Ein Notturno
- Wenn in den linden Vollmondnächten
- Die Nebel lagern überm Rhein,
- Und graue Silberfäden flechten
- Ein Florgewand dem Heil’genschrein:
- Es träumt die Waldung, duftumsäumt,
- Es träumt die dunkle Flutenschlange,
- Wie eine Robbe liegt am Hange
- Der Schürg‘ und träumt.
- Tief zieht die Nacht den feuchten Odem,
- Des Walles Gräser zucken matt,
- Und ein verhauchter Grabesbrodem
- Liegt über der entschlafnen Stadt:
- Sie hört das Schlummerlied der Well’n,
- Das leise murmelnde Geschäume,
- Und tiefer, tiefer sinkt in Träume
- Das alte Köln.
- Dort wo die graue Kathedrale,
- Ein riesenhafter Zeitentraum,
- Entsteigt dem düstern Trümmermale
- Der Macht, die auch zerrann wie Schaum –
- Dort, in der Scheibe Purpurrund
- Hat taumelnd sich der Strahl gegossen
- Und sinkt, und sinkt, in Traum zerflossen,
- Bis auf den Grund.
- Wie ist es schauerlich im weiten
- Versteinten öden Palmenwald,
- Wo die Gedanken niedergleiten
- Wie Anakonden schwer und kalt;
- Und blutig sich der Schatten hebt
- Am blut’gen Märtyrer der Scheibe,
- Wie neben dem gebannten Leibe
- Die Seele schwebt.
- Der Ampel Schein verlosch, im Schiffe
- Schläft halbgeschlossen Blum‘ und Kraut;
- Wie nackt gespülte Uferriffe
- Die Streben lehnen, tief ergraut;
- Anschwellend zum Altare dort,
- Dann aufwärts dehnend, lang gezogen,
- Schlingen die Häupter sie zu Bogen,
- Und schlummern fort.
- Und immer schwerer will es rinnen
- Von Quader, Säulenknauf und Schaft,
- Und in dem Strahle will’s gewinnen
- Ein dunstig Leben, geisterhaft:
- Da horch! es dröhnt im Turme – ha!
- Die Glocke summt – da leise säuselt
- Der Dunst, er zucket, wimmelt, kräuselt –
- Nun steht es da! –
- Ein Nebelmäntlein umgeschlagen,
- Ein graues Käppchen, grau Gewand,
- Am grauen Halse grauer Kragen,
- Das Richtmaß in der Aschenhand.
- Durch seine Glieder zitternd geht
- Der Strahl wie in verhaltner Trauer,
- Doch an dem Estrich, an der Mauer
- Kein Schatten steht.
- Es wiegt das Haupt nach allen Seiten,
- Unhörbar schwebt es durch den Raum,
- Nun sieh es um die Säulen gleiten,
- Nun fahrt es an der Orgel Saum;
- Und allerorten legt es an
- Sein Richtmaß, webert auf und nieder,
- Und leise zuckt das Spiel der Glieder,
- Wie Rauch im Tann.
- War das der Nacht gewalt’ger Odem? –
- Ein weit zerfloßner Seufzerhall,
- Ein Zitterlaut, ein Grabesbrodem
- Durchquillt die öden Räume all:
- Und an der Pforte, himmelan
- Das Männlein ringt die Hand, die fahle,
- Dann gleitet’s aufwärts am Portale –
- Es steht am Kran.
- Und über die entschlafnen Wellen
- Die Hand es mit dem Richtmaß streckt;
- Ihr Schlangenleib beginnt zu schwellen,
- Sie brodeln auf, wie halb geweckt;
- Als drüber nun die Stimme dröhnt,
- Ein dumpf, verhallend, fern Getose,
- Wie träumend sich Im Wolkenschoße
- Der Donner dehnt.
- »Ich habe diesen Bau gestellt,
- Ich bin der Geist vergangner Jahre!
- Weh! dieses dumpfe Schlummerfeld
- Ist schlimmer viel als Totenbahre!
- O wann, wann steigt die Stunde auf,
- Wo ich soll lang Begrabnes schauen?
- Mein starker Strom, ihr meine Gauen
- Wann wacht ihr auf? –
- »Ich bin der Wächter an dem Turm,
- Mein Ruf sind Felsenhieroglyphen,
- Mein Hornesstoß der Zeitensturm,
- Allein sie schliefen, schliefen, schliefen!
- Und schlafen fort, ich höre nicht
- Den Meißel klingen am Gesteine,
- Wo tausend Hände sind wie eine,
- Ich hör‘ es nicht! –
- Und kann nicht ruhn, ich sehe dann
- Zuvor den alten Kran sich regen,
- Daß ich mein treues Richtmaß kann
- In eine treue Rechte legen!
- Wenn durch das Land ein Handschlag schallt,
- Wie einer alle Pulse klopfen,
- Ein Strom die Millionen Tropfen -«
- Da silbern wallt
- Im Osten auf des Morgens Fahne,
- Und, ein zerfloßner Nebelstreif,
- Der Meister fährt empor am Krane. –
- Mit Räderknarren und Gepfeif,
- Ein rauchend Ungeheuer, schäumt
- Das Dampfboot durch den Rhein, den blauen –
- O deutsche Männer! deutsche Frauen!
- Hab‘ ich geträumt? –