- Im Walde steht die kleine Burg,
- Aus rohem Quaderstein gefugt,
- Mit Schart‘ und Fensterlein, wodurch
- Der Doppelhaken einst gelugt;
- Am Teiche rauscht des Rohres Speer,
- Die Brücke wiegt und knarrt im Sturm,
- Und in des Hofes Mitte, schwer,
- Plump wie ein Mörser, steht der Thurm.
- Da siehst du jetzt umher gestellt
- Manch‘ feuerrothes Ziegeldach,
- Und wie der Stempel steigt und fällt,
- So pfeift die Dampfmaschine nach;
- Es knackt die Form, der Bogen schrillt,
- Es dunstet Scheidewassers Näh‘,
- Und über’m grauen Wappenschild
- Liest man: Moulin à papier.
- Doch wie der Kessel quillt und schäumt,
- Den Brüß’ler Kaufherrn freut es kaum,
- Der hatte einmal sich geträumt
- Von Land und Luft den feinsten Traum;
- Das war so recht ein Fleckchen, sich
- Zu retten aus der Zahlen Haft!
- Nicht groß, und doch ganz adelich,
- Und brauchte wenig Dienerschaft.
- Doch eine Nacht nur macht‘ er sich
- Bequem es – oder unbequem –
- In seinem Schlößchen, und er strich
- Nur wie ein Vogel dran seitdem.
- Sah dann er zu den Fenstern auf,
- Verschlossen wie die Sakristei’n,
- So zog er wohl die Schultern auf,
- Mit einem Seufzer, oder zwei’n.
- Es war um die Septemberzeit,
- Als, schürend des Kamines Brand,
- Gebückt, in regenfeuchtem Kleid,
- Der Hausherr in der Halle stand,
- Er und die Gäste, all im Rauch;
- Van Neelen, Redel, Verney, Dahm,
- Und dann der blonde Waller auch,
- Der eben erst aus Smyrna kam.
- Im Schlote schnob der Wind, es goß
- Der Regen sprudelnd sich vom Dach,
- Und wenn am Brand ein Flämmchen schoß,
- Schien doppelt öde das Gemach.
- Die Gäste waren all‘ zur Hand,
- Erleichternd ihres Wirthes Müh‘;
- Van Neelen nur am Fenster stand,
- Und schimpfte auf die Landparthie.
- Doch nach und nach mag’s besser gehn,
- Schon hat der Wind die Glut gefacht,
- Den Regen läßt man draußen stehn,
- Champagnerflaschen sind gebracht.
- Die Leuchter hatten wenig Wert,
- Es ging wie beim Studentenfest:
- Sobald die Flasche ist geleert,
- Wird eine Kerze drauf gepreßt.
- Je mehr es fehlt, so mehr man lacht,
- Der Wein ist heiß, die Kost gewählt,
- Manch‘ derbes Späßchen wird gemacht.
- Und mancher feine Streich erzählt.
- Zuletzt von Wein und Reden glüh,
- Rückt seinen Stuhl der Herr vom Haus:
- „Ich lud euch zu ’ner Landparthie,
- Es ward ’ne Wasserfahrt daraus.“
- „Doch da die allerschönste Fracht
- Am Ende nach dem Hafen schifft,
- So, meine Herren, gute Nacht!
- Und nehmt vorlieb, wie es sich trifft.“
- Da lachend nach den Flaschen greift
- Ein jeder. – Türen auf und zu. –
- Und Waller, noch im Gehen, streift
- Aus seinem Frack den Ivanhoe.
- Es war tief in die Nacht hinein,
- Und draußen heulte noch der Sturm,
- Schnob zischend an dem Fensterstein
- Und drillt den Glockenstrang am Thurm.
- In seinem Bette Waller lag,
- Und las so scharf im Ivanhoe,
- Daß man gedacht, bevor es Tag
- Sey Englands Königreich in Ruh.
- Er sah nicht, daß die Kerze tief
- Sich brannte in der Flasche Rand,
- Der Talg in schweren Tropfen lief,
- Und drunten eine Lache stand.
- Wie träumend hört‘ er das Geknarr
- Der Fenster, vom Rouleau gedämpft,
- Und wie die Thüre mit Geschnarr
- In ihren Angeln zuckt und kämpft.
- Sehr freut er sich am Bruder Tuck,
- – Die Sehne schwirrt, es rauscht der Hain –
- Da plötzlich ein gewalt’ger Ruck,
- Und, hui! die Scheibe klirrt hinein.
- Er fuhr empor, – weg war der Traum –
- Und deckte mit der Hand das Licht,
- Ha! wie so wüst des Zimmers Raum!
- Selbst ein romantisches Gedicht!
- Der Sessel feudalistisch Gold –
- Am Marmortisch die Greifenklau‘ –
- Und über’m Spiegel flatternd rollt,
- Ein Banner, der Tapete Blau,
- Im Zug, der durch die Lücke schnaubt;
- Die Ahnenbilder leben fast,
- Und schütteln ihr behelmtes Haupt
- Ergrimmt ob dem plebejen Gast.
- Der blonde Waller machte gern
- Sich selber einen kleinen Graus,
- So nickt er spöttisch gen die Herrn,
- Als fordert‘ er sie keck heraus.
- Die Glocke summt – schon Eins fürwahr!
- Wie eine Boa dehnt‘ er sich,
- Und sah nach dem Pistolenpaar,
- Dann rüstet er zum Schlafe sich.
- Die Flasche hob er einmal noch
- Und leuchtete die Wände an,
- Ganz wie ’ne alte Halle doch
- Aus einem Scottischen Roman!
- Und – ist das Nebel oder Rauch,
- Was durch der Thüre Spalten quillt,
- Und, wirbelnd in des Zuges Hauch,
- Die dunstigen Paneele füllt?
- Ein Ding – ein Ding – wie Grau in Grau,
- Die Formen schwanken – sonderbar! –
- Doch, ob der Blick sich schärft? den Bau
- Von Gliedern nimmt er mählig wahr.
- Wie über’m Eisenhammer, schwer
- Und schwarz, des Rauches Säule wallt;
- Ein Zucken flattert drüber her,
- Doch – hat es menschliche Gestalt!
- Er war ein hitziger Kumpan,
- Wenn Wein die Lava hat geweckt.
- „QUI VIVE?“ – und leise knackt der Hahn,
- Der Waller hat den Arm gestreckt:
- „QUI VIVE?“ – ’ne Pause, – „OU JE TIRE!“
- Und aus dem Lauf die Kugel knallt;
- Er hört sie schlagen an die Thür,
- Und abwärts prallen mit Gewalt.
- Der Schuß dröhnt am Gewölbe nach,
- Und, eine schwere Nebelschicht,
- Füllt Pulverbrodem das Gemach;
- Er theilt sich, schwindet, das Gesicht
- Steht in des Zimmers Mitte jetzt,
- Ganz wie ein graues Bild von Stein,
- Die Formen scharf und unverletzt,
- Die Züge edel, streng und rein.
- Auf grauer Locke grau Barett,
- Mit grauer Hahnenfeder drauf.
- Der Waller hat so sacht und nett
- Sich hergelangt den zweiten Lauf.
- Noch zögert er – ist es ein Bild,
- Wär’s zu zerschießen lächerlich;
- Und wär’s ein Mensch – das Blut ihm quillt –
- Ein Geck, der unterfinge sich -?!
- Ein neuer Ruck, und wieder Knall
- Und Pulverrauch – war das Gestöhn?
- Er hörte keiner Kugel Prall –
- Es ist vorüber! ist geschehn!
- Der Waller zuckt: „verdammtes Hirn!“
- Mit einmal ist er kalt wie Eis,
- Der Angstschweiß tritt ihm auf die Stirn,
- Er starret in den Nebelkreis.
- Ein Aechzen! oder Windeshauch! –
- Doch nein, der Scheibensplitter schwirrt.
- O Gott, es zappelt! – nein – der Rauch
- Gedrängt vom Zuge schwankt und irrt;
- Es wirbelt aufwärts, woget, wallt,
- Und, wie ein graues Bild von Stein,
- Steht nun am Bette die Gestalt,
- Da, wo der Vorhang sinkt hinein.
- Und drüber knistert’s, wie von Sand,
- Wie Funke, der elektrisch lebt;
- Nun zuckt ein Finger – nun die Hand –
- Allmählig nun ein Fuß sich hebt, –
- Hoch – immer höher – Waller winkt;
- Dann macht er schnell gehörig Raum,
- Und langsam in die Kissen sinkt
- Es schwer, wie ein gefällter Baum.
- „AH, JE TE TIENS!“ er hat’s gepackt,
- Und schlingt die Arme wie ’nen Strick, –
- Ein Leichnam! todessteif und nackt!
- Mit einem Ruck fährt er zurück;
- Da wälzt es langsam, schwer wie Blei,
- Sich gleich dem Mühlstein über ihn;
- Da that der Waller einen Schrei,
- Und seine Sinne waren hin.
- Am nächsten Morgen fand man kalt
- Ihn im Gemache ausgestreckt;
- ‚S war eine Ohnmacht nur, und bald
- Ward zum Bewußtsein er geweckt.
- Nicht irre war er, nur gepreßt,
- Und fragt‘: „ob Keiner ward gestört?“
- Doch Alle schliefen überfest,
- Nicht einer hat den Schuß gehört.
- So ward es denn für Traum sogleich,
- Und Alles für den Alp erkannt;
- Doch zog man sich aus dem Bereich,
- Und trollte hurtig über Land.
- Sie waren Alle viel zu klug,
- Und vollends zu belesen gar;
- Allein der blonde Waller trug
- Seit dieser Nacht eisgraues Haar.
Der Graue
… eine Ballade von Annette von Droste-HülshoffDer Graue von Annette von Droste-Hülshoff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/der-graue/
Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/der-graue/