- Steh auf, steh auf! Es pocht ans Haus –
- „Tipp, tipp!“ – Wer mag das sein?
- Der alte Fährmann geht hinaus,
- „Tipp, tipp!“ – Wer mag das sein?
- Nichts sieht er, – halb nur scheint der Mond,
- die Sache deucht ihm ungewohnt! –
- Da flüstert es fein:
- „O Fährmann mein,
- wir sind ein winzig Völkelein
- und haben Weib und Kinderlein.
- Fahr uns, die Müh ist klein,
- und jedes zahlt sein Hellerlein.
- Es lärmt zu sehr im Lande,
- wir wollen zum andren Strande.
- Unheimlich wird’s an diesem Ort,
- es gellt hier zu viel Hammerschlag
- und schießt und trommelt fort und fort,
- die Glocken läuten Tag für Tag!“ –
- – Der Fährmann steigt in seinen Kahn:
- „Ich will euch fahren: kommt heran!
- Werft ohne Betrug
- das Geld in den Krug!“ –
- O welchen Lärm vernahm er da,
- obwohl er nichts am Ufer sah;
- er wußte nicht, wie ihm geschah,
- es klang wie fern und war doch nah:
- zehntausend kleine Stimmchen,
- viel feiner als die Immchen.
- Der Schiffer ruft den Knechte sein;
- er kommt. Die kleinen Wesen schrein:
- „Zertritt uns nicht, wir sind so klein!“
- Da mußt er wohl behutsam sein!
- Tick, tick! fiel’s in den Krug hinab,
- wie jeder seinen Heller gab.
- Pirr! trippelt’s heran
- und stapft zum Kahn
- und ächzt wie mit Kisten und Kasten schwer,
- rück, drückt und schiebt sich hin und her,
- es drängt und zwängt sich immermehr:
- „Fahr ab, der Kahn will sinken,
- fort! eh wir all ertrinken!“
- Der Schiffer stößt vom Ufer los,
- und als er jetzo drüben war,
- geht an das Schiff mit leichtem Stoß.
- Au! schrie die ganze kleine Schar,
- in Ohnmacht fiel da manche Frau,
- das hörte man am Ton genau.
- Nun dappelt’s hinaus
- mit Katz und Maus,
- mit Kind und Kegel und Stuhl und Tisch,
- mit Kisten und Kasten und Federwisch.
- Es war ein Lärmen und ein Gemisch
- von Ruf und Zank und Stillgezisch.
- Nichts sieht man, doch am Schalle
- hört man, hinaus sind alle. –
- Nach holt er wieder neue Schar:
- die lärmt hinaus: er fährt zurück.
- Als dreißigmal gefahren war,
- laßt nach im Krug das tück tück tück. –
- Er fährt den letzten Teil zum Strand,
- Der Mond geht unter am Himmelrand.
- Doch dunkel ist es nicht:
- Was glänzt so licht?
- Am Strand gehn tausend Lichter klein,
- wie von Johanniswürmelein. –
- Da rafft der Knecht vom Uferrain
- Erdboden in den Hut hinein,
- setzt auf und kann nun schauen
- die Männlein und die Frauen.
- O welche Wunder er nun sah:
- der ganze Strand war all bedeckt,
- sie liefen mit Laternchen da;
- von Gras und Blumen oft versteckt,
- und trugen Kindlein wunderhold
- und Edelstein und rotes Gold. –
- Hei, denket der Knecht:
- das kommt mir recht!
- und langt begierig aus dem Kahn
- am Uferrande weit hinan: –
- Da merket ihn ein kleiner Mann,
- der fängt ein Zeterschreien an!
- Puh, puh! sind aus die Lichte,
- verschwunden alle Wichte!
- Drauf flog es her wie Erbsen klein,
- es mochten kleine Steinchen sein,
- die warfen sie mit großer Pein
- und ächzten mühsam hinterdrein! –
- „Es sprühet immer mehr wie toll!
- Fort, fort von hier, der Kahn wird voll!“ –
- Sie wenden geschwind
- herum wie der Wind
- und stoßen eilig ab vom Land
- und fahren in Angst sich fest im Sand,
- bald rechter Hand, bald linker Hand;
- und immer ruft es nach dem Strand:
- „Das Fliehn war euer Glücke;
- sonst kamt ihr nicht zurücke!“
Des winzigen Volkes Überfahrt
… eine Ballade von August KopischDes winzigen Volkes Überfahrt von August Kopisch wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/kopisch/des-winzigen-volkes-ueberfahrt/
Quelle: https://balladen.net/kopisch/des-winzigen-volkes-ueberfahrt/