(Nach alter handschriftlicher Notiz.)
- In Krippstedt wies ein Schneiderjunge
- Dem Bürgermeister einst die Zunge:
- Es war im Jahr Eintausend siebenhundert.
- Der Bürgermeister sehr sich wundert
- Und find’t es wider den Respekt,
- Weshalb er in den Turm ihn steckt.
- Es war nach der Nachmittagpredigt,
- Die Kirche noch nicht ganz erledigt,
- Am heil’gen Trinitatis Tag,
- Da geschah auf einmal ein großer Schlag!
- Es schlug, mit Gedonner, im Wettersturm
- Der Blitz in denselben Sankt Niklasturm.
- Der Schreck durchfährt die ganze Stadt,
- Die kaum sich vom Brand erhoben hat.
- Was innen ist im Gotteshaus,
- Das dringt mit aller Gewalt heraus:
- Was außen ist, das will hinein! —
- Da sieht man auf einmal Flammenschein
- Von außen an des Turmes Spitze:
- Da rief man „Feuer! Wasser! Wo ist die Spritze?“
- — Die Spritze, ja, die ist dicht dabei;
- Doch Kasten und Röhren sind entzwei! —
- Wie saure Milch läuft alles zusammen:
- Man schreit und blickt auf die Feuerflammen.
- Dazwischen — es war ein böser Tag —
- Hallt mancher Donner- und Wetterschlag! —
- Nun sammelt sich der Magistrat,
- Und jeder weiß etwas und keiner weiß Rat!
- Der Bürgermeister, ein weiser Mann,
- Sieht sich das Ding bedenklich an
- Und spricht: hört mich, wir zwingen’s nicht!
- Der Turm brennt nieder wie ein Licht,
- Es kommt, wer hatte das gedacht sich,
- Wie Anno sechzehnhundert achtzig!
- Erst brennt der Turm, die Kirche, die Stadt sodann;
- Drum ist mein Rat: rett’ jeder was er kann! —
- Da laufen die Bürger; mit aller Kraft
- Ein jeder das Seine zusammenrafft.
- Das ist ein Gerenne, wie fliegen die Zöpfe,
- Wie stoßen zusammen die Puderköpfe!
- Auf einmal — was krabbelt dort aus dem Loch
- Am Turm? — der Junge! — Nein! — Und doch!
- Er ist’s, er klettert zu Turmes Spitze —
- Der Schlingel! Er nimmt vom Kopf die Mühe,
- Er schlägt auf das Feuer und — dass dich der Daus!
- Er löscht es mit seiner Mühe aus!
- Er tupft am ganzen Turm umher,
- Man sieht nicht eine Flamme mehr!
- Und während alle jubelnd schrein,
- Schlüpft er von neuem ins Loch hinein.
- Er scheut des Magistrates Wesen
- Und sitzt, als war gar nichts gewesen.
- Das mehrt den Jubel, die Bürger alle
- Rufen ihm Vivat! mit großem Schalle;
- Der Bürgermeister aber spricht,
- Indem sein großer Zorn sich bricht:
- Holt ihn heraus, ich erzeig ihm Ehr,
- Und tu für ihn zeitlebens mehr! —
- „Da kommt er ganz rußig, der Knirps, der Zwerg!
- Hoch lebe der kleine Liewenberg!“ —
- Der Bürgermeister sprach: komm Junge,
- Streck noch einmal heraus die Zunge!
- Ich leg dir lauter Dukaten drauf!
- So, sperr den Mund recht angelweit auf!
- Nur immer mehr herausgereckt!
- Wir haben alle vor dir Respekt!
- Und morgen wird, dass nichts maniquiert,
- Die große Spritze hier probiert
- Und was entzwei ist, repariert! —