- Blitze lauern hinter Wolken,
- In den Eichen wühlt der Sturm;
- Dicker Wald; ein Notgeläute
- Hallt schon dumpf von manchem Turm.
- Ruhig unterm breiten Baume,
- Seine Pfeife in dem Mund,
- Liegt der alte Räuberhauptmann;
- Ihm zu Füßen schläft sein Hund.
- Und ein Jüngling, bleich, wie keiner,
- Streckt sich ihm zur Seite hin,
- »Schleif dein Messer!« spricht der Alte,
- Er gehorcht mit schwerem Sinn.
- Rot und zischend zwischen beide
- Springt ein Blitz, doch trifft er nicht.
- »Vater unser!« ruft der Jüngling,
- Doch der Alte flucht und spricht:
- »Vater unser laß ich gelten,
- Wenn man auf dem Richtstuhl sitzt,
- Wenn die Schere in den Haaren
- Und das Beil im Nacken blitzt.
- Jetzt verbiet’ ich dir das Beten,
- Denn zum Herrn erkorst du mich,
- Und ich stell’ den Mord noch heute
- Dunkel zwischen Gott und dich!
- Ja, ich schwör’s, du sollst den ersten,
- Den du hier erblicken wirst,
- Töten, daß du nicht noch einmal
- Dich von mir zu Gott verirrst.
- Du erschrickst? Ich will’s nicht schelten,
- Mir auch schien das einst gar viel,
- Und auch du erlebst die Zeiten,
- Wo du’s treibst, wie ich, als Spiel.
- Mir ist solch ein Mut gekommen,
- Seit ich, weil er zornig sprach
- Vom Gericht und andern Dingen,
- Meinen Vater niederstach.«
- Angstgeschüttelt ruft der Jüngling:
- »Nimmer, nimmer tatst du das!«
- Kräftig schmauchend spricht der Alte:
- »Ei, ich tat’s, und ist’s denn was?«
- »Wohl, da muß ich’s freilich halten,
- Was du schwurst und tu’s mit Lust!«
- Ruft’s, und stößt dem grausen Alten
- Fest sein Messer in die Brust.
- Jener ballt die Hand, verröchelnd,
- Doch er sieht es ohne Graus,
- Betet, wie nach einem Opfer,
- Laut sein Vaterunser aus.
Vater unser
… eine Ballade von Friedrich HebbelVater unser von Friedrich Hebbel wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/hebbel/vater-unser/
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