- „Tragt mich vor’s Zelt hinaus sammt meiner Ottomane!
- Ich will ihn selber sehn! – Heut‘ kam die Karavane
- Aus Afrika, sagt ihr, und mit ihr das Gerücht?
- Tragt mich vor’s Zelt hinaus! wie an den Wasserbächen
- Sich die Gazelle letzt, will ich an seinem Sprechen
- Mich letzen, wenn er Wahrheit spricht.“
- Der Scheik saß vor dem Zelt, und also sprach der Mohre:
- „“Auf Algiers Thürmen weht, o Greis! die Tricolore,
- Auf seinen Zinnen rauscht die Seide von Lyon;
- Durch seine Gassen dröhnt früh Morgens die Reveille,
- Das Roß geht nach dem Takt des Liedes von Marseille;
- Die Franken kamen von Toulon!
- Gen Süden rückt das Heer in blitzender Kolonne;
- Auf ihre Waffen flammt der Barbaresken Sonne,
- Tuneser Sand umweht der Pferde Mähnenhaar.
- Mit ihren Weibern fliehn die knirschenden Kabylen;
- Der Atlas nimmt sie auf, und mit dem Fuß voll Schwielen
- Klimmt durch’s Gebirg der Dromedar.
- Die Mauren stellen sich; vom Streit gleich einer Esse
- Glüht schwül das Defilé, Dampf wirbelt durch die Pässe;
- Der Leu verläßt den Rest des halbzerriss’nen Reh’s.
- Er muß sich für die Nacht ein ander Wild erjagen. –
- Allah! – Feu! En avant! – Keck bis zum Gipfel schlagen
- Sich durch die Aventuriers.
- Der Berg trägt eine Kron‘ von blanken Bajonetten;
- Zu ihren Füßen liegt das Land mit seinen Städten
- Vom Atlas bis an’s Meer, von Tunis bis nach Fez.
- Die Reiter sitzen ab; ihr Arm ruht auf den Croupen;
- Ihr Auge schweift umher; aus grünen Myrtengruppen
- Schau’n dünn und schlank die Minarets.
- Die Mandel blüht im Thal; mit spitzen dunkeln Blättern
- Trotzt auf dem kahlen Fels die Aloe den Wettern;
- Gesegnet ist das Land des Bey’s von Tittery.
- Dort glänzt das Meer; dorthin liegt Frankreich. Mit den bunten
- Kriegsfahnen buhlt der Wind. Am Zündloch glühn die Lunten;
- Die Salve kracht – so grüßen sie!““
- „Sie sind es!“ ruft der Scheik – „ich focht an ihrer Seite!
- O Pyramidenschlacht! o, Tag des Ruhms, der Beute!
- Roth, wie dein Turban, war im Nile jede Furt. –
- Allein ihr Sultan? sprich!“ er faßt des Mohren Rechte;
- „Sein Wuchs, sein Gang, sein Aug‘? sahst du ihn im Gefechte?
- Sein Kleid?“ – der Mohr greift in den Gurt.
- „“Ihr Sultan blieb daheim in seinen Burggemächern;
- Ein Feldherr trotzt für ihn den Kugeln und den Köchern;
- Ein Aga sprengt für ihn des Atlas Eisenthür.
- Doch ihres Sultans Haupt sieh’st du auf diesem blanken
- Goldstück von zwanzig Francs. Ein Reiter von den Franken
- Gab es beim Pferdehandel mir!“
- Der Emir nimmt das Gold, und blickt auf das Gepräge,
- Ob dies der Sultan sei, dem er die Wüstenwege
- Vor langen Jahren wies; allein er seufzt und spricht:
- „Das ist sein Auge nicht, das ist nicht seine Stirne!
- Den Mann hier kenn‘ ich nicht! sein Haupt gleicht einer Birne!
- Der, den ich meine, ist es nicht!“
Der Scheik am Sinai
… eine Ballade von Ferdinand FreiligrathDer Scheik am Sinai von Ferdinand Freiligrath wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/freiligrath/der-scheik-am-sinai/
Quelle: https://balladen.net/freiligrath/der-scheik-am-sinai/