Maria und Bothwell

eine Ballade von Theodor Fontane
  1. König Darnley liegt erschlagen,
  2. Graf Bothwell hat es getan;
  3. Sechs Lords von Schottland tragen
  4. Die Leiche nach Sankt Alban,
  5. Sie stellen bei Fackelscheine
  6. Den Sarg an den Altar hin –
  7. Von Trauernden fehlt nur eine,
  8. Maria, die Königin.
  9. Die sitzet daheim im Schlosse,
  10. In funkelnder Nische des Saals,
  11. Auf dem Sammetpfühl ihr Genosse
  12. Ist der Mörder ihres Gemahls;
  13. Dem Lande kleidet die Trauer,
  14. Der Königin kleidet die Lust,
  15. Kalt-heiße Wonneschauer
  16. Durchrieseln ihre Brust.
  17. Sie spricht verlockenden Schalles:
  18. »Nun komm, und küsse dich rot,
  19. Ich danke dir alles, alles,
  20. Mein Leben und – seinen Tod;
  21. O schau nicht so fragend und bange,
  22. Schau lieber wie sonst mich an,
  23. Leg ab die blasse Wange –
  24. Getan ist, was getan.«
  25. Die Kerzen brennen wie lüstern
  26. Und geben schwülen Hauch,
  27. Immer leiser wird das Flüstern,
  28. Nun schweigt das Flüstern auch,
  29. Ihr Atem lodert zusammen
  30. Wie Glut und Glut sich mischt,
  31. Bis mählich in Flackerflammen
  32. So Lust wie Licht erlischt.
  33. Still wird’s; nur Mondeslichter
  34. Durchhuschen noch bleich den Saal,
  35. Es schlummern wie Totengesichter
  36. Graf Bothwell und sein Gemahl.
  37. Sie schlummern; des Windes Weise
  38. Erstirbt im hohen Kamin,
  39. An den Wänden, hastig-leise,
  40. Schatten vorüberfliehn.
  41. Und hastiger wird ihr Treiben,
  42. Schon graut und dämmert der Tag,
  43. Da schlägt’s an die klirrenden Scheiben
  44. Wie flatternder Flügelschlag;
  45. Auf fahren die zwei vom Kissen,
  46. Verstört an Haar und Sinn;
  47. Im Traume ward wach ihr Gewissen,
  48. Und es murmelt die Königin:
  49. »Hilf, Himmel, ich sah die Meinen
  50. Landflüchtig, der Zügel beraubt,
  51. Der fallenden Krone des einen
  52. Nach rollte sein fallendes Haupt,
  53. Und wie Donner durch meine Seele
  54. Ging zürnend das alte Lied:
  55. Ich räch‘ alle Schuld und Fehle
  56. Bis in das vierte Glied.«
  57. Maria hat es gesprochen,
  58. Graf Bothwell hört‘ es kaum,
  59. Seine Schläfen pulsen und pochen,
  60. Er denkt an den eigenen Traum,
  61. Er spricht unter Starren und Stocken:
  62. »Sie grüßte, dann betete sie,
  63. Ab schnitt ihr der Henker die Locken –
  64. Ach, deine Locken, Marie.«
  65. Graf Bothwell hat es gesprochen,
  66. Maria hört‘ ihn kaum,
  67. Ihre Schläfen pulsen und pochen,
  68. Sie denkt an den eigenen Traum,
  69. Stumm blicken die Buhlergatten
  70. Sich an so blass, so bang –
  71. König Darnleys blutiger Schatten
  72. Schreitet den Saal entlang.
Maria und Bothwell von Theodor Fontane wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/fontane/maria-und-bothwell/