- Die Königin steht im hohen Saal,
- Da brennen der Kerzen so viele;
- Sie spricht zum Pagen: »Du läufst einmal
- Und holst mir den Beutel zum Spiele.
- Er liegt zur Hand
- Auf meines Tisches Rand.«
- Der Knabe, der eilt so behende,
- War bald an Schlosses Ende.
- Und neben der Königin schlürft zur Stund
- Sorbet die schönste der Frauen.
- Da brach ihr die Tasse so hart an dem Mund,
- Es war ein Greuel zu schauen.
- Verlegenheit! Scham!
- Ums Prachtkleid ist’s getan!
- Sie eilt und fliegt so behende
- Entgegen des Schlosses Ende.
- Der Knabe zurück zu laufen kam
- Entgegen der Schönen in Schmerzen,
- Es wußt es niemand, doch beide zusamm‘,
- Sie hegten einander im Herzen;
- Und o des Glücks,
- Des günst’gen Geschicks!
- Sie warfen mit Brust sich zu Brüsten
- Und herzten und küßten nach Lüsten.
- Doch endlich beide sich reißen los;
- Sie eilt in ihre Gemächer;
- Der Page drängt sich zur Königin groß
- Durch alle die Degen und Fächer.
- Die Fürstin entdeckt
- Das Westchen befleckt:
- Für sie war nichts unerreichbar,
- Der Königin von Saba vergleichbar.
- Und sie die Hofmeisterin rufen läßt:
- »Wir kamen doch neulich zu Streite,
- Und Ihr behauptetet steif und fest,
- Nicht reiche der Geist in die Weite;
- Die Gegenwart nur,
- Die lasse wohl Spur;
- Doch niemand wirk in die Ferne,
- Sogar nicht die himmlischen Sterne.
- Nun seht! Soeben ward mir zur Seit
- Der geistige Süßtrank verschüttet,
- Und gleich darauf hat er dort hinten so weit
- Dem Knaben die Weste zerrüttet. –
- Besorg dir sie neu!
- Und weil ich mich freu,
- Daß sie mir zum Beweise gegolten,
- Ich zahl sie! sonst wirst du gescholten.«
Wirkung in die Ferne
… eine Ballade von Johann Wolfgang von GoetheWirkung in die Ferne von Johann Wolfgang von Goethe wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/goethe/wirkung-in-die-ferne/
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