Reißt mir das Herz aus dem Leibe und freßt es,
so werdet ihr, was ihr nicht seid: groß …
Saint-Just.
- Einer stand mit blondem, wehndem Haar,
- Freiem Nacken auf dem Blutgerüste;
- Wüt’ge Gier sprang geifernd aus der Schar
- Und zerschlug an seiner Felsenküste.
- Aller Unflat, den er hart ertränkt,
- Jenes Morsche, das zerschellt er dachte,
- Hüpfte keck empor und spie und lachte:
- Heut wirst du gehenkt!
- Und er sah, was um ihn quoll und schmolz,
- Feiges Höhnen, Auswurf, Grind und Fäule,
- Trat in seinen kalten, klaren Stolz
- Und wuchs ein wie in kristallne Säule,
- Reckte sich ein wenig, daß sein Sieg,
- Seine Stirn den müden Himmel rührte,
- Daß die Menge, die den Anstoß spürte,
- Jäh erschauernd schwieg.
- Und er wußte: Heute bin ich tot,
- Heute nur, doch morgen soll ich leben.
- Er empfand noch Blau, ein Weiß, ein Rot,
- Sah der Wipfel grünen Atem schweben
- Und zu Füßen, bös geduckt und dumm,
- Seichte Brunst, das kaum bezähmte Hecheln,
- Blieb in starrem Hochmut ohne Lächeln,
- Wandte ohne Hast sich um
- Und starb ruhig einen Augenblick. –
- Als die Knechte ihn aufs Brett geschoben,
- Fuhr das Beil, durchfletschte sein Genick.
- Und der Henker zeigte aufgehoben
- Dieses Haupt mit bleichem offnen Lid,
- Fahlen Sternen, mit dem jungen Munde,
- Der den Frühschein erster Herrscherstunde,
- Sein Geheimnis, ernst verriet.
- Und sie tobten, jauchzten schamlos, nackt,
- Und sie tanzten wie entzückte Affen,
- Und die Tatze, die das Haupt gepackt,
- Warf es, rasch ihr Tagwerk fortzuschaffen,
- Einem Korbe hin. Da fiel es weit
- In Gewässer, die es murmelnd flößten,
- Sanft ihm blutverklebte Locken lösten:
- In die Allgerechtigkeit.
Saint-Just von
Gertrud Kolmar wurde von
balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/kolmar/saint-just/