- Der Mond mit seinem blassen Finger
- Langt leise durch den Mauerspalt,
- Und koset, streifend längs dem Zwinger,
- Norbertus‘ Stirne feucht und kalt.
- Der lehnt an bröckelndem Gestein,
- Salpeterflocken seine Daunen,
- An seinem Ohre Heimchen raunen,
- Und wimmelnd rennt das Tausendbein.
- Und überm Haupte fühlt er’s beben,
- Da geht es hoch, da zecht es frisch,
- In Pulsen schäumend pocht das Leben,
- Die Humpen tanzen auf dem Tisch.
- Der Graf von Arnsberg gibt ein Fest,
- Dem Schwiegersohn der graue Schwäher;
- So mehr er trinkt so wird er zäher,
- So wirrer steht sein Lockennest.
- Gern hat sein Kind er dem Dynasten,
- Dem reichen Cappenberg vertraut,
- Nun trägt sein Anker Doppellasten!
- Und seinen Feinden hat’s gegraut.
- Da kömmt auf seinem Eselein
- Norbert, und macht den Sohn zum Pfaffen;
- Allein er wußte Rat zu schaffen,
- Er pferchte den Apostel ein.
- Wie, keine Enkel soll er wiegen?
- Soll in des Eidams Hora gehn,
- Und sehn sein Kind am Boden liegen
- Und Paternosterkugeln drehn?
- Nein, heute ist der Tag wo muß,
- Wo wird die Sache sich erled’gen,
- Und sollt‘ er mit dem Schwerte pred’gen,
- Ein umgekehrter Carolus.
- Und »Gottfried«, spricht er, »Junge, Ritter,
- So sieh doch einmal in die Höh!
- Du schaust ja in den Wein so bitter
- Wie Requiem und Kyrie.
- Was spinnst du an dem alten Werg?
- Laß die Kapuze grauen Sündern,
- Und deine Burg, die laß den Kindern,
- Dein schönes, festes Cappenberg!«
- Und drunten in dem feuchten Turme
- Der Heil’ge flüstert: »Großer Gott,
- Allgegenwärt’ger du im Wurme
- Als in der Krone blankem Spott,
- Wie größer deine Allmacht zeigt
- Sein Füßchen, das lebendig zittert,
- Als eine Mauer die verwittert,
- Und ob ein Babel drüber steigt!«
- »Ja,« spricht der Graf, den Humpen schwenkend:
- »Wär‘ Norbert hier, dein Eselmann,
- Ich ließ ihm füllen, dein gedenkend,
- Und trinken möcht‘ er, was er kann;
- Doch da ihm Pech und Schwefel glüht,
- Was andern Schächern mild und süße,
- So bleibt er besser im Verließe,
- Ein wohlkasteiter Eremit.«
- Und drunten spricht’s mit mildem Tone:
- »Du der, des Himmels höchste Zier,
- Gezogen bist zur Dornenkrone
- Auf einem still demüt’gen Tier,
- Du, der des Mondes Lieblichkeit
- In meinen Kerker ließest rinnen,
- Gezähmt mir die vertrauten Spinnen,
- Du, Milder, seist gebenedeit!«
- Und Gottfried, kämpfend mit den Tränen,
- Ergreift den Humpen, noch gefüllt,
- Vor seinem Ohr ein leises Stöhnen,
- Vor seinem Aug‘ ein bleiches Bild.
- O, dringen möcht‘ er durch den Stein,
- Wo seine sünd’gen Füße stehen,
- O, einmal, einmal möcht‘ er sehen
- Durch Lichterglanz den Heil’genschein!
- »Ha!« zürnt der Graf, »was ließ ich schenken
- Dir meinen allerbesten Wein!
- Eh möcht‘ ich einen Schädel tränken,
- Ja, oder einen Leichenstein.
- Gottfried, Gottfried, ich schwör es dir,
- So wahr ich Friedrich« – seht ihn stocken,
- Vor seinem Auge schwimmen Flocken,
- Er hebt sich auf, er schwankt zur Tür,
- Und plötzlich auf den Estrich nieder
- Taumelt er wie ein wundes Roß,
- Es zucken, strecken sich die Glieder.
- Welch ein Getümmel in dem Schloß!
- »Krank« dieser, »tot« spricht jener Mund,
- Ja wahrlich, das ist Todes Miene,
- Und eine mächtige Ruine
- Liegt Friedrich auf dem eignen Grund.
- Die Humpen sind in Hast zertrümmert,
- Burgunderblut fließt übern Stein,
- Die Lampen mählich sind verkümmert,
- Wie Erdenlust sie qualmten ein.
- Doch drüben, in des Klosters Hut,
- Entflammte man die ew’ge Leuchte,
- Und knieend alles Volk sich beugte
- Dem reinen Wein, der Christi Blut.
Die Stiftung Cappenbergs
… eine Ballade von Annette von Droste-HülshoffDie Stiftung Cappenbergs von Annette von Droste-Hülshoff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/die-stiftung-cappenbergs/
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