- Ich irrt allein in einem öden Tale,
- Von Klippenkalk umstarrt, von dunklen Föhren;
- Es war kein Laut im Hochgebirg zu hören,
- Stumm rang die Nacht mit letztem Sonnenstrahle.
- Für ernste Wandrer ließ die Urwelt liegen
- In diesem Tal versteinert ihre Träume;
- Dort sah ich einen Geier durch die Bäume
- Wie einen stillen Todsgedanken fliegen.
- Nun kam ein Regen; daß der Himmel weine,
- Erkennt das Herz an kahlen Felsenriffen,
- Wo es vom Regen traurig wird ergriffen,
- Daß er nicht wecken kann die toten Steine.
- So ruft umsonst ein Strom von heißen Tränen
- Den Trümmern ausgetobter Leidenschaften:
- Wach auf, blüh auf aus deinen Todeshaften,
- O Liebe! süßes Quälen! Hoffen! Sehnen!
- Das Erz nur kann ich aus den Schlacken zwingen,
- Mit Lebensgluten es dem Tod entlocken
- Und gießen zu lebendgen Liedesglocken,
- Die, Wehmut weckend, durch die Welt erklingen.
- »Dahin, dahin des Lebens helle Stunden!
- Mir nachtets, Tal, wie dir! ich wollt, ich wäre
- Versunken, eh mein Licht versank, im Meere!«
- Ich riefs und ließ aufbluten meine Wunden.
- Und heftger regnets; von erwachten Winden
- Ward Wolk an Wolke brausend zugetragen;
- Wie zu des Herzens jüngsten Tränen, Klagen
- Sich alter Schmerzen ferne Quellen finden. –
- Stets dunkler wards im Tale, lauter immer,
- Sturzbäche durch die Felsengassen sprangen,
- Es wimmerten die Winde, schluchtverfangen,
- Und Donner schlug; – den Geier sah ich nimmer.
- Wo war der Geier? wo der Todsgedanke?
- Der Geier muß in einer Ritze ducken,
- Solang die Klagen das Gebirg durchzucken;
- Sein Leben fühlt und liebt im Schmerz der Kranke.
- Nur Einem ist, ob schweigend oder stürmend,
- Die Welt stets einerlei und stets zuwider,
- Denn rastlos muß er wandern auf und nieder,
- Jahrtausendhoch die Todeswünsche türmend. – –
- Schon sucht ich in den Bergeseinsamkeiten
- Ein Lager mir, da kam ein Rauch geflogen,
- Als wär er gastlich nach mir ausgezogen,
- Zur waldversteckten Hütte mich zu leiten.
- Ich späht umher, bald sah ich Kerzenschimmer
- Durch dunkle Tannen, hörte Menschenworte;
- Bevor ich einschritt in die offne Pforte,
- Blickt ich durchs Fenster in das niedre Zimmer.
- Ein Greis, bemüht, die braunen Rückenhaare
- Zu einem Gemsbart weidgerecht zu schlichten,
- Saß schweigend und wie sinnend auf Geschichten
- Und Jägerstreiche seiner rüstgen Jahre.
- Hoch stand sein Sohn, vom Ruß die Büchse putzend
- Mit Schultern, die den Hirsch bergüber trügen,
- Mit scharfen und entschlußgewohnten Zügen,
- Wie sie der Raubschütz hat, dem Tode trutzend.
- Die Hausfrau stand am Herd, die Mahlzeit kochend,
- Rief durch die Tür herein, daß sie bald fertig,
- Denn ihre Kinder saßen schon gewärtig,
- Mit froher Ungeduld am Tische pochend.
- Und ich empfand, als ich das Bild betrachtet:
- Ein Herz, das Lieb und Sorge dicht umhegen,
- Ist glücklich; und ein Herz auf stolzen Wegen,
- Auf Irrfahrt großer Wünsche – herb verschmachtet.
- Der Hütte Not manch bunter Schmuck verhüllte
- Viel Heilgenbilder, Braut- und Taufgeschenke
- Verzierten blank die Wände rings und Schränke,
- Trinkgläser auch, vielleicht noch nie gefüllte.
- Schön ist die Armut, wenn sie, keusch verhangen,
- Im rohen Sturm als eine Jungfrau schreitet,
- Die Hüllen sorglich um die Blößen breitet,
- Den Feind besiegend mit verschämten Wangen. –
- Eintrat ich in die Stube, froh willkommen,
- Dem Wildrer gab ich ehrlich meine Rechte,
- Ihn nicht zu liefern an des Forstes Mächte,
- Und ward zu Herberg herzlich aufgenommen.
- Die Wirte suchten ihren Gast zu ehren
- Mit derber Kost, mit derben Jägerstücken,
- Wie sie die Wächter und das Wild berücken,
- Von Gemsen, wie sie fielen, Luchsen, Bären.
- Der Schütze wies und pries mir seine Stutze,
- Mit welchen schon sein Vater einst, der Alte,
- Als frischer Jung in diesen Bergen knallte;
- Mir wies die Frau, was sie besaß an Putze.
- Sie ließ mir, kindlich, bunten Flitter schauen;
- Doch mehr als Ringlein, Perlenschnur und Spangen,
- Hielt eine Münze meinen Blick gefangen
- Und traf mein Herz mit wunderlichem Grauen.
- Die Münze bleiern sah so traurig blinkend,
- Fast wie ein brechend Auge, das Gepräge
- War Christus mit dem Kreuz am Leidenswege,
- Nach Ruhe schmachtend und zusammensinkend.
- Nie war ein Bild, gemalt vom heilgen Schmerze,
- In all den reichen kunstgeschmückten Hallen
- So klagend an die Seele mir gefallen,
- Wie dieses Bild, geprägt im grauen Erze.
- Nun schien der Mond herein; die Kinder schliefen,
- Der Alte murmelte den Abendsegen,
- Dann ward es still; vorbei war Sturm und Regen
- Nur draußen hört ich noch die Tannen triefen.
- Und als ich starrt aufs mondbestrahlte Bildnis,
- Ward mir, ob sichs in meiner Hand belebe,
- Als ob sein Geist mit mir von hinnen schwebe,
- Ich war hinausentrückt zur Felsenwildnis.
- Und Alpenlerchen hört ich jubelnd schmettern,
- Und Adler sah ich steigen in die Lüfte,
- Die scheue Gemse springen über Klüfte,
- Den Jäger nach im Morgenrote klettern.
- Die Büchse knallt, die Gemse stürzt vom Felsen,
- Sie hört nicht mehr das Echo donnernd wandern
- Von Berg zu Berg; doch hören es die andern
- Und lauschen schreckhaft mit gespannten Hälsen.
- Des toten Tieres zitternde Genossen
- Stehn still, solang die Widerhalle dauern,
- Sie hören Schüsse rings von allen Mauern,
- Wohin sie flüchten sollen, unentschlossen;
- Jetzt eilen sie windschnell davon und schwinden
- Im Felsgeklüft; ob sie nur Angst durchzittert?
- Daß man die Weide ihnen so verbittert,
- Ob sie des Menschen Unrecht nicht empfinden?
- Der Bock, den dieser Schuß herabgerissen
- Vom Felsenhang, wo ihn sein Leben freute,
- Hängt von des Jägers Schulter nun als Beute,
- Hält in den Zähnen noch den Kräuterbissen.
- Wie jetzt der Raubschütz auf geheimen Wegen
- Mit seinem Raube will davon sich machen,
- Hört ers Gerüll von schweren Tritten krachen,
- Ihm kommt ein riesenhafter Greis entgegen.
- Der Alte blickt aus dichten Augenbrauen,
- Die Föhrenbüscheln, glutversengten, gleichen;
- Der Urkalk rings scheint mit dem starren, bleichen
- Antlitz des Manns aus einem Stück gehauen.
- Er ruft dem Jäger: »Halt!« mit einer Stimme,
- Daß lauter als zuvor die Berge schallen,
- Daß fliehend vom Geklipp die Gemsen fallen,
- Und seine Keule schwingt der Greis im Grimme.
- Doch steht er fest im engen Schluchtenpfade
- Und harrt mit hocherhobner Todeswaffe,
- Daß der bestürzte Jäger auf sich raffe
- Und seine ausgeschoßne Büchse lade.
- Indes in seiner Rechten droht die Keule,
- Reißt seine Linke von der Brust die Hülle,
- »Schieß her!« ruft sein toddürstendes Gebrülle,
- »Sonst stirb!« ruft sein todlechzendes Geheule.
- Erstaunen und Entsetzen überschleiern
- Des Jägers Blicke; doch die Büchse faßt er
- Und schüttet Pulver, drückt darauf das Pflaster,
- Und in den Lauf treibt er die Kugel bleiern.
- Er zielt und schießt aufs Herz dem wilden Recken;
- Doch wie geprallt an eine Felsenscheibe,
- So klatscht die Kugel ab von seinem Leibe,
- Den Jägersmann zu Boden wirft der Schrecken.
- An ihm vorüber rauscht der grause Alte,
- Den’s weiter treibt, umsonst den Tod zu suchen;
- Der Schütze hört noch lang sein fernes Fluchen,
- Bis ihm der letzte Laut im Wind verhallte.
- Der ewge Jude rief: »Nur ich von allen
- Kann unglückselig nie die Ruhe finden!
- O könnt ich sterben mit den Morgenwinden
- Und wie mein Wehruf im Gebirg verhallen!
- Ich bin mein Schatten, der mich überdauert!
- Mein Widerhall, am Felsen festgenagelt!
- Ein Halm, auf den es ewig niederhagelt!
- Ein flüchtger Lichtstrahl, in den Stein gemauert!
- Weh mir! ich kann des Bilds mich nicht entschlagen,
- Wie er um kurze Rast so flehend blickte,
- Der Todesmüde, Schmach- und Schmerzgeknickte,
- Muß ewig ihn von meiner Hütte jagen!« – –
- Und als es stille war im Felsenschlunde,
- Erhob sich scheu und schlich zur grausen Stelle,
- Wo seine Kugel traf, der Weidgeselle
- Und nahm sein plattgequetschtes Blei vom Grunde.
- Und zitternd kam er auf mich zugeschritten
- Und reichte mir das Blei, ich nahms mit Grauen:
- Zur Münze wars geprägt, auf der zu schauen
- Des ewgen Juden Herzqual eingeschnitten.
- Die Münze bleiern sah so traurig blinkend,
- Fast wie ein brechend Auge, das Gepräge
- War Christus mit dem Kreuz am Leidenswege,
- Nach Ruhe schmachtend und zusammensinkend. –
- Da weckten meine wirtlichen Genossen
- Mit lautem Ruf zurück mich in das Zimmer,
- Als ich erwacht, hielt meine Hand noch immer
- Das Zauberbild, vom Mondenlicht umflossen.
Der ewige Jude
… eine Ballade von Nikolaus LenauDer ewige Jude von Nikolaus Lenau wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/lenau/der-ewige-jude/
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