- Ein Pudel, der mit gutem Fug
- Den schönen Namen Brutus trug,
- War vielberühmt im ganzen Land
- Ob seiner Tugend und seinem Verstand.
- Er war ein Muster der Sittlichkeit,
- Der Langmut und Bescheidenheit.
- Man hörte ihn loben, man hörte ihn preisen
- Als einen vierfüßigen Nathan den Weisen.
- Er war ein wahres Hundejuwel!
- So ehrlich und treu! eine schöne Seel!
- Auch schenkte sein Herr in allen Stücken
- Ihm volles Vertrauen, er konnte ihn schicken
- Sogar zum Fleischer. Der edle Hund
- Trug dann einen Hängekorb im Mund,
- Worin der Metzger das schöngehackte
- Rindfleisch, Schaffleisch, auch Schweinefleisch packte. –
- Wie lieblich und lockend das Fett gerochen,
- Der Brutus berührte keinen Knochen,
- Und ruhig und sicher, mit stoischer Würde,
- Trug er nach Hause die kostbare Bürde.
- Doch unter den Hunden wird gefunden
- Auch eine Menge von Lumpenhunden
- – Wie unter uns -, gemeine Köter,
- Tagdiebe, Neidharde, Schwerenöter,
- Die ohne Sinn für sittliche Freuden
- Im Sinnenrausch ihr Leben vergeuden!
- Verschworen hatten sich solche Racker
- Gegen den Brutus, der treu und wacker,
- Mit seinem Korb im Maule, nicht
- Gewichen von dem Pfad der Pflicht. –
- Und eines Tages, als er kam
- Vom Fleischer und seinen Rückweg nahm
- Nach Hause, da ward er plötzlich von allen
- Verschwornen Bestien überfallen;
- Da ward ihm der Korb mit dem Fleisch entrissen
- Da fielen zu Boden die leckersten Bissen,
- Und fraßbegierig über die Beute
- Warf sich die ganze hungrige Meute –
- Brutus sah anfangs dem Schauspiel zu,
- Mit philosophischer Seelenruh;
- Doch als er sah, daß solchermaßen
- Sämtliche Hunde schmausten und fraßen,
- Da nahm auch er an der Mahlzeit teil
- Und speiste selbst eine Schöpsenkeul.
- Auch du, mein Brutus, auch du, du frißt?
- So ruft wehmütig der Moralist.
- Ja, böses Beispiel kann verführen;
- Und, ach! gleich allen Säugetieren,
- Nicht ganz und gar vollkommen ist
- Der tugendhafte Hund – er frißt!
Moral