(Nach einer Volkssage der Tonga-Inseln)
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- Unten endlos nichts als Wasser,
- Droben Himmel still und weit,
- Nur das Götterland, das blasse,
- Lag in Meereseinsamkeit,
- Wo auf farbenlosen Matten
- Gipfel wie in Träumen stehn,
- Und Gestalten ohne Schatten
- Ewig lautlos sich ergehn.
- Zwischen grauen Wolkenschweifen,
- Die verschlafen Berg und Flut
- Mit den langen Schleiern streifen,
- Hoch der Göttervater ruht.
- Heut zu fischen ihn gelüstet,
- Und vom zack’gen Felsenhang
- In des Meeres grüne Wüste
- Senket er die Schnur zum Fang.
- Sinnend sitzt er, und es flattern
- Bart und Haar im Sturme weit,
- Und die Zeit wird ihm so lange
- In der stillen Ewigkeit.
- Da fühlt er die Angel zucken:
- „Ei, das ist ein schwerer Fisch!“
- Freudig fängt er an zu rucken,
- Stemmt sich, zieht und windet frisch.
- Sieh, da hebt er Felsenspitzen
- Langsam aus der Wasser Grund,
- Und erschrocken aus den Ritzen
- Schießen schupp’ge Schlangen bunt;
- Ringelnd‘ Ungetüm‘ der Tiefen,
- Die im öden Wogenhaus
- In der grünen Dämmrung schliefen,
- Stürzen sich ins Meer hinaus.
- Doch der Vater hebt aufs neue
- Und Gebirge, Tal und Strand
- Taucht allmählich auf ins Freie;
- Und es grünt das junge Land,
- Irrend farb’ge Lichter schweifen
- Und von Blumen glänzt die Flur,
- Wo des Vaters Blick‘ sie streifen —
- Da zerreißt die Angelschnur.
- Wie ’ne liebliche Sirene
- Halb nun überm Wellenglanz,
- Staunend ob der eignen Schöne,
- Schwebt es mit dem Blütenkranz,
- Bei der Lüfte lindem Fächeln
- Sich im Meer, das rosig brennt,
- Spiegelnd mit verschämtem Lächeln —
- Erde sie der Vater nennt.
- Staunend auf den Göttersitzen
- Die Unsterblichen nun stehn,
- Sehn den Morgen drüben blitzen,
- Fühlen Duft herüberwehn,
- Und so süßes Weh sie spüren,
- Lösen leis ihr Schiff vom Strand,
- Und die Lüfte sie verführen
- Fern durchs Meer zum jungen Land.
- O wie da die Quellen sprangen
- In die tiefe Blütenpracht
- Und Lianen dort sich schlangen
- Glühend durch die Waldesnacht!
- Und die Wandrer trunken lauschen,
- Wo die Wasserfälle gehn,
- Bis sie in dem Frühlingsrauschen
- Plötzlich all erschrocken stehn:
- Denn sie sehn zum ersten Male
- Nun die Sonne niedergehn
- Und verwundert Berg‘ und Tale
- Tief im Abendrote stehn,
- Und der schönste Gott von allen
- Sank erbleichend in den Duft,
- Denn dem Tode ist verfallen,
- Wer geatmet ird’sche Luft.
- Die Genossen faßt ein Grauen,
- Und sie fahren weit ins Meer,
- Nach des Vaters Haus sie schauen,
- Doch sie finden’s nimmermehr.
- Mußten aus den Wogenwüsten
- Ihrer Schiffe Schnäbel drehn
- Wieder nach des Eilands Küsten,
- Ach, das war so falsch und schön!
- Und für immer da verschlagen
- Blieben sie im fremden Land,
- Hörten nachts des Vaters Klagen
- Oft noch fern vom Götterstrand. —
- Und nun Kindeskinder müssen
- Nach der Heimat sehn ins Meer,
- Und es kommt im Wind ein Grüßen,
- Und sie wissen nicht woher.
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