- Wo der selige Himmel, das wissen wir nicht,
- Und nicht, wo der greuliche Höllenschlund,
- Ob auch die Wolke zittert im Licht,
- Ob siedet und qualmet Vulkanes Mund;
- Doch wo die westfälischen Edeln müssen
- Sich sauber brennen ihr rostig Gewissen,
- Das wissen wir alle, das ward uns kund.
- Grau war die Nacht, nicht öde und schwer,
- Ein Aschenschleier hing in der Luft;
- Der Wanderbursche schritt flink einher,
- Mit Wollust saugend den Heimatduft;
- O bald, bald wird er schauen sein Eigen,
- Schon sieht am Lutterberge er steigen
- Sich leise schattend die schwarze Kluft.
- Er richtet sich, wie Trompetenstoß
- Ein Holla ho! seiner Brust entsteigt –
- Was ihm im Nacken? ein schnaubend Roß,
- An seiner Schulter es rasselt, keucht,
- Ein Rappe – grünliche Funken irren
- Über die Flanken, die knistern und knirren,
- Wie wenn man den murrenden Kater streicht.
- »Jesus Maria!« – er setzt seitab,
- Da langt vom Sattel es überzwerch –
- Ein eherner Griff, und in wüstem Trab
- Wie Wind und Wirbel zum Lutterberg!
- An seinem Ohre hört er es raunen
- Dumpf und hohl, wie gedämpfte Posaunen,
- So an ihm raunt der gespenstige Scherg‘:
- »Johannes Deweth! ich kenne dich!
- Johann! du bist uns verfallen heut‘!
- Bei deinem Heile, nicht lach‘ noch sprich,
- Und rühre nicht an was man dir beut;
- Vom Brote nur magst du brechen in Frieden,
- Ewiges Heil ward dem Brote beschieden,
- Als Christus in froner Nacht es geweiht!« –
- Ob mehr gesprochen, man weiß es nicht,
- Da seine Sinne der Bursche verlor,
- Und spät erst hebt er sein bleiches Gesicht
- Vom Estrich einer Halle empor;
- Um ihn Gesumme, Geschwirr, Gemunkel,
- Von tausend Flämmchen ein mattes Gefunkel,
- Und drüber schwimmend ein Nebelflor.
- Er reibt die Augen, er schwankt voran,
- An hundert Tischen, die Halle entlang,
- All‘ edle Geschlechter, so Mann an Mann;
- Es rühren die Gläser sich sonder Klang,
- Es regen die Messer sich sonder Klirren,
- Wechselnde Reden summen und schwirren,
- Wie Glockengeläut, ein wirrer Gesang.
- Ob jedem Haupte des Wappens Glast,
- Das langsam schwellende Tropfen speit,
- Und wenn sie fallen, dann zuckt der Gast,
- Und drängt sich einen Moment zur Seit‘;
- Und lauter, lauter dann wird das Rauschen,
- Wie Stürme die zornigen Seufzer tauschen,
- Und wirrer summet das Glockengeläut.
- Strack steht Johann wie ein Lanzenknecht,
- Nicht möchte der gleißenden Wand er traun,
- Noch wäre der glimmernde Sitz ihm recht,
- Wo rutschen die Knappen mit zuckenden Braun
- Da muß, o Himmel, wer sollt‘ es denken!
- Den frommen Herrn, den Friedrich von Brenken,
- Den alten stattlichen Ritter, er schaun.
- »Mein Heiland, mach‘ ihn der Sünden bar!«
- Der Jüngling seufzet in schwerem Leid;
- Er hat ihm gedient ein ganzes Jahr;
- Doch ungern kredenzt er den Becher ihm heut!
- Bei jedem Schlucke sieht er ihn schüttern,
- Ein blaues Wölkchen dem Schlund entzittern,
- Wie wenn auf Kohlen man Weihrauch streut.
- O manche Gestalt noch dämmert ihm auf,
- Dort sitzt sein Pate, der Metternich,
- Und eben durch den wimmelnden Hauf
- Johann von Spiegel, der Schenke, strich;
- Prälaten auch, je viere und viere,
- Sie blättern und rispeln im grauen Breviere,
- Und zuckend krümmen die Finger sich.
- Und unten im Saale, da knöcheln frisch
- Schaumburger Grafen um Leut‘ und Land,
- Graf Simon schüttelt den Becher risch,
- Und reibt mitunter die knisternde Hand;
- Ein Knappe nahet, er surret leise –
- Ha, welches Gesumse im weiten Kreise,
- Wie hundert Schwärme an Klippenrand!
- »Geschwind den Sessel, den Humpen wert,
- Den schleichenden Wolf geschwinde herbei!«
- Horch, wie es draußen rasselt und fährt!
- Barhaupt stehet die Massonei,
- Hundert Lanzen drängen nach binnen,
- Hundert Lanzen und mitten darinnen
- Der Asseburger, der blutige Weih!
- Und als ihm alles entgegenzieht,
- Da spricht Johannes ein Stoßgebet:
- Dann risch hinein! sein Ärmel sprüht,
- Ein Funken über die Finger ihm geht.
- Voran – da »sieben« schwirren die Lüfte
- »Sieben, sieben, sieben,« die Klüfte,
- »In sieben Wochen, Johann Deweth!«
- Der sinkt auf schwellenden Rasen hin,
- Und schüttelt gegen den Mond die Hand,
- Drei Finger die bröckeln und stäuben hin,
- Zu Asch‘ und Knöchelchen abgebrannt.
- Er rafft sich auf, er rennt, er schießet,
- Und, ach, die Vaterklause begrüßet
- Ein grauer Mann, von keinem gekannt,
- Der nimmer lächelt, nur des Gebets
- Mag pflegen drüben im Klosterchor,
- Denn »sieben, sieben«, flüstert es stets,
- Und »sieben Wochen« ihm in das Ohr.
- Und als die siebente Woche verronnen,
- Da ist er versiegt wie ein dürrer Bronnen,
- Gott hebe die arme Seele empor!
Das Fegefeuer des westfälischen Adels
… eine Ballade von Annette von Droste-HülshoffDas Fegefeuer des westfälischen Adels von Annette von Droste-Hülshoff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/das-fegefeuer-des-westfaelischen-adels/
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