- Vater und Kind gestorben
- Ruhten im Grabe tief,
- Die Mutter hatt erworben
- Seitdem ein ander Lieb.
- Da droben auf dem Schlosse
- Da schallt das Hochzeitsfest,
- Da lacht’s und wiehern Rosse,
- Durchs Grün ziehn bunte Gäst.
- Die Braut schaut‘ ins Gefilde
- Noch einmal vom Altan,
- Es sah so ernst und milde
- Sie da der Abend an.
- Rings waren schon verdunkelt
- Die Täler und der Rhein,
- In ihrem Brautschmuck funkelt
- Nur noch der Abendschein.
- Sie hörte Glocken gehen
- Im weiten, tiefen Tal,
- Es bracht der Lüfte Wehen
- Fern übern Wald den Schall.
- Sie dacht: „O falscher Abend!
- Wen das bedeuten mag?
- Wen läuten sie zu Grabe
- An meinem Hochzeitstag?“
- Sie hört‘ im Garten rauschen
- Die Brunnen immerdar,
- Und durch der Wälder Rauschen
- Ein Singen wunderbar.
- Sie sprach: „Wie wirres Klingen
- Kommt durch die Einsamkeit
- Das Lied wohl hört ich singen
- In alter, schöner Zeit.“
- Es klang, als wollt sie’s rufen
- Und grüßen tausendmal —
- So stieg sie von den Stufen,
- So kühle rauscht‘ das Tal.
- So zwischen Weingehängen,
- Stieg sinnend sie ins Land
- Hinunter zu den Klängen,
- Bis sie im Walde stand.
- Dort ging sie, wie in Träumen,
- Im weiten, stillen Rund,
- Das Lied klang in den Bäumen,
- Von Quellen rauscht‘ der Grund. —
- Derweil von Mund zu Munde
- Durchs Haus, erst heimlich sacht,
- Und lauter geht die Kunde:
- Die Braut irrt in der Nacht!
- Der Bräut’gam tät erbleichen,
- Er hört im Tal das Lied,
- Ein dunkelrotes Zeichen
- Ihm von der Stirne glüht.
- Und Tanz und Jubel enden
- Er und die Gäst im Saal,
- Windlichter in den Händen,
- Sich stürzen in das Tal.
- Da schweifen rote Scheine,
- Schall nun und Rosseshuf,
- Es hallen die Gesteine
- Rings von verworrnem Ruf.
- Doch einsam irrt die Fraue
- Im Walde schön und bleich,
- Die Nacht hat tiefes Grauen,
- Das ist von Sternen so reich.
- Und als sie war gelanget
- Zum allerstillsten Grund,
- Ein Kind am Felsenhange
- Dort freundlich lächelnd stund.
- Das trug in seinen Locken
- Einen weißen Rosenkranz,
- Sie schaut‘ es an erschrocken
- Beim irren Mondesglanz.
- „Solch Augen hat das meine,
- Ach meines bist du nicht,
- Das ruht ja unterm Steine,
- Den niemand mehr zerbricht.
- Ich weiß nicht, was mir grauset,
- Blick nicht so fremd auf mich!
- Ich wollt, ich wär zu Hause.“ —
- „Nach Hause führ ich dich.“
- Sie gehn nun miteinander,
- So trübe weht der Wind,
- Die Fraue sprach im Wandern:
- „Ich weiß nicht, wo wir sind.
- Wen tragen sie beim Scheine
- Der Fackeln durch die Schluft?
- O Gott, der stürzt‘ vom Steine
- Sich tot in dieser Kluft!“
- Das Kind sagt: „Den sie tragen,
- Dein Bräut’gam heute war,
- Er hat meinen Vater erschlagen,
- ’s ist diese Stund ein Jahr.
- Wir alle müssen’s büßen,
- Bald wird es besser sein,
- Der Vater läßt dich grüßen,
- Mein liebes Mütterlein.“
- „Ihr schauert’s durch die Glieder:
- Du bist mein totes Kind!
- Wie funkeln die Sterne nieder,
- Jetzt weiß ich, wo wir sind.“ —
- Da löst‘ sie Kranz und Spangen,
- Und über ihr Angesicht
- Perlen und Tränen rannen,
- Man unterschied sie nicht.
- Und über die Schultern nieder
- Rollten die Locken sacht,
- Verdunkelnd Augen und Glieder,
- Wie eine prächtige Nacht.
- Ums Kind den Arm geschlagen,
- Sank sie ins Gras hinein —
- Dort hatten sie erschlagen
- Den Vater im Gestein.
- Die Hochzeitsgäste riefen
- Im Walde auf und ab,
- Die Gründe alle schliefen,
- Nur Echo Antwort gab.
- Und als sich leis erhoben
- Der erste Morgenduft,
- Hörten die Hirten droben
- Ein Singen in stiller Luft.
Die verlorene Braut
… eine Ballade von Joseph von EichendorffDie verlorene Braut von Joseph von Eichendorff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/eichendorff/die-verlorene-braut/
Quelle: https://balladen.net/eichendorff/die-verlorene-braut/