- Trümmer und Asche. Vereinzeltes Feuer
- Zuckt noch am Himmel in Garben empor.
- Tempel und Straßen und Villen und Scheuer,
- Alles zertreten in Schmutz und Geschmor.
- Hier zerstörte kein Cunctator,
- Den das Schicksal ausersah.
- Hier steht Titus Triumphator
- Auf der Burg Antonia!
- Triefende Wunden, zerspaltene Knochen,
- Zähne im Feinde, verkralltes Gebein,
- Kämpfen die Juden, im Tod ungebrochen,
- Wollen im Sterben die Herren noch sein.
- Wer nicht erlegen den Heiligtumschändern,
- Den fesseln Ketten um Nacken und Hand,
- Der schleppt die Ketten nach fernfernen Ländern,
- Heimatvertrieben, für immer verbannt.
- Von des Hohenpriesters Kindern,
- Weggerissen vom Altar,
- Fällt den wüsten Überwindern
- Ins Gehark ein Zwillingspaar.
- Mirjam und Jonathan heißen die beiden,
- Schwester und Bruder, ein lieblich Geflecht.
- Wer hat die Roheit, den Blutstamm zu scheiden?
- Sklavin wird Mirjam und Jonathan Knecht.
- Grausames Schicksal, sie werden geschieden,
- Zitternd Lebwohl und unendliches Weh.
- Treffen sie je noch zusammen hienieden?
- Gleißt ihnen niemals mehr Libanons Schnee?
- Zwei von Romas Senatoren,
- Cajus und Sulpicius,
- Haben sie für sich erkoren.
- Abschied ohne Abschiedskuß.
- Norden und Süden, Italiens Gefilde,
- Lösen den zwillingsverschwisterten Bund.
- Lindernd verweht wie ein Schleiergebilde
- Jährlich der wechselnden Monate Rund.
- Jonathan hütet die Kälber und Kühe,
- Spaltet das Brennholz und säubert den Stall;
- Arbeit am Tage, des Abends noch Mühe,
- Schanzen und schuften und Fron überall.
- Riesenfest wie Baschoms Eichen,
- Wild wie Simson wuchs er auf,
- Löwenstärke war sein Zeichen,
- Flüchtig wie der Hirsch sein Lauf.
- Und seine Stimme behielt ihre Würde,
- In seinen Augen lag silberne Glut,
- Königlich trug er die furchtbare Bürde,
- Heimlich erhob ihn sein fürstliches Blut.
- Mirjam hütet die Enten und Gänse,
- Klopft in der Küche das Pfauenfleisch weich,
- Hilft bei der Ernte mit Sichel und Sense,
- Feiste Muränen entnimmt sie dem Teich.
- Sarons Lilien auf den Wangen,
- Auf der braun verbrannten Haut,
- Steht sie abends oft befangen,
- Steht wie Hebrons schönste Braut.
- Keiner kann je ihrer Gunst sich erfreuen;
- Stolz von unnahbarer Hoheit umdornt,
- Läßt sie es jeden Bewerber bereuen,
- Der seine Seele zum Angriff gespornt.
- Römisches Schwelgen und römische Feste.
- Einst in den Straßen im Völkergewühl
- Treffen zusammen zwei lustige Gäste,
- Gehn zur Taverne auf Polster und Pfühl:
- Die sich lange nicht begegnet,
- Cajus und Sulpicius,
- Rufen jeder: Sei gesegnet,
- Daß ich hier dich treffen muß.
- Und bei Faustiner und bajäschen Zungen
- Schwatzen sie, was sie erlebt all die Zeit,
- Was sie verloren und was sie errungen.
- Flötenspiel, Aufbruch und Fackelgeleit.
- Vor einem Porticus, wo sie sich trennen,
- Sprechen sie viel vom judäischen Land,
- Und wie auf einen Schlag rufen sie, nennen
- Jonathan, Mirjam, welch Pärchen, charmant!
- Und es witzeln, scherzen, lachen
- Cajus und Sulpicius,
- Bis sie, topp, ein Ende machen,
- Und sie fassen den Entschluß:
- Heimlich im Dunkel vereinen wir beide,
- Riegeln sie ein zur Verhütung der Flucht.
- Und aus der Hochzeitsnacht lustigem Leide
- Blüht uns zum Vorteil die trefflichste Zucht.
- Sinkende Dämmrung, der Tag geht zu Ende,
- Abendrot, nur noch ein blaßgelbes Band.
- Still wie im Schlafe verschlungene Hände,
- Still wie die Wurzel im tieftiefen Land.
- Unerkannt, im finstern Raume,
- Flüstert drängend die Natur,
- Und die Jugend folgt im Traume
- Ihrer ewig starken Spur.
- Sylphenumjachterte ferne Fontäne,
- Rosenversunkene klanglose Nacht;
- Auf den Granatbaum, auf Quellen und Schwäne
- Tüpfelt der Mond seine täuschende Pracht.
- Klärender Dämmrung neugierige Augen:
- Zwei, die erwachen aus Glück und aus Glut.
- Grimmiger Sonne reugierige Augen:
- Zwei, sich erkennend aus eigenem Blut.
- Bruder, Schwester! Schrecklich funkelt
- Gottes Rachediadem.
- Grell beleuchtet, hart umdunkelt
- Schauen sie Jerusalem.
- Zwei, die sich bebend vom Mauernkranz warfen:
- Aufklatscht zum Himmel das tuskische Meer.
- Zithern und Cymbeln, davidische Harfen
- Bringen verklingend ein Hochzeitslied her.
Die Zwillingsgeschwister
… eine Ballade von Detlev von LiliencronDie Zwillingsgeschwister von Detlev von Liliencron wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/liliencron/die-zwillingsgeschwister/
Quelle: https://balladen.net/liliencron/die-zwillingsgeschwister/