- Kennst du die Blassen im Haideland,
- Mit blonden flächsenen Haaren?
- Mit Augen so klar wie an Weihers Rand
- Die Blitze der Welle fahren?
- O sprich ein Gebet, inbrünstig, ächt,
- Für die Seher der Nacht, das gequälte Geschlecht.
- So klar die Lüfte, am Aether rein
- Träumt nicht die zarteste Flocke,
- Der Vollmond lagert den blauen Schein
- Auf des schlafenden Freiherrn Locke,
- Hernieder bohrend in kalter Kraft
- Die Vampyrzunge, des Strahles Schaft.
- Der Schläfer stöhnt, ein Traum voll Noth
- Scheint seine Sinne zu quälen,
- Es zuckt die Wimper, ein leises Roth
- Will über die Wange sich stehlen;
- Schau, wie er woget und rudert und fährt,
- Wie Einer so gegen den Strom sich wehrt.
- Nun zuckt er auf – ob ihn geträumt,
- Nicht kann er sich dessen entsinnen –
- Ihn fröstelt, fröstelt, ob’s drinnen schäumt
- Wie Fluthen zum Strudel rinnen;
- Was ihn geängstet, er weiß es auch:
- Es war des Mondes giftiger Hauch.
- O Fluch der Haide, gleich Ahasver
- Unter’m Nachtgestirne zu kreisen!
- Wenn seiner Strahlen züngelndes Meer
- Aufbohret der Seele Schleusen,
- Und der Prophet, ein verzweifelnd Wild,
- Kämpft gegen das mählig steigende Bild.
- Im Mantel schaudernd mißt das Parquet
- Der Freiherr die Läng‘ und Breite,
- Und wo am Boden ein Schimmer steht,
- Weitaus er beuget zur Seite,
- Er hat einen Willen und hat eine Kraft,
- Die sollen nicht liegen in Blutes Haft.
- Es will ihn krallen, es saugt ihn an,
- Wo Glanz die Scheiben umgleitet,
- Doch langsam weichend, Spann‘ um Spann‘,
- Wie ein wunder Edelhirsch schreitet,
- In immer engerem Kreis gehetzt,
- Des Lagers Pfosten ergreift er zuletzt.
- Da steht er keuchend, sinnt und sinnt,
- Die müde Seele zu laben,
- Denkt an sein liebes einziges Kind,
- Seinen zarten, schwächlichen Knaben,
- Ob dessen Leben des Vaters Gebet
- Wie eine zitternde Flamme steht.
- Hat er des Kleinen Stammbaum doch
- Gestellt an des Lagers Ende,
- Nach dem Abendkusse und Segen noch
- Drüber brünstig zu falten die Hände;
- Im Monde flimmernd das Pergament
- Zeigt Schild an Schilder, schier ohne End‘.
- Rechtsab des eigenen Blutes Gezweig,
- Die alten freiherrlichen Wappen,
- Drei Rosen im Silberfelde bleich,
- Zwei Wölfe schildhaltende Knappen,
- Wo Ros‘ an Rose sich breitet und blüht,
- Wie über’m Fürsten der Baldachin glüht.
- Und links der milden Mutter Geschlecht,
- Der Frommen in Grabeszellen,
- Wo Pfeil‘ an Pfeile, wie im Gefecht,
- Durch blaue Lüfte sich schnellen.
- Der Freiherr seufzt, die Stirn gesenkt,
- Und – steht am Fenster, bevor er’s denkt.
- Gefangen! gefangen im kalten Stral!
- In dem Nebelnetze gefangen!
- Und fest gedrückt an der Scheib‘ Oval,
- Wie Tropfen am Glase hangen,
- Verfallen sein klares Nixenaug‘,
- Der Heidequal in des Mondes Hauch.
- Welch ein Gewimmel! – er muß es sehn,
- Ein Gemurmel! – er muß es hören,
- Wie eine Säule, so muß er stehn,
- Kann sich nicht regen noch kehren.
- Es summt im Hofe ein dunkler Hauf,
- Und einzelne Laute dringen hinauf.
- Hei! eine Fackel! sie tanzt umher,
- Sich neigend, steigend in Bogen,
- Und nickend, zündend, ein Flammenheer
- Hat den weiten Estrich umzogen.
- All‘ schwarze Gestalten im Trauerflor
- Die Fackeln schwingen und halten empor.
- Und Alle gereihet am Mauerrand,
- Der Freiherr kennet sie Alle;
- Der hat ihm so oft die Büchse gespannt,
- Der pflegte die Ross‘ im Stalle,
- Und der so lustig die Flasche leert,
- Den hat er siebzehn Jahre genährt.
- Nun auch der würdige Kastellan,
- Die breite Pleureuse am Hute,
- Den sieht er langsam, schlurfend nahn,
- Wie eine gebrochene Ruthe;
- Noch deckt das Pflaster die dürre Hand,
- Versengt erst gestern an Heerdes Brand.
- Ha, nun das Roß! aus des Stalles Thür,
- In schwarzem Behang und Flore;
- O, ist’s Achill, das getreue Thier?
- Oder ist’s seines Knaben Medore?
- Er starret, starrt und sieht nun auch,
- Wie es hinkt, vernagelt nach altem Brauch.
- Entlang der Mauer das Musikchor,
- In Krepp gehüllt die Posaunen,
- Haucht prüfend leise Cadenzen hervor,
- Wie träumende Winde raunen;
- Dann Alles still. O Angst! o Qual!
- Es tritt der Sarg aus des Schlosses Portal.
- Wie prahlen die Wappen, farbig grell
- Am schwarzen Sammet der Decke.
- Ha! Ros‘ an Rose, der Todesquell
- Hat gespritzet blutige Flecke!
- Der Freiherr klammert das Gitter an:
- „Die andre Seite!“ stöhnet er dann.
- Da langsam wenden die Träger, blank
- Mit dem Monde die Schilder kosen.
- „O“, – seufzt der Freiherr – „Gott sei Dank!
- Kein Pfeil, kein Pfeil, nur Rosen!“
- Dann hat er die Lampe still entfacht,
- Und schreibt sein Testament in der Nacht.
Vorgeschichte (SECOND SIGHT)
… eine Ballade von Annette von Droste-HülshoffVorgeschichte (SECOND SIGHT) von Annette von Droste-Hülshoff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/vorgeschichte-second-sight/
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