- Prag, das alte sagenreiche,
- Barg schon viele Menschenweisheit,
- Barg schon viele Menschentorheit,
- Auch den hohen Rabbi Löw.
- Rabbi Löw war sehr zu Hause
- In den Künsten, Wissenschaften,
- Und besonders in der schwarzen,
- In der schweren Kabbala.
- So erschuf er einen Golem,
- Einen holzgeschnitzten Menschen,
- Tat belebend in den Mund ihm
- Einen Zauberspruch: den Schem.
- Unverdrossen, als sein Diener,
- Muß der Golem fegen, kochen,
- Kinder wiegen, Fenster putzen,
- Stiefel wichsen und so fort.
- Nur am Sabbath darf er rasten;
- Nahm ihm dann der hohe Rabbi
- Aus dem Mund den Zauberzettel,
- Stand er stockstill augenblicks.
- Einmal hat er es vergessen,
- Einmal, was ist da geschehen:
- Rasend wurde, dwatsch der Golem,
- Ein Berserker ward der Kerl.
- Bäume reißt er aus der Erde,
- Häuser wuppt er in die Wolken,
- Schleudert Menschen in die Lüfte,
- Stülpt den Hradschin auf den Kopf.
- Schon im Anzug war der Sabbath,
- Alle Arbeit muß nun ruhen.
- Alles flüchtet, brüllt und zetert
- Nach dem hohen Rabbi Löw.
- Der erscheint; packt eben, eben
- Noch den Tollhans am Schlafittchen,
- Ist mit ihm bald oben, unten,
- Bald auf Bergen, bald im Tal:
- Wie ein Bändiger, der dem Pferde,
- Das sich bäumt und wirft und schüttelt,
- Einen Kappzaum legen möchte,
- Und nun mit ihm tanzen muß.
- Hopsa, hopsa, was für Sprünge!
- Aber endlich glückts, er würgt ihn,
- Zerrt den Schem ihm aus den Zähnen –
- Und zerschmettert liegt der Kerl.
- Nicht noch einmal hat der Rabbi
- Einen Golem sich geschnitzelt,
- Jede Lust war ihm vergangen:
- Allzu klug ist manchmal dumm.
Der Golem
… eine Ballade von Detlev von LiliencronDer Golem von Detlev von Liliencron wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/liliencron/der-golem/
Quelle: https://balladen.net/liliencron/der-golem/