- Der Abt von Waltham seufzte tief,
- Als er die Kunde vernommen,
- Daß König Harold elendiglich
- Bei Hastings umgekommen.
- Zwei Mönche, Asgod und Ailrik genannt,
- Die schickt’ er aus als Boten,
- Sie sollten suchen die Leiche Harolds
- Bei Hastings unter den Toten.
- Die Mönche gingen traurig fort
- Und kehrten traurig zurücke:
- „Hochwürdiger Vater, die Welt ist uns gram,
- Wir sind verlassen vom Glücke.
- Gefallen ist der beßre Mann,
- Es siegte der Bankert, der schlechte,
- Gewappnete Diebe verteilen das Land
- Und machen den Freiling zum Knechte.
- Der lausigste Lump aus der Normandie
- Wird Lord auf der Insel der Briten;
- Ich sah einen Schneider aus Bayeux, er kam
- Mit goldnen Sporen geritten.
- Weh’ dem, der jetzt ein Sachse ist!
- Ihr Sachsenheilige droben
- Im Himmelreich, nehmt euch in acht,
- Ihr seid der Schmach nicht enthoben.
- Jetzt wissen wir, was bedeutet hat
- Der große Komet, der heuer
- Blutrot am nächtlichen Himmel ritt
- Auf einem Besen von Feuer.
- Bei Hastings in Erfüllung ging
- Des Unsterns böses Zeichen,
- Wir waren auf dem Schlachtfeld dort
- Und suchten unter den Leichen.
- Wir suchten hin, wir suchten her,
- Bis alle Hoffnung verschwunden —
- Den Leichnam des toten Königs Harold,
- Wir haben ihn nicht gefunden.“
- Asgod und Ailrik sprachen also;
- Der Abt rang jammernd die Hände,
- Versank in tiefe Nachdenklichkeit
- Und sprach mit Seufzen am Ende:
- „Zu Grendelfield am Bardenstein,
- Just in des Waldes Mitte,
- Da wohnet Edith Schwanenhals
- In einer dürft’gen Hütte.
- Man hieß sie Edith Schwanenhals,
- Weil wie der Hals der Schwäne
- Ihr Nacken war; der König Harold,
- Er liebte die junge Schöne.
- Er hat sie geliebt, geküßt und geherzt,
- Und endlich verlassen, vergessen.
- Die Zeit verfließt; wohl sechzehn Jahr’
- Verflossen unterdessen.
- Begebt euch, Brüder, zu diesem Weib
- Und laßt sie mit euch gehen
- Zurück nach Hastings, der Blick des Weib’s
- Wird dort den König erspähen.
- Nach Waltham-Abtei hierher alsdann
- Sollt ihr die Leiche bringen,
- Damit wir christlich bestatten den Leib
- Und für die Seele singen.“
- Um Mitternacht gelangten schon
- Die Boten zur Hütte im Walde:
- „Erwache, Edith Schwanenhals,
- Und folge uns alsbalde.
- Der Herzog der Normannen hat
- Den Sieg davongetragen,
- Und auf dem Feld bei Hastings liegt
- Der König Harold erschlagen.
- Komm’ mit nach Hastings, wir suchen dort
- Den Leichnam unter den Toten,
- Und bringen ihn nach Waltham-Abtei,
- Wie uns der Abt geboten.“
- Kein Wort sprach Edith Schwanenhals,
- Sie schürzte sich geschwinde
- Und folgte den Mönchen; ihr greisendes Haar,
- Das flatterte wild im Winde.
- Es folgte barfuß das arme Weib
- Durch Sümpfe und Baumgestrüppe.
- Bei Tagesanbruch gewahrten sie schon
- Zu Hastings die kreidige Klippe.
- Der Nebel, der das Schlachtfeld bedeckt
- Als wie ein weißes Leilich,
- Zerfloß allmählich; es flatterten auf
- Die Dohlen und krächzten abscheulich.
- Viel tausend Leichen lagen dort
- Erbärmlich auf blutiger Erde,
- Nackt ausgeplündert, verstümmelt, zerfleischt,
- Daneben die Äser der Pferde.
- Es wadete Edith Schwanenhals
- Im Blute mit nackten Füßen;
- Wie Pfeile aus ihrem stieren Aug’
- Die forschenden Blicke schießen.
- Sie suchte hin, sie suchte her,
- Oft mußte sie mühsam verscheuchen
- Die fraßbegierige Rabenschar;
- Die Mönche hinter ihr keuchen.
- Sie suchte schon den ganzen Tag,
- Es ward schon Abend — plötzlich
- Bricht aus der Brust des armen Weibs
- Ein geller Schrei, entsetzlich.
- Gefunden hat Edith Schwanenhals
- Des toten Königs Leiche.
- Sie sprach kein Wort, sie weinte nicht,
- Sie küßte das Antlitz, das bleiche.
- Sie küßte die Stirne, sie küßte den Mund,
- Sie hielt ihn fest umschlossen;
- Sie küßte auf des Königs Brust
- Die Wunde blutumflossen.
- Auf seiner Schulter erblickt sie auch —
- Und sie bedeckt sie mit Küssen —
- Drei kleine Narben, Denkmäler der Lust,
- Die sie einst hineingebissen.
- Die Mönche konnten mittlerweil’
- Baumstämme zusammenfugen;
- Das war die Bahre, worauf sie alsdann
- Den toten König trugen.
- Sie trugen ihn nach Waltham-Abtei,
- Daß man ihn dort begrübe;
- Es folgte Edith Schwanenhals
- Der Leiche ihrer Liebe.
- Sie sang die Totenlitanei’n
- In kindisch frommer Weise;
- Das klang so schauerlich in der Nacht —
- Die Mönche beteten leise. —
Schlachtfeld bei Hastings
… eine Ballade von Heinrich HeineSchlachtfeld bei Hastings von Heinrich Heine wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/heine/schlachtfeld-bei-hastings/
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