- Ich steh‘ auf hohem Balkone am Turm,
- Umstrichen vom schreienden Stare,
- Und lass‘ gleich einer Mänade den Sturm
- Mir wühlen im flatternden Haare;
- O wilder Geselle, o toller Fant,
- Ich möchte dich kräftig umschlingen,
- Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
- Auf Tod und Leben dann ringen!
- Und drunten seh‘ ich am Strand, so frisch
- Wie spielende Doggen, die Wellen
- Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch,
- Und glänzende Flocken schnellen.
- O, springen möcht‘ ich hinein alsbald,
- Recht in die tobende Meute,
- Und jagen durch den korallenen Wald
- Das Walroß, die lustige Beute!
- Und drüben seh ich ein Wimpel wehn
- So keck wie eine Standarte,
- Seh auf und nieder den Kiel sich drehn
- Von meiner luftigen Warte;
- O, sitzen möcht‘ ich im kämpfenden Schiff,
- Das Steuerruder ergreifen,
- Und zischend über das brandende Riff
- Wie eine Seemöve streifen.
- Wär‘ ich ein Jäger auf freier Flur,
- Ein Stück nur von einem Soldaten,
- Wär‘ ich ein Mann doch mindestens nur,
- So würde der Himmel mir raten;
- Nun muß ich sitzen so fein und klar,
- Gleich einem artigen Kinde,
- Und darf nur heimlich lösen mein Haar,
- Und lassen es flattern im Winde!
Am Turme
… eine Ballade von Annette von Droste-HülshoffAm Turme von Annette von Droste-Hülshoff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/am-turme/
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