- Von Bretagnes Hügeln, die das Meer
- Blühend hell umsäumen,
- Schaute ein Kirchlein trostreich her
- Zwischen uralten Bäumen.
- Das Kornfeld und die Wälder weit
- Rauschten im Sonntagsglanze,
- Doch keine Glocken klangen heut
- Vom grünen Felsenkranze.
- Denn auf des Kirchhofs schattigem Grund
- Die Jakobiner saßen,
- Ihre Pferde alle Blumen bunt
- Von den Grabeshügeln fraßen.
- Sie hatten am Kreuz auf stiller Höh
- Feldflasch und Säbel hangen,
- Derweil sie, statt des Kyrie,
- Die Marseillaise sangen.
- Ihr Hauptmann aber lehnt‘ am Baum,
- Todmüde von schweren Wunden,
- Und schaute wie im Fiebertraum
- Nach dem tiefschwülen Grunde.
- Er sprach verwirrt: »Da drüben stand
- Des Vaters Schloß am Weiher,
- Ich selbst steckt’s an; das war ein Brand,
- Der Freiheit Freudenfeuer!
- Ich seh ihn noch: Wie durch den Sturm
- Zwischen den feurgen Zungen
- Mein stolzer Vater da vom Turm
- Sein Banner hat geschwungen.
- Und als es war entlaubt vom Brand,
- Die Fahn im Wind zerflogen:
- Den Schaft als Kreuz nun in der Hand
- Teilt‘ er die Flammenwogen.
- Er sah so wunderbar auf mich,
- Ich konnt ihn nicht ermorden –
- Da sank die Burg, er wandte sich
- Und ist ein Pfaff geworden.
- Seitdem hör ich in Träumen schwer
- Von ferne Glocken gehen
- Und seh in rotem Feuermeer
- Ein Kreuz allnächtlich stehen.
- Es sollen keine Glocken gehn,
- Die Nächte zu verstören,
- Kein Kreuz soll mehr auf Erden stehn,
- Um Narren zu betören!
- Und dieses Kirchlein hier bewacht,
- Sie sollen nicht Messe singen,
- Wir reißen’s nieder über Nacht,
- Licht sei, wohin wir dringen!« –
- Und als die Nacht schritt leis daher,
- Der Hauptmann stand am Strande,
- So still im Wald, so still das Meer,
- Nur die Wachen riefen im Lande.
- Im Wind die Glock von selbst anschlug,
- Da wollt ein Hauch sich heben,
- Wie unsichtbarer Engel Flug,
- Die übers Wasser schweben.
- Nun sieht er auch im Meere fern
- Ein Lichtlein hell entglommen;
- Er dacht, wie ist der schöne Stern
- Dort in die Flut gekommen?
- Am Ufer aber durch die Nacht
- In allen Felsenspalten
- Regt sich’s und schlüpft es leis und sacht,
- Viel dunkle, schwanke Gestalten.
- Nur manchmal von den Buchten her
- Schallt Ruderschlag von weitem,
- Auf Barken lautlos in das Meer
- Sie nach dem Stern hin gleiten.
- Der wächst und breitet sich im Nahn
- Und streift mit Glanz die Wellen,
- Es ist ein kleiner Fischerkahn,
- Den Fackeln mild erhellen.
- Und einsam auf des Schiffleins Rand
- Ein Greis kommt hergezogen
- In wunderbarem Meßgewand
- Als wie der Hirt der Wogen.
- Die Barken eine weite Rund
- Dort um den Hirten machen,
- Der laut nun überm Meeresgrund
- Den Segen spricht im Nachen.
- Da schwieg der Wind und rauscht‘ das Meer
- So wunderbare Weise,
- Und auf den Knien lag ringsher
- Die stille Gemeinde im Kreise.
- Und als er das Kreuz hob in die Luft,
- Hoch zwischen die Fackeln trat er –
- Den Hauptmann schauert im Herzensgrund,
- Es war sein alter Vater.
- Da taumelt‘ er und sank ins Gras
- Betend im stillen Grunde,
- Und wie Felsenquellen im Frühling brach
- Sein Herzblut aus allen Wunden.
- Und als die Gesellen kommen zum Strand,
- Einen toten Mann sie finden –
- Voll Graun sie sprengen fort durchs Land,
- Als jagt‘ sie der Tod in den Winden.
- Die stürzten sich in den Krieg so weit,
- Sie sind verweht und zerstoben,
- Das Kirchlein aber steht noch heut
- Unter den Linden droben.
Die stille Gemeinde
… eine Ballade von Joseph von EichendorffDie stille Gemeinde von Joseph von Eichendorff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/eichendorff/die-stille-gemeinde/
Quelle: https://balladen.net/eichendorff/die-stille-gemeinde/