- Auf der Burg in reichgeschmückter Halle
- Schweigsam brütend sitzt der greise Stojan,
- Sitzt beim vollen Silberkrug und trinkt nicht,
- Starrt empor zum Balkenwerk der Decke,
- Das von güldnen Drachenköpfen funkelt;
- Hell in’s Fenster lacht die Spätherbstsonne,
- Doch nicht mit ihr lacht die Seele Stojans;
- Denn sie denkt Gedanken vor’ger Tage,
- Denkt und sinnt und weiß nicht froh zu werden.
- Tritt zu ihm herein vom See der Fischer,
- Neigt sich dreimal tief und spricht die Worte:
- Grüß dich Gott, Herr Stojan, mein Gebieter,
- Heute Nacht im See die Netze warf ich,
- Doch nicht Aale fing ich drin noch Karpfen,
- Noch die Brut des blaugefloßten Hechtes,
- Fing statt ihrer eine weiße Schlange,
- Weiß an Kopf und Rücken, roth am Bauche,
- Wer von solcher weißen Schlange isset,
- Der vernimmt es, was die Thiere sprechen,
- Aus dem Feld das Wild, im Laub die Vogel,
- Auch der Wipfel Rede mag er deuten,
- Wenn sie flüstern mit den grünen Zungen,
- Und des Bachs Geschwätz, der Winde Sausen,
- Giebst du dreißig Goldstück mir, Herr Stojan,
- Will ich dir die weiße Schlange lassen.
- Dreißig Goldstück giebt der Greis dem Fischer,
- Schickt ihn heim, und ruft den Koch zur Stelle,
- Daß er ihm die Schlange zubereite:
- Spricht dann zu sich selbst und pfeift dazwischen:
- Mag hinfort mich die Woiwodschaft meiden,
- Die mir nicht zum Schmause kommt um Ostern,
- Noch zum Zechgelag am Neujahrsabend;
- Fortan lach‘ ich ihres Außenbleibens.
- Reden werd‘ ich mit den Thieren draußen,
- Daß sie die Gedanken mir verscheuchen
- Und die Träume, die ich träum‘ im Wachen.
- Als die Mittagsstunde nun geschlagen,
- Bringt der Koch die Schlange wohlbereitet,
- Grünumkränzt auf goldgediegner Schüssel,
- Munter setzt Herr Stojan sich zur Tafel,
- Legt sich vor und ißt mit Wohlbehagen.
- Ißt und trinkt vom rothen Wein dazwischen,
- Bis die Schüssel auf den Grund geleert ist.
- Drauf vom Sessel springt er auf die Füße,
- Schnallt sich um den Säbel mit Smaragden,
- Heißt den Knecht sein türkisch Rothroß satteln,
- Schwingt sich auf und reitet aus dem Hofe.
- Bald im dichten Walde trabt Herr Stojan,
- Wo der Weg zum schwarzen See hinabführt,
- Laublos schon am Wege stehn die Bäume;
- In den Wipfeln hört er da ein Schallen,
- Das von Ast zu Aste weiterflüstert,
- Bang und traurig, wie von Menschenstimmen,
- Die ein dräuend Unheil sich verkünden.
- Doch er achtet’s kaum und reitet weiter.
- Als er nun den schwarzen See erreicht hat,
- Flattern über’s Wasser her zwei Raben,
- Alte Vögel beide, breitgeflügelt,
- Ruhn dann krächzend aus auf einer Fichte.
- Wohl vernimmt Herr Stojan was sie krächzen,
- Hält sein Rothroß an und lauscht zur Kurzweil.
- Spricht der erste Rabe da zum zweiten:
- Bruder, sprich, woher hast du den Goldreif,
- Den ich gestern sah in deinem Schnabel,
- Fein und blank, mit sieben rothen Steinen?
- Wo doch hast du den gefunden? Sag‘ mir’s.
- Ihm erwiedert drauf der andre Vogel:
- Mährlein will ich dir erzählen, Bruder,
- Von dem Goldreif, wunderliche Mährlein.
- Sind nun siebenundzwanzig Jahr und länger,
- Daß ein Mägdlein hier im Walde wohnte,
- Weiß und roth, mit langen schwarzen Zöpfen:
- Trug sie nur ein Hemd von grobem Linnen,
- Nur Sandalen an den weißen Füßen,
- Trug sie doch ein Antlitz wie die Blumen.
- Heller schien die Sonne, wenn sie lachte,
- Wenn sie sang, so stand das Bächlein stille,
- Grüner ward der Rasen, drauf sie tanzte.
- Sieh, da kam des Wegs ein Herr geritten,
- Reiherfedern an der Zobelmütze,
- Gold sein Zaum, sein Säbel mit Smaragden.
- Einmal kam er erst, dann kam er vielmals,
- Sprach ihr zu und schwur ihr hundert Schwüre,
- Steckt‘ ihr an den Finger einen Goldreif,
- Fein und blank, mit sieben rothen Steinen,
- Daß sie seinen Schwüren glauben möchte:
- Und sie glaubt‘ und ließ von ihm sich küssen.
- Lieblich däucht‘ es ihr den langen Sommer.
- Aber als im Herbst die Vögel zogen,
- Fernhin zogen und nicht wiederkamen,
- Kam auch er nicht wieder gleich den Vögeln;
- Wo er blieb, das mag die Sonne wissen.
- Noch jedweden Abend kam das Mägdlein,
- Saß am See und weinte heiße Thränen,
- Weint‘ hernieder auf den Schnee im Winter
- Und im Frühjahr auf die blauen Veilchen.
- Aber in der Nacht der Frühlingsgleiche
- Schrie sie laut empor vor großer Trübsal,
- Sprang hinunter dann in’s schwarze Wasser.
- Keiner hat sie wieder je gesehen;
- Nur den Goldreif warf der See an’s Ufer.
- So zum einen Raben spricht der andre,
- Doch Herrn Stojan dünkt es üble Kurzweil;
- Dröhnend schlägt das Herz ihm wie ein Hammer.
- Seinem Rothroß drückt er ein die Sporen,
- Daß es stöhnt und jählings drauf dahinschießt,
- Kreuz und quer, von keinem Pfad geleitet.
- Aber endlich keuchend hält es stille,
- Hält an einer Hütt‘ und will nicht weiter.
- Tief im finstern Walde liegt die Hütte,
- Hat nicht Fenster mehr, noch Thür und Angel,
- Hohes Unkraut wuchert auf der Schwelle.
- Sitzen auf dem Dach zwei wilde Tauben,
- Blau und weiß, ein Männlein und ein Weibchen,
- Gurren laut, und wohl vernimmt’s Herr Stojan.
- Fragt die wilde Taube da den Tauber:
- Männlein sprich, was ist’s mit dieser Hütte
- Daß darinnen keine Menschen hausen,
- Wie in allen Hütten sonst im Forste?
- Warum steht sie gar so öde? Sag‘ mir’s!
- Ihr erwiedert drauf der wilde Tauber:
- Mährlein sollst du hören, du mein Weibchen;
- Nicht zu jeder Zeit war’s hier so einsam.
- Wohnte vormals in der Hütt‘ ein Köhler,
- Alt von Jahren, schwarz, mit weißem Barte;
- Wohnte mit ihm drin ein junger Knabe,
- Sah nicht aus wie Köhlerbuben aussehn,
- Hieß er so, doch war er’s nicht in Wahrheit.
- Denn am See einst fand das Kind der Alte
- Morgens nach der Nacht der Frühlingsgleiche,
- Nahm’s und pflegt‘ es groß an Sohnes Stelle.
- Stark und schön erwuchs der Knab‘ im Walde,
- Goldne Locken sproßten ihm am Haupte,
- Schwarze Brauen über schwarzen Augen.
- Doch am Meiler mocht‘ er nimmer stehen,
- Noch die Kohlen schüren mit dem Schürbaum,
- Schnitzte lieber Bogen sich und Pfeile,
- Scharfe Pfeile, die das Wild erlegen,
- Oder zog sich Falken auf zur Beize.
- Täglich ging er dann hinaus zu jagen,
- Kehrte beim zu Nacht mit reicher Beute,
- Und der Köhler freute sich des Mahles.
- Aber einst am Tag der Sonnenwende –
- Sieben Jahre sind es nun und länger –
- Ging er auch zu Wald und kam nicht wieder,
- Kam auch nicht am andern Tag, noch später,
- Daß der Alte drob zu Tod sich härmte.
- Wo er blieb, das mag die Sonne wissen.
- So zur wilden Taube spricht der Tauber,
- Doch Herr Stojan hört es mit Entsetzen,
- Kalter Angstschweiß perlt ihm von der Stirne,
- Und zu Eis gefriert sein Herz im Leibe.
- Plötzlich wirft er dann herum sein Rothroß,
- Jagt nach Hause fort durch Dorn und Dickicht,
- Jagt in Hast, als ob der Tod ihn hetze.
- Scharf in’s Antlitz schlagen ihm die Aeste,
- Zornig pfeift der Wind aus Hagelwolken,
- Doch er merkt es kaum und fleucht von dannen.
- Als er nun das Thor der Burg erreicht hat,
- Sporenklirrend eilt er in die Halle,
- Heißt im Steinkamin ein Feuer zünden,
- Hoch aus Fichtenholz ein großes Feuer,
- Daß er sich sein frierend Herz erwärme,
- Wirft sich lechzend dann in seinen Sessel.
- Bald im Steinkamine brennt das Feuer,
- Brütend in’s Geloder starrt Herr Stojan;
- Aber wie er starrt, da saust es drinnen,
- Saust und prasselt um die harz’gen Scheite,
- Sieh und plötzlich reckt sich hoch die Flamme,
- Blitzt ihn an und spricht mit rothen Zungen:
- Mährlein künden will ich dir, Herr Stojan,
- Dunkle Mährlein von vergangnen Tagen.
- War ich einst ein Fichtenbaum im Walde,
- Streckte tief in’s Erdreich meine Wurzeln,
- Meinen Wipfel in des Himmels Bläue.
- Wohl gedenk‘ ich noch der alten Zeiten,
- Doch zumeist des Tags der Sonnenwende,
- Sieben Jahre sind es nun und länger.
- Saß ein Knabe da in meinem Schatten,
- Goldnen Haars mit schwarzen Augenbrauen,
- Trug auf seiner Faust den schönsten Falken,
- Spielt‘ und koste mit dem klugen Vogel.
- Zu der Stunde kamst auch du, Herr Stojan,
- Kamst vom Waidwerk durch den Busch geschritten,
- Sahst den Falten an, und er gefiel dir,
- Daß du trutzig ihn vom Knaben heischtest,
- Aber dieser wollt‘ ihn nimmer lassen,
- Faßt‘ ihn fest und lachte, da du drohtest,
- Lachte, wie du selber pflegst zu lachen,
- Da ergrimmte dir die finstre Seele,
- Zogst ein spitzes Messer aus den Gürtel,
- Stießest ihm in’s Herz das spitze Messer,
- Wandtest dich und flohst mit rothen Händen;
- kreischend hub der Falk sich in die Lüfte,
- Doch im Moos verscheidend lag der Knabe;
- Langsam aus der Wunde troff sein Herzblut,
- Troff in Strömen über meine Wurzeln,
- Troff hinunter in die schwarze Erde.
- Sieh, da schauderte die schwarze Erde,
- Zuckte wie im Krampf und schrie zur Sonne!
- Weh, von welchem Blut hab‘ ich getrunken!
- Blut, verströmt in unerhörtem Gräuel,
- Kindesblut von Vaterhand vergossen!
- Also saust im Steinkamin die Flamme.
- Da vom Sessel fluchend springt Herr Stojan,
- Reißt den krummen Säbel aus der Scheide,
- Haut in blinder Wuth damit in’s Feuer,
- Daß die Brände durch die Halle spritzen,
- Taumelt dann, und stürzt erschöpft zu Boden.
- Aber leise züngelt’s aus den Bränden,
- Schießt wie rothe Schlänglein hin und wieder,
- Leckt und klimmt empor am Wandgetäfel,
- Klimmt empor in’s Balkenwerk der Decke,
- Doch urplötzlich droben wächst die Lohe
- Wie ein Riesenfächer, der sich aufschlägt,
- Bricht zugleich durch Fenster, Pfort‘ und Gitter,
- Wirbelt aus dem Dach als Feuersäule,
- Wirbelt hochhinauf zum dunkeln Himmel,
- Und in Flammen kracht die Burg zusammen.
- Liegt nun tief im Wald ein Trümmerhaufen,
- Hochgethürmter Schutt, verkohlte Balken:
- Jagt kein Jäger dort und treibt kein Hirte,
- Singt kein Vogel auch an jener Stätte,
- Und kein Thau benetzt umher das Erdreich.
- Denn verflucht sind die geschwärzten Steine:
- Drunter liegen die Gebeine Stojans,
- Stojans, der den eignen Sohn erschlagen.
Die weiße Schlange
… eine Ballade von Emanuel GeibelDie weiße Schlange von Emanuel Geibel wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/geibel/die-weisse-schlange/
Quelle: https://balladen.net/geibel/die-weisse-schlange/