Der sterbende General

eine Ballade von Annette von Droste-Hülshoff
  1. Er lag im dicht verhängten Saal,
  2. Wo grau der Sonnenstrahl sich brach,
  3. Auf seinem Schmerzensbette lag
  4. Der alte kranke General;
  5. Genüber ihm am Spiegel hing
  6. Echarpe, Orden, Feldherrnstab,
  7. Still war die Luft, am Fenster ging
  8. Langsam die Schildwach‘ auf und ab.
  9. Wie der verwitterte Soldat
  10. So stumm die letzte Fehde kämpft!
  11. Zwölf Stunden, seit zuletzt gedämpft
  12. Um „Wasser“ er um „Wasser“ bat.
  13. An seinem Kissen beugten Zwey,
  14. Des Einen Auge rothgeweint,
  15. Des Andern düster, fest und treu,
  16. Ein Diener und ein alter Freund.
  17. „Tritt seitwärts“, sprach der Eine: „laß
  18. Ihn seines Standes Ehren sehn, –
  19. Den Vorhang weg! daß flatternd wehn
  20. Die Bänder an dem Spiegelglas!“
  21. Der Kranke schlug die Augen auf,
  22. Man sah wohl daß er ihn verstand,
  23. Ein Blick, ein leuchtender, und drauf
  24. Hat er sich düster abgewandt.
  25. „Denkst du, mein alter Kamerad,
  26. Der jubelnden Viktoria?
  27. Wie flogen unsre Banner da
  28. Durch der gemähten Feinde Saat!
  29. Denkst du an unsers Prinzen Wort:
  30. – „Man sieht es gleich hier stand der Wart!“
  31. Schnell, Conrad, nehmt die Decke fort,
  32. Sein Odem wird so kurz und hart.“
  33. Der Obrist lauscht, er murmelt sacht:
  34. „Verkümmert wie ein welkes Blatt!
  35. Das Dutzend Friedensjahre hat
  36. Zum Kapuziner ihn gemacht. –
  37. Wart, Wart! du hast so frisch und licht
  38. So oft dem Tode dich gestellt,
  39. Die Furcht, ich weiß es, kennst du nicht,
  40. So stirb auch freudig wie ein Held!
  41. Stirb wie ein Leue, adelich,
  42. In seiner Brust das Bleygeschoß,
  43. O, stirb nicht wie ein zahnlos Roß
  44. Das zappelt vor des Henkers Stich! –
  45. – Ha, seinem Auge kehrt der Strahl –
  46. Stirb, alter Freund, stirb wie ein Mann!“
  47. Der Kranke zuckt, zuckt noch einmal,
  48. Und „Wasser, Wasser!“ stöhnt er dann.
  49. Leer ist die Flasche. – „Wache dort,
  50. He, Wache, du bist abgelöst!
  51. Schau, wo ans Haus das Gitter stößt,
  52. Lauf, Wache, lauf zum Borne fort! –
  53. ‚S ist auch ein grauer Knasterbart,
  54. Und strauchelt wie ein Dromedar –
  55. Nur schnell, die Sohlen nicht gespart!
  56. Was, alter Bursche, Thränen gar?“
  57. „Mein Commandant“, spricht der Uhlan
  58. Grimmig verschämt: „ich dachte nach
  59. Wie ich blessirt am Strauche lag,
  60. Der General mir nebenan,
  61. Und wie er mir die Flasche bot,
  62. Selbst dürstend in dem Sonnenbrand,
  63. Und sprach: „du hast die schlimmste Noth“ –
  64. Dran dacht‘ ich nur, mein Commandant.“
  65. Der Kranke horcht, durch sein Gesicht
  66. Zieht ein verwittert Lächeln, dann
  67. Schaut fest den Veteran er an. –
  68. Die Seele, der Viktorie nicht
  69. Nicht Fürstenwort gelös’t den Fluch,
  70. Auf einem Tropfen Menschlichkeit
  71. Schwimmt mit dem letzten Athemzug
  72. Sie lächelnd in die Ewigkeit.
Der sterbende General von Annette von Droste-Hülshoff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/der-sterbende-general/