hunger.
- Ach, edle Frau, das schmeckt so gut,
- Ihr wißt schon, wie der Hunger thut,
- Was hat davon euer Herr Gemahl?
- Es sei genug für dieses Mal,
- Entsetzlich nagt der Hunger!
- Er tritt zu ihr: versucht es nur.
- Sie aber spricht: mein Schwur! mein Schwur!
- Und stößt ihn dennoch nicht zurück,
- Sie nimmt ein Stückchen und dann ein Stück,
- Das hilft denn für den Hunger.
- Er fällt vor ihr auf seine Knie:
- Ich sah ein schöneres Weib noch nie,
- Nur sollt ihr hinfort mir klüger sein.
- Nun muß ich gehen, gedenket mein,
- Ich komme morgen wieder;
- Nichts da von Lebensüberdruß!
- Er spricht’s und raubt ihr einen Kuß,
- Und stürzt hinaus, er ist schon fort;
- Die Alte ruft: so halt‘ auch Wort,
- Du lieber, lieber Landsknecht!
- Und ferner spricht sie zu der Frau:
- Bedenk‘ ich, Herrin, die Sache genau,
- Er hat es gar nicht schlecht gemacht,
- Und uns auf guten Weg gebracht,
- Der liebe, liebe Landsknecht!
- Sie sagt nicht nein, sie sagt nicht ja,
- Sie steht betroffen, erröthend da,
- Giebt ihren Thränen freien Lauf,
- Und seufzet leiserathmend auf:
- Du lieber, lieber Landsknecht!
- Der Landsknecht aber verwundert sich sehr,
- Er steht vor dem Galgen und der steht leer.
- Blitz Hagel! das war mein Henkersschmaus;
- Den Platz da füll‘ ich morgen noch aus!
- Ich armer, armer Landsknecht!
- Er läuft zurück: nun schafft auch Rath,
- Sonst muß ich hangen; ich kam zu spat.
- Sie fragen ihn aus; wie er alles gesagt,
- Da weint die edle Frau und klagt:
- Du armer, lieber Landsknecht!
- Die Alte spricht: Geduld! Geduld!
- Ich wasch‘ ihn rein von aller Schuld;
- Er hat uns errettet, das wißt ihr doch,
- Versteht mich, Frau, was zaudern wir noch?
- Du lieber, lieber Landsknecht!
- Man hat ihm seinen Todten geraubt,
- Wir haben auch Einen, wenn ihr es erlaubt,
- Gebt ihm den Unsern, gebt euren Schatz,
- Der füllt, wie Einer, seinen platz.
- Du lieber, lieber Landsknecht!
- Und wer betrachtet’s scharf genug,
- Daß er entdecke den Betrug?
- Frisch angefaßt und schnell an’s Werk!
- Daß keiner dort den Mangel merk‘.
- Du lieber, lieber Landsknecht!
- Wie er die Hand an den Todten legt,
- Da ruft der Landsknecht tief bewegt:
- Mein Hauptmann! was? du bist es fürwahr!
- Nun bring‘ ich dich an den Galgen gar!
- Du lieber, guter Hauptmann!
- Die Frau versetzt: was zauderst du?
- Geschwind! sonst kommen noch Leute dazu,
- Geschwind! ich helfe, was ich kann,
- Geschwind! geschwind! du lieber Mann,
- Du lieber, lieber Landsknecht!
- Und er darauf: es geht nicht an;
- Dem Räuber fehlt ein Vorder-Zahn.
- Da nimmt sie selber einen Stein
- Und schlägt den Zahn dem Todten ein:
- Du lieber, lieber Landsknecht!
- So schleifen hinaus ihn alle drei
- Und hängen ihn an den Galgen frei;
- Und streift nun der Wind die Heide entlang,
- So geben die Knochen gar guten Klang
- Zum Lied‘ von der Weibertreue.
Ein Lied von der Weibertreue
… eine Ballade von Adelbert von ChamissoEin Lied von der Weibertreue von Adelbert von Chamisso wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/chamisso/ein-lied-von-der-weibertreue/
Quelle: https://balladen.net/chamisso/ein-lied-von-der-weibertreue/