- Was flattern die Raben am Hochgericht?
- Was wimmert der Eulen ächzend Gezücht?
- Sie wimmern der Sünderin Leichengesang,
- Den Totenreih’n flattern die Raben bang.
- Was blicket der Mond so bleich herab?
- Er blicket traurig aufs frische Grab,
- Wo eingescharrt die Verbrech’rin, die heut
- Am Rade der grinsende Tod gefreit.
- Ein Knäblein, das sündige Liebe gebar,
- Rang hilflos das zarte Händepaar;
- Statt Lebens gab Tod ihm der Mutter Hand,
- Weil treulos der Vater in fernem Land. –
- Der zieht nun zur Heimat bei stiller Nacht,
- Kein Ahnungsbild ist in dem Falschen erwacht,
- Vergessen die Taube, die er verführt,
- Weil neue Liebe sein Herz nun regiert.
- Und sinnend wallt er in die Nacht hinein,
- Hell blinken die Sterne, der Mond so rein;
- Da flattert der Raben und Eulen Gezücht,
- Und siehe, er steht am Hochgericht.
- Dort schimmert im silbernen Mondenlicht
- Ein frisches Grab; er kennt es wohl nicht –
- Und neben dem Leichenhügel hinab
- Senkt tief sich, noch offen, ein anderes Grab.
- Da fährt es ihm schaurig und kalt durch den Sinn,
- Er starrt auf die beiden Gräber hin,
- Und wie er aus seinem Entsetzen erwacht,
- Sieht wandeln er eine Gestalt durch die Nacht.
- Sie wallet ihm näher, und er erblickt
- Ein Mädchen von himmlischer Anmut geschmückt;
- Ein Kranz ihr weißrosig die Stirne umschließt,
- Von welcher das goldene Lockenhaar fließt.
- So steht vor ihm das herrliche Weib,
- Ein Band von Demant umschlingt ihr den Leib,
- Es streuet der Mond sein Silberlicht
- Ihr mild in das bleiche Angesicht.
- Und als er ins Antlitz der Wanderin schaut,
- Erblickt er erstaunt die betrogene Braut,
- Nun lodert der Liebe erstorbene Glut,
- Es fließt ihm so wohl durch Gebein und Blut.
- »Woher fein Liebchen, so spät bei der Nacht?
- Was hat aus dem wärmenden Bett dich gebracht?«
- »Ich floh aus der Kammer, da weil‘ ich nicht gern,
- Denn Liebster, ich glaubte dich treulos und fern.
- Es ließ im Gemach mir nicht Rast und Ruh,
- Drum wallt‘ ich im Gram deinem Pfade zu.«
- »Was deutet am Haupte der rosige Kranz?
- Was prangst du so reich in des Schmuckes Glanz?«
- »Der Brautkranz, der blüht auf dem Haupte mir,
- Das Brautkleid, das ist meines Leibes Zier,
- Es harren die Hochzeitsgäste im Haus,
- Es blieb nur der Bräutigam zögernd aus.«
- »Ich walle, mein Liebchen, zur Hochzeit mit dir,
- Doch reiche erst liebend den Brautkuß mir,
- Dann eine uns Segen und Schwur am Altar,
- Dann schlinge den Reigen der Gäste Schar.«
- Er schwellet zum Kusse die Lippe so heiß,
- Doch Schrecken, er küßt nur Moder und Eis;
- Es rieselt ihm Fieberfrost durch das Gebein,
- Es schwindet verlöschend des Auges Schein.
- Er sinket, er sinket im Schwindel hinab,
- Und taumelnd sinkt er in das offene Grab,
- Sein brechend Auge noch statt der Braut
- Am Rade ein blaues Irrlicht erschaut.
- Und krächzend flattert vom Hochgericht
- Hinab auf die Leiche der Raben Gezücht,
- Es wimmern die Eulen den Totengesang
- Und durch die Nacht widerhallt es bang.
Der Brautkuß
… eine Ballade von Anastasius GrünDer Brautkuß von Anastasius Grün wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/gruen/der-brautkuss/
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