Thamar und Juda

eine Ballade von Gertrud Kolmar
  1. Ich habe mich in Tränen schön gebadet:
  2. O der Hure, die ich nun bin!
  3. Granatfrucht, die geschmückt den Pflücker ladet;
  4. Laubig lockend hängt Schleier über mich hin.
  5. Der Mantel deckt mich, den die Nacht der Hirten
  6. Über Lammweiden weht.
  7. Und ich bin Thamar: Palme vor den Myrten.
  8. Und wenn mein Herr mit seinem Knaben geht
  9. Zur Schur gen Timnath, wo gedrängt die Schafe
  10. Ihm wandeln, wellig wie ein Fluß,
  11. Soll er mich schauen, daß er bei mir schlafe,
  12. Der Zeugende, mit dem ich buhlen muß
  13. Um diese Kinder, alle Kindeskinder,
  14. Die schon in meiner Tiefe weinen nach Licht,
  15. Die Helden, stark und ernst wie hörnige Rinder,
  16. Und Könige mit meines Herrn Gesicht.
  17. So sieh, ich will dich stillen. Mit den Lüsten,
  18. Die, Datteln und dunkle Trauben, mein Wuchs dir bringt,
  19. Mit meinem blauschwarzen Haar, dem Mund, den Brüsten,
  20. Draus einst die weiße Quelle springt.
  21. Es breite doch mein Herr über mich seinen Schatten,
  22. Er lege bei mir nieder Stab und Ring. –
  23. Und Juda zog zur Herde auf die Matten
  24. Und kam und tat. Und sie empfing.
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