- Bei Kap Misenum winkt ein fürstlich Haus
- aus Lorbeerwipfeln zu des Meeres Küsten,
- mit Säulengängen, Mosaiken, Büsten,
- und jedem Prunkgerät zu Fest und Schmaus.
- Oft sah es nächtlicher Gelage Glanz,
- wo lock’ge Knaben, Efeu um die Stirnen,
- mit Bechern flogen, silberfüß’ge Dirnen
- den Thyrsus schwangen in berauschtem Tanz,
- und Jauchzen scholl, Gelächter, Saitenspiel,
- bis auf die Gärten rings der Frühtau fiel.
- Doch heut, wie stumm das Haus! Nur hier und dort
- ein Fenster hell; und wo die Säulen düstern,
- wogt am Portal der Sklaven Schwarm mit Flüstern.
- Es kommen Sänften; Boten sprengen fort;
- und jedesmal dann zuckt umher im Kreise
- ein Fragen, das nur scheu um Antwort wirbt:
- »Was sagt der Arzt? Wie steht es?« –
- Leise, leise! Zu Ende geht’s; der greise Tiger stirbt.
- Bei matter Ampeln Zwielicht droben lag
- der kranke Cäsar auf den Purpurkissen.
- Sein fahl Gesicht, von Schwären wild zerrissen,
- erschien noch grauser heut, als sonst es pflag.
- Hohl glomm das Auge. Durch die Schläfe wallte
- des Fiebers Glut, daß jede Ader schlug.
- Niemand war bei ihm als der Arzt, der alte,
- und Macro, der des Hauses Schlüssel trug.
- Und jetzt mit halbersticktem Schreckensruf
- aus seinen Decken fuhr empor der Sieche,
- hochauf sich bäumend! »Schaff mir Kühlung, Grieche!
- Eis! Eis! im Busen trag‘ ich den Vesuv.
- O wie das brennt! Doch grimmer brennt das Denken
- im Haupt mir; ich verfluch es tausendmal,
- und kann’s doch lassen nicht zu meiner Qual;
- o gib mir Lethe, Lethe, mich zu tränken!
- Umsonst: dort wälzt sich’s wieder schon heran
- wie Rauchgewölk und ballt sich zu Gestalten.
- Sieh, von den Wunden heben sie die Falten
- und starren mich gebrochnen Auges an,
- Germanicus, und Drusus, und Sejan.
- Wer rief euch her? Kann euch das Grab nicht halten?
- Was saugt ihr mit dem Leichenblick, dem stieren,
- an meinem Blut und dörrt mir das Gebein?
- Es ist wahr, ich tötet‘ euch; doch mußt‘ es sein.
- Wer hieß im Würfelspiel euch auch verlieren!
- Hinweg! – Weh mir! Wann endet diese, Pein!«
- Der Arzt bot ihm den Kelch; er sog ihn leer
- und sank zurück in tödlichem Ermatten.
- Dann, aus den Kissen, blickt er scheu umher
- und frug verstört: »Nicht wahr? Du siehst nichts mehr?
- Fort sind sie, fort, die fürchterlichen Schatten.
- Vielleicht auch war’s nur Dunst. – Doch glaube mir,
- sie kamen oft schon nachts, und wie sie quälen,
- das weiß nur ich. – Doch still! – Komm, setz dich hier
- nah, nah; von anderm will ich dir erzählen.
- Auch ich war jung einst, traut‘ auf meinen Stern
- und glaubt‘ an Menschen. Doch der Wahn der Jugend
- zerstob zu bald nur; und, ins Innre lugend,
- verfault erfand ich alles Wesens Kern.
- Da war kein Ding so hoch und bar der Rüge,
- der Wurm saß drin; aus jeder Großtat sahn
- der Selbstsucht Züge mich versteinernd an.
- Lieb‘, Ehre, Tugend, alles Schein und Lüge!
- Nichts unterschied vom reißenden Getier
- dies Kotgeschlecht, als im ehrlosen Munde
- der Falschheit Honig und im Herzensgrunde
- die größre Feigheit und die wildre Gier.
- Wo war ein Freund, der nicht den Freund verriet?
- Ein Bruder, der nicht Brudermord gestiftet?
- Ein Weib, das lächelnd nicht den Mann vergiftet?
- Nichtswürdig alle – stets dasselbe Lied.
- Da ward auch ich wie sie. Und weil nur Schrecken
- sie zähmte, lernt‘ ich Schrecken zu erwecken.
- Und Krieg mit ihnen führt‘ ich. Zum Genuß
- ward ihre Qual mir, ihr verendend Röcheln.
- Ich schritt ins Blut hinein bis zu den Knöcheln.
- Doch auch das Grausen wird zum überdruß.
- Und jetzt, nur noch gequält vom Strahl des Lichts,
- matt, trostlos, reulos starr‘ ich in das Nichts.«
- Sein Wort ging tonlos aus; er keuchte leis
- im Krampf, von seinen Schläfen floß der Schweiß,
- und graß verstellt, wie eine Larve sah
- sein blutlos Antlitz. Zu des Lagers Stufen
- trat Macro da: »Soll ich den Cajus rufen,
- Herr, deinen Enkel, den Caligula?
- Du bist sehr krank.« – Doch jener: »Schlange, falle
- mein Fluch auf dich! Was geht dich Cajus an!
- Noch leb‘ ich, Mensch! Und Cajus ist wie alle,
- ein Narr, ein Schurk, ein Lügner, nur kein Mann!
- Und wär‘ er’s, frommt es nicht; kein Held verjüngt
- Rom und die Welt, wie er mit Blut sie düngt.
- Wenn’s Götter gäb, auf diesem Berg der Scherben
- Vermöcht‘ ein Gott selbst nicht mehr Frucht zu ziehn.
- Und nun der blöde Knab! Nein, nein, nicht ihn,
- die Rachegeister, welche mich verderben,
- die Furien, die der Abgrund ausgespien,
- sie und das Chaos setz‘ ich ein als Erben.
- Für sie das Zepter!« Und im Schlafgewand
- hoch sprang er auf, und wie die Glieder flogen
- im Todesschweiß, riß er vom Fensterbogen
- den Vorhang fort und warf mit irrer Hand
- hinaus den Stab der Herrschaft in die Nacht.
- Dann schlug er sinnlos hin.
- Im Hofe stand in sich vertieft ein Kriegsknecht auf der Wacht,
- blondbärtig, hoch. Zu dessen Füßen rollte
- des Zepters rundes Elfenbein und sprang
- vom glatten Marmorgrund mit hellem Klang
- an ihm empor, als ob’s ihn grüßen wollte.
- Er nahm es auf, unwissend was es sei,
- und sank zurück in seine Träumerei.
- Er dacht an seinen Wald im Wesertal:
- die düstern Wipfelkronen sah er ragen.
- Er sah am Malstein die Genossen tagen,
- blank jedes Wort, wie ihrer Streitaxt Stahl,
- und treu die Hand zum Sühnen wie zum Schlagen.
- Und an sein liebes Weib gedacht er dann;
- er sah sie sitzen an des Hüttleins Schwelle
- im langen, gelben Haar, wie sie, mit Schnelle
- die Spindel wirbelnd, in die Ferne sann,
- wohl her zu ihm. Und vor ihr spielt am Rhein
- sein Knabe, der den ersten Speer sich schnitzte,
- und dem so kühn das blaue Auge blitzte,
- als spräch’s: »Ein Schwert nur, und die Welt ist mein!«
- Und plötzlich floß dann – wie, verstand er kaum –
- ein andres Bild in seinen Heimatstraum:
- Vor seiner Seele drängt es sich mit Macht,
- wie er dereinst in heißen Morgenlanden
- als Wacht an eines Mannes Kreuz gestanden,
- bei dessen Tod die Sonn‘ erlosch in Nacht.
- Wohl lag dazwischen manch durchstürmter Tag,
- doch konnt er nie des Dulders Blick vergessen,
- darin ein Leidensabgrund unermessen
- und dennoch alles Segens Fülle lag.
- Und nun – wie kam’s nur? – über seinen Eichen
- sah er dies Kreuz erhöht als Siegeszeichen,
- und seines Volks Geschlechter sah er ziehn
- unzählig, stromgleich; über den Gefilden
- von Waffen wogt es, und auf ihren Schilden
- stand jener Mann; und Glorie strahlt um ihn.
- Da fuhr er auf. Aus des Palastes Hallen
- kam dumpf Geräusch, der Herr der Welt war tot.
- Er aber schaute kühn ins Morgenrot
- und sah’s wie einer Zukunft Vorhang wallen.
Der Tod des Tiberius
… eine Ballade von Emanuel GeibelDer Tod des Tiberius von Emanuel Geibel wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/geibel/der-tod-des-tiberius/
Quelle: https://balladen.net/geibel/der-tod-des-tiberius/