- Sind denn so schwül die Nächt‘ im April?
- Oder ist so siedend jungfräulich Blut?
- Sie schließt die Wimper, sie liegt so still,
- Und horcht des Herzens pochender Flut.
- »O, will es denn nimmer und nimmer tagen!
- O, will denn nicht endlich die Stunde schlagen!
- Ich wache, und selbst der Zeiger ruht!
- Doch horch! es summt, eins, zwei und drei, –
- Noch immer fort? – sechs, sieben und acht,
- Elf, zwölf, – o Himmel, war das ein Schrei?
- Doch nein, Gesang steigt über der Wacht,
- Nun wird mir’s klar, mit frommem Munde
- Begrüßt das Hausgesinde die Stunde,
- Anbrach die hochheilige Osternacht.«
- Seitab das Fräulein die Kissen stößt,
- Und wie eine Hinde vom Lager setzt,
- Sie hat des Mieders Schleifen gelöst,
- Ins Häubchen drängt sie die Locken jetzt,
- Dann leise das Fenster öffnend, leise,
- Horcht sie der mählich schwellenden Weise,
- Vom wimmernden Schrei der Eule durchsetzt.
- O dunkel die Nacht! und schaurig der Wind!
- Die Fahnen wirbeln am knarrenden Tor, –
- Da tritt aus der Halle das Hausgesind‘
- Mit Blendlaternen und einzeln vor.
- Der Pförtner dehnet sich, halb schon träumend,
- Am Dochte zupfet der Jäger säumend,
- Und wie ein Oger gähnet der Mohr.
- Was ist? – wie das auseinander schnellt!
- In Reihen ordnen die Männer sich,
- Und eine Wacht vor die Dirnen stellt
- Die graue Zofe sich ehrbarlich,
- »Ward ich gesehn an des Vorhangs Lücke?
- Doch nein, zum Balkone starren die Blicke,
- Nun langsam wenden die Häupter sich.
- O weh meine Augen! bin ich verrückt?
- Was gleitet entlang das Treppengeländ?
- Hab‘ ich nicht so aus dem Spiegel geblickt?
- Das sind meine Glieder, – welch ein Geblend‘!
- Nun hebt es die Hände, wie Zwirnes Flocken,
- Das ist mein Strich über Stirn und Locken!
- Weh, bin ich toll, oder nahet mein End‘?«
- Das Fräulein erbleicht und wieder erglüht,
- Das Fräulein wendet die Blicke nicht,
- Und leise rührend die Stufen zieht
- Am Steingelände das Nebelgesicht,
- In seiner Rechten trägt es die Lampe,
- Ihr Flämmchen zittert über der Rampe,
- Verdämmernd, blau, wie ein Elfenlicht.
- Nun schwebt es unter dem Sternendom,
- Nachtwandlern gleich in Traumes Geleit,
- Nun durch die Reihen zieht das Phantom,
- Und jeder tritt einen Schritt zur Seit‘. –
- Nun lautlos gleitet’s über die Schwelle, –
- Nun wieder drinnen erscheint die Helle,
- Hinauf sich windend die Stiegen breit.
- Das Fräulein hört das Gemurmel nicht,
- Sieht nicht die Blicke, stier und verscheucht,
- Fest folgt ihr Auge dem bläulichen Licht
- Wie dunstig über die Scheiben es streicht.
- – Nun ist’s im Saale – nun im Archive –
- Nun steht es still an der Nische Tiefe –
- Nun matter, matter, – ha! es erbleicht!
- »Du sollst mir stehen! ich will dich fahn!«
- Und wie ein Aal die beherzte Maid
- Durch Nacht und Krümmen schlüpft ihre Bahn,
- Hier droht ein Stoß, dort häkelt das Kleid,
- Leis tritt sie, leise, o Geistersinne
- Sind scharf! daß nicht das Gesicht entrinne!
- Ja, mutig ist sie, bei meinem Eid!
- Ein dunkler Rahmen, Archives Tor;
- – Ha, Schloß und Riegel! – sie steht gebannt,
- Sacht, sacht das Auge und dann das Ohr
- Drückt zögernd sie an der Spalte Rand,
- Tiefdunkel drinnen – doch einem Rauschen
- Der Pergamente glaubt sie zu lauschen,
- Und einem Streichen entlang der Wand.
- So niederkämpfend des Herzens Schlag,
- Hält sie den Odem, sie lauscht, sie neigt –
- Was dämmert ihr zur Seite gemach?
- Ein Glühwurmleuchten – es schwillt, es steigt,
- Und Arm an Arm, auf Schrittes Weite,
- Lehnt das Gespenst an der Pforte Breite,
- Gleich ihr zur Nachbarspalte gebeugt.
- Sie fährt zurück, – das Gebilde auch –
- Dann tritt sie näher – so die Gestalt –
- Nun stehen die beiden, Auge in Aug‘,
- Und bohren sich an mit Vampyres Gewalt.
- Das gleiche Häubchen decket die Locken,
- Das gleiche Linnen, wie Schnees Flocken,
- Gleich ordnungslos um die Glieder wallt.
- Langsam das Fräulein die Rechte streckt,
- Und langsam, wie aus der Spiegelwand,
- Sich Linie um Linie entgegenreckt
- Mit gleichem Rubine die gleiche Hand;
- Nun rührt sich’s – die Lebendige spüret
- Als ob ein Luftzug schneidend sie rühret,
- Der Schemen dämmert, – zerrinnt – entschwand.
- Und wo im Saale der Reihen fliegt,
- Da siehst ein Mädchen du, schön und wild,
- – Vor Jahren hat’s eine Weile gesiecht –
- Das stets in den Handschuh die Rechte hüllt.
- Man sagt, kalt sei sie wie Eises Flimmer,
- Doch lustig die Maid, sie hieß ja immer:
- »Das tolle Fräulein von Rodenschild.«
Das Fräulein von Rodenschild
… eine Ballade von Annette von Droste-HülshoffDas Fräulein von Rodenschild von Annette von Droste-Hülshoff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/das-fraeulein-von-rodenschild/
Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/das-fraeulein-von-rodenschild/