Donna Clara

eine Ballade von Heinrich Heine
  1. In dem abendlichen Garten
  2. Wandelt des Alkaden Tochter;
  3. Pauken- und Trommetenjubel
  4. Klingt herunter von dem Schlosse.
  5. »Lästig werden mir die Tänze
  6. Und die süßen Schmeichelworte,
  7. Und die Ritter, die so zierlich
  8. Mich vergleichen mit der Sonne.
  9. Überlästig wird mir alles,
  10. Seit ich sah, beim Strahl des Mondes,
  11. Jenen Ritter, dessen Laute
  12. Nächtens mich ans Fenster lockte.
  13. Wie er stand so schlank und mutig,
  14. Und die Augen leuchtend schossen
  15. Aus dem edelblassen Antlitz,
  16. Glich er wahrlich Sankt Georgen.«
  17. Also dachte Donna Clara,
  18. Und sie schaute auf den Boden;
  19. Wie sie aufblickt, steht der schöne,
  20. Unbekannte Ritter vor ihr.
  21. Händedrückend, liebeflüsternd
  22. Wandeln sie umher im Mondschein,
  23. Und der Zephir schmeichelt freundlich,
  24. Märchenartig grüßen Rosen.
  25. Märchenartig grüßen Rosen,
  26. Und sie glühn wie Liebesboten. –
  27. Aber sage mir, Geliebte,
  28. Warum du so plötzlich rot wirst?
  29. »Mücken stachen mich, Geliebter,
  30. Und die Mücken sind, im Sommer,
  31. Mir so tief verhaßt, als wärens
  32. Langenasge Judenrotten.«
  33. Laß die Mücken und die Juden,
  34. Spricht der Ritter, freundlich kosend.
  35. Von den Mandelbäumen fallen
  36. Tausend weiße Blütenflocken.
  37. Tausend weiße Blütenflocken
  38. Haben ihren Duft ergossen. –
  39. Aber sage mir Geliebte,
  40. Ist dein Herz mir ganz gewogen?
  41. »Ja, ich liebe dich, Geliebter,
  42. Bei dem Heiland seis geschworen,
  43. Den die gottverfluchten Juden
  44. Boshaft tückisch einst ermordet.«
  45. Laß den Heiland und die Juden,
  46. Spricht der Ritter, freundlich kosend.
  47. In der Ferne schwanken traumhaft
  48. Weiße Liljen, lichtumflossen.
  49. Weiße Liljen, lichtumflossen,
  50. Blicken nach den Sternen droben. –
  51. Aber sage mir Geliebte,
  52. Hast du auch nicht falsch geschworen?
  53. »Falsch ist nicht in mir, Geliebter,
  54. Wie in meiner Brust kein Tropfen
  55. Blut ist von dem Blut der Mohren
  56. Und des schmutzgen Judenvolkes.«
  57. Laß die Mohren und die Juden,
  58. Spricht der Ritter, freundlich kosend;
  59. Und nach einer Myrtenlaube
  60. Führt er die Alkadentochter.
  61. Mit den weichen Liebesnetzen
  62. Hat er heimlich sie umflochten;
  63. Kurze Worte, lange Küsse,
  64. Und die Herzen überflossen.
  65. Wie ein schmelzend süßes Brautlied
  66. Singt die Nachtigall, die holde;
  67. Wie zum Fackeltanze hüpfen
  68. Feuerwürmchen auf dem Boden.
  69. In der Laube wird es stiller,
  70. Und man hört nur, wie verstohlen,
  71. Das Geflüster kluger Myrten
  72. Und der Blumen Atemholen.
  73. Aber Pauken und Trommeten
  74. Schallen plötzlich aus dem Schlosse,
  75. Und erwachend hat sich Clara
  76. Aus des Ritters Arm gezogen.
  77. »Horch, da ruft es mich, Geliebter;
  78. Doch, bevor wir scheiden, sollst du
  79. Nennen deinen lieben Namen,
  80. Den du mir so lang verborgen.«
  81. Und der Ritter, heiter lächelnd,
  82. Küßt die Finger seiner Donna,
  83. Küßt die Lippen und die Stirne,
  84. Und er spricht zuletzt die Worte:
  85. Ich, Sennora, Eur Geliebter,
  86. Bin der Sohn des vielbelobten,
  87. Großen, schriftgelehrten Rabbi
  88. Israel von Saragossa.
Donna Clara von Heinrich Heine wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/heine/donna-clara/