- »O wären wir weiter, o wär ich zu Haus!
- Sie kommen, da kommt schon der nächtliche Graus;
- Sie sind’s, die unholdigen Schwestern.
- Sie streifen heran, und sie finden uns hier,
- Sie trinken das mühsam geholte, das Bier,
- Und lassen nur leer uns die Krüge.«
- So sprechen die Kinder und drücken sich schnell;
- Da zeigt sich vor ihnen ein alter Gesell:
- »Nur stille, Kind! Kinderlein, stille!
- Die Hulden, sie kommen von durstiger Jagd,
- Und laßt ihr sie trinken, wie’s jeder behagt,
- Dann sind sie euch hold, die Unholden.«
- Gesagt so geschehn! und da naht sich der Graus
- Und siehet so grau und so schattenhaft aus,
- Doch schlürft es und schlampft es aufs beste.
- Das Bier ist verschwunden, die Krüge sind leer;
- Nun saust es und braust es, das wütige Heer,
- Ins weite Getal und Gebirge.
- Die Kinderlein ängstlich gen Hause so schnell,
- Gesellt sich zu ihnen der fromme Gesell:
- »Ihr Püppchen, nur seid mir nicht traurig.«
- »Wir kriegen nun Schelten und Streich‘ bis aufs Blut.«
- »Nein, keineswegs, alles geht herrlich und gut,
- Nur schweiget und horchet wie Mäuslein.
- Und der es euch anrät und der es befiehlt,
- Er ist es, der gern mit den Kindelein spielt,
- Der alte Getreue, der Eckart.
- Vom Wundermann hat man euch immer erzählt,
- Nur hat die Bestätigung jedem gefehlt,
- Die habt ihr nun köstlich in Händen.«
- Sie kommen nach Hause, sie setzen den Krug
- Ein jedes den Eltern bescheiden genug
- Und harren der Schläg und der Schelten.
- Doch siehe, man kostet: ein herrliches Bier!
- Man trinkt in die Runde schon dreimal und vier,
- Und noch nimmt der Krug nicht ein Ende.
- Das Wunder, es dauert zum morgenden Tag.
- Doch fraget, wer immer zu fragen vermag:
- »Wie ist’s mit den Krügen ergangen?«
- Die Mäuslein, sie lächeln, im stillen ergetzt;
- Sie stammeln und stottern und schwatzen zuletzt,
- Und gleich sind vertrocknet die Krüge.
- Und wenn euch, ihr Kinder, mit treuem Gesicht
- Ein Vater, ein Lehrer, ein Aldermann spricht,
- So horchet und folget ihm pünktlich!
- Und liegt auch das: Zünglein in peinlicher Hut,
- Verplaudern ist schädlich, verschweigen ist gut;
- Dann füllt sich das Bier in den Krügen.
Der getreue Eckart
… eine Ballade von Johann Wolfgang von GoetheDer getreue Eckart von Johann Wolfgang von Goethe wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/goethe/der-getreue-eckart/
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