Beine hat uns zwei gegeben

eine Ballade von Heinrich Heine
  1. Beine hat uns zwei gegeben
  2. Gott der Herr, um fortzustreben,
  3. Wollte nicht, daß an der Scholle
  4. Unsre Menschheit kleben solle.
  5. Um ein Stillstandsknecht zu sein,
  6. Gnügte uns ein einzges Bein.
  7. Augen gab uns Gott ein Paar,
  8. Daß wir schauen rein und klar;
  9. Um zu glauben was wir lesen,
  10. Wär ein Auge gnug gewesen.
  11. Gott gab uns die Augen beide,
  12. Daß wir schauen und begaffen
  13. Wie er hübsch die Welt erschaffen
  14. Zu des Menschen Augenweide;
  15. Doch beim Gaffen in den Gassen
  16. Sollen wir die Augen brauchen
  17. Und uns dort nicht treten lassen
  18. Auf die armen Hühneraugen,
  19. Die uns ganz besonders plagen,
  20. Wenn wir enge Stiefel tragen.
  21. Gott versah uns mit zwei Händen,
  22. Daß wir doppelt Gutes spenden;
  23. Nicht um doppelt zuzugreifen
  24. Und die Beute aufzuhäufen
  25. In den großen Eisentruhn,
  26. Wie gewisse Leute tun –
  27. (Ihren Namen auszusprechen
  28. Dürfen wir uns nicht erfrechen –
  29. Hängen würden wir sie gern.
  30. Doch sie sind so große Herrn,
  31. Philanthropen, Ehrenmänner,
  32. Manche sind auch unsre Gönner,
  33. Und man macht aus deutschen Eichen
  34. Keine Galgen für die Reichen.)
  35. Gott gab uns nur eine Nase,
  36. Weil wir zwei in einem Glase
  37. Nicht hineinzubringen wüßten,
  38. Und den Wein verschlappern müßten.
  39. Gott gab uns nur einen Mund,
  40. Weil zwei Mäuler ungesund.
  41. Mit dem einen Maule schon
  42. Schwätzt zu viel der Erdensohn.
  43. Wenn er doppeltmäulig wär,
  44. Fräß und lög er auch noch mehr.
  45. Hat er jetzt das Maul voll Brei,
  46. Muß er schweigen unterdessen,
  47. Hätt er aber Mäuler zwei,
  48. Löge er sogar beim Fressen.
  49. Mit zwei Ohren hat versehn
  50. Uns der Herr. Vorzüglich schön
  51. Ist dabei die Symmetrie.
  52. Sind nicht ganz so lang wie die,
  53. So er unsern grauen braven
  54. Kameraden anerschaffen.
  55. Ohren gab uns Gott die beiden,
  56. Um von Mozart, Gluck und Hayden
  57. Meisterstücke anzuhören –
  58. Gäb es nur Tonkunst-Kolik
  59. Und Hämorrhoidal-Musik
  60. Von dem großen Meyerbeer,
  61. Schon ein Ohr hinlänglich wär! –
  62. Als zur blonden Teutolinde
  63. Ich in solcher Weise sprach,
  64. Seufzte sie und sagte: Ach!
  65. Grübeln über Gottes Gründe,
  66. Kritisieren unsern Schöpfer,
  67. Ach! das ist, als ob der Topf
  68. Klüger sein wollt als der Töpfer!
  69. Doch der Mensch fragt stets: Warum?
  70. Wenn er sieht, daß etwas dumm.
  71. Freund, ich hab dir zugehört,
  72. Und du hast mir gut erklärt,
  73. Wie zum weisesten Behuf
  74. Gott den Menschen zwiefach schuf
  75. Augen, Ohren, Arm‘ und Bein‘,
  76. Wahrend er ihm gab nur ein
  77. Exemplar von Nas und Mund –
  78. Doch nun sage mir den Grund:
  79. Gott, der Schöpfer der Natur,
  80. Warum schuf er einfach nur
  81. Das skabröse Requisit,
  82. Das der Mann gebraucht, damit
  83. Er fortpflanze seine Rasse
  84. Und zugleich sein Wasser lasse?
  85. Teurer Freund, ein Duplikat
  86. Wäre wahrlich hier vonnöten,
  87. Um Funktionen zu vertreten,
  88. Die so wichtig für den Staat
  89. Wie fürs Individuum,
  90. Kurz fürs ganze Publikum.
  91. Zwei Funktionen, die so greulich
  92. Und so schimpflich und abscheulich
  93. Miteinander kontrastieren
  94. Und die Menschheit sehr blamieren.
  95. Eine Jungfrau von Gemüt
  96. Muß sich schämen, wenn sie sieht,
  97. Wie ihr höchstes Ideal
  98. Wird entweiht so trivial!
  99. Wie der Hochaltar der Minne
  100. Wird zur ganz gemeinen Rinne!
  101. Psyche schaudert, denn der kleine
  102. Gott Amur der Finsternis,
  103. Er verwandelt sich beim Scheine
  104. Ihrer Lamp – in Mankepiß.
  105. Also Teutolinde sprach,
  106. Und ich sagte ihr: Gemach!
  107. Unklug wie die Weiber sind,
  108. Du verstehst nicht, liebes Kind,
  109. Gottes Nützlichkeitssystem,
  110. Sein Ökonomie-Problem
  111. Ist, daß wechselnd die Maschinen
  112. Jeglichem Bedürfnis dienen,
  113. Den profanen wie den heilgen,
  114. Den pikanten wie langweilgen, –
  115. Alles wird simplifiziert;
  116. Klug ist alles kombiniert:
  117. Was dem Menschen dient zum Seichen,
  118. Damit schafft er seinesgleichen
  119. Auf demselben Dudelsack
  120. Spielt dasselbe Lumpenpack.
  121. Feine Pfote, derbe Patsche,
  122. Fiddelt auf derselben Bratsche,
  123. Durch dieselben Dämpfe, Räder
  124. Springt und singt und gähnt ein jeder,
  125. Und derselbe Omnibus
  126. Fährt uns nach dem Tartarus.
Beine hat uns zwei gegeben von Heinrich Heine wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/heine/beine-hat-uns-zwei-gegeben/