- Auf der Burg zu Germersheim,
- Stark am Geist, am Leibe schwach,
- Sitzt der greise Kaiser Rudolf,
- Spielend das gewohnte Schach.
- Und er spricht: „Ihr guten Meister!
- Ärzte! sagt mir ohne Zagen:
- Wann aus dem zerbrochnen Leib
- Wird der Geist zu Gott getragen?“
- Und die Meister sprechen: „Herr,
- Wohl noch heut erscheint die Stunde.“
- Freundlich lächelnd spricht der Greis:
- „Meister! Dank für diese Kunde!“
- „Auf nach Speyer! auf nach Speyer!“
- Ruft er, als das Spiel geendet;
- „Wo so mancher deutsche Held
- Liegt begraben, sei’s vollendet!
- Blast die Hörner! bringt das Roß,
- Das mich oft zur Schlacht getragen!“
- Zaudernd stehn die Diener all,
- Doch er ruft: „Folgt ohne Zagen!“
- Und das Schlachtroß wird gebracht.
- „Nicht zum Kampf, zum ew’gen Frieden“,
- Spricht er, „trage, treuer Freund,
- jetzt den Herrn, den Lebensmüden!“
- Weinend steht der Diener Schar,
- Als der Greis auf hohem Rosse,
- Rechts und links ein Kapellan,
- Zieht, halb Leich‘, aus seinem Schlosse.
- Trauernd neigt des Schlosses Lind‘
- Vor ihm ihre Äste nieder,
- Vögel, die in ihrer Hut,
- Singen wehmutsvolle Lieder.
- Mancher eilt des Wegs daher,
- Der gehört die bange Sage,
- Sieht des Helden sterbend Bild
- Und bricht aus in laute Klage.
- Aber nur von Himmelslust
- Spricht der Greis mit jenen zweien,
- Lächelnd blickt sein Angesicht,
- Als ritt‘ er zur Lust in Maien.
- Von dem hohen Dom zu Speyer
- Hört man dumpf die Glocken schallen.
- Ritter, Bürger, zarte Frau’n
- Weinend ihm entgegenwallen.
- In den hohen Kaisersaal
- Ist er rasch noch eingetreten;
- Sitzend dort auf goldnem Stuhl,
- Hört man für das Volk ihn beten.
- „Reichet mir den heil’gen Leib!“
- Spricht er dann mit bleichem Munde,
- Drauf verjüngt sich sein Gesicht
- Um die mitternächt’ge Stunde.
- Da auf einmal wird der Saal
- Hell von überird’schem Lichte,
- Und entschlummert sitzt der Held,
- Himmelsruh‘ im Angesichte.
- Glocken dürfen’s nicht verkünden,
- Boten nicht zur Leiche bieten,
- Alle Herzen längs des Rheins
- Fühlen, daß der Held verschieden.
- Nach dem Dome strömt das Volk
- Schwarz unzähligen Gewimmels.
- Der empfing des Helden Leib,
- Seinen Geist der Dom des Himmels.
Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe
… eine Ballade von Justinus KernerKaiser Rudolfs Ritt zum Grabe von Justinus Kerner wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/kerner/kaiser-rudolfs-ritt-zum-grabe/
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