- Es war ein dürrer König, der hatt‘ ein Land am Meer;
- Er fuhr an seinen Küsten brandschatzend hin und her.
- So oft im Maienscheine erglüht sein Felsenhaus,
- Zog er mit Schiff und Knechten und leeren Seckeln aus.
- Wo helle Fenster blinkten entlang dem Meeresstrand,
- Da klopft er an die Thüren mit seiner Knochenhand;
- Und wo ein Speicher lachte, da that er einen Griff
- Und füllte unersättlich sein weitgebauchtes Schiff!
- Er konnte Alles brauchen und Allem war er hold,
- der Wolle wie der Seide, dem Silber wie dem Gold
- Im Topf nahm er den Honig, die Gerste, wie das Korn,
- Den Weizen mit der Spreuer, die Kuh mit Klau und Horn!
- Die Sau mit ihren Ferkeln, das Huhn mit seinem Ei –
- Bis jedesmal das Fahrzeug glich einer Meierei:
- Daheim hatt‘ er zwölf Junge und eine Königin
- Und eine Königin Mutter, die harrten all‘ auf ihn!
- Die fraßen, was er brachte, und klagten sich noch sehr
- Und jagten stets aufs Neue den Dürren auf das Meer!
- Und gaben ihm dann schmählich auf seinen Wellenritt,
- Und allen seinen Mannen, ein Fäßlein Zwiebak mit!
- So fuhr er einst bedächtig am klaren Morgen aus,
- doch noch an selbem Tage, da kam ein Wettergraus!
- Ein Saus und Braus am Himmel und auf den Wassern her,
- Bald hinter Schaum und Regen sah man kein Ufer mehr!
- Es trieb das Schiff in’s Weite und auf die hohe See;
- Und als der Sturm verflogen, ward es den Schiffern weh‘.
- Sie kannten keine Gegend, s‘ war nur ein blaues Rund,
- Wo sie den Anker warfen, da faßt er keinen Grund!
- Und weiter, immer weiter verirrte sich die Fahrt
- Und länger, immer länger der Zwieback ward gespart
- O weh da half kein Sparen, am Ende ging er aus
- Und grinsend saß der Hunger im engen Bretterhaus!
- Drei Tage lang zu fasten ein jeder Mann vermag
- Doch wird das Ding verdrießlich schon mit dem vierten Tag
- Was sagt ihr zu sechs Tagen? Vermaledeiter Brauch!
- Das fand der dürre König mit seinen Knechten auch.
- Drum nehmen sie drei Würfel und würfeln um den Tod:
- Sein Blut muß Einer lassen, sein Fleisch und Blut so roth!
- Kaum hat ein armer Teufel den kleinsten Wurf gethan,
- Hebt man ihn gleich zu braten und zu verspeisen an!
- Und als man solchen Braten mit Grauen hat verdaut
- Und wieder ein paar Tage die Finger sich zerkaut
- Da ging es an den Zweiten, den Dritten und so fort
- bis endlich nur der König und noch ein Mann an Bord.
- Man hatte ihm das Knöcheln erlassen aus Respekt,
- Doch hatt‘ ihm drum die Mahlzeit nicht minder wohl geschmekt
- Ja er fand ganz in Ordnung und trefflich diesen Schmaus
- Und gafft‘, ein Liedlein pfeifend, dumm auf das Meer hinaus!
- Und windstill ruhte weitum des Meeres klare Brust
- Und öffnet ihre Tiefen dem Sonnenschein mit Lust
- Der König pfiff noch immer, indeß der andre Mann,
- Verdächtig nach ihm schielend, kühn auf Verschwörung sann.
- Dann fing er an: Herr König! Wollt gnädigst Ihr geruh’n,
- Mit Eurem letzten Knechte auch einen Wurf zu thun?
- Doch Jener maß ihn starrend vom Haupte bis zum Fuß
- Denn das war ihm ein fremder und ungewohnter Gruß!
- Drauf schwang er zähnefletschend den Kolben auf den Knecht,
- Der aber praktizirte ein nagelneues Recht:
- Schlug ihm die Kron‘ vom Kopfe, riß ihm den Purpur ab
- Und schrie: Paß‘ auf mein Magen wird nun ein Königsgrab!
- Zog schnell ihm durch die Kehle sein Messer scharf und krumm,
- Und wüthender vor Hunger wandt er ihn um und um –
- er mußte liegen lassen den Leib mit Haut und Haar,
- Weil er auch gar zu zähe und ungenießbar war!
Ballade vom dürren König
… eine Ballade von Gottfried KellerBallade vom dürren König von Gottfried Keller wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/keller/ballade-vom-duerren-koenig/
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