- „Welchen Hofstaat bringt unsre Königin mit?“
- „„Sie bringt mit ihre vier Marien,
- Ihre vier Marieen von Frankreich her,
- Die müssen mit ihr ziehn.
- „„Die müssen ihr plätten und glätten das Bett
- Und warten auf der Schwell’,
- Ich kenne die jüngste, die schönste,
- Das ist Marie Duchatel.““
- Marie Duchatel sprang ans Ufer,
- Im Winde flog ihr Haar,
- Der König sah Marie Duchatel,
- Und wie schön und wie schlank sie war.
- Marie Duchatel sprang in den Bügel,
- Ihr Haar war blond und licht,
- Der König sah Marie Duchatel,
- Die andern sah er nicht.
- Marie Duchatel sprang aus dem Sattel
- Und zur Kirche schritten sie hin,
- Der König sah Marie Duchatel
- Viel mehr als die Königin.
- Und eh drei Wochen waren in’s Land,
- Da sangen sie laut und hell:
- Was sind alle Mädchen am Hofe
- Gegen Marie Duchatel.
- Und eh drei Monde waren in’s Land,
- Da sangen sie, Groß und Klein:
- Ach, ohne Marie Duchatel
- Könnten wir gar nicht sein.
- Marie Duchatel, Marie Duchatel,
- Wolle nicht in den Garten gehn,
- Der König ist da und die Nacht ist nah,
- Und du kannst nicht widerstehn!
- Nun pflücket sie heimlich vom Klosterbaum
- Und ringt ihre Hände wund,
- Doch das Leben unterm Herzen
- Wird lebendiger jede Stund.
- Und endlich hinaus zum Strande
- Schleicht sie und trägt ihr Kind:
- „Nun schwimme oder sinke“
- Flüstert sie in den Wind. –
- Am andern Morgen läuft’s auf und ab:
- „Wisset ihr was geschah?
- Marie Duchatel hat ein Kleines
- Und das Kleine ist nicht da.“
- Und die Königin ruft Marie Duchatel,
- Die zittert und kommt geschwind:
- „Ich hörte zu Nacht ’was wimmern!
- Sag an, wo ist Dein Kind?“
- „„Ich habe kein Kind, Mylady,
- Denket nicht so schlecht von mir,
- Ich hatte Stiche und Schmerzen
- Unterm Herzen hier.““
- „Und hattest Du Stiche und Schmerzen,
- Wohlan, heut bist Du gesund,
- Bring mir meinen Mantel von Scharlach,
- Wir reiten noch diese Stund;
- Wir reiten von Schloß Stirling
- Bis Edinburg ohne Müh,
- Und in Edinburg giebt’s Hochzeit
- Morgen in aller Früh.“
- Die Königin stieg zu Rosse,
- Ihre Herren und Damen mit,
- Sie ritten all im Trabe,
- Marie Duchatel ritt im Schritt.
- „Haltet an, liebe Herren und Damen,
- Ich kann nicht folgen mehr;“
- Sie hörten’s und sprengten weiter,
- Sie ritt seufzend hinterher.
- Und als sie kamen zum Thore,
- Da wußten sie’s schon in der Stadt,
- Alle Mädchen und Frauen schluchzten
- So oft sie gegrüßet hat.
- „Was weinet ihr, liebe Frauen?
- Kommt mit, es soll Hochzeit sein;“ –
- Sie schüttelten ihre Köpfe
- Und traten in’s Haus hinein. –
- Am Norderthor, wo das Zollhaus steht,
- Da saßen sie zu Gericht,
- Sie war erst sechszehn Jahre,
- Das konnte sie retten nicht.
- Durchs Süderthor, am andren Tag,
- Ein Zug und ein Karren schlich,
- Marie Duchatel wollte lächeln
- Und weinte bitterlich.
- Sie kamen an den Hügel:
- „Leb wohl, liebe Königin,
- Von Deinen vier Marieen
- Geht eine nun dahin.
- „Oft hab ich Dich angekleidet
- Und Dir das Bett gemacht,
- Daß es so kommen würde,
- Das hab ich nie gedacht.
- „Oft hab’ ich Dir mit Goldband
- Dein Scharlachmieder gesäumt,
- Von diesem Tag und dieser Stund
- Ach, hab’ ich nie geträumt.
- „Ihr Schiffer und ihr Matrosen,
- Wenn ihr zu Schiffe geht,
- Erzählt kein Wort in Frankreich
- Von allem was ihr nun seht.
- „Erzählt nicht meiner Mutter
- Von dem Brett, auf dem ich stand,
- Und nichts von meinem Tode
- Und nichts von meiner Schand.
- „Ach, meine arme Mutter,
- Als in der Wieg’ ich lag
- Und Du mich herztest und küßtest,
- Wie fern war dieser Tag!“
Marie Duchatel
… eine Ballade von Theodor FontaneMarie Duchatel von Theodor Fontane wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/fontane/marie-duchatel/
Quelle: https://balladen.net/fontane/marie-duchatel/