Der Geiger zu Gmünd

eine Ballade von Justinus Kerner

Eine Legende

  1. Einst ein Kirchlein sonder gleichen,
  2. Noch ein Stein von ihm steht da,
  3. Baute Gmünd der sangesreichen
  4. Heiligen Cäcilia,
  5. Lilien von Silber glänzten
  6. Ob der Heil’gen mondenklar,
  7. Hell wie Morgenroth bekränzten
  8. Goldne Rosen den Altar.
  9. Schuh’ aus reinem Gold geschlagen
  10. Und von Silber hell ein Kleid
  11. Hat die Heilige getragen:
  12. Denn da war’s noch gute Zeit;
  13. Zeit, wo überm fernen Meere,
  14. Nicht nur in der Heimat Land,
  15. Man der Gmünd’schen Künstler Ehre
  16. Hell in Gold und Silber fand.
  17. Und der fremden Pilger wallten
  18. Zu Cäcilias Kirchlein viel;
  19. Ungeseh’n woher, erschallten
  20. Drin Gesang und Orgelspiel.
  21. Einst ein Geiger kam gegangen,
  22. Ach! den drückte große Noth,
  23. Matte Beine, bleiche Wangen,
  24. Und im Sack kein Geld, kein Brot!
  25. Vor dem Bild hat er gesungen
  26. Und gespielet all sein Leid,
  27. Hat der Heil’gen Herz durchdrungen:
  28. Horch! melodisch rauscht ihr Kleid!
  29. Lächelnd bückt das Bild sich nieder
  30. Aus der lebenlosen Ruh,
  31. Wirft dem armen Sohn der Lieder
  32. Hin den rechten goldnen Schuh.
  33. Nach des nächsten Goldschmids Hause
  34. Eilt er, ganz vom Glück berauscht,
  35. Singt und träumt vom besten Schmause,
  36. Wenn der Schuh um Geld vertauscht.
  37. Aber kaum den Schuh ersehen,
  38. Führt der Goldschmid rauhen Ton,
  39. Und zum Richter wird mit Schmähen
  40. Wild geschleppt des Liedes Sohn.
  41. Bald ist der Proceß geschlichtet,
  42. Allen ist es offenbar,
  43. Daß das Wunder nur erdichtet,
  44. Er der frechste Räuber war.
  45. Weh! du armer Sohn der Lieder
  46. Sangest wohl den letzten Sang!
  47. An dem Galgen auf und nieder
  48. Sollst, ein Vogel, fliegen bang.
  49. Hell ein Glöcklein hört man schallen
  50. Und man sieht den schwarzen Zug
  51. Mit dir zu der Stätte wallen,
  52. Wo beginnen soll dein Flug.
  53. Bußgesänge hört man singen
  54. Nonnen und der Mönche Chor,
  55. Aber hell auch hört man dringen
  56. Geigentöne draus hervor.
  57. Seine Geige mitzuführen,
  58. War des Geigers letzte Bitt’:
  59. „Wo so viele musiciren,
  60. Musicir’ ich Geiger mit!“
  61. An Cäcilias Kapelle
  62. Jetzt der Zug vorüberkam,
  63. Nach des offnen Kirchleins Schwelle
  64. Geigt er recht in tiefem Gram.
  65. Und wer kurz ihn noch gehasset,
  66. Seufzt: „Das arme Geigerlein!“
  67. „„Eins noch bitt’ ich – singt er – lasset
  68. Mich zur Heilgen noch hinein!““
  69. Man gewährt ihm, – vor dem Bilde
  70. Geigt er abermals sein Leid,
  71. Und er rührt die Himmlischmilde,
  72. Horch! melodisch rauscht ihr Kleid!
  73. Lächelnd bückt das Bild sich nieder
  74. Aus der lebenlosen Ruh,
  75. Wirft dem armen Sohn der Lieder
  76. Hin den zweyten goldnen Schuh.
  77. Voll Erstaunen steht die Menge,
  78. Und es sieht nun jeder Christ,
  79. Wie der Mann der Volksgesänge
  80. Selbst den Heil’gen theuer ist.
  81. Schön geschmückt mit Bändern, Kränzen,
  82. Wohl gestärkt mit Geld und Wein,
  83. Führen sie zu Sang und Tänzen
  84. In das Rathhaus ihn hinein.
  85. Alle Unbill wird vergessen,
  86. Schön zum Fest erhellt das Haus,
  87. Und der Geiger ist gesessen
  88. Obenan beym lust’gen Schmaus.
  89. Aber als sie voll vom Weine,
  90. Nimmt er seine Schuh zur Hand,
  91. Wandert so im Mondenscheine
  92. Lustig in ein andres Land.
  93. Seitdem wird zu Gmünd empfangen
  94. Liebreich jedes Geigerlein,
  95. Kommt es noch so arm gegangen –
  96. Und es muß getanzet seyn.
  97. Drum auch hört man geigen, singen,
  98. Tanzen dort ohn’ Unterlaß,
  99. Und wem alle Saiten springen,
  100. Klingt noch mit dem leeren Glas.
  101. Und wenn bald ringsum verhallen
  102. Becherklingeln, Tanz und Sang,
  103. Wird zu Gmünd noch immer schallen
  104. Selbst aus Trümmern lust’ger Klang.
Der Geiger zu Gmünd von Justinus Kerner wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/kerner/der-geiger-zu-gmuend/