- Als der König Rhampsenit
- Eintrat in die goldne Halle
- Seiner Tochter, lachte diese,
- Lachten ihre Zofen alle.
- Auch die Schwarzen, die Eunuchen,
- Stimmten lachend ein, es lachten
- Selbst die Mumien, selbst die Sphinxe,
- Daß sie schier zu bersten dachten.
- Die Prinzessin sprach: Ich glaubte
- Schon, den Schatzdieb zu erfassen,
- Der hat aber einen toten
- Arm in meiner Hand gelassen.
- Jetzt begreif ich, wie der Schatzdieb
- Dringt in deine Schatzhauskammern,
- Und die Schätze dir entwendet,
- Trotz den Schlössern, Riegeln, Klammern.
- Einen Zauberschlüssel hat er,
- Der erschließet allerorten
- Jede Türe, widerstehen
- Können nicht die stärksten Pforten.
- Ich bin keine starke Pforte,
- Und ich hab’ nicht widerstanden,
- Schätzehütend diese Nacht
- Kam ein Schätzlein mir abhanden.
- So sprach lachend die Prinzessin,
- Und sie tänzelt im Gemache,
- Und die Zofen und Eunuchen
- Hoben wieder ihre Lache.
- An demselben Tag ganz Memphis
- Lachte, selbst die Krokodile
- Reckten lachend ihre Häupter
- Aus dem schlammig gelben Nile,
- Als sie Trommelschlag vernahmen
- Und sie hörten an dem Ufer
- Folgendes Reskript verlesen
- Von dem Kanzeleiausrufer:
- Rhampsenit, von Gottes Gnaden
- König zu und in Ägypten,
- Wir entbieten Gruß und Freundschaft
- Unsern Vielgetreu’n und Liebden.
- In der Nacht vom dritten zu dem
- Vierten Junius des Jahres
- Dreizehnhundertvierundzwanzig
- Vor Christi Geburt, da war es,
- Daß ein Dieb aus unserm Schatzhaus
- Eine Menge von Juwelen
- Uns entwendet; es gelang ihm,
- Uns auch später zu bestehlen.
- Zur Ermittelung des Täters
- Ließen schlafen wir die Tochter
- Bei den Schätzen — doch auch jene
- Zu bestehlen schlau vermocht’ er.
- Um zu steuern solchem Diebstahl
- Und zu gleicher Zeit dem Diebe
- Unsre Sympathie zu zeigen,
- Unsre Ehrfurcht, unsre Liebe,
- Wollen wir ihm zur Gemahlin
- Unsre einz’ge Tochter geben
- Und ihn auch als Thronnachfolger
- In den Fürstenstand erheben.
- Sintemal uns die Adresse
- Unsres Eidams noch zur Stunde
- Unbekannt, soll dies Reskript ihm
- Bringen Unsrer Gnade Kunde.
- So geschehn den dritten Jänner
- Dreizehnhundertzwanzigsechs
- Vor Christi Geburt. — Signieret
- Von Uns: Rhampsenitus Rex.
- Rhampsenit hat Wort gehalten,
- Nahm den Dieb zum Schwiegersohne,
- Und nach seinem Tode erbte
- Auch der Dieb Ägyptens Krone.
- Er regierte wie die andern,
- Schützte Handel und Talente;
- Wenig, heißt es, ward gestohlen
- Unter seinem Regimente.
Rhampsenit
… eine Ballade von Heinrich HeineRhampsenit von Heinrich Heine wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/heine/rhampsenit/
Quelle: https://balladen.net/heine/rhampsenit/