- Du frägst mich immer von neuem, Marie,
- Warum ich mein Heimathland
- Die alten lieben Gebilde flieh
- Dem Herzen doch eingebrannt?
- Nichts soll das Weib dem Manne verhehlen,
- Und nichts dem treuen Weibe der Mann,
- Drum setz dich her, ich will erzählen,
- Doch abwärts sitze – schau mich nicht an.
- Bei meinen Eltern ich war, – ein Kind,
- Ein Kind und dessen nicht froh,
- Im Hause wehte ein drückender Wind,
- Der ehliche Friede floh,
- Nicht Zank noch Scheltwort durfte ich hören,
- Doch wie ein Fels auf Allen es lag;
- Sahn wir von Reisen den Vater kehren,
- Das war uns Kindern ein trauriger Tag.
- Ein Kaufmann, ernst, sein strenges Gemüth
- Verbittert durch manchen Verlust,
- Und meine Mutter die war so müd,
- So keuchend ging ihre Brust!
- Noch seh‘ ich wie sie, die Augen geröthet,
- Ein Bild der still verhärmten Geduld,
- An unserm Bettchen gekniet und gebetet.
- Gewiß, meine Mutter war frei von Schuld!
- Doch trieb der Vater sich um – vielleicht
- In London oder in Wien –
- Dann lebten wir auf und athmeten leicht,
- Und schossen wie Kressen so grün.
- Durch lustige Schwänke machte uns lachen
- Der gute Meßner, dürr und ergraut,
- Der dann uns alle sollte bewachen,
- Denn meiner Mutter ward Nichts vertraut.
- Da schickte der Himmel ein schweres Leid,
- Sie schlich so lange umher,
- Und härmte sich sachte in’s Sterbekleid,
- W i r machten das Scheiden ihr schwer!
- Wir waren wie irre Vögel im Haine,
- Zu früh entflattert dem treuen Nest,
- Bald tobten wir toll über Blöcke und Steine,
- Und duckten bald, in den Winkel gepreßt.
- Dem alten Manne ward kalt und heiß,
- Dem würdigen Sakristan,
- Sah er besudelt mit Staub und Schweiß
- Und glühend wie Oefen uns nahn;
- Doch traten wir in die verödete Kammer,
- Und sahn das Schemelchen am Clavier,
- Dann strömte der unbändige Jammer,
- Und nach der Mutter wimmerten wir.
- Am sechsten Abend nachdem sie fort
- – Wir kauerten am Kamin,
- Der Alte lehnte am Simse dort
- Und sah die Kohlen verglühn,
- Wir sprachen nicht, uns war beklommen –
- Da leis‘ im Vorsaal dröhnte die Thür,
- Und schlürfende Schritte hörten wir kommen.
- Mein Brüderchen rief: „Die Mutter ist hier!“
- Still, stille nur! – wir horchten all,
- Zusammen gedrängt und bang,
- Wir hörten deutlich der Tritte Hall
- Die knarrende Diel‘ entlang,
- Genau wir hörten rücken die Stühle,
- Am Schranke klirren den Schlüsselbund,
- Und dann das schwere Krachen der Diele,
- Als es vom Stuhle trat an den Grund.
- Mein junges Blut in den Adern stand,
- Ich sah den Alten wie Stein
- Sich klammern an des Gesimses Rand,
- Da langsam trat es herein.
- O Gott, ich sah meine Mutter, Marie!
- Marie, ich sah meine Mutter gehn,
- Im schlichten Kleide, wie Morgens frühe
- Sie kam nach ihren zwei Knaben zu sehn!
- Fest war ihr Blick zum Grunde gewandt,
- So schwankte sie durch den Saal,
- Den Schlüsselbund in der bleichen Hand,
- Die Augen trüb wie Opal;
- Sie hob den Arm, wir hörtens pfeifen,
- Ganz wie ein Schlüssel im Schlosse sich dreht,
- Und in’s Closet dann sahn wir sie streifen,
- Drin unser Geld und Silbergeräth.
- Du denkst wohl, daß keines Odems Hauch
- Die schaurige Oede brach,
- Und still war’s in dem Closete auch,
- Noch lange lauschten wir nach.
- Da sah ich zusammen den Alten fallen,
- Und seine Schläfe schlug an den Stein,
- Da ließen wir unser Geschrei erschallen,
- Da stürzten unsere Diener herein.
- Du sagst mir nichts, doch zweifl‘ ich nicht,
- Du schüttelst dein Haupt, Marie,
- Ein Greis – zwei Kinder – im Dämmerlicht –
- Da waltet die Phantasie!
- Was wollte ich nicht um dein Lächeln geben,
- Um deine Zweifel, du gute Frau,
- Doch wieder sag‘ ichs: bei meinem Leben!
- Marie, wir sahen und hörten genau!
- Am Morgen kehrte der Vater heim,
- Verstimmt und müde gehetzt,
- Und war er nimmer ein Honigseim,
- So war er ein Wermuth jetzt.
- Auch waren es wohl bedenkliche Worte,
- Die er gesprochen zum alten Mann,
- Denn laut sie haderten an der Pforte,
- Und schieden in tiefer Empörung dann.
- Nun ward durchstöbert das ganze Haus,
- Ein Jeder gefragt, gequält,
- Die Beutel gewogen, geschüttet aus,
- Die Silberbestecke gezählt,
- Ob Alles richtig, versperrt die Zimmer,
- Nichts konnte dem Manne genügen doch;
- Bis Abends zählte und wog er immer,
- Und meinte, der Schade finde sich noch.
- Als nun die Dämmerung brach herein,
- Ohne Mutter und Sakristan,
- Wir kauerten auf dem staubigen Stein,
- Und gähnten die Flamme an.
- Verstimmt der Vater, am langen Tische,
- Wühlt‘ in Papieren, schob und rückt‘,
- Wir duckten an unserm Kamin, wie Fische,
- Wenn drauf das Auge des Reihers drückt.
- Da horch! – die Thüre dröhnte am Gang,
- Ein schlürfender Schritt darauf
- Sich schleppte die knarrende Diel‘ entlang.
- Der Vater horchte – stand auf –
- Und wieder hörten wir rücken die Stühle,
- Am Schranke klirren den Schlüsselbund.
- Und wieder das schwere Krachen der Diele,
- Als es vom Stuhle trat an den Grund.
- Er stand, den Leib vornüber gebeugt,
- Wie Jäger auf Wildes Spur,
- Nicht Furcht noch Rührung sein Auge zeigt‘,
- Man sah, er lauerte nur.
- Und wieder sah ich die mich geboren,
- Verbannt, verstoßen vom heiligen Grund,
- O, nimmer hab‘ ich das Bild verloren,
- Es folgt mir noch in der Todesstund!
- Und E r? – hat keine Wimper geregt,
- Und keine Muskel gezuckt,
- Der Stuhl, auf den seine Hand gelegt,
- Nur einmal leise geruckt.
- Ihr folgend mit den stechenden Blicken
- Wandt‘ er sich langsam wie sie schritt,
- Doch als er sie ans Closet sah drücken,
- Da zuckte er auf, als wolle er mit.
- Und „Arnold!“ rief’s aus dem Geldverließ,
- – Er beugte vornüber, weit –
- Und wieder „Arnold!“ so klagend süß,
- – Er legte die Feder bei Seit‘ –
- Zum dritten Mal, wie die blutige Trauer,
- „Arnold!“ – den Meerschaumkopf im Nu
- Erfaßt er, schleudert‘ ihn gegen die Mauer,
- Schritt in’s Closet und riegelte zu.
- Wir aber stürzten in wilder Hast
- Hinaus an das Abendroth,
- Wir hatten uns bei den Händen gefaßt,
- Und weinten uns schier zu todt.
- Die ganze Nacht hat die Lampe geglommen,
- Geknattert im Saal des Kamines Rost,
- Und als der dritte Abend gekommen,
- Da setzte der Vater sich auf die Post.
- Ich habe ihm nicht Lebewohl gesagt,
- Und nicht seine Hand geküßt,
- Doch heißt es, daß er in dieser Nacht
- Am Bettchen gestanden ist.
- Und bei des nächsten Morgens Erglühen,
- Das Erste was meine Augen sahn,
- Das war an unserem Lager knieen
- Den tief erschütterten Sakristan.
- Dem ward in der Früh‘ ein Brief gebracht,
- Und dann ein Schlüsselchen noch;
- „Ich will nicht lesen“, hat er gedacht
- Und zögerte, las dann doch
- Den Brief, in letzter Stunde geschrieben
- Von meines unglücklichen Vaters Hand,
- Der fest im Herzen mir ist geblieben,
- Obwohl mein Bruder ihn einst verbrannt.
- „Was mich betroffen, das sag‘ ich nicht,
- Eh dorre die Zunge aus!
- Doch ist es ein bitter, ein schwer Gericht,
- Und treibt mich von Hof und Haus.
- In dem Closete da sind gelegen
- Papiere, Wechsel, Briefe dabei.
- Dir will ich auf deine Seele legen
- Meine zwei Buben, denn du bist treu.
- Sorg‘ nicht um mich, was ich bedarf
- Deß hab ich genügend noch,
- Und forsch auch nimmer, – ich warne scharf –
- Nach mir, es tröge dich doch.
- Sei ruhig, Mann, ich will nicht tödten,
- Den Leib, der Vieles noch muß bestehn,
- Doch laß meine armen Kinderchen beten;
- Denn sehr bedarf ich der Unschuld Flehn.“
- Und im Closete gefunden ward
- Ein richtiges Testament,
- Und alle Papiere nach Kaufmannsart
- Geordnet und wohl benennt.
- Und wir? – in der Fremde ließ man uns pflegen,
- Da waren wir eben wie Buben sind,
- Doch mit den Jahren da muß sich’s regen,
- Bin ich doch jetzt sein einziges Kind!
- Du weißt es, wie ich auch noch so früh,
- So hart den Bruder verlor,
- Und hätte ich dich nicht, meine Marie,
- Dann wär ich ein armer Thor! –
- Ach Gott, was hab‘ ich nicht All geschrieben,
- Aufrufe, Briefe, in meiner Noth!
- Umsonst doch Alles, umsonst geblieben.
- Ob er mag leben? – vermuthlich todt!
- Nie brachte wieder auf sein Geschick
- Die gute Marie den Mann,
- Der seines Lebens einziges Glück
- In ihrer Liebe gewann.
- So mild und schonend bot sie die Hände,
- Bracht‘ ihm so manches blühende Kind,
- Daß von der ehrlichen Stirn am Ende
- Die düstern Falten gewichen sind.
- Wohl führt‘ nach Jahren einmal sein Weg
- Ihn dicht zur Heimath hinan,
- Da ließ er halten am Mühlensteg,
- Und schaute die Thürme sich an.
- Die Händ‘ gefaltet, schien er zu beten,
- Ein Wink – die Kutsche rasselte fort;
- Doch nimmer hat er den Ort betreten,
- Und keinen Trunk Wasser nahm er dort.
Der Mutter Wiederkehr
… eine Ballade von Annette von Droste-HülshoffDer Mutter Wiederkehr von Annette von Droste-Hülshoff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/der-mutter-wiederkehr/
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