- Inmitten seiner Turbankrieger,
- Die Stirne voll Gewitterschein,
- Zog Omar, der Kalif, als Sieger
- Ins Tor der Ptolemäer ein.
- Umrauscht von Mekkas Halbmondbannern,
- Ritt langsam er dahin im Zug,
- Ihm folgte mit den Bogenspannern
- Ein Negerschwarm, der Fackeln trug.
- Sie zogen durch die öden Gassen,
- Durch Siegestor und Säulengang,
- Drin klirrend nur der Schritt der Massen,
- Der Hengste Stampfen widerklang;
- Schon lenkte zu den Porphyrstufen
- Der alten Hofburg der Kalif,
- Da warf vor seines Rosses Hufen
- Ein Greis sich in den Staub und rief:
- »O Herr, der Sieger warst du heute,
- Und diese Stadt des Nils ist dein,
- So nimm als reiche Schlachtenbeute
- Ihr Gold und Erz und Elfenbein.
- Die Türme stürz in Schutt zusammen,
- Zerbrich den Bilderschmuck des Hains,
- Die Tempel selber gib den Flammen!
- Nur eins verschone, Herr, nur eins;
- Sieh hin! Wo dort die Sphinxe grollen
- Am Tor, die Hüter unsres Ruhms,
- Da schläft in hunderttausend Rollen
- Der Geisterhort des Altertums.
- Was, seit der Erdkreis aufgerichtet,
- In Tat und Wort sich offenbart,
- Was je gedacht ward und gedichtet,
- Dort liegt’s der Nachwelt aufbewahrt.
- O gib den Schatz, aus allen Reichen
- Der Welt gehäuft mit treuem Fleiß,
- Gib dies Vermächtnis ohnegleichen,
- Der Menschheit Erbteil gib nicht preis!
- Nein, heilig sei auch dir die Stätte,
- Die jede Muse fromm geweiht,
- Streck drüber deine Hand und rette
- Der Zukunft die Vergangenheit!«
- Doch Omar zieht die Stirn in Falten
- Und spricht, indem sein Auge flammt:
- »Ich bin genaht, Gericht zu halten,
- Was drängst du, Tor, dich in mein Amt?
- Hinweg, daß meines Zorns Geloder
- Nicht dich samt deinen Rollen trifft!
- Die Schätze, die du rühmst, sind Moder
- Und was du Weisheit nennst, ist Gift.
- Schon allzulang am unfruchtbaren
- Vielwissen siecht die Welt erschlafft;
- Der Staub von mehr als tausend Jahren
- Liegt wie ein Alp auf jeder Kraft.
- Des Lebens Baum ließ ab zu lauben,
- Seit dran der Wurm des Zweifels zehrt:
- Wo ist ein Herz noch, frisch zum Glauben!
- Wo ist ein Arm noch, stark zum Schwert!
- Daß endlich diese Dumpfheit ende,
- Bin ich gesandt, vom Herrn ein Blitz.
- Auf! Schleudert denn die Feuerbrände
- In der verjährten Krankheit Sitz!
- Und wenn, umwogt vom Flammenmeere,
- Der aufgetürmte Wust zergeht,
- Ruft: Gott ist groß! Ihm sei die Ehre!
- Und Mahomed ist sein Prophet!«
Omar
… eine Ballade von Emanuel GeibelOmar von Emanuel Geibel wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/geibel/omar/
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