- Im Westen schwimmt ein falber Strich,
- Der Abendstern entzündet sich
- Grad‘ überm Sankt Georg am Tore;
- Schwer haucht der Dunst vom nahen Moore.
- Schlaftrunkne Schwäne kreisen sacht
- Ums Eiland, wo die graue Wacht
- Sich hebt aus Wasserbins‘ und Rohre.
- Auf ihrem Dach die Fledermaus,
- Sie schaukelt sich, sie breitet aus
- Den Rippenschirm des Schwingenflosses,
- Und, mit dem Schwirren des Geschosses,
- Entlang den Teich, hinauf, hinab,
- Dann klammert sie am Fensterstab,
- Und blinzt in das Gemach des Schlosses.
- Ein weit Gelaß, im Sammetstaat,
- Wo einst der mächtige Prälat
- Des Hauses Chronik hat geschrieben.
- Frisch ist der Baldachin geblieben,
- Der güldne Tisch, an dem er saß,
- Und seine Seelenmesse las
- Man heut in der Kapelle drüben.
- Heut sind es grade hundert Jahr,
- Seit er gelegen auf der Bahr‘
- Mit seinem Kreuz und Silberstabe.
- Die ew’ge Lamp‘ an seinem Grabe
- Hat heute hundert Jahr gebrannt.
- In seinem Sessel an der Wand
- Sitzt heut ein schlichter alter Knabe.
- Des Hauses Diener, Sigismund,
- Harrt hier der Herrschaft, Stund‘ auf Stund‘:
- Schon kam die Nacht mit ihren Flören,
- Oft glaubt die Kutsche er zu hören,
- Ihr Quitschern in des Weges Kies,
- Er richtet sich – doch nein – es blies
- Der Abendwind nur durch die Föhren.
- ’s ist eine Dämmernacht, genau
- Gemacht für Alp und weiße Frau.
- Dem Junkerlein ward es zu lange,
- Dort schläft es hinterm Damasthange.
- Die Chronik hält der Alte noch,
- Und blättert fort im Finstern, doch
- Im Ohre summt es gleich Gesange:
- »So hab‘ ich dieses Schloß erbaut,
- Ihm mein Erworbnes anvertraut,
- Zu des Geschlechtes Nutz und Walten;
- Ein neuer Stamm sprießt aus dem alten,
- Gott segne ihn! Gott mach‘ ihn groß! -«
- Der Alte horcht, das Buch vom Schoß
- Schiebt sacht er in der Lade Spalten.
- Nein – durch das Fenster ein und aus
- Zog schrillend nur die Fledermaus;
- Nun schießt sie fort. – Der Alte lehnet
- Am Simse. Wie der Teich sich dehnet
- Ums Eiland, wo der Warte Rund,
- Sich tief schattiert im matten Grund.
- Das Röhricht knirrt, die Unke stöhnet.
- Dort, denkt der Greis, dort hat gewacht
- Der alte Kirchenfürst, wenn Nacht
- Sich auf den Weiher hat ergossen.
- Don hat den Reiher er geschossen,
- Und zugeschaut des Schlosses Bau,
- Sein weiß Habit, sein Auge grau,
- Lugt‘ drüben an den Fenstersprossen.
- Wie scheint der Mond so kümmerlich!
- – Er birgt wohl hinterm Tanne sich –
- Schaut nicht der Turm wie ’ne Laterne,
- Verhauchend, dunstig, aus der Ferne!
- Wie steigt der blaue Duft im Rohr
- Und rollt sich am Gesims empor!
- Wie seltsam blinken heut die Sterne!
- Doch ha! – er blinzt, er spannt das Aug‘,
- Denn dicht und dichter schwillt der Rauch,
- Als ob ein Docht sich langsam fache,
- Entzündet sich im Turmgemache
- Wie Mondenschein ein graues Licht,
- Und dennoch – dennoch – las er nicht,
- Nicht Neumond heut im Almanache? –
- Was ist das? – deutlich, nur getrübt
- Vom Dunst, der hin und wieder schiebt,
- Ein Tisch, ein Licht, in Turmes Mitten,
- Und nun – nun kömmt es hergeschritten,
- Ganz wie ein Schatten an der Wand,
- Es hebt den Arm, es regt die Hand, –
- Nun ist es an den Tisch geglitten.
- Und nieder sitzt es, langsam, steif, –
- Was in der Hand? – ein weißer Streif! –
- Nun zieht es Etwas aus der Scheiden
- Und fingert mit den Händen beiden,
- Ein Ding, – ein Stäbchen ungefähr, –
- Dran fährt es langsam hin und her,
- Es scheint die Feder anzuschneiden.
- Der Diener blinzt und blinzt hinaus:
- Der Schemen schwankt und bleichet aus,
- Noch sieht er es die Feder tunken,
- Da drüber gleitet es wie Funken,
- Und in demselbigen Moment
- Ist Alles in das Element
- Der spurlos finstern Nacht versunken.
- Noch immer steht der Sigismund,
- Noch starrt er nach der Warte Rund,
- Ihn dünkt, des Weihers Flächen rauschen,
- Weit beugt er übern Sims, zu lauschen;
- Ein Ruder! – nein, die Schwäne ziehn!
- Grad‘ hört er längs dem Ufergrün
- Sie sacht ihr tiefes Schnarchen tauschen.
- Er schließt das Fenster. – »Licht, o Licht!« –
- Doch mag das Junkerlein er nicht
- So plötzlich aus dem Schlafe fassen,
- Noch minder es im Saale lassen.
- Sacht schiebt er sich dem Sessel ein
- Zieht sein korallnes Nösterlein,
- – Was klingelt drüben an den Tassen? –
- Nein – ein Fliege schnurrt im Glas!
- Dem Alten wird die Stirne naß;
- Die Möbeln stehn wie Totenmale,
- Es regt und rüttelt sich im Saale,
- Allmählich weicht die Tür zurück,
- Und in demselben Augenblick
- Schlägt an die Dogge im Portale.
- Der Alte drückt sich dicht zuhauf,
- Er lauscht mit Doppelsinnen auf.
- – Ja! am Parkett ein leises Streichen,
- Wie Wiesel nach der Stiege schleichen –
- Und immer härter, Tapp an Tapp,
- Wie mit Sandalen, auf und ab,
- Es kimmt – es naht – er hört es keuchen; –
- Sein Sessel knackt! – ihm schwimmt das Hirn –
- Ein Odem, dicht an seiner Stirn!
- Da fährt er auf und wild zurücke,
- Errafft das Kind mit blindem Glücke
- Und stürzt den Korridor entlang.
- O, Gott sei Dank! ein Licht im Gang,
- Die Kutsche rasselt auf die Brücke!
Der Fundator
… eine Ballade von Annette von Droste-HülshoffDer Fundator von Annette von Droste-Hülshoff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/der-fundator/
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