- Frau Amme, Frau Amme, das Kind ist erwacht!
- Doch die liegt ruhig im Schlafe.
- Die Vöglein zwitschern, die Sonne lacht,
- Am Hügel weiden die Schafe.
- Frau Amme, Frau Amme, das Kind steht auf,
- Es wagt sich weiter und weiter!
- Hinab zum Brunnen nimmt es den Lauf,
- Da stehen Blumen und Kräuter.
- Frau Amme, Frau Amme, der Brunnen ist tief!
- Sie schläft, als läge sie drinnen!
- Das Kind läuft schnell, wie es nie noch lief,
- Die Blumen locken’s von hinnen.
- Nun steht es am Brunnen, nun ist es am Ziel,
- Nun pflückt es die Blumen sich munter,
- Doch bald ermüdet das reizende Spiel,
- Da schaut’s in die Tiefe hinunter.
- Und unten erblickt es ein holdes Gesicht,
- Mit Augen, so hell und so süße.
- Es ist sein eig’nes, das weiß es noch nicht,
- Viel stumme, freundliche Grüße!
- Das Kindlein winkt, der Schatten geschwind
- Winkt aus der Tiefe ihm wieder.
- Herauf! Herauf! So meint’s das Kind:
- Der Schatten: Hernieder! Hernieder!
- Schon beugt es sich über den Brunnenrand,
- Frau Amme, du schläfst noch immer!
- Da fallen die Blumen ihm aus der Hand,
- Und trüben den lockenden Schimmer.
- Verschwunden ist sie, die süße Gestalt,
- Verschluckt von der hüpfenden Welle,
- Das Kind durchschauert’s fremd und kalt,
- Und schnell enteilt es der Stelle.
Das Kind am Brunnen
… eine Ballade von Friedrich HebbelDas Kind am Brunnen von Friedrich Hebbel wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/hebbel/das-kind-am-brunnen/
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