I
- Der Kapitän steht an der Spiere,
- Das Fernrohr in gebräunter Hand,
- Dem schwarzgelockten Passagiere
- Hat er den Rücken zugewandt.
- Nach einem Wolkenstreif in Sinnen
- Die beiden wie zwei Pfeiler sehn,
- Der Fremde spricht: „was braut da drinnen?“
- „Der Teufel,“ brummt der Kapitän.
- Da hebt von morschen Balkens Trümmer
- Ein Kranker seine feuchte Stirn,
- Des Aethers Blau, der See Geflimmer,
- Ach, Alles quält sein fiebernd Hirn!
- Er läßt die Blicke, schwer und düster,
- Entlängs dem harten Pfühle gehn,
- Die eingegrabnen Worte liest er:
- „Batavia. Fünfhundert Zehn.“
- Die Wolke steigt, zur Mittagsstunde
- Das Schiff ächzt auf der Wellen Höhn,
- Gezisch, Geheul aus wüstem Grunde,
- Die Bohlen weichen mit Gestöhn.
- „Jesus, Marie! wir sind verloren!“
- Vom Mast geschleudert der Matros‘,
- Ein dumpfer Krach in Aller Ohren,
- Und langsam löst der Bau sich los.
- Noch liegt der Kranke am Verdecke,
- Um seinen Balken fest geklemmt,
- Da kömmt die Fluth, und eine Strecke
- Wird er in’s wüste Meer geschwemmt.
- Was nicht geläng‘ der Kräfte Sporne,
- Das leistet ihm der starre Krampf,
- Und wie ein Narwal mit dem Horne
- Schießt fort er durch der Wellen Dampf
- Wie lange so? er weiß es nimmer,
- Dann trifft ein Stral des Auges Ball,
- Und langsam schwimmt er mit der Trümmer
- Auf ödem glitzerndem Kristall.
- Das Schiff! – die Mannschaft! – sie versanken.
- Doch nein, dort auf der Wasserbahn,
- Dort sieht den Passagier er schwanken
- In einer Kiste morschem Kahn.
- Armselge Lade! sie wird sinken,
- Er strengt die heisre Stimme an:
- „Nur grade! Freund, du drückst zur Linken!“
- Und immer näher schwankt’s heran,
- Und immer näher treibt die Trümmer,
- Wie ein verwehtes Möwennest;
- „Courage!“ ruft der kranke Schwimmer,
- „Mich dünkt ich sehe Land im West!“
- Nun rühren sich der Fähren Ende,
- Er sieht des fremden Auges Blitz,
- Da plötzlich fühlt er starke Hände,
- Fühlt wüthend sich gezerrt vom Sitz.
- „Barmherzigkeit! ich kann nicht kämpfen.“
- Er klammert dort, er klemmt sich hier;
- Ein heisrer Schrei, den Wellen dämpfen,
- Am Balken schwimmt der Passagier.
- Dann hat er kräftig sich geschwungen,
- Und schaukelt durch das öde Blau,
- Er sieht das Land wie Dämmerungen
- Enttauchen und zergehn in Grau.
- Noch lange ist er so geschwommen,
- Umflattert von der Möve Schrei,
- Dann hat ein Schiff ihn aufgenommen,
- Viktoria! nun ist er frei!
- Drei kurze Monde sind verronnen,
- Und die Fregatte liegt am Strand,
- Wo Mittags sich die Robben sonnen,
- Und Bursche klettern über’n Rand,
- Den Mädchen ist’s ein Abentheuer
- Es zu erschaun vom fernen Riff,
- Denn noch zerstört ist nicht geheuer
- Das gräuliche Corsarenschiff.
- Und vor der Stadt da ist ein Waten,
- Ein Wühlen durch das Kiesgeschrill,
- Da die verrufenen Piraten
- Ein Jeder sterben sehen will.
- Aus Strandgebälken, morsch, zertrümmert,
- Hat man den Galgen, dicht am Meer,
- In wüster Eile aufgezimmert.
- Dort dräut er von der Düne her!
- Welch ein Getümmel an den Schranken! –
- „Da kommt der Frei – der Hessel jetzt –
- Da bringen sie den schwarzen Franken,
- Der hat geläugnet bis zuletzt.“
- „Schiffbrüchig sey er hergeschwommen,“
- Höhnt eine Alte: „Ei, wie kühn!
- Doch Keiner sprach zu seinem Frommen,
- Die ganze Bande gegen ihn.“
- Der Passagier, am Galgen stehend,
- Hohläugig, mit zerbrochnem Muth,
- Zu jedem Räuber flüstert flehend:
- „Was tat dir mein unschuldig Bluth?
- Barmherzigkeit! – so muß ich sterben
- Durch des Gesindels Lügenwort,
- O, mög‘ die Seele euch verderben!“
- Da zieht ihn schon der Scherge fort.
- Er sieht die Menge wogend spalten –
- Er hört das Summen im Gewühl –
- Nun weiß er, daß des Himmels Walten
- Nur seiner Pfaffen Gaukelspiel!
- Und als er in des Hohnes Stolze
- Will starren nach den Aetherhöhn,
- Da liest er an des Galgens Holze:
- „Batavia.FünfhundertZehn.“
II