Lied des gefangnen Grafen
Graf
- Ich kenn ein Blümlein Wunderschön
- Und trage darnach Verlangen;
- Ich möcht es gerne zu suchen gehn,
- Allein ich bin gefangen.
- Die Schmerzen sind mir nicht gering;
- Denn als ich in der Freiheit ging,
- Da hatt ich es in der Nähe.
- Von diesem ringsum steilen Schloß
- Laß ich die Augen schweifen
- Und kann’s von hohem Turmgeschoß
- Mit Blicken nicht ergreifen;
- Und wer mir’s vor die Augen brächt,
- Es wäre Ritter oder Knecht,
- Der sollte mein Trauter bleiben.
- Ich blühe schön und höre dies
- Hier unter deinem Gitter.
- Du meinest mich, die Rose, gewiß,
- Du edler armer Ritter!
- Du hast gar einen hohen Sinn,
- Es herrscht die Blumenkönigin
- Gewiß auch in deinem Herzen.
- Dein Purpur ist aller Ehren wert
- Im grünen Überkleide;
- Darob das Mädchen dein begehrt,
- Wie Gold und edel Geschmeide.
- Dein Kranz erhöht das schönste Gesicht:
- Allein du bist das Blümchen nicht,
- Das ich im stillen verehre.
- Das Röslein hat gar stolzen Brauch
- Und strebet immer nach oben;
- Doch wird ein liebes Liebchen auch
- Der Lilie Zierde loben.
- Wem ’s Herze schlägt in treuer Brust
- Und ist sich rein, wie ich, bewußt,
- Der hält mich wohl am höchsten.
- Ich nenne mich zwar keusch und rein
- Und rein von bösen Fehlen;
- Doch muß ich hier gefangen sein
- Und muß mich einsam quälen.
- Du bist mir zwar ein schönes Bild
- Von mancher Jungfrau, rein und mild:
- Doch weiß ich noch was Liebers.
- Das mag wohl ich, die Nelke, sein,
- Hier in des Wächters Garten,
- Wie würde sonst der Alte mein
- Mit so viel Sorge warten?
- Im schönen Kreis der Blätter Drang,
- Und Wohlgeruch das Leben lang,
- Und alle tausend Farben.
- Die Nelke soll man nicht verschmähn,
- Sie ist des Gärtners Wonne:
- Bald muß sie in dem Lichte stehn,
- Bald schützt er sie vor Sonne;
- Doch was den Grafen glücklich macht,
- Es ist nicht ausgesuchte Pracht:
- Es ist ein stilles Blümchen.
- Ich steh verborgen und gebückt
- Und mag nicht gerne sprechen,
- Doch will ich, weil sich’s eben schickt,
- Mein tiefes Schweigen brechen.
- Wenn ich es bin, du guter Mann,
- Wie schmerzt mich’s, daß ich hinauf nicht kann
- Dir alle Gerüche senden.
- Das gute Veilchen schätz ich sehr:
- Es ist so gar bescheiden
- Und duftet so schön; doch brauch ich mehr
- In meinem herben Leiden.
- Ich will es euch nur eingestehn:
- Auf diesen dürren Felsenhöhn
- Ist’s Liebchen nicht zu finden.
- Doch wandelt unten, an dem Bach,
- Das treuste Weib der Erde,
- Und seufzet leise manches Ach,
- Bis ich erlöset werde.
- Wenn sie ein blaues Blümchen bricht
- Und immer sagt: »Vergiß mein nicht!«
- So fühl ich’s in der Ferne.
- Ja, in der Ferne fühlt sich die Macht,
- Wenn zwei sich redlich lieben;
- Drum bin ich in des Kerkers Nacht
- Auch noch lebendig geblieben.
- Und wenn mir fast das Herze bricht,
- So ruf ich nur: »Vergiß mein nicht!«
- Da komm ich wieder ins Leben.
Rose
Graf
Lilie
Graf
Nelke
Graf
Veilchen
Graf