– aliam tenui, sed iam quum gaudia adirem,
Admonuit dominae deseruitque Venus.
- Wir hören’s oft und glauben’s wohl am Ende:
- Das Menschenherz sei ewig unergründlich,
- Und wie man auch sich hin und wider wende,
- So sei der Christe wie der Heide sündlich.
- Das Beste bleibt, wir geben uns die Hände
- Und nehmen’s mit der Lehre nicht empfindlich;
- Denn zeigt sich auch ein Dämon, uns versuchend,
- So waltet was, gerettet ist die Tugend.
- Von meiner Trauten lange Zeit entfernet,
- Wie’s öfters geht, nach irdischem Gewinne,
- Und was ich auch gewonnen und gelernet,
- So hatt ich doch nur immer Sie im Sinne;
- Und wie zu Nacht der Himmel erst sich sternet,
- Erinnrung uns umleuchtet ferner Minne:
- So ward im Federzug des Tags Ereignis
- Mit süßen Worten ihr ein freundlich Gleichnis.
- Ich eilte nun zurück. Zerbrochen sollte
- Mein Wagen mich noch eine Nacht verspäten;
- Schon dacht ich mich, wie ich zu Hause rollte,
- Allein da war Geduld und Werk vonnöten.
- Und wie ich auch mit Schmied und Wagner tollte,
- Sie hämmerten, verschmähten viel zu reden.
- Ein jedes Handwerk hat nun seine Schnurren.
- Was blieb mir nun? Zu weilen und zu murren.
- So stand ich nun. Der Stern des nächsten Schildes
- Berief mich hin, die Wohnung schien erträglich.
- Ein Mädchen kam, des seltensten Gebildes,
- Das Licht erleuchtend. Mir ward gleich behäglich.
- Hausflur und Treppe sah ich als ein Mildes,
- Die Zimmerchen erfreuten mich unsäglich.
- Den sündigen Menschen der im Freien schwebet –
- Die Schönheit spinnt, sie ist’s die ihn umwebet.
- Nun setzt ich mich zu meiner Tasch und Briefen
- Und meines Tagebuchs Genauigkeiten,
- Um so wie sonst, wenn alle Menschen schliefen,
- Mir und der Trauten Freude zu bereiten;
- Doch weiß ich nicht, die Tintenworte liefen
- Nicht so wie sonst in alle Kleinigkeiten:
- Das Mädchen kam, des Abendessens Bürde
- Verteilte sie gewandt mit Gruß und Würde.
- Sie geht und kommt; ich spreche, sie erwidert;
- Mit jedem Wort erscheint sie mir geschmückter.
- Und wie sie leicht mir nun das Huhn zergliedert,
- Bewegend Hand und Arm, geschickt, geschickter –
- Was auch das tolle Zeug in uns befiedert –
- Genug ich bin verworrner, bin verrückter,
- Den Stuhl umwerfend spring ich auf und fasse
- Das schöne Kind; sie lispelt: »Lasse, lasse!
- Die Muhme drunten lauscht, ein alter Drache,
- Sie zählt bedächtig des Geschäfts Minute;
- Sie denkt sich unten, was ich oben mache,
- Bei jedem Zögern schwenkt sie frisch die Rute.
- Doch schließe deine Türe nicht und wache,
- So kommt die Mitternacht uns wohl zu Gute.«
- Rasch meinem Arm entwindet sie die Glieder,
- Und eilet fort und kommt nur dienend wieder;
- Doch blickend auch! So daß aus jedem Blicke
- Sich himmlisches Versprechen mir entfaltet.
- Den stillen Seufzer drängt sie nicht zurücke,
- Der ihren Busen herrlicher gestaltet.
- Ich sehe, daß am Ohr, um Hals und Gnicke
- Der flüchtigen Röte Liebesblüte waltet,
- Und da sie nichts zu leisten weiter findet,
- Geht sie und zögert, sieht sich um, verschwindet.
- Der Mitternacht gehören Haus und Straßen,
- Mir ist ein weites Lager aufgebreitet,
- Wovon den kleinsten Teil mir anzumaßen
- Die Liebe rät, die alles wohl bereitet;
- Ich zaudre noch, die Kerzen auszublasen,
- Nun hör ich sie, wie leise sie auch gleitet,
- Mit gierigem Blick die Hochgestalt umschweif ich,
- Sie senkt sich her, die Wohlgestalt ergreif ich.
- Sie macht sich los: »Vergönne daß ich rede,
- Damit ich dir nicht völlig fremd gehöre.
- Der Schein ist wider mich, sonst war ich blöde,
- Stets gegen Männer setzt ich mich zur Wehre.
- Mich nennt die Stadt, mich nennt die Gegend spröde;
- Nun aber weiß ich, wie das Herz sich kehre:
- Du bist mein Sieger, laß dich’s nicht verdrießen,
- Ich sah, ich liebte, schwur dich zu genießen.
- Du hast mich rein, und wenn ich’s besser wüßte,
- So gäb ich’s dir; ich tue was ich sage.«
- So schließt sie mich an ihre süßen Brüste,
- Als ob ihr nur an meiner Brust behage.
- Und wie ich Mund und Aug und Stirne küßte,
- So war ich doch in wunderbarer Lage:
- Denn der so hitzig sonst den Meister spielet,
- Weicht schülerhaft zurück und abgekühlet.
- Ihr scheint ein süßes Wort, ein Kuß zu gnügen,
- Als wär es alles was ihr Herz begehrte.
- Wie keusch sie mir, mit liebevollem Fügen,
- Des süßen Körpers Fülleform gewährte!
- Entzückt und froh in allen ihren Zügen
- Und ruhig dann, als wenn sie nichts entbehrte.
- So ruht ich auch, gefällig sie beschauend,
- Noch auf den Meister hoffend und vertrauend.
- Doch als ich länger mein Geschick bedachte,
- Von tausend Flüchen mir die Seele kochte,
- Mich selbst verwünschend, grinsend mich belachte,
- Nichts besser ward, wie ich auch zaudern mochte,
- Da lag sie schlafend, schöner als sie wachte;
- Die Lichter dämmerten mit langem Dochte.
- Der Tages-Arbeit, jugendlicher Mühe
- Gesellt sich gern der Schlaf und nie zu frühe.
- So lag sie himmlisch an bequemer Stelle,
- Als wenn das Lager ihr allein gehörte,
- Und an die Wand gedrückt, gequetscht zur Hölle,
- Ohnmächtig jener, dem sie nichts verwehrte.
- Vom Schlangenbisse fällt zunächst der Quelle
- Ein Wandrer so, den schon der Durst verzehrte.
- Sie atmet lieblich holdem Traum entgegen;
- Er hält den Atem, sie nicht aufzuregen.
- Gefaßt bei dem, was ihm noch nie begegnet,
- Spricht er zu sich: So mußt du doch erfahren,
- Warum der Bräutigam sich kreuzt und segnet,
- Vor Nestelknüpfen scheu sich zu bewahren.
- Weit lieber da, wo’s Hellebarden regnet,
- Als hier im Schimpf! So war es nicht vor Jahren,
- Als deine Herrin dir zum ersten Male
- Vors Auge trat im prachterhellten Saale.
- Da quoll dein Herz, da quollen deine Sinnen,
- So daß der ganze Mensch entzückt sich regte.
- Zum raschen Tanze trugst du sie von hinnen,
- Die kaum der Arm und schon der Busen hegte,
- Als wolltest du dir selbst sie abgewinnen;
- Vervielfacht war, was sich für sie bewegte:
- Verstand und Witz und alle Lebensgeister
- Und rascher als die andern jener Meister.
- So immerfort wuchs Neigung und Begierde,
- Brautleute wurden wir im frühen Jahre,
- Sie selbst des Maien schönste Blum und Zierde;
- Wie wuchs die Kraft zur Lust im jungen Paare!
- Und als ich endlich sie zur Kirche führte,
- Gesteh ich’s nur, vor Priester und Altare,
- Vor deinem Jammerkreuz, blutrünstger Christe,
- Verzeih mir’s Gott, es regte sich der Iste.
- Und ihr, der Brautnacht reiche Bettgehänge,
- Ihr Pfühle, die ihr euch so breit erstrecktet,
- Ihr Teppiche, die Lieb und Lustgedränge
- Mit euren seidnen Fittichen bedecktet!
- Ihr Käfigvögel, die durch Zwitscher-Sänge
- Zu neuer Lust und nie zu früh erwecktet!
- Ihr kanntet uns, von eurem Schutz umfriedet,
- Teilnehmend sie, mich immer unermüdet.
- Und wie wir oft sodann im Raub genossen
- Nach Buhlenart des Ehstands heilge Rechte,
- Von reifer Saat umwogt, vom Rohr umschlossen,
- An manchem Unort, wo ich’s mich erfrechte,
- Wir waren augenblicklich, unverdrossen
- Und wiederholt bedient vom braven Knechte!
- Verfluchter Knecht, wie unerwecklich liegst du!
- Und deinen Herrn ums schönste Glück betriegst du.
- Doch Meister Iste hat nun seine Grillen
- Und läßt sich nicht befehlen noch verachten,
- Auf einmal ist er da, und ganz im stillen
- Erhebt er sich zu allen seinen Prachten;
- So steht es nun dem Wandrer ganz zu Willen,
- Nicht lechzend mehr am Quell zu übernachten.
- Er neigt sich hin, er will die Schläferin küssen,
- Allein er stockt, er fühlt sich weggerissen.
- Wer hat zur Kraft ihn wieder aufgestählet,
- Als jenes Bild, das ihm auf ewig teuer,
- Mit dem er sich in Jugendlust vermählet?
- Dort leuchtet her ein frisch erquicklich Feuer,
- Und wie er erst in Ohnmacht sich gequälet,
- So wird nun hier dem Starken nicht geheuer;
- Er schaudert weg, vorsichtig, leise, leise
- Entzieht er sich dem holden Zauberkreise,
- Sitzt, schreibt: »Ich nahte mich der heimischen Pforte,
- Entfernen wollten mich die letzten Stunden,
- Da hab ich nun, am sonderbarsten Orte,
- Mein treues Herz aufs neue dir verbunden.
- Zum Schlusse findest du geheime Worte:
- Die Krankheit erst bewähret den Gesunden.
- Dies Büchlein soll dir manches Gute zeigen,
- Das Beste nur muß ich zuletzt verschweigen.«
- Da kräht der Hahn. Das Mädchen schnell entwindet
- Der Decke sich und wirft sich rasch ins Mieder.
- Und da sie sich so seltsam wiederfindet,
- So stutzt sie, blickt und schlägt die Augen nieder;
- Und da sie ihm zum letzten Mal verschwindet,
- Im Auge bleiben ihm die schönen Glieder.
- Das Posthorn tönt, er wirft sich in den Wagen
- Und läßt getrost sich zu der Liebsten tragen.
- Und weil zuletzt bei jeder Dichtungsweise
- Moralien uns ernstlich fördern sollen,
- So will auch ich in so beliebtem Gleise
- Euch gern bekennen, was die Verse wollen:
- Wir stolpern wohl auf unsrer Lebensreise,
- Und doch vermögen in der Welt, der tollen,
- Zwei Hebel viel aufs irdische Getriebe:
- Sehr viel die Pflicht, unendlich mehr die Liebe!
Das Tagebuch von
Johann Wolfgang von Goethe wurde von
balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/goethe/das-tagebuch/