- Als Christus lag im Hain Gethsemane
- auf seinem Antlitz mit geschloss’nen Augen, –
- die Lüfte schienen Seufzer nur zu saugen,
- und eine Quelle murmelte ihr Weh,
- des Mondes blasse Scheibe widerscheinend, –
- das war die Stunde, wo ein Engel weinend
- von Gottes Throne ward herabgesandt,
- den bittern Leidenskelch in seiner Hand.
- Und vor dem Heiland stieg das Kreuz empor;
- daran sah seinen eignen Leib er hangen,
- zerrissen, ausgespannt; wie Stricke drangen
- die Sehnen an den Gliedern ihm hervor.
- Die Nägel sah er ragen und die Krone
- auf seinem Haupte, wo an jedem Dorn
- ein Blutestropfen hing, und wie im Zorn
- murrte der Donner mit verhaltnem Tone.
- Ein Tröpfeln hört‘ er; und am Stamme leis
- herniederglitt ein Flimmern qualverloren.
- Da seufzte Christus, und aus allen Poren
- drang ihm der Schweiß.
- Und dunkel ward die Nacht, im grauen Meer
- schwamm eine tote Sonne, kaum zu schauen
- war noch des qualbewegten Hauptes Grauen,
- im Todeskampfe schwankend hin und her.
- Am Kreuzesfuße lagen drei Gestalten;
- er sah sie grau wie Nebelwolken liegen,
- er hörte ihres schweren Odems Fliegen,
- vor Zittern rauschten ihrer Kleider Falten.
- Owelch ein Lieben war wie seines heiß?
- Er kannte sie, er hat sie wohl erkannt;
- das Menschenblut in seinen Adern stand,
- und stärker quoll der Schweiß.
- Die Sonnenleiche schwand, nur schwarzer Rauch,
- in ihm versunken Kreuz und Seufzerhauch;
- ein Schweigen, grauser als des Donners Toben,
- schwamm durch des Äthers sternenleere Gassen;
- kein Lebenshauch auf weiter Erde mehr,
- ringsum ein Krater, ausgebrannt und leer,
- und eine hohle Stimme rief von oben:
- »Mein Gott, mein Gott, wie hast du mich verlassen!«
- Da weinte Christus mit gebrochnem Munde:
- »Herr, ist es möglich, so laß diese Stunde
- an mir vorübergehn!«
- Ein Blitz durchfuhr die Nacht; im Lichte schwamm
- das Kreuz, ostrahlend mit den Marterzeichen,
- und Millionen Hände sah er reichen,
- sich angstvoll klammernd um den blut’gen Stamm,
- o Händ‘ und Händchen aus den fernsten Zonen!
- Und um die Krone schwebten Millionen
- noch ungeborner Seelen, Funken gleichend;
- ein leiser Nebelhauch, dem Grund entschleichend,
- stieg aus den Gräbern der Verstorbnen Flehn.
- Da hob sich Christus in der Liebe Fülle,
- und: »Vater, Vater,« rief er, »nicht mein Wille,
- der deine mag geschehn!«
- Still schwamm der Mond im Blau, ein Lilienstengel
- stand vor dem Heiland im betauten Grün;
- und aus dem Lilienkelche trat der Engel
- und stärkte ihn.
Gethsemane
… eine Ballade von Annette von Droste-HülshoffGethsemane von Annette von Droste-Hülshoff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/gethsemane/
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